Kostenlos

Satan und Ischariot II

Text
Autor:
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Wo gedenkst du, ihn zu finden?«

»Das weiß ich nicht, da er in den Kampf gezogen ist. Allah möge in demselben sein Leben beschützen! Aber unser Lager, in welchem die Greise, Frauen, Kinder, Kranken und Schwachen zurückgeblieben sind, das weiß ich zu finden. Es liegt am Dschebel Eschuir, den wir morgen erreichen werden. Willst du mich dorthin bringen? Die Unserigen werden dich mit Freude empfangen. Ich bin zwar arm, aber ich heiße Elatheh, und alle haben mich lieb, sodaß sie meinen Retter mit Jubel bewillkommnen werden.«

»Auch wenn er ein Feind von euch ist?«

»Ein Feind? Wie kannst du ein Feind der Uled Ayar sein, du, der du mich von dem schrecklichsten Tode errettet hast!«

»Und doch bin ich es.«

»Das ist ja gar nicht möglich, denn du hast mir gesagt, daß du von weit, sehr weit herkommst. Wie heißt der Stamm, dem du angehörst?«

»Es ist kein Stamm, sondern ein Volk, ein großes Volk von wohl fünfzig Millionen Seelen.«

»O Allah! Wie groß muß da die Oase sein, in welcher diese vielen Menschen wohnen. Wie werden sie genannt?«

»Das Land heißt Belad el Alman; ich bin also ein Almani oder, wenn du das Wort vielleicht gehört haben solltest, ein Nemsi und heiße Kara Ben Nemsi. Mein Vaterland liegt weit über dem Meere drüben.«

»Und da sagst du, daß du ein Feind der Uled Ayar seist?«

»Eigentlich bin ich es nicht, und dennoch bin ich es jetzt. Ein Almani oder Nemsi ist keines Menschen Feind; wir lieben den Frieden und halten Allahs Gebote; aber ich bin gegenwärtig ein Freund und Gefährte derer, welche ihr eure Feinde nennt, der Soldaten des Paschas.«

»Wie?« fragte sie erschrocken. »Du bist ein Gefährte dieser Peiniger, denen wir das Kopfgeld verweigert haben?«

»Ja.«

»So bist du allerdings unser Feind, und ich darf nicht mit dir gehen.«

»Willst du hier bleiben und verschmachten?«

»Allah ‚l Allah! Du hast recht. Wenn du mich nicht mitnimmst, muß ich mit meinem Kinde hier elend umkommen. Was thue ich!«

»Das, was du vorhin beschlossen hattest; du vertraust dich mir an.«

»Aber du wirst mich nicht nach unserm Lager bringen?«

»Das kann ich freilich nicht. Erstens seid ihr beide fast verschmachtet, und ich habe nichts zu essen und auch kein Wasser mehr; wie könntet ihr es bis morgen oder gar übermorgen aushalten! Und zweitens muß ich unbedingt zu den Meinigen zurück. Käme ich nicht, so würden sie um mich in Sorge sein und weit und breit nach mir suchen. Gerade dadurch könnte es zu feindlichen Begegnungen mit den Eurigen kommen, und das ist es, was ich sehr gern vermeiden möchte.«

»So würdest du mich also zu den Soldaten, zu unsern Feinden bringen? Glaubst du wirklich, daß ich da mitgehen werde?«

»Ja. Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon. Willst du lieber umkommen? «

»Du hast recht. Meine Seele ist im Widerstreite; ich weiß nicht, wozu ich mich entschließen soll.«

»Du brauchst dich nicht zu entschließen, denn es steht fest, daß du mit mir reitest. Wenn du es nicht freiwillig thust, werde ich dich zwingen.«

»Allah la jukaddir – Gott verhüte es!« rief sie erschrocken aus. »Willst du ein schwaches Weib zwingen? Willst du ebenso schlimm sein, wie die Uled Ayun gewesen sind?«

»Ja, ich werde dich zwingen, aber ohne so bös wie sie zu sein; ich beabsichtige vielmehr, dir nur Gutes zu thun. Wenn du hier bleibst, bist du verloren; du mußt mit mir fort, und da ich nur zu den Soldaten zurückkehren kann, mußt du mit zu ihnen. Aber du brauchst dich nicht zu fürchten oder gar zu entsetzen. Ich meine es gut mit dir. Ich würde dich nur zwingen, um dich zu retten. Betrachte mich nicht als deinen Feind. Als ich dich in der Erde stecken sah, habe ich mir sofort gesagt, daß du zu den Uled Ayar, also zu meinen jetzigen Gegnern gehörst; dennoch habe ich dich aus der Erde gegraben. Du kannst daran ersehen, daß ich kein gefährlicher Feind bin. Ich bin nur mitgezogen, um vielleicht Blutvergießen zu verhüten und, wenn es möglich ist, Frieden zu stiften. Sieh mich an! Habe ich das Gesicht eines Menschen, vor welchem du dich fürchten mußt?«

