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Waldröschen II. Der Schatz der Mixtekas

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Karja ging. Sie hatte ein Opfer gebracht, aber dieses Opfer lag ihr mit Zentnerschwere auf der Seele, denn sie mußte teilnehmen an der heutigen Festlichkeit, und doch war es ihr bei der allgemeinen Freude, als ob sie bittere Tränen weinen möchte.

Der Graf blieb in seinen Gemächern und ließ sich gar nicht sehen. Am Nachmittag kam eine Estafette an ihn. Er erhielt einen Brief aus der Hauptstadt Mexiko, der ihm nur allein eingehändigt werden durfte. Als er ihn geöffnet und gelesen hatte, blickte er erst starr vor sich hin, dann aber sprang er auf und murmelte:

»Es mag ein Verbrechen sein, pah! Ich heiße es jedoch gut, denn es bringt mir eine Grafenkrone. Wie gut, daß ich bereits zur Abreise gerüstet bin. Ich bringe einen Reichtum mit, um den mich Könige und Kaiser beneiden werden.«

Der Brief lautete folgendermaßen:

»Lieber Neffe!

Dein Vater hat geschrieben. Du mußt nach Rodriganda. Zuvor jedoch stirbt der alte Ferdinando, ganz so wie es verabredet wurde. Komm! Der Kapitän Landola wartet bereits im Hafen.

Dein Oheim Pablo Cortejo.«

8. Kapitel

Wenn es einen gab, dessen Beifall die Verlobung Helmers‘ mit der Mexikanerin nicht ganz hatte, so war dies Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Er hatte den Deutschen sehr liebgewonnen, wenn er es sich bei seiner schweigsamen Natur auch nicht merken ließ, und geglaubt, noch lange Zeit mit ihm durch Wald und Prärie streifen zu können, und nun mußte er diese Hoffnung aufgeben. Darum fühlte er sich unmutig und vereinsamt. Er fing sich also eines der halbwilden Pferde, setzte sich darauf und jagte in die Welt hinaus.

Dort trieb er sich einige Stunden lang im tollen Jagen herum, bis er endlich doch daran dachte, daß man ihn vermissen und suchen werde, und kehrte zurück. Dabei suchte er sich aber nicht etwa den geradesten und bequemsten Weg aus, sondern folgte den Tälern, Schluchten und Gründen, wie sie ihm gerade in die Richtung kamen, bis er, in einer Vertiefung reitend, plötzlich Stimmen vernahm. Gleich darauf ertönte ein Schuß und ein Schrei.

Ein solches Vorkommnis war verdächtig, besonders aber einem vorsichtigen Indianer. Er stieg also ab, band sein Pferd an, griff zur Büchse und pirschte sich vorsichtig der Gegend zu, wo der Schuß gefallen war. Es war nicht weit. Er kroch eine Böschung empor, deren Höhe mit wilder Myrte besetzt war. Als er diese Büsche erreichte, erblickte er zwischen diesen hindurch ein kleines, aber tiefes Tälchen, in dem sich um ein abgebranntes Feuer herum achtzehn Männer und zwei Leichen befanden. Dabei lagen eine Menge Kisten. Säcke und Packsattel auf einem Haufen. Einer der Männer hatte ein Pistol in der Hand, das er lud.

»Es bleibt dabei«, sagte er, »wer widerspricht, der wird einfach erschossen!« – »Werden uns die Schüsse nicht verraten?« fragte ein anderer schüchtern. – »Schwachkopf, wer wird sich an uns wagen!«

Bärenherz verstand das Gemisch von Spanisch und Indianisch, das an der Grenze gesprochen wird, sehr gut, diese Leute hier aber redeten rein Spanisch, das er nicht verstand. Er hielt sie für eine Jagdtruppe, deren Mitglieder untereinander in Streit geraten waren und auf sich geschossen hatten. Das kommt in Mexiko häufig vor, ohne daß es groß beachtet wird. Er zog sich also leise wieder zurück, bestieg sein Pferd und ritt nach der Estanzia.

