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Satan und Ischariot I

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»Sie haben meine Fragen für höchst unnütz gehalten, Don Timoteo; dieselben waren aber für mich außerordentlich wichtige, und werden für Sie sogleich ebenso wichtig sein. Die Yumaindianer haben Ihre Hazienda zerstört und Ihnen alles abgenommen. Ich denke, daß man sogar Ihre Taschen durchsucht und ihres Inhaltes entleert hat?«

»Allerdings. Die Roten haben sie vollständig leer gemacht.«

»Auch Meltons Taschen?«

»Ja.«

»Wie hat er Ihnen dann zweitausend Pesos in schweren glänzenden Goldstücken auszahlen können?«

Der Gefragte zeigte ein höchst verblüfftes Gesicht und antwortete langsam und wie einer, der sich in Verlegenheit befindet:

»Ja – woher hat er – dieses Geld – dieses viele Geld – genommen?«

»Fragen Sie nicht so, sondern anders, nämlich: Warum haben die Indianer ihm dieses Geld nicht abgenommen, sondern es ihm gelassen?«

»Alle Wetter! An diese Frage habe und hätte ich nicht gedacht! Sie meinen, daß er das Geld bei sich gehabt hat?«

»Er oder einer von den beiden Weller. Zweitausend Pesos in Goldstücken sind nicht vor Indianeraugen zu verbergen, und zugleich bilden sie für jeden Wilden, selbst wenn er der wohlhabendste Häuptling wäre, einen Reichtum, den er sich gewiß nicht entgehen läßt. Wenn der »große Mund« auf die Goldstücke verzichtet hat, so muß es sich dabei um eine sehr seltene und sehr wichtige Ursache handeln. Können Sie sich vielleicht denken, was für eine das ist?«

»Nein.«

»Es giebt nur eine, eine einzige. Einem Fremden oder gar einem Feinde läßt kein Roter einen solchen Schatz; Melton muß also ein guter Bekannter, ein Freund, ein Verbündeter des »großen Mundes« sein.«

»Ich glaube es nicht.«

»Ich behauptete, daß die Roten kommen würden, um Ihre Hazienda zu überfallen, und warnte Sie; Sie glaubten mir nicht, ich aber hatte recht. Ebenso täusche ich mich auch jetzt nicht, obgleich Sie abermals der Ungläubige sind.«

»Melton hat so großmütig an mir gehandelt; es ist mir also ganz und gar unmöglich, anzunehmen, daß er mit den Roten im Bunde steht. Wenn ich mich nicht irre, behaupteten Sie damals sogar, daß er der Anstifter des Ueberfalles sei.«

»Der Wortlaut dessen, was ich Ihnen sagte, ist mir nicht im Gedächtnisse geblieben; aber wenn ich es damals noch nicht mit dieser Bestimmtheit behauptet haben sollte, so behaupte ich es jetzt.«

»Sie irren sich; Sie müssen sich irren! Melton ist mein Freund! Er hat es durch den Kauf bewiesen!«

»Ja, er hat es bewiesen, aber nicht, daß er Ihr Freund, sondern daß er ein Verräter, ein Judas, ein Schurke ist. Welchen Wert besaß Ihre Hazienda vor dem Ueberfalle?«

»Das mag ich gar nicht sagen; ich will nicht von diesem entsetzlichen Verluste sprechen.«

»Hätten Sie die Besitzung überhaupt verkauft?«

»Nein; das wäre mir nicht eingefallen.«

»Nun, so haben Sie alles klar vor Augen liegen. Der Mormone ist beauftragt, sich in dieser Gegend festzusetzen, hier Grund und Boden zu erwerben. Ihre Hazienda paßte ihm; sie war ihm aber zu teuer. Um sie billiger zu machen, ließ er sie verwüsten. Der Vertrag, welchen er mit dem »großen Munde« abschloß, lautete: Aller Raub gehört den Indianern; den verwüsteten Grund und Boden kaufe ich für ein Lumpengeld. Der Ueberfall gelang; die Beute war wertvoll; so mußten und konnten sie ihm sein Geld lassen. Begreifen Sie das nicht?«

»Nein, denn eine solche Schlechtigkeit wäre ungeheuerlich. Und bedenken Sie doch folgendes: Was nützt ihm der Grund und Boden, das Areal, wenn dasselbe verwüstet und dann wertlos ist?«

»Er bebaut es neu!«

»Das kostet ihm weit mehr, als die Hazienda vorher wert war, die Jahre, welche er warten muß, ehe dieses Geld Zinsen trägt, gar nicht mitgerechnet.«

