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Satan und Ischariot II

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Ich wendete mich nun zu demjenigen, welcher seinen Gesichtszügen und den Narben nach, welche er hatte, der mutigste zu sein schien, und gebot ihm:

»Jetzt nun du! Herab und hin, um dein Gewehr und Messer abzuliefern! Eins – zwei —!«

Er wartete die drei gar nicht ab, sondern stieg, zwar finstern Blickes, aber doch gehorsam, vom Pferde, gab Winnetou seine Waffen, wurde gebunden und setzte sich dann nieder.

Nun glaubte ich, daß es schneller und ohne großen Widerstand gehen werde. Ich hatte mich da nicht geirrt. Uns kam die mohammedanische Ansicht vom Kismet zu statten: Es war Allahs Wille; es stand im Buche des Lebens verzeichnet. Sie gehorchten alle, und nur zwei stießen, indem sie sich doch notgedrungen fügten, dabei Verwünschungen aus. Der eine rief mir zu: »Jil‘ an daknak – verflucht sei dein Bart!« woraus ich mir natürlich nichts machte. Und der andre fuhr mich grimmig an: »Allah jelbisak bornehta – Allah setze dir einen Hut auf!« Dies bezieht sich darauf, daß ein Moslem niemals einen Hut trägt; die Verwünschung will also sagen: Gott rechne dich zu den Ungläubigen, und da ich im Sinne des Islam Zeit meines Lebens zu den Ungläubigen gehört habe, so konnte auch dieser sonst so entsetzliche Fluch mich weder in großen Zorn versetzen, noch zu bittern Thränen rühren. Hatte ich doch manchen Tag meines Daseins einen Filz- oder Strohhut und zur schönen

Zeit der lieben Examina sogar einen Cylinder, genannt Angströhre, nebst obligatem Frack getragen, der Glacés für eine Mark zwanzig Pfennige gar nicht zu gedenken!

Wir hatten das jedem, der nicht Prairiejäger gewesen ist, unmöglich Erscheinende vollbracht – zu drei Personen vierzehn bewaffnete und ausgezeichnet berittene Feinde ohne eigentlichen Kampf gefangen genommen; ich gestehe aber aufrichtig und der Wahrheit gemäß, daß uns dies mit vierzehn Indianern nicht gelungen wäre. Zu rühmen brauchten wir uns gar nicht, denn es war uns bei unsrer vortrefflichen Bewaffnung leicht genug geworden, und da mir ein Blutvergießen widerstrebte und wir die Pferde auch gern schonen wollten, so hätten die Uled Ayun nur plötzlich und in Masse auszubrechen gebraucht, um uns zu entkommen; glücklicherweise aber waren sie über die Güte unsrer Waffen so erstaunt und geradezu verblüfft gewesen und von uns so schnell übertölpelt worden, daß sie gar keine Zeit gefunden hatten, einen Entschluß zu fassen, geschweige denn denselben auszuführen. Als sie nun alle gebunden beisammen saßen, fragte mich Emery:

»Wie nun sie fortbringen? Wird wohl schwieriger sein als die Gefangennahme!«

»O nein. Erst hatte ich die Absicht, dich fortzusenden, um Soldaten zu holen, während Winnetou und ich die Kerls bewachen —«

»Werde gleich reiten!«

»Warte, und laß mich ausreden! Jetzt aber denke ich, daß dies nicht notwendig ist. Wir transportieren sie selbst.«

»Sollen sie etwa reiten? Dann brennt uns einer oder der andere durch, trotzdem sie gefesselt sind. Du willst doch keinen töten, und wenn uns einige davon- davonreiten, können wir sie doch nicht verfolgen und die andern halten lassen!«

»Sie reiten eben nicht! Jeder Uled Ayun führt sein Pferd.

Wir binden den Zügel an seine Hände, die er auf dem Rücken hat; er läuft voran, und das Pferd folgt hinter ihm.«

»Well, nicht übel. Aber wenn die Pferde unruhig werden? Ein gefesselter Mann kann, zumal wenn er die Hände auf dem Rücken hat, kein Pferd beruhigen oder gar bändigen.«

»Das braucht er auch nicht, sondern wir drei werden das thun; wir haben ja unterwegs nichts weiter vorzunehmen und können also ganz gut mit auf die Pferde achten.«

»Well! Also vorwärts! Wir haben nur noch anderthalbe Stunde bis zum Abend. Glücklicherweise können wir, selbst wenn die Kerls nicht reiten, in einer Stunde am Warr sein.«

»Warr? Welches Warr?«

»Der Führer sagte, kurz ehe wir aufbrachen, um dich zu suchen, daß wir heute an ein Warr kommen würden, durch welches wir morgen reiten müssen, und so beschloß Krüger-Bei, am Anfange dieses Warr Lager zu machen.«