Dort hatte man ihn allerdings vermißt, und als er anlangte, mußte er sofort an der Tafel erscheinen, wo er keine Zeit fand, der Begegnung mit den Fremden zu gedenken.

Der Freudentag verlief ungestört, zumal sich der Graf ganz und gar nicht sehen ließ; doch ermüdet die Freude den Menschen ebenso wie der Schmerz, und man legte sich zeitig schlafen.

Nun erst verließ der Graf sein Zimmer und ging zu den Olivenbäumen, wo er die Indianerin bereits seiner wartend fand. Nicht die Sehnsucht der Liebe führte ihn zu ihr, aber er mußte ihr Vertrauen wenigstens so lange aufrechterhalten, bis er den Schatz gehoben hatte. Er heuchelte also Zuneigung und Zärtlichkeit, suchte aber so bald wie möglich von ihr fortzukommen.

»Warum willst du schon gehen‘?« fragte sie ihn. – »Weil ich einen Ausflug nach der Höhle des Schatzes unternehme.« – »Willst du ihn jetzt schon holen?« – »Nein. Ich will nur sehen, ob er wirklich noch da ist.« – »Er ist noch da. Mein Bruder hat ihn vor kurzem erst gesehen.« – »Ich muß mich dennoch selbst überzeugen. Diese Sache ist ja zu wichtig für mich.« – »Wann kommst du wieder?« – »Noch vor Abend.« – »So schlafe wohl!«

Karja umschlang den Grafen, küßte ihn zum Abschied und ging dann fort. Er folgte langsam. Als er sein Zimmer erreichte, waren bereits seine beiden Diener beschäftigt, diejenigen seiner Sachen einzupacken, die er mitzunehmen hatte. Es war nicht viel, und darum kamen sie bald zu Ende damit.

»Tragt es leise hinab und sattelt die Pferde. Draußen bei der großen Zeder treffen wir uns!« gebot er den Leuten, darauf ging er hinab, um langsam voranzuschreiten. Dabei bemerkte er ein helles Licht, das aus dem Fenster von Emmas Schlafzimmer drang. Ah, das war die Braut, die schöne, die ihn verschmäht hatte! War vielleicht der Bräutigam bei ihr? Er mußte das wissen; die Eifersucht packte ihn. Er wußte, daß an den Palisaden mehrere lange, starke Stangen lagen. Er holte eine derselben, lehnte sich an die Mauer und kletterte daran in die Höhe. Sie war so lang, daß er neben das offene Fenster kam und in das Zimmer sehen konnte.

Da erblickte er Emma, die ihm in diesem Augenblick so bezaubernd schön erschien, daß er nicht widerstehen konnte, sondern den Fuß auf die Fensterbrüstung setzte und sich in das Gemach hineinschwang. Sie hörte das Geräusch, drehte sich um und stieß einen Schrei des Schrecks aus.

»Was wollen Sie?« fragte sie entsetzt. – »Liebe!« stammelte er, völlig berauscht von ihrem Anblick.

Ihr Auge blitzte auf. In ihrem Zimmer befand sich zwar keine Waffe, aber sie war mutig und entschlossen.

»Liebe?« fragte sie. »Nicht Liebe sollst du finden, aber Verachtung und Blut!«

Mit einem schnellen Griff riß sie ihm das Messer aus dem Gürtel, zückte es gegen ihn und gebot:

»Augenblicklich verlassen Sie mich wieder!« – »Dich verlassen, du Herrliche?« erwiderte er. »Nein, nein, und tausendmal nein!«

Er griff zu und faßte ihr Handgelenk, so daß sie nicht stechen konnte. Sie rangen nun um den Besitz des Messers. Er war stärker als sie, aber die Verzweiflung gab ihr Kraft genug, den Griff der Waffe festzuhalten. Er hatte den anderen Arm um sie geschlungen und drückte sie an sich. Sie fühlte seinen Atem und seine Küsse, sie erkannte, daß sie unterliegen müsse, wenn sie aus Scham länger schwiege, da rief sie um Hilfe, ein-, zwei-, dreimal.

Gleich darauf nahte draußen ein schneller, leichter Schritt.

