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Waldröschen I. Die Tochter des Granden

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41. Kapitel

»Oh, gräme nie ein Menschenherz;

Der Gram geht bis aufs Blut,

Und all den Kummer, all den Schmerz

Machst du nie wieder gut!

Oh, mach‘, daß keine Träne hier

Ein Aug‘ um dich vergießt —

Weißt du, daß diese Träne dir

Ein schwerer Mahnruf ist?

Oh, sorge, daß kein Herzeleid

Du hier verschulden magst,

Es kommt die Stund‘, es kommt die Zeit,

Wo du es tief beklagst!«


Zarba, das Zigeunermädchen, war in einer Verkleidung als Knabe fast jeden Abend mit dem Haushofmeister zusammengetroffen. Sie war ihm ganz ergeben, sie erfüllte jeden seiner Wünsche, dessen Erfüllung überhaupt in ihrer Macht lag, und so hatte er mit ihr auch über den Liebestrank gesprochen. Als sie nun heute abend wieder unter vier Augen in seinem Zimmer beisammensaßen, fragte er:

»Hast du wegen des Liebestranks mit Mutter Kaschima gesprochen? Kann sie einen brauen?« – »Sie kann alles, sie kennt jede Blume und Pflanze, jeden Tee und jede Arznei, sie weiß Mittel gegen alle Krankheiten und Gebrechen, sie weiß auch, wie der Trank der Liebe zu machen ist.« – »Hat sie es dir gesagt?« – »Ja, sie hat kein Geheimnis vor mir.« – »Ah, so werde auch ich es erfahren?« – »Nein, ich darf es dir nicht sagen. Die Geheimnisse der Gitanos erben sich nur im Volk fort.« – »Närrchen«, sagte er liebkosend. »So kann ich den Trank aber doch wohl erhalten, wenn du mir das Rezept auch nicht sagst?« – »Vielleicht. Ich muß jedoch wissen, für wen er ist.« – »Das darf ich nicht sagen.« – »Ah, er ist für dich!« – »Nein, denn ich besitze ja deine Liebe!« – »Also wirklich für einen anderen! Wer ist es?« – »Ich darf ihn nicht nennen.« – »So kannst du den Trank auch nicht bekommen.« – »Du bist grausam!« zürnte er. – »Es ist die erste Bitte, die ich dir abschlage.« – »Hm! Wenn ich dir den Namen nenne, wirst du schweigen?« – »Ganz sicher.« – »Gut. Der Trank ist für den Herzog selbst.« – »Den Herzog?« meinte sie verwundert. »Und wer soll den Trank einnehmen?« – »Ich weiß es nicht. Der Herzog wollte mir es nicht sagen, und einen so hohen Herrn kann man nicht zwingen.«

Das war natürlich eine Lüge, aber Zarba glaubte sie und antwortete mit nachdenklicher Miene:

»Aber das Mittel ist nicht für immer. Es wirkt nur auf einige Stunden.« – »Wie muß man es nehmen?« – »Es sind Tropfen, die keine Farbe haben, aber ein wenig scharf schmecken. Man tut fünf davon in Wasser, Kaffee oder Tee, und in einer Stunde beginnt die Wirkung.« – »Also willst du mir das Mittel verschaffen?« – »Ja. Bis morgen?« – »Gut. Ich brauche es spätestens eine Stunde nach der Dämmerung. Wird es gehen?« – »Ja, du sollst es haben, aber wehe dir, wenn du es für dich selbst brauchen willst!«

Zarba hielt Wort. Am Abend des nächsten Tages, kurz nach der Dämmerung, erschien sie auf ihrem gewöhnlichen Weg und händigte dem Haushofmeister ein kleines Fläschchen ein.

»Hier!« sagte sie. »Es ist stark und wird helfen.« – »Wieviel kostet es?« – »Nichts.« – »Erwarte mich. Ich will es dem Herzog bringen.«

Cortejo ging. Der Herzog harrte seiner mit der allergrößten Spannung.

