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Old Surehand III

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»Old Shatterhand und Winnetou sind nicht zwei Personen, sondern eine; es ist also gleich, wer die Trophäen erhält.«

»Und nun das Baby!« sagte Dick Hammerdull. »Wer hat die Ehrenzeichen von diesem zu erhalten?«

»Apanatschka,« antwortete ich.

»Wie? Warum der?«

»Weil er den jungen Bären erstochen hat.«

»Ach so! Und warum hat er ihn erstechen können, Mr. Shatterhand?«

»Weil er ein Messer in den Händen hatte, natürlich.«

»Fehlgeschossen! Weil ich das Baby festgehalten habe. Wäre es nicht von mir so fest umklammert worden, hätte es nicht erstochen werden können.«

»Es ist wohl etwas umgekehrt gewesen!«

»Wie denn?«

»Nicht Ihr hattet es, sondern es hatte Euch umklammert!«

»Ob es mich hatte oder ob ich es hatte, das bleibt sich gleich, das ist ganz und gar egal; wir hatten einander fest, und darum habe ich nicht eher losgelassen, als bis es von Apanatschka erstochen worden war. Wenn der berühmte Häuptling der Komantschen nur eine Spur von menschlicher Gerechtigkeit im Herzen hat, muß er zugeben, daß ich allein und unbedingt derjenige bin, welcher!«

Da sagte Apanatschka lächelnd:

»Mein Bruder Hammerdull trägt die Spuren des Baby am Leibe!«

»Das ist wahr. Seine Mutter war eine Rabenmutter, die ihm auch nicht ein einziges Mal die Fingernägel abgeschnitten hat! Eine so krallige Kindererziehung ist mir noch gar nicht vorgekommen!«

»Und weil mein Bruder die Zeichen des Baby besitzt, mag er auch das Fell behalten!«

»Wirklich, bester Freund und Bruder Apanatschka?«

»Ja. Weil das Baby meinen Bruder Hammerdull so festgehalten hat, verzichtet Apanatschka auf den Rock, der ihm von seiner Mutter angezogen worden war.«

»Er ist ihm von uns wieder ausgezogen worden und gehört nun mir! Hast du das vernommen und gehört, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Yes!« nickte der Lange.

»Was hast denn aber du?«

»Nichts! Ich laß mir nichts schenken!«

»Ist das Fell etwa ein Geschenk für mich?«

»Yes, weiter nichts!«

»Oho! Ich habe es mir redlich verdient. Der Kaufkontrakt steht mit deutlichen Buchstaben auf meiner Haut geschrieben!«

»Und zwar so fest, daß ich ihn nicht herunterwaschen konnte!«

»Du willst mich wieder ärgern! Aber das thut nichts; ich bin und bleibe dein bester, treuster Freund. Wir werden teilen!«

»Was? Das Baby?«

»Nein, sondern nur die Andenken an das liebe Kind. Sag, alter Pitt, willst du die Hälfte davon haben?«

Da zog Holbers seine süßesten Lächelfalten zusammen und rief aus:

»Du wirst doch nicht, liebster Dick!«

»Warum nicht? Weißt du noch, was Winnetou vorhin sagte?«

»Nun, was?«

»Old Shatterhand und Winnetou sind nicht zwei Personen, sondern eine; es ist also ganz gleich, wer die Trophäen bekommt. So ist es auch mit uns beiden: Dick Hammerdull und Pitt Holbers sind ein Leib und eine Seele; nämlich der Leib bist du und die Seele bin ich. Geben wir also dem Leib die eine Hälfte und der Seele die andre Hälfte von den hübschen Babysachen! Einverstanden?«

Er streckte ihm die Hand hin. Holbers schlug ein und antwortete:

»Yes, einverstanden! Du bist doch ein guter Kerl, alter Dick!«

»Du bist auch nicht ohne! Leib und Seele müssen zusammenhalten; also ärgere mich nicht mehr; dann bleib ich dir bis in den Tod getreu!«

Man wußte wirklich nicht, ob man sich gerührt fühlen, oder über die beiden sonderbaren Kerle lachen sollte. Die dicke Seele in dem langen, dünnen Leibe war ein köstliches Bild der unzertrennlichen aber so oft uneinigen Zweieinigkeit.

