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Old Surehand III

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Wir gaben die Pferde frei und streckten uns nieder. Es wurde schnell dunkel, und da zeigte es sich auch sofort, daß die Vorsicht Winnetous wohlbegründet gewesen war, denn an dem nach uns gerichteten Ufer der Halbinsel leuchtete ein Feuer auf. Es waren also Menschen dort! Und wenige Minuten später sahen wir an derselben Seite des Sees, aber weit, weit unten, ein zweites erscheinen, welches allerdings nur einem guten Auge sichtbar war, denn es bildete für uns nur einen kleinen Punkt von der Größe eines Zehnpfennigstükkes ungefähr. Die Leute auf der Halbinsel konnten weder dieses zweite Feuer sehen, noch von dort aus gesehen werden; nur von uns aus waren beide zu erkennen.

Damit waren wir für heut auf kaltes Fleisch angewiesen. Wir hätten uns zwar wieder in den Wald zurückziehen und ein Feuer anzünden können, aber dort gab es kein Futter für die Pferde. Wir entschädigten uns für die Unbenutzbarkeit des einen Elementes dadurch, daß wir uns dem andern in die Arme, nämlich in das Wasser warfen. Nach diesem Bade galt es, zu erfahren, wer die Leute waren, welche sich an den beiden Feuern befanden. Daß Winnetou dazu ausersehen wurde, verstand sich ganz von selbst, und daß er meine Begleitung annahm, erreichte ich nur durch die Versicherung, daß mir meine Wunde keine Belästigung verursache, sonst hätte er Old Surehand mitgenommen.

Wir übergaben den Gefährten unsere Gewehre und machten uns auf den bei Nacht nicht sehr bequemen Weg. Wir mußten zunächst soweit in den Wald hinein, wie der Saum des Unterholzes reichte; dann ging es, beide Hände zum Tasten ausgestreckt, rund um die Uferbiegung nach der nördlichen Seite des Sees. Ich möchte fast behaupten, daß ein Kurierzug schneller fährt, als wir hier gehen konnten, denn es war gewiß eine volle Stunde vergangen, als wir die Halbinsel erreichten. Wir bogen also links ab und auf dieselbe zu. Bald spürten wir den Geruch des Rauches, und dann dauerte es nicht lange, bis wir das Feuer sahen.

Nun legten wir uns nieder und krochen am Boden weiter. Die Halbinsel hatte einen Einschnitt, eine kleine Bucht, an deren Innenseite das Feuer brannte. Wenn wir den Rand dieser Bucht weiter außen erreichten, kamen wir von vorn anstatt von rückwärts an das Feuer und die an demselben Lagernden. Wir versuchten das, und es gelang vortrefflich. Es gab eine Menge Binsen hier, in denen wir nicht bloß Dekkung, sondern ein auch allerdings weiches, weil mooriges Lager fanden.

Nun hatten wir das Lager ganz nahe vor unsern Augen. Und wen sahen wir da? Old Wabble mit den Tramps!

Ihre Anwesenheit an diesem Orte war nicht etwa ein Wunder, aber wir fühlten uns doch überrascht. War denn jemand bei ihnen, der den Weg nach hier kannte? Unser Aufenthalt in der Schmiede und im Bärenthale hatte diesen Leuten zu einem mehrtägigen Vorsprunge verholfen. Sie schienen sich ganz wohl zu befinden, wenigstens ging es sehr lebhaft bei ihnen her. Sie saßen alle, wie wir sie kannten, und nicht einer fehlte, am Feuer, und nur einer stand, hochaufgerichtet an einen Baum gelehnt – der alte Wabble.

Er trug den Arm in einer aus einem Fellstücke gemachten Binde und bot einen Anblick, welcher zum Erschrecken war. Sein langer, hagerer Körper war noch viel dürrer geworden und sein Gesicht, schon vorher fast fleischlos, so eingefallen, daß es der vordern Seite eines Totenkopfes glich. Die sonst so rein gehaltene weiße Haarmähne, jetzt freilich nur noch halb vorhanden, »kleckte«, um mich eines vulgären Ausdruckes zu bedienen, vor Schmutz. Er bildete nur noch ein Gerippe, und sein fast ganz abgerissener Anzug hing an ihm wie zusammengeraffte Fetzen an einem Rechenstiel. An Nahrung hatte es ihm jedenfalls nicht gefehlt; der Armbruch war der Grund zu diesen ihn nichts weniger als verschönernden Folgen. Er schien sehr geschwächt zu sein und sich kaum aufrecht halten zu können. Auch seine Stimme war nicht mehr die frühere. Sie klang hohl, wie durch ein Ofenrohr gesprochen, und zitterig, als ob ihn das Fieber schüttele.

