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Waldröschen I. Die Tochter des Granden

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38. Kapitel

Der Herzog schien schlecht geschlafen zu haben; er sah übernächtigt aus und war bei schlechter Laune.

»Kerl, wo steckst du denn?« fragte er. »Ich bin nicht gewohnt, so lange warten zu müssen.« – »Ich habe bis zu diesem Augenblick geschlafen«, gestand er gleichmütig. – »Geschlafen? Während ich seit Stunden auf dich warte!« – »Ich kam erst gegen Morgen nach Hause.« – »Schwärmer! Wann wirst du einmal aufhören, liederlich zu sein, und anfangen, ein ordentlicher Kerl zu werden!« – »Dann, wenn ich aufhöre, ein treuer, und anfange, ein gleichgültiger Diener zu sein.« – »Ah, du willst dich doch nicht etwa mit deiner Treue entschuldigen?« – »Nichts anderes.« – »Das klingt lustig, aber ich habe nur leider nicht die Laune, mit dir herumzuscherzen.« – »Ich spreche im Ernst, Exzellenz. Der Auftrag, den Sie mir erteilten, hat mich so lange wacherhalten.« —

»Lügner! Wo warst du so lange, Mensch?«

Cortejo kannte seinen Herrn und wußte, wie er sich zu verhalten habe. Darum nahm er eine ironisch-reumütige Miene an und sagte in der demütigsten Haltung, die ihm möglich war:

»Nun gut, so will ich zugeben, daß ich die ganze Nacht geschwärmt und sogar meine ganze Kasse vertrunken habe. Ich bitte um Verzeihung und verspreche, daß es nicht wieder geschehen soll.«

Dann trat er bis zur Tür zurück, als erwarte er, daß er nun gehen dürfe. Aber der Herzog brummte:

»Schlingel, so entkommst du mir nicht! Hast du über die junge Dame etwas erfahren oder nicht?« – »Ja. Ich kam ja aus diesem Grund so spät nach Hause. Ich habe trinken müssen wie ein Kellerloch und sogar meine Kasse gesprengt, um diese Kerle gesprächig zu machen.« – »Gauner!« lachte der Herzog. Ich bin der festen Überzeugung, daß du keinen halben Duro für die Kerle ausgegeben hast, von denen du sprichst. Wieviel Geld hattest du ungefähr bei dir?« – »Wenigstens sechzig Duros, die sie mir im Wein und Spiel abgenommen haben.« – »Betrüger! Ich weiß ja am besten, daß du ein fertiger Spieler bist, der sich niemals auch nur das kleinste Silberstück abnehmen läßt.« – »Das ging hier nicht. Bedenken Sie, Exzellenz, daß ich diese Leute bei Laune halten mußte.« – »Nun meinetwegen, du sollst die Summe haben. Wer waren denn die beiden Kerle?« – »Zwei Kontoristen des alten Salmonno.« – »Wie bist du an sie gekommen?« – »Ja, das war eben die Schwierigkeit! Sie hatten am Tag nicht frei und konnten also erst des Abends ausgehen. Da habe ich denn zuerst wie ein Nachtwächter vor den Türen warten müssen und folgte ihnen dann mehrere Stunden lang durch alle Straßen und Kneipen, bis es mir endlich gelang, einen Platz an ihrem Tisch zu finden. Wir begannen ein Spielchen, und das übrige können Exzellenz sich denken.« – »Hm, ich will einmal glauben, daß es so gewesen ist, obgleich es mich wundern sollte, wenn du so völlig auf dein eigenes Vergnügen Verzicht geleistet hättest. Also du hast etwas erfahren?« – »Natürlich!« – »Das will ich auch hoffen. Ich habe bei Gott diese ganze Nacht kein Auge zugetan; ich mußte immer an diese Gouvernante denken. Nun also, wer ist sie?« – »Es ist eine Señorita Wilhelmi.« – »Hat sie es bei diesem Filz, dem Salmonno, gut?« – »Ich glaube schwerlich.« – »Hm, wenn man sie aus dem Hause bringen könnte. Es ist das aber wohl zu schwierig.« – Ich glaube nicht« – »Ah! Hast du bereits darüber nachgedacht?« – »Ein wenig.« – »Nun?« – »Das Kind, das sie zu erziehen hatte, ist gestorben…« – »Alle Teufel, das wäre gut!« – »Ja. Der Bankier ist nicht derjenige, der eine Gouvernante bezahlt für die er keine Beschäftigung hat. Er wird ihr jedenfalls in nächster Zeit kündigen.« – »Schlaukopf! Du meinst, daß sie dann vielleicht in eine bedrängte Lage geraten wird, die sie gefügig macht?« – »Nein, darauf rechne ich nicht. Diese Deutschen sind da von einer Ehrenhaftigkeit die ganz und gar unglaublich ist; sie haben Fischblut in den Adern. Nein, ich dachte an etwas anderes!« – »Nun? Heraus damit!« – »Werden Sie mir verzeihen, wenn mein Plan etwas zudringlich erscheinen sollte?« – »Schweige nicht, sondern rede!« – »Nun, ich dachte daran, daß Eure Exzellenz ja selbst eine Tochter besitzen, für die es sehr…«

