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Satan und Ischariot II

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»Der große Geist hat es so gewollt. Er ließ einen so tiefen Schlaf über uns kommen, daß wir weder sahen noch hörten.«

»Das ist die Ansicht meines roten Bruders. Ich bin anderer Meinung. So oft ein Fehler von mir geschehen ist, habe ich niemals dem großen Geiste die Schuld gegeben, denn Manitou begeht keinen Fehler. Aber was vergangen ist, soll man als unvermeidlich betrachten und sich die beste Lehre daraus ziehen. Wissen die Krieger der Mimbrenjo, wo der »große Mund« sich jetzt befindet?«

»Nein; aber wir nehmen an, daß er auch hinauf nach Almaden ziehen wird. Als er uns entflohen war, habe ich mich beeilt, frische Pferde und Krieger zu holen, um ihn wieder zu fangen; diejenigen welche ich bei mir hatte, mußten ihn augenblicklich verfolgen. Sie werden hinter ihm her sein, und wenn ich mit diesen neuen Kriegern dazukomme, wird er sich zwischen zwei Haufen befinden, welche ihn erdrücken.«

»So hast du klug und umsichtig gehandelt. Deine erste Schar wird ihm die Herden, welche er sich holte, inzwischen wieder abgenommen haben. Uebrigens kann ich dir sagen, daß er sich nicht weit von hier befindet, am nördlichen Ausgange des Thalkessels, in welchem wir lagern.«

»So müssen wir hin, um ihn anzugreifen!«

»Uebereile dich nicht! Du mußt erst wissen, was geschehen ist und wie die Dinge jetzt stehen.«

Ich hatte nicht Zeit zu einem langen, ausführlichen Berichte und erzählte ihm also in Kürze, aber so, daß er alles erfuhr, was seit meiner Trennung von ihm vorgekommen war.

Seine Leute drängten sich herbei und lauschten atemlos. Obgleich ich nur Umrisse geben und keinerlei Malerei bringen konnte, ließ er doch von Zeit zu Zeit einen Ausruf des Erstaunens hören, und als ich fertig war, rief er aus:

»Nicht ganz fünfzig unserer Krieger haben das vollbracht! Hört ihr es, nicht ganz fünfzig! Und meine Knaben waren auch dabei!«

Ich hatte bei meinem Berichte weder von Winnetou noch von mir im einzelnen gesprochen, sondern stets das Fürwort »wir« gebraucht. Dadurch wurde allerdings die Vorstellung erweckt, daß einer ganz denselben Ruhm zu beanspruchen habe wie der andere.

»Also der Häuptling »listige Schlange« lagert jetzt da draußen im Thale mit dreihundert Kriegern und unsern Brüdern?! Welch ein Zufall! Hättest du nicht Frieden mit ihnen geschlossen, so wären mit Tagesanbruch alle ihre Skalpe unser Eigentum!«

»Ich hoffe, daß ihr den Vertrag respektiert, den wir mit der »listigen Schlange« abgeschlossen haben. Euer Verlangen nach Skalpen wird vielleicht auf andere Weise erfüllt werden.«

»Wie?«

»Ich habe dir doch gesagt, daß der »große Mund« sich auch in der Nähe befindet. Zwar habe ich ihn noch nicht gesehen, aber er wird und muß es sein. Er wird in Zorn entbrennen, wenn er hört, daß die »listige Schlange« Freundschaft mit uns geschlossen hat, und ich denke, daß er sich weigert, dem Vertrage beizutreten. Dann kommt es unbedingt zum Kampfe.«

»Was denkt mein weißer Bruder, daß die »listige Schlange« dann thun wird?«

»Dieser Krieger ist ehrlich; er wird sein Wort gewiß halten. Aber von den dreihundert Männern, welche bei ihm sind, ist es nicht auch so gewiß, daß sie sich aller Falschheit enthalten werden. Wenigstens vermute ich in Beziehung auf die vierzig Mann, welche wir an der Fuente und den andern Posten festgenommen haben, daß sie deshalb heimliche Rachepläne gegen uns hegen. Man muß abwarten, was geschieht.«

»Nein, nicht abwarten, sondern ihnen zuvorkommen sollte man!«

»Mute mir das nicht zu! Eines Treubruches soll man Old Shatterhand und Winnetou niemals zeihen!«

»So sage, was zu geschehen hat! Sollen wir gleich jetzt mit hinüber nach euerm Lager reiten?«

»Nein. Ich will erst hören, was Winnetou sagt, der den »großen Mund« beschlichen hat. Da letzterer auch Kundschafter senden wird, so ist es besser, du schickst keinen Späher mehr hinüber, denn dieser könnte von dem Späher des Feindes gesehen werden.«