»Um Gottes willen, was rufst du?« erklang die Stimme der Indianerin, deren Wohnung neben derjenigen Emmas lag und die also den Hilferuf zuerst gehört hatte.

Der Graf drückte Emma fester an sich und versuchte, ihr den Mund zuzuhalten, es gelang aber nicht.

»Rufe die Leute herbei, der Graf hat mich überfallen! Schnell, schnell!« – »Der Graf? Ah!«

Karja klingte an der Tür, fand sie aber verschlossen. Eine lange Minute verging, dann hörte man die leichten Füße Karjas zurückkehren; ein Schuß krachte, und die Tür flog auf. Wie der Engel der Rache stand die Indianerin vor derselben, die rauchende Büchse noch in der Hand. Sie hatte das Schloß mit der Kugel geöffnet.

»Lügner! Treuloser!« rief sie.

Graf Alfonzo ließ jetzt Emma los; als er aber sah, daß die Büchse nur einen Lauf hatte, lachte er und wollte das Mädchen wieder packen; da aber faßte ihn die Indianerin und schleuderte ihn mit solcher Gewalt gegen die Wand, daß er zu Boden sank. Zugleich ertönten laute Stimmen. Man hatte den Schuß gehört und eilte herbei.

Da sprang der Graf, der seiner Sinne kaum mächtig gewesen war und erst jetzt wieder zu sich kam, auf den Fensterstock zurück, faßte die Stange und ließ sich hinab. Einen Augenblick später hörten ihn die beiden Mädchen mit noch mehreren Pferden fortgaloppieren.

»Heilige Madonna, wer schießt, was gibt es hier oben?« erschallte die Stimme des Hazienderos, der mit der Dienerschaft herbeigeeilt kam.

Zu gleicher Zeit ertönte in der Ferne ein Schuß und noch einer, worauf zwei Schreie erfolgten.

»Gott, Gott, was ist das?« fragte Arbellez, der jetzt eintrat. – »Der Graf überfiel mich, Vater.« – »Der Graf? Was wollte er? Hattest du denn nicht zugeschlossen?« – »Er kam durch das Fenster.« – »Durch das Fenster? Wie ein Dieb? O mein Gott! Und wer schoß dann?« – »Ich!« erwiderte die Indianerin mit bleichen Lippen. »Ich hätte ihn erschossen, wenn ich zwei Läufe gehabt hätte. Ich holte die Büchse aus dem Waffenschrank.« – »Ah! Und wer schoß da unten?« – »Ich weiß es nicht.« – »Zieht euch an, Kinder, und kommt in den Saal. Das muß besprochen werden.«

Nach kurzer Zeit waren sämtliche Bewohner des Hauses versammelt; auch Bärenherz trat ein. Er hatte zwei noch blutende Skalpe am Gürtel hängen.

»Was ist das?« fragte der Haziendero schaudernd. – »Zwei Kopfhäute«, antwortete der Indianer einfach. – »Woher?« – »Ich konnte noch nicht schlafen und ging hinaus in die Nacht. Da hörte ich meine weiße Schwester um Hilfe rufen. Ich war weit fort, aber das Fenster war offen, und ich vernahm es. Ich eilte herbei und sah einen Mann davonspringen, dem ich nachsetzte. Zwei andere warteten auf ihn. Sie ritten davon. Ich erhob mein Gewehr. Es war sehr dunkel, aber ich schoß zwei von den Pferden und nahm ihre Skalpe. Es sind die Diener des Grafen.« – »So ist er entkommen?« – »Ja.« – »Und die Unschuldigen sind erschossen.« – »Pshaw! Wer mit dem Grafen reitet, ist nicht unschuldig.«

Mit diesen Worten verließ der Apache das Zimmer, kehrte aber sofort wieder um und fragte:

»Wo ist Donnerpfeil, mein weißer Bruder?« – »Ja, wo ist Señor Helmers, daß er nicht kommt, wo sein Schutz nötig ist?« fragte Arbellez. – »Er ist fort«, antwortete Emma. – »Fort? Wohin?« – »Mit Tecalto.« – »Wohin, frage ich!« sagte Arbellez ängstlich. – »Ich darf es nicht sagen.« – »Mit meinem Bruder? Wirklich?« erkundigte sich die Indianerin. – »Ja. Er sagte es.«

 

Der Apache schüttelte den Kopf.