Er sprach nämlich gerad jetzt, als wir in unserem Verstecke Platz genommen hatten. Wir lagen nahe genug, um alles hören zu können, mußten aber sehr aufmerken, um ihn zu verstehen.

»Weißt du noch, du Hund, was du mir damals auf Helmers Home zugeschworen hast?« hörten wir ihn fragen.

Der Blick seiner tief in den Höhlen liegenden glanzlosen Augen war auf eine Stelle gerichtet, wo wir etwas, wie ein langes, zusammengeschnürtes Paket, liegen sahen. War das ein Mensch? Und wenn, wer konnte es sein? Auf Helmers Home? Betraf das etwa unser damaliges Erlebnis an diesem Orte? Er erhielt keine Antwort und fuhr fort:

»Ich habe mir deine Drohung Wort für Wort gemerkt. Sie lautete: »Nimm dich vor mir in acht, du Hund! Sobald ich dich treffe, bezahlst du mir diese Schläge mit dem Leben. Ich schwöre es dir mit allen Eiden zu, die man nur schwören kann!« Hoffentlich hast auch du diese Worte nicht vergessen!«

Ah, das konnte nur zu dem »General« gesprochen sein! Er war also gefangen, hier gefangen, von Old Wabble gefangen! Er hatte den Weg hierher allein machen müssen, weil ihm seine Rowdies nicht hatten folgen können, und war in die Hände des alten »Königs der Cow-boys« gefallen. Das war interessant, höchst interessant, auch für Winnetou, der mir dieses durch ein dreimaliges »Uff, uff, uff!« zu erkennen gab.

»Ich habe sie nicht vergessen!« antwortete jetzt der General in zornigem Tone: »Du hattest mich geschlagen!«

»Ja, fünfzig gute, prächtige Hiebe! Ich gönne sie dir noch heut, denn du hattest mich gegen Old Shatterhand und Winnetou verraten und ihnen gesagt, daß auch ich der Dieb ihrer Gewehre sei. Also dich rächen willst du, Hund, mir an das Leben gehen?«

»Ja, ja, das werde ich!«

»Aber nicht so schnell, wie du denkst! Erst komme ich daran! Da du mir so aufrichtig sagst, was ich von dir zu erwarten hätte, will ich dir mit derselben Offenheit dienen, denn eine Liebe ist der andern wert; th‘is clear! Ich werde dich auch ein wenig um das Leben bringen. Hörst du, um das Leben!«

»Wage es!«

»Pshaw! Was ist da zu wagen!«

»Ich bin nicht allein!«

»Das machst du mir nicht weiß!«

»Ich habe Helfer, viele Helfer mit, die mich an dir rächen würden.«

»Wen denn?«

»Das ist meine Sache!«

»Ah, also die deinige, nicht auch die meinige? Nun, so brauche ich mich auch nicht daran zu kehren! Übrigens sagst du das nur, um mir angst zu machen und dich dadurch zu retten. Aber Old Wabble, the king of cow-boys, ist nicht der Mann, der sich von dir ins Bockshorn jagen läßt! Wir wissen genau, wie es mit deinen Helfern steht und wieviel ihrer sind.«

»Nichts weißt du, nichts!«

»Oho! Ja, wenn Shelley nicht hier bei uns wäre! Dem habt ihr ja in Topeka alles gesagt und ihn mitnehmen wollen, ihn aber sitzen lassen, nachdem ihr ihm im Spiele alles abgenommen habt! Sechs Kerls hast du bei dir. Vor denen sollen wir uns fürchten? Sie stecken jedenfalls droben bei der Foam-Cascade, und du gehst hier allein prospekten, um sie zu betrügen. Nein, uns machst du keine blauen Mücken vor. Du bist allein und kein Mensch wird dir helfen!«

»Du irrst dich, alter Schuft! Nimm dich in acht!