Der Herzog sprang wie elektrisiert vom Stuhl auf und unterbrach ihn:

»Donnerwetter, das ist ja wahr! Ich kann sie als Gouvernante engagieren. Der Plan ist gut, ist prachtvoll. Aber wie setzten wir ihn ins Werk?« – »Auffällig darf man nicht werden. Man könnte eine Annonce in das Blatt rücken…« – »Ob sie sich da melden würde?« – »Man muß nur sagen, daß man einer Deutschen den Vorzug geben würde.« – »Ja, das könnte gehen. Aber wenn sie diese Annonce gar nicht liest, gar nicht zu sehen bekommt?« – »So ist es immer noch Zeit, an ein anderes Mittel zu denken. Man muß es abwarten.« – »Gut, bleiben wir also bei der Annonce. Willst du sie abfassen?« – »Wie Sie befehlen.« – »Tue es, sei aber vorsichtig. Es muß jede Auffälligkeit vermieden werden. Damit sie mich aber nicht erkennt, werde ich es dir überlassen, das Engagement mit ihr zu besprechen und abzuschließen. Ist sie einmal eingetreten, so soll es ihr nicht leicht werden, gleich wieder fortzugehen. Also besorge die Annonce, und hier hast du eine Anweisung an den Kassierer. Du sollst nicht um deine sechzig Duros kommen.«

Der Herzog notierte eine Summe auf einen Zettel, den er Cortejo gab, und dieser entfernte sich. Er freute sich über die ganze Angelegenheit königlich, denn je mehr er zum Vertrauten der Schwächen seines Gebieters gemacht wurde, desto mehr Herrschaft gewann er über denselben. Er befand sich den ganzen Tag in einer sehr gehobenen Stimmung, die noch dadurch erhöht wurde, daß der Herzog anstatt sechzig Duros eine bedeutendere Summe notiert hatte.

Am Nachmittag trug er in eigener Person die Annonce fort und benutzte diesen Ausgang, um Clarissa mit zu besuchen. Sie empfing ihn schmollend.

»Du kamst ja nicht!« klagte sie. – »Ich konnte nicht, Herz.« – »Oh, für eine Viertelstunde hättest du gekonnt.« – »Nicht für eine Minute.« – »Ich habe alle diese Zeit auf dich gewartet und konnte also das Zimmer nicht verlassen. So bin ich um den ersten Tag des Karnevals gekommen. Aber ich hoffe, daß du heute mit mir ausgehen wirst.« – »Das wird leider auch nicht gehen.« – »Nicht?« fragte sie enttäuscht. »Ah, ich sehe nun, woran ich bin. Du liebst mich nicht mehr. Ich habe, um dir zu folgen, mein Asyl und meine Verwandten verlassen. Und nun ich auf diese Weise die Brücke hinter mir abgebrochen habe, willst du nichts mehr von mir wissen. Geh fort! Du hast mich getäuscht, du hast mich betrogen.«

Cortejo war in Beziehung auf dieses Mädchen ein psychologisches Rätsel. Er liebte sie wirklich, er gedachte, sie zu seinem Weib zu machen, aber sein Herz hatte doch noch Platz genug für andere, die ihn für den Augenblick fesselten. Er war gewissenlos genug, ein Mädchen zu betrügen, das ihm alles geopfert hatte, besaß aber doch so viel Zuneigung zu ihr, sie nicht ganz fallenzulassen.

Er trat jetzt zu ihr an das Fenster, wohin sie sich schmollend zurückgezogen hatte, und sagte:

»Sei nicht unverständig, Clarissa.« – »Bin ich unverständig, wenn es mich betrübt, daß du gegen mich mit deiner Liebe geizt?« – »Du irrst! Ich geize nicht, aber ich habe noch anderes zu tun als nur an die Tändeleien zu denken. Du kennst die Aufgabe, die wir uns gestellt haben: reich zu werden, um dich in anständiger Weise deinen Verwandten zurückzubringen, die gar nicht wissen, wo du bist. Dieses Ziel verfolge ich, und gestern habe ich einen großen Schritt dahin zurückgelegt, heute und morgen werde ich den zweiten und dritten tun, und wenn ich mich nicht ganz und gar irre, so wird keine sehr lange Zeit vergehen, bis wir da anlangen, wohin wir wollen. Also ist es unverständig von dir, zu schmollen.« – »Darf man denn etwas über diese berühmten Schritte erfahren?« – »Ja, ich will aufrichtig sein mit dir, vorausgesetzt, daß du das, was ich tue, nicht falsch deutest.« – »Du kennst mich, als prüde wirst du mich nicht bezeichnen wollen.« – »Nein. Also höre. Du weißt, daß der Herzog von Olsunna einer der mächtigsten des Reiches ist?« – »Sein Vater war sogar der mächtigste, er regierte die Königin.« – »Und siehst also ein, daß mir sein Wohlwollen, seine Protektion von außerordentlichem Nutzen sein kann?« – »Das ist sehr leicht einzusehen.« – »Daher gebe ich mir alle Mühe, sein Vertrauen zu erwerben.« – »Und du bist ein schlauer Bursche. Es ist dir bereits gelungen.« – »Oh, besser und mehr, als du denkst. Das Geheimnis eines Menschen, einen anderen zu beherrschen, besteht darin, daß man seine Fehler und Schwächen ergründet, ihnen schmeichelt, ihn darin bestärkt und sich zum Werkzeug für die Befriedigung dieser Schwächen macht. Nun hat sich bisher alles, was er mit meinem Wissen unternommen hat, auf dem Gebiet des gesetzlich Erlaubten bewegt, will ich ihn aber in meine Gewalt bekommen, so muß er etwas tun, was unerlaubt, was ein Vergehen oder ein Verbrechen ist, erst dann habe ich ihn vollständig fest.« – »Gasparino, ich glaube, du bist ein Teufel!« lächelte sie, stolz auf den Geliebten. – »Pah, wir sind alle mehr oder weniger Teufel. Es handelt sich nur darum, unsere Teufeleien so zu begehen, daß sie uns Nutzen bringen. Ich glaube, du bist derselben Ansicht. Oder nicht?« – »Ganz und gar. Aber glaubst du, den Herzog zu einer solchen Tat bringen zu können?« – »Ja, ich bin heute überzeugt davon, er befindet sich bereits auf dem besten Weg.« – »Du machst mich neugierig. Erzähle!«

Cortejo erzählte Clarissa nunmehr das gestrige Vorkommnis mit der Gouvernante und schloß daran die Worte:

»Wie ich diese Deutsche beurteile, so wird sie seine Neigung nicht erwidern, er wird um sie kämpfen müssen, er wird zu Mitteln greifen, die unerlaubt sind. Und hat er einmal diese Bahn betreten, so ist er mir ohne Widerrede verfallen, ich werde ihn meistern.« – »Du bist wirklich ein ganz gefährlicher und gewissenloser Intrigant, und ich beginne, stolz auf dich zu werden. Aber was hat die Liebschaft des Herzogs damit zu tun, daß du heute nicht mit mir spazierengehen kannst?« – »Ich habe die Bekanntschaft mit Salmonnos Leuten fortzusetzen, um alles zu erfahren, was im Haus vorgeht. Wir haben uns für heute bestellt, und ich muß also mein Wort halten.« – »Hm, das sehe ich ein, aber unangenehm ist es doch, so einsam zu sein.« – »Es wird ja wohl bald die Zeit kommen, wo du dafür entschädigt wirst.«

 

Cortejo bemühte sich, Clarissas Unmut zu zerstreuen, und kehrte dann nach seiner Wohnung im Palais des Herzogs zurück, denn die Zeit der Dämmerung war nahe herangerückt, und als es dunkel geworden war, sorgte er dafür, daß die Dienerschaft von dem Flügel, den er bewohnte, für einige Zeit ferngehalten wurde, und begab sich in den Garten.

Hier lauerte er hinter dem betreffenden Pförtchen, bis ein leises Klopfen erscholl. Nun öffnete er, ließ die Zigeunerin eintreten und schloß dann wieder zu, um die Ahnungslose, deren Glück noch heute verlorengehen sollte, mit inniger Umarmung zu begrüßen. Als das Pförtchen sich wieder öffnete und die Betrogene dem Lager zuschlich, wo ihre in Lumpen gehüllten, ahnungslosen Verwandten um das Feuer hockten, war die Morgendämmerung bereits nahe.

39. Kapitel

Am nächsten Morgen konnte man in den drei Blättern der Stadt Saragossa »El Diario de Zaragoza«, »El Imparcial« und »Saldubense« folgende Annonce lesen:

 
»Gesucht wird zum sofortigen
Antritt bei hohem
Gehalt und dauernder
Stellung in einem feinen, hochadligen
Haus eine Gouvernante
von womöglich deutscher Abstammung.
Adressen nimmt die Expedition dieses
Blattes entgegen.«
 

Fräulein Wilhelmi erhielt die Zeitungen gewöhnlich erst gegen Mittag, wenn sie im Kontor nicht mehr gebraucht wurden. So war es auch heute.