»Meine weiße Schwester mag ihre Lippen öffnen«, versetzte er. »Was will der Graf in ihrem Wigwam? Nicht weit von hier lagen viele böse Weiße mit Sätteln, Kisten und Säcken, auch waren Tote dabei. Und meine tapferen Brüder sind fort. Das ist eine große Gefahr. Meine Schwester mag ja sprechen.« – »Aber er hat es mir verboten.« – »So hat er nicht gewußt, was geschieht, wenn er fort ist.« – »O Gott, so rede doch«, drängte der Estanziero. »Er befindet sich in Lebensgefahr!« – »So muß ich reden. Er wird es mir verzeihen. Er ist mit Tecalto nach dem Schatz der Könige.« – »Nach dem Schatz der Könige?« fragte Karja erschrocken. – »Ja.« – »Und der Graf ist auch hin. Und Männer waren in der Nähe mit Säcken und Kisten?« – »Ja«, antwortete der Apache. – »Wie viele?« – »Zweimal fünf und acht.« – »Oh, das ist Gefahr, das ist Gefahr!« rief da die Indianerin. »Der Graf, der Lügner, der Verräter, will den Schatz der Könige stehlen. Er wird Señor Helmers und meinen Bruder dort finden und sie töten. Señor Arbellez, blast in das Nothorn. Laßt Eure Vaqueros und Ciboleros kommen. Sie müssen nach der Höhle des Schatzes, um die zwei zu retten!«

Jetzt gab es einen Wirrwarr von Fragen und Antworten, bei dem nur der Apache seine Ruhe behauptete. Er hörte die einzelnen Fragen und Entgegnungen und sagte:

»Wer weiß, wo die Höhle liegt?« – »Ich«, antwortete Karja. »Ich werde euch führen!« – »Kann man reiten?« – »Ja.« – »So gebt mir dieses Mädchen und zehn Ciboleros und Vaqueros mit. – »Ich gehe auch mit!« rief Arbellez. – »Nein!« entschied der Apache. »Wer soll die Hazienda schützen? Man rufe alle Männer und gebe mir zehn von ihnen. Die anderen beschützen die Hazienda.«

Dabei blieb es. Der Haziendero stieß in das Horn, und auf dieses Zeichen kamen die Wächter der Herden und sonstige Bedienstete herbeigesprengt. Der Apache suchte sich zehn von ihnen aus; sie wurden bewaffnet. Auch Karja stieg zu Pferde; dann ritten sie ab, während die anderen, gut Wache haltend, zurückblieben. Die Verwirrung war schuld, daß bis zum Abreiten der kleinen Truppe doch eine ziemliche Zeit vergangen war.

9. Kapitel

Kurz nachdem sich die festliche Versammlung getrennt hatte, um zur Ruhe zu gehen, trat Büffelstirn in das Zimmer des Deutschen.

»Gedenkst du noch deines Wortes?« fragte er. – »Ja.« – »Du reitest mit?« – .Ja.« – »So komm!«

Helmers bewaffnete sich und folgte dem Indianer. Unten standen drei Pferde bereit, zwei mit Reitsätteln und das dritte mit einem Packsattel.

»Was soll dieses hier?« fragte der Deutsche, auf das letztere zeigend. – »Ich habe gesagt, daß du nicht arm bist. Du hast den Schatz der Könige nicht berauben wollen, darum sollst du dir davon nehmen dürfen so viel, wie ein Pferd zu tragen vermag.« – »Nein. Wo denkst du hin!« rief Helmers erstaunt. – »Rede nicht, sondern steige auf und folge mir!«

Der Indianer bestieg sein Pferd, nahm das Packtier beim Zügel und ritt fort. Helmers konnte nicht anders, als ihm folgen. Es war finstere Nacht, aber der Indianer kannte seinen Weg genau, und die halbwilden Pferde Mexikos sehen während der Nacht wie die Katzen. Der Deutsche konnte sich der Führung Büffelstirns getrost anvertrauen. Schnell freilich kamen sie nicht vorwärts, denn es ging tief zwischen unwegbare Berge hinein.