»Weißt du den Weg dorthin?«

»Müssen unbedingt hinkommen, wenn wir westlich reiten.«

»Warr« ist eine mit Felsblöcken übersäete Wüste. Unter »Sahar« begreift nämlich der Beduine nur die sandige Wüste. »Serir« ist die steinige, »Dschebel« die gebirgige Wüste. Ist die Wüste bewohnbar, so heißt sie »Fiafi«, während man die unbewohnbare »Khala« nennt. Hat die Wüste Gesträuch, so heißt sie »Haitia«, und wo gar Bäume stehen, spricht man von »Khela«.

Wenn Emery von einem Führer gesprochen hatte, so war der Soldat gemeint, welcher der Einschließung durch die Uled Ayar entkommen war und die Botschaft davon nach Tunis gebracht hatte. Es war ihm dafür der Grad eines Unteroffiziers erteilt worden. Um die Feinde zu finden, bedurften wir keines Führers; wenn es sich aber um die Einzelheiten der Gegend handelte, so mußte es uns ganz lieb sein, einen Mann bei uns zu haben, welcher dieselben kannte, weil er vor so kurzer Zeit erst hier gewesen war.

Jetzt wurden die Gefangenen so, wie ich es gesagt hatte, mit ihren Pferden zusammengebunden, und dann brachen wir auf. Der Verwundete hatte für seinen Arm einen Verband erhalten, und was den Scheik betrifft, so war derselbe natürlich längst aus seiner Ohnmacht erwacht und mußte sich, wenn auch zähneknirschend, in sein Schicksal fügen.

Fuenftes Kapitel: Am Dschebel Magraham

Elatheh, die von mir gerettete Frau, hatte erklärt, nun stark genug zu sein, sich mit ihrem Kinde im Sattel halten zu können, und ritt eins der Pferde der Ayun. Sie schien keine Sorge mehr um sich selbst zu haben, da wir ihre Todfeinde, die Ayun, nicht als Freunde behandelt hatten.

Wir drei saßen natürlich auch zu Pferde und trieben unsere Fußgänger zu raschem Laufe an. Die Pferde der Ayun machten uns nicht viel zu schaffen. So feurig die Beduinenrosse sind, so sind sie doch wie Hunde, welche ihren Herren folgsam und willig nachlaufen.

Die Sonne hatte den Horizont noch nicht erreicht, als wir hier und da im Sande größere oder kleine Steine liegen sahen. Das »Warr« begann, und je weiter wir kamen, desto größer und zahlreicher wurden die Steine. Endlich sahen wir sie südwärts in Massen vor uns liegen; ein nächtlicher Ritt durch ein solches Warr ist höchst unbequem, und so konnten wir den Entschluß Krüger-Beis, am Beginn desselben Halt zu machen, nur billigen.

Bald sahen wir denn auch das Lager vor uns, in welchem es sehr lebhaft zuging. Man sah uns kommen; man sah auch, daß wir nicht allein waren, und so kamen uns viele neugierig entgegen, die nicht wenig erstaunt waren, als sie hörten, was geschehen war, und die Kunde davon schnell durch das ganze Lager verbreiteten.

Natürlich stattete ich Krüger-Bei meinen Rapport ab. Er schien nicht sehr von demselben erbaut zu sein, denn er sagte:

»Sie haben da zu drei Personen eine Heldenthat vollbracht und außerdem vierzehn Personen gefangen genommen; aber anders wäre es mir viel lieber gewesen.«

»Anders? Wie meinen Sie das?«

»Weil diese Gefangenen mitschleppen zu müssen, große Unannehmlichkeiten zur Folge haben wird.«

»Ich denke gerade das Gegenteil.«

»Wodrum?«

»Weil sie uns in Beziehung auf die Uled Ayars von großem Nutzen sein können.«

»So wollen Sie mir gütigst mitteilen, worin dieser Nutzen besteht, was ich mit voller Zuverlässigkeit nicht einsehe!«

»Die Uled Ayars haben die Kopfsteuer verweigert. In welcher Weise wird dieselbe geleistet oder ausgezahlt? «

»Der Stamm hat so und so viel Köpfe, macht in Summa für den Stamm und seinesgleichen alle Köpfe zusammen so viel Pferde, Rinder, Kamele, Schafe oder Ziegen.«