Sie fand diese Annonce und richtete sofort ihre ganz Aufmerksamkeit auf dieselbe. Sie versuchte, sich ihre Lage zurechtzulegen, sie dachte daran, daß sie bei Salmonno nicht bleiben könne, und sah es schließlich als eine Fügung Gottes an, daß er ihr dieses Blatt mit der Annonce in die Hände gebracht habe. Bereits nach einer Stunde ging sie aus, um ihre Adresse versiegelt in der Expedition des »Diario de Zaragoza« niederzulegen.

Sie sprach über diesen Schritt mit keinem Menschen ein Wort und wartete mit großer Spannung auf den Erfolg desselben. Sie sollte ihn bereits am nächsten Tag bemerken. Es klopfte nämlich höflich an ihre Tür, und schon glaubte sie, daß es Sternau sei, als auf ihren Ruf nicht dieser, sondern ein reich galonnierter Diener hereintrat.

»Verzeihung!« sagte er mit einer tiefen Verbeugung. »Sie sind Señorita Wilhelmi?« – »Ja.« – »Ich diene im Palais Seiner Exzellenz des Herzogs von Olsunna und soll Sie fragen, zu welcher Zeit man Sie heute dort empfangen könnte.«

Sie errötete vor freudigem Schreck, fragte aber doch:

»In welcher Angelegenheit erwartet man mich dort?« – »Ich kann dies nicht sagen, Señorita, aber der Herr Haushofmeister deutete an, daß es sich um die Erledigung einer Annonce handelt« – »Und Sie erwarten von mir die Angabe, wann ich mich vorstellen kann?« – »Allerdings.« – »Würde die Zeit um drei Uhr gut gewählt sein?« – »Ich bin überzeugt davon.« – »So bitte ich, mich Serenissimus zu empfehlen. Ich werde zu der angegebenen Zeit pünktlich erscheinen. Wo liegt das Palais?« – »Es ist Strada Domenica, Nummer zehn. Leben Sie wohl!«

Als der höfliche Mann verschwunden war, blieb die Gouvernante in einem Zustand zurück, der mit einem glücklichen Traum verglichen werden konnte. In das Haus eines Herzogs sollte sie eintreten! Und wie höflich war dieser Herzog gegen sie! Sie selbst hatte die Stunde zu bestimmen gehabt! Wie würde sich Salmonno ärgern! Was würde Sternau sagen! Welche Freude würden die Ihrigen empfinden, wenn sie in der Heimat diese Freudenbotschaft erhielten!

Sie konnte die angegebene Zeit kaum erwarten, und es hatte noch lange nicht drei Uhr geschlagen, als sie sich auf den Weg begab. Sie mußte einen Umweg einschlagen, um nicht zu früh zu kommen, aber als sie dann das große, prächtige Gebäude vor sich stehen sah, da kam sie sich so arm und klein und unwürdig vor, da hielt sie es für ganz unmöglich, Mitbewohnerin desselben werden zu können, da fragte sie sich, ob es denn nicht besser gewesen wäre, den braven Sternau erst um seinen wohlgemeinten Rat zu bitten.

Doch jetzt war es zu spät. Sie ahnte nicht, daß droben von einem der großen Fenster aus die Augen des Herzogs auf ihr ruhten. Sie trat ein.

Der Portier wies sie schweigend eine breite Marmortreppe hinauf, deren Seiten mit hohen Alabastervasen geschmückt waren, in denen herrliche exotische Gewächse leuchteten. Oben nahm sie derselbe Diener in Empfang, der heute bei ihr gewesen war, und führte sie in einen Salon, in dem die Werke großer Meister an den Wänden hingen und dessen Ausstattung den feinsten künstlerischen Geschmack verriet. Sie nahm Platz und wartete. Da öffnete sich die Portiere, und Cortejo trat ein.

Sie erhob sich und wechselte mit ihm eine tiefe, schweigsame Verbeugung. Er winkte ihr vornehm mit der Hand, wieder Platz zu nehmen, und setzte sich ihr gegenüber in einen Fauteuil.

»Sie wurden mir als Fräulein Wilhelmi gemeldet?« fragte er mit dem angenehmsten Ton seiner Stimme.

Sie verbeugte sich bejahend.

»Sie sind dieselbe Dame, die die Güte hatte, infolge unserer Annonce ihre Adresse anzugeben?«

Sie antwortete abermals durch bejahende Verbeugung.

