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Old Surehand III

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Die Frage, ob ich meinen Schutzengel gesehen und gehört habe, kann mich nicht in Verlegenheit bringen. Ja, ich habe ihn gesehen, mit dem geistigen Auge; ich habe ihn gehört, in meinem Innern; ich habe seinen Einfluß gefühlt, und zwar unzählige Male. Bin ich etwa besonders veranlagt dazu? Gewiß nicht! Es ist wohl jedem Menschen gegeben, das Walten seines Schutzengels zu bemerken; die einzige Erfordernis dazu ist, daß man sich selbst genau kennt und sich selbst unter steter Kontrolle hält. Nur wer die richtige Selbstkenntnis besitzt und auf sie acht hat, kann unterscheiden, ob ein Gedanke ihm eingegeben wurde oder aus seinem eigenen Kopfe stammt, ob eine Empfindung, ein Entschluß in ihm selbst oder außerhalb seines geistigen Ichs entstand. Wieviel Menschen aber besitzen diese genaue Kenntnis ihrer selbst?

Wie oft bin ich zu einer bestimmten Handlung fest und unerschütterlich entschlossen gewesen und habe sie dennoch ohne jeden sichtbaren oder in mir liegenden Grund unterlassen. Wie oft habe ich im Gegenteile etwas gethan, was nicht im entferntesten in meinem Wollen lag. Wie oft ist mein Verhalten ganz plötzlich und ohne alle Absicht ganz anders geworden, als es in der Logik meines Wesens begründet gewesen wäre. Das war das Ergebnis eines Einflusses von außer mir her, der stets die besten Folgen hatte, sobald und so oft er sich geltend machte. Wie oft habe ich nach einem von mir selbst herbeigeführten Ereignisse dennoch voller Verwunderung dagestanden, wie oft nach einem von mir angestrebten Erfolge dennoch sagen müssen: »das habe nicht ich, sondern das hat Gott gethan!« Wie oft hat eine mir ganz fremdartige Idee meine Gedankenfolge unterbrochen und sie in eine mir bisher ganz unbekannte Richtung gelenkt. Wie oft bin ich vor Personen, welche mir sympathisch waren, und vor Verhältnissen und Lagen, die ich geradezu herbeigesehnt hatte, durch einen – ich will mich ausdrücken- —geistigen Anhauch gewarnt worden, der sich dann, wenn ich mich von ihm leiten ließ, als nur zu begründet erwies. Wie oft habe ich Situationen, an welche nach menschlichem Ermessen in meinem ganzen Leben nicht zu denken war, voraus empfunden, voraus durchlebt und dann, wenn sie sich genau nach diesem Seelenbild einstellten, zu meinem dankbaren Erstaunen einsehen müssen, daß mit diesem Vorausgefühle mein Vorteil, ja mein Heil bezweckt gewesen war.

Was für eine von meiner Individualität vollständig getrennte Intelligenz, für eine außer mir liegende Macht kann es aber wohl gewesen sein, welche so in, mit und über mir waltete, mich mahnte, warnte und als sogenanntes böses Gewissen strafte, wenn sie mich unaufmerksam oder gar ungehorsam gefunden hatte? Weder Instinkt noch Zufall kann es sein, sondern Gottes Engel ist es, der mir vom Herrn der Heerscharen beigegeben wurde, mein Führer, Mahner und Berater zu sein. Als ich in meiner Schülerzeit durch den vielgenannten »Zufall«, den es für mich nicht giebt, aus einer großen Gefahr errettet worden war, schrieb ich einige Zeilen in mein Tagebuch, welche noch unter dem Eindrucke der Todesangst entstanden und nicht dichterisch abgefeilt worden sind. Sie haben also nicht den geringsten poetischen Wert; da ich mich aber noch heut, wo ich von meinem Schutzengel spreche, zu ihnen bekenne, so will ich mich erkühnen, ihnen hier einen Platz zu geben:

Es giebt so wunderliebliche Geschichten,

Die bald von Engeln, bald von Feen berichten,

In deren Schutz wir Menschenkinder stehn.

Man will so gern den Worten Glauben schenken

Und tief in ihren Zauber sich versenken,

Denn Gottes Odem fühlt man daraus wehn.

So ist‘s in meiner Kindheit mir ergangen,

In welcher oft ich mit erregten Wangen

Auf solcherlei Erzählungen gelauscht,

Dann hat der Traum die magischen Gestalten

In stiller Nacht mir lebend vorgehalten,

Und ihre Flügel haben mich umrauscht.

Fragt auch der Zweifler, ob‘s im Erdenleben

Wohl könne körperlose Wesen geben,

Die für die Sinne unerreichbar sind,

Ich will die Jugendbilder mir erhalten

Und glaub an Gottes unerforschlich Walten

Wie ich‘s vertrauensvoll geglaubt als Kind.

Ich weiß, daß ich als Schriftsteller mit diesen achtzehn Zeilen eine große litterarische Sünde begehen würde; aber ich meine, in der letzten Viertelstunde nicht geschriftstellert, sondern als Mensch, als wohlmeinender Freund zu meinen Lesern gesprochen zu haben, und Reime aus der Knabenzeit eines Freundes pflegt man doch überall mit kritikloser Güte und mild lächelnder Nachsicht aufzunehmen. Ich bitte auch für mich um diese Schonung!

Also mein Schutzgeist hatte mich bei Harbour grad so wie auf Fenners Farm vom Tode errettet, und ich saß nun wieder auf dem Stuhle, auf welchem mich die Kugel des Medizinmannes hatte treffen sollen. Die Gemüter hatten sich noch nicht beruhigt, und der Zwischenfall wurde mit, ich möchte sagen, urwüchsiger Lebhaftigkeit besprochen. Das größte Interesse für das unerwartete Auftreten von Tibo taka und Tibo wete mußte natürlich Apanatschka haben, der beide für seine Eltern gehalten hatte und trotz meiner Widerlegung wohl auch jetzt noch hielt. Außer Winnetou und mir sprach man von allen Seiten auf ihn ein, doch ohne eine andere Antwort als ein stilles Kopfschütteln von ihm zu hören. Mir und dem Häuptling der Apatschen war das sehr verständlich. Was hätte er auch antworten oder sagen sollen! Wir waren alle auf das Tibo-Paar nicht gut gesinnt; er konnte sie weder verteidigen, noch lagen für ihn die nötigen Beweise vor, sich von ihnen loszusagen; also konnte er nichts anderes und besseres thun als schweigen, und das that er denn auch gründlich.

Die andern ergingen sich in hunderterlei Vermutungen über den Ritt des Medizinmannes und seiner Frau hierher nach Kansas. Sie tauschten ihre Meinungen aus über den Grund, den Zweck und das Ziel dieses Rittes; natürlich traf niemand das Richtige. Es machte Winnetou und mir Spaß, zu sehen und zu hören, wie sie ihren Scharfsinn anstrengten und sich miteinander stritten und dabei einer den andern auf den Irrweg führen wollte, auf dem er sich selbst befand. Wir hielten es nicht für notwendig, sie so weit aufzuklären, wie wir selbst es waren, und so mußten sie sich endlich mit unserer Versicherung begnügen, daß wir morgen dem Medizinmanne folgen und also bald Aufklärung bekommen würden über alles, was uns heut noch unklar sei.

Da wir frühzeitig fort wollten, wurden in der Stube die Lager für uns bereitet. Ich traute Tibo taka doch nicht recht; es war immerhin möglich, daß er auf den Gedanken kam, während der Nacht zurückzukehren und irgend etwas für uns Schädliches auszuführen. Darum wollte ich den Postendienst unter uns heute in derselben Weise ausgeführt wissen, wie er gebräuchlich war, wenn wir des Nachts im Freien kampierten; Harbour aber sträubte sich dagegen und sagte:

»Nein, Sir, das dulde ich nicht. Ihr seid unterwegs und wißt nicht, was Euch begegnen kann. Es kann sein, daß Ihr eine ganze Reihe von Nächten nicht ruhig schlafen könnt; schlaft Euch also heut hier bei mir tüchtig aus! Ich habe Cow-boys und Peons, welche den Wachtdienst sehr gern für die große Ehre, Euch gesehen zu haben, übernehmen werden.«

»Wir sind Euch natürlich sehr dankbar für dieses Anerbieten, Mr. Harbour,« antwortete ich. »Wir nehmen es an, doch unter der Voraussetzung, daß diese Leute ihrer Aufgabe nicht lässig, sondern so obliegen, wie unsere Lage es erfordert.«

»Das ist doch ganz selbstverständlich. Wir wohnen und leben hier in einer Art von Halbwildnis und sind es also gewohnt, aufmerksam zu sein. Uebrigens handelt es sich ja nur um einen einzigen Menschen, der noch dazu aus Angst vor Euch heimlich ausgerissen ist; seine Squaw ist gar nicht zu rechnen; dem würden meine Leute, falls er so frech wäre, zurückzukehren, das Fell so ausbauen, daß kein Gerber noch Arbeit daran finden würde. Ihr könnt Euch also ruhig schlafen legen.«

Das thaten wir denn auch; vorher aber ging ich noch einmal hinaus nach dem Korral, um nach den Pferden zu sehen.

Der Farmer hatte ja wohl nicht unrecht; es handelte sich nur um den Medizinmann, der übrigens auch schon durch die Anwesenheit seiner Frau verhindert wurde, etwas gegen uns auszuführen; aber es lag eine Unruhe in mir, die mich am Einschlafen hinderte. Es drängte sich mir wieder und immer wieder der Vergleich des heutigen Tages mit dem Tage auf Fenners Farm auf, und ich kam dabei wieder und immer wieder auf den Gedanken: nun fehlt bloß noch ein Ueberfall!

So kam es, daß ich spät einschlief und dann von einem quälenden Traume, dessen Inhalt mir heut nicht mehr erinnerlich ist, so beängstigt wurde, daß ich froh war, als ich bald wieder aufwachte. Ich stand auf und ging leise, um keinen der Schläfer zu wecken, hinaus. Die Sterne schienen; man konnte ziemlich weit sehen. Ich ging wieder nach dem Korral, in welchem zwei Peons die Wache hatten.

»Ist alles in Ordnung?« fragte ich, als ich die Gatterthür hinter mir wieder zugezogen hatte.

»Ja,« wurde mit geantwortet.

»Hm! Mein und Winnetous Rappe pflegen des Nachts zu liegen; jetzt stehen sie; das gefällt mir nicht.«

»Sie sind eben erst aufgestanden, wohl weil Ihr gekommen seid.«

»Deshalb gewiß nicht. Wollen einmal sehen!«

Ich ging zu den beiden Pferden. Sie hielten die Köpfe nach dem Hause gerichtet; ihre Augen leuchteten beunruhigend, und nun sie mich kommen sahen, schnaubten beide. Das war eine Wirkung ihrer sorgfältigen Erziehung. Sie waren gewöhnt, sich in Abwesenheit ihrer Herren selbst beim Nahen einer Gefahr lautlos zu verhalten, waren ihre Herren aber da, diese Gefahr ihnen durch Schnauben anzuzeigen. Sie hatten eine Gefahr gewittert und waren aufgestanden, aber still gewesen, weil ich mich nicht bei ihnen befand; nun ich aber da war, warnten sie mich. Ich ging zu den Wächtern zurück und sagte:

 

»Es liegt etwas in der Luft; was, das weiß ich nicht. Nehmt euch in acht! Es sind Menschen in der Nähe des Hauses, ob Freunde oder Feinde, das wird sich zeigen. Man sieht sie nicht; sie haben sich versteckt; Freunde aber brauchen sich nicht zu verbergen. Entweder stecken sie dort hinter den Büschen, oder sie liegen schon näher im hohen Grase.«

»Teufel! Es werden doch nicht etwa die Tramps sein, wegen denen Bell nach dem Nord-River geritten ist?«

»Das wird sich zeigen. Es ist besser, selbst die erste Note zu spielen, anstatt zu warten, bis der Feind beginnt, den Bogen zu streichen. Ah, dort, grad der Hausthür gegenüber, hob sich jetzt etwas aus dem Grase; ich kann also nicht in die Stube, werde aber die Gefährten wecken. Habt ihr eure Gewehre?«

»Ja, dort lehnen sie.«

»Nehmt sie, um den Eingang zu verteidigen; schießt aber nicht eher, als bis ich es euch sage!«

Ich legte beide Hände hohl an den Mund und ließ dreimal den Schrei des Kriegsadlers erschallen, so laut, daß er gewiß eine halbe englische Meile weit zu hören war. Nur einige Sekunden später ertönte derselbe Schrei auch dreimal drin in der Stube. Das war die Antwort Winnetous, welcher die warnende Bedeutung meines Schreies sehr gut kannte. Ebenso kurze Zeit darauf sah ich viele, viele dunkle Gestalten aus dem Grase aufspringen, und die Luft erzitterte unter einem Geheul, in welchem ich das Angriffszeichen der Cheyenne-Indianer erkannte.

Was wollten diese hier? Warum waren sie aus dem Quellgebiet des Republican-River so weit herabgekommen? Sie wollten die Farm überfallen, hatten also ihre Kriegsbeile auch ausgegraben, grad wie die Osagen. Wir hatten sie nicht zu fürchten, denn wir standen nicht nur in Frieden mit ihnen, sondern waren sogar ihre Freunde. Man braucht sich nur daran zu erinnern, was Schahko Matto dem alten Wabble unter dem »Baume der Lanze« von Winnetou erzählte. Dieser hatte sich an die Spitze der Cheyennes gestellt und mit ihnen das Lager der Osagen erobert; sie waren ihm also großen Dank schuldig. Ich war zwar nicht mit dabei gewesen, aber es konnte doch kein Indianer Winnetous Freund und dabei der Feind Old Shatterhands sein. Also war ich sofort beruhigt, als ich aus dem Kriegsgeheul erkannte, daß die Angreifer Cheyennes seien.

Eigentümlich war es, daß sie nicht zunächst und vor allen Dingen nach Indianerart über die Pferde herfielen. Der Angriff schien einstweilen nur gegen das Haus gerichtet zu sein, was auf eine ganz besondere Ursache schließen ließ. Wir brauchten den Korral nicht zu verteidigen, denn kein einziger Roter kam herbei; ich sah sie alle vor dem Hause stehen. Sie hatten jedenfalls beabsichtigt, sich heimlich nach der Thür zu schleichen, diese einzuschlagen und dann in das Gebäude einzudringen, waren aber durch meinen Adlerschrei daran verhindert worden, weil die Bewohner durch denselben geweckt worden waren. Der Ueberfall war mißlungen.

Ich war höchst neugierig auf das, was nun geschehen würde. Sie konnten nicht in das Haus und waren so unvorsichtig, vor demselben stehen zu bleiben. Dachte denn keiner von ihnen daran, daß die drin befindlichen Männer durch das Fenster schießen würden? Sie bildeten, noch immer heulend und brüllend, vor der Front des Gebäudes einen Halbkreis, welcher von einer Ecke bis zur andern reichte. Als dies geschehen war, trat tiefe Stille ein. Wie ich meinen Winnetou kannte, war ich überzeugt, daß er jetzt sprechen würde. Und wirklich, es geschah. Er hatte die Thür geöffnet, war furchtlos in dieselbe getreten und rief mit seiner sonoren Stimme:

»Es ertönt das Kriegsgeschrei der Cheyennes. Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apatschen, der die Pfeife der Freundschaft und des Friedens mit ihnen geraucht hat. Wie heißt der Anführer der Krieger, welche ich vor mir sehe?«

Vom Halbierungspunkte des Halbkreises her antwortete eine Stimme:

»Hier ist Witsch Panahka[25], der Anführer der Cheyennes.«

»Winnetou kennt alle hervorragenden Krieger der Cheyennes, doch befindet sich darunter keiner, der Witsch Panahka heißt. Seit wann ist der, welcher sich so nennt, ein Häuptling der Seinen?«

»Das braucht er nur dann zu sagen, wenn es ihm beliebt!«

»Beliebt es ihm jetzt?«

»Nein.«

»Warum nicht? Hat er sich seines Namens, oder hat dieser Name sich seiner zu schämen? Warum kommen die Cheyennes unter Kriegsgeschrei an dieses Haus? Was wollen sie hier?«

»Wir wollen Schahko Matto, den Häuptling der Osagen, haben.«

»Uff! Woher wissen sie, daß dieser sich hier befindet?«

»Auch das brauchen sie nicht zu sagen.«

»Uff, uff! Die Cheyennes scheinen nur brüllen aber nicht reden zu können! Winnetou ist gewöhnt, Antwort zu bekommen, wenn er fragt. Gebt ihr ihm keine, so tritt er in das Haus zurück und wartet ruhig ab, was dann geschieht.«

»Wir werden das Haus erstürmen!«

»Versucht es! Wir haben Gewehre.«

»Wir werden es verbrennen!«

»Seht zu, daß es euch nicht zu heiß wird dabei!«

»Wir verlangen Schahko Matto, den Osagen. Gebt ihn heraus, so ziehen wir weiter!«

»Es wird für die Cheyennes besser sein, wenn sie gleich weiterziehen, ohne abzuwarten, ob sie ihn bekommen!«

»Wir gehen nicht eher fort, als bis wir ihn haben. Wir wissen, daß Winnetou und Old Shatterhand sich in diesem Hause befinden; auch ist ein junger Krieger drin, welcher Apanatschka heißt; er soll uns ausgeliefert werden.«

»Wollt ihr Schahko Matto töten?«

»Ja.«

»Und Apanatschka auch?«

»Nein; es wird ihm nichts geschehen. Es ist jemand hier, der mit ihm reden will. Dann kann er dahin gehen, wohin es ihm beliebt.«

»Er wird nicht kommen und Schahko Matto auch nicht.«

»So müssen wir Winnetou und Old Shatterhand als unsere Feinde betrachten und sie töten!«

»Versucht, ob ihr das fertig bringt!«

»Winnetou ist mit Blindheit geschlagen. Sieht er nicht, daß hier über achtmal zehn Krieger stehen? Was können alle, die sich in dem Hause befinden, gegen uns machen, wenn wir es erstürmen? Sie werden alle miteinander des Todes sein. Wir geben dem Häuptling der Apatschen eine Stunde Zeit, sich mit Old Shatterhand zu beraten; ist diese vergangen, ohne das Schahko Matto und Apanatschka uns ausgeliefert worden sind, so werdet ihr alle sterben müssen. Howgh!«

Ehe Winnetou hierauf antworten konnte, geschah etwas, was wohl weder er noch der Anführer der Cheyennes erwartet hatte, und das kam von mir. Die ganze Art und Weise der mißglückten Ueberrumpelung der Farm ließ erraten, daß wir es mit meist unerfahrenen Leuten zu thun hatten. Den Angriff nur gegen die Vorderfront des Hauses zu richten, ohne es ganz einzuschließen, sich dann in einem Bogen hinzustellen und unseren Kugeln auszusetzen, das waren Fehler, über welche man nur lächeln konnte. Daß diese achtzig Indianer auch dem Apatschen nicht imponierten, ersah ich daraus, daß er sie nur »Cheyennes«, nicht aber »Krieger der Cheyennes« nannte; ich kannte da meinen Winnetou nur zu gut. Sollten wir solche Leute so behandeln, wie man alte, erfahrene Krieger behandelt? Das fiel mir gar nicht ein. Es so kurz wie möglich machen, das war das beste; sie sollten sich nicht rühmen dürfen, von uns für vollgültig betrachtet und behandelt worden zu sein. Darum schlüpfte ich, von ihnen unbemerkt, aus der Pforte des Korrals, legte mich nieder und kroch im Rücken des Halbkreises so weit durch das Gras, bis ich mich hinter der Stelle befand, wo das »eiserne Messer« stand. Das konnte sehr schnell geschehen und wurde mir sehr leicht, weil die Roten jetzt alle nach dem Hause blickten und keine Obacht auf das hatten, was hinter ihnen vorging. Als der Anführer sein letztes Wort, das gebieterische »Howgh!« aussprach, stand ich auf, schnellte mich vorwärts, so daß ich den Halbkreis erreichte, brach durch die Reihe der Indianer und stand dann neben dem Anführer, ehe sie in ihrer Ueberraschung hatten daran denken können, es zu verhindern. Ehe Winnetou dort an der Thür das lächerliche Ultimatum verdientermaßen zurückweisen konnte, rief ich mit lauter Stimme:

»Zu hören, was wir beschließen, dazu bedarf es keiner Stunde Zeit; die Cheyennes sollen es gleich erfahren.«

Mein plötzliches Erscheinen im Innern des Halbkreises mitten unter ihnen rief selbstverständlich eine große Aufregung hervor; mich gar nicht um dieselbe kümmernd, fuhr ich fort:

»Hier steht Old Shatterhand, dessen Namen die Cheyennes alle kennen werden. Ist einer unter ihnen, der es wagen will, die Hand gegen mich zu erheben, so trete er zu mir heran!«

Was ich beabsichtigt hatte, das geschah: die Aufregung machte einer vollständigen, lautlosen Stille Platz. Mein scheinbar kühnes, ja verwegenes Erscheinen hatte sie bloß überrascht; meine Herausforderung aber verblüffte sie, zumal ich dabei so ruhig stehen blieb, als ob sie alle »Wurst und Schnuppe« für mich seien, obgleich ich nicht einmal ein Gewehr in den Händen hatte. Ich nutzte diesen Eindruck ohne Zögern aus, erfaßte den Anführer bei der Hand und sagte:

»Witsch Panahka mag augenblicklich hören, was wir zu thun entschlossen sind; er komme mit!«

Seine Hand festhaltend, ging ich dem Hause zu. Das war schon nicht mehr Mut zu nennen, sondern eine Frechheit, die ihresgleichen suchte; aber sie that prompt ihre Wirkung. sie konsternierte ihn in der Weise, daß es ihm gar nicht einfiel, sich zu weigern oder gar mir Widerstand entgegenzusetzen. Er ging willig wie ein Kind mit mir bis hin zu Winnetou, der noch am offenen Eingange stand und den Cheyenne bei der andern Hand ergriff. Halb zogen und halb schoben wir ihn hinein und schlossen dann die Thür hinter uns zu.

»Schnell Licht, sehr schnell, Mr. Harbour!« rief ich in den dunklen Raum hinein. Ein Zündholz leuchtete auf; die Lampe wurde angesteckt, und nun konnten wir das Gesicht des »eisernen Messers« sehen. Es konnte uns, wie man mir glauben wird, in diesem Augenblicke nicht etwa durch einen sehr geistreichen Ausdruck imponieren.

Das war alles so schnell gegangen, daß die Cheyennes draußen erst jetzt einsahen, was für ein großer Fehler es von ihnen war, daß sie es hatten geschehen lassen. Wir hörten sie schreien und rufen, kümmerten uns aber nicht darum, denn so lange sich ihr Anführer bei uns befand, durften sie nicht daran denken, etwas Feindliches gegen uns vorzunehmen. Ich schob ihn zu einem Stuhle hin und forderte ihn auf:

»Witsch Panahka mag sich zu uns setzen! Wir sind Freunde der Cheyennes und freuen uns, ihn als Gast bei uns zu sehen.«

Auch das kam ihm so sonderbar vor, daß er sich ohne Weigern niedersetzte. Er, der mit achtzig Männern gekommen war, die Farm zu überfallen, befand sich zehn Minuten nach dem ersten Kriegsgeheul im Innern derselben, aber nicht als Sieger, sondern in unserer Gewalt, und mußte es sich gefallen lassen, ironisch als unser Gast bezeichnet zu werden. Ich hatte durch meine Unverfrorenheit, die eigentlich Ohrfeigen verdient hätte, alles Blutvergießen verhütet, den Ernst der Situation in das fast Lächerliche verwandelt und die Volte derart geschlagen, daß wir alle Trümpfe und Zähler, die Cheyennes aber nur leere Karten hatten.

Wie freute ich mich im stillen über die Anerkennung Winnetous! Er sprach sie nicht in Worten aus, aber sie war in seinem Gesichte und in dem Blicke zu lesen, den er mit inniger Wärme auf mich gerichtet hielt. Diese Wärme machte auch mir das Herz warm. Ich gab ihm die Hand und sagte:

»Ich lese in der Seele meines Bruders und will ihm nur das eine sagen, daß er mein Lehrer und ich sein Schüler war!«

Er drückte mir die Hand und schwieg. Es bedurfte aber auch keines Wortes, denn ich verstand ihn doch. Was war er doch für ein Mann, besonders wenn man ihn mit dem Cheyenne verglich, der so verlegen bei uns saß, daß er fast nicht wagte, die Augen aufzuschlagen! Schahko Matto hatte sich ihm gegenübergesetzt, hielt das Auge finster auf ihn gerichtet und fragte:

»Kennt mich der Anführer der Cheyenne? Ich bin Schahko Matto, der Häuptling der Osagen, dessen Auslieferung er gefordert hat. Was glaubt er wohl, daß wir mit ihm thun werden?«

Auf die versteckte Drohung, welche in diesen Worten lag, antwortete der Gefragte:

»Old Shatterhand hat mich Gast genannt!«

»Das hat er gethan, aber nicht ich! Du hattest mich für den Tod bestimmt; ich habe also das Recht, nun den deinigen zu fordern.«

»Old Shatterhand wird mich schützen!«

Das war eine indirekt an mich gerichtete Aufforderung, die ich in strengem Tone beantwortete:

»Das wird ganz darauf ankommen, wie du dich jetzt verhältst! Erteilst du mir die Auskunft, die ich von dir verlange, der Wahrheit gemäß, so bleibst du unter meinem Schutze, sonst aber nicht. Ihr habt heut einen weißen Mann mit einer roten Squaw getroffen?«

 

»Ja.«

»Dieser Mann hat euch mitgeteilt, daß wir uns hier befinden und daß Schahko Matto bei uns ist?«

»So ist es.«

»Er hat für diesen Dienst die Auslieferung Apanatschkas, welcher hier neben dir sitzt, verlangt?«

»Ja.«

»Was wollte er mit Apanatschka thun?«

»Das weiß ich nicht, denn ich habe ihn nicht gefragt, weil uns dieser fremde, rote Krieger gleichgültig ist.«

»Wo befindet sich der weiße Mann?«

»Ich weiß es nicht.«

»Belüge mich nicht! Er wollte Apanatschka haben, den du ihm bringen solltest. Also mußt du wissen, wo er ist. Wenn du mir noch eine einzige Unwahrheit sagst, liefere ich dich an Schahko Matto aus, dessen Todfeind du bist. Merke dir das! Also sag, wo der Weiße sich befindet?«

Diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht; der Cheyenne antwortete:

»Er ist draußen bei meinen Kriegern.«

»Aber seine Squaw doch nicht mit?«

»Nein; sie ist da, wo wir die Pferde gelassen haben.«

Ehe ich weitersprechen konnte, ergriff Winnetou das Wort:

»Ich bin wiederholt bei den Cheyennes gewesen, habe aber Witsch Panahka nie gesehen. Wie kommt das?«

»Wir gehören dem Stamme der Nukweint-Cheyennes an, bei welchem der Häuptling der Apatschen noch nicht gewesen ist.«

»Ich weiß, was ich wissen wollte. Mein Bruder Shatterhand mag weitersprechen!«

Dieser Aufforderung folgend, legte ich dem Cheyenne jetzt die Frage vor:

»Ich sehe, daß ihr die Tomahawks des Krieges ergriffen habt. Gegen wen ist euer Zug gerichtet?«

Er zögerte mit der Antwort; aber als ich da eine drohende Bewegung zu Schahko Matto hin machte, gestand er:

»Gegen die Osagen.«

»Ah, ich errate! Ihr hattet gehört, daß die Osagen ihr Lager verlassen haben, um gegen die Bleichgesichter zu ziehen, und wolltet diese Gelegenheit benutzen, es zu überfallen?«

»Ja.«

»So seid froh, daß ihr uns hier getroffen habt! Die Osagen sind umgekehrt; sie befinden sich wieder daheim und hätten euch, da ihr nur achtzig Mann zählt, die Skalpe genommen. Die Begegnung mit uns ist ein großes Glück für euch; sie rettet euch oder doch vielen von euch das Leben. Ich hoffe, daß dies eine Mahnung zur friedlichen Gesinnung für euch ist. Was gedenkt ihr denn jetzt zu thun?«

»Wir nehmen Schahko Matto mit uns fort. Apanatschka könnt ihr meinetwegen behalten.«

»Laß dich nicht auslachen! Du bist mein Gefangener; das weißt du sehr wohl. Und glaubst du, daß wir uns vor deinen achtzig Leuten fürchten? Die Nukweint-Cheyenne sind als Leute bekannt, die nichts vom Kampfe verstehen.«

»Uff!« fuhr er zornig auf. »Wer hat dir diese Lüge gesagt?«

»Es ist keine Lüge; das habt ihr heut bewiesen. Euer Angriff war so dumm ausgeführt, daß man euch für kleine Knaben halten möchte. Und dann habe ich mitten unter euch gestanden, ohne daß es einen einzigen gab, der mich anzurühren wagte. Hierauf bist du an meiner Hand wie ein folgsames Kind mit in das Haus gegangen. Wenn wir das ruchbar machen, wird ein großes Gelächter über alle Höhen und alle Savannen gehen, und die andern Stämme der Cheyennes werden sich von euch lossagen, weil sie sich eurer schämen müssen. Du hast zu wählen. Willst du Kampf, so erschießen wir dich hier, sobald draußen von deinen Leuten der erste Schuß fällt. Eure Kugeln thun uns nichts, weil uns die Wände schützen; sieh aber unsere Waffen an; du kennst jedenfalls – «

»Pshaw!« unterbrach mich da Winnetou, indem er sich von seinem Sitze erhob und zu dem »eisernen Messer« hintrat. »Warum so lange Reden! Wir werden gleich mit den Cheyennes fertig sein!«

Er riß den Medizinbeutel, den Witsch Panahka auf der Brust hängen hatte, mit einem schnellen Griffe los. Der Cheyenne sprang mit einem Angstschrei auf, um ihm die Medizin wieder zu entreißen; ich sprang hinzu, drückte ihn auf den Stuhl nieder, hielt ihn dort fest und sagte:

»Bleib sitzen! Wenn du gehorchst, bekommst du deine Medizin wieder, sonst aber nicht!«

»Ja, nur wenn er gehorcht,« stimmte Winnetou bei. »Ich will, daß die Cheyennes friedlich heimkehren. Thun sie das, so soll ihnen nichts geschehen und niemand wird erfahren, daß sie sich hier wie kleine Kinder benommen haben. Geht Witsch Panahka aber nicht darauf ein, so werfe ich seine Medizin augenblicklich auf den Herd, um sie zu verbrennen, und dann werden unsere Gewehre zu sprechen beginnen. Howgh!«

Wer da weiß, was die Medizin für jeden Roten, zumal für einen Häuptling, zu bedeuten hat, und welche Schande es ist, sie zu verlieren, der wird sich kaum darüber wundern, daß der Cheyenne, wenn auch nach längerem Sträuben, sich in die Forderung des Apatschen fügte.

»Auch ich habe eine Bedingung zu stellen,« erklärte Treskow.

»Welche?« fragte ich.

»Die Cheyennes müssen Tibo taka und Tibo wete ausliefern!«

»Daran denkt kein Mensch! Das würde der größte Fehler sein, den wir begehen könnten. Uebrigens bin ich überzeugt, daß der Medizinmann gar nicht mehr draußen ist. Er hat, sobald ich den Häuptling in Beschlag nahm, sofort gewußt, was nun die Glocke schlägt, und sich schnell aus dem Staub gemacht. Und das ist mir nur lieb; weshalb, das werdet ihr schon erfahren.«

Ueber den Friedensschluß mit den Cheyennes draußen zu erzählen, würde zu weit ab führen; es genügt, zu wissen, daß sie schließlich froh über das unblutige Ende ihres so fehlerhaften Ueberfalles der Farm waren. Sie ritten um die Mitte des Vormittages fort, und als darauf eine Stunde vergangen war, brachen auch wir auf, Schahko Matto, der seine Waffen wiederbekommen hatte, als freier Mann. Er war grimmig erzürnt darüber, daß der Medizinmann uns wieder entwischt war; Dick Hammerdull aber, der stets heitere, tröstete ihn:

»Der Häuptling der Osagen mag ihn immer laufen lassen; wir kriegen ihn schon wieder, denn wer gehängt werden soll, der wird gehängt; das ist ein wahres Sprichwort.«

»Er soll nicht gehängt werden sondern eines zehnfachen Todes sterben!« knurrte der Osage.

»Ob einfach sterben, ob doppelt oder sechsfach, das bleibt sich gleich; das ist auch ganz egal; er wird aber doch gehängt. Für so einen Kerl giebt es keinen schöneren Tod als den durch den Strick. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Yes, lieber Dick,« antwortete der Lange. »Du hast doch immer recht!«

25Eisernes Messer.