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Satan und Ischariot I

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Die Glut wuchs und wuchs und trieb die Indianer von dannen. Die schon mitgebrachten und dann auch die auf der Hazienda erbeuteten Packsättel wurden den Pferden aufgelegt, damit die letzteren mit der Beute beladen werden könnten. Als das geschehen war, wurde fortgezogen. Voran ritt der Häuptling; ich folgte mit den fünf Wächtern; dann kamen wieder einige Indianer, darauf die Auswanderer mit dem Haziendero und seiner Frau; sie waren alle gebunden und wurden zu beiden Seiten von den Roten eskortiert. Hinterher endlich wurden die erbeuteten Pferde, Rinder, Schafe und Schweine getrieben. Der Zug ging nordwärts, erst am Bache hin und dann, als derselbe den Bogen nach rechts machte, in die links sich öffnende Lichtung hinein, wo er, zufällig oder absichtlich, an der Stelle hielt, an welcher der Mormone mich hatte erschießen wollen, von mir aber unschädlich gemacht worden war. Unschädlich? Leider nicht! Jetzt bedauerte ich es von ganzem Herzen, ihn nicht wirklich unschädlich gemacht, das heißt, ihm eine Kugel in den Kopf gegeben zu haben. Er befand sich, was ich allerdings noch erwähnen muß, an der Seite des Haziendero, neben ihm der alte Weller, beide ebenso gefesselt wie die andern. Sie mußten, natürlich nur zum Scheine, als Gefangene gehalten werden.

Meine Wächter brachten mich abseits und banden mich an einen einzeln stehenden Baum fest, von welchem aus ich die Errichtung des Lagers und dann das Treiben in demselben beobachten konnte. Man gab mich nicht mit den andern Gefangenen zusammen, weil man mir mißtraute. Eigentlich hätte ich stolz darauf sein können, daß die Roten mich allein für fähig hielten, ihnen einen Streich zu spielen, und ich gestehe allerdings, daß mein ganzes Sinnen und Trachten darauf gerichtet war, einen Weg zur Freiheit zu erdenken und ihnen dann womöglich ihren Raub wieder abzunehmen.

Man denke nicht, daß ich mir damit zuviel zutraute. Das Schwierigste war meine Befreiung. Gelang diese, so rechnete ich auf den Beistand der Mimbrenjoindianer, mit denen ich ja an der großen Lebenseiche zusammentreffen wollte.

Die Roten schlachteten ein Rind, ein Schwein und mehrere Schafe, deren Fleisch gebraten wurde. Sie verzehrten große Quantitäten desselben, und ließen auch ihre Gefangenen nicht Hunger leiden. Ich bekam soviel, daß ich es nicht aufessen konnte, wobei man mir abermals die Hände freigab, um sie dann augenblicklich wieder zu fesseln. Wenn man das beim Essen immer so machte, so konnte das ein Mittel zu meiner Befreiung werden, wenn sich nichts anderes und leichteres fand. Denn es war schwer und außerordentlich lebensgefährlich, auf diese Weise loszukommen. Ich mußte vor aller Augen, wenn meine Hände frei waren, die Riemen von den Füßen lösen. Wenn das nicht außerordentlich schnell geschehen konnte, so fand man Zeit, es zu verhindern, und dann stand es fest, daß man mir die Hände nicht wieder freigeben werde. Und selbst wenn es gelang, somußte meine Flucht angesichts sämtlicher Roten vor sich gehen, und ich hatte dann sicher soviele von ihnen hinter mir her, daß sie mich wieder fassen mußten. Ja, wenn meine Glieder sich in normalem Zustande befunden hätten! Aber die sehr fest angelegten Riemen hinderten den Blutumlauf; infolgedessen wurden die Hände und Füße taub; sie ver- verloren das Gefühl, und es war vorauszusehen, daß besonders die letzteren mir nur mit großer Unsicherheit gehorchen würden. Mit den Händen konnte ich mir eher helfen; ich brauchte sie nur, wenn sie mir nach dem Essen wieder gebunden wurden, so zu halten, daß man die Riemen nicht so übermäßig fest zusammenbrachte. Das that ich denn auch jetzt; es gelang mir;, ich konnte die Handgelenke bewegen, doch noch lange nicht so, daß es mir möglich gewesen wäre, die Fesseln abzustreifen; ja, es war sogar unmöglich, sie mit Verletzung der Haut und des Handfleisches herunterzuwürgen. Ich befand mich eben in einer ganz unbehilflichen und ziemlich aussichtslosen Lage, doch fiel es mir nicht ein, die Hoffnung aufzugeben, denn ich wußte, daß ich einstweilen geschont werden sollte, und mir also eine Frist blieb, während welcher sich wohl ein Weg zur Rettung öffnen konnte.

