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Satan und Ischariot I

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Die Stelle, an welcher ich lag, und auch diejenige, an der sich der Mimbrenjo mit den Pferden befand, waren uns durch einen günstigen Zufall gezeigt worden, denn weder er noch ich wurde durch die Hirten gestört, welche die Pferde und Rinder des Haziendero zu bewachen hatten. Es herrschte außer dem leisen Rauschen, das durch die Blätter ging, tiefe Stille um mich her, sodaß mir das leiseste Geräusch, welches nicht in das nächtliche Leben des Waldes gehörte, auffallen mußte.

Als ich ungefähr eine halbe Stunde gewartet hatte, vernahm ich leise Schritte, welche sich von links her näherten. Das war die Richtung, aus welcher der frühere Kajütenwächter kommen mußte. Er kam auf dem Wege, welcher am Ufer des Sees hinführte, und mußte an mir vorüber. Das war kein ausgetretener Weg, wie etwa ein Pfad in einer belebteren Gegend, sondern eben nur der grasige Rand des Sees. Am Tage konnte man wohl sehen, daß Leute zuweilen da zu gehen pflegten, des Nachts aber fiel er für das Auge mit der die Thalsohle bildenden Wiese zusammen. Er war so weich, daß mein geübtes Ohr dazu gehörte, schon von weitem die Schritte Wellers zu hören.

Da dieser zu Fuß kam, so mußte er sein Pferd an einem versteckten Orte zurückgelassen haben. Er ging langsam und blieb zuweilen stehen, um zu lauschen, ob jemand da sei, der ihn hören könne. Dadurch wurde es mir möglich, ihm unbemerkt zu folgen. Wäre er rascher gegangen, so hätte ich ihn wohl, da ich mich außer Gesichtsweite halten mußte, bald aus dem Gehör verloren. So huschte ich mit niedergebeugtem Körper hinter ihm her, blieb stehen, wenn ich seine Schritte nicht mehr hörte, und folgte wieder, wenn er weiter ging, bis wir den See hinter uns hatten und uns nun an dem Bache befanden, welcher sich in denselben ergoß.

Ungefähr fünfzig Schritte von der Mündung aufwärts stand hart am Wasser eine hohe, breitgegipfelte Chopo-Erle, in deren Nähe es kein Buschwerk gab. Es war ein offener Platz, dessen Mitte sie beschattete. Ich blieb hinter dem letzten Strauche halten, da ich seine Schritte nicht mehr hörte; er mußte unter der Erle stehen geblieben sein. Da ich eine ganze Weile angestrengt lauschte, ohne seine Schritte wieder zu hören, nahm ich an, daß er sich mit demjenigen, den er sprechen wollte, verabredet hatte, am Fuße dieses Baumes zusammenzutreffen. Das war mir nichts weniger als lieb, denn ich konnte den freien Raum, welcher zwischen mir und der Erle lag, unmöglich überschreiten, ohne gesehen zu werden. Unter den Bäumen und im Gebüsch hatte Dunkelheit geherrscht, vor mir hingegen war es, obgleich der Mond noch nicht am Himmel stand, so hell, daß man mich unbedingt bemerken mußte, zumal ich den alten, lichten Anzug trug. Der neue befand sich noch im Bündel hinter den Sattel. Doch gerade dieser Umstand ließ mich auf ein Mittel verfallen, meinen Zweck doch zu erreichen. Die Ufer des Baches waren ziemlich hoch, und so konnte mir das Wasser als Weg nach der Erle dienen. Hätte ich den neuen, teuern Anzug getragen, so wäre der Gedanke, ihn durch und durch einzunässen, mir wohl nicht als sehr annehmbar erschienen.

Ich leerte also meine Taschen, legte auch den Gürtel mit allem, was in demselben steckte, ab, verbarg diese Gegenstände im Busche und stieg über das Ufer ins Wasser hinab. Es war hier in der Nähe seines Einflusses in den See so tief, daß es mir bis unter die Arme reichte. Ich brauchte mich also, um bis an den Mund darin zu sein, nur ein wenig niederzuducken. Dazu kam, daß das Ufer weit über eine Elle höher als der Wasserspiegel war; so konnte mich also nur derjenige bemerken, welcher die Wasserfläche des Baches absichtlich beobachtete.