»Das sage ich mir natürlich auch; aber es muß hier irgend einen Punkt geben, den ich noch nicht zu entdecken vermochte, aber ganz gewiß noch entdecken werde. Sie meinen, daß Melton nach der Hazienda zurück ist; dies ist aber nicht der Fall, denn wir kommen von dort her, und er hätte uns begegnen müssen. Er hat aber einen Mann dort zurückgelassen.«

»Sie wollen sagen zwei, nämlich die beiden Sennores Weller?«

»Nein. Die sind fort; dafür ist ein anderer da. Haben Sie vielleicht von einem Yankee, einem Mormonen, gehört, den man den Player nennt?«

»Nein.«

»Diesen Mann haben wir dort angetroffen. Er sagte uns, daß Melton mit Ihnen nach Ures sei, um den Kauf gerichtlich abzuschließen. Er wußte das; Melton muß es also gesagt haben; er hat mit ihm gesprochen, und zwar hinter Ihrem Rücken. Sie haben nichts von der Anwesenheit dieses Player wissen sollen.«

»Hm! Das wäre freilich befremdend!«

»Waren, als Sie mit Melton die Hazienda verließen, die beiden Weller und die Deutschen noch dort?«

»Ja. Er hat die Deutschen natürlich von mir übernommen. Mit ihrer Hilfe will er die Besitzung neu bearbeiten, neue Felder und neue Wiesen und Weiden, einen neuen Wald anlegen. Die Wellers sind dabei als Aufseher engagiert.«

»Aber sie sind nicht mehr dort, sie sind sofort nach Ihrer Abreise hinauf nach der Fuente de la Roca gezogen.«

»Nach der Fuente?« fragte er erstaunt.

»Die Wellers mit den Deutschen. Und da oben werden sie von einer Schar von Yumaindianern erwartet!«

»Ist das möglich? Woher wissen Sie das?« fragte er, aus der Hängematte springend.

»Von dem Player, welcher mich für einen Freund Meltons hielt und es mir darum sagte.«

»Nach der Fuente, nach der Fuente!« wiederholte er, indem er mit allen Zeichen der Erregung im Zimmer auf und nieder schritt. »Das giebt mir zu denken; das giebt mir wirklich zu denken, wenn es wahr ist, wenn Sie nicht falsch berichtet sind, Sennor.«

»Es ist wahr. Der Player hat mir das Geheimnis nur in der Ueberraschung anvertraut. Später erkannte er Winnetou und entfloh vor ihm. Er hat ein böses Gewissen. Hier ist der Anfang des Fadens, den ich zu verfolgen gedenke. Ihre Hazienda hat auch im verwüsteten Zustande aus irgend einem Grunde großen Wert für Melton. Nach diesem Grunde forsche ich, und ich werde ihn sicher finden. Darum bin ich nach Ures gekommen, um Melton und Sie zu suchen. Sie habe ich; er aber ist fort, doch nicht nach der Hazienda, sondern jedenfalls hinauf nach der Fuente de la Roca, um dort die Wellers einzuholen.«

Der Haziendero war während meiner Worte immer noch hin und her gegangen. Jetzt drehte er sich plötzlich auf dem Absatze herum und rief aus, indem er vor mir stehen blieb:

»Sennor, ich habe es. Wenn er wirklich da hinauf ist, so habe ich, was Sie wissen wollen, den Punkt, wo der Wert der Hazienda trotz deren Verwüstung für ihn steckt!«

»Nun?« fragte ich gespannt.

»Zu der Hazienda gehört ein Bergwerk, ein Quecksilberbergwerk. Es ist aber nicht im Betriebe, weil ich keine Arbeiter bekommen konnte und weil die Indianer jene Gegend unsicher machen.«

»Auch das habe ich gehört und – —«

Ich sprach nicht weiter, denn es stieg in mir ein Gedanke auf, welcher mir die Zunge lähmen wollte, ein ungeheuerlicher Gedanke, der aber, zu Melton in Beziehung gebracht, gar nicht so ungeheuerlich war. Es wurde hell in mir; aber mit dieser Helligkeit vergrößerte sich auch die Sorge, welche ich für meine Landsleute gehegt hatte und nun erst recht hegen mußte. Wie hatte ich in Gedanken geforscht und gesucht, ohne zu finden, und doch, wie leicht wäre das Richtige zu treffen gewesen! Ich hatte mit keinem Atem, mit keinem Hauche an jenes alte, eingegangene Bergwerk gedacht. Jetzt nun erkundigte ich mich freilich mit größter Spannung:

»Wo liegt das Bergwerk?«

»Droben in den Yumabergen, fünf Tagereisen von hier.«

»Befindet sich die Fuente de la Roca auf diesem Wege?«

»Ja, freilich, freilich! Das ist es ja, was mich an Sennor Melton irre macht.«

»Ah, sind Sie endlich doch irre geworden? Ich weiß nun, woran ich bin. Melton hat es nicht nur auf das Areal der Hazienda, sondern ganz besonders auf das Quecksilberbergwerk abgesehen. Dort sind Millionen zu finden, wenn man die nötigen Arbeiter dazu hat. Und Sie sind so thöricht gewesen, ihm die Hazienda, die Bergwerke und sogar dazu dreiundsechzig Arbeiter für lumpige zweitausend Pesos zu verkaufen. Nun behaupten Sie, wenn Sie die Güte haben wollen, noch einmal, daß er ein Ehrenmann, ein Caballero ist!«

»Ein Schurke ist er, ein Schuft, ein Dieb und Betrüger, ein Räuber, ein Teufel!« schrie Timoteo Pruchillo wütend auf. »Und ich bin der größte Esel, den es auf der Erde giebt!«

»Wenn auch nicht der größte, aber ein großer sind Sie allerdings, Don Timoteo. Ich habe Sie gewarnt!«

»Ja, das haben Sie, das haben Sie!« rief er, indem er sich mit der Faust vor den Kopf schlug. »Hätte ich Ihnen geglaubt!«

»Dann säßen Sie auf Ihrer Hazienda, und wir hätten die Yumas mit blutigen Köpfen zurückgewiesen.«

»Ja, das hätten wir, das hätten wir! Nun aber haben sie mir die Herden genommen, und ich habe nichts, gar nichts mehr!«

»O doch! Zweitausend Pesos haben Sie!«

»Spotten Sie nicht, Sennor!«

»Ich spotte nicht. Sie haben diese zweitausend Pesos und Ihre Herden samt allem, was die Yumas Ihnen abgenommen haben.«

»Sennor, das ist ein grausamer Scherz!«

»Es ist nicht Scherz, sondern Ernst. Ich bin den Yumas nicht nur entkommen, sondern mein Bruder Winnetou hat sie mit den Mimbrenjos, mit denen er mir zu Hilfe kam, sogar gefangen genommen. Sie haben alles hergeben müssen und werden nach den Hütten der Mimbrenjos transportiert, um dort ihre Strafen zu erleiden. Fünfzig Mimbrenjos aber sind mit Ihren Herden unterwegs, um sie nach der Hazienda zu bringen. Wir beide sind vorausgeritten, um Ihnen das zu melden. Wir ahnten freilich nicht, daß Sie die Hazienda verkaufen würden.«

Er stand steif vor Erstaunen, doch war dieses Staunen ein freudiges.

»Die Yuma gefangen – —! Strafe – —! Fünfzig Mimbrenjos – – nach der Hazienda – – mit meinem Vieh – —!«

 

So stieß er abgebrochen hervor. Dann ergriff er plötzlich meinen Arm, wollte mich nach der Thüre ziehen und bat:

»Kommen Sie, kommen Sie! Schnell, schnell! Wir müssen nach der Hazienda, sofort, sofort!«

»Sie sagen »wir«? Also meinen Sie mich mit? Was sollte denn ich dort zu suchen haben?«

»Reden Sie nicht so, Sennor, nicht so! Ich weiß wohl, daß Sie allen Grund dazu haben. Ich habe Sie mißachtet, Sie gekränkt und beleidigt. Ich war mit Blindheit geschlagen. Jetzt aber werde ich – – Ah!« unterbrach er sich, indem er sich an den Beamten wendete. »Da kommt mir ein Gedanke. Ich bekomme meine Herden wieder. Sollte es nicht möglich sein, auch die Hazienda und die Arbeiter mit dem Bergwerke zurückzuerhalten? Der Kauf ist abgeschlossen?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Ist denn nicht vielleicht ein Fehler vorgekommen, ein unscheinbarer Fehler, welcher ein Loch ergiebt, durch das ich in meinen Besitz zurückkriechen könnte?«

»Nein. Sie selbst haben mich um die größte Vorsicht gebeten und mich gewarnt, ja keinen Fehler zu begehen. Es war Ihnen ja darum zu thun, die zweitausend Pesos nicht etwa wieder hergeben zu müssen.«

»Sie behalten das Geld und bekommen doch die Hazienda!« tröstete ich ihn. »Er wird gezwungen, Ihnen die Besitzung zurückzuerstatten, und Sie behalten die zweitausend Pesos als Ersatz für den Schaden, den Sie durch den Kauf erlitten haben.«

»Wäre das möglich?«

»Es ist noch viel, viel mehr möglich zu machen. Ich behaupte sogar, daß der Kauf rückgängig gemacht werden kann. Nur müssen wir zu beweisen vermögen, daß Melton die Indianer gedungen hat, die Hazienda zu überfallen und zu verwüsten.«

