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Satan und Ischariot II

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»Sie erschrecken mich!«

»Der Reisebegleiter ermordet Small Hunter, um, da er ihm so ähnlich sieht, an seiner Stelle als Small aufzutreten und den alten Hunter zu beerben. Der Reisebegleiter ist ein Verbrecher, und sein Vater und sein Oheim, an den dieser Brief gerichtet war, sind doppelte und dreifache Mörder. Ich werde Ihnen das noch ausführlich erzählen. Mit fester Bestimmtheit kann ich freilich noch nicht von einem Morde reden; aber wie ich die Betreffenden kenne, werden sie unbedingt auf den Gedanken kommen, den Tod des alten Hunter auf diesem gräßlichen Wege für sich auszunützen. Doch nun vor allen Dingen zu Winnetou.«

Dieser hatte, da wir bis jetzt deutsch gesprochen hatten, uns nur wenig verstanden, war aber unsern Mienen und Bewegungen mit großer Aufmerksamkeit gefolgt. Vorher war der Ausdruck der Spannung auf seinem Gesichte zu lesen gewesen; seit ich aber den Brief geholt hatte, war diese verschwunden, um einem Zuge der Befriedigung Platz zu machen. Als er sah, daß ich mich nun auch an ihn wenden wolle, kam er mir mit den Worten zuvor:

»Mein Bruder Old Shatterhand hat meine Vermutungen bestätigt gefunden. Das verschollene Bleichgesicht ist mit dem Neffen Meltons nach der Gegend gereist, welche die Weißen den Orient nennen.«

»Winnetou hat uns beide richtig beobachtet. Der Schärfe seines Auges bleibt nichts verborgen.«

»Dazu bedurfte es keiner großen Schärfe. Old

Shatterhand hat mir damals den Brief gezeigt und vorgelesen; ich merkte mir ihn. Nun kam ich nach Francisco, um die schöne, junge Frau zu sehen, deren Mann uns damals so schwer beleidigte, daß ich die Drohung aussprach, an ihm Rache zu nehmen, wenn ich später seine Squaw im Unglücke finden sollte. Ich erfuhr von dem Unheile, welches sie betroffen hat, und ging zu ihr, um sie zu trösten. Sie hatte Vertrauen zu mir, weil ich dein Freund und Bruder bin, und erzählte mir alles. Sie las mir auch das Schreiben vor, welches sie aus New Orleans erhalten hat. Darin stand der Name Hunter und noch anderes, was mit dem Inhalte deines Briefes stimmte. Da war es leicht, auf die richtige Fährte zu kommen. Wer sie verfehlt hätte, wäre blind und taub gewesen. Die Squaw hat dir einst ihr Vertrauen geschenkt. Ich beschloß, ihr zu helfen. Du allein warst der Mann, durch den ich helfen konnte; darum mußte ich zu dir. Den jungen Mann habe ich mitgenommen, weil er die Angelegenheit kennt und die Sprache deines Vaterlandes versteht, deren ich nicht mächtig bin. Welche Gedanken beabsichtigt nun mein Bruder, zu befolgen?«

»Jonathan Melton schreibt, daß er seine Aehnlichkeit mit Small Hunter ausnutzen werde. Was meint Winnetou, worin diese Ausnutzung bestehen wird? Etwa nur in Fälschungen und Betrügereien?«

»Nein. Small Hunter wird sterben, wenn nicht rechtzeitig ein Retter erscheint.«

»Davon bin ich auch überzeugt. An seiner Stelle wird Jonathan Melton erscheinen und die Erbschaft heben. Es muß sogleich ein tüchtiger Mann nach Kairo, um beim Konsulate nachzufragen und die Spur dann weiter zu verfolgen.«

»Dieser Mann sind Sie!« fiel da Vogel ein, indem er meine Hände ergriff. »Gehen Sie; reisen Sie; beeilen Sie sich, ehe es zu spät wird!«

»Hm! Die Sache interessiert mich allerdings ungeheuer; aber meinen Sie, daß ich nur so hier sitze, um auf irgend eine Veranlassung hin meine Arbeiten wegzuwerfen und mich da drüben jenseits des Mittelmeeres mit Verbrechern herumzuschlagen?«

»Thun Sie es dennoch, thun Sie es! Wenn Sie Small Hunter retten, wird er Sie reich belohnen. ist er aber schon tot und Sie entlarven seinen Doppelgänger, so sind wir gern bereit, Ihnen einen Teil der Erbschaft auszuzahlen.«

»Uff!« rief der Häuptling zornig. »Old Shatterhand nimmt kein Geld, und solches Fährtenspüren kann überhaupt kein Mensch bezahlen!«