»Nein,« antwortete sie lächelnd. »Dein Auge blickt freundlich, und dein Gesicht ist mild und gut. Vor dir fürchte ich mich nicht, desto mehr aber vor den Soldaten.«

»Das ist nicht nötig; sie werden alle freundlich mit dir sein; wir führen nicht mit Frauen Krieg.«

»Kannst du ihnen denn befehlen, daß sie mich nicht feindlich behandeln?«

»Ja, und sie werden gehorchen.«

»So bist du ein Oberer von ihnen?«

»Ein Oberer und Gast, und das gilt, wie du weißt, noch viel mehr.«

»Werde ich gefangen sein?«

»Ich verspreche dir, daß du frei sein sollst und alles bekommen wirst, was du brauchst. Ich nehme dich unter meinen ganz besondern Schutz; du wirst stets in meiner Nähe sein, und wer dich antastet, den werde ich streng bestrafen.«

»Und wann kann ich dann gehen?«

»Sobald die Verhältnisse es erlauben und ich erkenne, daß das, was du daheim von uns erzählst, uns nicht mehr schaden kann. Das kann sehr bald werden, vielleicht schon übermorgen.«

»Ich glaube deinen Worten, denn du siehst nicht aus wie ein Betrüger, sondern wie ein ehrlicher Mann. Und da du mir dies versprichst, so – doch siehe,« unterbrach sie sich, »dort kommen zwei Reiter!«

Sie deutete in die Richtung, aus welcher ich gekommen war. Da ich mit dem Rücken nach derselben gestanden hatte, so hatte ich sie nicht gesehen. Auch die Frau war so mit unserm Gespräche beschäftigt gewesen, daß sie die beiden erst dann gesehen hatte, als dieselben schon so nahe waren, daß ich sehen konnte, wer sie waren, nämlich Emery und Winnetou.

»Es werden doch nicht Feinde von dir oder mir sein, o Herr!« meinte sie besorgt.

»Es sind Freunde von mir, welche mich suchen, weil meine Abwesenheit ihnen zu lange gewährt hat,« antwortete ich. »Du brauchst dich vor ihnen nicht zu fürchten; sie werden dich ebenso beschützen, wie ich; sie sind auch fremd und gehören nicht zu dem Stamme der Ayun. Der eine ist ein Inglisi und der andere gar ein Mann aus dem fernen Belad Amierika.

Als die beiden uns erreicht hatten, hielten sie an, und Emery fragte:

»Warum so lange fort? Hatten Sorge. Warst über zwei Stunden weg; konntest einen Unfall gehabt haben. Sind bis zu deiner Spur geritten und dann derselben gefolgt. Natürlich wieder Abenteuer gehabt?«

»Ja, dieses Weib befand sich mit ihrem Kinde in größter Gefahr.«

Ich erzählte ihnen das Vorkommnis, natürlich in englischer Sprache, damit Winnetou es auch verstehen konnte. Als ich geendet hatte, sagte Emery:

»Ganz entsetzlich! Habe von Krüger-Bei gehört, daß Uled Ayun Halunken sind. Weib wird natürlich nicht feindlich behandelt, armes Wesen! Werden ihr zu essen und zu trinken geben.«

Sie stiegen ab. Sie hatten Wasser bei sich. Emery gab ihr dazu Datteln und Winnetou ein Stück Fleisch, welches er aus der Satteltasche hervorzog. Er hatte sich einen Vorrat auf Indianerweise gebraten.

Man sah, die Frau hatte Hunger. Während sie aß, sah ich fern im Osten einen weißen Punkt auftauchen, welcher immer größer wurde und dann eine zweifache Farbe annahm, unten dunkel und oben weiß. Als ich in die angegebene Richtung deutete, meinte Emery:

»Ein Trupp Beduinen; unten Pferde dunkel, oben die Burnus hell. Sie kommen gerade hierher. Was thun?«

Die Frau sah, was wir beobachteten; sie blickte also auch gegen Osten und rief erschrocken aus:

»Allah beschütze uns! Wir sind verloren, wenn wir nicht so schnell wie möglich fliehen! Das sind Uled Ayun.«

»Es können auch andere sein.«

»Nein. Sie leben jetzt mit aller Welt in Unfrieden, und wer so offen und am hellen Tage aus der Gegend ihrer Zeltdörfer kommt, der muß ein Uled Ayun sein. Laß uns fliehen, Herr, schnell, schnell!«

Sie sprang auf.