Ich schob mich nun vor, langsam und Schritt um Schritt, um keine Wellen zu verursachen. Je weiter ich vorwärts kam, desto vorsichtiger verfuhr ich und desto tiefer nahm ich den Kopf in das Wasser. Zuweilen blieb ich stehen, um zu lauschen. Ja, ich hörte Stimmen. Es sprachen zwei in gedämpftem Tone miteinander. Nach einiger Zeit erreichte ich den Baum, ohne bemerkt worden zu sein, und konnte mich nun sicher fühlen, denn hier im Schatten seines Wipfels wurde ich kaum entdeckt.

Ich streckte die Hände aus, um sie auf die hohe Uferkante zu legen, hielt mich da fest und zog mich langsam hinauf, sodaß meine Augen in gleiche Höhe mit dem Ufer kamen. Ich sah zwei Männer am Stamme sitzen, höchstens drei Ellen vor mir, und hörte auch, was sie miteinander sprachen. Es war der frühere Kajütenwärter mit seinem Vater, nicht Melton. Ich hörte den Vater zum Sohne sagen:

»Dem Haziendero fiel es natürlich gar nicht ein, auf meinen Vorschlag einzugehen.«

»Du botest wohl nicht genug?« fragte der Sohn.

»Ich habe noch kein Gebot gethan, weil er eben sagte, daß er keine Veranlassung habe, die Besitzungen zu verkaufen. Wenn aber die Indianer dagewesen sind, wird er anders reden. Selbst wenn er Lust zum Verkaufe gehabt hätte, wäre mein Gebot ein so geringes gewesen, daß es ihm nicht hätte einfallen können, auf dasselbe einzugehen. Ich sehe nicht ein, warum ich jetzt vielleicht drei Vierteile des Wertes bieten soll, wenn ich den ganzen Kram später für ein Viertel bekommen kann.«

»So billig nun wohl nicht!«

»O doch. Die Hazienda befindet sich dann in einem Zustande, welcher es notwendig macht, ein Kapital hineinzustecken, wie es der Haziendero nicht mehr besitzt. Will er dann nicht ganz zum Bettler werden, so muß er verkaufen.«

»Wie nun, wenn er dieses Kapital geliehen bekommt?«

»Das bilde dir nicht ein. Einem mexikanischen Geldmanne fällt es nicht ein, sein schönes Geld an eine solche Liegenschaft zu wagen; dazu ist er nicht spekulativ genug.

Bei uns ist es etwas anderes. Es ist vorauszusehen, daß wir über kurz oder lang aus den Vereinigten Staaten fort müssen. Utah ist für uns verloren, und unsere schöne große Salzseestadt wird in nicht ferner Zeit den Unheiligen in die Hände fallen. Die Vielweiberei ist nun einmal gegen die sogenannte christliche Moral und gegen die Gesetze der Union, deren Bewohner ja die »allermoralischsten« sind; wir aber lassen nicht von ihr, und so wird und muß es zu einem Auszuge kommen, welcher allerdings an Großartigkeit in der Geschichte nicht seinesgleichen haben wird. Was war der Auszug der Kinder Israel aus Aegypten gegen die gewaltige Völkerwanderung, welche dann eintreten wird, wenn die Heiligen der letzten Tage mit Weibern und Kindern, mit Hab und Gut die Staaten verlassen! Man hat gefragt, wohin? Nach Norden, also nach Kanada? Nein, denn Kanada ist englisch, und das fromme und doch so sündhafte England duldet die Viel- Vielweiberei auch nicht. Nach Ost oder West, also über das Meer? Auch nicht. Also nach Süden! Da liegt Mexiko mit seinen weiten, der Kultur noch harrenden Strecken und seiner großen, nach Süden gerichteten Expansionsfähigkeit. Die Gesetze Mexikos erwähnen die Vielweiberei gar nicht; sie ist also nicht verboten, folglich erlaubt. Mexiko wird sich, wenn seine Regierung einmal längere Zeit in kräftigen Händen liegt, weit nach Süden ausdehnen und zu einem großen, mittelamerikanischen Weltreiche werden, welches sich von den Vereinigten Staaten keine Gesetze vorschreiben läßt. Hier ist der Platz für uns; hier ist die Wohnstätte unserer Nachkommen, welche sich vermehren werden wie der Sand am Meere. Hier also müssen wir uns bei Zeiten festsetzen, und darum strecken wir zunächst die Fühler aus, um zu erfahren, mit welchen Verhältnissen wir zu rechnen haben. Wir brauchen diese Hazienda, weil sie eine reiche Besitzung ist und uns so gut und bequem am Wege liegt. Wir müssen sie haben, und da der Besitzer sie nicht veräußern will, zwingen wir ihn, sie zu verkaufen. Das ist der erste Schritt, den wir über die Grenze thun; gelingt er uns, so werden bald zahlreiche andere Brüder folgen.«