»Die Kopfsteuer wird also in Vieh geleistet. Im Frühjahr sind die Regen ausgeblieben, und infolge der nachherigen Dürre gingen unzählige Tiere zu Grunde. Die Herden sind gelichtet, und mancher wohlhabende Nomad ist zum armen Manne, mancher arme Mann zum Bettler geworden. Die Leute müssen, wenn sie nicht rauben sollen, von ihren Herden leben; nun aber sind sie gezwungen, zu darben. Sie hegten die Hoffnung, daß Mohammed es Sadok Pascha ihnen deshalb die Kopfsteuer für dieses Jahr erlassen oder doch wenigstens herabmindern werde; sie sandten darum Boten zu ihm; er hat es aber nicht gethan. Sie sollen von ihren gelichteten Herden die Steuer, die volle Steuer entrichten und werden also in noch viel größere Not geraten, Das hat sie erbittert; deshalb haben sie sich empört. Nun kommen wir, sie zu zwingen, ihnen mit Gewalt das Verweigerte abzunehmen; das wird sie zur Verzweiflung bringen. Ich bin aber überzeugt, daß sie die Steuer entrichten würden, wenn sie nicht so große Verluste erlitten hätten. Sie nicht auch?«

»Sofern als auch!« nickte er.

»Sie können sie nicht geben, ohne in noch größere Not zu geraten; sie werden sich also bis auf das Messer wehren. Die Uled Ayar sind uns an der Zahl der Krieger überlegen. Wenn sie uns besiegen, so sind wir unendlich blamiert und müssen mit Schande heimkehren. Das darf uns natürlich nicht passieren!«

»Es ist unmöglich, eine solche Schande zu ertragen, lieber mit der Waffe in der Faust sterben.«

»Ganz richtig, lieber sterben! Aber nun der andere Fall: wir siegen. Dann stürzen wir den ganzen Stamm in das tiefste Elend; der Hunger reibt ihn auf, und was dieser übrig läßt, das raffen die Krankheiten und Seuchen, welche eine Folge der Hungersnot sind, hin. Soll das geschehen?«

»Ungern. Aber warum soll nicht eintreten ein Auszug des Stammes nach Gegenden, wo die Herden mit gefundenen Weiden wieder Kraft und Fett und Fleisch erhalten?«

»Sie meinen, die Ayars sollen die Gegend wechseln, sollen gute Weiden aufsuchen, um ihre Herden sich wieder vermehren zu lassen? Dann ziehen sie hinüber ins Algerien oder gar über die Grenze von Tripolis; sie gehen also dem Pascha verloren, und er wird von ihnen nie wieder Steuer erhalten können, weil er ihnen diejenige eines einzigen kurzen Jahres nicht erlassen hat. Wünschen Sie das?«

 

»Entweder niemals oder auch nein!«

»Also Sie wünschen, daß weder wir noch die Uled Ayars besiegt werden!«

Er antwortete nicht sofort; er starrte mich ganz erstaunt an, dachte nach und kam da allerdings zur Einsicht, daß ich recht hatte, denn er meinte in verlegenem Tone:

»Das zu wissen, kann ich weder einsehen noch begreifen. Vielleicht können Sie mit beliebiger Scharfsinnigkeit nach Auseinandersetzung aller Gründe mir Hilfe leisten.«

»Ja, ich kann Ihnen einen Rat erteilen; ich weiß ein Mittel, den Uled Ayars die Zahlung der Kopfsteuer zu ermöglichen, ohne daß sie Schaden davon haben. Sie treiben dieselbe von den Uled Ayun ein.«

»Uled Ayun? Inwiefern?«

»Ich weiß, daß die Uled Ayun viel reicher sind, als die Uled Ayar; sie können einen Verlust viel leichter ertragen. indem ich ihren Häuptling und seine dreizehn Begleiter gefangen nahm, verfolgte ich einen doppelten Zweck; einmal wollte ich ihn für den Mord bestrafen, das andremal bekam ich durch ihn einen Trumpf in die Hände, welchen wir gegen oder vielmehr für die Uled Ayars ausspielen können. Es ist uns vielleicht gar möglich, letzteren die Entrichtung der Steuer zu ermöglichen und also sie mit dem Pascha auszusöhnen, ohne daß wir einen einzigen Schuß zu thun brauchen.«

»Das würde als ein Wunder vernommen werden.«

»Denken Sie daran, daß die Uled Ayar mit den Uled Ayun in Blutrache stehen. Es wird mir nicht schwer werden, festzustellen, wieviel Morde die letzteren an den ersteren begangen haben; dafür müssen sie die Blutpreise zahlen. Wir können sie zwingen, weil ihr Scheik sich in unsern Händen befindet.«

Da that Krüger-Bei trotz seines Alters und seiner hohen Würde einen Freudensprung und rief aus:

»Alhamdulillah! Allah sei Dank für diesen kostbaren Gedanken und diese unvergleichliche List, die Sie ausgesonnen haben! Sie sind ein kostbarer Kerl! Ihnen meine Freundschaft! Darauf können Sie sich verlassen von Zeit zu Zeit.«

Er schüttelte mir die Hände, und ich fragte ihn:

»Sie tadeln mich nun also nicht mehr darüber, daß ich den Scheik gefangen genommen habe?«

»Weder nicht noch nie!«

»So bitte, lassen Sie ihn mit seinen Leuten vorführen. Wir wollen ihn ins Gebet nehmen wegen der Blutrache. Auch habe ich eine persönliche Sache mit ihm zu ordnen.«

»Welcherlei Sache?«

»Er schimpfte mich wiederholt einen Hund, und ich habe ihm dafür Strafe angedroht. Er soll Prügel haben.«

»Prügel? Wissen Sie, daß ein freier Beduine die Prügel nur mit Blut abwäscht und die fürchterlichste Rache auf Tod und Leben nimmt?«

»Ich weiß es genau; ich weiß alles, was Sie sagen wollen. Auch ist‘s nicht etwa allein der »Hund«, den er büßen soll, sondern er soll bestraft werden für die Bosheit und Gefühllosigkeit, welche dazu gehört, eine wehrlose Frau mit einem armen Kinde in geradezu teuflischer

Weise zu behandeln. Die Blutrache geht mich nichts an; daß er den Greis ermordet hat, darüber bin ich nicht zum Richter berufen; aber ich sah das blinde Kind bei dem Kopfe seiner Mutter liegen, welcher um Hilfe schreiend aus der Erde ragte; ich sah die Geier um die Stelle versammelt, jeden Augenblick bereit, die Zerfleischung von Mutter und Kind zu beginnen. Diese Grausamkeit ging weit über die Blutrache hinaus, und dafür soll und muß er seine Strafe erhalten.«

»Und dennoch kann ich nicht umhin, Zweifel über ihre Berechtigung zu hegen!«

»Sagen Sie, was Sie wollen! Mein christliches Gefühl ist empört über die Unmenschlichkeit. Sie waren Christ, und ich weiß, daß Sie es im Herzen noch sind, obgleich Sie leider das Gewand eines Moslem tragen. Sie warnen mich nur vor den Folgen, um welche ich mich nicht schere, und geben mir doch innerlich recht. Ich wiederhole meine Bitte: Lassen Sie die Kerle kommen! Ich habe gesagt, daß er seine Strafe noch vor dem Abendgebete erhalten soll, und was ich sage, das gilt. Wenn Sie es nicht zugeben, werde ich ihn hinter Ihrem Rücken durchbläuen lassen!«

»Indem es Ihr fester Entschluß ist, daß er entweder hinter meinem Rücken oder auch vor demselben geprügelt werde, so soll es auf der Stelle Ihnen zuliebe ausgeführt werden.«

Nachdem er diese Zustimmung in seiner außerordentlich klaren Weise gegeben hatte, erteilte er den Befehl, die Gefangenen vor ihn zu führen. Er nahm vor dem Zelte, welches für ihn aufgerichtet worden war, Platz; ich mußte mich auf die eine Seite neben ihn setzen und Winnetou und Emery wurden aufgefordert, sich auf der anderen Seite niederzulassen.

Nach der Art, wie er seine Muttersprache ge- oder vielmehr mißbrauchte, durfte man den Beamten ganz und gar nicht beurteilen; er war in seinen gegenwärtigen Verhältnissen und für dieselben ein ganzer Mann.

Als die Truppen hörten, daß der Herr der Heerscharen mit den Gefangenen sprechen wolle, kamen sie herbei, um zuzusehen. Die Offiziere bildeten einen weiten Halbkreis um uns. Der Scheik der Uled Ayun wurde mit seinen Leuten gebracht. Er kannte Krüger-Bei und grüßte ihn, doch nur mit einer leichten Verneigung seines Hauptes. Der freie Beduine meint, auf den unfreien Beamten oder Soldaten des Pascha tief herabsehen zu müssen. Da kam er aber bei dem Obersten an den unrechten Mann; dieser hatte jetzt nicht deutsch, sondern arabisch zu sprechen und schnauzte ihn an:

»Wer bist du?«

»Du kennst mich doch!« antwortete der Scheik in trotzigem Tone.

»Ich glaubte, dich zu kennen; dein hoheitsvoller Gruß sagt mir aber, daß ich mich geirrt habe. Bist du seine Herrlichkeit, der Großsultan von Stambul, welcher der jetzige Khalif aller Gläubigen ist?«

»Nein,« antwortete der Scheik, welcher nicht wußte, wo der Oberst mit seinen Fragen hinaus wollte.