Ich milderte diesen Einwurf durch die Erklärung ab:

»Beruhigen Sie sich, ich war schon vorhin im stillen bereit, mich sogleich nach Kairo aufzumachen, wenn die Hindernisse, welche mir für heute und morgen entgegenstehen, beseitigt sind.«

Wie scharfdenkend und feinfühlend Winnetou war, zeigte er auch jetzt wieder, indem er mit einer mir sehr verständlichen Bewegung die Hand auf seinen Gürtel legte und dabei sagte:

»Winnetou bittet Old Shatterhand, keine Hindernisse gelten zu lassen. Wie ist der Weg nach Kairo?«

»Von hier mit der Bahn nach Brindisi und dann per Schiff nach Alexandrien.«

»Wie lange fährt man mit der Bahn, und wann geht das Schiff ins Meer?«

»Die Fahrten finden ganz regelmäßig an bestimmten Wochentagen statt. Wer morgen von hier abreist und übermorgen in Brindisi ankommt, kann schon am nächsten Tage mit dem Dampfer in See stechen.«

»So fahren wir morgen. Howgh!«

Ich hatte so etwas geahnt. Winnetou war nicht herübergekommen, um mich nach Afrika zu schicken und allein wieder heimzukehren. Dennoch frappierte mich der feste entschlossene Ton, in welchem er diese Worte sprach. Ich fragte:

»Aber Winnetou geht in ein Land, welches ihm fremd ist!«

»Mein Bruder kennt das Land um so besser. Er mag nicht versuchen, mich irre zu machen! Hast du mir nicht hundertmal erzählt, was du in jenen Ländern gesehen hast, und sodann gesagt, du wünschest, daß auch ich einmal hinkommen möge?«

»Ja.«

»Dieser Wunsch wird dir jetzt in Erfüllung gehen; also sprich kein Wort dagegen.«

Ein Apatschenhäuptling in Kairo! Welch ein Gedanke! So etwas war noch nie dagewesen. Ich freute mich darüber, denn erstens fand nun ich auch einmal Gelegenheit, seinen Lehrer zu machen, und zweitens lag für uns die Möglichkeit vor, in Lagen zu kommen, wo das Urteil dieses Scharfsinnigsten aller Scharfsinnigen mir von großem Nutzen sein konnte. Und drittens, und das war momentan die Hauptsache, hatte er die Hand auf seinen Gürtel gelegt. Ich befand mich nicht in der Situation, ein so bedeutendes Reisegeld, wie nötig war, vorrätig im Kasten liegen zu haben; der Hinweis auf den Gürtel aber sagte mir, daß in demselben des schnöden und doch so edlen Mammons genug vorhanden sei.

Die Freude Vogels über unsern Entschluß war groß. Er begann immer wieder, von neuem sich zu bedanken, bis wir ihm dies rundweg und streng verboten. Er wurde ins Hotel geschickt; der Apatsche aber schlief natürlich bei mir, doch nicht lange, denn schon zur frühen Morgenstunde mußten wir den Zug besteigen. Das machte uns aber keine Schmerzen, denn umfangreicher Reisevorbereitungen bedurfte es nicht, da ich alles, was dazu gehört, stets für den augenblicklichen Gebrauch beisammen habe.

Vogel war mit genügenden Mitteln zur Rückkehr nach San Francisco versehen. Er verabschiedete sich am Coupé von uns und erhielt noch ausführlich gesagt, wie er und seine Verwandten sich in gewissen Fällen zu verhalten hätten.

Großen Spaß gewährte mir die Aufmerksamkeit, welche die Erscheinung des Apatschen überall erregte. Ich scheue mich nicht, zu sagen, daß er für kurze und oberflächliche Blicke wie ein neugekleideter Stromer aussah. Aber wer auf seine Haltung und auf die edlen, stolzen und meist unbeweglichen Züge seines hellbronzenen Gesichtes achtete, der war gezwungen, auf den Gedanken zu kommen, daß er keinen gewöhnlichen Menschen vor sich habe.

Kleine Erlebnisse, oft interessanter und oft lustiger Art, welche uns auf der Reise begegneten, gehören nicht hierher; ich sage nur, daß Winnetou trotz seiner gewohnten indianischen Zurückhaltung nicht aus dem Staunen herauskam. Es gab gar viel Neues, Unbekanntes und Unerwartetes zu sehen. In Alexandrien kaufte er sich einen arabischen Anzug, der ihm ganz vorzüglich stand, aber um so unbequemer vorkam.