Du wirst alles, was du mir thust, zehnfach bezahlen müssen!«

»Schuft nennst du mich, du, welcher der größte Schurke dieses Erdteiles ist?« stieß der Alte grimmig hervor. »Gut, du sollst gleich jetzt, ehe wir morgen früh mit dir ans Werk gehen, eine kleine Einleitung erleben. Ich will dir für diesen »Schuft« eine Erinnerung an Helmers Horne beibringen. Du sollst gehauen werden. Fünfzig Hiebe sollst du grad wie damals haben, nur etwas kräftiger noch, denn ich that leider nur so, als ob ich weit ausholte. Seid ihr alle einverstanden, Boys, daß er sie bekommt, und zwar gleich jetzt?«

»Ja, Hiebe, fünfzig Hiebe, aber tüchtig gepfefferte!« rief zunächst der Shelley Genannte. »Warum hat er mich in Topeka so gerupft!«

Die andern fielen, jubelnd beistimmend, ein, und einer schrie überlaut:

»Dabei üben wir uns auf Winnetou und Old Shatterhand und ihre Leute ein, die zehnmal soviel Hiebe bekommen sollen, wie sie uns – – – ah so! Das braucht dieser Kerl ja nicht zu wissen! – – – die uns in der Bonanza den verdammten Zettel anstatt des Goldes finden ließen. Schneiden wir auch Pfeifen ab, schöne Pfeifen, wie dort am Spring der dicke Hammerdull!«

Ich will über die nun folgende Scene weggehen. Der General drohte und fluchte; die Tramps lachten, und Old Wabble warf seine gottlosen Bemerkungen in den Lärm. Als die ersten Hiebe fielen, stieß Winnetou mich an, und wir krochen zurück, von der Halbinsel fort und wieder in den Wald hinein. Es galt ja, uns noch hinunter nach dem zweiten Feuer zu schleichen. Vorher aber fragte mich der Apatsche:

»Was schlägt mein Bruder wegen dem Bleichgesichte vor, welches sich General nennen läßt?«

»Den müssen wir haben.«

»So werden ihn die Tramps hergeben müssen. Er soll erst am Morgen ermordet werden; wir holen ihn in dieser Nacht.«

Nun gingen wir fort, von Baum zu Baum. Der Weg, den wir jetzt zurückzulegen hatten, war doppelt so lang wie der vorige. Wir waren noch keine Viertelstunde gegangen, so hörten wir vor uns ein Geräusch, wie wenn jemand an einen dürren Ast stößt und ihn abbricht. Das klingt nicht wie das Zerbrechen eines ledigen Astes, sondern das Abbrechen eines noch am Baume befindlichen giebt einen Schall, welcher eine am Baume hinauflaufende Resonanz findet. Wir zwei faßten uns schnell bei den Händen und huschten weit auf die Seite. Dort legten wir uns nieder und hielten das Ohr an die Erde. Es kamen Leute, mehrere, ja viele, langsam mit leisen Schritten, aber so nahe an uns vorüber, daß wir das Geräusch hörten. Sie kamen von da her, wo wir hin wollten.

»Uff!« meinte Winnetou, als sie vorüber waren. »Ob diese Männer bei dem untern Feuer gesessen haben?«

»Den Schritten nach müssen es Indianer sein!«

»Ja, es sind rote Männer. Woher kommen sie, und wohin wollen sie? Kommen sie von dem einen Feuer, und wollen sie zum andern? Oder kommen sie von einem andern Orte? Wollen sie etwa gar nach der Seite des Sees, wo wir lagern?«

 

»Wir müssen das wissen, Winnetou!«

»Wir müssen es sogar schnell erfahren, denn unsere Gefährten befinden sich vielleicht in Gefahr. Diese Gefahr wird augenblicklich beendet sein, sobald Old Shatterhand zu ihnen kommt.«

»Ich soll also nach unserm Lager zurück?«

»Ja, so schnell wie möglich, und dich nicht bei den Tramps aufhalten.«

»Und du?«

»Ich gehe weiter, hinunter nach dem zweiten Feuer.«

»Da bekommst du die Indianer zwischen dich und uns, begehst also ein Wagnis, welches schlecht ablaufen kann.«

»Pshaw! In einer bekannten Gefahr kommt Winnetou nicht um! Meine Brüder mögen nicht schlafen, bis ich wiederkomme.«

Er huschte fort, und ich kehrte um.

Mein Weg war jetzt gefährlicher als bisher, weil ich die Indianer vor mir hatte. Ich nahm an, daß ihr Ziel die Halbinsel sei, ging aber dennoch tiefer in den Wald hinein, um auf keinen Fall mit ihnen zusammenzutreffen. Die landschaftlichen Schönheiten, welche ich unterwegs zu bewundern hatte, will ich nicht beschreiben. Nie in meinem Leben habe ich mich so anstößig benommen wie in dieser Stunde. Die Bäume dort am See wissen ein Wort davon zu reden! An der Vorderseite voller Harz und an Gesicht und Händen zerstoßen und zerschunden, kam ich nach der angegebenen Zeit in unserm Lager an, wo man mich fragte, wo Winnetou sei. Ich erzählte, was wir gesehen und gehört hatten und ließ die Gefährten vom Seeufer bis ein Stück in den Wald hinein eine geradlinige Postenkette bilden. Das war das beste, weil einzige, was wir unter diesen Umständen thun konnten.

