Kostenlos

Waldröschen I. Die Tochter des Granden

Text
Autor:
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Ja, mein Freund, ich bin Amy Lindsay. Und wer seid Ihr?« – »Oh, Doña Lady Señorita, ich bin Señor Juan Alimpo, der Kastellan auf Schloß Rodriganda. Das sagt meine Elvira auch.«

Wieder erklang der kurze, melodische Triller, denn der Nachsatz des wackeren Kastellans war ja ganz geeignet, die Heiterkeit der Dame zu erregen, und sie fragte:

»Und wer ist diese gute Elvira?« – »Diese Elvira ist meine Frau, Miß Amy Señorita Lindsay.« – »Ach so! Und wollt Ihr mir nun wohl sagen, ob Dir allein hier seid, um mich abzuholen?« – »O nein, Lady Lindsay Doña! Meine gnädige Condesa ist da. Sie ist in einer der ersten Locandas abgestiegen und erwartet Euch dort zum Gruß.« – »So führt mich hin, Señor Alimpo.«

Der Kastellan gab dem Kutscher einen Wink, sich des Gepäcks anzunehmen, und schritt in stolzer Haltung vor der Engländerin her, um ihr den Weg zu zeigen. Der gute Alimpo war sich bereits jetzt bewußt, daß diese »Miß Lady Amy Señorita Lindsay« seine ganze Verehrung erlangen werde. Sie war gar nicht so stolz wie so manche spanische Dame; ihr Lachen war süß wie das Gezirpe eines Heimchens, und ihre Stimme klang so eigentümlich voll und rein, als sei sie von einem großen Musikmeister partout dazu gestimmt worden, recht tief in alle Herzen zu dringen.

Rosa stand am Fenster ihres Zimmer und sah die Freundin kommen. Sie eilte ihr entgegen. Draußen vor der Zimmertür trafen sie sich. Die Fremde schlug den Schleier zurück, und nun blickte Alimpo in ein so zauberisch mildes, blondes Mädchenangesicht, daß er ganz vergaß, sich zu entfernen, um nicht Zeuge des Bewillkommnungskusses zu sein. Erst ein fragender Blick aus dem dunklen Auge seiner Herrin machte ihn auf seine Unhöflichkeit aufmerksam. Er drehte sich also schleunigst um und kehrte nach dem Hausflur zurück, wo er auf den Kutscher stieß, der soeben unter der Last des Gepäcks dahergekeucht kam.

»O heilige Madonna! War das ein Gesicht!« rief der Kastellan ganz enthusiastisch. »Und dieses Haar! Nein, so ein Haar! Wie Gold! Nein, noch viel goldener als Gold! Und dieser Kuß! Donnerwetter, ich wollte, den hätte ich bekommen an der Stelle der – hm! Ja! Was stehst du denn da und gaffst mich an? Schaffe Koffer und Schachteln nach dem Wagen und kümmere dich nicht um Dinge, für die du keinen Geschmack haben kannst.«

Der gute Alimpo hatte erst jetzt bemerkt, daß der Rosselenker mit weit aufgerissenem Mund bereitstand, seine zarten Gefühlsgeheimnisse zu verschlingen. Er schleuderte ihm einen vollständig vernichtenden Blick zu und wandte sich, um in der Nähe des Zimmers seiner Herrin auf die Befehle der letzteren zu warten.

Wer die beiden Mädchen jetzt hätte belauschen können, hätte wahrlich nicht gewußt, welchem von ihnen er den Preis der Schönheit zuerteilen sollte. Die Engländerin gehörte keineswegs in die Kategorie jener langen, dünnen, starkknochigen und langzähnigen Ladies, die den Kontinent unsicher zu machen pflegen. Sie hatte Schleier und Mantel abgelegt und stand nun da wie ein verkörpertes Märchenbild, wie eine Melusine, die geschaffen ist, ohne es selbst zu wissen alle Herzen gefangenzunehmen. Sie war eine Schönheit, an der sich der Pinsel des Malers und die Feder des Dichters vergebens versucht hätten.