Das war ja geradezu eine Vorlesung, welche der Mann seinem Sohne hielt, ein Vortrag über die Ab- und Aussichten der Mormonen! Die beiden Wellers wollten den Haziendero zum Verkauf zwingen. Wodurch? Durch die Indianer, wie es schien. Aber auf welche Weise? Den Darlegungen des alten Weller nach sollte die Besitzung durch die Roten entwertet werden; man wollte den Haziendero bankerott machen. Also handelte es sich sehr wahrscheinlich um einen Ueberfall, dem die Verwüstung des schönen Besitztums folgen sollte. Ich hatte keine Zeit, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn Weller fuhr fort:

»Der Anfang ist also gemacht, und die Fortsetzung wird folgen. Es war alles so gut eingefädelt und würde sich ganz glatt entwickelt haben, wenn nicht der verdammte Deutsche dazwischen gekommen wäre. Was man gar nicht für möglich halten sollte, dieser eine Mensch ist im stande, unsern ganzen schönen Plan über den Haufen zu werfen. Wer hätte denken sollen, daß dieser Old Shatter – —«

»Ist es denn wirklich Old Shatterhand?« fiel ihm der, Sohn in die Rede. »Das müßte doch wohl erst bewiesen werden. Es ist sehr leicht möglich, daß wir uns irren.«

»Von einem Irrtume ist keine Rede mehr. Der Beweis ist gestern erbracht worden, denn er selbst hat zugegeben, daß er Old Shatterhand ist. Denke dir, es ist zum Kampfe zwischen ihm und Melton gekommen!«

»Alle Wetter! Wie konnte Melton das geschehen lassen! Er mußte sich doch sagen, daß er gegen den Deutschen, wenn derselbe wirklich Old Shatterhand ist, unmöglich aufkommen kann. Was hat ihn denn zu einer so unverzeihlichen Unvorsichtigkeit verleitet?«

»Es war keine Unvorsichtigkeit. Ich denke, daß ich an seiner Stelle ganz ebenso gehandelt hätte. Der Deutsche hat ihn halb und halb durchschaut. Die Faxe mit dem Pferde spielte er, um nach Ures zu kommen. Was dann geschehen ist, weißt du. Er befreite die drei Mimbrenjos, als wir sie angriffen, und erschoß dabei den Sohn des großen Mundes. Darauf ist er nach der Hazienda geritten, um den Besitzer zu warnen, und hat ihm von einem Ueberfalle der Yumas gesprochen und Melton als Schwindler bezeichnet.«

»Das ist freilich gefährlich für uns. Weiter, weiter!«

»Glücklicherweise hat der Haziendero darüber gelacht. Du weißt, wenn Melton sich einmal vorgenommen hat, einen Menschen für sich einzunehmen, so ist der Erfolg sicher. Und dieser ebenso gute wie dumme Don Timoteo Pruchillo hat ein Vertrauen zu ihm gefaßt, welches gar nicht zu erschüttern ist. Er hat dem Deutschen einfach den Rat gegeben, die Hazienda zu verlassen.«

 

»Hat er das gethan?«

»Ja. Er hat fortreiten wollen, gerade als Melton gekommen ist. Dieser hielt ihn für kurze Zeit zurück, ging schnell zum Haziendero und erfuhr von diesem Wort für Wort, was der Deutsche gesagt hatte. Es galt, zu handeln. Der Kerl mußte verschwinden. Melton begleitete ihn also ein Stück und verabschiedete sich dann von ihm, eilte ihm aber heimlich voraus, um sich ins Gebüsch zu stecken und ihn niederzuschießen. Als er zu der Stelle kommt, die er sich dazu ausersehen hat, steckt Old Shatterhand da!«

»Unmöglich!«

»Ja, und dort ist es zum Kampfe gekommen, wobei er Melton die beiden Hände ausgerenkt hat. Melton ist dadurch natürlich für längere Zeit unfähig geworden, eine Waffe zu gebrauchen.«

»Das ist stark! So etwas hat man noch nicht gehört! Sonst aber ist Melton nichts geschehen?«

»Nichts. Der Deutsche hat ihn laufen lassen, ihn aber vorher gewarnt. Aus der Warnung geht hervor, daß er diese Gegend jetzt zwar verläßt, aber die feste Absicht hat, wiederzukommen.«

»Wo will er hin?«

»Jedenfalls zu den Mimbrenjos, um sie zur Hilfe gegen unsere Yumas zu holen.«

»Hole ihn dafür der Teufel! Wenn er diese Absicht wirklich hat und sie auch in Ausführung bringt, so ist es mit unserm schönen Plane freilich so gut wie zu Ende.«