»Sie werden mit Recht erwarten, von einem Glied der herzoglichen Familie empfangen zu werden, da es sich doch eigentlich um eine Familienangelegenheit von großer Wichtigkeit handelt«, fuhr Cortejo in verbindlicher Weise fort, »aber leider lebt Ihro Alteza, die Frau Herzogin, nicht mehr, und Serenissimus sind verreist. Darum wollen Sie es entschuldigen, daß ich, der ich nur der Haushofmeister bin, Ihren Empfang übernommen habe. Exzellenz jedoch haben mich ermächtigt mit Ihnen zu verhandeln, respektive auch endgültig abzuschließen. Sind Sie bereit meine Bitte um Beantwortung einiger Fragen zu erfüllen?« – »Ich stehe gern zu Diensten, Señor.«

Die Art und Weise, wie Cortejo sich gab, flößte ihr vollständiges Vertrauen ein.

»So sehe ich mich zunächst veranlaßt, eine sehr notwendige Bemerkung zu machen«, fuhr er fort. »Ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß ein Herzog, um eine Erzieherin seiner Tochter zu bekommen, denselben vulgären Weg betritt, den selbst die zu den unteren Schichten Gehörigen nur dann betreten, wenn sie sich ohne bessere Chancen sehen?«

Sie lächelte ein wenig und antwortete: »Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß mich dieser Umstand im ersten Augenblick einigermaßen befremdete. Dann aber sagte ich mir, daß ja wohl eine leicht erklärliche Ursache vorliegen könne, die selbst einen so hohen Herrn veranlaßt, den Weg der Annonce zu betreten.«

»Sie haben recht gehabt. Die Sache ist nämlich die, daß die bisherige Erzieherin wegen eines plötzlichen Todesfalls um ihre sofortige Entlassung bat. Um sie auf dem gewöhnlich von uns eingeschlagenen Weg zu ersetzen, hätte es die Zeit von einigen Monaten bedurft; da wir die liebe, kleine Prinzessin doch nicht so lange ohne mütterliche Beaufsichtigung lassen konnten, schlug ich vor, eine Annonce drucken zu lassen. Es haben sich mehrere Damen gemeldet, da wir jedoch eine Erzieherin deutscher Abkunft vorziehen, so sollte es mich freuen, wenn unsere Ansprüche sich gegenseitig ergänzen, Señorita!«

Cortejo sagte hier eine Lüge. Die bisherige Gouvernante war nicht wegen eines Todesfalls entlassen worden, sondern sie hatte wegen Fräulein Wilhelmi einen einstweiligen Urlaub auf unbestimmte Zeit erhalten und sollte später wieder eintreten. Ihr Gehalt ging fort.

»Ich hoffe nicht, daß meine Ansprüche Ihnen zu hoch erscheinen werden«, erwiderte Fräulein Wilhelmi. – »Ich bin überzeugt davon. Sie waren jetzt in einem hiesigen Engagement?« – »Ja, beim Bankier Salmonno.«

Der Haushofmeister gab sich Mühe, ein geringschätziges Lächeln zu unterdrücken, und sagte:

»Ich glaube kaum, daß sich eine Dame von Geist und Befähigung in der Familie eines solchen Mannes wohlbefinden kann.« – »Ich ziehe es in solchen Fällen vor, die Veranlassung zu Klagen zu übersehen.« – »Das ehrt Sie, Señorita! Wie lange waren Sie bei diesem Mann?« – »Ungefähr ein Jahr.« – »Und vorher?« – »Ich kam aus Deutschland hierher, meine Referenzen von dort stehen Ihnen augenblicklich zu Gebote, von Salmonno jedoch habe ich mir noch kein Zeugnis erbeten, da ich es vorzog, ihm von dem gegenwärtigen Schritt noch nichts mitzuteilen.«

Cortejo machte eine abwehrende Handbewegung und entgegnete freundlich:

»Bitte, Señorita, lassen Sie! Ich gehöre nicht zu den Pedanten, welche die Menschen nach ihren Zeugnissen beurteilen, ich habe reichliche Erfahrungen gemacht, wie wertlos oder wenigstens unsicher dieselben sind. Ich frage nicht nach Ihren Legitimationen, ich frage Sie selbst und werde dann genau wissen, welches Urteil ich mir über Sie zu bilden habe. In welcher Stadt Deutschlands sind Sie geboren?« – »In Köln.« – »Ihre Eltern waren?« – »Mein Vater war Lehrer. Er ist tot, und meine arme Mutter lebt von einer kärglichen Pension von fünfzig Talern.« – »Die Sie durch Ihr Gehalt zu vergrößern suchen?«

Sie errötete.