In Kairo angekommen, verfügten wir uns sofort nach dem Hotel du Nil, wo Small Hunter gewohnt hatte. Wir erfuhren, daß er vor ungefähr drei Monaten abgereist sei, und das stimmte auch mit den Angaben, welche man uns auf dem amerikanischen Konsulate machte. Dort hörten wir noch weiteres. Die Behörden von

New Orleans hatten Erkundigungen eingezogen, ebenso auch der schon erwähnte Advokat. Briefe waren zuerst nach Alexandrien und dann später nach Tunis nachzusenden gewesen. Der Vermittler in der letztgenannten Stadt war ein jüdischer Handelsmann Namens Musah Babuam.

Diese Auskünfte bestimmten uns, nach Tunis zu gehen, und zwar Kairo schon morgen zu verlassen, denn es galt, keine Zeit zu verlieren. Zu unsrer Beruhigung aber hatte man uns gesagt, daß Small Hunter sehr wohl gewesen sei und mit seinem Reisebegleiter in einem sehr guten, sogar vertraulichen Einvernehmen gestanden habe; die Aehnlichkeit zwischen beiden sei geradezu frappant gewesen, zumal sie sich bis ins kleinste gleich gekleidet hätten.

Am Abende spazierten wir einmal nach dem Hotel d Orient, in welchem ich früher gewohnt hatte. Es führte mich keine besondere Absicht dorthin; man kehrt ganz unwillkürlich und gern an Orte zurück, welche man früher betreten hat. Wir traten in den hellerleuchteten Garten und setzten uns an einen leeren Tisch, um ein Glas Limonade zu trinken. Man hatte uns bemerkt, denn Winnetou mußte auffallen, da er sein Haar ganz aufgelöst im Nacken trug.

Es gab mehrere Tische und viele Gäste da, welche sich an der kühlen Abendluft erfreuten. In ziemlicher Entfernung von uns hatte ein muselmännisch gekleideter Mann gesessen, welcher bei unserm Erscheinen aufgestanden war. Er kam näher und immer näher und verwendete keinen Blick von uns. Es war wohl irgend einer, der mich früher einmal in dieser Gegend gesehen hatte; ich achtete nicht mehr auf ihn. Da zog er die Kapuze seines hellen Haik halb über das Gesicht herab, kam ganz her- herbei, legte mir die Hand auf die Schulter und grüßte mich im schönsten Tehua-Indianisch:

»Oseng-ge tah, mo Old Shatterhand!«

Das heißt so viel wie »guten Abend, Old Shatterhand!« Dann legte er seine Hand auch auf des Apatschen Arm und wiederholte den Gruß, nur mit dem andern Namen:

»Oseng-ge tah, mo Winnetou!«

Der Araber kannte uns. Ich sprang überrascht auf und fragte in demselben Indianerdialekte:

 

»Toh-ah oh sse – wer bist du, Mann?«

Da antwortete er in englischer Sprache:

»Rate doch einmal, alter Löwentöter! Bin wirklich neugierig, ob du mich denn nicht an der Stimme erkennen willst!«

»Emery, Emery Bothwell!« rief ich aus, riß ihm die Kapuze über den Kopf zurück und schlang die Arme um ihn. Er that dasselbe mit mir, drückte mich an seine mächtige Brust und sagte im Tone tiefer Rührung:

»Habe mich lange, lange gesehnt nach dir, alter Knabe! Bist aber nie, wenn ich unterwegs war, auf meiner Fährte zu finden gewesen. Jetzt bist du in diesem gesegneten Garten beinahe über mich weggestolpert. Das hat das Kismet gewollt, und auch ich werde einen Willen haben, nämlich den, daß wir uns nicht sogleich wieder trennen. Bist du einverstanden?«

»Gern, liebster Freund! Also du hast uns beide sogleich erkannt?«

»Dich sofort; aber der Häuptling machte mir zu schaffen. Wer durfte in diesem Gewande den größten und berühmtesten Krieger der Apatschen vermuten! Wer hätte es für möglich gehalten, Winnetou hier in der fernen Kahira zu sehen. Ich bin so erstaunt darüber, daß ich es, wenn ich nicht so gute und treue Augen hätte, gar nicht glauben würde. Es muß ein ebenso seltsames wie wichtiges Geschäft sein, welches den Häuptling bewogen hat, den Llano estacado mit der lybischen Wüste und das Felsengebirge mit dem alten Mokattam zu vertauschen.«

»Das ist es auch. Nimm Platz, so wirst du es erfahren. .«

Er ließ sich durch den Kellner seinen Scherbet und seinen Stuhl bringen und setzte sich zu uns.