»Wie aber erfahre ich, was geschehen soll?«

»Durch einen Boten, den ich dir sende. Er wird zirpen, wenn er in eure Nähe kommt, und du wirst gewissenhaft das thun, was ich dir durch ihn sagen lasse. Mag es kommen, wie es will, wir sind den Yumas überlegen. Haben sie auch mehr Krieger als wir, so besitzen wir Schießwaffen, von denen sie nur wenige haben, und bei uns giebt es einzelne Männer, von denen jeder es mit zehn und noch mehr Feinden aufnimmt. Jetzt gehe ich. Haltet euch bereit!«

Ich ging. Als ich wieder in das Lager kam, war Winnetou schon da, obgleich er weiter zu gehen gehabt hatte, als ich. Ja, ich erfuhr, daß er noch viel weiter gegangen war, als ich dachte. Wir legten uns abseits nebeneinander, um nicht gehört zu werden, und ich sagte ihm, welchen Erfolg ich gehabt hatte. Als ich ihn dann nach dem seinigen fragte, antwortete er:

»Winnetou hat erst den »großen Mund« mit seinen Kriegern gesehen und dann auch die Mimbrenjos, die ihm folgen.«

»Was?« fragte ich, im höchsten Grade überrascht. »Sind sie schon hier? Sind sie ihm so nahe?«

»Old Shatterhand weiß, daß sie hinter ihm her sind?«

»Ja; der »starke Büffel« sagte es mir. Er sandte, als die Yumas ihm entwischt waren, die Mimbrenjos hinter ihm her und eilte fort, um neue Krieger und neue Pferde zu holen. Hast du sie nur gesehen, oder auch mit ihnen gesprochen?«

»Gesprochen. Ich kam in das Thal und beschlich die Leute, welche sich dort befanden. Es war der »große Mund«. Als ich hinter einem Felsen lag, huschte ein anderer vorüber, welcher sie auch belauschen wollte. Ich hielt ihn fest. Er mußte, da er sich ihnen nicht zeigte, ein Feind von ihnen sein; darum nannte ich ihm meinen Namen. Da freute er sich und teilte mir mit, daß die Mimbrenjoschar, zu welcher er gehöre, am Nachmittage dem »großen Munde« ganz nahe gefolgt sei und nur tausend Schritte entfernt liege, um über ihn herzufallen. Ich ließ mich hinführen und sprach mit ihnen.«

»Was hast du ihnen geboten, daß sie thun sollen?«

»Sie sollen ihn nicht überfallen, sondern ruhig liegen bleiben, bis ich entweder selbst komme, oder ihnen einen Boten sende. Dann eilte ich zurück, um mit dir darüber zu sprechen.«

»Das war das Richtige. Wir müssen nun unser Verhalten ganz nach demjenigen des »großen Mundes« richten. Ist er zur Freundschaft geneigt, so soll es mich freuen, wo nicht, so mag er erfahren, daß wir ihn nicht fürchten.«

»Er wird den Frieden nicht anerkennen. Du hast seinen Sohn getötet. Selbst wenn er den Mimbrenjos die Hand zur Versöhnung bieten wollte, dir würde er sie verweigern.«

»Zu seinem eigenen Schaden, denn er wird, wenn der Tag anbricht, sehen, daß er rings umschlossen ist. Ich schlage vor, daß du noch einmal – —«

Ich wurde durch einen lauten Ruf unterbrochen, welcher sich in einiger Entfernung von uns hören ließ. Dort trat nämlich ein Indianer aus den Büschen und ging unter frohen Ausrufungen auf »listige Schlange«, welche am Wasser lag, zu. Der Mann war ein Kund- Kundschafter des »großen Mundes«, der ihn abgeschickt hatte, um zu erfahren, wer wir seien. Als er gesehen hatte, daß die meisten Anwesenden Yumas waren, kam er aus den Sträuchern, in denen er steckte, hervor, um den Häuptling zu begrüßen. Beide sprachen einige Zeit miteinander und kamen dann auf uns zu; deshalb standen wir auf. Der Kundschafter betrachtete uns mit finsterem Blicke. »Listige Schlange« sagte:

»Der Krieger der Yumas meldet mir, daß der »große Mund« hier angekommen ist und wissen will, wer hier am Wasser liegt. Da er der oberste Kriegshäuptling unsers Stammes ist, muß ich ihn einladen, mit seinen Kriegern hierher zu kommen. Was sagen meine beiden Brüder dazu?«

»Hast du dem Kundschafter gesagt, daß wir Frieden geschlossen haben?« antwortete Winnetou.

