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Waldröschen I. Die Tochter des Granden

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Sie ritten durch das Dorf. In der Venta erblickte man noch ein Licht. Sternau drängte sein Pferd an das kleine Fenster, durch welches es schimmerte, und klopfte. Nach einiger Zeit wurde es sehr vorsichtig geöffnet und ein mit einer großen Nachtmütze bedeckter Kopf ließ sich bei dem Schein der Lampe erkennen.

»Was gibt es?« fragte der Mann, der der Wirt war.

Der Arzt neigte sein Gesicht vom Pferd bis zum Fenster nieder und antwortete:

»Blickt einmal her! Kennt Ihr mich?« – »O Gott, Señor Sternau!« rief da der Besitzer der Venta. »Ist dies möglich?« – »Ja, ich bin es. Wollt Dir mir einen Gefallen tun?« – »Gern! Welchen?« – »Geht einmal zum Alkalden und sagt ihm, er solle sofort mit den Dorfältesten nach dem Schloß kommen.« – »Was sollen sie dort?« – »Das werden sie erfahren.«

Dann eilten sie weiter, und der Wirt sah ihnen kopfschüttelnd nach.

»Der Señor Doktor«, brummte er. »Woher kommt er? Was hatte er auf dem Pferd? Das sah aus, gerade wie eine menschliche Gestalt! Und der andere war ein Mönch. Fast möchte ich behaupten, daß es ganz derselbe sei, der damals in meiner Venta einkehrte.«

Als die beiden Reiter das Schloß erreichten, stiegen sie vom Pferd. Man sah kein einziges Fenster erleuchtet, und nur aus der Portiersloge schimmerte ein matter Lichtschein. Sternau klopfte, und gleich darauf trat der Portier an das Gitter.

»Wer ist draußen?« fragte er. »Es wird zur Nachtzeit nicht geöffnet.« – »Und dennoch wirst du öffnen, Henrico!« sagte Sternau. »Ich hoffe, daß du mich noch kennst?«

Der Portier war beim Klang dieser Stimme freudig-erstaunt zurückgefahren.

»Señor Sternau! Mein Gott! Ja, ja, ich öffne sogleich!«

Er beeilte sich, das Gitter aufzuschließen, und Sternau trat, die Wahnsinnige auf dem Arm, ein. Als der Portier es sah und sie erkannte, hätte er fast das Licht fallen lassen.

»Heilige Madonna!« rief er. »Das ist ja die Condesa!« – »Allerdings. Weißt du nicht, ob sich ihre Zimmer noch in der alten Ordnung befinden?« – »Es ist gar nichts daran geändert worden. Ich habe die Schlüssel hier, denn es ist noch kein Kastellan wieder angestellt worden.« – »So nimm die Schlüssel und leuchte uns voran.« – »Soll ich nicht den Grafen wecken?« – »Wecken werden wir erst später. Komm!« – »Oder doch die Dienerin der Condesa?« – »Ist diese noch da?« – »Ja. Sie hat die Schwester Clarissa zu bedienen, wenn diese zu Besuch nach Rodriganda kommt.« – »So wecke sie. Aber das soll alles still geschehen.«

Es war dem Arzt jetzt vor allen Dingen darum zu tun, den Eindruck zu beobachten, den die bekannte Wohnung auf die Kranke machen werde. Die Zimmer wurden aufgeschlossen, Sternau trug Rosa hinein und ließ sie auf den Diwan nieder. Sofort glitt Rosa zu Boden, um mit gefalteten Händen zu beten. Sie bemerkte es gar nicht, daß sie den kalten Friedhof mit ihrer früheren Wohnung vertauscht hatte. Sternau ließ sich nicht merken, was er fühlte. Übrigens trat jetzt das Mädchen herein. Dieses war ganz außer sich vor Freude, ihre Herrin zu sehen, und Sternau befahl ihr, die Gräfin zu einer weiten Reise an- und umzukleiden. Sodann gab er dem Portier die Ordre, sämtliche Diener im Speisesaal zu versammeln. Er selbst aber schritt nach der Wohnung des Grafen Alfonzo. Im Vorzimmer schlief ein Diener, der sich sehr erstaunt aufrichtete, als er Sternau erkannte. Der Doktor wies ihn hinaus und trat bei Alfonzo ein.