Die Begrüßung war vorüber und die nötigen ersten Fragen und Antworten ausgetauscht. Nun standen die jungen Damen am Fenster, in heiterem Geplauder das rege Leben musternd, das der Jahrmarktsmorgen vor ihren Augen entfaltete. Da erhob die Engländerin den Finger und sagte, hinauszeigend:

»Sieh, Rosa, wer ist das?« – »Ah, ein Offizier! Ein Husar!« – »Kennst du ihn?« – »Nein. Es ist kein Spanier; der Uniform nach muß es ein Franzose sein.«

Es war Mariano, der auf seinem Weg nach Rodriganda jetzt durch Pons kam. Wer ihn in der kleidsamen Husarentracht und in so stolzer, sicherer Haltung auf seinem feurigen Hengst sitzen sah, hätte nie vermutet, daß dieser junge Mann das Ziehkind einer Räuberbande sei. Ein als Diener verkleideter Brigant folgte ihm in vorgeschriebener Entfernung.

Er ritt auf die Locanda zu, um sich und dem Pferd hier eine Erholung zu gönnen; aber gerade quer vor seiner Richtung stand ein ziemlich hoher Karren, auf dem der Besitzer desselben Apfelsinen verkaufte. Anstatt auszubiegen, nahm Mariano seinen Hengst empor und flog so graziös über den Karren hinweg, als sei dieser nur ein wenige Zoll hohes Hindernis gewesen.

»Herrlich!« rief Rosa, in die Hände klatschend. – »Welch ein Reiter!« meinte auch Amy, während ihre Augen bewundernd auf dem Jüngling ruhten.

Dieser musterte das Haus, in dem er einzukehren gedachte, und dabei schweifte sein Blick über das Fenster, an dem die beiden Mädchen standen. Sie sahen, wie er zusammenzuckte, als sei er auf das freudigste überrascht worden, sie sahen sogar, daß er ganz unwillkürlich den Zügel anzog, als ob er halten wollte, sich aber sofort zusammenraffte. Aber noch einen zweiten, blitzschnellen Blick warf er hinauf, und dann sprang er vom Pferd.

»Hast du gesehen«, fragte Amy, deren Wangen sich gefärbt hatten, »daß er nach dir blickte?« – »Nach mir? O nein. Dieser Blick galt dir. Ich habe es ganz genau gesehen.« – »Das ist unmöglich!« lächelte die Engländerin, beinahe ein wenig befangen. »Du bist so schön, so stolz, auf dich muß jedes Auge fallen.« – »Weißt du, meine gute Amy, daß du noch viel schöner bist als ich? Du glaubst es nicht? Nun gut, so werde ich es dir beweisen.« – »Womit, Rosa? Du machst mich neugierig.« – »Durch einen Schiedsrichter.« – »Ach, das ist ja herrlich!« lachte die Engländerin. »Wer soll dieser Schiedsrichter sein? Doch nicht etwa dieser gute Señor Alimpo, der mich Miß Señorita Amy Doña Lady Lindsay nennt?« – »Nein, dieser nicht, meine Liebe. Unser Alimpo ist ein sehr treuer Diener, den ich deiner Freundlichkeit empfehle, aber für das schwierige Amt eines Schiedsrichters ist er nicht geschaffen, er hat ohne ›seine Elvira‹ kein Urteil. Aber wir haben jetzt jemand auf Schloß Rodriganda, der dir sagen wird, daß du schöner bist als ich.« – »Wer ist das?« – »Unser Arzt.« – »Ein Arzt? Ach, was versteht ein Arzt von Schönheit? Er hat seine Tinkturen, Mixturen und Salben. An ihnen übt er sein Urteil.«

Amy sagte das mit einem so hübsch gelungenen, allerliebsten Rümpfen ihres feinen, zartbeflügelten Näschens, daß Rosa lachen mußte, dann aber schnell entgegnete:

»Oh, ein Arzt braucht nicht stets an seine Salben zu denken; Doktor Sternau ist …« – »Sternau?« wurde sie von der Freundin unterbrochen. »Sternau ist ja ein deutscher Name. Hast du mir nicht einmal erzählt, daß euer Arzt Cielli heißt? – »Allerdings; aber dieser Cielli ist verabschiedet worden. Denke dir, meine liebe Amy; mein Vater wird wieder sehend werden.«

Die Engländerin blickte schnell empor und sah einen Strahl aus dem Auge der Freundin leuchten, der mehr als Freude, der Begeisterung bedeutete.