Natürlich war diese Besprechung über die Preisverteilung so unter uns vorgenommen worden, daß die Utahs nichts davon hörten. Sie mochten auch ferner überzeugt sein und es weiter erzählen, daß Old Surehand an einem Tage vier graue Bären erlegt habe. Sie verhielten sich, seit wir sie gebunden hatten, außerordentlich schweigsam; sie sprachen weder miteinander, noch kam es ihrem Häuptling bei, ein Wort an uns zu richten. Das war uns übrigens ganz lieb, denn wir hatten während der vergangenen Nacht nur wenig geschlafen und bedurften der Ruhe. Es wurde, um die Beleuchtung des Lagers zu vereinfachen, ein einziges großes Feuer angezündet, an welchem wir uns unser Abendessen, bestehend aus gebratenem Bärenfleisch, bereiteten, und während wir aßen, teilten wir die Wachen aus. Die erste erbat ich für mich, weil ich mich doch etwas überanstrengt hatte und mich die Wunde heute mehr als gestern schmerzte, was ich aber nicht sagte. Ich wollte dann versuchen, in einem fort zu schlafen.

Was die Wachen betrifft, so versuchten wir ein Arrangement, welches im wilden Westen wohl noch niemals vorgekommen war: die Gefangenen mußten sich daran beteiligen. Wir hatten zusammen rund sechzig Pferde, welche während der Nacht zusammenzuhalten waren; das konnten die Utahs übernehmen, von denen von Stunde zu Stunde zwei losgebunden und dann wieder gefesselt wurden. Eine Gefahr für uns gab es nicht dabei; sie hatten ja keine Waffen, und da sie wußten, daß sie früh schon wieder frei sein würden, hatten wir von ihnen keine Unannehmlichkeiten zu erwarten.

Als sich die andern Gefährten zur Ruhe gelegt hatten, setzte sich Old Surehand zu mir und sagte:

»Erlaubt, daß ich mich an Eurer Wache beteilige! Ich habe die ganze Nacht geschlafen und bin noch munter wie ein Fisch im Creek. Die Freude über unser Zusammentreffen hält mich wach. Wir haben uns zwar schon heut vormittag gar manches erzählt, aber mit Euch allein ist‘s doch eine andre Sache. Ihr seid bei Wallace in Jefferson-City gewesen. Hattet Ihr noch jemand mit bei ihm?«

»Nein; ich war natürlich allein,« antwortete ich.

»Ihr seid sein Gast gewesen?«

»Ich sollte, habe es ihm aber abgeschlagen.«

»Warum?«

»Weil wir da doch von Euch mehr gesprochen hätten, als grad notwendig war. Ich wollte von ihm nichts weiter wissen, als Euer gegenwärtiges Ziel und Eure Reiseroute.«

»Und es ist auch bloß davon gesprochen worden?«

»Ja.«

»Ich danke Euch, Sir!«

»Bitte! Ah, hättet Ihr mir zutrauen können, daß ich Fragen ausgesprochen habe, die mir nur im Falle Eures Todes erlaubt gewesen wären?«

»Nein, auf keinen Fall! Aber Wallace könnte Euch gegenüber mitteilsam geworden sein. Wer mit Euch spricht, dem geht das Herz leicht auf; das habe ich ja an mir selbst erfahren.«

»Ich versichere Euch, daß nicht ein Wort gefallen ist, welches auch nur im entferntesten auf ein Geheimnis angespielt hätte!«

»Ich glaube Euch, Mr. Shatterhand. Glaubt mir, wenn ich reden dürfte, so würdet grad Ihr der erste sein, dem ich mich mitteilte; es giebt aber Verhältnisse, welche mich zum Schweigen zwingen.«

»Ich weiß, daß Ihr Vertrauen zu mir habt; darum möchte ich mir dennoch und trotzdem eine Frage erlauben.«

»Sprecht sie aus!«

»Müßt Ihr wirklich und unter allen Umständen schweigen?«

»Jetzt ist mir das Reden noch verboten, doch können allerdings Umstände eintreten, welche es mir erlauben.«

»Hm! Ich bin älter und vielleicht auch erfahrener als Ihr und fühle mich zu einer Bemerkung fast verpflichtet: Ich habe Fälle erlebt, in denen ein erzwungenes Schweigen, ja ein Schweigen auf Ehrenwort, eine Sünde, ein Verbrechen war. Hoffentlich gehört Eure Verschwiegenheit nicht in diese Kategorie der Diskretionen?«