Dieser lag im Bett und schlief. Eine Ampel erleuchtete das Gemach zur Genüge. Ohne nur einen Augenblick zu zaudern, erhob Sternau die Faust und schlug sie dem Schläfer vor die Stirn.

»So«, meinte er lächelnd, »tot ist er nicht, aber besinnungslos. Ich werde ihn nun fesseln.«

Er fand einige Tücher, die als Fesseln und Knebel verwendet wurden, dann verließ er das Zimmer, schloß es hinter sich zu und steckte den Schlüssel ein. Sein Weg führte ihn zu der Wohnung des Advokaten. Diese war verschlossen. Er klopfte.

»Wer ist da?« fragte nach einer Weile Cortejo von innen. – »Ich. Öffne mir!« antwortete Sternau indem er die Stimme Alfonzos nachahmte. – »Donnerwetter! Was gibt es denn? Hat es keine Zeit?« fragte der Advokat gähnend. – »Nein.« – »So komm! Aber neugierig bin ich.«

Man hörte, daß Cortejo aus dem Bett stieg und den Schlafrock anzog, näher schlürfte und öffnete. Es war dunkel auf dem Korridor, so daß er nicht sah, wer draußen stand.

»Nun, nur näher Alfonzo!« sagte er. »Was kommt dir denn in den Sinn, daß du so spät …«

Doch da hielt der Advokat plötzlich mitten in der Rede inne, denn der Schreck raubte ihm die Sprache. Sternau war nämlich eingetreten, hatte die Tür hinter sich zugezogen, und da das Nachtlicht ihn zur Genüge beleuchtete, hatte der Notar ihn sofort erkannt und vor ungeheuerer Bestürzung vergessen, seine Rede zu vollenden.

»Ihr scheint meine Stimme verkannt zu haben«, sagte Sternau zu ihm in einem Ton, der kalt wie Eis war und spitz wie Stahl. – »Sternau!« murmelte jetzt der Notar.

Zu einem lauten Wort konnte er es noch nicht bringen, aber er machte doch eine Bewegung, als wolle er nach der Tür springen. In demselben Augenblick jedoch schlug ihm der Arzt die Faust vor den Kopf, daß er wie ein Sack zu Boden stürzte. Eine Minute später war auch Cortejo gefesselt und geknebelt, wie vorher der Graf Alfonzo. Sternau schloß ihn dann ein und begab sich nach dem Saal, wo die Diener in Erwartung dessen standen, was da kommen solle. Auch der Alkalde mit den Ältesten des Dorfes war bereits zugegen. Das hatte Sternau wissen wollen. Er gebot den Leuten, den Saal nicht zu verlassen und auf seine Rückkehr zu warten, und begab sich darauf wieder zu dem Advokaten, der unterdessen zur Besinnung gekommen war, setzte sich neben ihm nieder und begann:

»Señor Cortejo, ich habe Euch gefesselt, um ungestört ein Wort mit Euch zu sprechen. Hört mich an! Daß Ihr der größte Halunke der Erde seid, wißt Ihr ja, und ich brauche es Euch also nicht erst zu sagen, aber ebensowenig werdet Ihr Euch darüber verwundern, daß ich Euch als Halunken behandle. Ich habt mich verraten und in die Gefangenschaft gebracht…«

Der Gefesselte machte vor Angst eine verneinende Kopfbewegung. Sternau aber fuhr fort