»Ja.«

»Wir wissen, daß du dein Wort halten wirst, und müssen nun erst hören, ob der »große Mund«, dir zustimmt. Bis wir dies erfahren, müssen wir vorsichtig sein. Er mag mit seinen Leuten kommen und sich mit ihnen hier an das Wasser setzen. Die eine Hälfte desselben, bis zur großen Buche da, wo du gelegen hast, soll ihm und ihnen, die andere aber uns gehören. Wer über die Buche hinausgeht, wird erschossen. Brennt ein Feuer da drüben auf seiner Hälfte an, damit er sich gut umschauen kann! Ich habe gesprochen.«

»Listige Schlange« gab dem Boten noch einige Erläuterungen, schickte ihn fort und versicherte uns dann:

»Mag der »große Mund« beschließen, was er will, meiner seid Ihr sicher!«

»Deiner Krieger auch?«

»Der meisten von ihnen. Mit diesen würde ich, wenn der »große Mund« Euch angreifen sollte, für Euch kämpfen.«

»So rufe, um zu erfahren, woran du bist, deine Leute alle zusammen und frage sie! Wir möchten die Antwort bald hören.«

Die Lage war jetzt eine höchst interessante und gespannte. Man denke sich einen kleinen See von vielleicht zweihundert Schritten Durchmesser, an dessen Südseite in der Mitte die erwähnte Buche stand. Die nach West gelegene Hälfte des Sees und der Ufer hatte Winnetou also den Yumas angewiesen; auf der andern, östlich von der Buche gelegenen Hälfte wollten wir bleiben. Hüben bei uns brannte das Feuer, welches ursprünglich angezündet worden war; drüben wurde jetzt ein zweites angebrannt. Warum der kluge, umsichtige Winnetou dies angeordnet hatte, wird sich bald zeigen. Die Yumas zogen sich nach drüben zurück; wir, das heißt Winnetou, ich, die Deutschen und die Mimbrenjos, blieben hüben. Die Lage war für uns nicht ganz ungefährlich. Drüben dreihundertvierzig Yumas, zu denen bald der »große Mund« mit seinen Leuten kommen mußte, hüben bei uns die paar Mimbrenjos und die Weißen, welche nur notdürftig bewaffnet waren und Frauen und Kinder bei sich hatten! Aber wir wußten die Helfer hinter uns.

Zunächst galt es, sich unserer Pferde zu versichern, was gar nicht auffallen konnte, da dies ganz selbstverständlich war. Jeder holte also schnell sein Pferd; die Weißen hatten keine. Als wir die Tiere jenseits der Bäume, wo es dunkel war, zusammengebracht hatten, sagte der Apatsche:

 

»Old Shatterhand wird einige Leute nehmen, um mit ihnen die Pferde hinüber ins Thal zu dem »starken Büffel« zu bringen und kann in einer Viertelstunde wieder hier sein. Eher kommt der »große Mund« nicht. Zu den Mimbrenjos, welche hinter diesem auf der Lauer liegen, sende ich einen Boten. Der »starke Büffel« mag die Pferde unter Bewachung im Thale lassen und, sobald der »große Mund« hierhergekommen ist, sich auch nähern. Er wird dabei auf den andern Haufen der Mimbrenjos treffen, welche mein Bote bringen wird, und mit den Leuten den ganzen See umstellen; sie müssen aber ihre Pferde zurücklassen und sich ruhig verhalten. Wir müssen ihnen ein Zeichen geben, welches nicht mißverstanden werden kann. Nehmen wir das Kriegsgeheul der Sioux. Sobald ich dies ausstoße, ziehen sich alle Mimbrenjos von außen her gegen das westliche Ufer zusammen, wo sich der »große Mund« befindet, und werfen sich auf diesen und seine Leute; denn wir und diejenigen Yumas, welche es mit uns halten, werden uns auf der östlichen Seite befinden. Ertönt aber das Kriegsgeheul nicht, so ist Friede und sie haben bis Tagesanbruch rund um den See und die Bäume liegen zu bleiben.«

Einen besseren Plan gab es nicht. Ich brauchte, um die Pferde fortzuschaffen, sechs oder sieben Mimbrenjos, bei denen sich auch die beiden jungen Brüder befanden, die freudig verwundert waren, als ich ihnen sagte, daß sie ihren Vater sehen würden. Als wir bei demselben ankamen und ich ihm die Lage der Sache erklärt hatte, wollte er sie nicht zurückkehren lassen; aber sie sträubten sich so lange gegen seinen Willen, bis er nachgab. Den Rückweg mußten wir natürlich zu Fuß machen.