»Nun, hast du Wort gehalten?« – »Ja. Hier ist es.« – »Gib her!« – »Wird es gelingen, Durchlaucht?« – »Ja, wenn das Mittel wirklich gut ist. Die Gouvernante sitzt im Musikzimmer, ich werde jetzt selbst in ihre Stube gehen und es ihr in die Milch gießen, von der sie jeden Abend ein Gläschen trinkt. Du gehst mit und paßt auf, daß ich nicht überrascht werde.«

Das treulose Vorhaben gelang. Als die Gouvernante nach einiger Zeit in ihr Zimmer zurückkehrte, trank sie die Milch und ging dann schlafen.

In der frühesten Morgenstunde des nächsten Tages klopfte es leise an die Tür des Zimmer, das Cortejo bewohnte.

Rasch öffnete dieser und erschrak, als ihm der Herzog mit leichenblassem Antlitz entgegentrat.

»Was ist geschehen?« fragte der Haushofmeister bestürzt. – »Etwas Schreckliches!« stöhnte der Herzog, indem er sich ganz fassungslos in einen Stuhl warf. – »Sie machen mir Angst Durchlaucht! Was gibt es denn?« – »Der Teufel hole diese Geschichte! Das wird einen fürchterlichen Spektakel geben! Cortejo, was mache ich nur?« – »Ja, weiß ich es? Sie haben mir ja noch gar nicht gesagt, um was es sich handelt. Hat das Mittel gewirkt?« – »Oh, nur zu gut! Aber dann …« – »Dann?« – »Dann hat sie sich ein Messer in die Brust gestoßen.«

Cortejo schlug entsetzt die Hände zusammen.

»Heilige Madonna! Ist sie tot?« – »Nein, noch nicht; aber ihr Zimmer schwimmt im Blut. Sie ist ohnmächtig.« – »So muß schnell ein Arzt geholt werden, Exzellenz!« – »Wo denkst du hin! Es würde damit ja alles verraten sein. Sinne auf etwas anderes!« – »Ah, ich weiß etwas!« rief Cortejo erfreut. »Ich werde die Zigeunerin holen, die den Trank gebracht hat. Sie versteht es, Wunden zu behandeln. Soll ich sie rufen?« – »Schnell, schnell!« – »Zarba!«

Zarba, die gespannt zu erfahren, ob ihr Mittel gewirkt habe, sich schon in aller Frühe wieder zu Cortejo begeben hatte und sich augenblicklich im Nebenzimmer befand, von dem aus sie die Unterredung mit angehört hatte, trat herein. Der Herzog hatte erwartet, ein altes, häßliches Weib zu sehen, und war nicht wenig überrascht als er einen jungen, hübschen Knaben erblickte, dessen Kleidung Zarba auch heute angelegt hatte.

»Wer – wer ist das?« fragte er betreten. – »Die Zigeunerin«, antwortete Cortejo. – »Aber es ist doch ein Knabe!« sagte der Herzog. Dann aber überflog sein Auge mit einem schärferen Blick die Gestalt der vor ihm Stehenden, und nun erkannte er seinen Irrtum. »Ah, ist es möglich!« rief er. »Wahrhaftig ein Mädchen! Das ist also die ›alte‹ Zigeunerin, von der du sprachst?« – »Ja«, antwortete der Haushofmeister verlegen.

Der Herzog war inzwischen näher an das Mädchen herangetreten und fragte jetzt:

»Wie heißt du?« – »Zarba!« antwortete sie. – »Du bist es, die mir den Trank gebracht hat?« – »Ja!« – »Kannst du Krankheiten heilen?« – »Alle.« – »Auch Wunden?« – Ja, wenn sie nicht sofort tödlich sind.« – »So folgt mir beide, aber leise. Es darf uns kein Mensch hören.«

Als sie das Zimmer der Gouvernante erreichten, lag diese auf dem Sofa. Ihre Augen waren geschlossen, und ihr Gesicht sah bleich aus wie das einer Toten. Auf der Diele erblickte man mehrere große Blutpfützen.