»Doch noch nicht. Müssen wir denn warten, bis er mit ihnen kommt? Er hält sich für den klügsten Menschen der Welt, hat aber höchst albern gehandelt, als er merken ließ, daß er ahnt, was wir vorhaben. Ich an seiner Stelle hätte Melton kalt gemacht. Er hatte das vollste Recht dazu. Nun aber wird Melton sich zwar nicht persönlich am Kampfe beteiligen können, aber seine gelähmten Hände hindern ihn doch nicht, das Kommando zu führen.«

»Von einem Kampfe wird wohl gar keine Rede sein. Den guten Deutschen, die so schön in unsere Falle gegangen sind, wird es nicht einfallen, sich zu wehren, zumal wenn sie einsehen, daß es nicht ihnen an den Kragen gehen soll. Und wenn die paar Hirten, welche es hier giebt, sich rühren wollen, so sind sie in weniger Zeit als einer Minute kalt gemacht. Aber beeilen müssen wir uns!«

»Das ist es, was ich meine und womit Melton vollständig einverstanden ist. Wir dürfen nicht so lange warten, wie es eigentlich in unserm Plane lag, sondern müssen möglichst bald losbrechen. Also heute der Ueberfall, morgen der Handel mit dem Haziendero und übermorgen der Ritt nach Ures, um den Kaufvertrag abzuschließen. Dann mag der Germane mit seinen Mimbrenjos kommen; er kann uns nichts anhaben und wird ausgelacht.«

»Das ist richtig. Es gilt also, die Zeit und Stunde zu bestimmen. Habe ich dem Häuptlinge darüber etwas Genaues zu melden?«

»Nein, da wir ohne ihn nichts beschließen können. Ich werde mit ihm sprechen, um die Zeit mit ihm festzusetzen. Sage ihm also, daß ich morgen ins Lager kommen werde. Ich werde kurz vor der Abenddämmerung dort eintreffen.«

»Kannst du denn von der Hazienda fort, ohne daß es auffällt?«

»Warum nicht? Ich unternehme einen Jagdausflug; es giebt auch noch andere Ausreden.«

»Aber wenn du des Abends nicht zurückkommst?«

»So sage ich am nächsten Morgen, ich hätte mich verirrt gehabt und sei gezwungen gewesen, im Walde zu übernachten. Weit eher kann es auffallen, daß ich mich jetzt entfernt habe. Ich will darum nun rasch zurück. Hast du mir noch etwas mitzuteilen?«

»Nein!«

»Ich dir auch nicht. Wir sind also fertig. Gute Nacht, Junge!«

»Gute Nacht, Vater! Ich laß Melton baldige Heilung seiner Hände wünschen.«

Die beiden gingen auseinander, der Vater am Wasser aufwärts der Hazienda zu, und der Sohn am Wasser abwärts und den See entlang, um wieder zu seinem Pferde zu kommen und zu den Indianern zurückzureiten. Ich stieg aus dem Wasser und schlug, nachdem ich meine abgelegten Sachen wieder zu mir genommen hatte, den letzterwähnten Weg ein, um meinem Indianerknaben zu sagen, daß ich glücklich gewesen sei und nun einmal nach der Hazienda müsse.

Es handelte sich also wirklich um einen Indianerüberfall. Derselbe war für später beabsichtigt gewesen, sollte nun aber, und zwar meinetwegen, beschleunigt werden. Es war also notwendig, meine Landsleute zu warnen, obgleich aus dem Vernommenen hervorging, daß ihnen eine unmittelbare Gefahr dabei nicht drohe.

Lezteres war mir unverständlich. Warum sollte es gerade ihnen nicht »an den Kragen« gehen, wie Weller senior sich ausgedrückt hatte? Warum sollten nur die Hirten, falls sie sich wehrten, »kalt gemacht« werden?

Es gab da einen dunklen Punkt, der mir trotz alles Nachdenkens nicht hell werden wollte.

Nachdem ich meinen Gefährten benachrichtigt hatte, wendete ich mich wieder bachaufwärts und vermied dabei jedes Geräusch, um nicht etwa von den Hirten bemerkt zu werden. Es war noch nicht spät, und so die Möglichkeit vorhanden, daß man das Thor noch nicht geschlossen hatte. In diesem Falle hoffte ich keine großen Schwierigkeiten überwinden zu müssen, um dem Herkules begegnen zu können. An einen andern wollte ich mich nicht gern wenden. Er war nun einmal so ziemlich in meine Ansichten eingeweiht, und wenn ich ihm auch nicht alles mitteilen konnte, so war er doch derjenige, dem ich die größere Zuverlässigkeit zutrauen durfte.

