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Satan und Ischariot II

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»Was thun? Mitthun werde ich natürlich.«

»Ah! Sie sprechen deutsch?« fragte er erstaunt.

»Leidlich. Ich bin früher einige Zeit in Deutschland gewesen und habe da von der Sprache dieses Landes soviel gelernt, wie ich hier brauchen werde. Krüger-Bei hat seine Muttersprache fast verlernt, so daß ihm ein Urteil, ob ich dieselbe gut oder schlecht spreche, unmöglich ist. Ich habe mich mit ihm schon deutsch unterhalten und dabei bemerkt, daß ihm meine Aussprache ganz und gar nicht auffällig gewesen ist.«

»Dann haben Sie freilich Glück; aber nehmen Sie sich trotzdem in acht! Wenn Sie entdeckt oder vielmehr entlarvt werden, möchte ich mich nicht an Ihrer Stelle befinden. Ist denn der Nutzen, welchen Sie aus dieser Täuschung ziehen können, so groß, daß Sie das Wagnis nicht zu bedeutend finden?«

»Allerdings. Es lassen sich, wie ich wohl besser als Sie zu beurteilen weiß, Hunderttausende verdienen.«

»So müssen Sie wohl längere Zeit hier bleiben und können nicht, wie es beabsichtigt war, mit mir abreisen?«

»Leider werde ich wohl auf Ihre Gesellschaft verzichten müssen, denn ich begebe mich morgen in das Innere des Landes.«

»Morgen? Das ist außerordentlich bald! Haben Sie auch an die Gefahren gedacht, welche Sie da laufen werden?«

»Nein, denn es wird keine geben, da ich unter ausgezeichnetem Schutze reisen werde.«

»Unter welchem?«

»Sir Emery reitet mit.«

Der —? Wirklich —?« dehnte er enttäuscht. »Ich war ganz sicher, daß er mit mir zu Schiffe gehen werde!«

»Das wird nun freilich nicht der Fall sein. Als er hörte, was ich beabsichtige, war er sofort entschlossen, mitzureiten. Natürlich freue ich mich darüber, denn er ist ein gewandter und sehr erfahrener Mann, dessen Gesellschaft mir von großem Nutzen sein wird. Aber er ist‘s nicht allein, mit dem ich gehe, sondern ich werde noch ganz andere Begleitung haben: Krüger-Bei.«

»Diesen? Ist das wahr?«

»Ja. Und der Herr der Heerscharen ist nicht allein, sondern wird Militär mitnehmen, Kavallerie. Sie sehen also, daß ich mich keineswegs zu fürchten brauche.«

»Kavallerie? Wozu das?«

»Um die Uled Ayar zu züchtigen.«

»Sonderbar! Ich habe von diesen Beduinen gehört und denke, sie sind schon bestraft! Kalaf Ben Urik, der Kolarasi, ist doch gegen sie gezogen, um sie zu demütigen!«

»Das weiß ich wohl, und damit kommen wir endlich auf den Gegenstand unsers Besuches. Ich habe mich natürlich nach dem Kolarasi erkundigt, wie Sie mich beauftragten.«

»Nun? Ist er wieder da?«

»Nein. Er hat Unglück gehabt.«

»Wirklich?« fragte er erschrocken.

»Ja. Anstatt die Uled Ayar zu besiegen, ist er von ihnen umzingelt und eingeschlossen worden. Ein einziger Soldat ist entkommen und hat es hier gemeldet.«

»Da muß man schleunigst Hilfe senden, sofort, sofort!«

Er war aufgesprungen und schritt sehr erregt im Zimmer hin und her. Das war auch gar kein Wunder, da nach meinen Worten sein Vater sich in der größten Gefahr befand. Freilich durfte er mir nicht sagen, daß der Kolarasi sein Vater sei. Er fuhr fort:

»Da Krüger-Bei Sie für seinen Freund hält, so haben Sie jedenfalls einigen Einfluß auf ihn. Können Sie es nicht bewirken, daß er dem Kolarasi Hilfe sende?«

»Die Frage ist sehr überflüssig, Mr. Hunter. Sie haben ja von mir gehört, daß der Herr der Heerscharen morgen mit Kavallerie aufbrechen wird.«

»Gegen die Uled Ayar?«

»Ja. Sobald der entkommene Bote die Hiobspost brachte, hat man sich sofort zum Aufbruche gerüstet. Krüger-Bei wird drei Schwadronen anführen.«

»Drei? Meinen Sie, daß das genug ist, den Kolarasi zu retten?«

»Ja, wenn er nicht indessen getötet wird. Die Gefahr ist groß, und die Entfernung beträgt ungefähr fünf Tagereisen. Der Bote fünf Tage her, wir fünf Tage hin, das macht, von dem Augenblicke an, an welchem er eingeschlossen wurde, bis zu unserer Ankunft dort volle zehn Tage.«

»Zehn Tage! Was kann nicht alles in zehn Tagen geschehen!«

»Freilich, freilich! Er hat, um vom Wasser gar nicht zu reden, auch gar nicht soviel Proviant mit, um es mit seiner Schwadron zehn Tage auszuhalten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er sich ergeben muß.«

»Himmel! Was ist da zu thun!«

Er rannte schneller hin und her als vorhin, fuhr sich mit den Händen in das Haar, kratzte sich, stieß unverständliche Ausdrücke aus, kurz und gut, gebärdete sich wie ein Mensch, dessen sich eine ganz außerordentliche Aufregung bemächtigt hat. Ich ließ das geschehen, ohne ein Wort zu sagen. Wenn ich ihn richtig beurteilte und mich nicht in ihm irrte, mußte er jetzt zu dem Entschlusse kommen, auf den ich es abgesehen hatte, nämlich mit uns zu reiten.

Ich war sehr gespannt, was er nun thun werde, ließ es aber nicht merken. Da blieb er vor mir stehen und sagte:

»Sie schließen sich also diesem Kriegszuge an und Sir Emery auch?«

»Ja. Sogar Ben Asra, unser Somali, geht mit.«

»Auch dieser? Was sagen Sie dazu, daß ich beinahe wünsche, auch mitgehen zu dürfen?«

»Sie? Hm!«

»Brummen Sie nicht, sondern reden Sie! Warum machen Sie ein Gesicht, in welchem das deutlichste »Nein« zu lesen ist?«

»Weil Sie angewiesen worden sind, hier zu bleiben, um auf den Kolarasi zu warten.«

»Pah! Das kann mich nun nichts mehr angehen. Es war als selbstverständlich vorausgesetzt, daß er siegen werde. Es hat aber das Gegenteil stattgefunden, und da versteht es sich ganz von selbst, daß ich nicht mehr an diese Weisung gebunden bin.«

Ich warf mit voller Absicht einen forschenden Blick auf ihn. Als er denselben bemerkte, meinte er:

»Sie wundern sich über die Aufregung, in welcher ich mich befinde?«

»Ich gestehe das allerdings. Der Kolarasi ist doch ein Ihnen fremder Mensch; er geht Sie gar nichts an!«

»Das ist freilich wahr, aber ich bin einmal so. Sie kennen mich noch nicht genau. Ich habe ihm meine Hand zur Befreiung geboten, und ich pflege Wort zu halten. Erst galt es die Befreiung aus einer Lage, welche ihn zu drücken begann, jetzt aber befindet er sich gar in Lebensgefahr. Bin ich da nun nicht erst recht verpflichtet, ihm zu helfen? Hoffentlich haben Sie die Güte, das Vertrauen, welches ich in Sie setze, nicht zu Schanden werden zu lassen.«

»Hm! Sie wollen dem Kolarasi beistehen und verlangen selbst Beistand!«

»Lassen Sie doch Ihr Brummen und Ihr immerwährendes »Hm«! Jetzt freue ich mich darüber, daß Sie

Ihre Aehnlichkeit mit diesem Kara Ben Nemsi benutzt haben, Krüger-Bei zu täuschen. Er hält Sie für seinen Freund und wird Ihnen keinen billigen Wunsch abschlagen. Wollen Sie bei ihm für mich bitten?«

»Welche Bitte meinen Sie?« fragte ich, innerlich darüber erfreut, daß er auf meine heimliche Absicht einzugehen begann.

»Die Bitte, mitreiten zu dürfen.«

»Hm, ich bezweifle sehr, daß Krüger-Bei Ihnen die erbetene Erlaubnis geben werde. Auf militärische Expeditionen nimmt man nicht den ersten besten Civilisten mit.«

»Er nimmt doch Sie auch mit!«

»Weil er mich für Kara Ben Nemsi hält; sonst würde er sich wohl hüten, es zu thun.«

»Aber Sir Emery und sogar der Somali dürfen teilnehmen!«

»Weil sie seine Gäste sind, denen er nach dem Gebrauche des Landes diesen Wunsch nicht abschlagen darf.«

»Ausrede, Mr. Jones, Ausrede! Sagen Sie mir kurz und bündig, ob Sie sich für mich verwenden wollen oder nicht!«

»Wohl! Ich werde es versuchen.«

»Schön, ich danke Ihnen. Also morgen wird aufgebrochen?«

»Morgen nachmittag nach dem Asr.«

»So müssen Sie mich bald benachrichtigen, welchen Erfolg Ihre Fürbitte gehabt hat. Wann und wie wird das geschehen?«

»Noch heute, durch einen Boten, den ich nicht an Sie, sondern an Ihren Wirt sende. Aber ich muß doch dem Herrn der Heerscharen sagen, wer und was Sie sind. Welchen Namen und Charakter wollen Sie sich geben?«

»Den richtigen; das ist das allerbeste. Sagen Sie ihm, daß ich Small Hunter heiße, aus den Vereinigten Staaten stamme und ein Bekannter des Kolarasi bin. Und nun gehen Sie! Sie dürfen keine Zeit verlieren. Ich bin überzeugt, daß Sie sich Mühe geben werden, mir die Erlaubnis zu erwirken, und werde also meine Reisevorbereitungen sofort treffen.«

»Ihren Koffer können Sie nicht mitnehmen.«

»Fällt mir auch gar nicht ein, ihn mitzuschleppen. Ich nehme nur das Allernotwendigste mit und werde mir von meinem Wirte ein gutes Pferd geben lassen. Aber nun machen Sie endlich, daß Sie fortkommen! Sie sind im stande, die schönste, kostbarste Zeit zu versäumen!«

Er schob mich förmlich zur Thüre hinaus, und ich ging, um draußen auf das Pferd zu steigen und nach der Stadt und dem Bardo zurückzureiten.

Der sonst so schlaue Mensch war jedenfalls überzeugt, mich im Sacke zu haben. Er hatte mich förmlich gezwungen, dahin zu wirken, daß er mitreiten durfte, und ahnte keineswegs, daß es gerade das war, was ich gewünscht und beabsichtigt hatte. Der Gerechte ist zuletzt immer klüger als der Ungerechte.

Im Bardo fand ich Winnetou und Emery bei Krüger-Bei sitzend. Sie unterhielten sich von ihren Erlebnissen, wobei Winnetou allerdings, da er weder Arabisch noch viel Deutsch verstand, den Schweigsamen spielen mußte. Er hatte sich zwar während seines Umganges mit mir verschiedene deutsche Worte zu eigen gemacht, doch reichte das noch lange nicht aus, an einem lebhaften Gespräche teilzunehmen.

Es wurde mir natürlich ganz und gar nicht schwer, für den falschen Hunter die von diesem erbetene Erlaubnis zu erwirken, doch verlangte Krüger-Bei, daß derselbe sich

von ihm und uns fernhalte und nur zu den gewöhnlichen Soldaten sich geselle.

»Das ist mir lieb,« antwortete ich; »seine Nähe wäre mir unangenehm gewesen.«

»Wodrum?« fragte der Herr der Heerscharen, welcher mit diesem Worte natürlich »warum« sagen wollte.

»Weil er mir unsympathisch ist, und weil er nicht wissen soll, daß sich der Häuptling der Apatschen bei uns befindet.«

 

»Hätten Sie gehabt einen Grund dafür?«

»Allerdings habe ich einen Grund. Erlauben Sie mir indessen, Ihnen dies bei einer spätern Gelegenheit mitzuteilen!«

»Bon! Ganz wie Ihnen wollen! Aber wenn er wird fragen nach Winnetou, was wünschen Sie da zu sagen?

»Wir geben Winnetou für einen Somali Namens Ben Asra aus.«

Damit war die Angelegenheit abgemacht, und ich schickte den versprochenen Boten hinaus nach Zaghuan. Ich ließ dem falschen Hunter durch denselben sagen, daß er sich morgen noch vor dem Asr bei dem Dorfe Uneka einfinden solle, von welchem aus der Ritt beginnen werde.

Wir verlebten bei dem braven Herrn der Heerscharen einen hoch interessanten Abend, dessen Beschreibung hier leider zu weit führen würde, mußten dafür aber schon am frühen Morgen auf seine Gesellschaft verzichten, da ihn die dienstlichen Obliegenheiten und Vorbereitungen so in Anspruch nahmen, daß er für uns auch nicht eine Minute erübrigen konnte. Auch beim Mittagessen bekamen wir ihn nicht zu sehen. Nach demselben ritten wir hinaus nach Uneka, wo er sich befand, um die Truppen, welche nach dem Nachmittagsgebete aufbrechen sollten, zu besichtigen.

Die Leute waren recht gut beritten und mit Säbel, Lanzen und Gewehren versehen. Auf meinen Rat hatte Krüger-Bei auch für einige schnelle Reitkamele gesorgt, welche uns unter Umständen sehr nötig sein konnten. Es versteht sich ganz von selbst, daß auch Lastkamele genug vorhanden waren, welche Proviant, Munition, Zelte und andere Bagage zu tragen hatten. Außerdem hatte man jedes der Tiere mit einem Wasserschlauche versehen. Wir hatten zwar einen verkehrsreichen Weg vor uns, doch bot derselbe auch genug Gegenden, in denen es kein Wasser gab; da mußten die Schläuche vorher gefüllt werden. Und außerdem war es ja möglich, daß wir gezwungen waren, längere Zeit in der wasserlosen Wüste oder Steppe zu kampieren; da durfte es keinesfalls an Schläuchen fehlen.

Kurz vor dem Asr kam der falsche Hunter geritten. Er hatte zwei Pferde, von denen das eine ihn selbst und das andere seine Mundvorräte trug. Er wollte sich sogleich zu uns gesellen; aber als Krüger-Bei dies bemerkte, sagte er zu mir:

»Sagen Sie dem Menschen, daß ich nicht erlaube, jede fremde Person an meiner Seite zu sehen. Der Herr der Heerscharen hat als Höchstkommandierender nicht die Absicht, sich herabzulassen.«

Ich ging dem Amerikaner also entgegen und meldete ihm im Sinne dieser außerordentlich klaren Weisung meines Freundes:

»Krüger-Bei hat erlaubt, daß Sie uns begleiten, wünscht Sie aber nicht in seiner Nähe zu haben.«

Die Mitteilung enthielt eigentlich eine Beleidigung für ihn, er nahm sie aber wider mein Erwarten ruhig hin und antwortete in zufriedenem Tone:

»Das ist mir lieb, außerordentlich lieb.«

»So? Wirklich? Freut mich sehr. Ich glaubte bereits, Sie würden annehmen, meine Fürsprache für Sie sei nicht kräftig genug gewesen.«

»O nein. Sie sollten ja nur erwirken, was Sie erwirkt haben; mehr habe ich nicht verlangt. Es ist meine Absicht gar nicht, immer in der Nähe des Herrn der Heerscharen zu sein und von ihm beobachtet zu werden. Das würde mir unangenehm sein. Wie wird sich der Zug gestalten?«

»In den ersten Tagen einfache Marschkolonne. Später, wenn wir auf feindlichem Gebiete angelangt sind, wird es natürlich Vorhut, Nachhut und Seitenpatrouillen geben. Halten Sie sich, zu wem Sie wollen. Da Sie hinreichend arabisch sprechen, kann es Ihnen nicht schwer werden, Anschluß zu finden.«

Als die Zeit des Asr nahte, ließ Krüger-Bei einen Kreis bilden, kniete nieder und sprach das Gebet. Dann wurde aufgesessen und ausgerückt.

Es würde zu viel Raum einnehmen, den Marsch zu beschreiben; es genügt, zu sagen, daß wir bis zu den Ruinen von Tastur dem Medscherdah-Flusse folgten und dann über Tunkah, Tebursuk und Zauharim ritten. In der letztgenannten Gegend treiben sich die Uled Ayun herum, welche sich stets noch widerspenstiger als die Uled Ayar gezeigt haben und mit den letzteren verfeindet sind oder wenigstens damals waren. Es galt nun, vorsichtiger als bisher zu sein, denn der Nachmittag des vierten Tages war angebrochen und morgen erreichten wir das Gebiet der Uled Ayar. Es wurden Seitenpatrouillen ausgesandt und eine Vorhut vorausgeschickt. Zu der letzteren gesellte ich mich mit Winnetou und Emery.

Wir ritten jetzt durch sandige Wüste, weshalb vorher die Schläuche gefüllt worden waren. Emery musterte die weite Fläche mit scharfem Blicke und fragte mich:

»Du kennst die Ruinen, zu welchen wir wollen?«

»Nur die Gegend im allgemeinen.«

»Wie weit noch bis dort?«

»Vierzehn Stunden ungefähr.«

»Nur? Da gilt‘s vorsichtig sein! Was sind die Uled Ayar für Leute? Haben wir, nämlich du, Winnetou und ich, sie zu fürchten?«

»Nein. Ein einziger Apatsche oder Sioux ist viel mehr zu fürchten als zehn oder zwanzig Ayars.«

»Well! Dennoch müssen wir vorsichtig sein. Meinst du, daß sie bei den Ruinen geblieben sind?«

»Wer kann das wissen! Hat der Kolarasi sich ergeben müssen, so sind sie längst von dort fort; hat er aber ausgehalten, so belagern sie ihn noch.«

»Hm! Und der Bote, der ihnen entkommen ist?«

»An den habe ich auch schon gedacht. Es kommt sehr viel darauf an, ob sie von ihm wissen. Wissen sie nichts, so werden sie sorglos sein. Wissen sie aber, daß er nach Tunis ist, so können sie sich denken, daß von dort her Militär kommen wird, um die Belagerten zu entsetzen. In diesem Falle werden sie uns Kundschafter entgegensenden, vor denen wir uns in acht zu nehmen haben.«

»Well! Aber sie sich auch vor uns!«

»Meinst du? Aber dann müßten wir ganz zu derselben Maßregel schreiten und auch Kundschafter aussenden.«

»Aber wen? Traust du den Soldaten des Pascha von Tunis gute Augen und Ohren zu?«

»Nein, und Klugheit noch weniger. Ich möchte mich auf sie als Kundschafter nicht verlassen.«

»Well, so gehen wir selbst und Winnetou auch. Wird sich langweilen, der Apatsche. Kann mit niemand reden als nur mit uns. Müssen ihm Beschäftigung geben. Mag mit mir reiten, da rechts hinüber, und du links. Reiten jeder einen Viertelkreis und kommen da vorn wieder zusammen. Willst du?«

»Natürlich! Ich habe mein Pferd noch gar nicht recht probieren können. Es ist feurig und scheint auch ausdauernd zu sein. Der langsame Karawanenschritt gefällt ihm nicht; werde es einmal jagen lassen. Also vorwärts, Emery!«

Wir trennten uns von der Truppe. Er ritt mit Winnetou gegen Südwest davon, während ich mich nach Südost wendete. Ich war ganz so wie er überzeugt, daß die Uled Ayar wohl kaum versäumt hatten, uns Spione entgegenzusenden; es galt also, denselben zuvorzukommen, sie zu entdecken oder zu ergreifen.

Mein Henneschah-Hengst rechtfertigte das Vertrauen, welches ich in ihn gesetzt hatte. Wenn er auch das nicht war, was mein bekannter Rapphengst Rih gewesen war, so mußte ich mir doch sagen, daß er das zweitbeste Pferd unserer Truppe sei; das beste ritt nämlich selbstverständlich Krüger-Bei, einen Schimmel, den er sich aus dem Marstalle des Pascha von Tunis genommen hatte.

Wir flogen nur so über die sandige Ebene, und dabei hatte ich den Blick immer voraus und nach beiden Seiten, um irgend eine Begegnung womöglich eher zu bemerken, als ich gesehen wurde. Es verging eine halbe Stunde, in welcher ich wenigstens eine deutsche Meile zurückgelegt hatte; ich ritt eine zweite Meile und dann noch eine dritte, ohne etwas zu sehen, und wollte mich eben wieder nach rechts wenden, um, unserm Zuge voraus, mit Emery zusammenzutreffen, als ich mehrere be- bewegliche Punkte bemerkte, welche in größerer Entfernung von mir abwechselnd sich auf dem Boden befanden, in die Höhe gingen und dann sich wieder auf die Erde niedersenkten. Aus der Art ihrer Bewegung schloß ich, daß es Geier seien; wo aber Geier sind, da giebt es Aas. Aas in dieser Entfernung vom Verkehrs- oder Karawanenwege, das mußte mir auffallen. Ich ritt auf die betreffende Stelle zu.

Als ich noch weit über hundert, vielleicht zweihundert Pferdelängen davon entfernt war, glaubte ich, eine menschliche Stimme zu vernehmen. Dann, als ich die Hälfte dieser Entfernung zurückgelegt hatte, hörte ich ganz deutlich den Ruf-

»Meded, meded! la Allah, ta‘ al, ta‘ al – zu Hilfe, zu Hilfe! 0 Gott, komm, komm!«

Es war eine weibliche Stimme. Und nun sah ich deutlich einen Gegenstand, der eine menschliche Gestalt zu sein schien und an welchem mehrere Geier herumzerrten und hackten. Kurz hinter dieser Stelle saßen weitere Geier, welche etwas anderes gierig zu betrachten schienen, sich aber bei meinem Nahen in die Luft erhoben; auch die anderen Vögel flogen, als ich nahe genug herangekommen war, davon, um sich gar nicht weit davon wieder niederzulassen.

Ja, es war ein menschlicher Körper, an welchem sie gefressen hatten; das sah ich jetzt ganz deutlich. Die Stimme, welche aus der Erde zu kommen schien, rief jetzt:

»Betidschi, betidschi; subhan Allah! – Du kommst, du kommst; Allah sei gepriesen!«

Nun hielt ich da, wo die Stimme ertönte. Ein Kopf sah aus dem Sande, ein menschlicher Kopf! Ob es ein männlicher oder ein weiblicher sei, war nicht zu unterscheiden, denn das Gesicht war so verschwollen, daß die Züge nicht zu erkennen waren und ein blaues Tuch bedeckte das Haar. Vor dem Kopfe lag ein mit einem Hemde bekleidetes Kind, welches die Augen geschlossen hielt und sich nicht bewegte; es mochte wenig über ein Jahr alt sein. Die Leiche, von welcher die Geier gefressen hatten, lag nur zehn Schritte entfernt; sie bestand fast nur noch aus den Knochen, welche aber auch schon auseinandergerissen waren.

Mich schauderte. Ich sprang vom Pferde und bückte mich zu dem Kopfe nieder; er hatte jetzt die Augen zu; die Person, der er gehörte, war ohnmächtig geworden. Das war mir zunächst lieb, da ich meine Hilfeleistung besser vornehmen konnte. Um das Kind und das abgenagte Gerippe bekümmerte ich mich zunächst nicht; der oder die Eingegrabene bedurfte meiner Hilfe weit mehr. Ich lüftete das Kopftuch und sah ein zusammengewickeltes, langes, weibliches Haar darunter. Es war eine Frau!

Wie sie nun ohne passende Werkzeuge schnell ausgraben! Ich nahm die Hände. Der Boden war festgetreten worden, aber als ich tiefer kam, wurde er lockerer. Glücklicherweise bemerkte ich bald, daß man ihr eine sitzende Stellung gegeben hatte. Im andern Falle hätte man das Loch tiefer machen müssen, und das war den Buben, welche das arme Weib hier eingegraben hatten, doch zu viel Mühe gewesen. Mir wurde dadurch die Arbeit erleichtert. Als ich den Oberkörper ziemlich befreit hatte, brauchte ich nur noch wenig von der Sanddecke, welche auf den Beinen lag, zu entfernen und konnte dann die ganze Gestalt hervorziehen.

Die Frau war, als ich sie nun niederlegte, noch immer ohnmächtig; sie war nur mit einem hemdartigen

Gewande bekleidet, wie es von armen Beduininnen getragen wird; das Gesicht hatte sich ein wenig zum Bessern verändert, und nun sah ich, daß sie nicht viel über zwanzig Jahre alt sein konnte. Ihr Puls bewegte sich, wenn auch nur leise.

Auch das Kind war nicht tot. Ich hatte einen kleinen Flaschenkürbis voll Wasser am Sattelknopfe hängen, nahm ihn herab und flößte dem Kleinen von der belebenden Flüssigkeit ein. Es schlug die Augen auf, aber was für Augen! Die Augapfel waren wie mit einer grauen Haut überzogen; das Kind war blind. Ich gab ihm mehr Wasser; es trank und trank und ließ dann die Lider wieder fallen; es war so erschöpft, daß es sogleich wieder in Schlaf verfiel.

Die Geier hatten sich wieder herangemacht. Wenn sie sich auch nicht bis her zu mir zu kommen trauten, so wagten sie sich doch an die Leiche und zerrten an den Knochen derselben herum, ein geradezu scheußlicher Anblick. Ich legte den Stutzen auf sie an und erschoß zwei von ihnen, worauf die andern mit heiseren Schreien davonflogen.

Die beiden Schüsse hatten die Frau erweckt. Sie schlug die Augen auf, erhob den Oberkörper, sah zunächst nur ihr Kind, streckte die Arme nach demselben aus, riß es an sich und rief:

»Weledi, weledi, ia Allah, ia Allah, weledi! – Mein Kind, mein Kind, 0 Allah, mein Kind!«

Dann drehte sie sich zur Seite, sah die Ueberreste der Leiche, stieß ein herzzerreißendes Wehegeschrei aus, wollte aufspringen, um hinzugehen, fiel aber vor Schwäche und Entsetzen wieder nieder. Sie sah mich nicht, weil ich auf der andern Seite stand. Da aber schien sie sich auf die letzten Augenblicke, welche ihrer Ohnmacht vorangegangen waren, zu besinnen, denn ich hörte den Ruf:

»Der Reiter, der Reiter! Wo ist er?«

Sie wendete sich zu mir um, sah mich und sprang auf. Sie wankte, aber die Erregung gab ihr Kraft, nicht umzufallen. Nachdem sie mich einen Moment mit unsicherem Blicke gemustert hatte, fragte sie:

 

»Wer bist du? Zu wem gehörst du? Bist du ein Krieger der Uled Ayun?«

»Nein,« antwortete ich. »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich gehöre zu keinem hiesigen Stamme; ich bin ein Fremder von weit, weit her und werde dir gern weiterhelfen. Du bist schwach; setz‘ dich; ich werde dir Wasser geben.«

»Ja, gieb Wasser, Wasser, Wasser!« bat sie, indem sie sich mit meiner Hilfe niederließ.

Ich reichte ihr den Kürbis. Sie trank mit vollen Zügen wie eine Verschmachtende; sie trank ihn ganz aus und gab ihn mir dann zurück. Dabei fiel ihr Blick auf die Leiche; sie wendete sich schaudernd ab, bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und begann, herzbrechend zu weinen.

Ich sprach beruhigend auf sie ein; sie antwortete nicht und schluchzte weiter. Da ich annahm, daß die Thränen sie erleichtern würden, schwieg ich und ging zu der Leiche. Der Schädel derselben zeigte mehrere Löcher; der Mann war erschossen worden. Im Boden fand sich keine Spur; der Wind, so leise er ging, hatte alle Eindrücke verweht; der Mord konnte also nicht heute geschehen sein.

Während ich diese Beobachtungen anstellte, hatte die Frau sich so weit beruhigt, daß ich glaubte, nun Antwort zu bekommen; ich kehrte also zu ihr zurück und sagte:

»Dein Herz ist schwer und deine Seele wund; ich möchte dich nicht drängen, sondern dir Ruhe gönnen; aber meine Zeit gehört nicht mir allein, und ich möchte gern wissen, wie ich dir weiter helfen kann. Willst du mir Antwort auf meine Fragen geben?«

»Sprich!« sagte sie, indem sie die noch immer thränenden Augen zu mir erhob.

»War dieser Tote dein Mann?«

»Nein; er war ein Greis, ein Freund meines Vaters, und wanderte mit mir nach Nablumah, um anzubeten.«

»Meinst du die Ruinen von Nablumah, in denen sich das Grab eines wunderthätigen Marabu befindet?«

»Ja; an dem Grabe wollten wir beten. Als Allah mir das Kind gab, kam es blind zur Welt; es sollte durch eine Wallfahrt nach dem Grabe des Marabu das Licht der Augen erhalten; der Greis, welcher mich begleitete, war auch auf einem Auge erblindet und wollte in Nablumah Heilung suchen. Mein Herr (Mann) erlaubte mir, mit ihm zu gehen.«

»Aber euer Weg führte durch das Gebiet der Uled Ayun, welche sehr räuberisch sind. Zu welchem Stamme gehörest du?«

»Zu den Uled Ayar.«

»So sind die Ayun Todfeinde von dir; ich weiß, daß sie in Blutrache mit euch leben. Es war von euch beiden sehr gewagt, die Wallfahrt ohne Begleitung zu unternehmen!«

»Wer sollte uns begleiten! Wir sind sehr arm und haben daher keinen Anhang, der mit uns hätte gehen sollen, um uns zu schützen.«

»Aber dein Mann, dein Vater konnten dich begleiten!«

»Das wollten sie auch; aber sie mußten daheim bleiben, weil es plötzlich eine Fehde gab mit den Soldaten des Pascha. Mein Herr und mein Vater hätten für immer als Feiglinge gegolten, wenn sie mit uns gegangen wären.«

»So hättet ihr mit der Wallfahrt warten sollen, bis die Fehde ausgetragen war.«

»Das ging ja nicht. Wir hatten gelobt, an dem bestimmten Jom ed dschuma[11] die Wanderung zu beginnen, und durften dieses Gelübde nicht brechen. Wir kannten die Gefahr, welche uns durch die Uled Ayun drohte, und machten deshalb einen Umweg nach Süden, welcher uns durch das Gebiet der Meidscheri führte, die mit uns befreundet sind.«

»Warum habt ihr den Weg nicht auch zurück gemacht?«

»Mein Begleiter war alt und schwach; die Wanderung hatte ihn ermüdet, und er glaubte, den Umweg nicht aushalten zu können; darum schlugen wir die gerade Richtung ein.«

»Das war eine große Unvorsichtigkeit. Der Greis ist zwar alt, aber doch nicht weise gewesen. Seine Schwäche war gar kein Grund, den Umweg zu vermeiden, denn er hätte sich bei den Meidscheri, euern Freunden, ausruhen und erholen können.«

»ich sagte ihm dasselbe; aber er antwortete mir, daß nach dem Kuran und allen seinen Auslegungen Pilger unantastbar sind und daß während einer Wallfahrt jede Feindschaft zu schweigen hat.«

»Ich kenne das Gesetz; es bezieht sich nur auf die Wallfahrt nach Mekka, Medina und Jerusalem, nicht aber auf andere fromme Wanderungen, und es giebt Tausende, die sich selbst während der großen Hadsch nicht nach demselben richten.«

»Das habe ich nicht gewußt, sonst hätte ich mich geweigert, meinem Führer rückwärts auf dem gefährlichen

Wege zu folgen. Er schien auch selber zweifelhaft zu sein, denn wir ruhten des Tags und gingen nur des Nachts, bis wir an allen Zelten und Lagern der Uled Ayun vorüber waren.«

»Und dann fühltet ihr euch sicher und wurdet unvorsichtig?«

»Ja. Wir befanden uns zwar noch immer auf feindlichem Gebiete, doch war es bis zu dem unserigen nicht mehr weit; darum wanderten wir zuletzt auch am Tage.«

»Ihr habt nicht daran gedacht, daß da, wo zwei feindliche Gebiete zusammenstoßen, die Gefahr am größten ist. Mitten im Feindeslande ist man oft sicherer als an der Grenze. Das hast du leider zur Genüge erfahren.«

»Ja, Allah hat uns den falschen Weg gehen lassen, weil es im Buche des Lebens so verzeichnet war. Als wir an diese Stelle kamen, wurden wir von den Uled Ayun überfallen. Sie stachen mit Spießen und Messern nach meinem Begleiter, schossen ihm Kugeln durch den Kopf und raubten ihm die Kleider und wenigen Sachen, welche der arme Mann bei sich trug. Mich aber gruben sie ein, damit ich, wie sie sagten, mich an dem Anblicke der Leiche weiden und dann auch von den Geiern gefressen werden möge. Wäre mein Kind nicht blind gewesen, so hätten sie es auch getötet, weil es ein Knabe ist.«

»Wann ist dies geschehen?«

»Vor zwei Tagen.«

»Schrecklich! Was hast du da ausstehen müssen!«

,»Ja. Allah verfluche sie und stoße sie in den tiefsten Grund der Hölle hinab! Ich habe Qualen ausgestanden, welche nicht zu beschreiben sind, um mich und noch viel, viel mehr um mein Kind. Ich konnte ihm nicht helfen. Es lag vor mir im Sonnenbrande und im Dunkel der

Nacht, ohne daß ich es berühren oder beschützen konnte, weil meine Arme mit eingegraben waren. Und dort lag der Greis, der Gute und Ehrwürdige. Die Geier kamen und zerrissen ihn; ich mußte es sehen; es war entsetzlich. Dann kamen sie zu mir und zu meinem Kinde; ich konnte mich nicht bewegen und vermochte nur, sie durch die Stimme zu verscheuchen. Ich habe mich heiser geschrieen; sie aber merkten nach und nach, daß ich mich nicht verteidigen konnte; sie wurden immer zudringlicher, und wenn du nicht gekommen wärest, hätten sie gewiß noch vor Abend ihre Schnäbel und Krallen in meinen Kopf und in mein armes Kind geschlagen.«

Sie drückte das letztere wieder und wieder an sich und weinte dazu, mehr vor Aufregung, als vor augenblicklichem Schmerz.

»Tröste dich!« bat ich. »Allah hat dich sehr geprüft; nun aber ist dein Leid zu Ende. Wäre der Greis eine Person gewesen, welche deinem Herzen nahe stand, so hättest du noch viel mehr gelitten. Du wirst dich aber von den Qualen, welche du ausgestanden hast, erholen; es lebt dein Kind, und wenn du heimkommst, hast du nichts Liebes verloren und wirst von der Freude und dem Entzücken der Deinen empfangen.«

»Du hast recht, o Herr. Wie aber komme ich heim? Ich habe weder Speise noch Wasser und bin so schwach, daß ich nicht gehen kann.«

»Wirst du dich auf meinem Pferde halten können, wenn ich es dir gebe und nebenher gehe?«

»Ich glaube nicht. Zudem habe ich das Kind bei mir.«

»Das werde ich tragen.«

»Deine Güte, o Herr, ist so groß, wie mein Leid gewesen ist; aber selbst wenn du mir die kleine Last ab- abnehmen wolltest, würde ich jetzt noch zu schwach sein, mich im Sattel zu halten.«

»So bleibt nichts anderes übrig, als daß du dich mir anvertraust. Ich nehme dich vor mir auf das Pferd, und indem du deinen Sohn in den Armen trägst, werde ich dich so fest halten, daß du nicht herabgleiten kannst. Iß diese Datteln, die ich glücklicherweise bei mir habe; das wird dich stärken.«

Sie verschlang sie mit Begier und sagte dabei:

»Du weißt, o Herr, daß kein Mann ein fremdes Weib berühren darf, aber da Allah mir die Kraft genommen hat, ohne fremde Hilfe zu gehen oder zu reiten, so wird er mir es auch nicht anrechnen, wenn ich mich in deine Arme lege. Und mein Herr und Gebieter wird es mir ebenso verzeihen.«

11Freitag.