»Nein; ich bin rein und frei von aller Schuld.«

»Steht Euer jetziger Ritt mit dem Geheimnisse in Beziehung?«

»Alle meine Wanderungen beziehen sich darauf.«

»Ich vermute: Ihr sucht etwas; Ihr sucht jemand; Ihr wollt Helligkeit in irgend ein Dunkel bringen. Denkt, wie weit ich in den Staaten und im wilden Westen herumgekommen bin! Wäre es denn gar nicht möglich, daß grad ich etwas für Euch Wichtiges erfahren hätte, daß grad ich Euch einen Fingerzeig geben könnte, wenn ich nur eine Andeutung von Euch bekäme?«

»Nein; das ist nicht denkbar, Mr. Shatterhand. Das, was mir am Herzen liegt, steht Euch so fern, kann Euch gar nie berühren.«

»Kann mich gar nie berühren? Well! Aber wenn es nun umgekehrt wäre, wenn ich es berührt hätte, zufälligerweise berührt hätte?!«

»Das ist nicht der Fall. Glaubt mir, das ist nicht der Fall!«

»Und doch möchte ich Euch so gern helfen, die Last, welche auf Euch liegt, von Euch zu werfen!«

Da rückte er schnell von mir ab und sagte in beinahe schroffem Tone:

»Last? Mr. Shatterhand, ich trage keine Last! Ich bitte Euch, dringt nicht in mich; es gelingt Euch doch nicht, mich zum Reden zu bringen!«

»Ah, welche Worte, lieber Freund! Es fällt mir nicht im geringsten ein, etwas aus Euch herauszulocken, hört Ihr, zu locken, was Ihr für Euch behalten wollt und müßt! Ich habe aus reiner, herzlicher Teilnahme, nicht aber aus Neugierde gesprochen. Diese Versicherung gebe ich Euch, und ich denke, daß Ihr mir das glauben könnt.«

»Ich glaube es. Nun bin ich aber doch müde geworden und will mich niederlegen. Ich wünsche Euch gute Nacht, Mr. Shatterhand!«

»Gute Nacht!«

Er suchte sich einen bequemen Platz und legte sich dort nieder. So plötzlich fühlte er sich ermüdet? Er war verstimmt. Wie konnte er, der mich doch kennen mußte, mein aufrichtiges Mitgefühl für Auf- und Zudringlichkeit halten, wie sich durch meine gut gemeinte Hilfsbereitschaft von mir abstoßen lassen! Der Mann, der Charakter in mir, wollte beleidigt thun, der Mensch in mir aber, das alte, gute, deutsche Gemüt, überwand die aufsteigende Bitterkeit. Wer an Geheimnissen zu tragen, vielleicht schwer zu tragen hat, ist nicht glücklich zu nennen, und jeder Unglückliche hat Anspruch auf Schonung und Entschuldigung. Die schroffe Zurückweisung des Freundes war verziehen.

Als meine Wache zu Ende ging, sorgte ich für die Ablösung der beiden Utahwachen und weckte dann Apanatschka als den mir nachfolgenden auf. Ich war müde, sehr müde; aber ich grübelte trotzdem noch lange an der Enthüllung des Geheimnisses, welche mir verboten war, und noch im Einschlafen dachte ich an ein Felsengrab im Hochgebirge und hörte an demselben eine klagende Frauenstimme nach ihrem Wawa Derrick rufen. Ich träumte auch von diesem Grabe, um welches sich kämpfende Gestalten bewegten, doch als ich früh erwachte, konnte ich mich keiner derselben entsinnen.

 

Viertes Kapitel: Am Devils-head.

