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Satan und Ischariot II

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»Sehr oft!« antwortete ich mit einer Miene, als ob mir soeben gesagt worden sei, daß ich die allerschönste Tochter des großen Moguls zur Frau bekommen solle. »Wenn ich mich recht besinne, so mußtet Ihr Euch aus gewissen und auch sehr triftigen Gründen dort ein wenig unsichtbar machen.«

»Und denkt Ihr dann auch an Fort Edward?«

»Ebenso. Wie mir scheint, habe ich Euch dort oder so dort herum einmal liebevoll beim Schopfe genommen.«

»Ja, Ihr habt mich durch die Wälder und Prairien dahingejagt wie einen tollen Hund, den man erschießen und dann so tief wie möglich einscharren muß. Das war eine Hetze! Aber Ihr begingt die Dummheit, mich nicht selbst abzuurteilen und gleich aufzuknüpfen! ihr liefertet mich menschenfreundlich der Polizei aus, und diese war dann auch so christlich gesinnt und so kindlich naiv, mir ein Loch zu lassen, durch welches ich kriechen konnte. Seit jener Zeit ist mir Euer heißgeliebter Anblick entzogen worden. Ich habe nach ihm geschmachtet zum Herzbrechen, und Ihr könnt Euch denken, mit welcher Wonne ich Euch hier so plötzlich wie durch ein Wunder wiedersehe und wie innig und liebevoll ich Euch in meine Arme schließen werde. Ich sage Euch, Sir, Ihr sollt vor lauter unbeschreiblichem Glück vergehen wie ein Baum im Savannenbrande. Ich bin Euch noch viel mehr Dank schuldig, als Ihr meint, daß ich weiß. Könnt Ihr Euch vielleicht auf meinen Bruder Harry besinnen?«

»Ja. Ich kenne Eure liebe Familie überhaupt besser, als Ihr ahnt und als es für sie wünschenswert ist.«

»Well, wollen das abwarten! So denkt Ihr wohl zuweilen an die Hazienda del Arroyo zurück?«

»Die Euer Bruder anzünden und verwüsten ließ? Ja.«

»Wohl auch an das Bergwerk Almaden alto?«

»Wo ich Euern Bruder gefangen nahm? Ja.«

Er hat damals durch Euch sein ganzes Vermögen verloren. Er hatte es versteckt, und als er später wiederkam, war es nicht mehr da. Ein vermaledeiter Indianer muß es im alten Schachte gefunden haben!«

»Da irrt Ihr Euch. Ich habe es damals gleich mitgenommen und an die armen deutschen Emigranten verteilt, denen er so übel mitgespielt hatte.«

»Thunder-storm! Ist das wahr? Na, ich werde es Euch so reichlich danken, daß es Euch in allen Gliedern reißen soll. Wäre doch mein Bruder hier! Welche Seligkeit für ihn, Euch hier gefangen und in meiner Gewalt zu wissen! Aber am Ende habt Ihr ihn bisher für tot gehalten?«

»Allerdings.«

»Seid doch so gut, und laßt Euch nicht auslachen! Ihr hattet ihn den Indianern überantwortet, die mit ihm kurzen Prozeß machen sollten, sowie Ihr mir heute von den Uled Ayar ausgeliefert werdet; aber er entkam ihnen doch und befindet sich jetzt so wohl und munter, daß es Euch gewiß herzlich freuen wird, es jetzt von mir zu erfahren. Nebenbei bemerkt, müßt Ihr Euch recht rasch freuen, denn es ist Euch nur wenig Zeit geboten. Spätestens morgen werdet Ihr ein toter Mann sein.«

»Pshaw!« lachte ich so herzlich wie möglich.

Ich that dies, um ihn zu reizen, denn ich hoffte, von ihm etwas über den Kriegsplan der Uled Ayar zu hören.

Wenn es mir gelang, ihn aufzuregen, vergaß er sich vielleicht.

»Lacht nicht!« warnte er. »Ich sprach im Ernste!«

»Und dennoch lache ich, denn ich bezweifle noch sehr, daß ich mich in Eurer Gewalt befinde. Und selbst wenn dies der Fall wäre, würde das, was Ihr Euch einbildet, nicht so leicht oder billig auszuführen sein.«

»Wohl weil Ihr Old Shatterhand seid und ich mich vor Euch fürchte?«

»Nein, obgleich ich zugebe und auch schon oft bewiesen habe, daß Old Shatterhand noch mit ganz andern Verhältnissen, als die heutigen sind, und auch mit ganz andern Menschen, als Ihr seid, fertig geworden ist. Ich brauche zu meiner Befreiung nichts zu thun, denn die Truppen, mit denen ich gekommen bin, werden für mich sorgen.«