Wer hätte daran gedacht, diesem meinem guten, kühnen und geradezu unbesiegbaren Kameraden aus der Prairie und der Sahara heute hier zu begegnen! Und ich hatte allen Grund, mich über dieses Zusammentreffen zu freuen; das werden diejenigen Leser gern glauben, welche »Die Gum«[3] gelesen haben. Es sei mir erlaubt, das zu wiederholen, was ich dort über seine Persönlichkeit gesagt habe:

»Drüben im »Farwest« habe ich einen Mann getroffen, der sich ebenso wie ich aus reiner Abenteurerlust ganz allein in die »finstern und blutigen Gründe« des Indianergebietes gewagt hatte und mir bei allen Fährlichkeiten ein treuer Freund und Maat geblieben war. Sir Emery Bothwell war ein Engländer vom reinsten Krystall, stolz, edel, kalt, wortkarg, kühn bis zur Verwegenheit, voll Geistesgegenwart, ein starker Ringer, ein gewandter Fechter, ein sicherer Schütze, und dabei voller Aufopferungsfähigkeit, wenn sein Herz einmal freundschaftlichen Regungen zugänglich geworden war. Neben diesen zahlreichen Vorzügen besaß der gute Emery allerdings einige kleine Eigentümlichkeiten, die ihn sofort als

Engländer charakterisierten und einen Fremden wohl gar abstoßen mußten. Mir gegenüber hatten sie keinerlei Störung, sondern im Gegenteile öfters eine kleine, allerdings heimliche und unschuldige Belustigung verursacht.«

Ja, so, ganz so war Emery Bothwell, der dann mit mir und wenigen Männern in der Sahara eine ganze Raubkarawane vernichtet hatte. Daß er, der sonst so wortkarge Mann, uns mit so vielen Worten begrüßt hatte, war ein Zeichen der ebenso großen wie aufrichtigen Freude, welche er bei dem gegenwärtigen Wiedersehen empfand. Er kannte Winnetou ebensogut persönlich wie mich, da wir mit ihm den Südwesten der Vereinigten Staaten fast drei Vierteljahre lang durchstreift und dabei manches ungewöhnliche Vorkommnis erlebt hatten. Der Apatsche freute sich infolgedessen wohl in demselben Grade, wie ich über dieses ganz unerwartete Zusammentreffen, doch war es nicht seine Weise, sich dergleichen Regungen auffällig merken zu lassen.

Daß wir hier und in dieser Zeit mit ihm zusammentrafen, war mir im hohen Grade willkommen. Er stand sich so, daß er stets über seine Zeit verfügen konnte, und ich war sofort überzeugt, daß er sich uns anschließen werde. Es handelte sich darum, nach einem Verschollenen zu suchen, vielleicht gar ein Verbrechen zu entdecken oder wenigstens zu verhüten, und das war seiner Abenteurerlust eine hochwillkommene Aufgabe. Und da er alles Nötige besaß, sie zu lösen, so konnte ich keinen bessern Begleiter finden, als ihn. Und wenn die Gesuchten sich noch so schlau und sorgfältig versteckt hätten, mit Winnetou, dem berühmtesten Pfadfinder des Westens, und mit Emery, dem fast ebenso berühmten Behluwan-Bei der algerischen Wüste, mußten sie entdeckt werden.

Der letztere war jedenfalls in hohem Grade erstaunt, den ersteren in Kairo zu sehen. Er sagte sich, daß nur ein ganz außerordentlicher Umstand den Indianer zu dieser Reise veranlaßt haben könne. Winnetou hätte nicht gefragt, sondern gewartet; Emery aber war ein Weißer; er legte seiner Wißbegierde keine Schranken an und wendete, als er bei uns Platz genommen hatte, sich mit verschiedenen Fragen über das Woher und Wohin an mich.

»Ist‘s möglich!« rief er, »Ihr wollt nach Tunis? Ich auch!«

»Wann?«

»Wann es euch beliebt.«

»Schön! Wir reisen also zusammen. Was willst du dort?«

»Welche Frage! Abenteuer. Und ihr?«

»Wahrscheinlich finden auch wir Abenteuer. Ich meinte nur, es müsse eine nähere Ursache, welche dich nach Tunis zieht, vorhanden sein.«

»Richtig! Die Ursache heißt Small Hunter.«

»Uff!« rief der Indianer, dem dieser Name so überraschend kam, daß er dadurch ganz wider Willen aus seinem Schweigen gerissen wurde.

»Small Hunter?« fragte auch ich schnell. »Ist das möglich? Kennst du ihn?«

»Yes. Du auch, wie es scheint?«

»Nein; aber ich suche ihn in Tunis.«

»Bist auf falscher Fährte. Er ist in Aegypten und zwar in Alexandrien.«

»Und von dorther kommen wir! Hätten wir das gewußt! Wir haben uns hier nach ihm erkundigt und da erfahren, daß er schon vor etwa drei Monaten nach Tunis abgereist sei.«

»Unsinn! Ist noch da.«

»Aber er hat Anweisung gegeben, ihm alle Postsachen nach Tunis nachzusenden, und es sind ihm auch schon Briefe nachgeschickt worden!«

»Thut auch nichts. Er ist doch noch da; aber er will fort, und zwar mit mir; er wartet in Alexandrien auf mich.«

»So bist du schon vorher mit ihm zusammengewesen?«

»Fragen und immer wieder Fragen! Soll ich dir etwa eine Erzählung machen?«

»Das wäre mir freilich das Liebste.«

»Well! Sie wird aber kürzer sein, als du denkst. Bin da unten in Neghileh mit ihm zusammengetroffen; haben miteinander einen Ausflug nach Berd Ain gemacht, zwei Monate lang. Hunter muß nun nach Tunis, und ich gehe mit. Bin aber vorher nach Kairo, um Kasse zu holen. Er wartet in Alexandrien auf mich.«

»Und du gehst nur seinetwegen nach Tunis?«

»Nein. Wäre auch ohne ihn hingegangen. Habe mit dir die algerische Sahara kennen gelernt und jetzt Aegypten angesehen. Will nun auch wissen, was dazwischen liegt; das ist Tunis und Tripolis.«

»So so! Wer war bei Hunter?«

»Niemand.«

»Wirklich niemand? Aber er hat ja einen Begleiter bei sich Namens Jonathan Melton.«

»Kenne den Mann nicht; habe ihn nicht gesehen.«

»Hat Hunter nicht von ihm gesprochen?«

»Kein Wort!«

»Hm! Sonderbar! Aber von seinen Verhältnissen hat er etwas verlauten lassen?«

»Keine Silbe. Ist mir nicht eingefallen, mich danach zu erkundigen.«

»Aber man pflegt doch nicht mit einem unbekannten Menschen zu reisen!«

»Unbekannt? – Pshaw! Hunter trat sehr anständig auf. Ist lange Zeit, wie ich mich überzeugte, im Oriente gewesen. Was willst du mehr!«

»So scheint es, daß ich ihn besser kenne als du, obgleich ich ihn noch nicht gesehen habe. Wir suchen ihn. Er soll nach Hause kommen, eine großartige Erbschaft machen. Sein Vater ist gestorben. In welchem Hotel sollst du ihn in Alexandrien treffen?«

»In keinem. Wohnt privat. Geht nach Tunis, um dort einen Freund zu besuchen, den Kalaf Ben Urik, Kolarasil[4] bei den tunesischen Truppen.«

»Kalaf Ben Urik? Sonderbarer Name! So kann eigentlich weder ein Araber noch ein Maure oder Beduine heißen! Der Name kommt mir wie ein selbstgemachter vor!«

»Was kann dich das interessieren?«

»Mehr als du denkst. Weißt du vielleicht, wie alt Kalaf Ben Urik ungefähr ist?«

»Bei guten Jahren. Hunter erwähnte es zufällig. Er sagte auch, daß ich mit dem Kolarasi englisch sprechen könne.«

»Englisch? Ah! Wie kommt es, daß ein tunesischer Hauptmann das Englische versteht?«

»Weil er eigentlich ein Fremder ist. Hunter sagte mir, der Hauptmann sei vor acht Jahren zum Islam übergetreten, als er nach Tunis kam.«

»Woher kam er da?«

»Weiß es nicht. Aber da er englisch spricht, scheint der Master ein Landsmann von mir zu sein.«

Ein Engländer? Ich möchte ihn lieber für einen

Amerikaner halten, weil Hunter, der doch ein Yankee ist, ihn besucht.«

»Mag sein. Ist mir auch lieber. Müßte mich darüber ärgern, wenn ein früherer Christ und jetziger Mohammedaner in meinem Old England geboren wäre. Aber was machst du für ein Gesicht? Worüber denkst du nach? Solche abwesende und doch stechende Augen habe ich nur dann bei dir gesehen, wenn du über eine Fährte nachdachtest.«

»So? Vielleicht befinde ich mich auch gerade jetzt auf einer Spur, und zwar auf einer außerordentlich interessanten und wichtigen. Sage mir nur eins: Hunter hat von seinen Verhältnissen also kein Wort gesagt. Hat er nicht doch einmal gesprächsweise erwähnt, daß er außer zu diesem Kolarasi zu noch einer Person in Tunis in Beziehung steht?«

»Ja. Er bekommt seine Briefe an einen dortigen Handelsmann nachgeschickt.«

»Kennst du den Namen desselben?«

»Er ist ein Jude, und wenn ich mich nicht irre, so nannte er ihn – hm, wie war doch der Name!«

»Musah Babuam?«

»Ja, richtig; so hieß der Mann! Aber wie kommt es, daß du dich nach solchen Nebendingen erkundigst, nach denen sonst kein Mensch zu fragen pflegt?«

»Weil die Nebendinge mich auf die Hauptsache bringen. Mir scheint, daß Hunter ein Betrüger ist.«

»Ein – Betrüger —?« fragte Emery im höchsten Grade erstaunt. »Das – ist – ganz – unmöglich!«

»Es ist nicht nur nicht unmöglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich.«

Winnetou hatte bis jetzt kein Wort gesagt, aber, da wir englisch sprachen, alles verstanden. Jetzt meinte er mit der Betonung eines Mannes, der seiner Sache sicher ist:

»Mein Bruder Old Shatterhand ist auf der richtigen Spur. Dieser Small Hunter ist nicht der richtige Small Hunter, sondern ein falscher.«

»Ein falscher?« fragte Bothwell. »Ihr meint, daß er nicht seinen echten Namen führt?«

»Ja, das meinen wir,« antwortete ich. »Er heißt Jonathan Melton.«

»Den Namen nanntest du doch vorhin als denjenigen seines Begleiters?«

»Allerdings. Er ist eigentlich der Begleiter dessen, für den er sich ausgiebt.«

»Das sind mir Rätsel. Erkläre dich!«

Später konnte er alles vollständiger hören; jetzt erzählte ich ihm nur soviel, wie, um ihn zu unterrichten, nötig war. Er hörte mir mit sich immer mehr spannender Aufmerksamkeit zu und zeigte sich, als ich fertig war, mit dem, was er gehört hatte, nicht zufrieden; ich mußte ausführlicher sein und ihm alles erzählen, von meiner damaligen Reise in Mexiko an bis auf den heutigen Tag. Als ich geendet hatte, hätte ein anderer seinen Gedanken oder Empfindungen wohl sofort lauten Ausdruck gegeben, er aber saß lange wortlos da und blickte sinnend vor sich nieder. Dann, als er den Kopf hob, sagte er, indem seine Augen glänzten:

»Das wird eine hochinteressante Reise nach Tunis, weil du auf einer prächtigen Fährte bist. Mein Master Hunter ist wirklich kein anderer als Jonathan Melton, der Begleiter.«

»Woraus schließest du das?«

»Das fragst du noch! Ah, du willst meinen Scharfsinn auf die Probe stellen!«

»Und weißt du, wer jener Kolarasi, jener tunesische Hauptmann ist?«

»Thomas Melton, den du vor neun Jahren von Fort Uintah bis nach Fort Edward getrieben hast. Acht Jahre lang ist er in Tunis; es liegt also ein Jahr dazwischen, und das hat für ihn genügt, sich soviel Sprachfertigkeit anzueignen, daß er in das tunesische Militär eintreten konnte. Was meinst du dazu?«

»Ich bin ganz deiner Ansicht.«

»Warum läßt dieser Hunter, den ich kenne, seine Briefe an den Juden adressieren und nicht an den Kolarasi, den er doch kennt?«

 

»Weil er eben nicht Hunter, sondern Melton ist. Der wirkliche Hunter kennt den Kolarasi nicht; er hat seine Briefe also an einen Geschäftsmann richten lassen, von dem er wußte, daß er ihn in Tunis besuchen müsse. Aber weiter! Warum logiert Hunter in Alexandrien privat und nicht in einem Hotel?«

»Weil er sich nicht sehen lassen, sondern verborgen bleiben will.«

»Und warum ist er nach drei Monaten noch in Aegypten, während man hier die Ueberzeugung hegt, daß er sich in Tunis befindet?«

»Weil er sich für den echten Hunter ausgiebt, der in Wirklichkeit nach Tunis ist.«

»Nein! Hier in Aegypten hat er sich nicht für diesen ausgeben, sondern verborgen bleiben wollen; daß er deine Bekanntschaft gemacht hat, war von ihm eine Unvorsichtigkeit, welche er wahrscheinlich zu büßen haben wird.«

»Aber warum ist er hier geblieben? Warum hat er den echten Hunter, dessen Reisebegleiter er war, allein nach Tunis gelassen?«