Zarba trat sogleich zu ihr, um sie zu untersuchen. Dies dauerte nicht lange, dann nickte sie sehr ernst und nachdenklich mit dem Kopf und sagte:

»Sie ist nicht tot, aber sie will sterben. Einen Arzt dürft Ihr nicht holen. Ich bin schuld daran und werde bei ihr bleiben. Darf ich?« – »Ja«, nickte der Herzog. – »So hört, was ich um ihret-, um meinet- und um Euretwillen verordne: Jetzt verbinde ich sie einstweilen, sodann gehe ich, um Pflanzen zu suchen, die die Wunde heilen. Von da an pflege ich sie, bis sie wieder gesund ist, aber kein Mensch darf hier eintreten. Sie wird das Wundfieber bekommen, sie wird phantasieren; sie wird alles erzählen und uns verraten. Deshalb darf nur ich allein zu ihr. Oh, ich sehe jetzt erst ein, was ich begangen habe; es ist eine große, schwere Sünde, die ich gar nicht wiedergutmachen kann. Sie sind ein Teufel! Aber vergessen Sie nicht, daß der Tod dieser Señorita Ihnen viele Sorgen machen kann. Ihre Leiche müßte ärztlich untersucht werden, man fände den Messerstich und würde eine Untersuchung des Falles anstellen.«

Der Herzog sah die Zigeunerin, die in diesem Ton mit ihm zu sprechen wagte, verwundert an.

»Gut, tue, was du willst«, sagte er beklommen. »Cortejo mag für alles sorgen. Nur bitte ich, das Blut sorgfältig zu entfernen. Ihr habt den Trank verschafft, mich geht die Sache nichts mehr an!«

Er entfernte sich. Auch Zarba ging, nachdem sie die Verwundete verbunden hatte, und kehrte dann in ihrer Mädchenkleidung und mit den gesuchten Pflanzen zurück. Es hieß im Schloß, die Gouvernante habe ganz plötzlich einen Blutsturz bekommen und werde nun von der Zigeunerin, die dergleichen Krankheiten besser als ein Arzt zu behandeln verstehe, gepflegt.

Was im Krankenzimmer vorging, davon erfuhr kein Mensch ein Wort, nicht einmal Cortejo. Die Gouvernante hatte bei ihrem ersten Erwachen die Binde wieder aufreißen wollen, war aber von ihrer Pflegerin daran gehindert worden, und dann hatte sich zwischen beiden eine tiefe Zuneigung entwickelt, die einen großen, beruhigenden Einfluß auf die Gouvernante ausübte. Sie sprach kein Wort über jenen schrecklichen Abend, aber es kam auch kein Lächeln über ihre Lippen, das Leiden ihrer Seele war größer als das ihres Körpers; so kam es, daß mehr als drei Monate vergingen, ehe sie zum ersten Mal das Zimmer verlassen konnte.

Unterdessen war Zarba auch fernerhin mit Cortejo zusammengetroffen, denn sie liebte ihn mit aller Glut ihres südländisch veranlagten Herzens; aber es kamen die Augenblicke immer öfter, wo es ihr schien, als ob seine Liebe nicht mehr so innig sei wie früher. Es kam ihr vor, als sei sie in dem Palais, in dem sie jetzt, um die Gouvernante pflegen zu können, von dem Herzog einquartiert war, eine nur geduldete, von allen verachtete, zurückgesetzte Person. Sie betrachtete nach und nach die Anwendung ihres Mittels in dem einzig richtigen Licht und sie lernte immer mehr den Herzog zu verachten und dem Geliebten zu mißtrauen. Je größer ihre Zuneigung zu der Verwundeten wurde, desto höher schlug ihr das Gewissen, und eines Tages, als die Stimme desselben zu laut und mächtig ertönte, gestand sie der Gouvernante unter heißen Tränen den Sachverhalt und bat sie um Verzeihung. Bei dieser Gelegenheit erhielt sie über den Charakter Cortejos Aufklärungen, die ihr liebendes Herz mit Schrecken erfüllten.

42. Kapitel

Unterdessen hatte sich Sternau viel mit der so innig Geliebten beschäftigt, die seine Liebe so hart von sich gewiesen hatte. Er fühlte Sehnsucht, sie einmal zu sehen, drängte sie aber längere Zeit zurück, bis sein Verlangen fast einer ängstlichen Ahnung, daß der Gouvernante etwas zugestoßen sein könne, zu gleichen begann. Er begab sich nun nach dem Palais, um die Gouvernante zu besuchen, und wurde zu dem Haushofmeister geführt. Er fühlte sich betroffen, als er diesen erblickte. Auch Cortejo erkannte ihn sofort wieder.