»Wäre es möglich?« fragte sie. »Oh, welch ein Glück! Erzähle, erzähle mir schnell, Rosa!« – »Ja, ich erzähle es dir, aber nicht hier, sondern während der Fahrt im Wagen. Wir dürfen Vater nicht warten lassen, er freut sich sehr, dich begrüßen zu können.«

Rosa gab Alimpo den Befehl, anzuspannen, und nur wenige Minuten später verließen sie das Zimmer, um einzusteigen.

Draußen vor der Einfahrt standen die beiden Pferde des Husaren. Mariano war in die Gaststube getreten und hatte sich Wein geben lassen; aber er trank ihn nicht, er dachte gar nicht an das Trinken, denn er sah nur die beiden wunderbaren blauen Augen vor sich, die so voll offener Bewunderung auf ihn niedergeleuchtet hatten. Sie hatten ihn so verwirrt, daß er nicht einmal die herrschaftliche Equipage bemerkte, die draußen stand.

Jetzt hörte er Pferdegetrappel vor der Tür. Er erhob sich leicht und warf einen Blick durch das Fenster. Da sah er die Equipage, vor welche der Kutscher soeben die Pferde spannte. Es war ihm, als ob ein elektrischer Schlag seinen Körper durchbebe, und mit zwei raschen Schritten stand er unmittelbar am Fenster, um mit weitgeöffneten Augen den Wagenschlag anzustarren, an dem er die Gold in Weiß gemalte Grafenkrone und darunter die beiden Buchstaben R und S erblickte.

Er fuhr sich mit der Hand an die Schläfe, wo er den Puls laut hämmern fühlte. Da sah er ja das verkörperte Bild seiner Träume! Und diese Träume waren doch nicht Träume, sondern Wirklichkeit gewesen. Es wogte und wallte in ihm wie ein unendliches Entzücken; aber er faßte sich und winkte den Wirt herbei.

»Wem gehört dieser Wagen?« fragte er denselben. – »Das ist die Equipage des Grafen Emanuel de Rodriganda«, lautete die Antwort. – »Rodriganda?« erklang es langsam und leise. »Und was bedeutet das S?« – »Der Graf heißt Emanuel von Rodriganda-Sevilla. Die Dame, die soeben einsteigt, ist seine Tochter Condesa Rosa.« – »Ah! Und die andere?« – »Eine Fremde. Der Kastellan, Señor Juan Alimpo, hat mir gesagt, daß sie eine Freundin der Condesa sei, eine Engländerin, die nach Rodriganda zu Besuch kommt.«

Der Wirt trat zurück; Mariano blieb stehen. Er wußte nicht, worauf er seinen Blick richten sollte, auf das jetzt noch unverschleierte Gesicht der Engländerin oder auf das Wappen, dessen Züge ihm wie die Schriftzeichen eines Evangeliums entgegenglänzten. Jetzt hatten die Damen im Wagen Platz genommen; und eben war der Wirt hinausgeeilt, um sich zu empfehlen, da traf Amys Auge das Fenster, an dem der Husar stand. Eine tiefe Glut zog über ihre wunderbaren Züge. Die Pferde zogen an, und der Wagen rollte davon.

Mariano griff sich abermals an den Kopf. Wachte oder träumte er? Nein, er wachte, und nun wollte er auch nicht träumen und säumen. Er warf ein Geldstück auf den Usch und eilte hinaus.

»Vorwärts!« sagte er, sich auf den Rappen schwingend. – »Schon?« fragte der Diener, sich über die Eile wundernd.

Er bekam keine Antwort und mußte sich sputen, den Leutnant, der im Galopp die Gasse hinunterjagte, nicht aus den Augen zu verlieren.

Erst dann, als Mariano die Stadt weit hinter sich hatte und die Equipage in einiger Entfernung vor sich erblickte, zügelte er den Lauf seines Pferdes. Die Aufwallung seines Bluts legte sich, und er begann ruhiger nachzudenken. Konnte diese Begegnung nicht ein einfacher, ganz und gar bedeutungsloser Zufall sein? Konnte es nicht mehrere Familien geben, welche die Buchstaben R und S in ihrem Wappen trugen? Warum jagte er wie unsinnig hinter dem Wagen her? Rodriganda war doch sein Ziel, und er sah die beiden Damen jedenfalls wieder, auch wenn er sie jetzt hier aus den Augen verlor!