Büffelstirn sprach kein Wort. Man hörte in der schweigsamen Nacht nichts als den Schritt und das zeitweilige Schnauben der Pferde. So verging eine Stunde, noch eine und noch eine. Da rauschte Wasser; man kam an den Lauf eines Baches, dem man folgte. Dann türmte sich ein wallartiger Berg vor ihnen auf, und als sie denselben beinahe erreicht hatten, stieg der Indianer ab.

»Hier warten wir, bis der Tag kommt«, sagte er.

Helmers folgte seinem Beispiel, ließ sein Pferd grasen und setzte sich neben Büffelstirn auf einem Felsstück nieder.

»Ist die Höhle hier in der Nähe?« fragte er. – »Ja, sie ist da, wo dieses Wasser aus dem Berg kommt. Man steigt in den Bach, bückt sich und kriecht in das Loch, dann befindet man sich in einer Höhle, deren Größe und Abteilungen niemand kennt als Büffelstirn und Karja.« – »Ist Karja schweigsam?« – »Sie schweigt!«

Helmers dachte an das, was ihm Emma erzählt hatte, und sagte daher:

»Aber es gibt einen, der das Geheimnis des Schatzes von ihr erfahren will.« – »Wer ist es?« – »Der Graf Alfonzo.« – »Ugh!« – »Du bist mein Freund, und darum darf ich dir sagen, daß sie ihn liebt.« – »Ich weiß es.« – »Und wenn sie ihm nun euer Geheimnis verrät?« – »So ist Büffelstirn da. Er wird nicht den kleinsten Teil des Schatzes erhalten.« – »Ist dieser Schatz groß?« – »Du wirst ihn sehen. Nimm alles Gold, das Mexiko heute besitzt, zusammen, so reicht es noch nicht an den zehnten Teil dieses Schatzes. Es hat einen einzigen Weißen gegeben, der ihn gesehen hat, und…« – »Ihr habt ihn getötet?« – »Nein. Er brauchte nicht getötet zu werden, denn er ist wahnsinnig geworden, wahnsinnig vor Freude und Entzücken. Der Weiße vermag den Anblick des Reichtums nicht zu ertragen, nur der Indianer ist stark genug dazu!« – »Und mir willst du den Schatz zeigen?« – »Nein. Du wirst nur einen Teil desselben sehen. Ich habe dich lieb, und du sollst nicht auch wahnsinnig werden. Gib mir deine Hand und zeige mir deinen Puls.«

Der Indianer faßte die Hand des Deutschen und prüfte dessen Puls, worauf er fortfuhr:

»Ja, du bist stark. Der Geist des Goldes hat dich noch nicht ergriffen, aber bis du in die Höhle trittst, wird dein Blut gehen wie der Fall des Wassers vom Felsen.«

Das Gespräch verstummte nun. Es war dem Deutschen eigentümlich wie noch nie zumute. Da begann sich der Himmel zu färben. Der blasse Schimmer des Ostens wurde stärker, und bald konnte man die einzelnen Gegenstände mit Genauigkeit unterscheiden.

Helmers erblickte den Berg El Reparo vor sich, dessen schroffer Hang zumeist mit Eichenbäumen bestanden war. Ganz am Fuß desselben trat ein Wasser aus dem Felsen, das wenigstens eine Breite von drei Fuß und eine Tiefe von vier Fuß hatte.

»Dies ist der Eingang?« fragte er. – »Ja«, antwortete Büffelstirn. Aber noch treten wir nicht hinein. Wir wollen erst die Pferde verstecken. Der Besitzer eines Schatzes muß vorsichtig sein.«

Sie führten die Pferde längs des Berges hin, bis der Indianer ein Gebüsch auseinanderbog. Hinter demselben befand sich eine enge, niedrige Schlucht, wo die Tiere Platz fanden. Dann kehrten sie an den Bach zurück und verwischten nach Indianerart ihre Spuren, bis sie an den Felsen gelangten, aus dessen Öffnung das Wasser floß.