Leider fand ich das Thor zu. Außerhalb der Mauern befanden sich nur die Hirten, an welche ich mich nicht wenden durfte; ich mußte also hinein. Da gab es nur einen Weg, und zwar den, welchen ich schon einmal benutzt hatte, nämlich das Wasser des Baches, welcher ja unter der nördlichen und südlichen Mauer der Hazienda hindurchfloß. Schaden bringen konnte mir das Wasser nicht; ich war bereits naß, und die Nässe that mir nach der Hitze des Tages sogar wohl.

Ich ging also nach derjenigen Stelle der südlichen Mauer, an welcher der Bach aus dem Hofe der Hazienda ins Freie trat, und stieg hinein. Die Passage war ganz bequem; ich brauchte nicht einmal unterzutauchen, sondern nur mich ein wenig zu bücken, um unter der Mauer hindurchzukommen.

Jenseits derselben war es beinahe tageshell. Es brannten mehrere Feuer, an welchen meine Landsleute beschäftigt waren, sich ihre Abendessen zu bereiten. An Stricken, welche über Stangen gezogen waren, hingen

Fleischstücke, welche da trocknen sollten. Man hatte, wie ich sah, mehrere Rinder und Schweine geschlachtet, um Proviant zu machen.

Die große Helle war für meinen Zweck nicht sehr günstig, und doch war es mir nur durch sie möglich, den Herkules zu entdecken. Er hatte sich, wie gewöhnlich und so auch jetzt, von den andern abgesondert und spazierte in sehr unbequemer Entfernung von mir rauchend auf und ab. Es war ganz Unmöglich, mich unbemerkt zu ihm zu schleichen; ich mußte warten und mich in Geduld fassen.

Die Auswanderer waren lustig und guter Dinge. Als sie gegessen hatten, begannen sie zu singen, und zwar ganz selbstverständlich zu allererst dasjenige Lied, welches am unvermeidlichsten ist: Wenn der Deutsche lustig ist, so singt er ganz gewiß: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin.« Der Jude Jakob Silberberg sang auch mit, wie ich sah. Seine Tochter, die schöne Judith, bemerkte ich nicht.

Der Goliath ließ sich auch durch den Gesang nicht anziehen; er entfernte sich vielmehr noch weiter von den Singenden und kam mir dadurch näher. Er schien erregt zu sein, wie ich seinen hastigen, unregelmäßigen Schritten und Wendungen anmerkte. Ob er sich wieder einmal über Judith geärgert hatte? Der Haziendero war nicht zu sehen, Melton und Weller senior auch nicht. Der aufgedunsene Major domo aber ging zuweilen ab und zu.

Nach langer, langer Zeit schienen die Gedanken des Herkules eine Richtung zu nehmen, welche mir, der ich noch immer bis unter den Armen im Wasser stand, günstig war. Er kam langsam auf den Bach zu und blieb am Wasser stehen, ungefähr fünfzehn Schritte von mir ent- entfernt. Jetzt galt es, mich ihm bemerklich zu machen, ohne daß er mich in seiner Ueberraschung verriet. Ich rief halblaut seinen Namen. Er stutzte und horchte, da er keinen Menschen sah, verwundert auf. Ich nannte den Namen wieder, den meinigen dazu und fügte hinzu:

»Erschrecken Sie nicht! Ich stehe hier im Wasser und laure auf Sie, um mit Ihnen zu reden. Kommen Sie her!«

Er folgte dieser Aufforderung, aber nur zögernd. Es erschien ihm doch sonderbar, aus den Wellen angesprochen zu werden. Ich richtete mich höher auf, sodaß der Schein der Feuer auf mein Gesicht fiel; da erkannte er mich und sagte, natürlich mit leiser Stimme:

»Sie hier, wirklich Sie? Ist‘s möglich! Sind Sie ein Nix geworden, oder gehen Sie nur im trüben fischen?«

»Keines von beiden. Setzen Sie sich her ins Gras! Wenn Sie stehen bleiben, fällt es auf.«

Er setzte sich und meinte:

»Sie haben allerdings alle Ursache, sehr heimlich zu thun. Wenn Sie sich sehen ließen, könnte es Ihnen Meltons wegen schlimm ergehen.«

»Wieso?«

»Sie haben ihn ja hinterrücks überfallen und ausgeraubt! Seine Waffen, sein Geld haben Sie ihm genommen. Er hat nur mit Mühe entkommen können und ist unterwegs in der Dunkelheit mit dem Pferde gestürzt, wobei er sich beide Hände verstaucht hat.«