Nun befanden wir uns hoch oben in den eigentlichen Rocky-Mountains und ritten an der östlichen Seite des Pah-sawehre-payew[45] hinan. Das Riesenpanorama, in welchem wir Zwerggeschöpfe uns bewegten, war ein überwältigend großartiges. Hier wirkte die ungeheure Massigkeit der Gebirgsstöcke im Vereine mit dem Farbenreichtum der unbekleideten Felsen. Das waren himmelhohe und meilenlange Granitmauern mit wunderbar gestalteten Bastionen, über welche es kein Hinüberkommen zu geben schien. Wenn wir, uns umwendend, rückwärts blickten, lag im Osten die weite Prairie wie ein endloser, flimmernder See tief, tief zu unsern Füßen. Die Bäche rauschten um uns wie zu Schaum gewordenes, flüssiges Silber dahin; Frau Flora stieg, gekleidet in ihr reich nuanciertes, grünes Sammetgewand und ihr Haupt mit Gold gekrönt, stolzen Schrittes zu den erhabenen Scheiden und Kuppen des Gebirges empor. Hier bauen sich gigantische Felsenstufen, eine über die andere, auf, mächtige Balsamtannen tragend und den Geistern des Gebirges als Treppe dienend, wenn sie nächtlicherweise niedersteigen, »eine Wildschur um die Lenden, eine Kiefer in der Faust«. Hier wieder haben sich zu Füßen eines einzeln thronenden Bergtitanen ganze Reihen kolossaler Säulen herausgebildet, hinter deren Waldkulissen die wunderbaren Geheimnisse der Hochwelt träumen. Hinter den scharfgezeichneten, dunklen Kanten der scheinbar höchsten Höhen flimmern silberne und goldene Punkte und strahlen diamantene Linien und Streifen aus blaugrauen Schleiern hervor. Sind das die Grüße einer für den Sterblichen unerreichbaren Märchenwelt, eines jenseits der Erde befindlichen Zauberlandes, oder sind es die Sonnenreflexe von fernen Gebirgshäuptern, mit deren Höhe diejenige der uns umgebenden Felsenriesen nicht zu wetteifern vermag?

Wir ritten durch all diese Pracht und Herrlichkeit empor. Unser heutiges Ziel war der Pahsawehre, jener einsam liegende, hellgrüne See, von welchem die Sagen der Indianer so viel Wunderbares zu erzählen wissen. Dort wollten wir übernachten, um am andern Morgen in den Park von San Louis hinabzusteigen, in welchem ich die Aufklärung so vieler Rätsel erwartete.

Wir hatten am Morgen nach den Erlebnissen im »Bärenthale« die dreiundfünfzig Capote-Utahs dem ihnen gegebenen Worte gemäß freigelassen. Nun wir Old Surehand bei uns hatten, gab es für uns keinen Grund mehr, uns zu beeilen, um ihn einzuholen, und so zogen wir nicht vor den Utahs aus dem dortigen Parke fort, sondern ließen sie vor uns abziehen; weil es stets vorteilhafter ist, feindlich gesinnte Menschen vor, als hinter sich zu haben.

Und feindlich gesinnt waren sie uns, obgleich sie über die Behandlung, welche sie bei uns gefunden hatten, nicht klagen konnten. Wir hatten keinem von ihnen ein Haar gekrümmt und keinen von ihnen mit Worten beleidigt, dennoch sagte der Häuptling, als er früh losgebunden wurde:

»Old Surehand sagte gestern abend, daß er eigentlich noch nicht quitt mit uns sei; er hat sich verkehrt ausgedrückt, denn wir sind noch nicht quitt mit ihm. Er hat zwei Krieger getötet.«

»Dafür hat er euch vier Felle gebracht,« antwortete Winnetou.

»Die haben wir nicht bekommen!«

»Ihr könnt sie nehmen!«

»Nachdem ihr die Ohren und Krallen abgeschnitten habt? Nein! Und wenn wir sie bekommen hätten, wäre ihm doch nur das Leben, aber nicht die Freiheit geschenkt. Wir müssen ihn haben!«

»Und wenn ihr ihn bekämt, so würdet ihr ihn töten?«

»Ja, denn wir haben das Lösegeld für sein Leben, die Felle, nicht erhalten. Zwischen uns ist wieder Blut; wir werden das seinige fordern.«

»Uff! Old Shatterhand und Winnetou sind stets die Freunde aller roten Männer gewesen; wir haben auch euch nichts gethan, obgleich ihr unsere Gefangenen waret, und wollten die Pfeife des Friedens mit euch rauchen, ehe wir an diesem Tage von euch scheiden.«