Es wurde Abend; ein Abendessen gab es nicht, weil jedermann vom Nachmittage her noch satt war. Man legte sich zeitig zur Ruhe, und meine Wächter trafen dabei die Vorsichtsmaßregel, mich in eine Decke einzuwickeln und mit Riemen zu umbinden, so daß ich wie ein Säugling im Bündel bewegungslos im Grase liegen mußte. In diesem Zustande war ich des Gebrauches selbst des kleinsten Gliedes beraubt, schlief aber doch so gut, wie es unter solchen Umständen möglich war.

Ich hätte wohl bis zum Morgen fest geschlafen, wenn ich nicht durch eine eigenartige Berührung aufgeweckt worden wäre. Ich wurde nämlich an den Haaren gezerrt, und schlug infolgedessen die Augen auf. Ringsum herrschte nächtlicher Dämmerschein, während es unter dem Baume, wo ich lag, finster war. Trotz dieser Dunkelheit sah ich einen meiner Wächter vor mir sitzen, zu meinen Füßen, nicht ganz zwei Ellen von denselben entfernt; die andern lagen rund um mich her und schliefen, während er wachte. Er rauchte eine Cigarre, jedenfalls von dem Vorrate, den man in der Hazienda erbeutet und dann verteilt hatte.

Wer hatte mich berührt? Ein Yuma sicherlich nicht, denn aus welchem Grunde hätte einer der Wächter mich in dieser Weise aus dem Schlafe wecken sollen? Und hätte es einer gethan, so hätte er nun gesprochen, mir gesagt, was er wolle; es blieb aber still. Ich dachte sogleich an meinen kleinen Mimbrenjo, hütete mich, einen Laut von mir zu geben, und hob und senkte den Kopf aber einige Male, um zu zeigen, daß ich aufgewacht sei. Derjenige, welcher es war, mußte hinter mir, so daß ich ihn nicht sehen konnte, im Grase liegen, und dieses war, wie ich bemerken muß, über einen Fuß hoch; einem schlanken Knaben, wie der Mimbrenjo war, bot es also wohl hinreichend Schutz, so daß er bei der hier herrschenden Dunkelheit selbst von dem so nahesitzenden Wächter nicht bemerkt werden konnte. Dennoch war es eine staunenswerte Kühnheit, sich durch die um mich herliegenden Schläfer bis an meinen Kopf zu wagen.

Als ich die erwähnten Bewegungen gemacht hatte, hörte ich hinter mir ein leises, reibendes Geräusch, wie wenn jemand sich mit äußerster Vorsicht kriechend im Grase fortbewegt; er schob sich weiter zu mir heran, bis sein Kopf neben dem meinigen lag, hielt mir den Mund an das Ohr und hauchte:

»Ich bin es, der Mimbrenjo. Welchen Befehl hat Old Shatterhand für mich?«

Er war es also wirklich! Ein anderer an meiner Stelle hätte in diesem Augenblick wohl alles andere eher empfunden als das, was ich fühlte, nämlich innige Freude darüber, daß der kleine Kerl außer großem Mute auch den Scharfsinn und denjenigen Grad von Schlauheit besaß, welcher ihm notwendig war, wenn er später ein berühmter Krieger werden wollte. Er wünschte, sich einen Namen zu erwerben; er hatte geglaubt, daß sein Wunsch bei mir eher in Erfüllung gehen werde, als sonst anderswo; nun, wenn er die dazu erforderlichen Eigenschaften in dieser Weise und in diesem Grade bewährte, so konnte seine Erwartung sehr bald in Erfüllung gehen.

Ehe ich ihm antwortete, lauschte ich einige Augenblicke, ob seine letzte Bewegung vielleicht dem Wächter aufgefallen sei oder einen der Schläfer aufgeweckt habe; es war nicht der Fall, und so wendete ich ihm mein Gesicht zu und flüsterte im leisesten Tone:

»Hast du die Pferde?«

»Ja,« antwortete er ebenso leise.