»Lügt nicht! Es hilft Euch nichts! Ich bin wieder frei, Euer Verrat hat Euch also nicht ganz zum Ziel geführt. Auch Gräfin Rosa habt Ihr gefangengenommen. Sie lebte zwar nicht in einem Gefängnis, sondern in einem sehr frommen Stift, aber auch sie ist wieder frei. Ich habe sie mit hier. Sie ist wahnsinnig. Ihr habt sie vergiftet, so wie Ihr den Grafen Emanuel vergiftetet! Schüttelt nicht mit dem Kopf! Ihr habt Euer Verbrechen so schlau unternommen, daß ich Euch noch nicht fassen kann, aber es wird die Zeit kommen, wo ich Euch packen werde, und dann gnade Euch Gott! Für heute ist es nur wenig, was ich mit Euch zu besprechen habe. Ich will nämlich Condesa Rosa mit mir nehmen und erlaube mir deshalb, die nötigen Kleider hier einzupacken und auch für die Legitimationen zu sorgen, die notwendig sind, damit die Condesa auf die Auszahlung ihres Vermögens dringen kann. Ihr glaubt, daß dies keinen Erfolg haben wird, da sie wahnsinnig ist? Pah, ich werde sie herstellen! Ist aber die Condesa unheilbar, so sterbt Ihr des fürchterlichsten Todes, den es gibt, von meiner Hand. Um sie zu heilen, bedarf ich des Mittels, das ich bereits bei Graf Emanuel anwenden wollte, nämlich des Geifers eines zu Tode gekitzelten Menschen, und da Ihr mit Eurem Gift den Wahnsinn hervorgerufen habt, so scheint es mir ganz in der Ordnung, daß auch Dir selbst das Gegenmittel liefert. Ich werde Euch jetzt so lange kitzeln, bis Ihr den Schaum des wahnsinnigsten Schmerzes von Euch gebt und Euch erst dann töten, wenn auch dieses Mittel nichts hilft.«

Bei diesen Worten trat dem Advokaten der Angstschweiß auf die Stirn. Sternau kümmerte dies nicht. Er faßte den Gefesselten, trug ihn nach dem Nebenzimmer und band ihn dort so, daß er sich unmöglich bewegen konnte, dann verdichtete er den Knebel und suchte endlich nach einem Gefäß, in dem er den giftigen Schaum sammeln konnte.

Es mußte eine fürchterliche Angst sein, die der Advokat bei diesen Vorbereitungen empfand. Endlich zog ihm der Arzt die dünnen, feinen Nachtstrümpfe aus, nahm vom Schreibzeug eine Gänsefeder hinweg und begann, mit der Fahne dieser Feder die Fußsohlen des Notars zu bestreichen.

Unterdessen warteten die Diener unten im Saal auf seine Rückkehr. Sie dauerte ihnen zu lange, doch wagten sie nicht, gegen seinen Befehl zu handeln und den Saal zu verlassen. Da trat das Mädchen herein, dem die Gräfin übergeben worden war, und meldete, daß man oben ein ganz entsetzliches Getöse vernehme. Man beriet, was zu tun sei, und kam darin überein, daß der Alkalde mit dem Portier nachsehen solle, woher die Töne kämen.

Als diese beiden den oberen Korridor erreichten, stiegen ihnen fast die Haare zu Berge. Was sie hörten, war das Wutgestöhn des Advokaten. Trotzdem er einen doppelten Knebel trug und trotzdem er in einem inneren Zimmer lag, drang sein Geheul doch bis auf den Korridor hinaus, doch gerade, als der Alkalde klopfen wollte, trat Schweigen ein. Sie kehrten infolgedessen nach dem Saal zurück, wo sich nach kurzer Zeit auch Sternau einstellte, der die Gräfin am Arm hatte.