Die Yumas ahnten nicht, daß unsere Pferde fort waren; sie glaubten, wir hätten sie nur herüber auf unsere Seite geholt. Wir befanden uns natürlich in der größten Spannung. Von großer Wichtigkeit war es, daß der Bote, den Winnetou fortgeschickt hatte, von den Leuten des »großen Mundes« nicht gesehen wurde und seine Botschaft auch richtig ausrichtete.

Das neue Feuer jenseits der Buche brannte jetzt hell, während das unserige immer kleiner wurde. Winnetou wollte es ausgehen lassen. Letzterer hatte sich vom See entfernt, um ein Stück nordwärts vorzugehen und zu beobachten. Der »große Mund« konnte auf den Gedanken kommen, die Verabredung nicht zu beachten und gleich über uns herzufallen. Diese Absicht mußte der Apatsche bei der Annäherung der Yumas erkennen, und wir konnten uns bei Zeiten darnach richten.

So verging die Zeit, bis wir das Getrappel zahlreicher Pferde und dann auch Menschenstimmen hörten. Zugleich kehrte Winnetou zu uns, die wir vorsichtig hinter Bäumen standen, zurück und meldete.

»Der »große Mund« ist da; er thut, was ich vorgeschlagen habe, und wird sogleich drüben erscheinen.«

Das Stimmengewirr währte nur kurze Zeit, bis jeder sich seines Pferdes entledigt hatte; dann begann es drüben auf der gegnerischen Seite des Sees von Yumas zu wimmeln. Von uns aber war keiner zu sehen, da wir es vorzogen, unter dem Schutze der Bäume zu bleiben und unser Feuer immer tiefer brannte. Drüben hingegen aber war es so hell, daß wir den »großen Mund« deutlich erkannten, als er aus den Büschen trat und von der »listigen Schlange« begrüßt wurde. Er schien den Unterhäuptling seinen Zorn hören zu lassen, denn seine Stimme klang überlaut zu uns herüber, wenn wir auch die Worte nicht deutlich verstehen konnten. Der andere aber verteidigte sich; wir hörten auch ihn sprechen, und zwar in einem kräftigen, energischen Tone, dem es anzuhören war, daß die Schlange ihre Handlungen mit ganz besonderem Nachdrucke vertrat.

Indessen kam der Bote Winnetous zurück. Er war nicht bemerkt worden, hatte die Mimbrenjos gefunden und herbeigeführt; dieselben waren dabei auf die neue Schar des »starken Büffels« gestoßen und hatten, mit dieser vereint, einen weiten Ring von Menschen und Gewehren um das Grün des Sees gezogen, sodaß die Yumas eingeschlossen waren. Jetzt konnten wir das Kommende getrost erwarten, denn es mußte günstig für uns ausfallen.

Drüben hatten sich die beiden Häuptlinge in der Nähe des Feuers niedergesetzt und ihre ältesten Krieger um sich versammelt. Es sollte beraten werden. Wir hatten Zeit, zu warten. Dem »starken Büffel« aber wurde die Zeit zu lang. Anstatt draußen bei seinen Mimbrenjos zu bleiben, kam er herbeigeschlichen, um zu erfahren, ob Krieg oder Friede zu erwarten sei. Ich zankte ihn tüchtig aus und jagte ihn fort, denn wenn sein bekanntes Gesicht von den Yumas gesehen wurde, mußten sie erwarten, daß er nicht allein gekommen war. Und das sollten sie nicht wissen.

Die Beratung dauerte wohl zwei Stunden; es ging sehr heftig bei derselben her. Dann sahen wir, daß die »listige Schlange« drüben aufstand. Er kam zu uns herüber. Er wollte es nicht sehen lassen, daß er sich geärgert hatte, aber seine Augen blitzten, wie es oft noch lange nach einem Gewitter wetterleuchtet.

»Meine Brüder sollen hinüberkommen, um zu hören, was beschlossen worden ist,« meldete er.

»Das kannst du uns hier ja sagen!« warf ich ein.