»Und alle meine Sachen?«

»Alle.«

»Wo?«

»Seitwärts der Hazienda, am Felsen festgebunden, wo es keine Spuren giebt.«

»Das ist klug. Wie bist du hierher gekommen?«

»Ich sah, daß Old Shatterhand gefangen wurde, weil er mich retten wollte. Ich vermutete, daß man nach mir suchen und dabei die Pferde finden würde. Ich wollte die Feinde von ihnen ablenken und eilte darum allein fort, aus dem Thale hinauf und über die Ebene, bis ich Felsen fand, wo die Yuma meine Fährte verlieren würden. Mein Stamm kennt die Schnelligkeit meiner Füße; kein Yuma hat mich ereilen können; sie waren soweit hinter mir, daß ich sie nicht sah, und sie haben mich also auch nicht sehen können. Als meine Spuren nicht mehr zu bemerken waren, lief ich in einem Bogen, um ihnen auszuweichen, wieder nach dem Thale zurück, wo ich mich auf die Lauer legte. Ich sah sie unverrichteter Sache wiederkommen und beobachtete sie weiter. Als sie aufbrachen, nahm ich die Pferde und ritt hinter ihnen her, um Old Shatterhand zu befreien. Ich werde dafür gern mein Leben geben, weil er meinetwegen ergriffen worden ist.«

»Du wagst viel, doch sehe ich, daß du vorsichtig und klug genug bist, es auszuführen. Ich denke, daß ich mit deiner Hilfe bald frei sein werde.«

»Bald? Warum nicht gleich? Ich habe mein und auch dein Messer mit und werde dich losschneiden.«

»Das wirst du nicht, denn die Folge würde sein, daß auch du in die Gefangenschaft gerietest. Du mußt aber frei bleiben.«

»Old Shatterhand mag bedenken, daß alle schlafen und nur dieser eine wacht! Er ist blind; er sieht mich nicht.«

»Und du magst bedenken, was geschehen muß, ehe ich von der Erde aufzustehen vermag. Vom Fortspringen will ich gar nicht reden. Du mußt die Riemen zerschneiden, welche für die Nacht um meinen Körper gebunden sind; das währt, weil wir sehr langsam und vorsichtig verfahren müssen, wohl eine Stunde. Dann muß ich mich aus der Decke rollen, was nur in der Hälfte dieser Zeit geschehen kann, und wenn das gelungen ist, so sind noch immer die Fesseln von meinen Händen und Füßen zu entfernen.«

»Das geht dann schnell. In zwei Stunden sind wir fertig.«

»Wir würden fertig sein; aber mein junger Bruder mag meine Wächter zählen. Es sind ihrer fünf; sie werden also abwechseln, einander ablösen. Jeder wird, ehe er mich von dem vorigen übernimmt, mich unter- untersuchen, um sich zu überzeugen, daß ich noch fest gebunden bin. Man traut mir nicht. Du siehst also ein, daß ich in dieser Nacht unmöglich fortkann.«

 

»Old Shatterhand hat recht; ich werde also in der nächsten Nacht wiederkommen.«

»Du würdest mich ebenso finden wie jetzt und mich ebenso wieder verlassen müssen.«

»Aber wann soll ich da überhaupt kommen? Wie lange soll ich dich in ihren Händen lassen? Wenn sie dich töten, so werde ich nie wieder in unsern Wigwams erscheinen dürfen, denn alle würden auf mich zeigen und mich anspucken, weil ich durch meinen Leichtsinn Old Shatterhand in die Gefangenschaft und in den Tod gebracht habe.«

»Sie töten mich jetzt noch nicht, sondern sie wollen mich für den Marterpfahl aufsparen, welcher erst nach ihrer Heimkehr errichtet wird.«

»Das ist gut; mein Herz wird leicht! Aber wie soll ich dich befreien, wenn ich nicht wieder zu dir kommen darf?«

»Ich mache mich schon selber los. Da aber meine Füße von den Banden taub geworden sind und mich nicht weit tragen würden, so wünsche ich, daß du in dem Augenblicke, wenn ich fliehe, in der Nähe bist, damit ich auf das Pferd springen kann.«

»Ich werde den Yumas folgen und mich, so oft sie lagern, ganz nahe bereit halten.«

»Aber ja mit der größten Vorsicht! Ich muß wissen, in welcher Richtung du dich befindest. Bleibe stets hinter ihnen. Und nicht nur die Richtung, sondern auch die Stelle, an welcher ich dich zu suchen habe, möchte ich möglichst genau kennen.«

»Wie soll ich dir das mitteilen, da ich nicht mit dir sprechen kann?«

»Hast du gelernt, die Stimme irgend eines Vogels nachzuahmen?«

»Der Zauberer meines Stammes versteht es, die Stimmen aller Tiere zu sprechen, und ich bin sein Schüler gewesen. Welchen Vogel oder welches Tier meinst du?«