»Die Gehälter, die ich bisher bezog«, sagte sie, »waren leider nicht so hoch, daß es mir möglich gewesen wäre, hinreichende Ersparnisse zu machen.« – »Sie sprechen das Spanische ziemlich fehlerlos. Welcher Sprachen sind Sie sonst noch mächtig?« – »Des Englischen und Französischen. Auch Latein habe ich so viel getrieben, daß ich wenigstens einen Anfänger nebenbei mit unterstützen kann.« – »Und wie steht es mit der Musik?« – »Ich spiele Piano und singe sehr gern.« – »Ich habe nicht die Absicht, Sie zu examinieren, Señorita, werde Sie also nach den Wissenschaften gar nicht fragen…« – »Oh, bitte«, unterbrach sie ihn. »Ich trage mein Abgangszeugnis bei mir. Wenn Sie die Güte haben wollten, wenigstens in dieses einen Blick zu werden.« – »Ich bin des Deutschen nicht mächtig.« – »Es ist französisch und englisch abgefaßt.« – »So zeigen Sie her, wenn es Ihnen Beruhigung gewährt.«

Sie reichte ihm das Dokument hin. Er wollte es nur mit einem flüchtigen Blick überlaufen, nahm aber doch genauere Einsicht, da ihm die hohen Ziffern auffielen, die er erblickte. Dieses Mädchen hatte wahrhaftig in jedem Fach die Eins erhalten.

»Ah, das ist wirklich erstaunlich!« sagte er. »Solche Zeugnisse sind selten, Señorita, ich werde keine weitere Frage an Sie richten, sondern ich bitte Sie, mir einmal zu folgen, um sich die Räume zu besichtigen, die der Erzieherin zur Verfügung stehen.«

Sie erhoben sich beide.

Er gab ihr die Zeugnisse zurück und führte sie zunächst nach dem Kinderzimmer, wo sich die kleine Prinzeß unter der Aufsicht einer Bonne befand. Diese letztere warf einen gehässigen Blick auf die Deutsche, die einen freundlichen Gruß ausgesprochen hatte.

»Das ist Prinzeß Flora«, sagte Cortejo. »Prinzeß, begrüßen Sie diese Dame, die gekommen ist, Ihnen viel Gutes zu zeigen und zu lehren.«

Die Tochter des Herzogs war ein allerliebstes Kind, dem man sofort gut sein mußte.

»Sie sind wohl eine Gouvernante?« fragte sie, in Anbetracht ihrer drei Jahre mit einer überraschenden Verständigkeit.« – »Ja, meine liebe Doña Flora«, antwortete die Deutsche. – »Ich liebe die Gouvernanten nicht!« – »Schweigen Sie, Prinzeß!« gebot die Bonne in drohendem Ton. – »Und die Bonnen liebe ich auch nicht«, fügte die Kleine herzhaft hinzu. – »Warum?« fragte die Deutsche. – »Weil sie mich auch nicht lieben.«

Da kauerte sich die Gouvernante nieder, erfaßte die Händchen des Kindes und fragte:

»Würden Sie auch mich nicht lieben, Doña Florita?« – »Sie?« sagte das Kind nachdenklich. »Oh, Sie würde ich vielleicht gernhaben! Weil Sie mich so gut ansehen, weil Ihre Augen so freundlich sind, und weil Sie gleich Florita, anstatt Flora sagen, was die anderen gar nicht tun.« – »Ich möchte gern bei Ihnen bleiben, Florita«, sagte sie herzlich, das Kind näher an sich ziehend, »denn ich habe Sie lieb und wünsche, Sie immer recht gut und fröhlich zu sehen.«

Da schlang die Kleine die Ärmchen um den Hals der Gouvernante und fragte:

»Würden wir auch manchmal miteinander lachen?« – »Oh, sehr viele Male! Ich lache gern.« – »Ich auch, aber ich darf immer nicht. Ja, bitte, bleiben Sie da bei Ihrer kleinen Florita! Ich werde Papa sagen, daß ich Sie haben will.«

Die Bonne stand dabei mit einem höchst grimmigen Gesicht. Sie ärgerte sich darüber, daß diese Fremde die Liebe des Kindes im Flug gewann, wagte aber nicht, eine gehässige Bemerkung zu machen.

Jetzt führte Cortejo die Gouvernante durch die weiteren Räume und endlich auch in die für sie bestimmte Wohnung, die aus drei Zimmern bestand. Die Gouvernante musterte die Einrichtung mit Erstaunen; es hätte eine Herzogin hier wohnen können. Sie fühlte sich von der hier überall hervortretenden Üppigkeit sehr unangenehm berührt, gab aber diesem Gefühl keinen Ausdruck.