 

Er ritt also langsamer und sah die Equipage hinter einer Krümmung der Straße verschwinden. Im nächsten Augenblick aber horchte er erschrocken auf; es war ein Schuß gefallen und noch einer! Gerade hinter jener Krümmung kräuselten sich zwei Rauchwölkchen empor. Hatte man auf die Equipage geschossen?

Mariano gab dem Pferd die Sporen und sauste vorwärts. Kaum eine Minute nach den beiden Schüssen hatte er die Krümmung erreicht und sah nun, was geschehen war.

Der Wagen der Gräfin hielt mitten auf der Straße, und vor jenem lagen die beiden Pferde, die durch die Köpfe geschossen waren. Hinter dem Wagen kauerte der Kutscher, vor Angst an allen Gliedern zitternd, und von dem tapferen Kastellan Juan Alimpo war keine Spur zu sehen. Auf dem Tritt des Wagens aber stand ein mit einer Kapuze verhüllter Mann, der den beiden Damen ein Pistol entgegenstreckte, und neben ihm am Boden stand ein zweiter, der das Gewehr angelegt hielt.

Bei den lauten Hufschlägen seines Pferdes drehten sich die beiden Vermummten herum.

»Verdammt!« murmelte Henrico, der Mariano sofort erkannte. – »Was geht der uns an!« rief Juanito. »Herunter vom Pferd mit ihm.«

Darauf legte er seine Büchse auf Mariano an und drückte los. Der junge Mann war aber vorsichtig gewesen. Als der Schuß krachte, warf er seinen Leib zur Seite, und die Kugel flog an ihm vorüber. Im nächsten Augenblick riß er den Säbel aus der Scheide.

»Fahre dahin, Schurke!«

Zugleich als er diese Worte rief, hieb er den Räuber mitten über den Kopf, daß jener zusammenbrach. Der Hieb war so furchtbar, daß der Säbel zerbrach; daher zog Mariano das Pistol, sprang vom Pferd und hielt es dem anderen Räuber entgegen. Dieser, anstatt sich zu ergeben, erhob die eigene Waffe, da krachte Marianos Schuß, und Henrico stürzte zu Boden. Die Kugel war ihm in die Stirn gedrungen.

»So, diese haben ihren Lohn«, meinte der Jüngling, indem er mit einer tiefen Verbeugung sich zu den Damen wandte. »Sind Sie verletzt, meine Damen?«

Er stand wie ein junger Kriegsgott vor ihnen, das Pistol noch in der Hand. Amy schwieg, aber eine tiefe Röte zog über ihr Angesicht. Rosa hatte sich am schnellsten gefaßt und antwortete:

»Nein, wir sind glücklicherweise unbeschädigt, denn Sie kamen gerade zur rechten Zeit, um das Schlimmste zu verhüten. Nehmen Sie unseren innigsten Dank. Señor. Ich bin die Condesa Rodriganda, und diese Dame ist Amy Lindsay, meine Freundin.«

Mariano verneigte sich auf das höflichste und antwortete:

»Ich nenne mich Alfred de Lautreville, meine Damen. Darf ich so glücklich sein, Ihnen meine Dienste anzubieten?« – »Wir scheinen leider auf dieselben angewiesen zu sein«, lächelte Rosa, »denn meine Diener sind ja spurlos verschwunden.« – »Oh«, lachte er, »der eine steckt da hinter dem Wagen. Komme doch einmal her, Bursche!«

Der Kutscher stand vom Boden auf, wo er sich zusammengekauert hatte, und kam in höchster Verlegenheit herbeigehinkt.

»Warum versteckst du dich, anstatt den Herrschaften beizustehen?« fragte Mariano. – »Ach, Señor, ich lag ja hinter dem Wagen«, lautete die Antwort – »Ja, aber warum lagst du da? Ein so starker Kerl wie du muß es doch mit zehn solchen Strauchdieben aufnehmen!« – »Señor, das kann ich auch, aber ich dachte mir nur, sie würden mich ein wenig erschießen. Übrigens hat es Señor Juan, der Kastellan, ebenso gemacht.« – »Wo ist er?« – »Er steckt da drüben hinter dem Busch.«

Der Kutscher deutete nach einem Strauchwerk, hinter dem sich allerdings eben jetzt der wackere Kastellan langsam erhob. Er hatte mit dem Gesicht auf der Erde gelegen, um von dem ganzen Unglück gar nichts zu sehen. Als er jetzt vorsichtig herüberblickte und erkannte, daß die Gefahr vorbei sei, sprang er vollends auf, machte zwei Fäuste und kam herbei.