Die sämtlichen Anwesenden erschraken bei dem Anblick der geliebten Herrin und wollten herzutreten, um ihre Gefühle auszusprechen, Sternau aber wehrte ihnen ab und sprach:

»Señores, kennt Ihr diese Dame?« – Ja«, ertönte es rundum. – »Könnt Ihr beschwören, wer sie ist?«

Man wunderte sich über diese Frage und antwortete mit einem Ja.

»So mag auch der Alkalde sagen, wer sie ist« – »Natürlich ist es die Condesa Rosa de Rodriganda-Sevilla«, versicherte der Aufgeforderte. – »Dann setzt Euch nieder, Señor, und stellt mir ein amtliches Zeugnis aus, daß diese Doña die Gräfin ist. Die sämtlichen Anwesenden werden das Dokument unterzeichnen.« – »Warum?« – »Man trachtet der Gräfin nach dem Leben, man macht sie wahnsinnig, ich will sie retten und brauche dazu die erwähnte Legitimation.«

 

Der Alkalde wollte noch weiter fragen, denn er sah sich hier vor den Pforten eines Geheimnisses, in das er gern eingedrungen wäre, doch Sternau bat um Eile, und er mußte sich fügen.

Hierauf ging Sternau nach den Zimmern, die er selbst bewohnt hatte. Er fand dieselben ziemlich unberührt und packte in Gegenwart des Alkalden und der Ältesten ein, was er mitzunehmen gedachte. Dann mußten ihn die Beamten nach den Zimmern der Gräfin begleiten, wo er ebenso alles notieren ließ, was mitgenommen wurde. Durch diese Maßregel stellte er sich gegen spätere Anklagen sicher. Von höchstem Wert waren der Geburts-, Tauf- und Firmungsschein der Gräfin. Er fand diese Papiere in ihrem Schreibtisch und steckte sie zu sich.

Der Alkalde bat um Aufklärung über das geheimnisvolle nächtliche Ereignis, er fragte auch nach Graf Alfonzo und dem Advokaten, erhielt aber keine Aufklärung. Dann ließ Sternau zwei Schlitten mit den schnellsten Pferden bespannen, bestieg den einen mit der Gräfin, während der Pater den anderen lenkte, und fuhr davon. Die beiden Tiere, auf denen sie nach Rodriganda gekommen waren, ließen sie zurück.

Die Anwesenden blickten den beiden Schlitten so lange nach, als sie zu sehen waren, endlich aber sahen sie sich – untereinander selber an. Was war das gewesen? Was hatte das zu bedeuten? Woher war Sternau, der Verschwundene, so plötzlich gekommen, und wohin wollte er mit der Gräfin? Warum ließen sich der Graf und der Sachwalter gar nicht sehen?

Man ging nach der Wohnung des ersteren und fand dieselbe verschlossen. Das war verdächtig. Man klopfte, und als man angestrengt horchte, hörte man als Antwort ein unterdrücktes Wimmern. Jetzt wurde das erste, beste Instrument herbeigeholt, um die Tür aufzusprengen, und nun fand man Graf Alfonzo gefesselt und geknebelt im Bett liegen. Er wußte von nichts, aber als er befreit war und hörte, daß Sternau hier gewesen sei und die Gräfin mitgenommen habe, warf er die nächstliegenden Kleidungsstücke über und eilte zum Advokaten.

Auch dessen Tür war verschlossen, man sprengte sie ebenfalls auf und fand Cortejo in einem ganz unbeschreiblichen Zustand. Er hatte sich unter den Fesseln so gekrümmt und gewunden, daß die Banden tief in sein Fleisch eingedrungen waren, die Knebel waren vom Schaum ganz durchweicht, und es dauerte lange Zeit, ehe seine bis zum fürchterlichsten Wahnsinn aufgeregten Nerven sich so weit beruhigt hatten, daß er Alfonzo den Vorgang unter vier Augen erzählen konnte.

Alfonzo ordnete sofort eine schleunige Verfolgung an und stieg selbst zu Pferde, um in Manresa Polizei zu requirieren und die sonst noch notwendigen Schritte einzuleiten.