 

»Nun sind wir mit unserem Rundgang zu Ende, Señorita«, sagte der Haushofmeister, »und wollen, wenn Sie erlauben, unsere Entscheidung treffen.« – »Ich stehe Ihnen zur Verfügung.«

Sie setzten sich beide nieder.

Die Deutsche ahnte nicht, daß das Gemach nur durch eine Tapetenwand von der Wohnung des Herzogs getrennt war und daß dieser hinter der Wand stand, um sie durch ein in der Tapetenzeichnung gut verborgenes Loch zu beobachten.

»Ich will Ihnen offen gestehen«, begann Cortejo, »daß ich Ihnen mein volles Vertrauen schenke. Besonders hat mich die Art und Weise, wie Sie sich sofort zur Prinzeß Flora stellten, angenehm berührt.« – »Die Prinzeß ist zu kalt und gemütlos behandelt worden. So ein Kind will mit dem Herzen genommen werden«, schaltete die Gouvernante ein. – »Sie werden das besser verstehen als Ihre Vorgängerinnen. Ich bin bereit, Sie zu engagieren, Señorita. Darf ich auch Ihre Meinung vernehmen?«

Sie errötete vor Freude und antwortete:

»Auch ich sage › ja‹ und bitte Gott, daß er mir Kräfte gebe, diesem guten Kind die Mutter möglichst zu ersetzen.«

Bei diesen Worten trat ihr eine Träne in das Auge. Auch Cortejo tat, als ob er sich gerührt fühle, und fragte:

»Welche pekuniären Ansprüche machen Sie?« – »Ich bitte, mir dasselbe zu gewähren, was meine Vorgängerinnen hatten.« – »Sie erhielten vierhundert Duros. Ich werde für Sie jedoch fünfhundert notieren, Señorita.«

Da schlug sie in ihrem Glück die Hände zusammen.

»Mein Gott, so viel? Oh, nun kann ich auch meine Mutter und Geschwister besser bedenken!«

Cortejo nickte ihr anerkennend zu. Er sah, daß sich das vordere Glied eines Fingers durch das Loch in der Tapete steckte. Er verstand dieses Zeichen und erklärte:

»Ich freue mich über die Anwendung, die Sie von Ihrem Gehalt zu machen gedenken. Ich begreife, daß die Veränderung, die Ihre Verhältnisse heute erleiden, Sie zu mancher unvorhergesehenen Ausgabe veranlassen wird, und bitte Sie daher um die Erlaubnis, aus der Privatschatulle des Herzogs eine Extraremuneration von zweihundert Duros anzunehmen. Ein Vierteljahresgehalt wird Ihnen außerdem pränumerando ausgehändigt werden.«

Sie fuhr empor und stand sprachlos vor Erstaunen da.

»Oh, mein Gott, ist das möglich?« rief sie endlich. »Das ist eine Seligkeit, wie ich sie noch nie empfunden habe. Señor, Sie wissen wohl nicht, was es heißt, arm zu sein; Sie machen nicht bloß mich, Sie machen auch die Meinen glücklich durch diese unverdiente Gnade. Ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen!« – »Nicht mir danken Sie; tun Sie das morgen, wenn Sie dem Herzog vorgestellt werden. Wann werden Sie antreten können?« – »Sobald Sie es wünschen, Señor.« – »Also morgen. Ich werde früh Ihre Effekten abholen lassen.« – »Und noch eine Frage«, sagte sie. »Welcher Art ist hier meine Stellung zur Dienerschaft?« – »Serenissimus sind Witwer, und danach richtet sich alles andere. Der Herzog speist stets auf seinem Zimmer, und wir anderen, auch Sie mit inbegriffen, tun dasselbe. Sie sind Erzieherin, aber nicht Dienerin, die Domestiken haben Ihnen zu gehorchen.« – »Ich danke Ihnen.« – »Haben Sie sonst noch eine Frage?« – »Für jetzt nicht. Sollte ich mich später in einer Ungewißheit befinden, so bitte ich Sie um die Erlaubnis, mich an Sie wenden zu dürfen.« – »Ich stehe Ihnen stets und gern zur Verfügung.«

Sie ging, und Cortejo führte sie bis zum Portal des Palais, wo er sie mit einer höflichen Verbeugung entließ. Sie schwebte mehr, als sie ging, nach Hause. Sie hatte einen Punkt, einen Halt im Leben gewonnen, wie sie vorher nicht einmal geträumt hatte.

Als sie im Haus des Bankiers nach ihrem Zimmer schritt, traf sie auf Sternau, der zufällig aus seiner Wohnung kam. Er blieb überrascht über den glücklichen Ausdruck ihres Angesichts stehen.

»Bitte, kommen Sie einmal!« bat sie.

Er folgte ihr, verwundert über diese Einladung.