»Ach, Condesa«, rief er, »ich glaube gar, man will uns überfallen! Wo sind die Schufte? Ich werde sie zerquetschen und zermalmen!«

Mariano wollte antworten, doch blieb ihm das Wort bei dem Anblick Alimpos auf der Zunge stecken. Wo hatte er diesen Mann bereits gesehen? Dieser kleine Kerl, dieses furchtsame Gesichtchen, dieses eigentümliche Bärtchen!

Rosa antwortete an seiner Stelle:

»Zum Zermalmen kommst du zu spät. Du hättest vorher nicht fliehen dürfen.« – »Fliehen? Bin ich geflohen, meine gnädige Condesa?« fragte er verlegen. – »Natürlich! Und versteckt hast du dich!« – »Versteckt? Ja, allerdings, das mußte ich doch. Ich ließ mich nicht erschießen, sondern entfloh und versteckte mich, um Euch dann später beistehen zu können.« – »So hast du eine wunderbare Methode, uns zu retten«, lächelte sie. »übrigens kommt deine berühmte Hilfe nun leider zu spät. Da liegen die beiden Menschen. Wer sind sie?«

Der Diener Marianos war vom Pferd gestiegen und hatte sich darüber gemacht, die beiden Toten von ihren Kapuzen zu befreien. Das infolge des Säbelhiebs stark blutende Gesicht des einen Banditen war nicht zu erkennen; aber als er die Umhüllung des anderen entfernt hatte, rief der Kastellan:

»Heilige Lauretta, das ist ja unser Flüchtling! Erkennt Ihr ihn, Doña Rosita?« – »Wahrhaftig!« stimmte die Gräfin bei. »Oh, ihn hat die Strafe schnell ereilt!«

Es war gut, daß sie zu sehr mit dieser Entdeckung beschäftigt war und so keine Zeit fand, die beiden Husaren zu beobachten. Diese hatten sich über den Toten gebeugt, und der Diener flüsterte:

»Alle Teufel, das ist ja Henrico.« – »Pst! Laß dir ja nichts merken!« warnte Mariano. Dann richtete er sich wieder empor und fragte die Gräfin: »Sie kennen diesen Menschen, Doña?« – »Ja. Er gehörte zu einer Mörderbande, die einen Bewohner des Schlosses überfiel. Er wurde gefangengenommen. Vier wurden getötet, und nur einer entkam.«

Der Jüngling warf einen warnenden Blick auf seinen Diener und meinte nachlässig:

»So ist dieser hier vielleicht der Entkommene. Man muß die Sache sofort in Pons anzeigen, denn diese Stelle gehört noch zum Gebiet der Stadt.« – »Und wir? Was geschieht mit meinem Wagen und den armen Pferden?« – »Sie dürfen mit dieser unangenehmen Sache nicht länger belästigt werden. Ich bitte um die Erlaubnis, Sie nach Rodriganda führen zu dürfen.« – »O gern, Señor! Aber wir haben keine Pferde!« – »Nun, so spannen wir das meine und das meines Dieners vor und verlassen diesen Ort, während mein Diener und Ihre Leute hier zurückbleiben, um Anzeige zu machen und die Leichen zu bewachen, bis dieselben aufgehoben werden. Sie können ja dann in einem Mietwagen nachkommen.« – »Dieser Vorschlag wird der beste sein, Señor«, stimmte Rosa bei. »Schnell, ihr Leute, nehmt den toten Pferden das Geschirr ab! Mir graut es vor dieser Stätte.«

In kurzer Zeit waren die beiden Pferde vorgespannt, und der Leutnant schwang sich auf den Bock. Da trat der Kastellan an den Wagenschlag und bat:

»Meine gnädigste Condesa, wollt Ihr mir eine große Gnade erweisen?« – »Welche?« – »Sagt meiner Elvira, daß ich nicht erschossen worden bin, sondern daß wir gesiegt haben!« – »Ja, das werde ich tun, Alimpo«, versprach sie ihm.