»Und ich sage Euch: Ehe sie kommen, seid Ihr tot!«

»Dann werden sie mich an Euch rächen, denn ich bin vollständig überzeugt, daß sie siegen werden.«

Da schlug er ein lautes Gelächter auf und rief-

»Welch eine Treuherzigkeit und Arglosigkeit!«

»Lacht nur. Unsere Soldaten werden euch zu Paaren treiben!«

»Oho! Als ob ich die Memmen nicht besser kennte als Ihr! Ich will Euch sagen, wie es kommen wird.«

Jetzt war er da, wo ich ihn haben wollte. Dennoch unterbrach ich ihn, natürlich nur, um ihn zu reizen:

»Behaltet es für Euch! Ich weiß es besser als Ihr. Ihr seid so unverantwortlich leichtsinnig gewesen, Euch hier in dieser Schlucht, die eine wahre Falle ist, festzusetzen. Morgen, spätestens Mittag, werden unsere Truppen kommen und Euch in derselben einschließen; da giebt es dann kein Entkommen!«

»Das sagt Ihr mir? Seht Ihr denn nicht ein, was für eine ungeheuerliche Thorheit Ihr begeht, wenn Ihr mir das sagt? Gesetzt, wir wären wirklich so unvorsichtig gewesen, so blind in die Falle zu gehen, wie Ihr denkt, so hättet Ihr mich doch durch Eure Bemerkung auf die Gefahr, in welcher wir schwebten, aufmerksam gemacht, und wir würden uns derselben schleunigst entziehen.«

»Zounds!« stieß ich hervor und machte dabei ein Gesicht wie einer, welcher soeben einsieht, daß er einen gewaltigen Pudel geschossen hat.

»Ah, ich sehe, daß Ihr erkennt, was für ein Pfiffikus Ihr seid. Aber sorgt nicht um uns! Wir sind in die Schlucht gegangen, weil wir da versteckt liegen und nicht gesehen werden können. Auch können wir hier unsere Feuer brennen, ohne daß es unserer Sicherheit Schaden bringt. Aber morgen früh werden wir die Stelle verlassen, nämlich nur die Hälfte von uns, denn die übrigen werden bleiben und sich so weit nach hinten in den Paß ziehen, daß sie nicht gesehen werden.

Die andern aber verlassen, wie gesagt, die Schlucht und verbergen sich draußen, außerhalb derselben. Dann kommen Eure tapfern Soldaten und reiten in die Schlucht, die nun für sie zur Falle wird, denn sobald sie in dieselbe eingedrungen sind, kommen ihnen die außen postierten Uled Ayars nach und drängen sie auf ihre im Hintergrunde wartenden Gefährten. Ein Kind muß einsehen, daß es dann für Eure Leute keine andere Rettung giebt als Ergebung auf Gnade und Ungnade!«

Jetzt wußte ich, was ich wissen wollte, doch stellte ich mich überzeugt und machte ein möglichst verlegenes Gesicht. Dann ließ ich es schnell wieder hell werden und sagte:

»Die Berechnung würde ganz gut sein, wenn es gewiß wäre, daß die Soldaten auch in die Falle reiten.«

»Sie werden es; darauf könnt Ihr Euch verlassen; es ist dafür gesorgt! Der Führer, nach dessen Weisungen Ihr Euch mit so großem Vertrauen gerichtet habt, steht mit mir im Bunde. Er hat Euch heute nach dem Wasser gebracht; ich war gestern abend bei Eurem Lager und habe ihm das befohlen, um Eure Truppe führerlos zu machen. Ebenso wird er dieselbe morgen in die Schlucht bringen.«

»Wetter! Aber Ihr seid doch Offizier und solltet zu Krüger-Bei halten!«

»Unsinn! Ich habe mich lange Zeit vor ihm geduckt und um seine Gunst gebuhlt, habe jetzt aber wichtigere Dinge vor und ganz andere Aussichten. Ich gehe nach den Vereinigten Staaten zurück und will die Gelegenheit benutzen, eine gut gefüllte Tasche mitzunehmen. Ich habe mich mit Absicht umzingeln lassen; ich habe mit voller Ueberlegung dem Scheik der Uled Ayar meine Soldaten zugeführt; ich habe durch meinen Boten Krüger-Bei mit seinen drei Schwadronen herbeigelockt. Die Soldaten gehören dem Scheik; der Pascha mag sie auslösen. Krüger-Bei gehört mir und soll mir für seine Freiheit eine tüchtige Summe bezahlen. Hier steht ein Engländer, und bei Euern Truppen befindet sich ein Amerikaner. Beide müssen mir Lösegeld bezahlen. Und in Euch habe ich durch Zufall den allerwertvollsten Fang gemacht; aber Ihr sollt mir kein Geld einbringen, sondern Ihr werdet sterben – und wie! Alles was Ihr an mir und meinem Bruder verübt habt, wird nun mit einem Male über Euch kommen. Und wißt ihr, warum ich Euch dies alles mit solcher Aufrichtigkeit sage?«

»Nein. Ich finde Eure Offenherzigkeit geradezu unbegreiflich.«

»Um Euch zu beweisen, daß ich meiner Sache voll- vollständig sicher bin. Es giebt keinen Gedanken an Rettung für Euch.«

»Dann aber auch für diesen Engländer und jenen Amerikaner nicht, noch weniger für Krüger-Bei.«

»Wieso?«

»Sobald Ihr das bare Lösegeld oder die Wechsel in den Händen habt, werdet Ihr sie töten oder töten lassen, um nicht von ihnen verraten zu werden.«

»Seht, wie klug Ihr plötzlich geworden seid!« grinste er mich an. »Was ich thun oder mit ihnen vereinbaren werde, braucht Ihr nicht zu wissen; das ist meine und ihre Sache. Was sie mir zahlen sollen, ist nur ein hübsches Reisegeld. Drüben werde ich dann Geld in Masse finden; dafür ist gesorgt.«

»Wohl durch eine Erbschaft?« entfuhr es mir halb unfreiwillig und doch auch halb mit Bedacht.

Er lachte mir heiter ins Gesicht und antwortete, ohne zu ahnen, daß ich alles wußte:

»Ja, durch eine Erbschaft, werter Sir! Und nun soll es genug sein mit meiner Aufrichtigkeit. Der Oberst mag bei dem Scheik bleiben; Ihr aber und der Englishman geht mit nach meinem Zelte, wo ich euch so sorgfältig und sicher aufbewahren werde, daß Ihr erstaunen werdet, wie fest meine Riemen und Stricke sind. Nur noch ein Wort zum Scheik.«

Er wendete sich an diesen:

»Krüger-Bei gehört dir einstweilen. Verwahre mir ihn gut! Diese beiden aber nehme ich mit zu mir; sie sind mein Eigentum ebenso wie der Oberst, den ich dir einstweilen lasse, damit du mit ihm über die Bedingungen sprechen kannst, unter denen du seine Soldaten freigeben wirst.«

Emery hatte an meiner Seite gestanden und jedes

Wort des Halunken gehört. Dieser nahm jetzt mit der einen Hand ihn und mit der andern Hand mich beim Arme, um uns fortzuführen; da aber forderte ihn der Scheik auf:

»Halt! Du scheinst mit den beiden Männern fertig zu sein, ich aber bin es noch nicht mit dir.«

Das Gesicht des Sprechers hatte einen finstern, fast möchte ich sagen drohenden Ausdruck angenommen. Ich ahnte, er werde es nicht zugeben, daß wir von dem Amerikaner fortgeführt würden, und dies konnte uns nur lieb sein. Für unser Leben war ich zwar keineswegs schon jetzt besorgt, aber es stand fest, daß wir bei ihm mehr auszustehen haben würden, als dann, wenn der Scheik uns bei sich behielt. Um unser Leben hatte ich aus zwei Gründen keine Angst. Ich konnte mich zwar auf Krüger-Bei nicht verlassen, glaubte aber annehmen zu dürfen, daß ich mit Emery gewiß eine Art finden würde, uns zu befreien. Und selbst wenn mich diese Hoffnung getäuscht hätte, so war Winnetou da, auf den ich mich verlassen konnte.

 

War dieser wirklich da? Ich hoffte es, ja, ich hätte darauf schwören mögen, so genau kannte ich diesen besten und bewährtesten aller meiner Freunde und Genossen. Ich war vollständig überzeugt, daß er der weiße Punkt, den ich gesehen hatte, gewesen war und konnte leicht von dem, was ich an seiner Stelle thun würde, auf das schließen, was er that. Unsere beiderseitigen Ansichten und Gedanken pflegten in solchen Lagen stets dieselben zu sein.

Er hatte unbedingt wahrgenommen, daß wir in den Engpaß einbogen, welcher den Berg in zwei Hälften, eine östliche und eine westliche durchschnitt. Winnetou kam, wie wir, von Westen her; jedenfalls hielt er diesen Paß für ebenso bedeutsam, wie ich ihn, als ich ihn bemerkte, gleich gehalten hatte. Er mußte sehen, wer sich in demselben befand und was in demselben vorging, und hatte auf alle Fälle zu diesem Zwecke seine Richtung geändert und unsere Spur verlassen, um hinauf auf den Berg zu reiten und von der Höhe herab in den Paß herabzublicken. Es war mir, als ob ich ihn dort sehen müsse, wenn ich meinen Blick nach oben richtete. Ich that dies, und wirklich, kaum hob ich das Gesicht empor, so richtete sich da oben, ganz an der Kante des lotrecht abfallenden Felsens, eine Gestalt auf, machte einige augenfällige Armbewegungen und ließ sich dann schnell wieder niederfallen. Er schien in dieser Höhe nur die Größe eines Knaben zu haben, aber ich habe ihn dennoch erkannt. Er war es und hatte mir durch seine Bewegung ein Zeichen gegeben, daß sein Adlerauge uns sah und alles beobachtete. Ich war nun vollständig beruhigt; ich wußte, daß er trotz aller Gefahr, die es für ihn dabei gab, kommen werde, um uns zu befreien. Er blieb ganz bestimmt so lange da, bis er sah, wohin wir geschafft wurden.

»Da oben liegt Winnetou und schaut zu uns herab,« flüsterte ich Emery zu. »Wenn es hier ruhig geworden ist, wird er kommen.«

»Well,« antwortete er, ohne sein Auge nach oben zu richten. »Famoser Kerl! Wird uns herausholen!«

Der verräterische Kolarasi hatte sich mit dem Ausdrucke des Erstaunens nach dem Scheik gewendet und denselben gefragt:

»Was hast du mir noch zu sagen?«

»Das, was du nicht zu wissen scheinst, nämlich, daß du dich in einem Lager der Uled Ayar befindest, und daß ich der Anführer dieser Krieger bin.«

»Das weiß ich.«

»Warum benimmst du dich da so, als ob du der Anführer seist? Warum bestimmst du über unsere Gefangenen, als ob sie die deinigen seien?«

»Das sind sie doch auch!«

»Nein. Sie sind von meinen Kriegern ergriffen worden. Wer den Vogel fängt, dem gehört er. Die beiden Männer bleiben ebenso hier bei mir, wie der Herr der Heerscharen hier bleiben wird.«

»Das kann ich nicht zugeben!«

»Ich frage nicht nach dem, was du zugiebst oder nicht. Hier gilt nur mein Wille.«

»Nein! In diesem Falle gilt der meinige!«

Und auf mich deutend, fuhr er fort:

»Du weißt nicht, welches Interesse ich an den Männern habe. Dieser da ist ein entsprungener Verbrecher, welcher viele Mordthaten und andere Sünden auf dem Gewissen hat. Er wollte auch mich und meinen Bruder töten, was ihm aber glücklicherweise nicht gelungen ist. Ich habe also eine Blutrache mit ihm; er ist mir verfallen und gehört nicht euch, sondern mir.«

Da trat ich auf ihn zu, stieß ihm, da ich ihn mit meinen gefesselten Händen nicht züchtigen konnte, mit dem Fuße, daß er hintenüber und zur Erde flog und rief:

»Schurke, du drehst die Verhältnisse um. Du selbst bist der Flüchtling und Mörder, und ich verfolgte dich, um dich der Gerechtigkeit zu überliefern!«

»Hund!« schrie er, indem er aufsprang und auf mich losstürzte. »Du wagst es, eine solche Lüge gegen mich —«

Er kam nicht weiter. Um mich fassen zu können, mußte er an Emery vorüber, und dieser versetzte ihm ebenfalls einen so gewaltigen Tritt, daß er wieder zur Erde flog, und die Besinnung verlor. Dies geschah so schnell, daß kein Mensch Zeit fand, ihn daran zu hindern.

Es hatte aber überhaupt gar nicht den Anschein, als ob, selbst wenn Zeit dazu gewesen wäre, irgend jemand Lust gehabt hätte, dem Kolarasi diese mehr als verdiente Züchtigung zu ersparen.

Ich wollte mich hierauf an den Scheik wenden und eben zu sprechen beginnen, da gab er mir ein Zeichen zu schweigen, und sagte:

»Still! Ich mag nichts hören von dem, was du mir sagen willst. Daß ihr diesen Menschen mißhandeln durftet, ohne daß ich euch dafür bestrafe, mag euch genug sein. Ihr erseht daraus, was ich von ihm denke. Er nennt dich einen Flüchtling und Mörder. Du siehst nicht aus wie ein entflohener Verbrecher, und der Herr der Heerscharen würde keinen solchen in seiner Nähe und an seinem Herzen dulden. Du bist ein Almani, also wohl ein Christ?«

»Ja.«

So kennst du das Leben eures Heilandes, den auch wir für einen Propheten halten?«

»Ja.«

»Er hatte zwölf Jünger und Schüler. Einer davon verriet und verkaufte ihn. Weißt du, wie dieser hieß?«

»Judas Ischariot.«

»Gut! So ein Ischariot ist der Kolarasi, denn er hat seinen Freund und Herrn, den Obersten der Heerscharen, verraten und verkauft. Er scheint eine große Rache auf euch zu haben und würde euch wohl gar töten. Ich kenne ihn. Er ist ein Mörder; ich kann das beweisen, denn erst heut hat er einen Mann erschossen, dessen Freund er war. Euch soll dies nicht geschehen; ich liefere euch ihm nicht aus. Ihr seid nicht seine, sondern meine Gefangenen.«

»Soll ich dir erzählen, warum er meinen Tod wünscht?«

»Jetzt nicht, denn ich habe keine Zeit dazu. Was mit euch geschehen wird, werdet ihr erfahren. Damit ihr nicht entfliehen könnt, werde ich euch gut bewachen lassen, und damit ihr nicht miteinander reden möget, werde ich euch trennen. Jeder von euch kommt in ein anderes Zelt zu liegen. Der Herr der Heerscharen wird hier in dem meinigen bleiben.«

»Ich habe dir aber einige sehr wichtige Dinge mitzuteilen, welche ganz geeignet sind, dir zu beweisen —«

»Jetzt nicht, jetzt nicht,« unterbrach er mich. »Später, wenn wir mehr Zeit haben, kannst du mir sagen, soviel du willst.«

Er rief zwei seiner Beduinen herbei, erteilte ihnen einige leise Weisungen, und dann wurden wir von ihnen fortgeschafft. Der eine brachte mich in ein Zelt, wo er mir nun auch die Füße band. Dann schlug er einen Pfahl tief in die Erde und befestigte mich mit Stricken an denselben. Dann setzte er sich draußen vor dem Eingange nieder, um mich zu bewachen.

Die Trennung von meinen beiden Gefährten war mir freilich nicht lieb; es ließ sich aber nichts dagegen thun.

Mittlerweile wurde es dunkel und immer dunkler. Der Abend brach herein. Nach dem Abendgebete brachte mir mein Wächter einige Schluck Wasser; zu essen bekam ich nichts. Bemerken muß ich noch, daß er mir alles abgenommen hatte, was sich in meinen Taschen befand.

Durch die Leinwand meines Zeltes bemerkte ich, daß mehrere Feuer brannten, doch ließ man sie bis auf ein einziges, welches während der ganzen Nacht unterhalten werden sollte, bald wieder ausgehen. Der Lärm des Lagers verstummte zeitig; man legte sich früh schlafen, weil morgen noch vor Tagesanbruch der Paß verlassen werden sollte.

Mein Wächter verließ von Zeit zu Zeit seinen Platz vor der Thür und kam herein, um sich zu überzeugen, daß ich noch da sei, und um meine Fesseln zu betasten. Wie es schien, wollte er dies die ganze Nacht so durchführen.

Ich arbeitete mit Eifer an meinen Handfesseln herum und hatte alle Hoffnung, noch vor dem Morgen die Hände aus denselben zu bekommen. Wenn mir dies gelang, war ich gerettet. Aber dessen bedurfte es gar nicht, denn noch war es nicht Mitternacht, als ich ein leises Geräusch an der hintern Seite des Zeltes hörte. Es war so dunkel, daß ich unmöglich etwas erkennen konnte, aber ich sagte mir gleich, daß Winnetou es sei, von dem dieses Geräusch herrührte. Ich horchte.

»Scharlieh, Scharlieh!« flüsterte es da ganz in meiner Nähe.

Ja, es war Winnetou, denn in dieser Weise pflegte er meinen Vornamen auszusprechen.

»Hier bin ich,« antwortete ich ebenso leise.

»Natürlich gefesselt?«

»Gefesselt und noch an einen Pfahl gebunden.«

»Kommt dein Wächter herein?«

»Von Zeit zu Zeit.«

»Wie seid ihr gefangen genommen worden?«

Ich erzählte es ihm in kurzen Worten, erklärte ihm auch den Verrat des Kolarasi und fügte hinzu:

»Krüger-Bei ist im Zelte des Scheiks. Wo Emery steckt, werden wir bald erfahren.«

»Ich weiß es, denn ich sah, wohin man ihn schaffte. Er befindet sich auf der entgegengesetzten Seite des Lagers.«

»So schneide mich ab! Wir müssen uns beeilen, die beiden freizumachen.«

»Nein, das werden wir nicht, weil wir damit alles verderben würden. Die Uled Ayar dürfen nicht merken, daß ihr fort seid! Sie würden sofort annehmen, daß wir unsere Soldaten holen, und das würde sie zum sofortigen Aufbruche veranlassen. Also müßt ihr hier bleiben. Sieht das mein Bruder Old Shatterhand ein?«

»Ja. Aber dann muß ich darauf rechnen, daß unsere Soldaten ganz gewiß kommen!«

»Du darfst nicht bloß darauf rechnen, sondern du sollst sie selbst holen.«

»Aber ich darf doch nicht fort! Mein Wächter würde es bemerken und Lärm schlagen.«

»Er wird nichts bemerken, denn ich bleibe an deiner Stelle hier.«

»Winnetou!« hätte ich beinahe ganz laut ausgerufen. »Welch ein Opfer!«

»Es ist kein Opfer. Wenn ich allein gehe, kann ich nicht mit den Soldaten sprechen. Wenn du mitgehst, entdeckt man es, und der Fang gelingt uns nicht. Wenn aber ich hier bleibe und du gehst, ist es ganz sicher, daß wir sie fangen, denn du wirst sie noch während der Nacht einschließen, sodaß sie am Morgen nicht aus der Schlucht können. Für mich ist keine Spur von Gefahr dabei, daß ich hier bleibe.«

Er hatte recht. Man könnte mich wohl dafür, daß ich dieses sein Anerbieten annahm, verurteilen; aber wir kannten uns und wußten, daß wir uns aufeinander verlassen konnten.

»Gut, ich willige ein,« erklärte ich. »Bist du bei den Unserigen gewesen, seit wir gefangen genommen worden sind?«

»Nein; ich hatte keine Zeit dazu. Ich mußte vor allen Dingen dich heraus haben.«

»Wie will ich sie finden, da ich nicht weiß, wo sie sind?«

»Wenn du gerade gegen Norden reitest, mußt du auf sie stoßen. Sie haben jedenfalls da, wo die Felsen aufhören, Halt gemacht.«

»Am südlichen Ende des Warr? Das denke ich auch. Du sprichst vom Reiten. Natürlich meinst du auf deinem Pferde?«

»Ja. Wenn du aus der Schlucht kommst, gehst du tausend Schritte gegen Norden; da habe ich es angehobbelt. Meine Waffen hängen am Sattel; nur das Messer habe ich mit.«

»Das behältst du auch, um für alle Fälle etwas zur Verteidigung zu haben. Wie aber, wenn der Wächter hereinkommt und dich anspricht! – Du kannst ja nicht antworten!«

»Ich werde schnarchen, damit er denkt, ich schlafe.«

»Gut! Hoffentlich dauert es nicht lange, bis ich wieder da bin. Soll ich dir vielleicht ein Zeichen geben?«

»Ja. Drei Schreie eines Geiers.«

»Gut! Also binde mich los! Dann fessele ich dich; aber so, daß du dir die Hände leicht frei machen kannst.«

Dies geschah; dann verabschiedete ich mich von dem Apatschen und kroch zum Zelte hinaus. Das war nicht schwer. Die Leinwand war mit Hilfe von Schnüren unten an der Erde an die Zeltstangen festgebunden. Winnetou hatte zwei Schnüre aufgelöst und die Leinwand so weit emporgehoben, daß er hatte ins Zelt kriechen können. Ich kam auf dieselbe Weise hinaus und band die Schnüre wieder fest. Ich war frei, ohne daß mein Wächter eine Ahnung davon hatte.

Nun, eigentlich frei war ich allerdings noch nicht, denn ich hatte erst noch einen großen Teil des Lagers zu durchschleichen; aber ich wußte doch, daß es niemanden gelingen werde, mich zu fangen.

Der junge Mond stand am Himmel, obgleich ich ihn hier in der tiefen Schlucht nicht sehen konnte. Es war ziemlich hell, doch sah ich keinen Menschen, der noch wach und munter war. Die Schläfer lagen in Gruppen, welche leicht zu vermeiden waren, beisammen. Ich kroch schlangengleich auf der Erde hin und hatte schon nach einer Viertelstunde die letzten Uled Ayar hinter mir. Da stand ich auf und lief.

 

Die Beduinen fühlten sich wirklich vollständig sicher. Sie hatten nicht einmal am Ausgange des Passes einen Wachtposten aufgestellt. Nun tausend Schritte nordwärts. Schon nach achthundert Schritten sah ich das Pferd, denn hier im Freien war es bedeutend heller, als drin in dem tiefen Engpasse. Ich stieg auf und ritt davon, indem ich mich erst jetzt vollständig sicher fühlen konnte, da ich ein Pferd und Winnetous vortreffliche Waffen hatte.

Nun ging es im Galoppe immer weiter nach Norden. Der Mond stand im Anfange des ersten Viertels, schien aber so hell, daß ich eine ziemlich weite Aussicht hatte. Nach einer Stunde erreichte ich die ersten Felsblöcke, welche den Beginn des Warr bedeuteten. Es galt, unser Lager zu finden, was hier zwischen den Felsen weit schwerer war, als auf der offenen Steppe. Ich nahm die Silberbüchse des Apatschen und gab einen Schuß ab, nach einer kleinen Weile einen zweiten. Als ich nun horchte, hörte ich nach vielleicht einer halben Minute zwei Schüsse als Antwort; sie fielen westlich von mir. Ich schlug diese Richtung ein und traf bald auf mehrere Soldaten. Als man im Lager meine Schüsse gehört hatte, war man der

Ansicht gewesen, daß Winnetou zurückkehre. Man hatte auch zweimal geschossen, um ihm die Richtung anzudeuten, und außerdem noch Leute ausgesandt, ihm entgegenzugehen. Sie erstaunten, an seiner Stelle mich zu sehen, doch unterließ ich es, ihnen Auskunft zu geben, denn meine Zeit war kostbarer, als daß ich sie damit hätte vergeuden mögen.

Im Lager wurde ich jubelnd empfangen. Ich fragte sofort nach dem Führer; er wurde gerufen und zeigte, als er kam, nicht eine Spur von Angst, oder auch nur Verlegenheit.

»Du weißt, wie wir gefangen genommen worden sind?« fragte ich ihn.

»Ja, o Herr. Ich war ja dabei.«

»Was mag wohl der Grund gewesen sein, daß gerade nur du entkamst?«

»Daß ich auf dem Pferde sitzen geblieben war. Es trug mich schnell davon.«

»Hm, ja! Was thatest du dann?«

»Ich meldete eure Gefangennahme.«

»Und dann?«

»Suchten wir euch im Warr.«

»Warum denn da?«

Es war anzunehmen, daß die Uled Ayar sich mit euch in demselben verstecken würden.«

»Und ihrer Spur folgtet ihr nicht?«

»Das wäre überflüssig gewesen, weil dein Freund, welcher Ben Asra heißt, dies schon that.«

»Ah, darum hieltet ihr es für überflüssig! Wenn einer ein gutes Werk thut, dürfen andere dasselbe nicht auch thun, weil es überflüssig ist. Du hast sonderbare Gründe. Aber der eigentliche Grund ist ein anderer. Wo hatten die Uled Ayar wohl gesteckt, als sie uns überfielen?«

»Hinter den Felsen.«

»Dort hatten sie auf uns gewartet. Sie mußten also wissen, daß wir kommen würden. Sie erfuhren es von einem, der es gewußt hat, daß du uns an das Wasser führen würdest. Wer hat es noch gewußt?«

»Niemand!«

»Ja, niemand außer dir. Folglich bist du es gewesen.«

»Ich? Allah, Allah! Welch ein Gedanke! Habe ich nicht bewiesen, daß ich treu bin! Bin ich nicht nach Tunis geritten, um Hilfe zu holen?«

»Du willst sagen, um den Uled Ayar noch mehr Soldaten in die Arme zu treiben! Wer war der Reiter, mit dem du gestern um Mitternacht in der Nähe unsers Lagers gesprochen hast?«

Diese Frage hatte er nicht erwartet. Er blieb vor Schreck stumm.

»Antworte!« befahl ich ihm.

»Herr, auf – auf eine – auf eine solche Frage – kann ich nicht antworten,« stotterte er.

»Du kannst antworten! Wer war es?«

»Ich habe mit niemanden gesprochen. Ich habe das Lager nicht verlassen.«

»Lüge nicht! Du hast mit dem Kolarasi Kalaf Ben Urik gesprochen und mit ihm beredet, uns den Uled Ayar auszuliefern.«

»Maschallah! Herr, sage mir, wer mich in dieser Weise verleumdet hat, damit ich ihn auf der Stelle niederschieße!«

»Sprich nicht vom Schießen, denn du selbst wirst es sein, der erschossen wird. Die Kriegsgesetze verlangen deinen Tod.«

»Herr, ich bin unschuldig! Ich weiß —«

»Schweig!« herrschte ich ihn an. »Du hast nach unserm Verschwinden als Führer die Nachforschungen geleitet, und mit Absicht nicht auf unsere Spuren geachtet. Der Kolarasi hat mir selbst gesagt, daß er mir dir im Bunde steht.«

»Der Schurke! Er ist —«

»Still! Du bist ein Verräter und wolltest uns alle ans Messer liefern. Entwaffnet den Halunken und bindet ihn! Der Herr der Heerscharen wird ihm morgen sein Urteil sprechen.«

Die Leute waren so erstaunt, den Unteroffizier, welcher bisher ein so großes Vertrauen genossen hatte, eines solchen Verbrechens angeklagt zu sehen, daß sie versäumten, meinen Befehl auszuführen. Dies machte er sich zunutze, indem er ausrief.

»Mein Urteil? Eher soll das deinige gesprochen werden, und zwar jetzt gleich, du verfluchter Giaur!«

Er zog sein Messer und wollte es mir in die Brust stoßen, um dann zu entrinnen. Ich hatte Winnetous Gewehr in der Hand, parierte mit demselben den Stoß und griff nach dem Verräter. Er huschte mir aber unter dem Arme weg und eilte davon, der Stelle zu, an welcher die Pferde standen. Die Anwesenden waren alle so perplex, daß es keinem einfiel, ihn zu verfolgen. Auch ich blieb stehen; aber ich legte die Silberbüchse zum Schusse an.

An dem Manne lag mir ganz und gar nichts. Er hätte immerhin entkommen mögen; aber es war mit Sicherheit anzunehmen, daß er sich direkt nach der Schlucht zu den Uled Ayar wenden würde und das mußte unbedingt verhindert werden. Die Felsblöcke verhinderten die Aussicht auf die Pferde; aber wenn er aufstieg, saß er so hoch, daß seine Gestalt über die Felsen ragen mußte. Darauf wartete ich. Das Schnauben eines Tieres war zu hören, dann Hufschlag. Er war aufgestiegen. Da drüben ritt er hin. Ich sah seinen Kopf und seine Schultern; ich zielte auf die rechte Schulter und drückte ab. Der Schuß krachte; ein Schrei ertönte, und der Reiter verschwand.

»Ich habe ihn vom Pferde geschossen,« sagte ich, indem ich das Gewehr absetzte. »Eilt hin, und holt ihn her zu mir!«

Viele rannten fort. Als sie ihn brachten, war er ohnmächtig.

»Der Hekim[19] mag ihn verbinden; dann wird er gefesselt,« gebot ich. »Er darf nicht aus den Augen gelassen werden.«

»Warum fesseln?« ertönte da eine Stimme hinter mir. »Der Mann schien brav zu sein und hat sich gut geführt. Wer wird eines Verdachtes wegen einen Menschen erschießen!«

Diese Worte waren in englischer Sprache gesprochen worden, und als ich mich umdrehte, stand der falsche Hunter da. Der kam mir eben recht!

»Sie tadeln mich?« fragte ich ihn in derselben Sprache. »Dazu haben Sie kein Recht.«

»Haben Sie Beweise für die Schuld dieses Unteroffiziers?«

»Ja.«

»So mußten Sie ihn anzeigen, damit er vor ein Kriegsgericht gestellt werde! Sie hatten auf alle Fälle kein Recht, auf ihn zu schießen!«

»Pshaw! Ich weiß stets, was ich thue. Ich werde das, was ich gethan habe und noch thun werde, vor Krüger-Bei verantworten. Wie kommt es, daß Sie sich eines Verräters so warm annehmen?«

»Es muß bewiesen werden, daß er einer ist!«

»Es ist schon erwiesen. Ich habe allerdings in letzter Zeit bemerkt, daß Sie eine ganz besondere Neigung zu diesem Manne gefaßt und sich besonders in heimlicher Weise viel mit ihm beschäftigt haben. Jetzt verteidigen Sie ihn, ohne dazu berufen worden zu sein. Können Sie mir den Grund dazu angeben?«

»Ich habe mich vor Ihnen nicht zu rechtfertigen! Was ich lasse oder was ich thue, das geht Sie gar nichts an!«

»So! Das ist Ihre Meinung; die meinige klingt aber anders. Soll ich Ihnen sagen, warum Sie eine ebenso heimliche wie innige Freundschaft mit diesem Verräter geschlossen haben?«

»Dies zu sagen, würde Ihnen wohl sehr schwer werden!«

»Kinderleicht! Er macht das Bindeglied zwischen Ihnen und dem Kolarasi Kalaf Ben Urik, den Sie befreien wollen.«

»Wenn es das ist, so bedaure ich es jetzt sehr, Sie in mein Vertrauen gezogen und ihnen soviel mitgeteilt zu haben!«

»Dann bedauern Sie vielleicht das noch mehr, was ich von andern außerdem noch weiß, daß Sie einen gewissen Thomas Melton kennen.«

»Tho – mas – Mel – ton!« stieß er silbenweise hervor.

Wenn es Tag gewesen wäre, hätte ich gewiß gesehen, daß er leichenblaß geworden war.

»Ja. Sie leugnen doch nicht, diesen Mann zu kennen, wenigstens von ihm gehört zu haben?«

19Militärarzt.