26. Kapitel

Unterdessen hatten die beiden gräflichen Schlitten Manresa erreicht. Die Freude, die der Kastellan und die gute Elvira beim Anblick ihrer Herrin empfanden, läßt sich gar nicht beschreiben. Sie glaubten zwar, ihre Vorkehrungen vollständig getroffen zu haben, aber es gab noch dieses und jenes nachzuholen, und so wurde der Aufenthalt ein längerer, als Sternau wünschte.

»Für jetzt trage ich keine Sorge«, sagte er zum Pater, »aber später…!« – »Gerade für später darf es Euch nicht bange sein, Señor«, antwortete dieser. »Haben wir nur erst die Berge erreicht, dann laßt mich sorgen.« – »Wie weit geht Ihr mit?« – »Bis jenseits der Grenze.« – »So haben wir später Zeit zu Erklärungen, jetzt müssen wir eilen. Ich nehme die Gräfin und Elvira in meinen Schlitten; Alimpo fährt mit Euch. Vorwärts!«

Nachdem die braven Kastellansleute von ihrem Neffen Abschied genommen hatten, fuhr man ab. Die beiden Schlitten verließen im Norden gerade in demselben Augenblick die Stadt, als Alfonzo von Süden her in dieselbe einritt.

Die Pferde waren sehr gut, aber nach den Bergen zu wurde der Schnee immer höher, der Weg immer unfahrbarer und die Eile infolgedessen immer mäßiger. Man vermied so viel wie möglich die größeren bewohnten Orte, doch veranlaßte diese Vorsicht zu verschiedenen Umwegen. Gegen Abend waren die Pferde so ermüdet, daß man gezwungen war, in einem einsamen, an der Straße gelegenen Wirtshaus zu übernachten.

Bereits am nächsten Morgen in der Frühe wurde wieder angespannt Es war für Sternau eine traurige Fahrt, denn Rosa kannte ihn nicht, blieb gleichgültig gegen alles und betete nur in einem fort. Er gab sich ebenso wie Frau Elvira alle Mühe, die Aufmerksamkeit der Kranken auf irgendeinen bestimmten Gegenstand zu lenken, doch vergeblich. Es war ganz unmöglich, sie zur Erkenntnis der Gegenwart irgendeines anderen Dinges zu bringen.

Als der Mittag herannahte, befand man sich bereits mitten in den Pyrenäen.

Hier stand wieder ein einsames Einkehrhaus, und da die Pferde durch den tiefen Schnee bereits sehr ermüdet waren, so beschloß Sternau, eine kurze Weile zu halten. Die Reisenden stiegen also aus und traten in den engen, kahlen Raum, in dem der Wirt ihnen nichts weiter als einen riesigen Herd und ein Stücken trockenes, halb verschimmeltes Brot zu bieten vermochte. Zum Glück hatte die gute Frau Elvira vor der Abfahrt von Manresa dafür gesorgt, daß Mundvorrat nebst einigen Flaschen Wein in die Schlitten gepackt worden waren. Diesen Dingen wurde jetzt mit gutem Appetit zugesprochen.

Das in dem einsamen Haus befindliche Mobiliar bestand nur aus einigen rohen Holzstühlen und einer langen, rohen Tafel, an der bei dem Eintritt der Gäste neben dem Wirt ein Mann saß, der nicht eben ein vertrauenerweckendes Aussehen hatte. Er trug eine weite Lederhose, lederne Gamaschen, eine zerrissene Jacke, die anstatt der Knöpfe mit alten Kupfermünzen besetzt war, und einen vielfach abgegriffenen und zerknitterten Hut. In seinem Gürtel steckte zwischen zwei großen Pistolen ein langes Messer; zwischen seinen Knien lehnte ein altes Gewehr, und neben ihm saß einer jener großen bärenartigen Pyrenäenhunde, die es mit drei Männern aufnehmen.