In ihrem Zimmer angekommen, warf sie die Mantille, welche sie nach spanischer Sitte trug, auf einen Stuhl, atmete tief auf und fragte ihn:

»Raten Sie einmal, woher ich komme!« – »Geradewegs vom Himmel herab!« antwortete er. – »Weshalb sagen Sie das?« – »Weil Sie so verklärt aussehen.« – »Ja, ich bin glücklich, unendlich glücklich! Ich habe eine Stellung.« – »Ah!« – »Raten Sie, wo!« – »Wo? Das ist nicht zu erraten. Vielleicht ist es diejenige, die gestern im Blatt stand.« – »Ja, sie ist‘s!« – »Hm«, machte er mit zweifelhaftem Gesichtsausdruck. – »Warum dieses Gesicht und diese Interjektion?« – »Weil ich mir nicht denken kann, daß eine Stellung, die in allen drei Blättern dieser Stadt ausgeboten ist, eine so exzellente ist, daß man sich wie im Himmel fühlen muß.« – »Und doch ist‘s so. Oh, wenn Sie wüßten!« – »Vielleicht erfahre ich es«, sagte er, lächelnd über so viel Begeisterung. – »Welch ein Gehalt!« – »Wieviel?« fragte er. – »Fünfhundert Duros.« – »Das ist allerdings bedeutend, ja, das ist sogar Bedenken erregend.« – »Und zweihundert Duros Extraremuneration.« – »Der Tausend! Ist‘s wahr?« – »Natürlich!« jubelte sie.

Sternau hätte sie am liebsten umarmen mögen, so schön stand sie in ihrem Glück vor ihm, aber er zwang sich, kaltzubleiben; er wollte für sie denken und vorsichtig sein. – »Das ist ja überraschend; das ist ganz außerordentlich. Bei wem ist die Stelle?« – »Bei einem Herzog!« – »Ah. Das ist etwas anderes. Das wäre allerdings ein ungeahntes Glück für Sie. Welcher Herzog ist es, Fräulein Wilhelmi?« – »Der Herzog von Olsunna.« – »Der sein Palais hier in der Stadt hat?« – »Ja.«

Der Erzieher hatte auf einmal seine Miene vollständig geändert.

»Waren Sie dort?« fragte er. – »Ja.« – »Haben Sie den Herzog selbst gesprochen?« – »Nein.« – »Wen sonst?« – »Seinen Haushofmeister.« – »Hm!« – »Was haben Sie? Warum sind Sie auf einmal so ernst?« – »Fräulein Wilhelmi, es gibt Dinge, über die man am liebsten schweigt, die man aber doch zur Sprache bringen muß, wenn die Lage dazu zwingt.« – »Was haben Sie? Wozu diese ernste Einleitung?« – »Glauben Sie, daß ich es gut mit Ihnen meine?« – »Ich bin davon überzeugt.« – »Nun wohl, so werde ich aufrichtig mit Ihnen sprechen. Haben Sie den Herzog einmal gesehen?« – »Nein.« – »Ich aber sah ihn einige Male. Er ist von langer, starker, kraftstrotzender Gestalt.« – »Nun?« fragte sie. »Warum sagen Sie mir das? Ich werde das alles ja selbst sehen.«

Der Deutsche fuhr unbeirrt fort:

»Auch der Perser, den ich damals beim Karneval unter Ihrem Balkon von dem meinigen aus zufällig beobachtete und dem Sie eine so große Aufmerksamkeit widmeten, war hoch und stark gebaut. Er hatte die Larve bis zum Mund emporgeschoben, und so bemerkte ich, daß er einen starken, blonden Vollbart trug.«

Die Gouvernante errötete und erschrak jetzt wirklich.

»Und Sie denken…?« stotterte sie. – »Daß der Herzog von Olsunna, der Sie als Erzieherin engagieren will, eben jener Perser ist. Ich überlasse es Ihnen, darüber nachzudenken. Am ersten Tag lernt man eine Dame kennen; am zweiten überlegt man es sich, wie sie zu gewinnen ist und trägt die Annonce in die Zeitungsexpedition, am dritten wird sie von ihr gelesen und beantwortet; am vierten wird sie unter Bedingungen engagiert, die so glänzend sind, daß sie Verdacht erregen müssen, und am fünften tritt die Dame ihre Stellung an. Sie treten morgen an?« – »Ja.« – »Nun, da haben Sie den rapiden Verlauf des Abenteuers vor Augen. Ich habe nicht das Recht, Ihnen eine Rat zu erteilen, aber ich habe die Pflicht zu warnen, und das tue ich hiermit.« – »Der Herzog ist ja gar nicht da. Er ist verreist Ich kann unmöglich glauben, daß eine fürstliche Persönlichkeit…«