»Wir müssen die Stimme eines Tieres wählen, welche sowohl bei Tage als auch bei Nacht zu hören ist, da ich nicht weiß, ob ich am Tage oder des Nachts die Flucht ergreifen werde, oder ob du mir das Zeichen früh, mittags oder des Abends zu geben hast. Die Nachahmung der Tierstimme soll, sobald ich sie höre, mir sagen, wo sie ertönt, also wo du dich befindest.«

»Ein Tier, dessen Ruf des Tages und des Nachts ertönt, ist selten. Wollen wir nicht lieber ein Tag- und ein Nachttier wählen?«

»Auch das, wenn es dir auf diese Weise leichter fällt. Aber der mexikanische Grasfrosch hält sich sowohl im Walde, als auch auf dem freien Felde auf und läßt seine Stimme zu jeder Zeit, des Morgens und des Mittags, des Abends und des Nachts, hören. Das würde das passendste sein.«

»Ganz wie Old Shatterhand denkt! Ich kann die Stimme dieses großen Frosches so gut nachahmen, daß das schärfste Ohr getäuscht wird.«

»Das ist mir lieb. Höre also, was ich dir sagen werde! Es ist ein Glück, daß ich soviel Fleisch von der Hazienda brachte; du hast also zu leben und kannst alle Aufmerksamkeit auf deine Aufgabe richten. Ich weiß nicht, wenn wir von hier aufbrechen und an welchen Orten wir dann lagern werden. Mag dies geschehen, wann und wo es wolle, so folgest du uns, aber in vorsichtiger Entfernung, und suchst dir, so oft wir lagern, ein Versteck, welches uns so nahe wie möglich liegt, dir aber die nötige Sicherheit bietet. Dann wartest du auf einen Augenblick, an welchem in unserm Lager Ruhe herrscht, und stößest dann den Ruf des Grasfrosches aus, dreimal, aber nicht schnell hintereinander, weil dies auffallen würde, sondern in Zwischenräumen, welche eine Viertelstunde betragen können. Bin ich beim ersten Rufe vielleicht im Zweifel über die Stelle, von welcher er kommt, so wird mir der zweite oder gar dritte gewiß Sicherheit geben. Vom dritten Rufe an mußt du dich bereit halten, mit mir augenblicklich davonreiten zu können.«

»Ich werde so gut aufpassen, daß ich dich kommen sehe, und, sobald ich dich erblicke, sofort aus dem Verstecke hervorkommen.«

»Schön! Mein Pferd muß zum Besteigen fertig sein, damit ich keinen Augenblick zu verlieren brauche, denn ich werde die Verfolger hart hinter mir haben. Und noch ein anderes muß bereit sein, nämlich der Henrystutzen, das kleine Gewehr, aus welchem ich soviele Schüsse abfeuern kann, ohne einzeln laden zu müssen. Du hast es doch?«

»Ich habe es.«

»Hast du vielleicht daran probiert?«

»Nein. Wie könnte ich das wagen! Alles, was Old Shatterhand gehört, ist unantastbar.«

»So ist der Stutzen also in gutem Zustande. Halte ihn bereit, mir ihn, noch ehe ich auf das Pferd springe, in die Hand zu geben, damit ich den Verfolgern, falls sie mir zu nahe sein sollten, durch einige Kugeln Halt gebieten kann. Jetzt weißt du alles, und wir müssen uns trennen. Da muß ich dich noch auf etwas sehr Wichtiges aufmerksam machen. Ich vermute nämlich, daß man die andern Gefangenen frei lassen wird. Sie werden sehr wahrscheinlich nach der Hazienda zurückkehren. Laß dich nicht dadurch irre machen! Ich befinde mich auf keinen Fall bei ihnen. Du mußt unbedingt den Yumas folgen, die mich sicherlich bei sich haben.«

»Meine Augen werden offen sein, jeden Fehler zu vermeiden!«

»Das erwarte ich. Nun gieb mir mein Messer, welches du bei dir hast, wie du mir vorhin sagtest!«

»Wie kann ich es dir geben, da deine Hände verhindert sind, es zu nehmen? Soll ich es dir in die Decke schieben, in welcher du steckst?«