»Nun komm!« sagte Büffelstirn und stieg mit diesen Worten in das Wasser, zwischen dessen Oberfläche und dem Felsen ein Fuß tief Raum war, so daß man mit dem Kopf hindurchgelangen konnte. Sie kamen nun in einen dunklen Raum, dessen Luft trotz des Baches außerordentlich trocken war.

»Reiche mir deine Hand!« gebot der Indianer und führte Helmers aus dem Wasser heraus auf das Trockene, um abermals dessen Puls zu befühlen.

»Dein Herz ist sehr stark«, sagte er. »Ich darf die Fackel anbrennen.«

Er ging darauf einige Schritte von Helmers fort, und bald durchzuckte ein matter, phosphorartiger Blitz den Raum, ertönte ein lautes Prasseln, und dann flammte eine Fackel auf.

Aber was ging nun vor? Nicht die eine, sondern tausende von Fackeln schienen zu brennen. Als befände sich der Deutsche inmitten einer ungeheuren, wie Gold und Demant blitzenden Sonne, so strahlten Millionen von Lichtern und Reflexen in sein geblendetes Auge, und in dieses unendliche Schimmern, Schillern und Brillieren hinein erklangen die Worte des Indianers:

»Das ist die Höhle des Königsschatzes! Sei stark und halte deine Seele fest!«

Es verging eine geraume Zeit, ehe der Deutsche seine Augen an diese Pracht gewöhnen konnte.

Die Höhle bildete ein hohes Viereck von vielleicht sechzig Schritt in der Länge und Breite, durch das der mit Steinplatten bedeckte Bach floß. Sie war vom Boden an bis hinauf an die gewölbte Decke angefüllt mit Kostbarkeiten, deren Glanz die Sinne auch des nüchternsten Menschen verwirren konnte.

Da gab es Götterbilder, die mit den kostbarsten Edelsteinen geschmückt waren, besonders die Bilder des Luftgottes Quetzalcoatl, des Schöpfers Tetzkatlipoka, des Kriegsgottes Huitzilopochtli und seiner Gemahlin Teoyaniqui, nebst seines Bruders Tlakahuepankuexkotzin, der Wassergöttin Chalchiuhtlicue, des Feuergottes Ixcozauhqui und des Weingottes Cenzontotochtin. Hunderte von Hausgötterfiguren standen auf Wandbrettern, sie waren entweder aus edlen Metallen getrieben oder in Kristall geschliffen. Dazwischen standen goldene Kriegspanzer, goldene und silberne Gefäße, Schmucksachen in Demant, Smaragden, Rubinen und anderen Edelsteinen, Opfermesser, deren Griffe, die funkelnden Steine gar nicht gerechnet, schon einen Altertumswert von Hunderttausenden hatten, Schilde von starken Tierhäuten, die mit massiven Goldplatten besetzt waren. Von dem Mittelpunkt der Decke aber hing gleich einem Lüster eine Königskrone herab; sie hatte die Gestalt einer Mütze, war aus massivem Golddraht gefertigt und mit Diamanten besetzt. Ferner sah man da ganze Säcke voll Goldsand und Goldstaub. Kisten, die mit Nuggets – Goldkörnern – angefüllt waren, die die Größe einer Erbse bis zu der eines Hühnereis hatten. Auch sah man ganze Haufen gediegenes Silber, gleich in großen Stücken aus zutage getretenen Adern gebrochen. Auf großen Tischen standen leuchtende Modelle der Tempel von Mexiko, Cholula und Teotihuakan; der prachtvollen Mosaiken von Muscheln, Gold, Silber, Edelsteinen und Perlen gar nicht zu gedenken, die am Boden und in den Ecken lagen.