»Warum grüßest du mich da wie ein Sultan, zu dessen Angesicht ich meine Augen nicht erheben darf! Ich will hören, wer du bist!«

»Ich bin Farad el Aswad, der oberste Scheik aller Uled Ayun.«

»Ah, der! Allah öffnet mir die Augen, dich wieder zu erkennen. Also du bist ein Ayun, nichts als ein Ayun, und doch ist dein Nacken zu steif, den Herrn der Heerscharen des Pascha, dem Allah tausend Jahre schenken möge, in würdiger Weise zu grüßen. Ich werde dir den Nacken beugen lassen!«

»Herr, ich bin ein freier Ayun!«

»Ein Mörder bist du!«

»Kein Mörder, sondern ein Bluträcher; aber das geht keinen Menschen etwas an. Wir sind freie Männer, wir haben unsre eigenen Gesetze, nach denen wir leben; wir zahlen dem Pascha die Kopfsteuer, welche wir ihm versprochen haben; weiter hat er nichts zu fordern, und um das übrige hat er sich nicht zu kümmern.«

»Du thust, als ob du deine Rechte ganz genau kenntest, und ich werde sie dir nicht streitig machen; aber deine Pflichten scheinst du nicht zu kennen. Da ich dich bei deinen Rechten lasse, werde ich auch darauf sehen, daß du bei deinen Pflichten bleibst. Du siehst in mir den Vertreter des Pascha und hast ihn in mir zu achten und zu ehren. Ich werde euch jetzt zwanzig Schritte weit zurückführen lassen; dann naht ihr euch wieder und grüßt mich so, wie ihr es mir schuldig seid! Sonst bekommt ihr augenblicklich die Bastonnade!«

»Das darfst du nicht wagen!« fuhr der Schwarze auf. »Wir sind freie Männer, wie ich bereits gesagt habe.«

»In der Wüste seid ihr frei; wenn ihr euch aber beim Pascha oder bei mir befindet, seid ihr Untergebene, denn ihr zahlt uns die Kopfsteuer. Und wo ich meinen Fuß hinsetze, da gelten die Gesetze des Pascha. Wer die nicht befolgt, wird bestraft. Also zwanzig Schritte zurück, und dann ordentlich gegrüßt! Fort mit euch!«

Sie sahen, daß es ihm Ernst war, und ich war auch überzeugt, daß er seine Drohung ausführen würde, falls sie ihm nicht gehorchten. Sie entfernten sich bis auf zwanzig Schritte, kamen dann wieder und grüßten, indem sie sich tief verbeugten und die rechte Hand auf Stirn, Mund und Brust legten. Dennoch fuhr Krüger-Bei sie an:

»Wo bleibt das Sallam? Seid ihr stumm geworden?«

»Sallam aaleïkum!« grüßte der Scheik. »Allah verlängere dein Leben und schenke dir die Freuden des Paradieses!«

»Sallam aaleïkum! Allah verlängere dein Leben und schenke dir die Freuden des Paradieses!« wiederholten seine dreizehn Begleiter einstimmig.

»Aaleik es Sallam!« antwortete Krüger-Bei kurz. »Wie kommt ihr hieher?«

»Man hat uns gezwungen,« antwortete der Scheik. »Weil wir ein Weib der Uled Ayar bestraften, mit denen wir in Blutrache leben.«

»Wer zwang euch?«

»Die drei Männer, welche an deiner Seite sitzen.«

»Und ihr seid vierzehn? Wie kannst du das sagen, ohne daß dein Angesicht errötet?«

»Wir brauchen nicht zu erröten, denn die Männer stehen mit dem Scheitan[15] im Bunde; er hat ihnen Gewehre gemacht, gegen welche hundert Krieger nicht aufkommen können.«

»Sie halten es nicht mit dem Teufel, sondern sie fürchten Gott; aber sie sind tapfere Männer, welche schon in vielen Kämpfen gesiegt haben und weder Furcht noch Zagen kennen.«

»So kennst du sie noch nicht, uns aber haben sie gesagt, wer sie sind.«

»Nun, wer sind sie?«

»Der eine ist ein Nemsi, der andere ein Inglesi und der dritte ein Amierikani. Sie alle drei sind Ungläubige, welche in der Hölle wohnen werden. Was haben sie in unserm Lande zu suchen? Wer giebt ihnen das Recht, sich in unsere Angelegenheiten zu mischen? Die Hunde haben uns —«

»Halt!« gebot der Oberst ihnen in drohendem Tone. »Beleidigt sie nicht, denn sie sind meine Freunde und Gäste, und ihr beleidigt mich mit ihnen, Laßt also kein solches Wort wieder hören!«