Wir saßen alle an der Erde, die Gewehre in den Händen. Es verging eine Viertelstunde; da drang von der Halbinsel ein plötzliches, markerschütterndes Geheul zu uns herauf. Die Indianer, welche an uns vorübergekommen waren, hatten die Tramps überfallen. Dabei war kein Schuß zu hören. Die Weißen hatten sich also von den Roten ohne Gegenwehr überwältigen lassen. Nun herrschte wieder tiefe Stille.

Ein einziger Augenblick im nächtlichen Leben der Urwaldswildnis, ein einziger! Und doch, was mochte er verändert und gekostet haben und vielleicht noch kosten! Das ist der blutige Westen!

Es mochte wieder eine Stunde vergangen sein, da erlosch auf der Halbinsel das Feuer. Das zweite weiter unten brannte fort. Nach abermals zwei Stunden hörte ich laute Schritte. Das konnte nur Winnetou sein, denn ein anderer Mensch hätte sich herangeschlichen. Ja, er war es, ebenso zerschunden und zerkratzt wie ich, wie wir am nächsten Morgen sahen. Er, der stets Umsichtige, beruhigte uns zunächst:

»Meine Brüder mögen ruhig beisammen bleiben; sie haben nichts zu befürchten. Es wird bis früh kein Feind kommen!«

Ich zog also die Postenkette ein und richtete, als wir uns wieder zusammengesetzt hatten, an den Apatschen die Frage:

»Mein roter Bruder ist unten beim letzten Feuer gewesen?«

»Ja,« antwortete er.

»Hatten die Indianer dort gelagert, welche uns begegneten?«

»Ja.«

»Konntest du erfahren, welchem Stamme sie angehören?«

»Ich erfuhr es. Zwei von ihnen waren zurückgelassen worden, um die Pferde zu bewachen. Old Shatterhand wird sich wundern, sehr wundern!«

»Es sind doch nicht etwa die Capote-Utahs?«

»Sie sind es, mit ihrem Häuptling Tusahga-Saritsch!«

»Das ist freilich überraschend! Sie müssen mit dem »General« zusammengetroffen sein, der es verstanden hat, sie zu gewinnen. Ich vermute, daß er diese Gegend von früher her genau kennt, und so war es möglich, daß sie uns vorausgekommen sind.«

»So ist es. Mein Bruder hat es erraten. Die beiden Wachen, welche ich belauschte, sprachen davon, und ich hörte es. Der »General« ist nach der Halbinsel gegangen und nicht wiedergekommen; da haben sie sich aufgemacht, ihn zu suchen.«

»Was hat er dort gewollt?«

»Das hat er nicht gesagt. Er hat niemand mitnehmen wollen. Es muß ein Geheimnis gewesen sein. Darum sind sie mißtrauisch geworden und ihm, nachdem es dunkel geworden war, gefolgt. Da sie dort sahen, daß er von den Tramps gefangen genommen worden war, sind sie über diese hergefallen und haben ihn befreit.«

»War mein Bruder Winnetou noch einmal dort?«

»Ja; aber die Utahs hatten das Feuer verlöscht.«

»Weshalb?«

»Das weiß Winnetou nicht.«

»So hast du nichts sehen können?«

»Weder etwas gesehen noch gehört.«

»Hm! Was ist zu thun? Den General müssen wir unbedingt haben!«

»Wenn kein Feuer brennt, ist es unmöglich, ihn zu bekommen.«

»Leider hast du da recht. Wir müssen entweder bis sie wieder eines anzünden oder bis zum Anbruch des Tages warten. Weiter bleibt uns nichts übrig. Oder hast du einen andern, bessern Gedanken?«

»Die Gedanken Old Shatterhands sind stets gut.«

»So wollen wir schlafen, aber Doppelwachen auslosen!«

»Winnetou ist einverstanden. Wir befinden uns an einem gefährlichen Orte, wo wir nicht vorsichtig genug sein können. Wir werden auch nicht hier am See, sondern ein Stück drin im Walde schlafen, wohin die letzten Posten, ehe es Tag wird, auch die Pferde schaffen müssen, damit die Capote-Utahs uns ja nicht etwa beim ersten Tageslicht zu zeitig zu sehen bekommen.«

Wir zogen uns also von dem Wasser in den Wald zurück, ließen die Pferde aber jetzt noch weitergrasen. Von den beiden Wächtern mußte einer bei ihnen und der andere bei uns sein. Mich traf wieder die erste Wache. Diese dauerte anderthalb Stunden; sie verging ohne Störung, und dann legte ich mich nieder, nachdem unsere Nachfolger geweckt worden waren.