»Werden Sie diesen Beweis erbringen können, Sennor?«

»Höchst wahrscheinlich. Wenigstens hoffe ich das.«

»O, hätte ich Ihnen doch erst mein Vertrauen ge- geschenkt! Sie sprechen so bestimmt, so sicher. Ihnen scheint alles möglich, was ich für unmöglich halte!«

Da fiel der Apatsche, welcher bisher geschwiegen hatte, ein:

»Für meinen weißen Bruder Old Shatterhand ist nichts unmöglich, was er thun will. Er war gefangen und für den Marterpfahl bestimmt; nun ist er frei und hat seine Peiniger gefangen genommen.«

»Nicht ich, sondern Winnetou hat sie gefangen genommen,« wehrte ich ab.

»Nein, er ist‘s gewesen!« behauptete er.

»Du hast mir die Mimbrenjos gebracht, ohne welche es nicht hätte geschehen können!«

»Und die Mimbrenjos wären nicht gekommen, wenn Old Shatterhand ihnen nicht einen Boten gesandt hätte!«

»Winnetou, Winnetou wird es gewesen sein, muß es gewesen sein, dem diese That zuzuschreiben ist!« rief die Dame aus, welche für ihn begeistert war. Seine schönen, ernsten Züge, seine stolze, eherne Gestalt und Haltung hatten den größten Eindruck auf sie hervorgebracht.

»Mag es geschehen sein, wie es will; ich habe mein Eigentum wieder!« meinte der Haziendero, welcher mehr ans Haben als ans Danken dachte.

»Nein, gerade wie es geschehen ist, daß die Yumas gefangen genommen wurden, das will ich hören!« sagte die Sennora. »Winnetou wird die Güte haben, es zu erzählen. Ich lade ihn ein, sich neben mir in diese Matte zu setzen.«

Sie deutete auf die neben ihr schwebende Hängematte, in welcher der Haziendero gelegen hatte; sie war frei geworden, weil der letztere jetzt im Zimmer stand.

»Winnetou ist kein Weib,« antwortete der Häuptling. »Er legt sich nicht in die Fäden und redet nicht von seinen Thaten.«

Sie forderte also mich auf, zu erzählen, und ich that ihr den Willen, indem ich in kurzer Weise das Geschehene berichtete und dabei die Mitwirkung des Apatschen besonders hervorhob. Als ich fertig war, rief sie ganz begeistert aus:

»Das ist ja ganz so, als ob ich es in einem Romane gelesen hätte! Ja, wo Winnetou, der Häuptling der Apatschen, auftritt, da sind solche Abenteuer und Thaten ganz unausbleiblich. Wäre ich ein Mann, ich würde stets mit ihm reiten.«

»Und Winnetou wäre ein Weib, wenn er sich das gefallen ließe!« antwortete der Apatsche, indem er sich umdrehte und das Zimmer verließ. Ein solches Lob aus solchem Munde war ihm widerwärtig.

»Was hat er nur?« fragte die Sennora. »Befindet er sich stets in so bissiger Laune?«

»Nein; aber wenn man ihn anbeißen will, so beißt er wieder,« erklärte ich lachend. »Eine Liebenswürdigkeit wie die Ihrige kann ihn über alle Berge treiben. Wenn man ihn halten will, muß man schweigen und ihn nicht ansehen.«

»Ich werde mir Mühe geben, dies fertig zu bringen, wenn Sie sich bereit erklären, mir einen Dienst zu erweisen. Wann reisen Sie wieder ab?«

»Morgen.«

»In welchem Hause werden Sie wohnen?«

»Das ist noch unbestimmt.«

»Sie werden leicht ein für Sie passendes finden; aber Winnetou lade ich ein, unser Gast zu sein, und stelle ihm unsere zwei besten Zimmer zur Verfügung. Was meinen Sie dazu?«

Den Apatschen wollte sie bei sich haben; ich aber konnte wohnen und bleiben, wo es mir beliebte. Das machte mir Spaß, und darum antwortete ich froh gelaunt:

»Ich halte Ihren Gedanken für originell, Sennora.«

»Nicht wahr? Der arme Wilde muß sich stets im Walde und im Freien herumtreiben; ich will ihm einmal ein feines Quartier bieten, hoffe aber, daß er dafür bereit ist, den Abend in meinem Salon zuzubringen.«

»Versuchen Sie es, indem Sie ihn fragen.«

»Wollen Sie das nicht für mich thun?«

»Wenn es ginge, gern, Sennora; aber es geht nicht. Sie sehen doch ein, daß eine solche Einladung nicht durch eine Mittelsperson überbracht werden darf. Von Ihren schönen Lippen ausgesprochen, hat sie doppelten Wert. Sie werden jedenfalls Damen für den Abend zu sich laden?«

