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Satan und Ischariot II

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»Morgen früh,« antwortete Emery. »Dann kommen wir gerade kurz vor der Zeit an, in welcher mein Mr. Hunter ein Schiff nach Tunis erwartet.«

»Was für eins?«

»Einen französischen Handelsdampfer.«

»Also nicht Messagerie? Das fällt mir auf. Er muß also von Tunis aus sehr wahrscheinlich über diesen Dampfer verständigt worden sein.«

»Das denke ich auch. Vielleicht gelingt es uns, etwas darüber zu erfahren.«

»Aber Winnetou und ich werden uns beim Kapitän desselben zu legitimieren haben!«

»Das überlaß nur mir! Ihr seid unterwegs um eure Papiere gekommen, und ich denke, daß es genügen wird, wenn ich meinen Paß vorzeige und für euch gutsage.«

»Sodann bin ich neugierig, wie Hunter sich legitimieren wird. Der wirkliche und berechtigte Träger dieses Namens hat doch, wenn wir uns überhaupt nicht verrechnet haben, seine Legitimationen jedenfalls mit nach Tunis genommen.«

»Werden sehen. Die Hauptsache ist, daß er keinen Verdacht schöpft. Du bist in Indien gewesen und hast dort Winnetou, also den reichen Somali Ben Asra getroffen. Jetzt geht ihr nach London, wo er Geschäftsbeziehungen anknüpfen will, und verweilt unterwegs kurze Zeit in Tunis, wo du irgend etwas zu thun hast. So ist die Sache. Alles weitere aber müssen wir abwarten.«

Man sieht, daß Emery sich unserer Angelegenheit ganz so annahm, als ob es die seinige sei. Wir saßen noch einige Zeit, und dann trennten wir uns, um uns am nächsten Morgen zur Abreise wieder zu vereinigen.

Viertes Kapitel: In Tunis

Ueber unsere Fahrt nach Alexandrien ist nichts zu sagen. Wir kehrten dort im Hotel ein, und dann ging Bothwell, um Hunter aufzusuchen. Wir hatten angenommen, daß es ihm gar nicht lieb sein werde, weitere Reisegesellschaft zu bekommen, waren aber mit dieser Voraussetzung irre gegangen, denn er kam bald darauf mit Emery zu uns, um uns zu sagen, daß es ihm angenehm sei, mit uns fahren zu können.

Wenn ich einmal nach reiflicher Ueberlegung eine Meinung gefaßt habe, so pflege ich dieselbe, selbst wenn es scheint, daß ich unrecht habe, wenigstens im stillen so lange festzuhalten, bis ich vollständig vom Gegenteile überzeugt worden bin. Besäße ich einen wankelmütigeren Charakter, so hätte ich beim Anblicke dieses jungen Mannes den Verdacht, den ich gegen denselben hegte, sehr wahrscheinlich fallen lassen. Er machte nämlich einen geradezu vortrefflichen Eindruck, und ich wunderte mich nun gar nicht mehr darüber, daß Emery ihn einen anständigen Mann genannt hatte. Es war weder in seinem Gesichte noch in seiner ganzen Erscheinung oder seinem Benehmen das Geringste zu entdecken, was unsern Ver- Verdacht hätte bestätigen können. Er zeigte sich frei, offen und ohne alle Spur irgend einer Unsicherheit oder gar Bangigkeit, wie man sie bei einem Menschen, welcher auf unsicherem Boden steht, zu erwarten pflegt. Wir hatten uns entweder in ihm geirrt, oder er war trotz seiner Jugend schon ein vollständig klargeriebener Gauner.

Der Dampfer, den wir bestiegen, kam von den Palästinahäfen und wollte von Alexandrien aus über Tunis und Algier nach Marseille zurück. Als wir vier Personen an Bord kamen, trat uns der Kapitän sogleich mit der Bemerkung entgegen:

»Das Schiff ist kein Passagierschiff, Messieurs. Sie müssen sich also wieder zurückbemühen.«

Jetzt mußte es sich zeigen, ob der Kapitän benachrichtigt worden war, und es zeigte sich auch, denn Hunter antwortete:

»Nehmen Sie auch keinen Passagier mit, der Hunter heißt?«

»Hunter? Sind Sie dieser Herr?«

»Ja.«

»Dann dürfen Sie allerdings mitfahren, denn ich bin von Kalaf Ben Urik avisiert worden. Aber ich weiß nur von Ihnen, nicht aber auch von andern Passagieren.«

»Diese drei Herren sind Freunde von mir, von denen Kalaf Ben Urik nicht gewußt hat, daß sie sich mir anschließen würden. Wir würden Ihnen dankbar sein, wenn Sie auch für sie noch Plätze ermöglichten.«

»Da muß ich mich selbst und den ersten Offizier einschränken, denn ich bin nur auf Sie vorbereitet. Doch will ich dieses Mal Kalaf Ben Urik zuliebe eine Ausnahme machen und die Herren auch aufnehmen.«

Der französische Kapitän fühlte sich also dem tunesischen Hauptmanne verbunden. Es schien, daß der letztere Verbindungen hegte, welche seinen Militärstand nichts angingen und vielleicht nebenbei allerlei heimliche Geschäfte betrieb, welche die Oeffentlichkeit scheuten. Denn auf welche andere Weise hätte der Führer eines Handelsfahrzeuges dem Offizier anders zur Dankbarkeit verpflichtet sein können? Dieser Umstand bestärkte mich in der vorgefaßten Meinung, welche ich über Kalaf Ben Urik hegte, und die Folge war, daß ich mich durch das scheinbar ehrliche und rechtliche Wesen Hunters nun erst recht nicht irre machen ließ.

Wir vier Personen bekamen zwei kleine Kajüten angewiesen, von denen jede nur Platz für zwei Mann hatte. Da fragte es sich nun, wer Hunter Gesellschaft zu leisten hatte. Einige Worte genügten, uns darüber zu verständigen, daß wir ihm da nicht vorgreifen, sondern ihm die Wahl zwischen uns lassen wollten; seine Entscheidung konnte und sollte uns als Fingerzeig dienen.

Zunächst wurden unsere Habseligkeiten in die eine Kajüte geschafft; dann machten wir, während das Schiff die Anker lichtete, es uns auf dem Decke bequem. Wir saßen da rauchend unter der Sonnenleinwand beisammen und unterhielten uns über allerlei, wobei ich bemerkte, daß Hunter uns heimlich auszuforschen trachtete. Es schien besonders, da er Emery bereits kannte, seine Absicht zu sein, mich auch kennen zu lernen. Ich gab mich so unbefangen wie möglich und war, um ihn zu gewinnen, sehr höflich mit ihm. Es wäre mir lieb gewesen, wenn er mich zu seinem Logisnachbar gewählt hätte, da ich dadurch Gelegenheit finden mußte, ihn genauer zu beobachten.

Meine Bemühungen schienen aber nicht von Erfolg zu sein, denn ich bemerkte einigemal, daß er, wenn ich ihn plötzlich und unerwartet ansah, sein Auge scharf auf mich gerichtet hielt und den Blick dann schnell von mir wendete. Ich hatte, wie ich genau wußte, nichts an mir, was ihm verdächtig vorkommen konnte; das Mißtrauen, welches er zu empfinden schien, konnte also nur eine Folge seines bösen Gewissens sein.

Später, als Alexandrien längst hinter uns lag und wir uns auf offener See befanden, trat er zu mir, als ich allein an der Brüstung stand und das Heben und Sinken der Wellen betrachtete. Vorhin hatten wir nur über Allgemeines gesprochen; Persönliches war nicht berührt worden. Jetzt aber war es wohl seine Absicht, sich über mich klar zu machen. Nach einigen einleitenden Fragen und Antworten über gleichgültige Dinge erkundigte er sich:

»Ich höre, daß Sie aus Indien kommen, Mr. Jones. Waren Sie lange dort?«

»Nur vier Monate. Geschäfte riefen mich hin.«

»Sind also wohl nicht engagiert, sondern selbst Besitzer eines Geschäftes?«

»Ja.«

»Würden Sie es für unbescheiden halten, wenn ich mich dafür interessiere, welcher Art dieses Geschäft ist?«

»Ich befasse mich nur mit zwei und zwar sehr profanen Gegenständen: Pelz und Leder,« antwortete ich absichtlich, weil der alte Hunter früher in Leder gearbeitet und gehandelt hatte.

»Das ist ein allerdings sehr einträglicher Geschäftszweig. Aber ich habe noch nie gehört, daß der Pelz- und Lederhandel auch Indien berührt!«

Da griff er mich allerdings an der schwachen Seite an; da ich aber einmal in Indien gewesen sein wollte, mußte ich mich herauszubeißen suchen.

»Sie denken da wohl nicht an den ungeheuern Pelzertrag Sibiriens.«

»Gehen die Pelze von dort nicht nach Rußland?«

»Nach Rußland und China; aber ich bin ja Engländer; China liegt mir zu weit und zieht zu hohe Prozente von seinem Zwischenhandel; Rußland aber ist neidisch auf England und verhält sich beinahe ablehnend zu unsern Anfragen. Da haben wir uns denn des Umstandes erinnert, daß unsere indischen Besitzungen weit nach Hochasien aufsteigen; eine Handelsstraße von dort aus nach dem Baikalsee war leicht zu schaffen, und nun holen wir uns unsern Bedarf an sibirischem Pelzwerke über Indien, ohne dem Zaren oder dem chinesischen Kaiser gute Worte zu geben.«

»Ah, so! Ihre Hauptbezugsquelle ist aber wohl Nordamerika?«

»Für Häute die La Platastaaten und für Pelzwerk Nordamerika. Ich habe manche Sendung von New Orleans selbst herübergeholt.«

»New Orleans? Natürlich haben Sie dort auch Bekanntschaften gemacht?«

»Nur geschäftliche.«

»Sollten Sie trotzdem nicht auch auf meinen Namen gekommen sein? Mein Vater hat sich zwar längst zur Ruhe gesetzt, ist aber mit seinen dortigen Geschäftsfreunden in ununterbrochenem persönlichem Verkehr geblieben.«

Jetzt hatte er mich da, wo er mich haben wollte, ich ihn aber auch! Ich gab mir den Anschein, nachzusinnen, und antwortete dann:

Ihr Name? Hunter? Hm! Hunter – Hunter – – kann mich auf keine Firma dieses Namens besinnen. Hunter – —«

»Nicht Firma, sondern Armeelieferant. Er hat viel, sehr viel in Leder gemacht.«

»Armeelieferant? Ah, das ist etwas anderes! Hunter, heißt das nicht auf deutsch Jäger?«

»Ja.«

»Ich habe einen steinreichen Herrn gesehen, welcher deutscher Abstammung war und Jäger geheißen hatte. Er war allerdings Armeelieferant gewesen und hatte den Namen Jäger in Hunter verwandelt.«

»Das war mein Vater! Sie haben ihn also gekannt?«

»Gekannt eigentlich nicht. Ich bin ihm einmal vorgestellt worden. Das ist alles.«

»Wo? Wann?«

»Das ist mir leider nicht mehr erinnerlich. Bei einem so vielbewegten Leben, wie das meinige ist, wird einzelnes leicht vergessen. Es wird aber jedenfalls bei einem Geschäftsfreunde gewesen sein.«

»Natürlich! Und da Sie ihn nicht näher gekannt haben oder kennen, so wissen Sie wohl auch nicht, daß er gestorben ist?«

Mit dieser Frage schoß er einen Bock, der gar nicht größer sein konnte. Ich setzte ihm auch schnell den Fuß zwischen die Thüre, indem ich fragte:

 

»Gestorben? Er ist tot? Seit wann denn, Mr. Hunter?«

»Etwas über ein Vierteljahr.«

»Sie befanden sich also zur Zeit seines Todes im Oriente?«

»Ja.«

»Haben Sie Geschwister?«

»Nein.«

»So mußten Sie eigentlich sofort heimkehren. Ein solches Erbe läßt man nicht so lange auf sich warten!«

Er errötete und zog die Augenlider zusammen; er sah jetzt ein, welchen Fehler er begangen hatte. Um denselben wieder gut zu machen, erklärte er:

»Sie wissen nicht, daß ich die Nachricht von dem Todesfalle erst vor einigen Tagen erhalten habe.«

»So! Das ist freilich etwas anderes. Sie gehen jedoch nicht direkt nach Hause?«

Diese Frage brachte ihn abermals in Verlegenheit.

»Nicht gerade direkt,« antwortete er, »aber doch so schnell wie möglich. So sehr ich mich auch beeilen möchte und beeilen muß, ich bin doch gezwungen, Tunis zu berühren.«

Mit dieser Bemerkung gab er sich eine noch viel größere Blöße als vorher. Der Zwang also, der Zwang führte ihn nach Tunis! Um ihn ja nicht zur Ueberlegung, zum Erkennen seines Fehlers kommen zu lassen, fuhr ich schnell fort:

»Gezwungen? Wohl durch Ihre Verbindung mit Kalaf Ben Urik?«

»Wie kommen Sie darauf?« fragte er erstaunt, indem er mir einen schnellen, mißtrauischen Blick zuwarf.

»Auf die einfachste Weise von der Welt. Der Kapitän sprach ja von diesem Manne, den er zu kennen schien. Kalaf Ben Urik hat, wie ich hörte, ihm Auftrag gegeben, Sie von Alexandrien abzuholen. Daraus ist doch zu schließen, daß Sie mit dem Kalaf in enger Beziehung stehen?«

Er war gefangen, wenigstens halb. Seine Stirn legte sich in Falten. Er blickte einige Augenblicke vor sich nieder und sprach dann:

»Da Sie einmal gehört haben, was der Kapitän sagte, so bin ich zu entschuldigen, wenn ich gegen Kalaf eine Indiskretion begehe, indem ich Ihnen eine Bemer- Bemerkung über denselben mache. Sie werden ihn in Tunis sehen und – – reisen Sie von Tunis aus direkt nach Hause?«

»Wahrscheinlich.«

»Und ich gehe über England. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß wir dasselbe Schiff benützen, und da Kalaf vermutlich auch mitfährt, so würden Sie später doch erfahren, was ich Ihnen jetzt unnützerweise vorenthalten könnte. Kalaf ist nämlich Kolarasi.«

»Was ist das?« fragte ich, mich unwissend stellend. Offizier im Kapitänsrang. Er stammt aus den Vereinigten Staaten.«

»Wie? Was?« rief ich verwundert aus. »Ein Amerikaner? So ist er also Christ? Wie kann er da tunesischer Offizier sein?«

»Er ist zum Islam übergetreten.«

»O weh! Ein Abtrünniger!«

»Verurteilen Sie ihn nicht! Er hat mir über sein Vorleben nichts mitgeteilt; aber er ist ein Ehrenmann und kann nur durch schwere Schicksalsschläge zu dem Schritte, der Ihnen vielleicht unmöglich erscheint, gezwungen worden sein.«

»Nichts, gar nichts auf der Welt, kein Leiden, keine Marter, keine Drohung könnte mich bewegen, meinen Glauben abzuschwören!«

»Nicht jeder denkt so wie Sie. Ich verteidige Kalaf nicht, ich verurteile ihn aber noch viel weniger. Ich weiß nur, daß er sich fort sehnt und nicht fort kann. Ich will ihm dazu behilflich sein; ich will ihn befreien!«

»Befreien? Er braucht ja nur um seinen Abschied zu bitten!«

»Den bekommt er nicht, weil man ahnt, daß er dann wieder zum Christentume übertreten werde.«

»So nimmt er einen Urlaub und geht über die Grenze!«

»Das ist leicht gesagt. Gesetzt, er bekäme den Urlaub und desertierte, was dann? Er ist arm. Wovon sollte er leben? Er braucht dann einen wohlhabenden Beschützer, welcher sich seiner annimmt.«

»Der werden Sie sein!«

»Ja. Ich nehme ihn mit nach Amerika, wo sich bei mir wohl ein Platz für ihn finden wird. Mit dem ersten Schiffe, welches den Hafen von Goletta verläßt, dampfe ich mit ihm ab, und da Sie dasselbe auch benutzen und ihn also sehen werden, habe ich Ihnen die Verhältnisse aufrichtig mitgeteilt. Vielleicht haben Sie, wenn ich eines Helfers bedarf, die Güte, mich zu unterstützen?«

»Mit größtem Vergnügen, Mr. Hunter,« antwortete ich, herzlich erfreut darüber, daß er gerade mich, seinen heimlichen Gegner, als Verbündeten engagierte. »In welcher Weise meinen Sie wohl, daß ich Ihnen behilflich sein könnte?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht. Zunächst möchte ich Sie bitten, den Boten zwischen ihm und mir zu machen.«

»Den Boten? Wollen Sie denn nicht direkt mit ihm verkehren?«

»Nein, wenigstens nicht zunächst und nicht öffentlich. Sie geben wohl zu, daß ich, da ich einen Offizier heimlich entführen will, Ursache habe, im Verborgenen zu bleiben. Erführe man, daß ich seine Desertion unterstützt habe, so könnte ich später unangenehme Weiterungen davon haben. Ich habe erfahren, daß er von Tunis abwesend war, und weiß nicht, ob er jetzt schon wieder zurück ist. Das muß ich erfahren, ohne selbst Erkundi- Erkundigungen darnach einziehen zu brauchen. Würden Sie die Güte haben, das an meiner Stelle zu thun?«

»Mit großem Vergnügen natürlich.«

»So will ich Ihnen sagen, daß ich nicht in Goletta, dem Vorhafen von Tunis aussteigen werde. Der Kapitän hat vielmehr die Weisung, mich schon bei Ras Chamart ans Land zu setzen. Von da aus begebe ich mich heimlich nach dem südlich von Tunis gelegenen Dorfe Zaghuan zu einem Freunde des Kolarasi; er ist Pferdehändler und heißt Bu Marama. Bei ihm bleibe ich verborgen, bis ich mit dem Deserteur zu Schiffe gehe, denn niemand soll erfahren, daß ich dagewesen bin und die Hand im Spiele habe. Sie aber fahren bis in den Hafen, erkundigen sich, ob Kalaf Ben Urik zurück ist, und kommen dann nach Zaghuan zu Bu Marama, um mir zu sagen, was Sie erfahren haben. Oder ist das zuviel von Ihnen verlangt?«

»Nein, gar nicht. Ich bin zwar Geschäftsmann und handle mit Leder und Pelzwerk, bin dabei aber noch ein wenig romantisch angelegt, sodaß ich mich Ihnen mit größtem Vergnügen zur Verfügung stelle. Es soll mich freuen, wenn es mir erlaubt ist, einen kleinen Beitrag zur Befreiung des Hauptmanns zu liefern.«

»So sind wir also einig; Sie unterstützen mich. Sie sind Freund mit Ernery Bothwell?«

»Ja.«

»So will ich Sie nicht von ihm trennen. Wohnen Sie also mit ihm zusammen, während Ihr Somali meine Kajüte mit mir teilen mag. Ist Ihnen das recht?«

Ich gab meine Zustimmung, da ich befürchtete, sein Mißtrauen zu erregen, falls ich mich ihm als Genossen anbieten würde. Uebrigens hielt ich es jetzt nicht mehr so wie vorhin für notwendig, ihn zu beobachten, weil ich ihm bei der Befreiung des Kolarasi helfen sollte und dabei jedenfalls viel besser erfahren konnte, was ich wissen wollte.

Jetzt war ich mehr als vorher überzeugt, mit wem ich es zu thun hatte. Der junge Mann war Jonathan Melton, und der tunesische Hauptmann war sein Vater Thomas Melton, der damals auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Hätte dieser Jonathan gewußt, daß ich den Brief bei mir in der Tasche trug, den er seinem Oheim Harry Melton, dem Satan, geschrieben hatte!

Er wollte in Tunis verborgen bleiben, angeblich um späteren Mißhelligkeiten infolge der Desertion des Hauptmanns auszuweichen; ich aber kannte den eigentlichen Grund, welchen er mir natürlich nicht mitteilte. Der eigentliche Small Hunter war auf irgend eine Weise nach Tunis zu dem Hauptmanne gelockt worden, um von diesem auf die Seite gebracht zu werden; ehe er verschwunden war, durfte natürlich sein Nachfolger, der sich für ihn ausgeben wollte, nicht erscheinen. Die Abwesenheit des Hauptmanns stand mit der Ermordung Hunters in engster Beziehung. Solange sie währte, war Hunter vielleicht noch zu retten; befand sich aber der Hauptmann jetzt wieder in Tunis, so war Hunter tot. Jetzt brannte mir das Deck des Schiffes unter den Füßen; ich hätte am liebsten den Hafen von Goletta vor mir sehen und über Bord springen mögen, um keinen Augenblick zur Rettung des Bedrohten zu verlieren.

Ebenso erging es Ernery, als er von mir hörte, was ich von dem falschen Hunter erfahren hatte. Winnetou war infolge seines kühleren Naturelles bedeutend ruhiger und ging, als es Abend geworden war, mit dem gefährlichen Menschen so ruhig und unbedenklich schlafen, als ob dieser der größte Ehrenmann sei.

Die beiden Kajüten, welche uns angewiesen worden waren, lagen nicht nebeneinander; sie waren vielmehr durch zwei kleine Räume, deren Zweck ich nicht kannte, voneinander getrennt; also konnten diejenigen, welche sich in der einen befanden, nicht beobachten, was in der andern vorging. Dennoch sprachen wir, als ich mich mit Emery über unsere gegenwärtige Aufgabe unterhielt, nur leise miteinander; es geschah dies aus einer Vorsicht, welche wir aus Gewohnheit übten, obgleich sie höchst wahrscheinlich nicht notwendig war. Trotz allem, was ich von Hunter, den ich noch immer so nennen will, obgleich er nicht Hunter, sondern Jonathan Melton war, erfahren hatte, bedauerte Emery es lebhaft, daß dieser mich nicht zu sich einquartiert hatte; er meinte, ich hätte ihn, falls ich mit ihm dieselbe Kajüte bewohnt hätte, noch weit mehr ausfragen können, als es mir bis jetzt möglich gewesen war. Er behauptete, Winnetou könne uns als Schlafgefährte Hunters gar nichts nützen. Auch ich war dieser Ansicht; aber wir sollten sehr bald erfahren, daß wir uns geirrt hatten. Wir schliefen nämlich schon längst, als ich – es mochte zwei Stunden nach Mitternacht sein – durch ein leises Klopfen an unserer Thür aufgeweckt wurde. Dasselbe war so leise, daß Emery ruhig weiterschlief; meine Ohren waren geübter als die seinigen.

Ich lauschte. Das Klopfen wiederholte sich; ich stand auf, ging zur Thür und fragte, ohne dieselbe zu öffnen:

»Wer ist draußen?«

»Winnetou,« wurde leise geantwortet.

Jetzt öffnete ich. Der Apatsche trat ein. Er mußte uns etwas Wichtiges mitzuteilen haben.

»Es ist dunkel hier,« sagte er. »Können meine Brüder kein Licht anbrennen?«

»So willst du uns nicht nur etwas sagen, sondern auch etwas zeigen?« fragte ich.

»Ja.«

»Ist es von Wichtigkeit?«

»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Hunter ging so heimlich und sorgfältig damit um. Es ist ein ledernes Ding, welches die Bleichgesichter eine Brieftasche nennen.«

»Du hast sie ihm heimlich abgenommen?«

»Ich habe sie ihm gestohlen, um sie so bald wie möglich wieder an die Stelle zu legen, von welcher ich sie genommen habe.«

»Hatte er sie in der Tasche?«

»Nein. Meine Brüder haben den kleinen Koffer gesehen, den er bei sich hat. Als ich mich gelegt hatte, stellte ich mich schlafend. Da öffnete er den Koffer, um die Gegenstände, welche sich darin befanden, zu ordnen. Es gab da auch eine Brieftasche, welche er aufschlug. Er nahm mehrere Papiere heraus, welche er las und dann wieder hineinlegte. Dabei betrachtete er mich so aufmerksam und mißtrauisch, daß ich annehmen mußte, die Brieftasche enthalte Heimlichkeiten, die niemand wissen dürfe. Ich nahm mir sogleich vor, sie ihm zu stehlen. Er legte die Tasche in den Koffer zurück, verschloß ihn und steckte den Schlüssel ein. Diesen also mußte ich haben. Als er dann eingeschlafen war, hat es lange, sehr lange gedauert, ehe ich ihm denselben aus der Hose ziehen konnte.«

»Alle Wetter! Du scheinst ganz bedeutende Anlagen zum Taschendiebe zu haben!«

»Ein Mann muß alles können, was er will; er darf es aber nur dann thun, wenn es gut und nützlich ist. Ich habe dann, während er weiterschlief, den Koffer geöffnet und die Brieftasche herausgenommen. Hier ist sie.

Meine Brüder mögen sehen, ob sie etwas enthält, was sie brauchen können.«

Wir hatten an der Kajütendecke ein kleines Lämpchen hängen, welches vorhin, als wir uns schlafen legten, ausgelöscht worden war; dieses brannten wir jetzt wieder an. Es braucht wohl nicht gesagt zu werden, daß Emery jetzt auch munter geworden war. Ich hatte natürlich die Thür wieder zugemacht und sie von innen verriegelt. Nun machten wir uns an die Durchsicht der Brieftasche.

Sie enthielt neben Wert- und anderen Papieren, welche uns nicht interessieren konnten, einige sorgfältig eingeschlagene Briefe, welche ich öffnete. Gleich der erste war geeignet, unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Er war in englischer Sprache geschrieben und lautete in deutscher Uebersetzung ungefähr:

»Lieber Jonathan!

Welch ein Glück, daß du hinter Hunters Rücken seine Postsachen vom Konsulate in Kairo holtest! Welch eine Nachricht! Sein Vater ist tot, und er soll nach Hause kommen! Daß es in Wirklichkeit so ist, wird dadurch bewiesen, daß sowohl die Behörde, als auch der junge Advokat, sein Freund, geschrieben haben. Natürlich wirst du dich in den Besitz des Erbes setzen; es wird das sehr leicht gelingen, und dann giebt es für mich die Mittel, mein trauriges Exil zu verlassen und anderswo ein besseres Dasein zu führen.

Ob ich mit deinem Plane einverstanden bin? Ich sage dir, er könnte gar nicht besser sein! Wir locken Hunter durch den Brief, den du im Namen des Advokaten geschrieben hast, nach Tunis. Du bist ein Tausendkünstler. Die Handschrift des Advokaten ist so täuschend nachgeahmt, daß es Hunter gar nicht einfallen kann, daran zu zweifeln, daß sein rechtsgelehrter Freund sich jetzt in Tunis befindet und in sehr wichtigen Angelegenheiten mit ihm sprechen will. Er wird sofort aufbrechen und die nächste Gelegenheit nach Tunis benützen.

 

Aber natürlich darfst du nicht mit ihm hierher kommen, denn da würde eure ungeheure Aehnlichkeit so auffallen, daß dieser Umstand später zur Entdeckung führen könnte. Du mußt einstweilen in Aegypten zurückbleiben. Um einen Grund dazu wirst du nicht verlegen sein; du kannst ja plötzlich krank werden. Wenn du dich dann in Alexandrien bei dem Griechen Michalis einlogierst, wird mein nächster Brief dich dort treffen. In demselben sage ich dir, was du weiter zu thun hast.

Höchst schlau ist es von dir, daß du in dem gefälschten Briefe Small Hunter an mich adressierst, indem du schreibst, daß der Advokat Fred Murphy bei mir wohne. Da kommt Hunter natürlich direkt zu mir, und ich werde dann Gelegenheit finden, ihn schnell und heimlich verschwinden zu lassen. Dann rufe ich dich, und du trittst an seine Stelle. Da du alle seine Verhältnisse so sehr genau und eingehend studiert hast, wird es dir nicht schwer werden, drüben in den Vereinigten Staaten als Small Hunter aufzutreten, wenigstens so lange, bis das Erbe ausgezahlt worden ist.«

Dies war der größere Teil des Briefes, und dieser bezog sich, wie man sieht, auf unser Unternehmen. Es folgten nun noch verschiedene anderweitige Bemerkungen, welche uns gleichgültig sein konnten, für den Adressaten aber wohl solchen Wert gehabt hatten, daß er ihretwegen das Schreiben aufbewahrt hatte. Sonst wäre es nicht nur unverständlich, sondern geradezu unbegreiflich gewesen, daß diese für ihn so gefährlichen Blätter nicht vernichtet worden waren. Sie enthielten den verbrecherischen Plan mit solcher Deutlichkeit verzeichnet, daß jeder

Leser, dem sie durch einen Zufall, eine Unvorsichtigkeit in die Hände gerieten, sofort sehen mußte, um was es sich handelte, und dann förmlich gezwungen war, Anzeige zu erstatten.

Ganz ebenso verhielt es sich mit dem zweiten Briefe, welcher noch jüngeren Datums war und ungefähr folgendermaßen begann:

»Lieber Sohn!

Du hast deine Sache sehr gut gemacht. Es klappt alles vortrefflich. Small Hunter ist hier angekommen, hat mich aufgesucht und wohnt bei mir. Nur das eine paßt mir nicht recht, daß er in Kairo die Weisung hinterlassen hat, ihm etwaige Post- und andre Sachen an Musah Babuam hier nachzusenden. Er hat mir von dir erzählt und bedauert es lebhaft, daß er gezwungen gewesen ist, dich krank zurückzulassen. Natürlich hat er keine Ahnung davon, daß sein Vater gestorben ist.

Ganz selbstverständlich hat er mich sofort nach dem Advokaten Fred Murphy, seinem Freunde, gefragt. Ich war darauf vorbereitet und hatte mir eine glaubhafte Antwort ausgesonnen. Ich brauchte dieselbe aber nicht, denn der Zufall kam mir zu Hilfe.

Es haben sich nämlich die Uled Ayar gegen den Bei von Tunis empört, weil ihnen die Kopfsteuer, welche er erhebt, zu hoch ist, und ich habe den Befehl erhalten, mit meiner Atly bälüjül[5] sofort gegen sie aufzubrechen, um sie zu züchtigen und zur Strafe die doppelte Steuer zu erheben. Da nehme ich Small Hunter mit. Ich machte ihm das dadurch plausibel, daß ich ihm sagte, der Advokat habe ihn nicht so schnell erwartet und einen Ausflug in diese Gegend gemacht. Er ist so dumm ge- gewesen, dies zu glauben, trotzdem die Uled Ayar wenigstens hundertfünfzig Kilometer südlich von Tunis wohnen. Morgen geht es fort; es wird Kämpfe geben, und ich finde dabei die trefflichste Gelegenheit, dafür zu sorgen, daß er nicht zurückkehrt.

Nach meiner Berechnung wird die Expedition vier bis fünf Wochen dauern; dann kehre ich nach Tunis zurück. Du magst dich so einrichten, daß du um diese Zeit dort eintriffst. Mein Freund, der französische Kapitän Villefort, dampft von hier nach Alexandrien und wird dich dort aufnehmen. Er hat mir versprochen, dich nicht im Hafen, sondern schon vorher am Kap Chamart ans Land zu setzen, denn du darfst dich natürlich nicht eher öffentlich sehen lassen, als bis ich mit dir gesprochen habe. Erkundige dich, ehe du zu mir kommst, ob ich schon wieder zurück bin. Ist dies nicht der Fall, so mußt du im Verborgenen auf mich warten. Zu diesem Zwecke habe ich mit Bu Marama, dem Pferdehändler, gesprochen. Er wohnt im Dorfe Zaghuan, südlich von Tunis und ist mir sehr zu Dank verpflichtet. Er wird dich gern bei sich aufnehmen und dich so heimlich halten, daß kein Mensch von deiner Anwesenheit erfährt. Den Grund kennt er natürlich nicht.

Es versteht sich ganz von selbst, daß ich Small Hunter alles abnehme, was er bei sich trägt, und es dir mitbringe, damit du dich legitimieren kannst. Dann fällt es mir gar nicht ein, um Urlaub oder gar um meinen Abschied einzukommen, sondern ich desertiere einfach. Wir gehen mit dem nächsten Schiffe über England nach den Vereinigten Staaten. In England möchten wir eine kurze Zeit lang bleiben; ich habe Gründe dazu. Wir müssen nämlich unterwegs einige gute Bekanntschaften zu machen suchen, wo möglich vornehme Personen, welche dich als Small Hunter kennen lernen und nötigenfalls dann für deine Echtheit eintreten können.«

Nach diesen Zeilen folgten noch einige Seiten, welche Verhältnisse und Umstände behandelten, die uns nichts angingen; sie waren wohl der Grund, daß auch dieser Brief nicht vernichtet worden war.

Die übrigen Schreibereien enthielten nichts, was uns interessieren konnte. Wir hatten übrigens vollständig genug an diesen beiden Briefen. Sie waren so ausführlich, so klar, daß es gar nichts nachzudenken gab. Wir sahen den schändlichen Plan so offen vor uns liegen, als ob der Kolarasi ihn uns mündlich mitgeteilt hätte.

»Also nun wissen wir genau, warum er schon am Kap aussteigen will,« meinte Emery.

»Und warum er deine Bekanntschaft gesucht hat,« fügte ich hinzu.

»Yes. Ich habe ihn als Small Hunter kennen gelernt und soll, falls es notwendig sein sollte, für die Echtheit dieses Namens eintreten. Der Halunke soll von mir sehr deutlich hören, was an ihm echt oder unecht ist! Natürlich behalten wir diese beiden Briefe!«

»O nein! Wenn er sie vermißt, so schöpft er Argwohn und spielt uns irgend einen unangenehmen Streich!«

»Meinst du, daß du sie später wiederbekommst?«

»Ja.«

»Und wenn er sie aber inzwischen vernichtet?«

»Ich denke, hat er sie bisher so sorgfältig aufbewahrt, so werden die Gründe, infolge deren er dies gethan hat, wohl auch noch einige Zeit fortwirken. Wir lassen ihn ja nicht aus den Augen; er ist uns Sicher, und wir werden zu jeder Zeit wieder zu den Briefen kommen können.«

»Hast recht! Es gilt zunächst, ihn nicht mißtrauisch zu machen. Winnetou mag die Brieftasche wieder in den Koffer thun und diesen verschließen.«

Das war freilich keine leichte Aufgabe; aber hatte der Apatsche eine so große Geschicklichkeit bei der Entwendung des Schlüssels entwickelt, so stand zu erwarten, daß er beim Zurückgeben desselben sich auch nicht ertappen lassen werde. Er nahm also die Brieftasche wieder zu sich und schlich fort. Am andern Morgen berichtete er uns, daß der falsche Hunter geschlafen und also nichts davon gemerkt habe, daß der ebenso falsche Somali Ben Asra während der Nacht an seinem Koffer gewesen sei.

Auch den ganzen Tag über war Hunter ganz unbefangen gegen uns, doch wartete ich vergeblich, daß er die Rede wieder auf unsere Abmachung bringen möge; er that dies nicht. Jedenfalls fürchtete er meine Wißbegierde; er wollte nicht durch Fragen in Verlegenheit gebracht werden. Die folgende Nacht verging, und als der nächste Morgen anbrach, näherten wir uns dem Ziele. Jetzt kam er doch endlich zu mir und fragte:

»Sind Sie noch willens, mir den Gefallen zu thun, von welchem wir gesprochen haben?«

5Schwadron.