Und in einem ganz anderen, merkwürdig freundlichen Tone fuhr er fort:

»Ihr habt Blutrache mit den Uled Ayar? Seit wann?«

»Seit fast zwei Jahren.«

»Ich ziehe jetzt gegen sie, um sie zu bekämpfen. Sie sind also meine Feinde ebenso, wie sie die eurigen sind.«

»Wir wissen es und hoffen also, daß du uns als Freunde behandeln wirst.«

»Für wen ist die Blutrache günstiger ausgefallen, für euch oder sie?«

»Für uns.«

»Wieviel Männer haben sie euch getötet?«

»Keinen.«

»Und ihr ihnen?«

»Vierzehn.«

Ich wußte, daß der plötzliche freundliche Ton des Obersten einen Grund haben müsse. Jetzt meinte er in ganz veränderter, strenger Weise:

»Das wird euch teuer zu stehen kommen! Denn ich werde euch den Uled Ayar ausliefern.«

»Das wirst du nicht!« rief der Scheik erschrocken. »Sie sind doch deine Feinde!«

»Sie werden dadurch, daß ich euch ihnen gebe, meine Freunde werden!«

»O Allah! Sie werden Rache nehmen und uns töten! Aber du hast kein Recht, uns auszuliefern. Wir sind nicht deine Sklaven, die du nach Belieben verschenken kannst!«

»Ihr seid meine Gefangenen! Ich sage euch, der Ritt nach der Stelle, an welcher ihr das Weib eingegraben hattet, wird euch teuer zu stehen kommen!«

Der Scheik sah finster vor sich nieder; dann blickte er zu dem Obersten auf, sah diesem scharf und forschend in das Gesicht und fragte:

»Ist es dein Ernst, uns auszuliefern?«

»Ich beteure es bei meinem Namen und bei meinem Barte!«

Da ging ein Zug grimmigen Hasses über das Gesicht des Ayun, und in höhnischem Tone fuhr er fort:

»Du meinst wohl, daß sie uns töten werden?«

»Ja.«

»Du irrst, bei meiner Seele, du irrst! Sie werden uns nicht töten, sondern die Diyehl[16] von uns nehmen. Einige Pferde, Kamele und Schafe werden ihnen lieber sein als unser Blut. Dann sind wir wieder frei und werden an dich denken! Wir werden dich – dich – —«

Er machte eine drohende Armbewegung. Der Oberst that, als ob er diese nicht gesehen habe, und sagte:

»Irrt euch nicht! – Es wird sich wahrscheinlich nicht nur um einige Stück Vieh, sondern um viel mehr handeln.«

»Nein. Wir kennen den Preis, welcher bei uns gebräuchlich ist, und können ihn recht wohl bezahlen.«

Da wendete sich der Oberst an mich und fragte:

Welcher Ansicht bist denn du, Effendi?«

Es ist allerdings gebräuchlich, die Höhe der Diyeh, des Blutpreises, nach den Verhältnissen der Person, welche ihn zu bezahlen hat, zu bestimmen. In diesem Falle war freilich anzunehmen, daß die Uled Ayun nicht soviel für die getöteten Ayar zu bezahlen hatten, wie die Kopfsteuer betrug, welche die letzteren entrichten sollten. Dies wußte der Oberst, und darum wendete er sich an mich in der Hoffnung, daß ich es verstehen würde, der Sache eine günstigere Wendung zu geben. Ich antwortete also in diesem Sinne:

 

»Du willst, o Herr, mit den Uled Ayar über die Auslieferung unserer Gefangenen verhandeln?«

»Ja.«

»So bitte ich dich um die Gewogenheit, zu erlauben, daß ich es bin, der die Verhandlung zu führen hat!«

»Die Bitte ist gewährt, denn ich weiß, daß ich keinen bessern Mann damit beauftragen kann.«

»In diesem Falle werden die Uled Ayun nun freilich viel mehr zu bezahlen haben, als sie jetzt denken.«

»Meinst du?« fragte er erfreut.