»Wir mögen euer Kalumet nicht sehen!«

»So werdet ihr nicht nur Old Surehands, sondern auch unsere Feinde sein?«

»Ja.«

»Ohne allen Grund?!«

»Sollte der Häuptling der Apatschen wirklich glauben, daß wir keinen Grund dazu haben? Hat er uns nicht überfallen und gefangen genommen, ohne daß ihm das Geringste von uns geschehen war?«

»Das war keine Gefangenschaft zu nennen. Wir banden euch nur für eine Nacht zu unserer Sicherheit und haben euch jetzt freigelassen.«

»Gefangen ist gefangen! Zwischen uns und euch bleibt Feindschaft fort und fort!«

»Tusahga Saritsch, der Häuptling der Capote-Utahs, soll seinen Willen haben. Winnetou, der Häuptling der Apatschen, zwingt keinem Menschen seine Freundschaft auf, weil es nicht seine Gewohnheit ist, sich vor einem Feinde zu fürchten. Die Utahs mögen fortreiten!«

»Ja, sie mögen fortreiten, die Dummköpfe!« rief Hammerdull. »Für ihre Freundschaft danke ich überhaupt, denn bei ihnen kommt die Brüderschaft sogleich dahinter, und ich habe stets die Erfahrung gemacht, daß derjenige, der einem die Freundschaft und dann die Brüderschaft anträgt, gewöhnlich die Absicht hat, einen anzupumpen. Das ist stets und unumstößlich wahr. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Nein,« antwortete der Lange.

»Was? Du giebst mir nicht recht?«

»Nein!«

»Kennst du denn einen, der nicht sofort angepumpt hat?«

»Ja.«

»Wer ist‘s?«

»Ich bin es!«

»Ja, richtig; das ist wahr! Du bist aber auch der einzige von ihnen, wirklich der allereinzige, denn die andern haben es alle, alle, alle gethan!«

Der alte, dicke Spaßvogel hatte wirklich nicht unrecht Ich habe dieselbe Erfahrung ja auch gemacht, natürlich nur unter den »Bleichgesichtern«. Wie viele, viele Male hat sich mir jemand mit dem Worte Freund genähert, und dann folgte gleich die sehr einseitig beliebte Prozedur, welche Hammerdull so unästhetisch mit dem plumpen Worte »anpumpen« bezeichnete. Der Indianer bringt das nicht fertig; dem Durchschnitts-»Bleichgesichte« aber scheint es sehr leicht zu fallen; ich weiß als Verfasser meiner Werke leider nicht nur ein Wort, sondern tausend Worte davon zu sprechen. Howgh!

Die Utahs zogen also ab. Es war eigentlich jammerschade um die schönen Bärenfelle, daß wir sie liegen und verderben lassen mußten; aber wir konnten sie nicht mitnehmen, und da wir nicht wußten, welchen Rückweg wir einschlagen würden, wäre es überflüssige Arbeit gewesen, sie zuzurichten und dann einzugraben, um sie später mitzunehmen. Wer wohl sagen könnte, welche Massen von Fellen und Pelzen auf diese Weise im wilden Westen zu Grunde gegangen sind!

Wir folgten den Utahs nicht auf dem Fuße, denn das wäre ein Fehler gewesen, sondern warteten bis zum Mittag, bis sie einen Vorsprung vor uns hatten. Da sahen wir denn, daß sie sich außerordentlich beeilt und ganz die Richtung genommen hatten, welche auch wir einschlagen mußten. Das war kein gutes Zeichen für uns.

»Meint Ihr, daß sie die Absicht haben, sich an uns zu rächen, Mr. Shatterhand?« fragte mich Apanatschka.

»Ich denke es,« antwortete ich.

»Dann dürften sie aber nicht vor uns bleiben, sondern müßten uns folgen!«

»Das werden sie auch bald thun. Ich wette, daß sie die nächste Gelegenheit ergreifen werden, ihre Fährte unsichtbar zu machen.«

Ich hatte recht. In der nächsten Nacht gab es ein Gewitter, welches bis zum Morgen dauerte, und als wir dann nach den Spuren der Utahs suchten, waren sie vom Regen fortgewaschen worden.