Der Anblick dieser Reichtümer brachte auf den Deutschen einen wahrhaft berauschenden Eindruck hervor. Es war ihm, als sei er ein Märchenprinz aus Tausendundeiner Nacht. Er gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, aber es gelang ihm nicht. Er fühlte das Blut an seinen Schläfen pochen, und es war ihm, als ob große Feuer- und leuchtende Demanträder vor seinen Augen wirbelten. Es kam eine Art von Rausch über ihn, und in demselben sah er ein, daß solche Reichtümer eine Macht ausüben, ein wahnsinniges Verlangen erwecken können, das selbst vor dem fürchterlichsten Verbrechen nicht zurückschrecken würde.

»Ja, das ist die Höhle des Königsschatzes«, wiederholte der Indianer. »Und dieser Schatz gehört nur allein mir und meiner Schwester Karja.« – »So bist du reicher als irgendein Fürst der Erde!« antwortete Helmers. – »Du irrst! Ich bin ärmer als du und jeder andere. Oder willst du den Enkel eines Herrschers beneiden, dessen Macht vergangen ist und dessen Reich in Trümmern liegt? Die Krieger, die jene Rüstungen trugen, wurden von ihrem Volk geliebt und verehrt; ein Wort von ihnen gab Leben oder Tod. Ihre Schätze sind noch vorhanden, aber die Stätte, wo man ihre Gebeine niederlegte, ist von den Weißen entweiht und zertreten worden, und ihre Asche wurde in alle Winde zerstreut. Ihre Enkel irren durch die Wälder und Prärien, um den Büffel zu töten. Der Weiße kam; er log und trog, er mordete und wütete unter meinem Volk um dieser Schätze willen. Das Land ist sein, aber es liegt verödet, und der Indianer hat die Schätze dem Dunkel der Erde übergeben, damit sie dem Räuber nicht in die Hände fallen. Du aber bist nicht wie die anderen, dein Herz ist rein vom Verbrechen. Du hast meine Schwester aus den Händen der Komantschen errettet, du bist mein Bruder, und darum sollst du von diesen Schätzen so viel haben, wie ein Pferd zu tragen vermag. Doch nur zweierlei steht dir zu Gebote. Hier sind Goldkörner, ganze Säcke voll, und hier sind Ketten, Ringe und anderer Schmuck; wähle dir aus, was dir gefällt. Das andere aber ist heilig; es soll nie wieder beschienen werden von der Sonne, die den Untergang der Mixtekas gesehen hat.«

Helmers sah die Nuggets und das Geschmeide, ihm wurde fast schwindlig.

»Ist dies dein Ernst?« fragte er. – »Ich scherze nicht.« – »Aber das sind ja hunderttausende von Dollars, die du mir schenkst!« – »Nein; es werden sogar Millionen sein.« – »Ich kann es nicht annehmen!« – »Warum? Willst du die Gabe des Freundes verachten?« – »Nein, aber ich kann nicht dulden, daß du dich meinetwegen beraubst.«

Der Indianer schüttelte stolz den Kopf.

»Es ist kein Raub. Ich bringe kein Opfer. Was du hier siehst, ist nur ein Teil der Schätze, die der Berg El Reparo verbirgt. Es gibt hier noch weitere Höhlen, von denen nicht einmal Karja, meine Schwester, etwas weiß. Nur ich kenne sie, und wenn ich einst sterbe, so wird kein menschlicher Gedanke mehr in diese Tiefen dringen. Ich werde jetzt gehen, um die anderen Höhlen zu besuchen. Siehe dir die Schätze an und lege zur Seite alles, was du für dich auswählst. Wenn ich zurückkehre, beladen wir das Pferd damit und kehren heim nach der Estanzia.«

 

Der Indianer steckte die Fackel in den Boden und schritt nach der hintersten Ecke, in der er verschwand.

Der Deutsche stand jetzt allein inmitten dieser unermeßlichen Reichtümer. Welch ein Vertrauen mußte der Indianer zu ihm haben! Wie nun, wenn er den Indianer tötete, um Herr des Ganzen zu werden, von dem er nur einen kleinen Teil erhalten sollte? Aber kein einziger solcher Gedanke kam dem ehrlichen Mann. Er fieberte ja schon vor Wonne, daß er eine ganze Pferdelast Geschmeide und Nuggets mitnehmen durfte.