Er zog sich vor den Reisenden in eine Ecke zurück, blickte aber erstaunt auf, als er jetzt den Pater eintreten sah, der sich etwas länger bei den Pferden verweilt hatte. Als dieser den Mann erblickte, gab er ihm ein geheimnisvolles Zeichen und ging wieder vor das Haus hinaus.

»Alle Wetter, Pater, woher kommst du mit diesen vornehmen Leuten?« fragte er. – »Von Manresa«, antwortete der Gefragte. – »Du fährst selbst einen Schlitten!« – »Wie du siehst.« – »Wohin geht der Weg?« – »Hinüber nach Faix.« – »Sind es Freunde?« – »Ja. Sie stehen unter meinem Schutz.« – »So mögen sie in Gottes Namen ziehen; nur hoffe ich, daß sie uns keinen Schaden machen werden.« – »Schaden? Wie wäre dies möglich?« – »Dadurch, daß sie uns entdecken und verraten. Wir warten auf einen Transport Ware von drüben herüber. Er soll gegen Abend hier vorüberkommen. Wir stecken zu dreißig Mann droben unter dem Dach. Wenn deine Begleiter etwas merken und es den Franzosen erzählen, so kommen wir um den Fang.« – »Trage keine Sorge! Sie werden nichts merken. Wir bleiben nur eine halbe Stunde.«

Diese Versicherung beruhigte den Räuber; er kehrte nach der Stube zurück und nahm in seiner Ecke wieder Platz. Er schien sich um die Reisenden nicht zu bekümmern, nahm aber ein Glas Wein, das Alimpo ihm reichte, mit dankbarer Miene an.

So mochte die halbe Stunde fast vergangen sein, als man plötzlich draußen Pferdegetrappel und ein lautes, fröhliches Hallo hörte. Frau Elvira, die gerade vor dem kleinen, schmalen Fenster stand und hinausblickte, erbleichte, schlug vor Schreck die Hände zusammen und rief:

»Santa Madonna, die Gendarmen!«

Alimpo sprang hinzu und blickte hinaus; auch er machte ein Zeichen des höchsten Schrecks und meldete:

»Und der Corregidor ist dabei.« – »Welcher?« fragte Sternau. – »Der Corregidor von Manresa.« – »Ach! Der kommt mir gerade recht!« – »Oh, Señor, es ist keine Gegenwehr möglich. Es sind wohl gegen zwanzig Mann!«

Sternau überzeugte sich durch einen Blick von der Wahrheit dieser Worte und sagte entschlossen:

»Ich werde dennoch kämpfen!«

Da erhob sich der Fremde in der Ecke und versetzte:

»Habt keine Sorge, Señor! Ihr steht unter meinem Schutz!«

Sternau blickte erstaunt auf den Sprecher und fragte:

»Wer seid Ihr?« – »Euer Freund. Ihr habt mir Wein gegeben; ich werde Euch beschützen. Seht Ihr nicht, daß der Pater bereits verschwunden ist? Wir kennen uns. Er holt Hilfe. Bleibt ruhig sitzen und laßt mich machen!«

Alimpo hatte sich mit seiner Elvira in den äußersten Winkel des Gemaches zurückgezogen. Sternau setzte sich wieder nieder, hielt aber die Waffen bereit. Draußen waren unterdessen verschiedene Rufe erklungen, aus denen Sternau hörte, was er von den Angekommenen zu erwarten hatte.

»Das sind sie!« sagte eine Stimme. – »Ja, es sind die Schlitten und Pferde des Grafen!« fügte eine andere hinzu. – »Wir werden die Prämie verdienen«, jubelte ein dritter. – »Steigt ab! Hinein!« kommandierte ein vierter. Es war die Stimme des Corregidors von Manresa.

Jetzt wurde die Tür geöffnet, und einige Gendarmen traten ein, der Corregidor an der Spitze.