Old Surehand war während der beiden nächsten Tage außerordentlich schweigsam und zog sich besonders von mir zurück, nicht aber in unfreundlicher Weise. Es war nicht ein gegen mich gerichtetes Gefühl, welchem er dabei folgte, sondern ich ahnte, daß er mit sich kämpfte, ob er aufrichtig mit mir sein oder seine Verschwiegenheit beibehalten sollte. Ich that gar nichts dazu, diesen inneren Kampf nach der einen oder andern Seite zu beendigen; er war ein Mann und mußte selbst mit sich fertig werden können. Schließlich merkte ich, daß die Stimme der Verschwiegenheit gesiegt hatte. Er glaubte aber doch, mir wegen unserer letzten Unterhaltung eine Bemerkung machen zu müssen, ritt kurze Zeit neben mir her und sagte:

»Habe ich Euch bei unserm Gespräch im Park beleidigt, Mr. Shatterhand?«

»Nein, Mr. Surehand,« antwortete ich.

»Ich denke, daß ich etwas zu kurz gewesen bin?«

»Nein. Wenn man ermüdet ist, pflegt man nicht viel Worte zu machen.«

»So ist es. Ich war ganz plötzlich sehr müde geworden. Aber, bitte, könnt Ihr Euch auf unser Gespräch damals im Llano estacado erinnern?«

»Ja.«

»Ihr hattet mit Old Wabble vorher über Gott und Religion gesprochen?«

»Ich weiß es.«

»Seid Ihr heut noch derselben Meinung wie in jener Nacht?«

»Vollständig!«

»Ihr glaubt also wirklich, daß es einen Gott giebt?«

»Ich glaube es nicht nur, sondern ich weiß es.«

»So haltet Ihr wohl jeden Menschen für dumm, der diesen Glauben nicht besitzt?«

»Dumm? Wie könnte mir das einfallen! Das würde eine Überhebung von mir sein, welche erst recht dumm wäre. Es giebt tausend und abertausend Menschen, welche nicht an Gott glauben und denen ich in Beziehung auf ihre materiellen und formalen Kenntnisse nicht wert bin, das Wasser zu reichen. Und wieder giebt es Menschen, welche fest an Gott halten, aber in Beziehung auf die irdische Klugheit nicht auf einer hohen Stufe stehen. Es giebt zwar auch eine – wie soll ich mich ausdrücken? – eine biblische, eine religiöse Klugheit, doch die habt Ihr ja nicht gemeint.«

»Nun, so sagt ein anderes Wort, mit welchem Ihr die Leute bezeichnet, welche nicht glauben, daß es einen Gott giebt!«

»Ich kann Euch keines sagen.«

»Warum nicht?«

»Genügt Euch das Wort ungläubig?«

»Nein.«

»Weiter habe ich keins. Ich verstehe gar wohl, was Ihr meint; aber es giebt so viele Arten der Ungläubigen, daß man wohl zu unterscheiden hat. Der eine ist zu gleichgültig, der andere zu faul, der dritte zu stolz, nach Gott zu suchen; der vierte will sein eigener Herr sein und keinen Gebieter über sich haben; der fünfte glaubt nur an sich, der sechste nur an die Macht des Geldes, der siebente an das große Nichts, der achte an den Urstoff und der neunte, zehnte, elfte und die folgenden alle jeder an sein besonderes Steckenpferd. Ich habe weder die Lust noch das Recht, sie zu klassifizieren und ein Urteil über sie zu fällen. Ich habe meinen Gott, und der ist kein Steckenpferd.«

»Könnt Ihr Euch auf alles besinnen, was wir damals sprachen?«

»Ja.«

»Ich bat Euch, mir meinen verlorenen Glauben wiederzubringen.«

»Und ich sagte Euch: Ich bin zu schwach dazu; die wahre Hilfe liegt bei Gott.«

»Und Ihr sagtet noch mehr; ich weiß nur heut die Worte nicht mehr.«

»Meine Worte waren ungefähr: Ich weise Euch an denjenigen, welcher die Gefühle des Herzens wie Wasserbäche lenkt und welcher sagt: »Ich bin die Wahrheit und das Leben!« Ihr strebt und ringt nach der Wahrheit; kein Nachdenken und kein Studieren kann sie Euch bringen; aber seid getrost; sie wird Euch ganz plötzlich und ganz unerwartet aufgehen wie einst den Weisen aus dem Morgenlande jener Stern, der sie nach Bethlehem führte.«

»Ja, so sagtet Ihr, Mr. Shatterhand. Ihr habt mir sogar diesen Stern für bald verheißen!«

»Ich erinnere mich, allerdings gesagt zu haben: Euer Bethlehem liegt gar nicht weit von heut und hier – ich ahne es!«

»Ich habe es aber leider noch nicht gefunden!«

»Ihr werdet es finden. Ich sage genau wie damals: Ich ahne es! Es liegt Euch heut vielleicht näher, als Ihr denkt.«

Er sah mir forschend in das Gesicht und fragte:

»Habt Ihr einen Grund zu dieser Ahnung?«

»Ich gebe eine Gegenfrage: Giebt es grundlose Ahnungen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Oder begründete? – Kann es die geben?«

»Ich bin ein ungelehrter Mensch. Diese Fragen liegen mir zu hoch.«

»So mag es dabei bleiben, daß ich es ahne. Betet Ihr täglich?«

»Beten? – Seit langer Zeit nicht mehr.«

»So beginnt es wieder! Das Gebet des Gläubigen vermag viel, wenn es ernstlich ist. Und Christus sagt: »Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan«. Glaubt mir, ein inbrünstiges, gläubiges Gebet gleicht einer Hand, welche die Hilfe, die Erhörung aus dem Himmel holt! Ich habe das oft an mir selbst erfahren.«

 

»So betet Ihr täglich?«

»Täglich? Glaubt Ihr etwa, es sei ein Verdienst für den Menschen, täglich oder gar stündlich zu beten? Dann wäre es ja auch ein Verdienst für das Kind, wenn es sich herbeilassen wollte, mit seinem Vater zu sprechen! Ich sage Euch: das ganze Leben des Menschen soll ein Gebet zum Himmel sein! Jeder Gedanke, jedes Wort, jede That, all Euer Schaffen und Wirken soll ein Gebet, ein Opfer sein, auf der köstlichen Schale des Glaubens zu Gott emporgetragen! Glaubt ja nicht, daß Ihr mit einem einmaligen Gebete große Wirkungen erzielt. Denkt nicht, daß, da Ihr jahrelang nicht gebetet habt und nun plötzlich einmal beten wollt, Euch der Herrgott auch sofort zur Verfügung stehen und Euern Wunsch erfüllen muß! Der Lenker aller Welten ist keineswegs Euer Lakai; dem Ihr nur zu klopfen oder zu klingeln braucht! Auch ist der Himmel kein Krämerladen, in welchem der Herrgott vorschlägt und mit sich handeln läßt. Was giebt es doch in dieser Beziehung für sonderbare Menschen! Da fährt sich der Herr Müller oder Maier Sonntags mit dem Waschlappen über das von den sieben Wochentagen her schmutzige Gesicht, bindet ein frischgewaschenes Vorhemdchen um, nimmt das Gesangbuch in die Hand und geht in die Kirche, natürlich auf seinen »Stammplatz« Nummer fünfzehn oder achtundsechzig. Da singt er einige Lieder, hört die Predigt an, wirft einen Pfennig, zwölf Stück auf den Groschen, die jetzt nicht mehr gelten, in den Klingelbeutel und geht dann hoch erhobenen Hauptes und sehr befriedigten Herzens nach Hause. In seinem Gesichte ist deutlich die Überzeugung zu lesen, die er im Herzen trägt: »Ich habe für eine ganze, volle Woche meine Pflicht gethan; nun, du Gott, der alles geben kann, thue du auch die deine; dann gehe ich nächsten Sonntag wieder in die Kirche! Wenn nicht, so werde ich mir die Sache überlegen!« – Glaubt Ihr, Mr. Surehand, daß es so sonderbare Menschen giebt?«