»Das geht nicht, weil sie zu fest zusammengeschnürt ist, und man würde es auch finden, wenn man sie morgen früh wieder aufbindet. Schiebe es hier, gerade in der Gegend meines rechten Ellbogens, in die Erde, sodaß das Heft nur ein klein wenig hervorsteht. Das Gras ist dicht; man wird es also nicht sehen.«

»Kannst du es denn, obgleich du gefesselt bist, herausziehen und einstecken?«

»Ja. Und nun entferne dich! Wir haben schon zu lange gesprochen, und die Ablösung kann jeden Augenblick vor sich gehen.«

»Ich gehorche. Vorher aber erleichtere mir mein Herz vollends! Ich habe einen großen, einen unverzeihlichen Fehler begangen, und du bist großmütig genug gewesen, mir kein Wort, keine Silbe des Vorwurfes zu sagen. Wird deine Seele mir die Verzeihung versagen?«

»Nein. Du bist zu kühn gewesen, als du dich den Yumas so sehr nähertest, daß sie dich sehen konnten, aber dieser Kühnheit habe ich es zu verdanken, daß ich dich jetzt bei mir sehe. Wir sind quitt; ich zürne dir nicht.«

»So sage ich dir Dank. Mein Leben gehört dir, und an jedem meiner Tage werde ich mit Stolz daran denken, daß Old Shatterhand zu mir gesagt hat, er sei quitt mit mir.«

Er stieß das Messer neben mir in die Erde und zog sich dann zurück, so leise, daß nicht einmal ich es hörte, obgleich ich scharf lauschte. Nach einiger Zeit ertönte aus der Ferne der dumpfe, breite Schrei des Grasfrosches, der mir sagen sollte, daß dem kleinen Mimbrenjo der Rückzug glücklich gelungen sei.

Jetzt wußte ich, daß mir die Flucht auch gelingen würde. Diese Ueberzeugung benahm mir alle Sorge, und ich schlief so ruhig wieder ein, als ob ich mich bereits in Freiheit befände. Der Lärm des Lagerlebens weckte mich am Morgen, als es schon hell geworden war. Meine Hüter banden die Decke von mir los, da ihnen diese Vorsichtsmaßregel jetzt, am Tage, überflüssig zu sein schien. Ich that, als ob ich noch schläfrig sei, und wälzte mich auf die Seite, wobei ich mich von ihnen unbemerkt ein Stück zurückschob, sodaß ich das Messer, welches sich in der Ellenbogengegend befunden hatte, wenn ich mich vollends umwendete, mit den Händen ergreifen konnte.

Wie schon erwähnt, waren mir die Hände jetzt nicht mehr so fest wie vorher zusammengeschnürt; ich konnte die Finger bewegen. Nach einiger Zeit wälzte ich mich abermals herum, sodaß ich auf dem Bauche lag. Meine vorn befindlichen Finger tasteten nach dem Messer; ich mußte wohl zehn Minuten lang suchen, ehe ich das höchstens zwei Zoll lange Ende des Griffes, welches aus dem mit Gras bedeckten Boden ragte, fühlte. Und dann dauerte es noch länger, ehe ich das Messer aus der Erde brachte, denn weil ich meinen Körper nicht lüften, nicht erheben durfte, so konnte ich es nicht gerade herausziehen. Als mir dies gelungen war, brauchte ich wieder eine Weile, bevor es mir gelang, es mit den unbehilflichen Finger- Fingerspitzen unter die Weste zu schieben und ihm dort einen solchen Halt, eine solche Lage zu geben, daß es nicht hervorrutschte und überhaupt nicht bemerkt werden konnte.

Eben als ich damit fertig war, glücklicherweise nicht eher, wendete man mich um, um mir die Hände wieder freizugeben, weil ich essen sollte. Es wurde überhaupt große Morgenspeisung gehalten, weil, wie ich später sah, der Aufbruch vor sich gehen sollte. Die Tiere wurden zusammen- und dann weitergetrieben. Die roten Krieger, welche dazu nicht gebraucht wurden, blieben noch eine Weile am Platze, weil sie die langsam wandernde Herde bald einholen konnten. Nach vielleicht zwei Stunden trennten sie sich in zwei Abteilungen. Die kleinere blieb zurück, um die andern Gefangenen zu bewachen und sie, wie ich später hörte, erst nach Verlauf von zwei Tagen freizulassen. Es geschah das, damit der Haziendero nicht Zeit gewinnen könne, Hilfe zu holen und die Yuma zu ereilen, ehe sie sich in Sicherheit befanden.

Die größere Abteilung, welche von dem Häuptlinge angeführt wurde, folgte in langsamem Ritte den vorausgeschickten Tieren nach. Ich befand mich, auf ein Pferd gefesselt, bei ihr, von fünf neuen Wächtern umringt. Man wechselte also, damit die auf mich gerichtete Aufmerksamkeit nicht ermüden solle. Als wir uns in Bewegung setzten, hörte ich die Stimme des Mormonen hinter uns dreinrufen:

»Farewell, Master! Grüßt mir den Teufel, wenn er Euch in einigen Tagen in der Hölle guten Morgen sagt!«

Sein auf die Hazienda gerichteter Teufelsstreich war ihm gelungen, und er hegte die Ueberzeugung, von mir befreit zu sein.

Drittes Kapitel: Winnetou

Unser Zug nahm eine mir sehr gut bekannte Richtung, nämlich diejenige nach dem Walde der Lebenseiche. Das war sehr hoffnungerweckend für mich, denn wenn diese Richtung beibehalten wurde, so war es sehr wahrscheinlich, daß wir den von mir zu Hilfe gerufenen Mimbrenjo-Indianern, mit denen ich doch an der Eiche zusammentreffen wollte, begegnen mußten. Bei fernerem Nachdenken aber sah ich ein, daß es für mich geraten sei, die Begegnung nicht zu wünschen, da sie mir große Gefahr brachte. Ich mußte mir nämlich sagen, daß die Yumas, im Falle sie angegriffen werden sollten, mich lieber töten als zusehen würden, daß die Mimbrenjos mich befreiten.

Mochte die Begegnung nun Glück oder Unglück für mich bedeuten, sie wurde, wie ich bald sah, unmöglich, weil die Yumas sich am Walde rechts wendeten, während der jüngere Mimbrenjoknabe und seine Schwester, meine Boten, nach links geritten waren. Sie hatten ihn nach Westen umritten, während wir nach seinem östlichen Ende trachteten, und da er von ganz bedeutender Ausdehnung war, so konnte ich annehmen, daß die beiden Wege soweit auseinander gingen, daß ein Zusammentreffen schwerlich anzunehmen war.

Der Abend kam heran, und noch hatten wir das Ende des Waldes nicht erreicht. Wir mußten am Rande desselben Lager machen. Die durch die geraubten Herden gebotene Langsamkeit hätte mich in jedem anderen Falle geärgert; jetzt aber war sie mir angenehm, da durch sie die mir gestellte Gnadenfrist fast um das Doppelte verlängert wurde.

Ich wartete natürlich auf das Zeichen meines Mimbrenjoknaben. Es ertönte erst, als wir gegessen hatten und ich schon wieder in die Decke gewickelt war. Fliehen konnte ich heute also nicht, doch war es mir eine große Beruhigung, zu wissen, daß der Helfer in der Nähe sei und meinen Anordnungen Folge leiste. Wie ich hörte, hatte er sich sehr nahe herangewagt; das konnte er, weil wir uns am Walde befanden, der ihm sichere Deckung bot.

Am Morgen ging es weiter. Dem Häuptling schien das langsame Reiten mit den Herden langweilig geworden zu sein; er beschloß, voranzureiten und am abendlichen Lagerplatze auf die Nachkommenden zu warten. Er nahm die Hälfte seiner Krieger und natürlich auch mich nebst meinen Wächtern mit. Das war ein ganz bedeutender Strich durch meine Rechnung. Der Mimbrenjo konnte nur langsam hinter den Herden drein, nicht aber hinter uns her; er traf also erst nach den Nachzüglern am Lagerplatze ein, und es war vorauszusehen, daß ich dann schon wieder mit der schrecklichen Decke umwickelt sein würde. Hilflos wie ein Kind, konnte ich dann an keine Flucht denken.

Wie gedacht, so geschehen! Am Vormittage war der Wald zu Ende; wir ritten bis Mittag über bald grasiges, bald ödes Land und machten dann für einige Stunden

Halt, um zu essen. Die Hände wurden mir freigegeben. Ich hätte also mein Messer ziehen und die Fesseln meiner Füße durchschneiden können, um aufzuspringen und davonzulaufen. Aber wie weit wäre ich gekommen! Oder mich auf eines der Pferde werfen? Auch nicht. Sie weideten frei und hatten sich zerstreut. Das nächste war so weit entfernt, daß ich es zwar erreichen konnte, ehe ich ergriffen wurde, aber dann waren die vielen wohlbewaffneten Roten alle hinter mir, der ich nur das Messer hatte, her, und dazu durfte ich ganz und gar nicht annehmen, daß ich gerade das schnellste Pferd erwischen würde. Nein, ich mußte den Versuch, der mir nur verderblich werden konnte, unterlassen.