»Ah, Señor Sternau, da treffen wir Euch ja!« sagte er, als er den Arzt erblickte. – »Allerdings!« erwiderte dieser ruhig. – »Wie es scheint, hat es Euch in Barcelona nicht gefallen. Ihr seid entflohen, Señor. Das ist sehr schlimm für Euch. Außerdem habt Ihr bereits wieder einige neue Verbrechen begangen!« – »Welche denn?« – »Eine Entführung und einen Mord- und Raubüberfall gegen die Bewohner von Rodriganda.« – »Das klingt allerdings höchst gefährlich!« lächelte Sternau. – »Das ist es auch. Seht hier diese Handschellen! Ich muß Euch in Eisen legen und zurückbringen.« – »Versucht es einmal!« entgegnete Sternau, sich erhebend und zur Gegenwehr bereit

Der Corregidor trat schnell und vorsichtig einen Schritt zurück und sagte:

»Ich warne Euch, Señor! Keine Gegenwehr! Hier stehe ich mit vier Gendarmen, und draußen vor dem Haus stehen weitere fünfzehn Mann. Ein Widerstand ist also vollständig unnütz!« – »Das glaube ich nicht!«

Diese Worte hatte der Mann in der Ecke gesprochen. Der Corregidor wandte sich erstaunt zu ihm:

»Wer seid Ihr?« – »Ein Freund dieser Herrschaften«, antwortete der Mann gleichgültig. – »Ah! So habt Ihr ihnen geholfen?« – »Nein, aber ich werde ihnen jetzt helfen.« – »So nehme ich auch Euch gefangen!« – »Oder ich Euch!« lachte der Fremde. – »Mich? fragte der Corregidor zornig. »Mensch, wage nicht, mit mir Spaß zu treiben!« – »Blickt Euch um!«

Der Corregidor sah sich um und fuhr erschrocken zurück. Auch seine vier Gendarmen traten unwillkürlich zur Seite, denn durch die weit offenstehende Tür ragten wenigstens zehn geladene Büchsenläufe herein, und im Vordergrund des Hausflurs sah man noch mehrere Männer stehen, die ihre Gewehre gegen die ganz ohne Deckung draußen bei den Schlitten haltenden Gendarmen hielten.

»Nun?« fragte der Fremde. »Wie gefällt Euch das, mein tapferer Señor Corregidor? Ich sage Euch, daß ich die Gewehre meiner Leute gar nicht brauche, um Euch das Maul zu stopfen. Seht Euch diesen Hund an! Auf einen Wink von mir reißt er Euch und Euren vier Gendarmen die Gurgel auf. Hier in den Bergen wissen wir mit Leuten Eures Schlags umzugehen!« – »Mein Gott, wir sind verloren!« stammelte der Corregidor. – »Ja, das seid Ihr! Noch haben Eure Leute draußen keine Ahnung, was hier im Haus vorgeht. Es handelt sich um Euer Leben. Wollt Ihr gehorchen oder nicht?« – »Was soll ich tun?« fragte der Beamte kleinlaut. – »Befehlt Euren Leuten, die Waffen zu strecken und uns die Pferde zu übergeben!« – »Das – das geht nicht!« rief der Corregidor voller Angst. – »Es muß gehen! Meine Leute dort hören ein jedes Wort, das gesprochen wird. Ich zähle bis drei. Steht Ihr da noch nicht am Fenster, um den Befehl zu geben, so schießen sie Euch nieder. Wir sind dreißig Mann; es kann uns keiner entkommen. Also – eins – zwei – dr…«

Der Fremde hatte das Wort »drei« noch nicht ausgesprochen, so sprang der Corregidor an das Fenster, riß es auf und rief hinaus:

»Legt die Gewehre ab!«

Die Gendarmen hörten die Worte und blickten erstaunt herüber.