»Ich soll nicht; der »große Mund« will es selbst sagen.«

»Dagegen haben wir nichts; er mag herüberkommen.«

»Haben meine Brüder Mißtrauen?«

»Natürlich!«

»Mir könnt ihr vertrauen, wenn auch dem »großen Munde« nicht.«

»Wieviel deiner Leute halten zu dir?«

»Der Hälfte bin ich sicher. Die andern hat mir der Zorn des »großen Mundes« abspenstig gemacht.«

»Meinst du, daß es zum Kampfe kommt?«

»Ja, wenn ihr nicht auf die Vorschläge des »Mundes« eingeht,«

»Wir sind bereit, sie zu hören, aber nachlaufen werden wir ihm nicht, zumal wir ihn nicht für einen ehrlichen Mann halten.«

»Herkommen will er auch nicht!«

»So mag er drüben sitzen bleiben, bis er klüger wird, worüber allerdings der Sommer und Winter gar viele vergehen können! Sage ihm das!«

Dieser Bescheid war ihm sehr unlieb. Man sah ihm das an; er sann nach und kam dann auf das Auskunftsmittel:

»Würdet ihr zur Hälfte gehen, wenn er zur Hälfte kommt?«

»Ja. Wir wollen uns dort unter der Buche treffen, doch ohne Waffen. Ich komme mit Winnetou, und er bringt dich mich. Von jeder Seite zwei; mehr dürfen es nicht sein.«

Er ging hinüber und stritt sich eine Viertelstunde mit dem »großen Munde« herum; dann kam er wieder, um uns zu sagen, daß derselbe bei seiner hohen Würde unmöglich zu zweien kommen könne; er müsse wenigstens sechs Begleiter haben.

»Zwei von hüben und zwei von drüben, mehr nicht. Sage ihm das! Wir gehen nicht davon ab und wenn ihm das nicht gefällt, so mag er sehen, was geschieht.«

Die »Schlange« mußte noch zweimal hin und her, ehe sich der Alte entschloß, nachzugeben. Dann kam er mit ihm nach der Buche geschritten, unter welcher sie sich niedersetzten. Ohne Waffen, war ausgemacht; man weiß aber, daß selbst auch dann der Indianer wenigstens ein Messer in irgend einer Falte verborgen hat; darum behielten wir, als wir hingingen, jeder einen Revolver bei uns. Um einem Hinterhalte zu begegnen, hatten wir unsere Vorsichtsmaßregeln getroffen.

Der »große Mund« nahm uns mit haßerfüllten Blicken in Empfang, und als ich mich bei ihm niederließ, zog er den Zipfel der Decke, in welche sein Oberkörper gehüllt war, rasch an sich, damit derselbe ja nicht mit mir in Berührung kommen möchte. Dann sah er finster vor sich nieder. Er mochte denken, daß wir zu beginnen hätten; aber wir wollten ihm infolge seiner »großen Würde« den Anfang machen lassen und schwiegen also ebenso hartnäckig wie er. Von Zeit zu Zeit hob er den Kopf, um uns mit einem dolchähnlichen Blicke zu durchbohren; als wir uns aber weder durchbohren noch zum Reden bringen ließen, fuhr er uns, da er sich nicht länger halten konnte, ganz plötzlich und unerwartet an:

»Meine Ohren sind offen, also redet!«

Winnetou sagte nichts, und ich sagte nichts. Darum kam nach einiger Zeit die Drohung hervorgepoltert:

»Wenn ihr nicht redet, laß ich auf euch schießen!«

Da deutete Winnetou nach unserer Seite hinüber, welcher der Alte den Rücken zukehrte; er drehte sich um und sah sämtliche Mimbrenjos, die sich bei uns befanden, auf der Erde mit ihren Gewehren im Anschlage liegen.

»Uff! uff! Was ist das?« rief er aus. »Wollt ihr mich erschießen lassen!«

»Nein,« antwortete der Apatsche. »Die Gewehre sind so lange auf dich gerichtet, bis wir uns wieder dort bei unsern Kriegern befinden; mehr brauche ich dir nicht zu sagen.«

Es ist keineswegs angenehm, zu wissen, daß man einen Rücken hat, auf den über vierzig geladene Gewehre gerichtet sind. Es braucht nur ein Finger sich ein wenig zu fest an den Drücker zu legen, so ist das Unheil geschehen. Man sah es dem »großen Munde« deutlich an, daß er sich von jetzt an nicht allzusehr behaglich fühlte. Um die ängstliche Situation abzukürzen, versuchte er nun nicht mehr, uns zum Reden zu bringen, sondern ging uns mit gutem Beispiele voran, indem er drolligerweise behauptete:

»Winnetou und Old Shatterhand sind in meine Hände geraten; der heutige Tag wird ihr letzter sein!«

Der Apatsche forderte mich durch einen stillen Blick auf, zu antworten; darum entgegnete ich:

»Und der »große Mund« ist uns in das Netz gegangen; er wird noch in dieser Stunde geschlachtet werden! Soll dieser Tag unser letzter sein, so schicken wir dich voran!«