»Ja. Der Scheik der Ayun hat mich einen Hund, einen Ungläubigen genannt; ich kenne aber den Kuran und die verschiedenen Auslegungen desselben besser als er. Ich werde ihm das dadurch beweisen und seine beleidigenden Ausdrücke dadurch bestrafen, daß ich für die Auslieferung der Gefangenen die Bedingung stelle, den Blutpreis für die getöteten Uled Ayar genau nach dem Kuran und seinen Kommentaren zu bestimmen.«

Da lachte der Scheik höhnisch auf und rief:

»Ein Nemsi, ein Ungläubiger, ein Christ will den Kuran besser kennen als wir, und nach dem heiligen

Buche die Diyeh bestimmen! Dem Giaur ist der Hochmut in den Kopf gefahren und hat ihm den Verstand verwirrt!«

»Wahre dich!« warnte ich ihn. »Noch ist das Abendgebet noch nicht gekommen und du nennst mich einen Giaur. Weißt du denn, was der Kuran und die Auslegung über die Diyeh berichtet?«

»Nein, denn es wird gar nichts berichtet, sonst müßte ich es wissen.«

»Du irrst, und ich werde deine Unwissenheit erleuchten. Also höre, und die deinen mögen auch hören: Abd el Mottaleb, der Vatersvater des Propheten, hatte der Gottheit gelobt, wenn sie ihm zehn Söhne bescheren würde, ihr einen derselben zu opfern. Sein Wunsch wurde erfüllt, und um seinem Gelübde treu zu sein, befragte er das Los, welchen seiner zehn Söhne er zum Opfer bringen solle; es traf Abd-Allah, den nachherigen Vater des Propheten. Da nahm Abd el Mottaleb den Knaben und verließ mit ihm die Stadt Mekka, um ihn draußen vor derselben zu opfern. Inzwischen aber hatten die Bewohner der Stadt gehört, was er vorhatte; sie folgten ihm und stellten ihm vor, wie frevelhaft und grausam zu handeln er im Begriffe stehe. Sie versuchten sein Vaterherz zu erweichen, aber er widerstand allen ihren Reden und schickte sich an, das Opfer zu vollziehen. Da trat ein Mann zu ihm und bat ihn, ehe er handle, eine berühmte Wahrsagerin zu befragen. Abd el Mottaleb that dies, und sie erklärte, daß man rechts den Abd-Allah und links zehn Kamelstuten stellen möge und dann das Los werfen solle, wer zu töten sei, der Knabe oder die Stuten. Wenn das Los auf Abd-Allah falle, müsse man weitere zehn Kamelstuten bringen und wieder das Los befragen, und in dieser Weise fortfahren, bis es auf die Stuten falle, wodurch die Gottheit erkläre, wieviel Stuten das Leben und das Blut des Knaben wert sei. Es wurde auch in dieser Weise verfahren. Zehnmal fiel das Los auf den Knaben, sodaß bereits hundert Kamelstüten auf der linken Seite standen. Zum elftenmale traf das Los die Kamele, und Abd-Allah, der Vater des Propheten, wurde dadurch vom Opfertode erlöst. Seit jenem Tage und zum Andenken an denselben, wurde der Blutpreis eines Menschen auf hundert Kamelstuten festgestellt, und jeder wirklich gläubige Moslem darf sich nicht nach dem Brauche seiner Gegend, sondern er muß sich nach diesem geheiligten Brauche richten. Was sagst du nun?«

Diese Frage richtete ich an den Scheik. Er blickte einige Zeit finster vor sich nieder, warf mir dann einen grimmigen Blick zu und fragte:

»Welcher M‘allim[17] des Kuran hat die Todsünde begangen, dich, den Ungläubigen über die Geheimnisse des Islam zu unterrichten? Allah verbrenne ihn im glühendsten Feuer der Hölle!«

»Der Lehrer war auch ein Christ. Wir Christen kennen eure Lehre weit besser, als ihr selbst. Nun rechne einmal! Ihr habt vierzehn Uled Ayar umgebracht; das giebt vierzehnhundert Kamelstuten, welche ihr zu bezahlen habt, wenn ihr euer Leben retten wollt.«

»Und die Uled Ayar werden so verrückt sein, sie zu verlangen?«

»Ja. Oder vielmehr, sie würden verrückt sein, wenn sie es nicht thäten. Wir liefern euch nur unter der Bedingung an sie aus, daß sie es thun. Wir machen ihnen mit euch ein großartiges Geschenk, welches sie mit Freuden hinnehmen werden, da sie dann die Kopfsteuer be- bezahlen können und ihnen noch viele Tiere übrig bleiben, um die gehabten Verluste zu ersetzen!«

»Du redest wie ein ungeborenes Kind! Woher sollen wir vierzehnhundert Kamelstuten nehmen!«

»Hat denn nicht jedes Tier einen Preis, für welchen es zu haben ist? Besitzt nicht auch jede Kamelstute einen solchen?«

»Sollen wir Geld geben? Soviel bares Geld giebt es im ganzen Lande nicht. Wir bezahlen nicht, sondern wir tauschen. Aber das weißt du nicht, weil du ein Fremder, ein Giaur bist!«

»Giaur! Wieder eine Beleidigung! Sie wird zu den vorigen gerechnet und erhöht das Maß der Strafe, welche dich treffen wird. Habe ich übrigens gesagt, daß ihr Geld bezahlen sollt? Wenn es bei euch nur Tauschhandel giebt, und ich weiß sehr wohl, daß es so ist, so wird euch kein Mensch verwehren, die vierzehnhundert Kamelstuten im Tausche zu bezahlen. Ihr kennt den Wert eines Kameles, eines Rindes, eines Pferdes, eines Schafes und einer Ziege, und könnt euch also leicht berechnen, wieviel Pferde, Rinder, Schafe oder Ziegen ihr für die Stuten abzuliefern habt. Uebrigens ist dies noch nicht alles, was ihr zu bezahlen habt.«

»Etwa noch mehr?« fuhr er auf.