 

Den Nachmittag über ritten wir über ebensolches Land und hielten dann auf einer weiten, grasigen Fläche an. Da man genug Proviant mitgenommen hatte, so konnte gegessen werden; dann wickelte man mich ein. Es war wie gestern abend, nur daß der Mimbrenjo sich wegen der Ebenheit der Gegend nicht soweit heranwagen konnte.

Erst als es dunkel geworden war, kamen die Herden an.

Kurze Zeit später hörte ich den dreimaligen Ruf des Grasfrosches, und zwar aus einer Entfernung von höchstens dreihundert Schritten. So nahe konnte der Knabe nur in der Nacht bleiben; am Morgen, ehe es Tag wurde, mußte er zurück, um nicht gesehen zu werden. Der arme Teufel opferte den Schlaf, ohne daß ich Vorteil davon hatte.

Ebenso ging es den folgenden und auch den vierten Tag. Kam ein mir günstiger Augenblick, so war der Mimbrenjo nicht bei der Hand, und sagte mir dann sein Zeichen, daß er in der Nähe sei, so war die Gelegenheit für mich vorüber. Der fünfte Tag aber sollte glücklicher für mich sein.

Der Weg führte schon vom Morgen an über felsige Höhen, durch enge Thäler und finstere Schluchten. Da konnte man sich nicht trennen, weil die doppelte Zahl von Treibern erforderlich war. Ich hatte die bestimmte Ahnung, daß heute die Entscheidung kommen werde. Beim Mittagslager war ich noch nie eingewickelt worden, und die Beschaffenheit der Gegend erlaubte es meinem Helfer, sich so nahe zu halten, wie ich nur wünschen konnte.

Kurz bevor die Sonne am höchsten stand, kamen wir durch eine rauhe, viel gewundene Schlucht, welche sich ganz plötzlich auf einen grünen, wiesigen Plan öffnete; auch Gesträuch stand da. Das Vieh war nicht zu halten; es stürmte aus der Schlucht auf den verlockenden Plan und hatte sich in wenigen Minuten so zerstreut, daß die Reiter ihre liebe Not hatten, es wieder zusammenzubringen.

Der Häuptling hatte meinen Hütern sogleich den Befehl gegeben, mich loszubinden, natürlich nur vom Pferde, und auf die Erde zu legen. Sie setzten sich neben mir nieder. Da wir dann den Mittelpunkt des Lagers bildeten, so kam dasselbe so nahe dem Ausgange der Schlucht zu liegen, daß ich denselben mit vielleicht vierhundert Schritten erreichen konnte.

Aus den Befehlen, welche der Häuptling erteilte, entnahm ich, daß er heute nicht weiter wollte. Die geraubten Herden waren durch die Märsche während der letzten vier Tage so angegriffen worden, daß man ihnen wenigstens bis morgen früh Ruhe gönnen mußte, wenn sie den weitern Teil des Weges aushalten sollten. Dem längeren Aufenthalte angemessen, wurden, was während der vorigen Tage nicht geschehen war, die Zelte aufgeschlagen. Während diese Arbeit ausgeführt wurde und man die sonstigen Vorbereitungen traf, kam der Häuptling herbei und setzte sich vor mir nieder. Eben als er Platz genommen hatte, ertönte der erste Schrei des Grasfrosches, ohne daß einer der Indianer darauf achtete.

Der große Mund legte die Füße übereinander, kreuzte die Arme über der Brust und heftete seinen stechenden Blick auf mein Angesicht. Ich sah ihm an, daß er jetzt reden werde, während er mich bisher dessen nicht gewürdigt hatte. Die fünf Wächter blickten zu Boden; sie sahen weder ihn noch mich an; das war die ehrfurchtsvolle Erwartung des Augenblicks, an welcher sich ihr Häuptling wenigstens in Worten mit Old Shatterhand messen werde. Da ein trotziges Schweigen meinen Zustand nur verschlimmern konnte, da ferner ein übel angebrachter Stolz hier nur Dummheit gewesen wäre, und da es endlich meinem Charakter widerstrebte, mich von diesem Manne, wenn auch nur in Worten, werfen zu lassen, so nahm ich mir vor, ihm Rede und Antwort zu stehen. Er begann mit der nicht sehr geistreichen Frage.

»Du bist ein Bleichgesicht?«

»Ja,« antwortete ich. »Oder sind deine Augen so schwach, daß du mich für einen Indianer hältst?«

Er fuhr, ohne auf meine Frage zu achten. fort:

»Und nennst dich Old Shatterhand?«

»Nicht ich nenne mich so, sondern berühmte weiße und rote Krieger und Häuptlinge haben mir diesen Namen gegeben.«

»Sie thaten unrecht daran. Der Name ist eine Lüge. Deine Hand ist gebunden; sie vermag keinen Käfer, keinen Wurm zu zerschmettern und noch viel weniger einen Menschen. Sich her, wie ich mich vor dir fürchte!«

Er spuckte mich, als er diese Worte gesagt hatte, an. Ich antwortete in gleichmütigem Tone:

»Wenn mein Name wirklich eine Lüge ist, so enthält der deinige destomehr Wahrheit. Du wirst der »große

Mund« genannt und besitzest auch wirklich ein so großes Maul, daß es seinesgleichen sucht; aber an deiner Stelle würde ich nicht stolz darauf sein. Es ist keine Kunst und keine Heldenthat, einen Gefangenen, welcher vollständig gefesselt ist, anzuspeien, weil er sich nicht rächen kann. Zeige mir doch lieber den wahren Mut: Nimm mir die Fesseln ab, und kämpfe mit mir! Dann wird es sich zeigen, wer den andern zerschmettert, du mich oder ich dich!«

»Schweig!« donnerte er mich an. »Du gleichst dem Frosche, welcher da hinten schreit. Man verachtet sein Quaken.«

Es war nämlich soeben der zweite Ruf des Grasfrosches erklungen. Die Worte des Häuptlings gaben mir die Gelegenheit, offen nach dem Ausgange der Schlucht blicken zu dürfen, ohne befürchten zu müssen, das Mißtrauen meiner Wächter zu erwecken. Der Schrei klang so nahe, daß ich annahm, mein kleiner Mimbrenjo müsse gleich hinter dem ersten vorspringenden Felsen der Schlucht stecken. Ich hob also noch mehr den Kopf, um ihm sehen zu lassen, daß ich hinschaute, und da sah ich wirklich eine kleine, braune Knabenhand, welche für einen Augenblick hinter der Kante des Gesteines hervorgestreckt wurde, und dann schnell wieder verschwand. Wer nicht wußte, daß jemand dort steckte, konnte die Hand gar nicht gesehen haben.

Nun stand es bei mir fest, jetzt zu entfliehen. In Zeit von einer Viertel-, höchstens einer halben Stunde mußte ich frei, oder eine Leiche sein. In diesem Bewußtsein gab ich die Antwort, die sonst sehr lächerlich gewesen wäre:

»Ich verachte dieses Quaken nicht, sondern freue mich darüber. Kennst du die Stimme der Tiere?«

»Ich kenne sie alle.«

»Ich meine es anders, nämlich so, ob du die Sprache der Tiere verstehst?«

»Kein Mensch versteht sie!«

»Ich verstehe sie doch. Soll ich dir sagen, was der Schrei des Frosches dir mitteilen will?«

»Sage es nur immer!« antwortete er, indem er verächtlich lachte.

»Der Frosch teilt dir mit, daß du heute einen Verlust haben und infolgedessen auf dem Wege, den du hierher gekommen bist, wieder zurückreiten wirst.«

»Der große Geist hat dir die Sinne verwirrt!«

»Nein, sondern er hat mir die Sinne geöffnet und geschärft. Ich höre Schüsse fallen; ich höre den Hufschlag eurer Pferde und das Wutgeheul eurer Krieger. Ihr werdet mit zwei Menschen kämpfen, einem großen und einem kleinen, und sie nicht besiegen können. Schande wird über euch ergehen, und diejenigen, welche ihr verhöhntet, werden euch verlachen!«

Er öffnete schon den Mund zu einer wütenden Antwort, besann sich aber, nahm die Arme von der Brust, ließ sie fallen und musterte mein Gesicht mit einem sehr ernsten, bedenklichen Blicke. Dann sagte er: »Verstehe ich dich recht? Old Shatterhand spricht nie wie ein Unsinniger. Seine Reden haben Sinn, selbst wenn man sie nicht versteht. Was meinst du mit deinen Worten! Von welcher Schande redest du?«

»Denke nach, so wirst du es finden. Und wenn du es nicht findest, so warte, dann wird es bald kommen!«