»Warte nur, warte!« antwortete ich. »Ein Germani flieht nicht so schnell vor solchen Leuten.«

»Aber es sind ihrer mehr als zehn!«

»Und wenn es zwanzig oder dreißig wären, wir fürchten uns nicht.«

»So seid ihr verloren, und ich bin es mit euch! 0 Allah, Allah, beschütze uns in dieser Angst und Gefahr!«

»Sei ruhig! Ich gebe dir mein Wort, daß sie dir nichts thun werden. Ich denke vielmehr, daß wir sie bestrafen werden für den Mord, welcher hier begangen worden ist, nämlich wenn sie wirklich zu den Uled Ayun gehören.«

»Willst bleiben?« fragte Emery in seiner kurzen Weise.

Er hatte die Worte des Weibes und natürlich auch die meinigen verstanden.

»Auf alle Fälle,« antwortete ich.

»Und wenn es keine Uled Ayun sind —?«

»Dann sind es Uled Ayar, gegen welche wir ziehen, und die müssen wir erst recht bekommen.«

»Gefangen nehmen?«

»Ja. Wenn wir schießen müssen, dann möglichst nur die Pferde, nicht die Menschen, die ich lebendig haben möchte.«

»Weiß schon! Bist stets sparsam mit Menschenblut; sind es aber nicht wert, die zehnfachen Schurken.«

»Du meinst doch, daß wir ihnen überlegen sind?«

»Ueberlegen? Pshaw! Die paar Kerls nimmt ein jeder von uns allein auf sich. Macht mir großen Spaß!«

Sein sonst so ernstes Gesicht strahlte vor innerem Vergnügen, als er zu seinem Pferde trat, um das Gewehr vom Sattel zu nehmen, mit welchem er gewohnt war, jedes Wild und jeden Feind in die Stirn zu treffen.

Auch Winnetou griff nach seiner Silberbüchse und fuhr dann mit der Hand in den Gürtel, in welchem das bewährte Bowiemesser und auch der Tomahawk steckte. Er hatte auch diesen von drüben herübergebracht.

»Das wird für dich vielleicht der erste Kampf in der afrikanischen Wüste werden,« bemerkte ich ihm.

»Winnetou glaubt nicht, daß es zum Kampfe kommen wird,« antwortete er. »Die Furcht wird sie in unsere Hände treiben.«

Da rief die Frau noch ängstlicher als vorher:

»O Erbarmer, o Gnädiger, o Beschützer! Es sind wirklich Uled Ayun! Die sechs, welche mich eingruben, sind bei ihnen.«

 

»Du täuschest dich nicht?« fragte ich.

»Nein. Der mit dem großen, schwarzen Barte, wel- welcher voranreitet, war ihr Anführer. Wie wird es uns ergehen! 0 Allah, Allah, Allah!«

Ich drückte sie auf den Boden nieder und beruhigte sie:

»Es wird dir und deinem Kinde kein Haar gekrümmt werden. Nicht wir haben die Leute zu fürchten, sondern sie uns.«

»Das ist ja ganz unmöglich, ganz unmöglich! Es sind ihrer vierzehn, und ihr seid doch bloß drei!«

Ich hatte keine Zeit mehr, länger auf die Zaghafte zu achten, denn der Trupp war uns bis auf ungefähr dreihundert Schritte nahe gekommen, wo er anhielt, um uns zu betrachten. Die Uled Ayun kamen jedenfalls, um nachzusehen, ob die Frau tot sei oder nicht, und sich an ihrem Anblicke zu weiden. Ohne daß einer von uns eine Weisung gegeben oder erhalten hatte, standen wir so, wie die gegenwärtige Lage es erforderte, nämlich ich bei dein Weibe in der Mitte, Emery zwanzig Schritte weit rechts und Winnetou ebensoweit links von mir, sodaß wir eine gerade, vierzig Schritt lange Linie bildeten. Die Pferde hielten hinter uns.

Die Beduinen waren außer zweien mit langen Feuersteinflinten bewaffnet; diese beiden aber trugen Lanzen. Beritten waren sie ohne Ausnahme sehr gut. Darum wurde es mir leid um die Pferde, und ich rief meinen beiden Genossen zu:

»Wenn wir schießen müssen, dann nicht die Pferde, wie ich vorhin sagte, sondern die Reiter, aber nur in die Arme oder Beine. Um die Pferde wäre es schade, um die Mörder aber nicht.«

»Well, soll pünktlich geschehen,« antwortete Emery, der, seine hohe Gestalt auf die nie versagende Büchse ge- gestützt, die feindliche Truppe mit hellen, erwartungsvollen Augen betrachtete.