Fast wäre dem Leutnant der Zügel aus den Händen gefallen. Elvira, Alimpo, das waren die Namen, die ihm stets im Gedächtnis geblieben waren. Sollte er sich wirklich so ganz unerwartet auf der richtigen Fährte befinden?

»Und die Anzeige werde ich sogleich erstatten«, meinte der Kastellan. »Einen solchen Raubanfall muß man der Obrigkeit melden.«

Bei den letzten Worten fiel es Mariano wie Schuppen von den Augen. Ja, dieser Alimpo war der Mann, der ihn so oft auf den Händen getragen und auf den Knien geschaukelt hatte! Aber er konnte diesen Gedanken jetzt nicht auf sich einwirken lassen, denn die Gräfin gab das Zeichen zur Weiterfahrt.

Der Kastellan blickte dem dahinrollenden Wagen so lange nach, wie er ihn sah, darauf wandte er sich an den Husaren:

»Nicht wahr, Ihr seid der Diener dieses Offiziers?« – »Ja.« – »Darf man erfahren, wie er heißt?« – »Er ist der Leutnant Alfred de Lautreville.« – »Also ein Franzose?« – »Ja! Unser Regiment steht in Paris.« – »Aber dennoch sprecht Ihr das Katalonische so gut, als ob Ihr hier geboren wäret. Was tut Ihr in Spanien?« – »Hm, das läßt sich nicht sagen«, antwortete der Diener in stolzem Ton. »Wir sind nämlich wegen einer diplomatischen Mission hier.« – »Ah!« rief Alimpo. »So ist Euer Leutnant also ein Diplomat!« – »Allerdings.« – »Donnerwetter, ein ganzer Kerl! So jung und schon ein Diplomat! Und dabei ein Offizier, vor dem man alle Hochachtung haben muß. Seht nur, wie er diesem Menschen den Kopf zugerichtet hat!« Zum Kutscher gewandt, fuhr er fort »Hast du dir diesen Señor Leutnant de Lautreville genau angesehen?« – »Ja.« – »Was hast du bemerkt?« – »Nichts!« – »Ach, du mußt doch etwas bemerkt haben! Wie lange dienst du unserem gnädigen Grafen?« – »Über dreißig Jahre.« – »So hast du ihn also auch in seinen jüngeren Jahren gekannt.« – »Das versteht sich!« – »Nun gut. Denke einmal an jene Zeit zurück und vergleiche unseren Grafen mit diesem Leutnant de Lautreville. Merkst du etwas?« – »Nein!« antwortete der Kutscher kopfschüttelnd. – »Du bist ein Esel! Verstanden?« – »Ja«, antwortete der Kutscher gleichmütig und machte dabei ein so selbstzufriedenes Gesicht, als ob ihm die größte Höflichkeit gesagt worden wäre.

Unterdessen rollte der Wagen gegen Rodriganda zu.

Rosa dachte über die Frage nach, wer die Räuber wohl zu dem Überfall gedungen haben möge. Amy hingegen hing mit ihrem Blick an dem jungen Mann, der vor ihr auf dem Bock saß. Wie blitzschnell war er Meister der beiden Räuber geworden! Wie hatten seine Augen dabei geleuchtet! Sie schloß die ihrigen, um sich dieses Bild recht deutlich zu vergegenwärtigen.

So verhielten sie sich wortlos, bis der Wagen durch das Dorf rollte und das Schloß erreichte. Vor dem hohen Portal desselben stand ein langer, dürrer Mann, der mit verwundertem Blick die Kommenden betrachtete.

»Wer ist dieser Mann?« fragte Amy. – »Es ist Señor Gasparino, unser Sachwalter«, antwortete Rosa.

Mariano hörte diesen Namen, Gasparino war ja der Mann genannt worden, auf dessen Befehl er umgewechselt worden war. Und hier oben, gerade über dem Portal des Schlosses, erblickte er ein großes, in Stein gehauenes Wappen mit der Grafenkrone und den Initialen R und S. Der große, reiche Bau des Schlosses machte einen unerklärlichen Eindruck auf ihn, es war ihm, als sei er hier an den Ort gelangt, wo alle seine Jugendträume ihre Wurzeln schlugen, und er sprang vom Bock mit der Empfindung herab, daß sein Leben hier eine vollständig neue Gestaltung finden müsse.