Als ich früh aufstand, war der Tag schon seit zwei Stunden da. Ich wollte zürnen, daß man mich so lange hatte schlafen lassen, doch Winnetou beruhigte mich mit der Versicherung:

»Mein Bruder hat nichts versäumt. Ich hatte die letzte Wache und bin, sobald es hell wurde, spähen gegangen. Es ist für uns unmöglich, die Utahs auf der Halbinsel zu überfallen und ihnen ihre Gefangenen abzunehmen. Wir müssen wissen, wohin sie reiten, und ihnen dann vorauseilen, um uns eine passende Stelle zum Angriffe auswählen zu können. Mein Bruder Shatterhand weiß, daß derjenige schon halb gesiegt hat, welcher den Vorteil zu erlangen weiß, den Ort des Kampfes schon vorher bestimmen zu können. Diesen Vorteil müssen wir haben.«

Was er da sagte, war vollständig richtig, und so blieben wir da, wo wir geschlafen hatten, liegen, um den Abzug der Indianer zu erwarten. Winnetou entfernte sich in der Absicht, sie zu beobachten, was jetzt am hellen Tage eine ebenso schwierige wie gefährliche Aufgabe war. Die Pferde befanden sich natürlich nicht mehr am Seeufer, sondern bei uns im Walde.

Wir warteten Stunde um Stunde. Die Halbinsel lag zu fern, als daß wir hätten sehen können, was dort vorging. Nur dem Scheine des Feuers war es gestern möglich gewesen, bis zu uns heraufzudringen. Winnetou kam einigemal, um uns wenigstens über sich zu beruhigen; melden konnte er uns weiter nichts, als daß die Indianer noch nicht fort seien. Dann benachrichtigte er uns davon, daß er laute Beilschläge gehört habe; die Utahs schienen mit ihren Tomahawks einen Baum zu fällen, weshalb, das konnten wir natürlich nicht erraten. Endlich, endlich, als es schon über Mittag geworden war, kam er, um uns zu sagen, daß die Roten nun fort seien. Er hatte, vielleicht hundert Schritte entfernt und hinter einem Baume stehend, sie fortreiten sehen.

»So müssen ihre Pferde von da, wo das zweite Feuer brannte, heraufgeholt worden sein?« fragte ich.

»So ist es,« nickte er. »Ich sah, daß sie gebracht wurden.«

»Konntest du sie alle sehen, als sie fortritten?«

»Nein. Es waren zu viele Bäume zwischen ihnen und mir.«

»Natürlich waren die Gefangenen bei ihnen?«

»Ich war so fern von ihnen, daß ich die roten Männer nicht von den weißen unterscheiden konnte, und weiter durfte ich mich nicht an die Halbinsel wagen.«

»Nach welcher Richtung sind sie geritten?«

»Nach Nordwest. Dies ist der Weg, den auch wir einschlagen werden.«

»Hm! Wir müssen natürlich nach der Halbinsel. Reiten wir gleich hin, oder müssen wir erst spähen, ob wir dort sicher sind?«

»Wir sind sicher. Winnetou ist natürlich erst hingegangen, um nachzusehen, ob die Utahs sich auch wirklich entfernt haben.«

Da wir uns auf den Apatschen verlassen konnten, stiegen wir auf, um nach der Halbinsel zu reiten. in der Nähe derselben angekommen, suchten wir zunächst die Fährte der Utahs auf. Ja, sie waren fort; wir brauchten nicht zu befürchten, überrascht zu werden. Wir ritten also ohne Sorge nach dem Orte zu, wo Old Wabble und die Tramps und dann die Indianer gelagert hatten. Dort stiegen wir von den Pferden.

Das Gras und Moos war weit umher niedergetreten, wie es bei einem verlassenen Lagerplatze zu sein pflegt. Wir hatten keinen Grund, anzunehmen, daß wir einen Fund hier machen würden, dennoch ließen wir aus alter Gewohnheit unsere Blicke umherschweifen. Die Roten hatten sich nicht auf den eigentlichen Lagerplatz beschränkt; ihre Spuren führten nach mehreren Seiten von demselben fort. Wir trennten uns, um den verschiedenen Fährten nachzugehen, und hörten schon nach ganz kurzer Zeit Old Surehand rufen:

»Kommt her; kommt her; kommt alle her! Hier liegen sie! Schnell, schnell!«

Ich eilte nach der Richtung, aus welcher seine Stimme erklungen war. Welch ein Anblick erwartete mich da!