»Natürlich! Den berühmten Winnetou vorstellen zu können, ist ein Vorzug, um den mich alle meine Freundinnen lebenslang beneiden werden.«

Es handelte sich also um eine Schaustellung, und ich freute mich schon im voraus auf die Antwort des Apatschen. Uebrigens wurde sogleich schon von zwei anderen Seiten Einwand erhoben. Nämlich der Beamte, welcher gar wohl bemerkt hatte, welchen Eindruck der schöne Indianer auf seine Frau gemacht hatte, mochte eine Anwandlung von Eifersucht empfinden und kam zu ihr herüber, um ihr einige zwar leise, aber eindringliche Bemerkungen in das Ohr zu flüstern. Sie schob ihn, ohne ihn aussprechen zu lassen, einfach zurück. Den andern Einwand erhob der Haziendero, indem er zu mir sagte:

»Bis morgen wollen Sie hier bleiben? Das ist nicht möglich! Sie müssen noch heute mit mir nach der Ha- Hazienda. Sie müssen mir behilflich sein, meine Besitzung zurückzuerlangen!«

Da dies in einem Tone gesprochen war, als ob sich die Erfüllung seines Wunsches ganz von selbst verstehe, als ob er das Recht besitze, eine solche Forderung auszusprechen, so antwortete ich: »Ich muß? Wer behauptet das? Es giebt für mich kein Müssen.«

»Das habe ich auch nicht sagen wollen; aber die Rücksicht auf Ihre Ehre und auf mich erfordert, daß Sie keinen Augenblick zögern, das zu vollenden, was Sie angefangen haben.«

»An die Rücksicht auf meine Ehre brauche ich nicht erinnert zu werden. Nichts, was ich thue, geschieht, ohne daß ich meine Ehre dabei in Betracht ziehe. Ich bin keineswegs entehrt, wenn ich mich jetzt um Ihre Hazienda nicht mehr kümmere. Und sodann reden Sie von einer Rücksicht für Sie. Was oder wer verpflichtet mich denn, Sie zu berücksichtigen? Ich kam zu Ihnen und warnte Sie; Sie jagten mich fort; ich mußte sogar die Beleidigungen Ihres unverschämten Majordomo mit Gewalt von mir weisen, und Sie sahen vom Fenster aus zu, ohne ein Wort zu sagen. Ich bat Sie, Melton nicht mitzuteilen, daß ich Sie vor ihm gewarnt hatte, und als er kam, hatten Sie nichts Eiligeres zu thun, als ihm Wort für Wort alles mitzuteilen. Diese Schwatzhaftigkeit hätte mich in den sicheren Tod getrieben, wenn ich nicht der gewesen wäre, der ich bin; denn Melton ritt mit uns, um mir aufzulauern und mich umzubringen; aber da ich dies erriet, lief er in meine, anstatt ich in seine Hände.«

»Warum werfen Sie mir das vor?« fragte er. »Vorwürfe können nichts ändern.«

»An dem Geschehenen können sie freilich nichts ändern, aber auf das, was geschehen wird, werden sie jedenfalls Einfluß haben. Ich hoffe sogar, daß meine wohlberechtigten Vorwürfe den von mir beabsichtigten Erfolg haben werden, daß Sie selbst sich ändern.«

»Sennor, Sie werden unhöflich!«

»Nein, sondern nur aufrichtig, und zwar zu Ihrem Besten. Als Sie mich hinausgeworfen hatten, blieb ich doch in der Nähe Ihrer Besitzung. Sie hatten mir verboten, die Grenze derselben zu überschreiten; ich konnte also die notwendigen Beobachtungen nicht bei Ihnen machen und war gezwungen, die Indianer zu belauschen. Dabei geriet ich in die Hände derselben. Ihr Verbot hat mich also in die Gefangenschaft getrieben. Meinen Sie, daß ich Ihnen dafür zu Dank verpflichtet bin? Sie sind übrigens dafür bestraft worden, denn nur meine Gefangenschaft ermöglichte es den Yumas, den Ueberfall glücklich auszuführen. Dennoch behielt ich trotz meiner eigenen Hilflosigkeit Ihren Verlust im Auge, und als ich mich befreit hatte, dachte ich sofort daran, Ihnen wieder zu Ihrem Eigentume zu verhelfen. Daß mir dies gelungen ist, habe ich erzählt. Ihr Eigentum ist gerettet, und Ihre Herden befinden sich unterwegs zu Ihnen. Das habe ich Ihnen gesagt. Aus meiner Erzählung wissen Sie, welche Anstrengung es gekostet hat und in welche Gefahr besonders Winnetou und ich mich begeben haben, um die Yumas und ihre Beute in unsere Gewalt zu bekommen. Sagen Sie einmal, ob Sie dies gewagt und auch fertiggebracht hätten!«