»Ah – – so!«

»Ja – so! Und dazu kommt, daß Sie auch Pferde gestohlen haben.«

»Das ist freilich wahr; ich gebe es zu, obgleich nicht eigentlich ich es gewesen bin. Ich habe den Pferdediebstahl angestiftet!«

»Schöner Mensch, der Sie sind! Aber Scherz beiseite! Wo haben Sie sich denn umhergetrieben, und was ist geschehen, daß Sie Ihre Anstellung als Buchhalter nicht bekommen haben?«

»Ich habe sie nicht bekommen, weil ich sie ausgeschlagen habe, und umhergetrieben habe ich mich da, wo ich mich sehr wahrscheinlich noch einige Zeit umhertreiben werde, nämlich in der Umgegend der Hazienda.«

»Wozu? Sind Sie noch immer mißtrauisch?«

»Ja. Und mein Mißtrauen hat sich als ein sehr begründetes herausgestellt. Meine Vermutungen sind zur Gewißheit geworden. Die Hazienda soll von Indianern überfallen werden —«

»Die Rothäute mögen kommen! Sie werden sich wundern, wenn sie mir so von ungefähr zwischen meine Fäuste geraten.«

»Nehmen Sie die Sache nicht scherzhaft und leicht; ich spreche sehr im Ernste. Giebt es nicht einen gewissen Weller hier?«

»Ja. Er kam heute gegen Mittag hier an.«

»Was will er da?«

»Man munkelt davon, daß er die Absicht hat, die Hazienda zu kaufen. Don Timoteo fällt es aber nicht ein, zu verkaufen.«

»Kennen die beiden einander?«

»Ich glaube, schwerlich.«

»Haben Sie vielleicht Weller und Melton zusammengesehen?«

»Nein. Aus dem sehr einfachen Grunde, weil Melton sich überhaupt nicht sehen läßt. Er soll das Bett hüten, weil er Fieber hat. Der Teufel hole das Fieber!«

»Warum nur das Fieber und nicht den Kranken auch?«

»Meinethalben kann er beide holen, das Fieber und den Kerl dazu. Und wenn er auch Sie mitnimmt, so habe ich auch nichts dagegen!«

»Sehr verbunden! Was habe ich Ihnen denn zu leid gethan, daß Sie mir einen solchen Wunsch aussprechen?«

»Das können Sie noch fragen! Ich möchte aus Aerger über Sie zerplatzen, und da fragen Sie noch ganz ruhig und vergnügt, was Sie mir gethan haben! Wissen Sie vielleicht, wo Judith ist?«

»Nein. Wie kann ich das wissen! Aber warum fragen Sie so? Ist sie denn fort?«

»Fort? Sie ist da; sie ist sogar sehr da; sie ist ganz außerordentlich am Platze!«

»Reden Sie doch deutlicher! Wo steckt sie denn; was thut sie, und was ist‘s mit ihr?«

»Wo sie steckt?« knirschte er. »Drin bei Melton. Was sie thut? Sie pflegt ihn. Und was es mit ihr ist? Aus ist‘s mit ihr, ganz und vollständig aus! Denken Sie sich das Mädchen als Pflegerin dieses Menschen! Können Sie sich das überhaupt denken?«

»Warum nicht? Oder hat sie kein Geschick zur Krankenpflege?«

»Fragen Sie nicht so dumm! Das Mädchen hat Geschick zu allem, was es nur geben kann, das meiste aber dazu, die Männer verrückt zu machen.«

»So sind Sie sehr wahrscheinlich auch ein wenig verrückt?«

»Sehr wahrscheinlich! Und ich befürchte, daß ich in dieser Verrücktheit etwas thue, was man sonst nicht alle Tage zu thun pflegt, nämlich dem Melton den Kopf auf den Rücken drehen.«

»Das kann Ihnen leicht den eigenen Kopf kosten!«

»Schadet nichts. Ich habe ihn ja schon halb verloren. Sie sehen also, daß ich zornig auf Sie sein muß. Hätten Sie Melton in Ruhe gelassen, so wäre er nicht krank geworden und brauchte keine Pflegerin!«

»Kann ich dafür, daß die Jüdin so barmherzig ist? Warum giebt sie sich dazu her?«

 

»Doch nur, um mich zu ärgern; ich weiß es ja. Und ihr Vater hat seine Einwilligung dazu gegeben, um sich bei Melton einzuschmeicheln. Ich wollte, Sie hätten wirklich recht mit Ihren Indianern. Ich wünsche sehr, daß die Roten kommen und das ganze Pack zusammenhauen!«