Hier lagen sie unter den Bäumen, die Tramps, alle mit einander; es fehlte keiner! Ihren blutigroten Köpfen fehlten die Häute. Sie waren skalpiert worden. Man hatte sie, sogar nach ihrer Körperlänge, in einer Reihe neben einander gelegt, und ein weiterer Blick zeigte, daß sie vorher erstochen worden waren.

Uns grauste! Sie hatten einer moralisch sehr tief stehenden Menschensorte angehört und waren vor keinem Verbrechen zurückgebebt, aber sie in dieser Weise und so zugerichtet hier vor uns liegen zu sehen, das war entsetzlich!

Um zwanzig Menschen so schnell und sicher überwältigen zu können, hatte jeder Rote vorher genau wissen müssen, auf welchen Weißen er sich werfen müsse. Fünfzig Indianer auf zwanzig Weiße. Die Toten waren steif. Man hatte sie also nicht erst heut früh, sondern schon gestern abend erstochen. Warum aber waren die Indianer dann hiergeblieben? Warum hatten sie sogar ihre Pferde holen lassen? Es mußte irgend etwas gegeben haben, was auf heut früh verschoben worden war und bis Mittag gedauert hatte. Was konnte das sein? Mir fiel Old Wabble ein. Dessen Leiche fehlte. Jedenfalls hatte der »General« ihn mitgenommen, um eine ganz besondere Rache an ihm auszuüben.

Hatten wir in den ersten Augenblicken wortlos vor den Leichen gestanden, so waren dann der Interjektionen desto mehr zu hören. Hätten wir jetzt die Roten hier vor unsern Gewehren gehabt, ich glaube, sie wären alle erschossen worden; auch ich hätte nichts dagegen gehabt! Aber wie das größte Unheil doch nicht ohne ein kleines Lächeln ist, das zeigte sich auch hier. Hammerdull deutete auf eine der Leichen und sagte zu Holbers:

»Pitt, das ist Hosea, der uns an das Leben wollte!«

»Yes! Und das Joel, der nicht auf unser Geld hereinfallen wollte!« antwortete der Lange, indem er auf einen andern Toten zeigte.

»Sie sind dennoch deine Vettern. Meinst du nicht auch, altes Coon?«

»Ja, sie sind es.«

»Willst du sie so hier liegen lassen?«

»Das möchte ich ihrer Mutter denn doch nicht anthun, obgleich sie mir so manchen gefühlvollen Augenblick bereitet hat.«

»Das ist brav von dir, alter Pitt! Was schlägst du also vor?«

»Daß wir sie begraben. Meinst du nicht auch, lieber Dick?«

»Ob wir sie begraben oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wir werden ihnen, wenn wir Zeit dazu bekommen, einen kleinen Gottesacker herrichten und es ihnen darin so bequem machen, wie die Umstände es erlauben. Das ist Christenpflicht, zumal es deine Cousins und Vettern sind. Ist‘s so richtig, altes Coon?«

»Hm! Wenn du denkst, daß du das an mir und meinen Verwandten thun willst, so bist du ein braver Kerl, lieber Dick!«

Sie reichten sich die Hände, und ich muß gestehen, daß nichts den Anblick dieser grausigen Scene so hätte mildern können wie grad die eigenartige Weise dieser beiden guten Menschen. Wir hatten keine Zeit übrig, wir mußten den Utahs nach und den »General« fassen, welcher gewiß die Schuld an dem Tode der zwanzig Tramps trug; aber wenn die Brüder begraben werden sollten, so durften wir auch die andern nicht so liegen lassen, und darum entfernte ich mich, um nach einer passenden Stelle zu suchen. Ich traf dabei auf eine breite Fährte, welcher ich folgte; sie führte nach einer Fichte, welche etwas freier stand als die Bäume ihrer Umgebung, und als ich sie – – —

 

Hier sträubt sich die Feder, fortzufahren! Was ich sah, war so gräßlich, daß ich einen Schrei ausstieß, wie ich wohl noch nie geschrieen habe. Die Kameraden kamen infolgedessen alle spornstreichs herbeigerannt und waren bei dem Anblicke, welcher sich ihnen bot, nicht weniger entsetzt als ich.