»Das kannst du dir nicht erklären?«

»Wenigstens nicht vollständig.«

»Ich nehme unbedingt an, daß er den Tod des alten Hunter erfahren hat und dadurch auf den Gedanken gekommen ist, den er aber sehr wahrscheinlich schon früher gehabt hat, der Erbe des Verstorbenen zu werden. Das wird ihm durch den Umstand erleichtert, daß er eine außerordentliche Aehnlichkeit mit dem jungen Hunter besitzt und während des langen Beisammenseins mit diesem die Gelegenheit gefunden hat, die Verhältnisse desselben genau zu studieren. Es ist sogar zu denken, daß er sich Mühe gegeben hat, die Handschrift seines Reisegefährten genau nachzuahmen. Auf die Nachricht von dem Tode des Alten hat er den Jungen unter irgend einem Vorwande nach Tunis zu dem Kolarasi oder, um den richtigen Namen zu gebrauchen, zu seinem Vater Thomas Melton geschickt, wo derselbe aus dem Wege geschafft werden, also verschwinden soll. Jetzt fährt er nach, um an die Stelle des Verschwundenen zu treten, nach Amerika zu gehen und das Erbe einzuheimsen. Das sind meine Gedanken, und ich glaube nicht, daß sie mich trügen.«

»Mein Bruder Old Shatterhand hat recht,« stimmte Winnetou bei.

Und auch Emery meinte:

»So wie du es darstellst, kann ich nicht anders als dir beipflichten. Aber sollte man so teuflische Pläne für möglich halten?«

»Denke an Harry Melton, den ich den Satan nenne und von welchem ich dir erzählt habe. Hat er nicht eben solche und noch schlimmere Pläne erdacht und auch ins Werk gesetzt? Es giebt, Gott sei es geklagt, Menschen, welche nur dem Namen nach Menschen sind, und zu diesen gehören die drei Meltons, Vater, Sohn und Oheim.«

»Ich bin, wie gesagt, ganz deiner Ansicht. Sollte sie die richtige sein, so ist es unsere Pflicht, den jungen Hunter zu retten, wenn das noch möglich ist. Aber wie?«

»Durch schnelles Eingreifen. Wir dürfen uns auf keinen andern, auch nicht auf die Behörde, verlassen, sondern müssen selbst handeln.«

»Also nach Tunis?«

»Ja. Den jungen Melton haben wir schon in Alexandrien in der Hand, und seinen Vater werden wir, denke ich, ebenso leicht bekommen.«

»Aber klug müssen wir sein!«

»Was das betrifft, so meine ich nicht, daß es großer Pfiffigkeit bedarf. Es ist nichts weiter als ein wenig Energie notwendig.«

»Aber ohne Unterstützung der tunesischen Behörde können wir doch nichts thun!«

»Die wird mir gern jeden Gefallen erweisen, den ich mir von ihr erbitte.«

»Ah,« lächelte er, »du hast wohl mit Mohammed es Sadok Pascha, dem Gebieter von Tunesien, Brüderschaft getrunken?«

»Das nicht. Aber was noch besser ist, ich kenne seinen »Herrn der Heerscharen« sehr gut.«

»Herr der Heerscharen? Was für ein Titel ist das?«

»Mein Freund Krüger-Bei wird so genannt, weil er der oberste der Leibwache oder Leibscharen ist.«

»Krüger? Das ist doch kein tunesischer, sondern ein deutscher Name!«

»Krüger ist auch ein Deutscher von Geburt. Er hat eine Vergangenheit hinter sich, wie sie kein Romanschreiber sich phantastischer aussinnen könnte. Es ist eben das, was ich so oft behaupte: das Leben ist der fruchtbarste Romanschriftsteller, den es giebt. Von Krüger selbst ist zwar über sein früheres Leben soviel wie nichts zu er- erfahren, aber ich glaube, daß er aus der Mark Brandenburg stammt und wahrscheinlich Brauerbursche oder so etwas ähnliches gewesen ist. Auf der Wanderschaft nach Frankreich verschlagen, hat er sich in die Fremdenlegion anwerben lassen, ist in Algerien desertiert, über die tunesische Grenze entwichen und dort Sklave geworden. Infolge seiner Anstelligkeit steckte man ihn später unter das Militär; er hielt aus, avancierte, kam zur Leibwache und hat es schließlich bis zum Obersten derselben gebracht. Mohammed es Sadok Pascha schenkt ihm sein ganzes Vertrauen.«

»So ist er also ein guter Soldat?«

»Ein tüchtiger Soldat, ein treuer Beamter und ein guter Mensch. Leider ist er Mohammedaner geworden! Er hängt noch mit großer Liebe an seinem Vaterlande, mag aber von dem einzelnen Deutschen nichts wissen. Mit mir hat er eine Ausnahme gemacht und mir die beiden Male, an denen ich bei ihm war, eine wirkliche herzliche Zuneigung erwiesen.