»Und Sie mit! Nicht? Sie können übrigens in dieser Beziehung vollständig unbesorgt sein. Ihr menschenfreundlicher Wunsch wird in Erfüllung gehen; die Indianer werden kommen; ja, sie sind sogar schon da.«

»Sie scherzen doch nur?«

»Nein. Ich habe sie gesehen und beobachtet. Und unser Kajütenwärter befindet sich bei ihnen.«

»Alle Wetter! Dann hätten Sie ganz richtig vermutet!«

»Allerdings. Hören Sie!«

Ich erzählte ihm von dem, was ich gesehen und gehört hatte, soviel, wie ich für gut hielt, und bemerkte zu meiner Genugthuung, daß seine Zweifel schwanden. Er begann, die Sache ernst zu nehmen, und sagte, als ich geendet hatte:

»Sie sind, bei meiner Seele, ein sonderbarer Mensch. Ich nahm erst an, daß Sie mit sehr viel überflüssiger Phantasie begabt seien und infolgedessen Drachen sähen, wo eigentlich nicht einmal eine Mücke vorhanden ist. Jetzt aber muß ich mein Urteil ändern, denn ich sehe ein, daß Sie planmäßig denken und planmäßig handeln. Meine

Force liegt in meinen Fäusten, und die will ich Ihnen gern und gut zur Verfügung stellen.«

»Gut; ich werde sie gebrauchen können. Denken will ich für Sie; aber wenn es dann zum Handeln kommt, so rechne ich auch auf Sie!«

»Zählen Sie bestimmt auf mich! Was soll ich jetzt thun?«

»Zunächst gar nichts.«

»Nichts? Aber den Kameraden soll ich sagen, was sie zu erwarten haben?«

»Nein. Was ich Ihnen mitgeteilt habe, muß Geheimnis bleiben. Würde es verraten, so gäbe der Mormone seinem Plane eine solche Aenderung, daß alle Vorteile, welche ich bisher errungen habe, verloren gingen. Jetzt glaubt er mich fort und fühlt sich sicher. Aber eines können Sie thun, nämlich auf alles achten, was hier geschieht, selbst auf das Geringste. Alles, was Ihnen mit unserer Angelegenheit zusammenzuhängen scheint, teilen Sie mir mit.«

»Wann denn und wo? Sie wollen sich doch nicht sehen lassen!«

»Kommen Sie des Abends, so bis gegen Mitternacht, täglich einige Male hier an den Bach; ich werde hier sein, wenn ich mit Ihnen reden will.«

»Wenn Sie aber erst nach Mitternacht kommen können? Wir schlafen dort in den Gesindehäusern, so eine Art Massenquartier; da können Sie nicht hinein, ohne daß Sie diesem oder jenem die Füße abtreten und dann erwischt werden. Ich werde also einen Grund, im Freien zu schlafen, zu entdecken suchen; die Stelle weiß ich freilich noch nicht, aber ich will dafür sorgen, daß Sie mich leicht finden werden.«

»Schön! Also schweigen Sie jetzt noch! Wenn die

Zeit da ist, sollen Ihre Landsleute benachrichtigt werden, aber eher nicht. Wir müssen vorsichtig sein.«

»So seien auch Sie vorsichtig, und stehlen Sie nicht wieder Pferde! Man könnte sonst auf den Gedanken kommen, daß Sie sich noch in der Gegend herumtreiben. Ich finde überhaupt jede Mauserei, also auch den Pferdediebstahl, im höchsten Grade unmoralisch.«

Er lachte dabei leise vor sich hin. Ich antwortete ebenso launig.

»Dann thut es mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß Ihre Immoralität nicht geringer als die meinige ist. Sie stehlen auch.«

»Nie!«

»So will ich sagen: Sie werden Fleisch stehlen und heute abend noch.«

»Ah, ich verstehe! Für wen?«

»Für mich und meinen Indianerknaben. Sie sehen ein, daß ich meine Zeit nicht auf die Jagd verwenden kann und mich durch Schüsse leicht verraten würde. Essen muß ich aber, das liegt nicht nur in meinem, sondern noch vielmehr auch in Ihrem Interesse. Hier ist heute geschlachtet worden; ich sehe das Fleisch an den Schnüren hangen. Wenn Sie —«

»Ein verständiger Kerl sind, so stehlen Sie für mich,« fiel er mir in die Rede. »Nicht wahr, so wollten Sie doch sagen?«

»Allerdings. Ich muß die Indianer beobachten und mich stets in ihrer Nähe aufhalten. Proviant ist mir also sehr nötig. Sehen Sie, ob Sie unbemerkt zu soviel Fleisch kommen können, wie zwei Mann, die mäßig sind, für einige Tage brauchen!«

Er stand auf und ging langsam und in der Haltung eines Spaziergängers fort, um die dunkelste Stelle des

Hofes aufzusuchen, wo Fleisch hing. Obgleich ich ihn beobachtete, sah ich doch nicht, was er that, doch als er zurückkam, ließ er einige große Muskelstücke vor mir aufs Ufer fallen und entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen, wieder, um sich nach der hintersten Ecke zu begeben. Bald darauf sah ich ihn wieder erscheinen; diesmal brachte er aber einige Stücke Schokolade mit.

Da wir nichts Wesentliches mehr zu besprechen hatten, verabschiedete ich mich und kroch hinaus ins Freie. Ich hatte nun in Summa gegen zwanzig Pfund Proviant zu tragen; das reichte gewiß für vier Tage aus, und wir konnten also so lange Zeit ununterbrochen auf der Lauer liegen. Es lag mir sehr daran, noch vor Anbruch des Morgens wieder in der Nähe des Indianerlagers zu sein. Darum verweilten wir uns nicht beim See und brachen jetzt auf, um auf unserm herwärts eingeschlagenen Wege in das oft erwähnte Nebenthal zurückzukehren.

Als wir dort anlangten, graute der Morgen. Wir suchten zunächst ein besseres Versteck für unsere Pferde; es mußte größer sein als das gestrige, damit den Tieren reichliche Nahrung geboten war. Wir fanden eine Stelle im Walde, welche gar nicht besser geeignet sein konnte, und banden da die Pferde fest. Der Mimbrenjo blieb bei ihnen; er sollte schlafen, während ich mich nach unserem gestrigen Beobachtungsposten begab, auf welchem ich bis nach Mittag blieb, ohne etwas Besonderes gesehen zu haben, als daß Weller junior sich wieder im Lager befand.

Nun aber mußte auch ich ein wenig schlafen und begab mich nach unserem Verstecke, um meinen jungen Kameraden für seine Wache die nötigen Anweisungen zu geben. Er entfernte sich, und ich legte mich nieder. Nach wenigen Augenblicken war ich in tiefen Schlaf gesunken, was nach den gehabten Anstrengungen gar kein Wunder war. Um bequem zu liegen, hatte ich es mir leicht gemacht und den Inhalt aller meiner Taschen und auch des Gürtels fortgethan.

Ein Schrei, ein lang anhaltender, schriller Schrei weckte mich. Ich sprang auf und horchte. Der Schrei erklang zum zweiten Male; ich kannte ihn; es war der Triumphruf eines indianischen Kriegers. Gleich darauf erscholl ein dritter, ganz anderer Schrei; es war der Hilferuf eines Angegriffenen; er kam genau aus der Gegend, in welcher ich meinen Mimbrenjo wußte. Er befand sich jedenfalls in Gefahr. Da war jede Sekunde, nein, jede halbe, jede Viertelsekunde kostbar; ich nahm mir also gar nicht einmal die Zeit, mich nach einer meiner Waffen niederzubücken, sondern rannte fort, der betreffenden Stelle zu. Dort angekommen, sah ich ihn nicht; aber weiter unten gab es ein Ringen im Gras und im Gebüsch. Der unvorsichtige Knabe war nicht auf seinem Platze geblieben; er hatte sich näher an das Indianerlager gewagt und war gesehen, beschlichen und überfallen worden. Ich mußte ihn frei haben, denn wenn sie ihn behielten, so war sein Tod gewiß; darum sprang ich die Steilung der Thalwand hinab, kam aber mit dem einen Sporen an eine Wurzel zu hängen, verlor das Gleichgewicht und stürzte nieder. Noch ehe ich mich aufraffen konnte, rauschte es rundum in den Büschen, und fünf, sechs und noch mehr Rote warfen sich auf mich. Ich wollte auf, brachte aber meinen Fuß nicht von der Wurzel los; das war mein Verderben. Hätte ich den niederträchtigen Sporn freibekommen, so wäre noch Hoffnung gewesen, mich durchzuschlagen; so aber war dies unmöglich. Ich wehrte mich freilich, soviel ich konnte, natürlich nur mit der Faust, die jetzt meine einzige Waffe war, aber die Uebermacht war zu groß; ich mußte unterliegen und wurde gebunden.