Man hatte die Fichte, welche die Stärke eines achtjährigen Kindes besaß, in Schulterhöhe gespalten. Das waren die Tomahawkhiebe gewesen, welche Winnetou gehört hatte. Durch in den Riß getriebene Holzkeile war nachgeholfen worden, weil die Tomahawks zu schwach gewesen waren, einen durchgehenden Spalt fertig zu bringen. Durch das Nachtreiben immer größerer und stärkerer Keile, auch mehrere nebeneinander, hatte man den Riß so erweitert, daß er mehr als den Durchmesser eines Männerleibes bekam, und dann den gefesselten alten Wabble hineingeschoben. Hierauf waren die stärkern Keile wieder herausgeschlagen worden; sie lagen unten am Boden; und nun steckte der unglückliche Alte in horizontaler Lage und mit entsetzlich zusammengepreßtem Unterleibe, hüben die Beine und drüben den Oberleib hervorragend, in dem Spalt. Hätte man ihn mit der Brust hineingelegt, so wäre sie ihm eingedrückt worden und er folglich gestorben; so aber hatte man ihn in teuflisch raffinierter Weise nur mit dem Unterleib hineingeschoben. Er lebte noch; sein gesunder Arm und die Beine bewegten sich, doch konnte er trotz der unbeschreiblichen Schmerzen, welche er auszustehen hatte, nicht schreien, weil man ihm einen Knebel in den Mund gesteckt und den letzteren noch extra zugebunden hatte. Die Augen waren zu; aus der Nase rann das Blut in schweren, dunklen Tropfen; der Atem ging scharf pfeifend und ließ die Blutstropfen zischen. Da konnte es kein Wort weder der Empörung noch des Mitleides geben; da mußte nur schnell, schnell geholfen werden, ohne einen einzigen Augenblick zu zaudern.

»Die starken Keile hinein!« gebot ich. »Und zwar oben und auch unten! Macht rasch; macht rasch! Wir brauchen noch mehr Keile als hier liegen. Heraus mit den Messern und Tomahawks!«

Während ich dies rief, hatte ich auch schon einen Keil in den Spalt gesteckt und trieb ihn durch Hiebe mit dem eisenbeschlagenen Kolben meines Bärentöters ein. Jetzt konnte man die Kameraden schaffen sehen! Tomahawks hatten bloß Winnetou und Schahko Matto; das war aber genug. Abgestorbene Bäume standen einige in der Nähe. Die Spähne flogen; es wurden wie im Handumdrehen neue, stärkere Keile fertig. Mein Bärentöter und Hammerdulls alte Gun, deren Kolben stark mit Bandeisen umwunden war, wurden als Schlägel gebraucht. Kurz und gut, es waren kaum zwei Minuten vergangen, so hatten wir den Spalt so weit erweitert, daß wir Old Wabble herausziehen konnten. Wir legten ihn auf die Erde und befreiten ihn von dem Knebel, was wir eigentlich schon früher hätten thun sollen, in der Aufregung aber vergessen hatten.

Er blieb zunächst ohne Bewegung liegen und stieß einen Schwall geronnenen Blutes aus dem Munde; dann folgte ein heller, dünner Blutstrahl nach. Die Brust erweiterte sich; wir hörten einen tiefen, tiefen Atemzug. Hierauf öffneten sich die Augen; sie waren dunkelrot gefärbt. Und nun, nun kam etwas, was ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde, nämlich ein Schrei, aber was für ein Schrei! Ich habe Löwen und Tiger brüllen hören; ich kenne die Trompetentöne des Elefanten, ich habe den entsetzlichen, gar nicht zu beschreibenden Todesschrei von Pferden gehört; aber nichts von dem allem ist mit dem fürchterlichen, langgezogenen, kein Ende nehmenden Schrei zu vergleichen, welcher jetzt, die Schmerzen einer ganzen Welt herausbrüllend, aus Old Wabbles Mund kam und drüben vom jenseitigen Seeufer und hüben aus der Waldestiefe vom mitleidlosen Echo zurückgeschickt wurde. Es schüttelte uns!

Hierauf war es wieder eine Weile still. Mit den widerstreitendsten Gefühlen in unsern Herzen standen wir um ihn herum; das Mitleid hatte aber doch die Oberhand. Jetzt begann er zu stöhnen, lauter, immer lauter; dann folgte ein plötzliches Gebrüll, wie von einer Schar wilder Tiere. Ich hielt mir die Hände an die Ohren; wieder das leisere Stöhnen und jammern, und dann abermals ein eruptives Geheul, von welchem wir förmlich zurückgeworfen wurden. So ging es fort und fort, dieses Wimmern und Stöhnen, von heulenden Stößen unterbrochen; es wollte kein Ende nehmen. Er schien weder sehen noch hören, auch nicht sprechen zu können. Was konnten wir thun? Holbers blieb bei ihm, um ihm Wasser einzuflößen; wir aber entfernten uns, um ein Grab für die Tramps herzustellen. Gesprochen wurde kein Wort über den Unglücklichen. Ein heiliges Grauen hatte uns gepackt. Wir fühlten uns im Bereiche der Allgerechtigkeit, welche nach so erfolgloser Langmut jetzt endlich mit dem alten Gotteslästerer abzurechnen begann.