»Wenn du ihn kennen lernst, wirst du ihn auch achten lernen und doch auch vielen Spaß über ihn haben.«

»Wieso?«

»Er hat die Eigenart, seinen jetzigen Glauben mit seinem früheren zu verquicken, Bibel und Kuran zu verwechseln und dabei allerlei Lächerlichkeiten an den Tag zu fördern. Das größte Meisterstück von ihm aber ist sein Deutsch. Da du der deutschen Sprache mächtig bist, wirst du die helle Freude an ihm erleben. Er hat nur den allernotdürftigsten Schulunterricht genossen und als Brandenburger schon als Kind mit dem Mir und Mich im Streite gestanden. In Frankreich eignete er sich einen kleinen Vorrat von Französisch an, und in Algier und Tunesien lernte er mit der Zeit arabisch sprechen. Da aber sein Sprachtalent bei weitem nicht ausreicht, die drei Sprachen auseinander zu halten und er besonders die Verschiedenheiten des Satzbaues nicht zu begreifen vermag, so leistet er im Syntax geradezu Unglaubliches. Arabisch hört er täglich sprechen und spricht es selber täglich; dies ist der Grund, daß er in dieser Sprache nicht nur die wenigsten Böcke schießt, sondern sich sogar eine außerordentlich bilderreiche, orientalische Ausdrucksweise angewöhnt hat. Deutsch hat er nur in der Jugend, und da auch nur im Dialekte und fehlerhaft gesprochen, später gar nicht mehr; daher ist diese seine Muttersprache am schlechtesten weggekommen. Das giebt ungeheuern Spaß, kann aber unter Umständen, gerade wenn es gilt, kurz und klar zu sprechen, zum Beispiel in der Nähe einer Gefahr, von großem Nachteile sein.«

»Diesen Krüger-Bei oder – hm, wie nanntest du ihn?«

»Herr der Heerscharen. So nennt er sich nämlich auch selbst, arabisch Raijis el Dschijusch. Sobald wir uns an die Behörde zu wenden haben, was höchst wahrscheinlich der Fall sein wird, werde ich mir seine Hilfe erbitten. Ich habe sogar die Absicht, ihn schon vorher aufzusuchen, und bin Ueberzeugt, daß er sich darüber freuen wird.«

»Willst du ihm vielleicht gleich den vermeintlichen Hunter übergeben?«

»Das wird wohl nicht nötig sein.«

»Vielleicht doch. Wenn dieser Mensch unsere Absichten durchschaut, wird er uns zu entkommen trachten. In diesem Falle müssen wir ihn in das Gefängnis stecken lassen, und zwar so lange, bis wir auch seinen Vater haben.«

»Wir dürfen uns eben nicht durchschauen lassen.«

»Nun, mir traut er keine Feindschaft zu; wie aber, wenn er zufällig errät, wer ihr seid? Man weiß ja, welche Rolle die Zufälle spielen.«

»Es wäre ein wirklich unbegreiflicher Zufall, der ihm verriete, daß wir Winnetou und Old Shatterhand sind!«

»So müßt ihr euch andere Namen geben. Es ist besser, wir wissen das schon jetzt. je eher wir euch damit nennen, desto sicherer sind wir, uns nicht etwa zu versprechen.«

»Das ist richtig. Was mich betrifft, so möchte ich mich nicht für einen Deutschen ausgeben, denn er weiß gewiß, daß Old Shatterhand ein Deutscher ist.«

»Ja. Willst du vielleicht ein Landsmann von mir sein?«

»Ja, wenn du es erlaubst.«

»Gut! So sei ein Verwandter von mir, ein gewisser Mr. Jones, den ich zufälligerweise hier getroffen habe und der in Tunis Geschäfte hat. Und Winnetou? Für wen geben wir ihn aus?«

»Er wird es sich gefallen lassen müssen, einmal ein Afrikaner zu sein. Geben wir ihn für einen mohammedanischen Somali aus, Ben Asra.«

»Schön! Nur fragt es Sich, ob er nichts dagegen einzuwenden hat.«

Als der Apatsche diese Worte hörte, sagte er:

»Nennt Winnetou wie ihr wollt; er bleibt doch der Häuptling der Apatschen.«

»Das ist richtig,« antwortete ich; »aber es ist keineswegs gleichgültig, für wen wir dich ausgeben, da du dafür zu sorgen hast, daß man dich auch wirklich für denselben hält. Ich werde dich also unterwegs darüber unterrichten, wer und was ein Somali ist und wie du dich als ein solcher zu benehmen hast. Wir geben an, daß du das Arabische nicht verstehst, was ja auch die Wahrheit ist, aber von Sansibar aus einige Jahre in Indien gewesen bist und dort Englisch gelernt hast. Wann reisen wir von hier ab?«

3Karl May, Gesammelte Werke Bd. X »Orangen und Datteln«.
4Hauptmann.