»Ja. Kennst du die Erklärungen des Kuran von Samakschari und Beidhawi?«

»Nein.«

»Ich habe sie studiert. Du siehst also abermals, daß ich, den du einen Giaur schimpfest, die Lehren, Gebote und Gesetze des Islam besser kenne als ihr, die ihr euch rühmt, gläubige und unterrichtete Anhänger des Propheten zu sein. Diese beiden Ausleger sind die berühmtesten von allen, und sagen übereinstimmend: Wer das Weib eines andern beschimpft, schändet, der tötet ihre Ehre und soll den halben Blutpreis bezahlen; wer sie aber mißhandelt, der tötet die Ehre ihres Mannes und muß die ganze Diyeh entrichten. Weißt du, was ich meine?«

»Allah verderbe dich!« knirschte er.

»Ihr habt die Frau, die ich rettete, auf eine ganz unmenschliche Weise mißhandelt und dadurch die Ehre ihres Mannes getötet. Das kostet den ganzen Blutpreis, also hundert Kamelstuten, oder deren genauen Wert in andern Tieren. Ich will dabei so gütig sein und die Gefahr, in welche ihr auch das blinde Kind brachtet, nicht mit in Anrechnung bringen. Aber das schwöre ich euch zu, daß ihr euer Leben nicht rettet, außer ihr bezahlt neben den vierzehnhundert Stuten für die Ermordeten auch noch hundert an die Frau! Sie ist arm, und ich will, daß sie durch die Mißhandlungen, welche sie erdulden mußte, wohlhabend werde.«

Da konnte sich der Scheik nicht länger halten; er sprang zwei Schritte vor und schrie:

»Hund, was hast du zu wollen und zu gebieten! Was gehen dich, den Hundesohn, alle diese Dinge an! Du bist wahnsinnig, daß du dir einbildest, zwei große Stämme dieses Landes sollen sich nach deinen Wünschen richten! Wären mir nicht die Hände gebunden, so würde ich dich erwürgen. So aber nimm das! Ich speie dich an; ich speie dir ins Gesicht!«

Er führte seine wütende Drohung wirklich aus; ich aber warf, an der Erde sitzend, den Oberkörper schnell zur Seite, sodaß er mich nicht traf. Da rief Krüger-Bei:

»Führt die Hunde fort, sonst werden sie toll! Sie haben gehört, was wir wollen, und wir werden keinen Finger breit davon abgehen; sie werden ausgeliefert und müssen den Blutpreis nach dem Kuran und hundert

Kamelstuten an die Frau zahlen, wenn sie nicht ihr Leben lassen wollen. Sind die Betreffenden nicht reich genug, so mag ihr Stamm für sie eintreten!«

Man schaffte sie fort, doch hielt man auf meinen Wink den Scheik zurück, welchen, da er sich unbändig gezeigt hatte, die Füße wieder gebunden wurden.

Jetzt ging die Sonne unter, und es war also die Zeit des Moghreb gekommen, des Gebetes, wenn die Sonne sich hinter dem Horizonte niedersenkt. Bei jeder Karawane, bei jedem Trupp, der sich unterwegs befindet, giebt es jemand, welchem das Amt des Vorbeters übertragen ist; ist‘s kein moslemitischer Geistlicher, Derwisch oder Moscheebeamter, so ist‘s ein Laie, der die zu beobachtenden Funktionen genau kennt. Hier bei uns war es mein Freund, der Feldwebel, der alte Sallam. Kaum berührte die Sonne den Horizont, so rief er mit lauter, weithin schallender Stimme:

»Hai alas Sallah, hai alal felah! Allahu akbar! Aschada anna la ilaha il Allah, aschadu anna Mohammad-ar-rasulullah – auf zum Gebete, auf zum Heile! Gott ist sehr groß! Ich bekenne, daß es keinen Gott giebt außer Gott. Ich bekenne, daß Mohammed der Gesandte Gottes ist!«

15Teufel.
16Blutpreis.
17Lehrer.