»Wohl schwerlich, Sennor.«

»Schön! Und nachdem Sie das alles erfahren haben, fordern Sie mich auf, Ihnen weiterzuhelfen. Sie bitten nicht, sondern Sie fordern. Nun frage ich Sie, welches Interesse ich für Sie oder an Ihnen habe? Sie haben gehört, was wir für Sie gethan haben; aber haben Sie auch nur ein einziges Wort des Dankes hören lassen? Ich wurde von Ihnen beleidigt, hinausgeworfen, in die Gefangenschaft getrieben, habe für Sie mein Leben gewagt und soll es wohl auch ferner wagen, und Sie sagen mir kein einziges Wort, während ich mich herzlich bedanke, wenn mir jemand einen Schluck Wasser bietet! Das meinte ich, als ich davon sprach, daß Sie sich zu ändern haben. Ich bin hier ein deutscher Barbar genannt und sogar gefragt worden, ob ich lesen kann, mache aber die Erfahrung, daß man hier nicht einmal weiß, daß einer, für den ein anderer sein Leben in die Schanze geschlagen hat, die heilige Verpflichtung besitzt, sich bei diesem zu bedanken. Und ich habe für Sie noch mehr gethan! Das war eine lange Rede; der kurze Sinn derselben ist: Sehen Sie nun selbst, wie Sie weiterkommen! Ich habe keine Lust, mich als Dank für meine Güte an meine Pflicht und Ehre erinnern zu lassen!«

Ich that, als ob ich gehen wolle; da ergriff er mich beim Arme und bat:

»Bleiben Sie doch, Sennor, bleiben Sie! Was ich unterließ, ist aus Vergeßlichkeit unterblieben!«

»Da kennen Sie sich nicht so gut, wie ich Sie trotz der kurzen Zeit kennen gelernt habe. Es ist nicht Vergeßlichkeit, sondern etwas anderes. Sie halten sich für so erhaben über einen deutschen Barbaren und sogar über einen Mann, wie Winnetou, daß Sie nicht zu bitten, sondern nur zu fordern und zu gebieten haben. Gehen Sie doch einmal hinüber nach Deutschland, um zu erfahren, daß dort jeder Knabe mehr weiß und mehr gelernt hat, als Sie in ihrem ganzen Leben jemals wissen und lernen werden! Und die Herrschaften, welche sich hier so bequem in ihren Matten schaukeln, mögen die finsteren und blutigen Gründe des wilden Westens aufsuchen, um zu der Einsicht zu gelangen, daß das kleinste Glied des kleinen Fingers von Winnetou mehr Kraft, Geschick und Adel besitzt, als in euerm Ures überhaupt zu finden ist. Ich bin hier nicht heute, sondern schon vorher von oben herab behandelt worden; jetzt schaut einmal von unten herauf, ob ich nicht die Veranlassung und das Recht besitze, euch zur Anklage zu bringen! Ich habe hier um Schutz für die Einwanderer nachgesucht und bin abgewiesen worden. Ihr habt den Kauf abgeschlossen und damit die braven Leute mit ihren Kindern in die Gewalt eines Verbrechers getrieben. Sagt mir einmal, was ich eigentlich hiernach zu thun hätte!«

Ich bekam keine Antwort; sie schwiegen. Da steckte der Apatsche den Kopf zur Thür herein und fragte:

»Ist mein Bruder fertig? Winnetou hat keine Lust, hier länger zu verweilen.«

Rasch war der Haziendero bei ihm, nahm seine Hand und bat:

»Kommen Sie noch einmal herein, Sennor! Ich bitte Sie dringend. Sie wissen, daß ich ohne Ihren Rat nichts machen kann.«

Der Apatsche trat herein, sah ihn ernst an und meinte:

»Hat das Bleichgesicht sich bei meinem Bruder Shatterhand bedankt?«

Es war wirklich, als ob er allwissend sei! Mit seiner kurzen Frage brachte er ganz denselben Vorwurf, über den ich eine so lange Rede gehalten hatte.

 

»Es fand sich noch keine Gelegenheit dazu. Wir haben uns ja noch nicht ausgesprochen,« lautete die Entschuldigung. »Sie wollen bis morgen hier bleiben?«

Winnetou nickte. Und doch hatte ich es nicht mit ihm verabredet. Aber es verstand sich ganz von selbst, daß wir auch hier die gleichen Gedanken hatten.

»Darüber vergeht aber eine kostbare Zeit, in welcher Wichtiges gethan werden könnte!« erinnerte der Haziendero.

»Das Wichtigste ist, daß unsere Pferde Kräfte bekommen,« entgegnete Winnetou. »Von welchen Leistungen redet überhaupt das Bleichgesicht? Old Shatterhand und Winnetou haben nichts dagegen, wenn es seine Absicht ist, noch heute etwas zu leisten. Er mag es immerhin thun, aber selbst!«

»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich ohne Ihre Hilfe nichts fertig bringe.«

»So mag das Bleichgesicht Old Shatterhand bitten. Was dieser thut, thue ich auch.«

Bitten fiel dem Haziendero schwer, aber er that es doch; er brachte es sogar fertig, sich für das bisher Geschehene zu bedanken, aber nicht auf freie Anregung seines Herzens, sondern aus Rücksicht auf den Nutzen, den er davon zu haben hoffte. Der Mann konnte nicht dafür, daß er kein Gemüt besaß; Gemüt besitzt überhaupt nur der Germane. Ich hätte ihn nicht im Stiche gelassen, auch wenn ich nicht aus Rücksicht für meine Landsleute gezwungen gewesen wäre, den Fußstapfen Meltons zu folgen. Darum antwortete ich auf seine Bitten:

»Gut, wir wollen uns auch fernerhin Ihrer annehmen. Aber sagen Sie uns einmal, was nach Ihrer Meinung nun zu geschehen hat!«

»Ich denke eben, daß wir gleich aufbrechen sollten, um Melton einzuholen und zu arretieren.«

»Unsere Pferde würden unter uns zusammensinken; zudem müssen Sie bedenken, daß wir ebensolange wie unsere Tiere unterwegs gewesen sind. Wir haben in zwei und einem halben Tag sechs reichliche Tagemärsche zurück- zurückgelegt, und ich glaube nicht, daß Sie, Sennor, nach einer solchen Leistung im stande wären, einen Parforceritt hinauf nach der Fuente und in die Yumaberge zu machen. Wir bedürfen sehr der Ruhe, denn wir sind keine Götter, sondern Menschen, und werden also bis morgen bleiben. Wenn Sie es so eilig haben, so können Sie vorausreiten. Nehmen Sie einige Polizisten mit!«

Da schlug die Sennora die Hände zusammen und rief:

»Das ist ein prächtiger Gedanke! Vorausreiten und einige Polizisten mitnehmen! Was sagst du dazu, mein Männchen?«

»Wenn es dir recht ist, so ist der Gedanke allerdings ein sehr glücklicher,« antwortete der Gefragte.

»Sogar ein außerordentlich glücklicher! Hast du nicht deinen Ayudo[17], welcher alle deine Arbeiten und Obliegenheiten zu erledigen versteht, so daß du einmal eine kleine Reise unternehmen kannst?«

Er war wohl seit langer Zeit nicht so glücklich gewesen, einmal die Zügel nicht zu fühlen, welche sie mit ihren schönen Händen führte. Eine kleine Reise! Und zwar allein, nicht mit ihr! Welch ein Gaudium! Sein Gesicht glänzte förmlich vor Vergnügen; aber er erkundigte sich doch in vorsichtiger Weise:

»Wohin wollen wir reisen, meine Seele?«

Das Wörtchen »wir« betonte er besonders. Sie machte ihm das Herz leicht, indem sie antwortete:

»Ich bleibe daheim.«

Hatte sein Gesicht vorher geglänzt, so strahlte es nun vollständig, als er fragte:

»Wohin soll ich gehen?«

»Ich gebe dir Gelegenheit, eben solchen Ruhm zu erwerben, wie Winnetou selbst. Da Don Timoteo einige

Polizisten wünscht, so reitest du selbst mit und kommandierst einige Ofiziales de la polizia zu deiner Begleitung.«

Sein Gesicht hörte plötzlich auf, zu strahlen; es zog sich in bedenkliche Falten und wurde ungeheuer lang. Beinahe bebend erklangen seine Worte:

»Ich – ich selbst soll mit in die Berge, und zwar reitend?«

»Natürlich, denn gehen kannst du einen solchen Weg doch nicht!«

»Meinst du nicht, daß ein solcher Ritt etwas – – etwas anstrengend, vielleicht sogar gefährlich ist?«

»Für einen Caballero giebt es keine Gefahr. Also?!«

Sie warf ihm einen gebieterischen Blick zu, auf welchen der arme Teufel nur die eine Antwort hatte:

»Ja, wenn du meinst, so reite ich mit, mein Herz!«

»Ich meine es; freilich meine ich es! In einem kleinen Stündchen hast du alles beisammen, die Wäsche, das Pferd, die Cigaretten, Seife zum Waschen, zwei Pistolen, Handschuhe, das nötige Geld, mit dem ich dich reichlich versehen werde, Schokolade, eine Flinte und ein Kopfkissen, damit du, wenn ihr gezwungen sein solltet, einmal in einem schlechten Bette zu schlafen, nicht tief zu liegen brauchst und schlimme Träume hast. Du siehst, wie ich für dich sorge. Nun sorge auch du dafür, daß meine Erwartungen erfüllt werden. Kehre ruhmbedeckt zurück. Einem Juriskonsulto[18], wie du bist, kann dies nicht schwer werden. Meinen Sie nicht auch, Sennor?«

Diese Frage war an mich gerichtet; ich antwortete also:

»Ich stimme Ihnen vollständig bei, Sennora, soweit die Rechtsgelehrsamkeit bei einem solchen Ritte zu statten kommt.«

»Hörst du es?« fragte sie ihren Mann. »Der Sennor ist mit mir einverstanden. Wann werden Sie aufbrechen, Don Timoteo?«

»In einer Stunde,« antwortete der Gefragte, welcher wohl gerne mit mir und Winnetou, nicht aber mit dem Pantoffelhelden geritten wäre, sich indessen gezwungen sah, auf den lächerlichen Plan der Dame einzugehen.

Der »Juriskonsulto« machte ein Gesicht, über welches man hätte zugleich weinen und auch lachen mögen. Aus der schönen, kleinen Reise war ein gefährlicher, wenigstens ein anstrengender Ritt geworden. Das Kopfkissen, welches er mitbekommen sollte, war wohl kaum im stande, das Grauen, welches er empfand, zu mildern. Er mochte mir ansehen, daß ich eine Art von Mitleid mit ihm fühlte, denn er warf mir einen flehenden Blick zu, in der Hoffnung, daß ich mich seiner annehmen und den Versuch machen werde, seine Gattin von ihrer für sie pikanten, für ihn aber höchst fatalen Marotte abzubringen, doch vergeblich. Ich war ausnahmsweise einmal hart. Unserer Angelegenheit konnte es keinen Schaden bringen, wenn der Beherrscher von Ures einmal in die Berge ritt, um sich Ruhm zu sammeln und anstatt dessen nur die abgeschundene Haut seiner Beine und einen steifen Rücken mit nach Hause brachte. Ich war bei meiner ersten Anwesenheit mit meinem Gesuche auf eine mehr als ärgerliche Weise abgewiesen worden und glaubte, mir ohne Gewissensbisse das kleine Vergnügen, ihn blamiert zu sehen, dafür gönnen zu dürfen. Darum nahm ich mich seiner nicht im mindesten an und sagte im Gegenteile zu dem Haziendero:

»Höchst wahrscheinlich werden Sie Melton fangen, ehe wir Sie eingeholt haben. Wir sind aber als Zeugen nötig. Wo werden wir Sie treffen?«

»Wir werden an der Fuente de la Roca auf Sie warten,« antwortete er.

»Welchen Weg nehmen Sie hinauf?«

»Den über die Hazienda.«

Das war mir nicht lieb. Er konnte auf unsere beiden Mimbrenjos oder gar auf den Player stoßen und uns dadurch das Spiel verderben. Doch fiel es mir nicht ein, ihm abzuraten, denn ich wußte, daß der Zweck, den ich verfolgte, durch das Gegenteil viel leichter und sicherer zu erreichen sei. Darum meinte ich zustimmend:

»Sehr gut, Don Timoteo! Sie werden uns dadurch einer ziemlich schweren Arbeit überheben, denn der Player, von dem ich ihnen erzählt habe, treibt sich jedenfalls noch dort herum. Er muß natürlich festgenommen werden, und da er ein sehr verwegener Kerl ist und mit der Büchse ebensogut wie mit dem Messer umzugehen versteht, so ist das mit Lebensgefahr verbunden. Er wird sich ganz verzweifelt wehren, und da ich weiß, daß er es gut und gern mit zwei und auch drei kräftigen Männern aufnimmt, so ist es mir lieb, daß Sie diesen Weg einschlagen. Sie kommen eher hin, werden ihn gefangen nehmen, und wenn wir nachkommen, ist die Arbeit geschehen. Lassen Sie sich aber ja nicht aus dem Hinterhalte erschießen! Er hat seine Mordthaten alle heimlich ausgeführt.«

Diese Worte wirkten, denn Don Timoteo verfärbte sich, und der Beamte war aschfahl geworden. Ich war überzeugt, daß sie die Hazienda meiden würden.

17Assistent.
18Rechtsgelehrter.