»Um Gottes willen, legt die Waffen ab!« wiederholte er. »Legt sie in die Schlitten!« – »Warum?« fragte draußen einer. – »Weil wir hier gefangen sind«, antwortete er. »Das ganze Haus steckt voller Briganten, die Euch niederschießen werden, wenn Ihr nicht gehorcht.«

Die Leute schienen diese Versicherung nicht glauben zu wollen, da aber wurde die Haustür von innen aufgestoßen, und wohl zwanzig Räuber drangen, ihnen die geladenen Büchsen entgegenhaltend, hervor.

»Ergebt Euch! Ergebt Euch!« bat der geängstigte Corregidor. – »Gegen freien Abzug?« fragte einer vorsichtig. – »Ja.«

Die Gendarmen, die wohl sahen, daß es nur eines Fingerdrucks der Räuber bedurfte, um zwanzig wohlgezielte Schüsse abzugeben, legten jetzt die Waffen ab, übergaben auch die Pferde und schlichen sich von dannen. Auch die vier in der Stube Befindlichen taten dasselbe; sie konnten ungehindert gehen. Als sich jedoch auch der Corregidor entfernen wollte, hielt ihn der Räuber zurück.

 

»Halt, mein Bursche!« sagte er. »Ich habe noch mit Euch zu reden.« – »Was denn noch?« – »Das werdet Ihr bald hören.« Und sich an Sternau wendend, fragte er: »Wie es scheint, seid Ihr mit diesem Señor Corregidor nicht zufrieden?« – »Allerdings nicht«, antwortete der Arzt – »Bloß weil er Euch jetzt fangen wollte? Oder habt Ihr noch etwas anderes gegen ihn?« – »Etwas noch ganz anderes. Er kam einst zu mir, um mich zu einer Dame abzuholen, brachte mich aber statt dessen nach Barcelona in das Gefängnis, wo ich mehrere Monate lang unschuldig eingeschlossen wurde.« – »Ah, das soll er büßen! Das ist Hinterlist. Zählt ihm fünfzig auf die Kehrseite.«

Der Corregidor wurde trotz seines Wehklagens gepackt und hinausgeschafft, und bald hörte man die kräftigen Hiebe und das laute Geschrei des Beamten, der wohl nicht gedacht hatte, daß er sich anstatt eines Gefangenen fünfzig Stockschläge holen würde. Als er den letzten erhalten hatte, hinkte er kläglich von dannen.

Jetzt erst trat der Pater wieder ein.

»Seht Ihr, Señor«, sagte er zu Sternau, »daß ich recht hatte, als ich Euch sagte, daß wir hier oben in den Bergen sicher sein würden?« – »Ihr seid mir ein Rätsel, aber ich danke Euch von ganzem Herzen!« antwortete der Deutsche. – »Vielleicht werdet Ihr dieses Rätsel noch lösen. Jetzt aber laßt uns aufbrechen, damit wir vor Abend noch über die Grenze kommen.«

Sternau wollte sich den wackeren Briganten dankbar erweisen, sie lehnten jedoch allen Dank und jede Gabe ganz entschieden ab. Sie hatten ja Waffen und Pferde gewonnen.

»Das war Hilfe gerade zur rechten Zeit«, sagte Alimpo beim Einsteigen. »Nicht wahr, meine Elvira?« – »Ja«, antwortete sie. »Glaubst du, daß der Corregidor in Manresa erzählen wird, daß er heute fünfzig Hiebe bekommen hat?« – »Nein. Ich werde es aber unserem Neffen schreiben, der soll es weitererzählen, meine liebe Elvira.«

Da sich die Pferde nun so ziemlich ausgeruht hatten, ging es mit frischen Kräften und erneuter Schnelligkeit vorwärts. Als Sternau den Briganten noch einen Abschied zurückwinkte, dachte er nicht, daß er nach Jahren sie abermals an derselben Stelle hier treffen werde.