Die Beduinen hielten ungefähr zwei Minuten vor uns; sie teilten sich ihre Ansichten über uns mit; zuweilen klang ein lauter Ausruf der Bewunderung oder der Anfeuerung zu uns herüber. Sie hatten nicht erwartet, jemand hier zu treffen, und unsere Haltung erregte erst recht ihr Erstaunen. Drei Beduinen wären ganz gewiß vor einer solchen Uebermacht beizeiten geflohen, und wären sie ja geblieben, so hätten sie sich unbedingt auf die Pferde gesetzt, um für alle Fälle zur Flucht bereit zu sein. Daß wir ganz im Gegenteile nicht nur nicht wichen, sondern ihnen so bewegungslos und getrost entgegenblickten, war ihnen geradezu ein Rätsel; so etwas hatten sie noch nie erlebt. Sie konnten sich unser Verhalten wohl nur dadurch erklären, daß wir sie kannten und keine Ursache hatten, sie zu scheuen, und doch kannten sie uns nicht und hatten uns noch nie gesehen! Nur eins stand bei ihnen fest, und zwar gerade das, worin sie sich irrten, nämlich daß wir Mohammedaner seien, was keiner von uns war. Daß sie diese Ueberzeugung hegten, zeigte ihr Gruß. Nie wird nämlich ein strenggläubiger Mohammedaner einen Andersgläubigen mit »Sallam aaleikum« grüßen, ja es ist sogar Nichtmohammedanern verboten, einem Anhänger des Islam gegenüber diesen Gruß zu gebrauchen. Und doch trieb jetzt der schwarzbärtige Anführer sein Pferd einige Schritte vor, legte die Hand auf das Herz und rief zu uns herüber:

»Sallam aaleïkum, ichwani – Heil sei mit euch, meine Brüder!«

»Sal – aal —« antwortete ich kurz.

Indem ich nur die beiden ersten Silben gebrauchte, gab ich sehr deutlich zu verstehen, daß ich nicht die Absicht hegte, zu den Grüßenden in freundliche Beziehungen zu treten. Er that so, als ob er dies nicht bemerkt habe, und fuhr fort:

»Kef sahhatak – wie befindest du dich?«

Ich entgegnete grob:

»Ente es beddak; min hua – was willst du? wer bist du?«

Das war freilich gegen alle Regeln der Höflichkeit; er langte auch sofort nach dem Kolben seiner Flinte und antwortete:

»Wie kannst du wagen, diese Frage auszusprechen! Bist du vom Ende der Welt hieher gekommen, daß du nicht weißt, wie man sich zu benehmen hat? Wisse, daß ich mich Farad el Aswad nenne und der oberste Scheik der Uled Ayun bin, denen der Boden gehört, auf welchem du dich befindest. Du hast denselben betreten, ohne uns um Erlaubnis zu fragen, und wirst die darauf ruhende Steuer bezahlen müssen.«

»Wie hoch ist dieselbe?«

»Für die Person hundert tunesische Piaster und sechzehn Karuben.«

Das waren einundfünfzig Mark für jeden von uns.

»Wenn du sie haben willst, so hole sie dir!« forderte ich ihn auf, indem ich mein Gewehr erhob und über den gekrümmten Arm legte.

Mit dieser Bewegung sagte ich ihm, daß er nichts bekommen solle.

»Dein Maul ist so groß, wie dasjenige eines Nilpferdes,« lachte er höhnisch; »aber dein Gehirn scheint noch kleiner zu sein, als dasjenige der verachteten Dscherada[12]. Wie ist dein Name, und wie heißen deine Be- Begleiter? Woher kommen sie? Was wollen sie? Welches ist ihr Beruf, und haben ihre Väter Namen gehabt, welche noch nicht vergessen worden sind?«

Die letzte Frage enthielt nach hiesigen Anschauungen eine schwere Beleidigung. Ich antwortete:

»Du scheinst deine Zunge in den Schmutz eurer Kamele und Rinder getaucht zu haben, da dieselbe so übelriechende Worte spricht. Ich bin Kara Ben Nemsi aus dem Lande der Alman; mein Freund zur Rechten ist der weit berühmte Behluwan-Bei aus dem Lande der Inkelis, und der Held zu meiner Linken ist Winnetou el Harbi w‘ Nasir[13], der oberste Häuptling aller Stämme der Apatschen im großen Belad Amierika. Wir sind gewohnt, Mördern unsere Kugeln zu geben, aber keine Steuern. Ich wiederhole es: Wenn du das Geld haben willst, so hole es dir!«

»Dein Verstand ist noch viel kleiner als ich dachte! Sind wir nicht vierzehn starke und tapfere Männer, und ihr zählt nur drei? Also würde jeder von euch fünfmal getötet, ehe er einen von uns töten könnte!«

»Versucht es doch einmal! Ihr kommt nicht dreißig Schritte weit, so haben unsere Kugeln euch gefressen!«

Drüben erscholl ein allgemeines Gelächter. Man meine ja nicht, daß ich mit meinen Worten prahlen wollte. Nein! Gerade wie die altgriechischen Helden ihre Kampfthaten mit einem volltönenden Wortgefecht einzuleiten pflegten, so hat auch der Beduine die Gewohnheit, bei offen auszukämpfenden Streitigkeiten vor der wirklichen Waffe erst den Mund zu gebrauchen, und das thut er gewöhnlich in der ausgiebigsten Weise. Wenn ich in dieser Weise von uns sprach, folgte ich nur der Sitte der Gegend, in welcher wir uns befanden. Das Hohngelächter der Uled Ayun konnte mich nicht stören; es gehörte unbedingt mit zur Sache. Als es verklungen war, fuhr der Scheik in sehr drohendem Tone fort:

»Du sprichst von Mördern. Ich befehle dir, mir zu sagen, wen du meinst!«

»Du hast mir nichts zu befehlen, zumal ihr selbst es seid, die ich meine!«

»Wir sollen Mörder sein? Beweise es, du Hund!«

»Für den »Hund« werde ich dich bestrafen, so wahr ich hier stehe, und zwar noch bevor das Abendgebet gesprochen wird! Merke es dir! Habt ihr nicht den Greis ermordet, dessen Ueberreste da vor uns liegen?«

»Das war nicht Mord, sondern Blutrache.«

»Und dann habt ihr dies schwache Weib in die Erde gegraben. Ein Greis und ein Weib können sich nicht wehren; darum habt ihr euch an beide gewagt, ihr Feiglinge und Memmen; an uns aber würde euer Mut zu Schanden werden.«

Ein neues und viel lauteres Gelächter war die Antwort; dann höhnte der Scheik:

»Kommt doch heran, und zeigt uns eure Tapferkeit, ihr Schakale, ihr Schakalssöhne und Enkel von Schakalskindern! Ihr wagt es nicht; ihr bleibt stehen, weil ihr wißt, daß wir euch verschlingen würden. Aber wenn wir zu euch kommen, werdet ihr davonspringen und vor Angst heulen wie die Hunde, die man peitscht!«

»Kommt doch ihr zuerst heran! Ihr seid fünfmal mehr als wir und bedürft also weniger Mut zum Angriffe. Du sprichst von Flucht; aber ich sage dir, daß ihr euch zurückwenden werdet, um uns zu entkommen, doch wird es keinem gelingen. Merkt auf, was ich euch sage! Ihr habt an dieser Stelle ein Verbrechen begangen, welches wir bestrafen werden. Ihr seid unsere Gefangenen; wer uns entfliehen will, den schießen wir über den Haufen. Steigt ab, und übergebt uns eure Waffen!«

Das Gelächter, in welches sie jetzt ausbrachen, war ein homerisches, und ich gebe gern zu, daß sie mich für verrückt halten konnten und wohl auch hielten. Das meinte auch der Scheik, als er dann sagte:

»Jetzt ist dein Verstand vollends zu Ende; dein Hirnkasten ist leer. Soll ich ihn öffnen, um es dir zu beweisen?«

»Spotte nicht! Sieh her, wie sicher und ruhig wir vor eurer Uebermacht stehen! Müssen wir unserer Sache nicht sicher sein? Ich wiederhole es: Hütet euch, zu fliehen, denn unsere Kugeln würden euch einholen!«

Da wendete der Schwarzbärtige sich zu den Seinen:

»Der Hund scheint im Ernste zu sprechen; er redet von ihren Kugeln. In unsern Läufen stecken auch welche. Gebt sie ihnen sofort, und dann hin zu ihnen!«

Er legte sein Gewehr auf uns an; seine Leute folgten diesem Beispiele. Zwölf Schüsse knallten, aber keiner traf; ja, es gab nicht eine einzige Kugel, welche auch nur unsere weiten Gewänder streifte, obgleich wir aufrecht und still stehen geblieben waren und uns nicht bewegt hatten. Es war ihre Absicht gewesen, sich auf uns zu stürzen, aber das Erstaunen, uns unverletzt zu sehen, hielt sie am Platze zurück. Da trat Emery einige Schritte vor und rief ihnen mit seiner mächtigen Stimme zu:

»Habt ihr gesehen, wie ihr schießt? Wir blieben getrost stehen, weil wir wußten, daß ihr uns nur aus Versehen treffen würdet. Jetzt wollen wir euch einmal zeigen, wie wir schießen. Dort sind zwei Männer mit Lanzen; einer mag die seinige emporheben, und ich werde sie treffen.«

Der eine der Lanzenträger gehorchte dieser Aufforderung, als er aber sah, daß Ernery seine Büchse zum Schusse erhob, ließ er den Spieß wieder sinken und rief:

»O Allah, Mah! Was fällt dem Menschen ein! Er will auf meine Lanze schießen, wird aber mich treffen!«

»Du fürchtest dich!« lachte der Engländer. »Steig also ab und stecke den Speer in den Boden! Wenn du dich dann entfernst, kann ich dich nicht treffen.«

Der Beduine that so, wie ihm geheißen wurde. Emery legte an und drückte ab, ohne länger als einen Augenblick zu zielen. Die Lanze war gerade unter der eisernen Spitze getroffen; es war ein Meisterschuß.

Die Uled Ayun drängten ihr Pferde hin, um den Treffer in Augenschein zu nehmen. Keiner sagte ein lautes Wort; sie flüsterten nur leise miteinander, einen so großen Eindruck hatte der Schuß auf sie gemacht. Da fragte mich Winnetou:

»Wahrscheinlich wird mein Bruder ihnen auch zeigen, wie er schießt?«

»Ja,« antwortete ich. »Ich will sie ohne Blutvergießen fangen und muß ihnen also durch einige Schüsse beweisen, daß sie uns nicht entkommen können.«

»So braucht Winnetou seine Silberbüchse nicht sprechen zu lassen; aber haben die Leute auch Tomahawks?«

»Nein. Sie würden staunen, wenn du ihnen den deinigen zeigen wolltest.«

»Gut! Ich verstehe nicht, mit ihnen zu sprechen, also mag mein Bruder ihnen sagen, daß ich die Lanze, welche noch in der Erde steckt, durch meinen Tomahawk gerade in der Mitte auseinanderschneiden werde!«

Noch hatten die Beduinen sich von ihrem Erstaunen nicht erholt, als ich ihnen zurief:

»Geht weg von der Lanze! Dieser mein Gefährte hat eine Waffe, welche ihr noch nicht gesehen habt. Es ist ein Balta el Kitall[14], mit welchem man die Köpfe spaltet und im Wurfe jeden fliehenden Feind erreicht. Er wird es euch zeigen.«

Sie gaben Raum. Winnetou warf den langen Haik ab, zog den Tomahawk, schwang ihn einigemal um den Kopf und ließ ihn dann aus der Hand gleiten. Die Waffe flog, sich immer um sich selbst wirbelnd, erst niederwärts, berührte in einiger Entfernung den Boden, stieg dann rasch und jäh empor, wirbelte in einer Bogenlinie weiter und senkte sich endlich nieder, um den Schaft des Speeres gerade in der Mitte zu treffen und wie ein Rasiermesser zu durchschneiden.

 

Schon der Umstand, daß die Lanze auf eine so bedeutende Entfernung gerade an der vorher bezeichneten Stelle getroffen worden war, erregte die Verwunderung der Uled Ayun; aber daß die Waffe ein Beil war, vergrößerte ihr Erstaunen; das Unbegreiflichste dabei war ihnen jedoch die wirbelnde Bewegung desselben und die für sie ganz unerklärliche Bahn, welche es durchflogen hatte. Sie waren fast stumm,

Und da geschah noch etwas, was ihnen noch viel wunderbarer vorkam, nämlich Winnetou legte seine Silberbüchse zur Erde nieder und ging fort, um sein Beil zu holen. Er wendete sich gerade auf sie, schritt mitten durch sie hindurch bis nach der Stelle, an welcher sein Beil lag, hob dasselbe auf und kehrte auf ganz demselben Wege zurück, ohne nur einen einzigen von ihnen eines Blickes gewürdigt zu haben. Sie rissen die Augen und, um mich dieses Ausdrucks zu bedienen, auch die Mäuler auf und starrten zu uns herüber.

»Das war sehr gewagt!« bemerkte ich dem Apatschen.

»Pshaw!« antwortete er in verächtlichem Tone. »Das sind keine Krieger. Sie habe ja nicht einmal ihre Gewehre, die sie vorhin abschossen, wieder geladen.«

»Aber wenn sie sich an dir vergriffen hätten?«

»So hatte ich meine Fäuste und mein Messer, und du hättest mir mit deinem Stutzen Luft gemacht.«

So war Winnetou, kaltblütig, verwegen und dabei von einer Ueberlegung, die ihn selbst im gefährlichsten Augenblicke nicht verließ. Um die Beduinen nicht aus dem Staunen kommen zu lassen, rief ich ihnen jetzt zu:

»Hai ia radschal – auf, ihr Leute, ich will euch nun ein Zaubergewehr zeigen. Steckt die zweite Lanze in die Erde!«

Sie thaten es. Ich nahm den Stutzen zur Hand und fuhr fort:

»Dieses Gewehr schießt immerfort, ohne daß ich es zu laden brauche. Ich werde jetzt zehn Kugeln in die Lanze senden, jede genau zwei Finger breit über die andere. Paßt auf!«

Ich legte an und schoß, nach jedem Schusse die excentrisch sich bewegende Patronenkugel des Henrystutzens mit dem Daumen weiterdrehend. Aller Augen waren zunächst nur auf mich gerichtet, ob ich auch wirklich nicht laden würde; aber als ich dann nach dem zehnten Schusse den Stutzen aus dem Anschlage nahm, eilten alle nach der Lanze. ich achtete nicht auf die Ausrufe, welche dort erschollen, sondern beeilte Mich, unbemerkt zehn neue Patronen in die Kugel zu schieben, um später, wenn es notwendig sein würde, alle fünfundzwanzig Schüsse zu haben.

Die Kugeln hatten die Lanze genau in der von mir angegebenen Entfernung von einander durchschlagen; ich mußte ihnen als ein Zauberer erscheinen, wollte ihnen trotzdem aber noch mehr imponieren und rief ihnen also zu:

»Zieht die Lanze heraus, geht hundertfünfzig Schritte weiter und steckt sie dort in den Boden! Ich werde sie trotz dieser Entfernung durch zwei Kugeln in drei genau gleichgroße Teile zerschießen!«

Das dünkte ihnen nun vollends gar unmöglich. Der Besitzer der zweiten Lanze, welche schon die zehn Kugellöcher hatte, wollte nicht thun, was ich geboten hatte, der Scheik winkte ihm aber, mir trotz der Unglaublichkeit dieses Stückes doch zu gehorchen. Daß mir viele Schüsse in wenigen Sekunden zu Gebote standen, hatten sie gesehen; nun wollte ich ihnen auch zeigen, auf welch große Entfernung ich noch genau zu treffen vermochte. Dann mußten sie überzeugt sein, daß ich vorhin nicht verrückt gewesen war und es für sie trotz ihrer Uebermacht weder Sieg noch Flucht geben könne. Die kleinen Kugeln des Stutzens hatten die Lanze durchbohrt; das große Kaliber meines Bärentöters aber mußte sie zerbrechen.

Als die Lanze wieder in der Erde steckte, glich sie einem dünnen Rohrstöckchen. Der Schuß war heikel; aber ich kannte mein Gewehr und konnte mich auf dasselbe verlassen. Den schweren Bärentöter empornehmend, legte ich an und zielte. Die zwei Schüsse krachten wie aus einer Donnerbüchse; zwei Dritteile der Lanze waren verschwunden; das letzte Drittel steckte in der Erde. Die Uled Ayun ritten hin. Ich legte den Bärentöter auf den Boden nieder, ergriff den Stutzen und rief Emery und Winnetou zu:

»Nun rasch auch hin, damit sie uns nicht aus der Treffweite kommen. Winnetou mag, da er nicht mit ihnen reden kann, ihre Waffen und Pferde in Empfang nehmen.«

Wir verließen also die Stelle, auf welcher wir gestanden hatten und wo die Frau mit ihrem Kinde zurückblieb, und folgten den Uled Ayun, denn wir mußten ihnen so nahe sein, daß wir sie mit unsern Kugeln im Schach halten konnten. Wir kamen bis auf fünfzig Schritte an sie heran, ohne daß sie dies für auffällig hielten.

Die Lanzenstücke gingen von Hand zu Hand und des Erstaunens war kein Ende. In seiner unvorsichtigen Bewunderung wendete sich der Scheik um und rief uns zu:

»Der Teufel ist euer Gehilfe. Ihr schießt, ohne zu laden, und eure Kugeln fliegen zehnmal weiter als die unserigen!«

»Und doch hast du die Hauptsache vergessen,« antwortete ich. »Nämlich von euern Kugeln hat keine einzige getroffen, während wir lauter Treffer gehabt haben. Dabei habt ihr auf starke Menschen, die man gar nicht fehlen kann, wir aber auf einen dünnen, schwachen Lanzenschaft geschossen. Ich sage dir, daß niemals eine unserer Kugeln fehl geht. Weißt du, in wieviel Zeit ich die zehn Schüsse gethan habe?«

»In ebensoviel Herzschlägen.«

»In welcher Zeit würde ich dann wohl vierzehn Schüsse thun?«

»In vierzehn Herzschlägen.«

»Richtig! Und jeder würde treffen, nämlich einen von euch!«

»Ja Allah, ia Rabb – o Gott, o Herr! Willst du wirklich auf uns schießen?«

»Nur wenn ihr mich dazu zwingt. Ich habe euch gesagt, daß ihr meine Gefangenen seid; dabei bleibt es! Nun sage mir, ob ihr euch ohne Widerstand ergeben wollt, oder ob ich schießen soll!«

»Gefangen? Ich ergebe mich nicht. Welch eine

Schande, von so fremden Hunden, wie ihr seid und wie —«

»Schweig!« donnerte ich ihn an. »Du hast mich schon einmal Hund genannt, und ich sagte dir, daß die Strafe dafür noch vor dem Abendgebete erfolgen werde. Ich verdopple sie, wenn du dieses Wort nur noch ein einzigesmal sagst! Also noch einmal und zum letztenmal: Ergebt ihr euch?«

»Nein. Ich schieß dich nieder!«

Er legte seine Flinte auf mich an; ich rief ihm lachend zu:

»Schieß doch! Ihr habt ja nicht geladen! Ihr habt euch vollständig überlisten lassen. Ich wende mich zunächst an dich, und deine Leute werden deinem Beispiele folgen. Steig jetzt ab und – —«

Ich wurde unterbrochen. Emery hatte sein Gewehr blitzschnell erhoben und geschossen, denn einer der Uled Ayun, der hinter zwei andern steckte und also von mir nicht gesehen werden konnte, hatte sich unbeachtet geglaubt und Pulverhorn und Kugeltasche hervorgezogen, um zu laden. Der Schuß des Engländers traf ihn in den Vorderarm. Er schrie laut auf und ließ sein Gewehr vom Pferde fallen.

»Dir ist recht geschehen!« rief ich ihm zu. »So wie dir, wird es jedem ergehen, welcher ungehorsam ist. Ich habe euch gewarnt und warne noch einmal. Auch denjenigen, der sich etwa wendet, um zu fliehen, wird sofort eine Kugel vom Pferde reißen. Steig augenblicklich ab; trag dein Gewehr hinüber zu dem Krieger aus dem Belad Amierika; gieb ihm dein Messer und deine sonstigen Waffen ab, und setze dich dann in seiner Nähe auf den Boden nieder!«

Der Mann zögerte, obgleich ihm das Blut vom

Arme lief. Da legte ich den Stutzen auf ihn an und drohte:

»Ich zähle bis drei. Wenn du dann noch nicht gehorchst, zerschmettre ich dir auch noch den andern Arm. Also —eins – zwei —!«

»Ma sa Allah kaan wamaa lam jasah lam jekun – was Gott will, geschieht; was er nicht will, geschieht nicht,« knirschte er, stieg vom Pferde, hob sein Gewehr auf und trug es Winnetou hin, der es ihm abnahm und ihn dann nach andern Waffen untersuchte.

Ich rief die Frau herbei, gab ihr mein Messer und sagte:

»Du weißt, was die Schurken an dir und deinem Kinde gethan haben, und wirst uns jetzt gern mithelfen. Schneide dem Manne dort einen starken Streifen vom Haik und binde ihm mit demselben die Arme an beiden Ellbogen so fest auf den Rücken, daß er die Fessel nicht zerreißen kann. Das thust du dann auch mit jedem folgenden!«

»O Herr, was seid ihr für Männer!« rief sie aus. »Ihr thut Wunder über Wunder, und euch ist alles, alles möglich!«

Sie that, was ich ihr befohlen hatte, und ich wendete mich wieder zu dem Scheik:

»Du hast nun gesehen, was man davon hat, wenn man uns widerstrebt. Also gehorche! Herab vom Pferde!«

Anstatt meinem Gebote Folge zu leisten, wollte er sein Pferd schnell herumreißen und davonjagen; das Tier aber verstand den plötzlichen und heftigen Zügelruck falsch und stieg vorn in die Höhe. Schon hob ich den Stutzen, um zu schießen, da sprang Emery zu ihm hin und rief:

»Halunke, du bist keine ehrliche Kugel wert; wir machen das anders. Herunter vom Gaule!«

Er nahm ihn beim Beine; ein riesenkräftiger Ruck, und der Reiter flog in einem weiten Bogen auf die Erde, wo Emery ihn mit einigen Faustschlägen betäubte, während Winnetou und ich mit unsern Gewehren die andern in Schach hielten. Der Scheik wurde entwaffnet und dann an Händen und Füßen gebunden.

12Heuschrecke.
13Krieger und Sieger.
14Schlachtbeil.