»Zählt eure Männer und zählt die unserigen! Wer ist dem andern überlegen?«

»Winnetou und Old Shatterhand zählen niemals ihre Gegner. Ob einer oder zehn, ist ihnen gleich. Der »große Mund« mag zählen!«

»Wir werden euch erdrücken!«

»Wurden wir in Almaden erdrückt, wo über dreihundert gegen vierzig waren?«

»Da war ich nicht dabei und werde es genau untersuchen. Wer als Feigling handelt, wird aus der Reihe der Krieger gestoßen.«

Das ging gegen »listige Schlange«, welche sofort zornig ausrief:

»Wer ist feig? Verbünde dich nicht mit Verrätern, so kommen deine Krieger nicht in die Gefahr, mutlos zu erscheinen!«

»Schweig! Ich werde mit Melton sprechen und von ihm erfahren, was geschehen ist und wer die Schuld an allem trägt.«

»Du wirst nicht mit ihm sprechen! Das Bleichgesicht gehört mir und niemand darf ohne meine Erlaubnis mit ihm sprechen!«

»Auch ich, dein Häuptling nicht?«

»Nein. Du bist mein Häuptling nicht. Du bist ein Häuptling wie ich, und weil du der ältere bist, ist dir von den Stämmen der Yumas der Befehl übertragen worden; aber keiner braucht, wenn er nicht will, dir zu gehorchen. Darüber, daß du mich einen Feigling nennst, mag die Beratung der Aeltesten entscheiden; sagst du es aber noch einmal, so steche ich dich augenblicklich nieder!«

Er sprach die Drohung in solcher Erregung aus, daß anzunehmen war, er werde sie zur Wahrheit machen. Jetzt hatte der Alte sogar von seinem eigenen Stammesgenossen einen kräftigen Hieb empfangen, that aber so, als ob er ihn nicht gefühlt habe, und wendete sich von der »Schlange« ab zu mir:

»Ich wiederhole, daß ihr in meine Gewalt geraten seid. Alle, die sich bei euch befinden, sind verloren. Es giebt nur eine einzige Möglichkeit, sie zu retten, du lieferst dich und einen Sohn des »starken Büffels« an uns aus, damit ihr an dem Marterpfahle sterbt.«

»Wenn ich das thue, welche Folgen hat es für meine Genossen?«

»Sie können weiterziehen, ohne daß wir sie mit dem Finger berühren.«

»Warum soll gerade ich es sein?«

»Weil du meinen Sohn erschossen hast.«

»Und warum einer der beiden Knaben?«

»Weil sie schuld waren, daß du ihn erschossest. Ich habe gehört, daß der eine sich Yurnatöter nennt?«

»Ich selbst habe ihm den Namen gegeben, und ich hoffe, daß sein Bruder bald einen ähnlichen tragen wird.«

»Damit deine Hoffnung zu Schanden wird, verlange ich gerade diesen Knaben, obwohl ich erst den Yumatöter fordern wollte.«

»Was forderst du noch?«

»Alles, was deine Gefährten bei sich tragen, auch ihre Pferde und Winnetous Pferd und Silberbüchse.«

»Höre, mein geliebter roter Bruder, ich gestehe, daß ich mich in dir geirrt habe, denn ich habe dich bisher für einen Dummkopf gehalten, nun sehe ich ein, daß du ein pfiffiger alter Onkel bist. Aber nun frage uns doch auch einmal, was wir wollen.«

»Ihr? Was könntet ihr wollen?«

»Zunächst dich, der sich mit Melton gegen meine weißen Brüder, die jetzt bei mir sind, verbündet hat. Auch hast du die Hazienda del Arroyo niedergebrannt, weshalb ich auch ein Wort mit dir zu sprechen habe. Also dich wollen wir; dann können deine Leute weiterziehen, ohne daß wir sie anrühren.«

Da fuhr er mich an:

»Hat dir ein Geier den Verstand aus der Hirnschale gefressen? Wie könnt ihr Forderungen stellen, da ihr euch in meiner Hand befindet!«

 

»So ist alles Reden unnütz. Du denkst, du hast uns, und wir denken, wir haben dich. Die Beratung ist zu Ende.«

Dabei stand ich auf. Da rief er:

»Halt, noch sind wir nicht fertig! Hört noch ein Wort: Wenn ich in einer Viertelstunde nicht den Knaben und Old Shatterhand ausgeliefert bekommen habe, fallen wir über euch her und vernichten euch bis auf den letzten Mann!«

Winnetou war zu stolz, ihm darauf noch zu antworten, und mir fiel es auch nicht ein. Da aber stand der andere Häuptling auch auf und erklärte dem Alten:

»Ich bin »Listige Schlange« und habe noch nie mein Wort gebrochen; ich werde auch den Vertrag halten, den ich mit diesen Männern abgeschlossen habe.«

Da sah ihn der Alte groß an und fragte:

»Wie willst du ihn halten, wenn ich ihn für ungültig erkläre?«

»Das kannst du nicht. Ich bin‘s, der ihn abgeschlossen hat, und ich bin‘s, der zu sagen hat, ob er gelten soll oder nicht.«

Da stampfte der Alte, der sich auch erhoben hatte, mit dem Fuße auf den Boden und schrie:

»Und ich befehle aber, daß er nichtig ist! Wer wagt es, sich gegen den »großen Mund« zu empören?«

»Ich, die »listige Schlange«, wage es. Meine Krieger habe alle mit meinen Freunden das Kalumet geraucht, das Kalumet, dessen Thon ich unter vielen Gefahren und allen frommen Gebräuchen aus den heiligen Steinbrüchen geholt habe. Jeder Stoß des Rauches ist ein Schwur, welcher gehalten werden muß, und wer einen solchen Schwur bricht, kann nie in die ewigen Jagdgründe gelangen, sondern irrt als Schatten vor den Thoren derselben umher.«

Er hatte diese Worte so laut gerufen, daß sie weithin zu vernehmen waren. Der »große Mund« fragte nun ebenso laut:

»Du nennst die Fremden also deine Freunde? Willst du sie etwa beschützen?«

»Ja. Wenn sie angegriffen werden, verteidige ich sie mit meinem Blute und mit meinem Leben!«

»Gegen mich und meine Krieger, die deine Brüder sind?«

»Wer mich zwingen will, meinen Schwur zu brechen und mein Kalumet zu entweihen, der ist mein Bruder nicht mehr, der beleidigt mich und beschimpft alle Männer meines Stammes. Hört es, ihr Krieger, deren Anführer ich bin! Der »große Mund« hat uns Feiglinge genannt. Wollt ihr das dulden? Er verlangt von uns, unsere Kalumets zu zerbrechen, welche das Kostbarste sind, was wir besitzen. Er fordert, daß wir unsere heiligen Medizinen durch Meineide beschimpfen. Wollt ihr ihm gehorchen?«

Tiefe Stille war die Antwort. Kein Ja und kein Nein ließ sich hören. Da fuhr er fort:

»Hier steht Winnetou, und hier steht Old Shatterhand. Habt ihr gehört, daß einer von ihnen jemals sein Wort gebrochen hat? Sollen sie von uns sagen, daß wir Lügner sind? Old Shatterhand hat mich aus dem Schachte geholt, in welchem ich verschmachten sollte; er that es, obgleich ich sein Feind war; soll ich nun zum Verräter an ihm werden, obgleich ich sein Freund bin? Soll euer Anführer ein Lügner sein oder ein ehrlicher Mann, auf dessen Wort ihr euch verlassen könnt? Entscheidet euch! Ich gehe jetzt mit Winnetou und seinem weißen Freunde. Wer ein ehrlicher Mann und ein tapferer Krieger ist, der mag herüber zu uns kommen; aber wer die Lüge liebt und es duldet, ein Feigling genannt zu werden, der mag drüben bei dem »großen Munde« bleiben. Ich habe gesprochen, und ihr mögt nach meinen Worten handeln. Hat der »große Mund« eine Rache gegen Old Shatterhand, so mag er selbst sie mit ihm auskämpfen, wenn er Mut besitzt. Ich habe gesprochen, und ihr habt es gehört. Howgh!«

Er nahm mich bei der Linken und Winnetou bei der Rechten und ging mit uns nach unserer Seite herüber. Die Wirkung war eine überraschende, eine weit bessere, als ich erwartet hatte, denn seine Leute folgten ihm alle; ich glaube nicht, daß einer fehlte. Das war wohl die Folge davon, daß der Alte ihn einen Feigling genannt hatte.

Der »große Mund« stand wie versteint, als er dies sah; er starrte eine ganze Weile zu uns herüber, drehte sich dann um und kehrte zu seinem Feuer zurück, an welchem er sich bei den Aeltesten niederließ. Während bei uns tiefes Schweigen herrschte, ging es drüben lebhaft her. Man sah den erregten Mienen und Bewegungen der Alten an, daß sie sich Mühe gaben, den »großen Mund« zu irgend etwas zu bewegen, wozu er keine Lust hatte. Das dauerte wohl über zwei Stunden lang; dann kam einer der alten Krieger langsam nach der Buche geschritten, blieb dort stehen und rief mit lauter Stimme:

»Hört es, ihr Krieger der Yumas und der Mimbrenjos: Hier steht der »lange Fuß«, welcher viele Sommer und Winter durch das Leben geschritten ist und sehr wohl weiß, was ein tapferer Krieger in jeder Lage zu thun hat. Der »große Mund«, der berühmte Häuptling der Yumas, hat seinen Sohn, den »kleinen Mund«, durch die Kugel Old Shatterhands verloren. Dies Blut muß gerächt werden. Old Shatterhand hat ihm den Arm zerschossen; auch das muß gerächt werden. Hört weiter, ihr Krieger! Bei Old Shatterhand befindet sich ein Mim- Mimbrenjoknabe, welcher Yumatöter genannt worden ist. Diese Beleidigung des ganzen Stammes kann nur mit dem Tode gesühnt werden. Wir müßten Old Shatterhand und den Knaben töten, wo wir sie immer finden. Aber sie haben die Friedenspfeife mit den Kriegern der »listigen Schlange« geraucht und sind also deren Brüder geworden; darum dürfen wir sie nicht töten, sondern ihre Thaten müssen im offenen Zweikampfe gerächt werden. Wir sind die Beleidigten und bestimmen also, mit welchen Waffen und in welcher Weise gekämpft werden soll. Da der »große Mund« einen verwundeten Arm besitzt und nicht zu kämpfen vermag, so muß ein anderer für ihn kämpfen; dafür erlauben wir auf der andern Seite dem Yumatöter, daß er seinen kleinen Bruder für sich kämpfen lassen kann. Wer an die Stelle des »großen Mundes« treten will, der mag sich bei uns melden!«

Nach dieser höchst eigentümlichen Verkündigung kehrte er zum Feuer zurück. Es war also Zweikampf beschlossen worden, ohne daß man mich vorher gefragt hatte, ob ich einverstanden sei. Die Roten wollten auch die Waffen und die Kampfweise bestimmen, ohne daß ich etwas dazu zu sagen hatte. Daß der Bruder des Yumatöters für diesen eintreten durfte, das hatte jedenfalls der alte Häuptling bestimmt.

Die Wirkung dieser obrigkeitlichen Bekanntmachung war bei mir die, daß ich nach dem »starken Büffel« schickte und ihn kommen ließ. Da ich aber wünschte, daß er von den zu uns übergegangenen Yumas noch nicht erkannt werde, ließ ich ihn nach einer ganz im tiefen Schatten liegenden Stelle bringen, wo man sein Gesicht gar nicht, seine Figur nicht deutlich sehen und ihn leicht für einen andern halten konnte. Als ich mich nach einiger Zeit nach der Stelle begab, lag er schon wartend da. Ich erzählte ihm, was sich ereignet hatte. Ich war der Meinung gewesen, daß er als Vater erschrecken werde; er aber sagte im ruhigsten Tone von der Welt:

»Das also war die laute Stimme, welche wir sprechen hörten! Sie drang zu uns hinaus, doch konnten wir die Worte nicht vernehmen.«

»Ich habe dich kommen lassen, um zu erfahren, ob dein Sohn die Forderung annehmen soll.«

»Natürlich soll er es! Darf ein Mimbrenjo von sich sagen lassen, daß er sich vor einem Yuma gefürchtet habe?«

»Aber deine Söhne sind noch so jung. Man wird ihm einen kräftigen und gewandten Gegner stellen!«

»Desto schlimmer für die Yumas, denn wir dürfen dann von ihnen sagen, daß sie feig sind, daß ihre erwachsenen Krieger mit Knaben kämpfen und von ihnen besiegt werden.«

»Bist du des Sieges so gewiß?«

»Kein Yuma besiegt einen meiner Knaben!«

»Und welcher soll kämpfen? Der Yumatöter oder sein Bruder?«

»Sein Bruder, damit er auch einen Namen bekommt.«

»Aber bedenke, daß er sich die Waffe und die Fechtweise, welche gewählt wird, gefallen lassen soll!«

»Meine Knaben haben alles gelernt; ich habe keine Sorge um sie, und daß sie dich und Winnetou begleitet haben, ist von großem Vorteile für sie gewesen. Aber wirst auch du die Forderung annehmen?«

»Kann ich anders? Wenn sie von einem Knaben angenommen wird, so darf Old Shatterhand doch nicht weniger mutig sein.«