Wir fanden endlich an dem Westufer der Halbinsel, was wir suchten, nämlich eine ganze Menge ab-, an- und herausgespülter Steine, welche zur Herstellung selbst einer so großen Begräbnisstelle ausreichten. Zum Graben einer Vertiefung, wie sie für so viele Leichen nötig gewesen wäre, fehlten uns die Werkzeuge. Wir begannen, die Steine nach der Mitte der Halbinsel zu schleppen, wo es eine natürliche, fast metertiefe Senkung gab. Dorthin sollte das Grab kommen.

Das war eine Arbeit, welche viel Zeit in Anspruch nahm und während welcher wir immer das Gebrüll des Königs der Cow-boys hörten, bis er nach vielleicht einer Stunde stiller wurde. Später kam Holbers zu mir und sagte, daß der Alte jetzt sehen könne und zu sprechen beginne. Ich ging zu ihm hin. Er lag lang ausgestreckt da, holte leise und unregelmäßig Atem und starrte mich an. Seine Augen hatten sich ziemlich entrötet.

»Old – Shat – – ter – – – hand,« flüsterte er. Dann hob er den Oberkörper ein wenig und schrie mich an: »Hund, verfluchter, fort, fort, fort mit dir!«

»Mr. Cutter, Ihr steht vor der Ewigkeit!« antwortete ich. »Niemand kann Euch helfen! In kurzer Zeit, vielleicht schon in einer Stunde, giebt es für Euch den letzten Atemzug. Macht Eure Rechnung hier mit Gott; im Jenseits ist‘s zum Bitten vielleicht nicht mehr Zeit!«

»Schäfchenhirt! Packe dich von hier! Ich will sterben ohne dich und ohne ihn! Geh mir aus den Augen!«

Ich ging natürlich nicht, sondern fuhr fort:

»Erinnert Euch, was ich auf Fenners Farm gesagt habe! Ihr sollt um eine einzige Minute der Verlängerung Eures Lebens zu Gott wimmern; Eure Seele soll zetern aus Angst vor der göttlichen Gerechtigkeit, und wenn die Faust des Todes Euren Körper krümmt, sollt Ihr nach Vergebung Eurer Sünden heulen!«

»Fort, fort, sage ich!« heulte er wütend. »Gebt mir ein Messer, ein Messer, sage ich, daß ich diesen Kerl, noch ehe ich sterbe, erstechen kann!«

Old Surehand war herbeigekommen; er hörte das und sagte:

»Den macht Ihr nun im letzten Augenblicke auch nicht erst noch anders. Oder wollt Ihr es einmal mit dem Gebet versuchen?«

Ich sah ihn an. Es war ihm wirklich ernst mit diesen Worten; dennoch fragte ich:

»Warum gebt Ihr mir diesen guten Rat?«

»Weil wir gestern vom Gebet gesprochen haben. Ihr glaubt ja doch so fest und unerschütterlich an seine Macht!«

»Well! Wenn es Gott gefällt, so werdet Ihr einen Beweis von dieser Macht erhalten, doch jetzt, in diesem Augenblick noch nicht!«

Old Wabble war nämlich jetzt nicht mehr bei sich. Er fiel in seinen früheren Zustand zurück und wechselte, wie vorhin, mit Wimmern und tierischem Brüllen ab. Ich entfernte mich. Als er nach einer halben Stunde ruhig geworden war, ging ich wieder hin zu ihm. Er kannte mich und zischte mich an:

»Kennst du noch den Fact, und wieder den Fact, und zum drittenmal den Fact, damals im Llano estacado? Bring mir nun von deinem Gotte einen Fact, du Himmelsschaf!«

Sollte ich ihm, der jetzt noch spottete, in meiner vorigen Weise antworten? Nein. Ich konnte nichts mehr für diese verlorene Seele thun. Es gab nur eine Macht, die helfen konnte, und das war nicht die meinige. Old Surehand hatte gemerkt, wohin ich wieder gegangen war, und war mir wieder nachgekommen; wir befanden uns allein bei dem Alten. Ich kniete nieder und betete, nicht leise, sondern laut, daß Old Surehand und Old Wabble es hörten. Was ich betete? Ich weiß es nicht mehr, und wenn ich es noch wüßte, würde ich es hier nicht wiederholen. Als ich fertig war und aufstand, waren Old Surehands Augen feucht. Er drückte mir die Hand und sagte leise: