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Satan und Ischariot II

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Der Juriskonsulto stand mit dem Haziendero in seiner unmittelbaren Nähe; der erstere war, wie schon erwähnt, ganz lächerlicherweise bis an die Zähne bewaffnet, auch mit einem Revolver, und der Haziendero trug auch einen solchen in seinem Gürtel. Mit einem schnellen Griffe bekam der Athlet diese beiden Waffen in seine Hände, richtete die eine auf Judith, die andere gegen seinen eigenen Kopf und drückte ab. Die meisten der Anwesenden schrieen vor Entsetzen auf. Ich hatte so eine Wendung der Scene mit in die Berechnung gezogen und mich sprungfertig gehalten. Daß er die Revolver bekam, konnte ich nicht verhindern; aber als er sie gegen sich und das Mädchen richtete, stand ich schon bei ihm und griff zu. Ich konnte nur seinen rechten Arm erlangen, welchen er nach Judith ausgestreckt hielt und schlug denselben in die Höhe, sodaß die Kugel über die Köpfe der Umstehenden hinwegflog. Er schoß mit dieser Hand noch ein zweites Mal und die Kugel nahm dieselbe Richtung; dann begann er zu schwanken, denn während es mir gelungen war, Judith zu beschützen, hatte er sich mit der Linken zwei Schüsse in die Schläfe gegeben. Seine Arme sanken herab; er drehte sich halb herum, und ich fing ihn in den Armen auf; seine Augen schlossen sich.

»Ruhig, ruhig!« brachte er noch hervor; dann war es mit seinem Leben und mit seiner unglückseligen Liebe zu Ende.

Ich ließ ihn langsam niedergleiten und vermag nicht zu sagen, was ich dabei in meinem Innern empfand. Es erklangen alle zornigen und klagenden, alle tiefen und hohen Saiten desselben. Der Tote war ein charakterloser Schwächling, aber ein treuer und auch sonst guter Mensch gewesen, und die Untreue und Gefallsüchtigkeit der Jüdin hatte ihn erst in die Fremde und sodann in den Tod getrieben. Sie hatte für mich kein einziges Wort des Dankes dafür, daß ich ihr das Leben gerettet hatte; sie hatte auch kein Wort der Klage, des Bedauerns für den armen Teufel, dessen Selbstmord sie verschuldete; sie nahm ihren Vater bei der Hand und sagte:

»Wie häßlich und wie dumm von ihm! Das konnte er gescheiter machen. Er konnte mit nach Texas gehen, oder, wenn er sich das Leben nehmen wollte, dies wo anders thun, wo niemand dabei war. Ich mag ihn nicht sehen. Komm!«

Sie zog ihn fort. Ich konnte es nicht über mich gewinnen, ruhig zu bleiben, und rief ihr voller Empörung nach:

»Ja, gehen Sie, verschwinden Sie! Ich mag Sie auch nicht mehr sehen. Und wenn Sie sich noch einmal von mir erblicken lassen, so vergesse ich, daß Sie ein Mädchen sind, und lasse Ihnen einen guten, starken Lasso auf den Rücken geben, um wenigstens dort Gefühl hervorzurufen, da Sie keines im Herzen haben, Sie stolze Königin der Yuma-Indianer!«

Sie nahm die Drohung auch wirklich ernst und hütete sich, mir, solange wir noch mit den Yumas zusammen waren, vor die Augen zu kommen. Aber als ich sie später in anderer Umgebung und unter andern Umständen als reiche und vornehme Dame wiedersah, schien sie meine Anweisung auf einige Dutzend Lassohiebe vollständig vergessen zu haben.

Alle seine übrigen Gefährten bedauerten von ganzem Herzen den Toten, den das Schicksal so schnell und unerwartet neben Weller als Leiche hingestreckt hatte. Die Roten hatten, da zwischen uns deutsch gesprochen worden war, dies nicht verstehen können und wußten also nicht, weshalb er sich das Leben genommen hatte. Als ihr Häuptling kam, um sich nach dem Grunde zu erkundigen, berichtete ich ihm:

»Judith hatte ihm versprochen, seine Squaw zu werden, und er ist ihr aus Liebe über das Meer gefolgt. Nun er aber hörte, daß sie die deinige werden will, hat er sich den Tod gegeben.«

Ach hörte doch, daß er auf sie geschossen hat?«

»Er wollte auch sie töten, weil er sie dir nicht gönnte.«

»Und du hast sie gerettet? Ich danke dir! Die Bleichgesichter sind sonderbare Leute. Kein Indianer tötet sich, wenn ein Mädchen sich weigert, seine Squaw zu werden, Entweder zwingt er sie dazu, indem er sie raubt, oder er lacht sie aus und nimmt sich eine bessere. Haben denn die Bleichgesichter gar so wenig Mädchen, daß sie eines jungen Gesichtes wegen den Verstand verlieren können? Ich beklage sie!«

Wir hatten während dieser aufregenden Vorkommnisse nicht auf den Player achten können. Jetzt sahen wir, daß er sich von der Umschlingung Wellers leidlich wieder erholt hatte. Er saß noch an der Erde und war von da aus Zeuge des Geschehenen gewesen. Nun stand er auf, kam langsam zu mir und erkundigte sich-

»Weller ist tot, wie ich sehe. Er wollte mich erwürgen; ich weiß, daß mir der Atem ausging; es muß mich jemand gerettet haben. Wer ist das gewesen, Sir?«

»Ich habe Euch Wellers Beine vom Halse genommen.«

»Konnte es mir denken, denn als ich zu ihm trat, sah ich, daß Ihr Besorgnis hegtet und zur Hilfe bereit standet. Ich werde es Euch nie vergessen, daß ich Euch das Leben zu verdanken habe!«

»Vergeßt das immerhin, dagegen aber vergeßt niemals das eine, daß Ihr mir versprochen habt, ein guter Mensch zu werden!«

»Dies Versprechen werde ich halten. Ich befürchte nur, daß der Haziendero und sein Jurist auf eine Bestrafung dringen werden.«

»Das mögen sie thun; ich gebe nichts darauf, und Ihr wißt ja, daß ich mir von ihnen keine Vorschriften machen lasse. Hier aufhalten dürft Ihr Euch freilich nicht lange, weil es sonst geschehen könnte, daß man Euch festnimmt und zwischen vier unbequem enge Wände sperrt.«

»Das denke ich auch. Am liebsten ginge ich mit hinüber nach Texas.«

»Ihr könnt ja mit uns gehen, denn ich hoffe, daß wir mit Euch nicht etwa Unehre einlegen.«

»Glaubt nichts Böses mehr von mir! Ich werde an Euch denken, und das hält mich gewiß von allen Dummheiten ab. Vielleicht finde ich bei einem der Leute, die Ihr hinüberführt, Arbeit. Aber sie sind freilich zu arm, sich anzukaufen und Arbeiter zu dingen.«

»O, sie sind vorsichtig gewesen und haben noch soviel übrig, daß es für ein Stück Land ausreicht. Euch werden sie nicht zurückweisen, da Ihr Yankee seid und Land und Leute kennt; da könnt Ihr ihnen von Nutzen sein. Zum Spielen aber dürft ihr sie keineswegs verleiten, denn wenn ich sie einmal besuchte und so etwas von Euch hörte, würde ich Euch ein wenig zwischen die Fäuste nehmen.«

»Habt da keine Sorge, Sir! Das Spiel ist mir widerwärtig geworden, sonst wäre ich nicht mit hierher gegangen, um mich zwischen Indianer in die Einöde zu vergraben. Das Geld ist zwar leicht gewonnen, aber noch schneller wieder verschwunden; arbeite ich jedoch, so ist mir jeder Dollar lieb, den ich verdiene, und ich wende ihn zehnmal um und gebe ihn dann erst recht noch nicht wieder aus.«

»Seht da, was Ihr für gute Ansichten entwickelt! Wenn Ihr an denselben festhaltet, werdet Ihr es bald zu etwas bringen.«

»Darauf schwöre ich. Wenn ich erst hundert Dollars habe, dann arbeite ich doppelt und dreifach eifrig, daß rasch zwei und dann dreihundert draus werden. Damit könnte man es schon wagen, sich eine kleine Farm zu pachten.«

»Hm! Ich möchte doch wissen, ob Ihr das Geld wirklich dazu anwenden würdet.«

»Ganz gewiß!«

»So will ich Euch einmal etwas sagen. Ich habe gerade dreihundert Dollars übrig, die ich nicht brauche und die ich auf meinen Fahrten nicht gern mit mir herumschleppen möchte. Könntet Ihr sie mir nicht abnehmen? Ich möchte sie Euch borgen.«

»Mir, dem Player, dreihundert Dollars borgen! Sir, das ist kühn!«

»O nein, denn wie ich Euch jetzt beurteile, bin ich überzeugt, daß Ihr sie mir wiedergebt.«

»Aber wenn ich dann, wenn Ihr sie gerade braucht, nicht zahlen kann? Angelegte Gelder lassen sich nicht jeden Augenblick flüssig machen.«

»So warte ich. Ich bin Prairieläufer und an keine Zeit, an keinen Ort gebunden. Ich reise auch in andern Ländern und könnte keinen Kündigungstermin einhalten. Machen wir die Sache kurz. Wollt Ihr das Geld geborgt haben?«

»Ich nehme es gern.«

»So sollt Ihr es ohne Kündigung haben. Ihr gebt es mir wieder, wenn es Euch paßt und ich zufällig bei Euch bin. Soll darin eine Aenderung eintreten, so werden wir uns leicht einigen. Sobald ich mit Euch über die Grenze komme, gebe ich Euch das Geld, und Ihr pachtet irgend ein Anwesen. Bin ich dann einmal wieder im Lande, so besuche ich Euch, und wir werden dann sehen, ob ich das Geld brauche oder nicht. So soll es sein, von Zinsen aber keine Rede. Seid Ihr damit einverstanden?«

»Welche Frage! Hier meine Hand. Ich danke Euch von ganzem Herzen. Und so lange ich lebe, werde ich immer daran denken, daß Ihr es seid, Sir, dem ich es zu verdanken habe, wenn ich ein glücklicher Mensch ge- geworden sein werde, der ruhig schlafen kann und sich nicht vor den Folgen seiner Thaten zu fürchten braucht.«

Er hatte in einem wirklich herzlichen Tone gesprochen; es war ihm ernst mit dem Vorsatze, einen neuen Lebensweg einzuschlagen. Ich freute mich darüber, ihm das Geld geben zu können, welches ich natürlich von der Summe nehmen wollte, die ich Melton und Weller abgenommen hatte. Zwar war dieselbe für die Deutschen bestimmt, doch konnten sie die Wenigkeit schon missen, welche für die Partei höchstens zehn Dollars betrug. Als ich ihm die mir dargebotene Hand schüttelte, empfand ich im Innern eine frohe Genugthuung.

Er wollte in seinen Dankesworten noch nicht abbrechen, doch konnte ich ihm weiter keine Aufmerksamkeit schenken, denn dieselbe wurde auf eine bedeutende Pferdeschar gelenkt, welche, von mehreren roten Reitern geleitet, im Galopp von Norden her herangeflogen kam. Es waren die Rosse, nach denen die »listige Schlange« einen Boten geschickt hatte. Sie kamen in der letzten Viertelstunde des Tages an, und als sie ringsum angepflockt waren, brach der Abend herein.

Die Führer dieser Pferdeherde waren so umsichtig gewesen, dürres Holz in Bündeln mitzubringen, so daß einige Feuer angebrannt werden konnten. Der in den Wagen befindliche Proviant ermöglichte es, ein Festmahl zu veranstalten, ein Festmahl freilich nach dortigen Begriffen, denn nach der Ansicht civilisierter Menschen war es sehr einfach und sogar fast knapp, da wir mit den Vorräten sparen mußten.

 

Nach demselben legte ich mich schlafen; meine Landsleute und die Mimbrenjos thaten dasselbe; die Yumas aber nahmen sich noch nicht die Zeit dazu, sondern sie gingen nach Almaden hinüber, um das Nest auszuplündern. Früh sah ich, daß sie sich nicht weniger als alles, was dort zu finden gewesen war, angeeignet hatten. Für den Indianer hat der geringste Gegenstand, den ein anderer als unnütz liegen lassen oder wegwerfen würde, noch immer seinen, und zwar vielleicht großen Gebrauchswert. Sie hatten auch die beiden alten Frauen mitgebracht. Das Schachtloch war von ihnen mit Steinen verschlossen und der Eingang zur Höhle verschüttet worden. Wahrscheinlich hat sich bis heute noch niemand gefunden, der die Mittel und den Mut besitzt, das wertvolle Innere des öden Felsens auszubeuten.

Ich war der erste, welcher früh erwachte, und weckte den guten Don Endimio de Saledo y Coralba nebst seinen Wagenführern. Ich ordnete das Geschäft mit ihnen, dann wurden die andern Schläfer geweckt, worauf die Arbeit des Verladens begann. »Listige Schlange« leitete dieselbe, da ihm die Packpferde gehörten. Die Jüdin und ihr Vater waren nicht zu sehen; sie mochten in dem Zelte ihres Häuptlings stecken und Angst vor mir haben. Ich saß neben Winnetou und sah der Arbeit zu. Da näherten sich uns zwei Männer, denen man es ansah, daß sie sehr Wichtiges mit uns zu besprechen hatten – der Haziendero und der Juriskonsulto. Daß sie noch einmal kommen würden, um mir Forderungen und Vorwürfe zu machen, hatte ich gewußt. Seit gestern abend, wo ich Melton den Yumas überantwortet hatte, befand sich derselbe unter strenger Bewachung in einem der Zelte.

Die beiden grüßten höchst ceremoniell, der Juriskonsulto mit einer sehr strengen Amtsmiene; dann sagte der letztere:

»Ich sehe, daß Sie sich zur Reise rüsten, Sennor. Wohin soll es gehen?«

»Nach Chihuahua,« antwortete ich.

»Das kann ich nicht zugeben! Ich muß darauf dringen, daß sämtliche Personen, welche sich hier befinden, mit mir nach Ures kommen!«

»Wahrscheinlich als Arrestanten?«

»So ähnlich!«

»So arretieren Sie uns!«

»Das möchte ich nicht gern, denn ich hoffe, daß die Amtswürde, in welcher ich mich befinde, Sie veranlassen wird, freiwillig mitzugehen.«

»Da ich noch nichts von dieser Würde bemerkt habe, kann sie mich auch zu nichts veranlassen. Uebrigens denke ich, daß wir uns auf dem Gebiete der Yuma-Indianer befinden, und ich habe die feste Absicht, die Sitten und Gebräuche derselben mir als Gesetz dienen zu lassen. Und selbst wenn es anders wäre, worüber ich mich aber gar nicht mit Ihnen streite, so bin ich ein Deutscher und habe nach der Anweisung, welche Sie selbst mir gaben, ganz und gar nicht die Pflicht, mich nach ihrem Willen zu richten.«

»Ich? Ich selbst hätte Ihnen so etwas gesagt? Das ist nicht wahr!«

»Es ist wahr. Als ich bei Ihnen war, um Sie um Schutz für die deutschen Emigranten zu ersuchen, behaupteten Sie, daß Sie mit denselben nichts zu thun hätten, und verweigerten mir den erbetenen Schutz. Infolgedessen bin ich in die Berge geritten, um mich ihrer anzunehmen, und nun ich sie aus der fürchterlichen Lage befreit habe, in welche sie infolge Ihrer Weigerung gekommen sind, treten Sie vor mich her und behaupten, daß wir uns unter Ihre amtliche Gewalt und Würde zu stellen hätten. Damit richten Sie sich aber an eine sehr falsche Adresse, Sennor. Ich bin nicht der Mann, der nach Laune und Belieben mit sich schalten läßt.«

»Was gehen mich Ihre deutschen Arbeiter an! Befinden sie sich etwa allein hier? Es sind noch andere Leute auch da. Es sind auch Dinge geschehen, in meinem Amtsbereiche geschehen, welche ich gerichtlich verfolgen muß. Ich meine da den Ueberfall der Hazienda, die Morde hier und noch vieles andere, was ich nicht unbestraft lassen darf. Wo ist Melton?«

»Beim Häuptlinge der Yumas, der höchst wahrscheinlich die Absicht hat, ihn zu bestrafen.«

»Zu bestrafen habe nur ich!«

»Das machen Sie mit der »listigen Schlange« ab. Warum kommen Sie da zu mir?«

»Weil Sie Melton ihm ausgeliefert haben. Sie hatten ihn an mich zu liefern!«

»Schweigen Sie!« unterbrach ich ihn zornig. »Ich habe Ihnen gegenüber gar keine Verpflichtung. Wenn Sie ein kluger Mann wären, würden Sie sich anders benehmen. Sie haben bis jetzt nur Dummheiten gemacht, und wenn Sie sich trotzdem hier noch als Herr und Gebieter aufspielen, so haben Sie nur den einen Erfolg, daß Sie ausgelacht werden. Ich mag von Ihnen kein Wort mehr hören!«

Mein Ton schüchterte ihn ein; er wagte es nicht, weiter zu sprechen, und blickte den Haziendero um Hilfe an. Darum nahm dieser an seiner Stelle das Wort:

»Sennor, treten Sie nicht in dieser Weise auf. Bedenken Sie, daß Sie sich auf meinem Grund und Boden befinden! Sie sind, sozusagen, nur als Gast an diesem Orte!«

»O, was das betrifft, so habe ich Ihre berühmte Gastlichkeit zur vollen Genüge kennen gelernt und danke für sie. Aber da Sie von Ihrem Grund und Boden reden, so behaupte ich, daß Sie ihn verkauft haben. Melton ist der Besitzer von Almaden.«

»Ich werde gegen ihn klagen und mein Eigentum wiederbekommen. Der Kaufvertrag, den ich mit ihm abgeschlossen habe, ist null und nichtig. Ich darf mich mit vollstem Rechte wieder als Eigentümer dieser Besitzung betrachten und verlange, daß jeder, der sich hier befindet, meinen Willen, der auch derjenige meines verehrten Freundes hier ist, respektiert.«

»Nun, was ist denn Ihr Wille?«

»Daß Sie mit nach Ures kommen. Sie sollen nicht nur gegen Melton zeugen, sondern wir haben Klage gegen Sie zu erheben.«

»Klage? Worüber?«

»Das werden Sie dort hören. Ich habe nicht nötig, schon jetzt darüber zu sprechen.«

»Gut, schweigen wir also! Auch ich habe nicht nötig, zu sprechen, weder mit Ihnen noch mit Ihrem verehrten Freunde, und will Ihnen nur das eine sagen, daß Sie, wenn Sie Melton haben wollen, sich nicht an mich, sondern an die »listige Schlange« wenden müssen.«

»Ich verlange ihn aber von Ihnen. Sie haben ihn festgenommen und durften ihn nicht ausliefern!«

Da erhob sich Winnetou vom Boden, zog seinen Revolver und fragte in seinem ruhigen und doch so nachdrücklichen Tone:

»Wissen die beiden Bleichgesichter, wer jetzt vor ihnen steht?«

»Winnetou,« antwortete der Haziendero.

»Ja, Winnetou, der Häuptling der Apatschen,« bestätigte der Juriskonsulto.

»Aber wissen die beiden Bleichgesichter auch, daß Winnetou das unnütze Reden nicht liebt und noch viel weniger ein lächerliches Auftreten vertragen kann? Ich will jetzt mit meinem Freunde Shatterhand allein sein.

Ich werde bis drei zählen; wer sich dann noch hier bei uns befindet, wird erschossen!«

Er richtete den Lauf auf die beiden.

»Eins –«

Da lief der Juriskonsulto davon.

»Zwei –«

Da rannte auch der Haziendero von dannen.

»So brauche ich gar nicht drei zu sagen,« lächelte der Apatsche. »Hätte mein Bruder ebenso gethan, so konnte er sich die vielen unnützen Worte ersparen.«

Jetzt standen die Memmen in sicherer Entfernung von uns und besprachen sich; dann gingen sie zum Häuptling, welcher vor seinem Zelte stand. Wir sahen, daß sie mit ihm sprachen, aber gar nicht lange, denn da zog er die Lanze, welche mit seinem Totem in der Erde steckte, heraus und schlug sie dem Juriskonsulto über den Rücken; der Getroffene lief schimpfend fort, und Don Timoteo folgte ihm schleunigst, um nicht auch erfahren zu müssen, welche Wirkung ein kräftiger Lanzenhieb hervorzubringen vermag.

Nach einem solchen Verhalten des Haziendero hatte ich keine Lust, ihm auch noch Geld zu geben, zumal das, was ich ihm gegeben hätte, nun den armen Deutschen zu gute kam. Doch ging ich, ehe wir aufbrachen, zu ihm hin und sagte:

»Sennor, hier ist der Kaufkontrakt, den Sie mit Melton unterzeichnet haben, und da sind auch mehrere Briefe, welche beweisen, daß er an der Einäscherung der Hazienda schuldig ist. Mehr brauchen Sie nicht, um wieder zu Ihrem Besitztume zu kommen, und mit Hilfe Ihres Freundes wird Ihnen wohl der Kaufpreis, den Sie erhalten haben, als Entschädigung zugesprochen. Leben Sie wohl, und seien Sie in Zukunft bescheidener und klüger, als Sie in der Vergangenheit und bis zum gegenwärtigen Augenblicke waren!«

Damit war ich mit ihm für immer fertig. Den Deutschen gab ich ihre Verträge auch zurück, welche von ihnen augenblicklich und mit Genugthuung zerrissen wurden. Dann stiegen wir zu Pferde und brachen auf. Als wir fortritten, standen der Haziendero, der Juriskonsulto, die Polizisten und Don Endimio de Saledo y Coralba bei den Wagen. Der alte Pedrillo rief uns ein lautes Lebewohl nach; seine Mitknechte stimmten ein; die andern schwiegen. Hoffentlich ist den ersteren ihr Trinkgeld ehrlich in Ures ausgezahlt worden!

Es läßt sich denken, mit welcher Wonne meine weißen Gefährten die Gegend verließen, in welche sie gebracht worden waren, um das Licht des Tages niemals wieder zu erblicken, und auch ich war herzlich froh darüber, daß das erst so gefährlich scheinende Unternehmen einen so glücklichen Ausgang genommen hatte. Zwar durfte ich als sicher annehmen, daß der »große Mund« sich feindselig gegen uns, wenigstens gegen mich, verhalten werde, aber es wäre mir nicht eingefallen, ihn nun noch zu fürchten, selbst wenn wir nicht unter dem Schutze der »listigen Schlange« gestanden hätten. Daß wir ihn wiedersehen, ihm begegnen würden, war gewiß, doch dachte ich, daß auch der »starke Büffel« kommen werde; wann und auf welchem Wege, das war freilich nicht vorauszusagen.

Da wir zunächst nach Chihuahua wollten, so mußten wir erst einen Tag lang durch die Einöde reiten, kamen dann über einen schmalen Strich Landes, welcher den Yurnas noch gehörte, und dann in ein Gebiet, um welches diese sich mit den Mimbrenjos stritten. Auf letzterem mußten wir Widerwärtigkeiten erwarten, wenn überhaupt solche zu erwarten waren.

Voran ritten die der Gegend kundigsten Leute der Yumas. Ich hielt mich stets zu Winnetou, und meist war auch die »listige Schlange« bei uns beiden. Die beiden jungen Söhne des »starken Büffels«, also der Yumatöter und sein noch namenloser jüngerer Bruder, waren stets in unserer Nähe zu sehen. Melton befand Sich, stark gefesselt, unter so guter Aufsicht, daß ihm jeder Gedanke an das Wiedererlangen der Freiheit vergehen mußte. Hinten, nur von einigen Yumas begleitet, ritten Judith und ihr Vater; ich richtete meine Blicke nicht auf sie, und sie hüteten sich gar wohl, sich mir bemerklich zu machen.

Der Vollständigkeit wegen sei noch erwähnt, daß wir vor dem Aufbruche Weller und den Athleten begraben hatten. Sie lagen beide nebeneinander in der Erde, die ihnen nicht gegeben hatte, was sie suchten, Reichtum dem einen und Liebe dem andern.

Gegen Abend des ersten Tages hatten wir die Einöde, da dieselbe von Almaden aus nach allen Seiten einen Tagesritt breit war, überwunden und lagerten am Rande derselben in einer grasigen Gegend, wo die Pferde die so notwendige Weide fanden. Am nächsten Tage kamen wir durch den erwähnten schmalen Landstreifen, welchen die Yumas für sich in Anspruch nahmen, und dann in die umstrittene Gegend, welche sehr bergig war. Die Yumas wollten nach einem weiten Becken, in dessen Mitte ein kleiner See lag, wo wieder gelagert werden sollte. Wir erreichten den Südrand des Beckens, als die Sonne hinter den westlichen Höhen verschwand.

Der erste Blick zeigte, daß es hier vor Zeiten eine größere Wasseransammlung gegeben hatte, deren Gestalt eine zwischen Nord und Süd länglich gestreckte gewesen war. Das Becken konnte in dieser Richtung eine halbe

Wegstunde sein, während die Breite zwischen Ost und West nicht soviel betrug. Drei Thäler mündeten in dasselbe, eines von Nord, eines von Ost und das dritte von Süd. Durch das letztere kamen wir.

Zufälligerweise ritt ich, als wir aus diesem Thale hervorkamen, mit Winnetou bei den Führern an der Spitze des Zuges. Die Yumas hielten ihre Augen nach der Mitte des Beckens gerichtet, welche allerdings einen einladenden Anblick bot, da um den kleinen See dichte Bäume und Sträucher standen, um welche sich ein Ring saftigen Grases zog. Winnetou aber war ebenso wie ich gewöhnt, auf einem solchen Terrain zunächst und vor allen Dingen nach der persönlichen Sicherheit auszuschauen, und darum richteten sich unsere Blicke nach den Mündungen des nördlichen und des östlichen Thales. An der letzteren sah ich einen Reiter, welcher im Begriff stand, hervorzukommen, aber, als er uns erblickte, sofort wieder zurückwich. Um zu wissen, ob Winnetou dieselbe Beobachtung gemacht habe, sah ich diesen an, und gerade in demselben Momente wendete er mir sein Gesicht auch zu. Ein leichtes Augenblinzeln sagte mir, daß er den Reiter auch gesehen hatte.

 

Jeder andere Indianer hätte sofort Lärm geschlagen; der Gedankengang des Apatschen aber war ein so blitzschneller, daß er in dem Augenblicke, an welchem sein Auge auf den Reiter fiel, sich auch schon sagte, daß es besser sei, jetzt noch zu schweigen.

Unser Zug erlitt also keine Unterbrechung, bis wir bei dem See ankamen, wo wir abstiegen und zunächst die Pferde erst trinken und dann laufen ließen; die Indianer aber sorgten zuerst für sich und dann erst für die Pferde. Melton wurde an einen Baum gebunden, und für Judith richtete man ein Lager im Gebüsch her.

Bei der Verteilung des Proviants mußte ich zugegen sein, denn hätte ich dieselbe nicht geleitet, so wäre von den Roten wahrscheinlich alles auf einmal verzehrt worden. Während ich dadurch an den Ort gebunden war, entfernte sich der Apatsche, um nach seiner vorsichtigen Weise die See Oase zu umschreiten. Als er von diesem Gange zurückkehrte, sah ich ihm an, daß er etwas Wichtiges entdeckt hatte, und ging also hin zu ihm.

»Mein roter Bruder hat noch anderes entdeckt als nur den Reiter, den wir vorhin gesehen haben?« fragte ich ihn.

»Ja,« antwortete er. »Rund um den See grasen unsere Pferde, man kann sie weit sehen, da es noch nicht dunkel, die Gegend um das Wasser aber ganz eben ist. Ich schaute zunächst nach Ost, wo der Reiter verschwunden war; der Eingang des Thales war leer. Dann blickte ich nach Norden und sah Reiter kommen. Sie wollten auch nach dem See; aber als sie unsere Pferde sahen, zogen sie sich schnell zurück.«

»So haben wir es also mit zwei verschiedenen Trupps zu thun, welche jedenfalls nichts von einander wissen.«

»So ist‘s,« nickte er. »Der eine kommt von Norden, der andere von Osten her; beide wollen nach dem See und sind, als sie uns bemerkten, zurückgewichen.«

»Mein roter Bruder weiß, wer diese Leute sind?«

»Old Shatterhand weiß es auch.«

»Wenigstens kann man es sich leicht denken. Es ist der »große Mund« mit seinen Yumas und der »starke Büffel« mit seinen Mimbrenjos. Wo aber ist der eine und wo der andere? Wir wissen nicht, welcher von ihnen von Norden und welcher von Osten kommt.«

»Wir werden es bald erfahren, denn beide werden Kundschafter senden, sobald es dunkel geworden ist. Man muß ihnen zuvorkommen. Wohin will mein weißer Bruder gehen?«

»Hinüber nach Ost.«

»So gehe ich nach Nord. Wir brauchen nur zehn Minuten zu warten, dann ist es Nacht.«

Wir lagerten uns, um unsern Imbiß zu verzehren, und standen dann, als die schnelle Dämmerung vorüber war, wieder auf, um uns auf den Weg zu machen, die beiden Reitertrupps zu beschleichen. Daß wir uns entfernten, fiel nicht auf. Man glaubte wohl, daß wir nach unsern Pferden sehen wollten, zumal wir die Gewehre nicht mitnahmen. Sobald wir nicht mehr gesehen werden konnten, trennten wir uns. Winnetou ging nord- und ich ostwärts.

Es war anzunehmen, daß diejenigen, welche wir suchten, jetzt noch keine Kundschafter aussenden würden, doch war ich noch nicht weit gegangen, so vernahm ich vor mir ein Geräusch, wie wenn ein Fuß einen Stein von seiner Stelle stößt. Sofort legte ich mich nieder und wartete. Ich hörte die leisen Schritte eines Menschen, welcher gerade auf mich zukam. Jetzt sah ich ihn; Jetzt war er noch acht, noch sechs, noch vier Schritte von mir entfernt. Er bemerkte mich nicht, da er den Blick vorwärts und nicht zu Boden richtete. Als er noch einen Schritt gethan hatte, fuhr ich auf und nahm ihn mit beiden Händen beim Halse. Er ließ die Arme sinken; seine Beine schlotterten und suchten nach festem Halt auf der Erde. Ich zog, oder vielmehr ließ ihn nieder, nahm die rechte Hand von seinem Halse, hielt diesen aber mit der Linken fest und griff mit der Rechten in seinen Gürtel. Er hatte dort ein Messer stecken und sonst keine Waffe bei sich. Ein Kundschafter pflegt sich nicht mit schweren Gewehren zu belästigen. Ich zog das Messer heraus und nahm es zu mir, ließ ihm ein wenig Luft und sagte, natürlich nicht so laut, daß man es weit hören konnte:

»Von welchem Stamm bist du? Sprich die Wahrheit, sonst bekommst du dein eigenes Messer in den Leib. «

»Mim – bren – jo,« antwortete er, nach Atem ringend, in abgerissenen Silben.

Da er mich auch belügen konnte, so fragte ich, um ganz sicher zu gehen:

»Wer führt Euch an?«

»Der »starke Büffel«.«

»Wohin wollt Ihr?«

»Nach Almaden zu Old Shatterhand und Winnetou.«

Da gab ich ihm den Hals ganz frei und sagte:

»Sprich ganz leise! Schau mir einmal ins Gesicht! Kennst du mich?«

»Uff! Old Shatterhand!« antwortete er mir, nachdem er sein Gesicht ganz an das meinige gebracht hatte.

»Steh auf, und führe mich zu dem »starken Büffel«! Da hast du dein Messer wieder.«

Er erhob sich, kehrte um und ging neben mir her, ohne ein Wort zu sagen. Als wir in der Nähe des Thales angekommen waren, blieb er stehen und sagte:

»Old Shatterhand ist ein Freund der roten Männer und ein Meister in allem. Er muß nicht denken, daß jeder Krieger es ihm gleich thun kann. Wird er dem Häuptling sagen, daß er mich ergriffen und entwaffnet hat?«

»Ich sollte es thun, denn eure Sicherheit erfordert, daß nur der Fähigste zu solchen Diensten ausgewählt wird.«

»Dann wird man mich zu den Weibern schicken, und ich stoße mir das Messer in das Herz!«

»Dann will ich schweigen. Aber merke dir, daß man sich selbst von dem größten Schreck nicht überraschen lassen darf!«

Als wir ein kleines Stück in das Thal hinein gegangen waren, ließ sich das Zirpen einer Grille hören; mein Begleiter antwortete durch ein gleiches Zirpen, wodurch er sich vor dem Posten legitimierte. Bald sah ich trotz der Dunkelheit viele Männer beisammensitzen. Sie hatten natürlich kein Feuer angebrannt. Aus ihrer Mitte erhob sich einer und meinte:

»Zwei kommen! Wer ist der andere?«

»Old Shatterhand,« antwortete mein Begleiter.

»Old Shatterhand, Old Shatterhand!« hörte ich es weiter und weiter flüstern.

Der Frager war kein anderer als der »starke Büffel« der Häuptling der Mimbrenjos. Er gab mir die Hand und sagte im Tone froher Ueberraschung:

»Mein berühmter weißer Bruder ist‘s? Das macht mir das Herz leicht, denn ich habe große Sorge um ihn gehabt. Wie aber kommt er in diese Gegend, da wir ihn entweder tot oder in einer andern Gegend glauben mußten?«

Er hatte sich um mich wohl weniger gesorgt als um seine beiden Knaben, durfte sich aber nicht die Blöße geben, dies zu sagen. Um ihn gleich von vornherein zu beruhigen, antwortete ich:

»Tot? Alle, die sich bei mir befinden, sind wohlauf, und es ist keinem ein Leid geschehen. Die Krieger der Mimbrenjos, welche mich begleiteten, und die beiden Söhne des »starken Büffels« haben sich so tapfer gehalten, daß ich ihnen großes Lob zollen muß. Ich werde später von ihnen und ihren Thaten erzählen; jetzt muß ich vor allen Dingen hören, wieviel Krieger der »starke Büffel« mitgebracht hat.«

»Zweihundert und einige mehr,« antwortete er.

»Er wollte die gefangenen Yumas, unter denen sich auch der Häuptling derselben, der »große Mund«, befand, zu den Marterpfählen führen. Sind sie mutig gestorben, oder haben sie vor Schmerzen ihre Stimmen erschallen lassen?«

Ich wußte längst, daß sie dem alten, groben, aber sonst ganz wackern Kerl entkommen waren, sprach die Frage aber dennoch aus, um ihn dafür zu bestrafen, daß er mir zugemutet hatte, ich wolle den »großen Mund« absichtlich entfliehen lassen. Er zögerte auch lange mit der Antwort, bis er eingestand:

»Der große Geist hat nicht gewollt, daß wir uns über den Tod dieser Hunde freuen sollten. Es hatte sich einer von ihnen losgemacht und auch die Fesseln der andern geöffnet; sie entflohen und nahmen viele Pferde mit.«

»Das ist eine große Heldenthat von Euch gewesen. Die Yumas werden noch lange darüber lachen. Wie hat der »starke Büffel« gezürnt, wenn ich einmal mit dem »großen Munde« sprach! Nun hat er nicht nur ihn, sondern alle Gefangenen mit ihm laufen lassen!«