 

»Was wollt Ihr?« fragte er stolz, fast grob. – »Ich wollte fragen, ob ich nicht Señorita Wilhelmi einmal sehen kann.« – »Was wollt Ihr bei ihr?« – »Es ist das ein einfacher Höflichkeitsbesuch, Señor.« – »Oh, Ihr scheint doch sonst nicht sehr höflich zu sein!« – »Man wird zuweilen zur Unhöflichkeit gezwungen«, antwortete Sternau fest und ruhig. – »Ah, Ihr erinnert Euch meiner?« fragte Cortejo verwundert. – »Sehr gut!« – »Es war …« – »…am ersten Tag des Karnevals«, ergänzte Sternau. – »Und Ihr vergrifft Euch an mir!« – »Nur ein klein wenig«, lachte der Erzieher. »Ich hoffe aber nicht, daß diese kleine Begebenheit Einfluß auf die Gewährung meines Wunsches hat, Señorita Wilhelmi zu sprechen.« – »Doch. Ihr werdet sie nicht sprechen!« – »Ah«, sagte der Erzieher mit einem halb lächelnden, halb herausfordernden Blick. »Wer will mir das verwehren?« – »Ich!« – »Ihr? Wie wollt Ihr dies fertigbringen?« – »Ich verbiete Euch dieses Haus.« – »Pah. Das wird Euch gar nichts helfen. Ihr könnt mir zwar das Haus verbieten, nicht aber den Zutritt zu Señorita Wilhelmi. Übrigens habt Ihr ja gar kein Recht, einen Menschen von dem Betreten dieses Palais auszuschließen, Ihr seid nicht der Besitzer desselben.« – »Ich handle im Auftrag meines Herrn.« – »Beweist dies!« – »Donnerwetter. Ich habe als Haushofmeister Euch gar nichts zu beweisen. Packt euch hinaus!« – »Ich werde allerdings gehen, aber nicht hinaus, sondern zum Herzog von Olsunna!« – »Das ist nicht notwendig«, erklang es da plötzlich hinter dem Sprecher. »Was wollt Ihr bei mir?«

Sternau wandte sich um und erkannte den Herzog selbst, der eingetreten war, um irgendeine eilige Angelegenheit sogleich in der Wohnung des Haushofmeisters zu verhandeln.

»Ah, was tut dieser Mensch hier?« fragte der Herzog. – »Er will zu Señorita Wilhelmi«, antwortete Cortejo. – »In welcher Angelegenheit?« – »Das weiß ich nicht – ein Höflichkeitsbesuch soll es sein!«

Der Erzieher verneigte sich, ruhig zustimmend, als ob er mit der größten Hochachtung behandelt worden sei, dann fügte er den Worten des Haushofmeisters hinzu:

»Ich bin nämlich Erzieher in demselben Haus, in dem Señorita Wilhelmi konditionierte, ehe sie die gegenwärtige Stellung annahm, und ich halte es für meine Pflicht, ihr eine Visite abzustatten.« – »Das ist nicht notwendig!« erklärte der Herzog. – »Warum nicht?« fragte Sternau. »Ob dieser Besuch ein notwendiger sei oder nicht, das vermag doch wohl nur ich selbst zu beurteilen, da nur ich es bin, der seinen Zweck kennt.« – »Sie werden die Señorita nicht sprechen. Gehen Sie!« befahl der Herzog kurz.

Jetzt nahm die Miene des Erziehers einen ganz anderen Ausdruck an, einen Ausdruck, vor dem der Herzog und Cortejo unwillkürlich zurückwichen.

»Wenn Sie es wünschen, Durchlaucht so werde ich allerdings gehen«, erklärte er mit blitzendem Auge, »aber ich werde mit polizeilicher Begleitung zurückkehren, um die Gründe untersuchen zu lassen, infolge derer meine Freundin für mich unsichtbar bleiben soll.« – »Sie spricht und empfängt überhaupt keinen Menschen.«

Daß der Herzog diese Antwort gab, bewies, daß er den Erzieher einigermaßen fürchtete.

»Ah, wird sie etwa als eine Gefangene behandelt?« – »Nein. Sie ist krank.« – »Krank? Darf man sich nach dieser Krankheit erkundigen?« – »Ein Blutsturz.« – »Wann?« – »Vor fünf Wochen.« – »Welcher Arzt behandelt sie?« – »Sie befindet sich in guten Händen.«

Sternau blickte die beiden anderen forschend an und erwiderte mit ernster Miene:

»Señores, ich kenne meine Stellung, aber auch die Eurige. Wenn Señorita Wilhelmi krank ist, so will ich sie nicht stören, obgleich ich großen Anteil an ihrem Schicksal nehme; sollte sich hier jedoch ein dunkler Punkt herausstellen, so werde ich ihn aufhellen. Verlaßt Euch darauf.« – »Ah, soll das eine Drohung sein?« fragte Olsunna. – »Ja«, antwortete Sternau freimütig.

Da streckte der Herzog den Arm aus, deutete nach der Tür und gebot mit erhobener Stimme:

»Hinaus!« – »Pah!« lächelte der Erzieher, indem er noch einen Schritt näher trat. Ich gehe schon, verspreche jedoch, daß ich wiederkommen werde.« Er machte darauf eine ironische Verbeugung und verließ das Haus.

»Ihm nach, Cortejo!« gebot der Herzog. »Laß ihn aus dem Tor werfen!« – »Verzeihung«, antwortete der Haushofmeister. »Wollen wir nicht lieber einen solchen Eklat vermeiden? Er geht ja von selbst. Wenn wir ihn von der Dienerschaft fassen lassen, so wäre er unverschämt genug, sich zur Wehr zu setzen.« – »Das ist richtig!« rief Olsunna zornig. »Und Körperkräfte besitzt dieser Zwerg für zehn. Diese Deutschen sind wahre Bären!« – »Aber nachsehen will ich immerhin«, meinte Cortejo, »ob er sich nicht doch vielleicht den Zutritt zu der Gouvernante erzwingt.«

Diese Vorsichtsmaßregel erwies sich als unnötig. Sternau verließ das Palais und kehrte nach seiner Wohnung zurück, aber er hatte Verdacht geschöpft und nahm sich vor, Nachforschungen anzustellen.

Daher kam es, daß Sternau bereits am Abend desselben Tages dem Palais gegenüber stand, um es zu beobachten. Er hatte einen günstigen Augenblick getroffen, denn er sah den Haushofmeister aus dem Portal treten. Da jetzt selbst der geringste Umstand von Bedeutung sein konnte, so folgte er ihm von weitem. Cortejo stand im Begriff, Clarissa, seine Geliebte, zu besuchen, und Sternau sah ihn in das betreffende Haus eintreten. In dem Haus gegenüber wohnte ein Gehilfe des Buchhändlers, bei dem er seine sämtlichen Bücher kaufte, er kannte diesen Gehilfen nicht bloß, sondern er war sogar einigermaßen mit ihm befreundet. Er sah an einem offenen Fenster des Hauses, in dem Cortejo eingetreten war, ein Mädchen stehen, das sich umdrehte, wie um einen Eintretenden zu empfangen, dann kam es mit Cortejo an das Fenster zurück.

»Ah«, dachte Sternau, »vielleicht eine Liebschaft. Ich werde mich erkundigen.«

Er suchte nunmehr den Buchhändler auf, und dieser offenbarte ihm, nachdem Sternau zu verstehen gegeben hatte, daß ihm daran liege, zu wissen, wer die Dame da drüben am Fenster sei und in welchem Verhältnis sie zu dem Herrn stehe, der sich bei ihr befinde, folgendes:

»Jener Herr heißt Gasparino Cortejo und ist Haushofmeister des Herzogs von Olsunna. Von der Dame weiß ich nur, daß sie von ihrem Wirt Señorita Clarissa genannt wird. Sie ist die Braut Cortejos.«

Sternau entfernte sich. Er konnte nicht absehen, ob seine jetzige Erfahrung ihm etwas nützen werde, doch er setzte seine Beobachtungen fort, so oft er die nötige freie Zeit dazu hatte, und erfuhr, daß die Gouvernante das Palais niemals verließ und daß sie wirklich krank sei, so daß die kleine Prinzeß Flora anderweit Unterricht erhalten mußte. Aus dritter Hand hörte er ferner, daß die Zimmer der Kranken nach dem Park gingen, und beschloß daher, diesen einmal aufzusuchen.

Dies tat er natürlich des Abends. Er fand die Tür, durch die Zarba früher immer Zutritt genommen hatte. Sie war verschlossen. Dennoch gelang es ihm als gewandtem Turner, leicht die Mauer zu ersteigen und drüben hinab in den Garten zu springen.

Er durchsuchte erst diesen mit aller Vorsicht, um sich zu vergewissern, daß er nicht beobachtet werde, und dann nahm er die hintere Front in Augenschein.

In der Nähe einiger erleuchteter Fenster stand ein Obstbaum. Er erkletterte ihn und konnte von demselben aus in zwei Zimmer blicken. Das eine war leer, in dem anderen aber saß Cortejo und eine junge Zigeunerin. Diese letztere hatte Sternau öfters aus dem Palais kommen sehen, auch hatte er von einer Aufwärterin erfahren, daß sie Zarba heiße und die kranke Gouvernante zu pflegen habe.

Aus der Situation, in der sich die beiden im Zimmer befanden, mußte Sternau schließen, daß eine wirkliche Liebschaft hier vorliege, Cortejo hatte also noch ein Liebesverhältnis angeknüpft, und die Betrogene war jedenfalls die Zigeunerin. Sternau beschloß, sich dies zunutze zu machen. Er stieg vom Baum herab, voltigierte auf die Mauer und wieder in das Gäßchen zurück und ging nach Hause.

Seine Beobachtungen fortsetzend, begegnete er bald darauf der Zigeunerin auf der Straße. Sie wollte an ihm vorüber, er aber hielt sie an.

»Du bist im Palais des Herzogs von Olsunna?« fragte er sie freundlich. – »Ja«, antwortete sie. – »Und bedienst Señorita Wilhelmi?« – »Ja.« – »Sie ist krank?« – »Noch immer.« – »An welcher Krankheit leidet sie?«

Die Zigeunerin blickte Sternau forschend an und fragte:

»Wer seid Ihr, Señor, daß Ihr so nach der Señorita fragt?« – »Ich bin ein Freund von ihr und auch von dir.« – »Von mir?« fragte sie verwundert. »Ich kenne Euch nicht.« – »Aber ich kenne dich. Ich bin dein Freund und meine es gut mit dir. Darum wollte ich dich vor Cortejo warnen.« – »Warnen?« fragte sie, aufmerksam werdend. »Weshalb?« – »Er betrügt dich; er hat noch eine andere Geliebte.«

Da blitzten ihre Augen zornig auf, und ihr kleines Händchen drohend erhebend, sagte sie:

»Señor, belügt mich nicht! Wen Zarba liebt, der darf keine andere haben.« – »Und doch hat er eine andere!« – »Beweist es!« – »Ich werde es dir beweisen, wenn du es verlangst« – »Ich verlange es.« – »Nun gut! Er wird heute abend wieder zu ihr gehen. Kannst du aufpassen, wann er das Palais verläßt?« – »Ja; ich werde es merken.« – »Wenn er fort ist, kommst du an diesen Ort, wo wir uns jetzt getroffen haben. Ich werde dich so führen, daß du ihn belauschen kannst.« – »Señor, wollt Ihr dies wirklich tun?« – »Ja, herzlich gern!«

Da blickte Zarba den Erzieher forschend an und fragte:

»Aber wie kommt es, daß Ihr mein Freund seid?« – »Weil du Señorita Wilhelmi pflegst, deren Freund ich bin.« – »Wie ist Euer Name?« – »Sternau.« – »Ah, den kenne ich!« – »Woher?« – »Señorita Wilhelmi bat mich einmal, mich zu erkundigen, ob Ihr noch beim Bankier Salmonno wohnt.« – »Und du hast dich erkundigt?« – »Ja. Ich habe ihr gesagt, daß Ihr noch dort seid.« – »Nun wirst du mir wohl vertrauen?« – »Ja, ich vertraue Euch, Señor.« – »Und kommst heute abend?« – »Ich komme!«

Sie trennten sich. Die Zingarita hatte schon längst bemerkt, daß die Liebe des Haushofmeisters nicht mehr die alte sei, daß es aber so stehe, das hatte sie doch nicht gedacht.

Sobald der Abend angebrochen war, gab sie sorgfältig acht, und als sie Cortejo das Palais verlassen sah, ging sie auch und traf den Erzieher an dem angegebenen Ort. Sie wurde von ihm zu dem Buchhändler geführt, der sie bereits erwartete, da Sternau ihn auf den Besuch vorbereitet hatte.

»Er ist schon drüben. Seht hinüber!« sagte er.

Zarba stellte sich an das Fenster und blickte lautlos hinüber. So stand sie wohl über eine halbe Stunde, und auch die beiden Männer sagten nichts. Was mußte in ihr vorgehen?

Endlich drehte sie sich um und bat Sternau:

»Kommt, Señor!«

Er ging mit ihr.

»Bist du nun überzeugt?« fragte er sie unten auf der Straße im Gehen. – »Ja.«

Dieses »Ja« klang scharf und schneidend wie eine Dolchspitze; plötzlich blieb Zarba stehen und sagte:

»Señor, habt Ihr einmal geliebt?« – »Ja«, antwortete er aufrichtig. – »Glücklich?« – »Nein.« – »Oh, sie wurde Euch untreu?« – »Nein, sie liebte mich überhaupt nicht.« – »Oh, das ist traurig! Aber noch viel; viel trauriger ist es, betrogen zu werden. Ist diejenige, die Ihr liebtet, in Eurem Vaterland?« – »Sie ist hier in Saragossa.« – »Señor, errate ich recht? Es ist Señorita Wilhelmi?« – »Ja.«

Da faßte sie seine Hand, preßte sie fest zwischen ihren Fingern und bat:

»Rettet sie!« – »Retten?« fragte er besorgt. »Was ist mit ihr?« – »Ihr Herz ist krank, ihre Seele ist krank, Señor; das ist schlimmer als der Messerstich, der ja auch bereits zugeheilt ist« – »Ein Messerstich! Herrgott! Was ist geschehen?« – »Still, regt Euch nicht auf, denn die Gefahr ist längst vorüber! Ihr seid aufrichtig mit mir gewesen, und so will ich auch mit Euch aufrichtig sein. Habt Ihr Zeit?« – »Ja; so viel du willst!« – »So folgt mir!«

Zarba führte den Erzieher zu dem Gartenpförtchen des Palais, zog den Schlüssel hervor und öffnete.

»Wartet hier! Ich will erst sehen, ob ich Euch unbemerkt hineinbringen kann, Señor.« – »Zu wem willst du mich bringen?« – »Das sollt Ihr selbst entscheiden. Zunächst geht Ihr mit nach meinem Stübchen.«

Die Zigeunerin huschte fort und kehrte bald darauf zurück. Sie brachte Sternau durch die Tür und geleitete ihn zu einer schmalen Seitentreppe, die sie mit ihm erstieg, um dann ein kleines, einfach möbliertes Zimmerchen zu öffnen, in das sie eintraten.

»So! Man hat uns nicht bemerkt«, sagte sie. »Hier wohne ich. Setzt Euch nieder!«

 

Dann brannte sie ein Licht an und nahm ihm gegenüber Platz. Er hatte sie bisher nur immer flüchtig betrachtet; nun aber tat er es eingehend und mußte sich gestehen, daß er noch selten ein so schönes Mädchen gesehen habe. Sie bemerkte seinen bewundernden Blick und sagte herb:

»Nicht wahr, Señor, ich bin schön?« – »Ja«, antwortete er, überrascht von dieser Frage. – Sie schüttelte den Kopf.

»O nein, o nein! Als ich es nicht wußte, da war ich schön, und jetzt, da ich es weiß, bin ich es nicht mehr. Ich bin der arme Schmetterling, der in den Wald fliegt, ohne zu wissen, daß er da den Glanz seiner Flügel einbüßt. Ja, Señor, Ihr habt Mitleid mit mir, ich sehe es Euch an, bald aber werdet Ihr mich hassen und mir zürnen.« – »Warum? Du hast mir ja nichts Böses getan!« – »Sehr, sehr viel Böses habe ich Euch getan, und deshalb nahm ich Euch mit hierher, um Euch alles zu gestehen und alles zu sagen. Wollt Ihr mich anhören?« – »Rede!« – »Den Anfang wißt Ihr. Der Herzog sah Señorita Wilhelmi und lockte sie in sein Palais. Ihr hattet sie gewarnt, sie aber hörte nicht auf Euch, denn sie glaubte, daß sie Euch nicht liebe.« – »Woher weißt du das?« – »Sie hat es mir selbst gesagt. Es wurden ihr hier viele Schlingen gelegt, aber sie widerstand. Es gab nur noch ein Mittel, einen Liebestrank, der die Sinne verwirrt …« – »Halt ein!« sagte Sternau. »Bist du bei Verstand? Man wird ihr doch keinen solchen Trank gegeben haben!« – »Man hat ihn ihr gegeben!«

Sternau fuhr mit leichenblassem Gesicht von seinem Sitz empor.

»Und sie hat ihn getrunken?« fragte er. – »Sie trank.«

Da schlug er die Hände vor das Gesicht und fiel auf den Stuhl zurück.

Es flimmerte dem Erzieher vor den Augen, und es kostete ihm alle Anstrengung, seine äußere Ruhe wiederzugewinnen.

»Von wem war der Trank?« fragte er matt. – »Von mir«, antwortete sie. – »Von dir?« wiederholte der Deutsche. »Allerdings, du bist ja eine Zigeunerin, eine Giftmischerin!« – »Ich wußte nicht, für wen er war, ich hatte Señorita Wilhelmi noch gar nicht gekannt.« – »Das ist keine Entschuldigung!« erklang es rauh aus seinem Mund. »Wer hat den Trank bestellt?« – »Der Herzog bei Cortejo und dieser bei mir. Ihr wißt es, daß Cortejo mein Geliebter war, ich konnte es ihm nicht abschlagen. Oh, er hat es mir zugeschworen, daß ich sein Weib sein solle!«

Zarba wollte weitersprechen, er aber winkte ihr zu schweigen. Er saß lautlos vor ihr. Sein Auge glühte, seine Schläfen klopften, sein Kopf brannte. Er kämpfte einen Kampf, einen schweren, harten Kampf, und es dauerte lange, ehe er als Sieger aus demselben hervorging.

»Sie ist unschuldig?« fragte er endlich. – »Ja, vollständig unschuldig.« – »Ist dies wirklich wahr?« – »Ich schwöre es Euch.« – »Könntest du es doch beweisen!« – »Ich kann es.« – »So tue es!« – »Als die Wirkung meines Tranks vorüber war, hat sie sich ein Messer in die Brust gestoßen.« – »Ah, das war der Blutsturz, von dem man mir erzählte?« – »Ja.« – »Und dann?« – »Dann lag sie lange Wochen krank. Die Wunde war nicht tödlich, wurde aber von den Leiden ihrer Seele verschlimmert. Sie will auch heute noch sterben, denn sie kennt den Zustand, in den sie ohne ihre Schuld geraten – und sie liebt Euch!«

Er fuhr empor.

»Mich? Mich liebt sie?« – »Ja, mit allen Kräften ihres Herzens.« – »Das ist nicht wahr!« – »Es ist wahr. Sie hat sich selbst nicht gekannt und verstanden, sie hat erst während ihres Krankenlagers eingesehen, daß Ihr der einzige seid, dem ihr Fühlen und Denken gehört.« – »Oh, mein Gott! Warum erkannte sie dies nicht früher!« – »Ja, es ist nun – zu spät!« klagte die Zigeunerin. – »Zu spät? O nein, nicht zu spät! Du kennst die wahre Liebe nicht. Sage mir, ob sie es weiß, daß du heute mit mir gesprochen hast!« – »Nein, ich habe ihr noch nichts gesagt.« – »So weiß sie auch nicht, daß ich mich jetzt im Palais befinde?« – »Sie weiß es nicht« – »Darf ich zu ihr gehen?« – »Sie wird diese Überraschung wohl aushalten, wenn ihr nicht böse mit ihr redet, Señor.« – »Ich werde kein hartes Wort über meine Lippen gehen lassen.« – »So kommt. Ich werde Euch führen.«

Zarba erhob sich und geleitete Sternau über einen Korridor, auf dem ihnen kein Mensch begegnete, nach einer Tür, auf die sie mit dem Finger deutete.

»Hier ist es«, sagte sie, »tretet ein.«