»Da Ihr es sagt, muß es wohl so sein.«

»O, es giebt solche Maiers und Müllers zu hunderttausenden. Diese Christen sind die größten Feinde des wahren Christentums. Sie stellen sich zu Gott auf denselben Fuß, auf welchem ein Fuhrherr zu seinem Kutscher steht, der Woche für Woche seinen Lohn ausgezahlt bekommt. Aber geht nun einmal zur armen Witwe, welche von früh bis abends und auch Nächte lang am heißen Waschkessel oder am kalten Wasser des Flusses schafft und arbeitet, um sich und ihre Kinder ehrlich durch das Leben zu bringen! Sie hat sich die Gicht angewaschen; sie spart sich den Bissen vom Munde ab, um ihn den Kindern zu geben; sie hat kein Sonntags- und kein Kirchenkleid; sie sinkt nach vollbrachtem Tagewerk todmüde auf ihr Lager und schläft ein, ohne eine bestimmte Anzahl von Gebetsworten gedankenlos heruntergeleiert zu haben; aber ich sage Euch! ihr ununterbrochenes Sorgen und Schaffen ist ein immerwährendes Gebet, welches die Engel zum Himmel tragen, und wenn die Not, der Hunger ihr ein »Du mein Herr und Gott!« aus dem gepeinigten Herzen über die Lippen treibt, so ist dieser Seufzer ein vor Gott schwerer wiegendes Gebet als alle die Gesangbuchslieder, welche Herr Maier oder Herr Müller während seines ganzen Lebens gesungen hat! Also betet, Mr. Surehand, betet! Aber denkt ja nicht, daß es sofort helfen muß! Betet in Gedanken, in allen Euren Worten und in allen Euren Thaten! Hättet Ihr mehr gebetet, so wäre Euch der Helfer längst erschienen!«

»Das ist viel, sehr viel gesagt, Mr. Shatterhand!«

»Jawohl; aber ich weiß, was ich sage. Ein altes Kirchenlied sagt:

»Mit Sorgen und mit Grämen Und selbstgemachter Pein Läßt er sich gar nichts nehmen;

Es muß erbeten sein!«

Jedes Kind sagt dem Vater seine Wünsche; hat nicht auch das Erdenkind dem himmlischen Vater seine Liebe und sein Vertrauen dadurch zu beweisen, daß es von Herzen zu ihm spricht? Wird ein Vater seinem Sohne eine gerechte Bitte abschlagen, die er erfüllen kann? Und steht die Liebe und die Allmacht Gottes nicht unendlich höher als die Liebe und Macht eines Menschen? Glaubt es mir: Wenn der große Wunsch, den Ihr im Herzen tragt, überhaupt zu erfüllen ist, so wäre er schon längst erfüllt, wenn Ihr an Gott geglaubt und zu ihm gebetet hättet!«

»Was wißt Ihr von der Größe meines Wunsches?«

»Ich ahne es.«

»Wieder Ahnung!«

»Pshaw! Ahnungen sind innere Stimmen, auf die ich immer achte. Ihr habt mir damals im Llano estacado gesagt, daß Euch der Glaube an Gott durch unglückliche Ereignisse verloren gegangen sei. Soll ich da nicht ahnen, daß Ihr Euch nach dem Ende dieses Unglücks sehnt?«

»Richtig! Ich dachte, Ihr quältet Euch als Freund in Gedanken damit ab, mir die Ruhe wiederzugeben, welche ich verloren habe!«

»Was würden Euch meine Gedanken helfen? Die wahre Freundschaft bewährt sich durch die That, und wenn Ihr mich in dieser Beziehung einmal braucht, so habt Ihr gar nicht nötig, mich erst darum zu fragen.«

Was ich ihm vorhin in Beziehung auf die Gebetserhörung sagte, war nicht bloß Redensart. Ich hatte damals die Squaw des Medizinmannes im Kaam-kulano getroffen und dann Old Surehand nichts von dieser Begegnung gesagt; das war nicht infolge einer Überlegung, also nicht aus einem besondern Grunde unterlassen worden, sondern es hatte sich keine Gelegenheit geboten, diese Frau besonders gegen ihn zu erwähnen. Wäre er aber ein gläubiger Christ, und gewohnt gewesen, seine Herzenswünsche dem Gebete anzuvertrauen, so hätte ich ihm ganz gewiß von dieser Frau erzählt. Das ist meine Überzeugung, denn ich weiß, daß es Eingebungen giebt, und habe das auch schon erwähnt.

Unser Gespräch wurde dadurch unterbrochen, daß wir über ein querüberfließendes Wasser mußten, welches nicht tief und so hell war, daß wir den Grund deutlich sahen. Wir bemerkten Eindrücke von Pferdehufen, konnten aber nicht herausbekommen, wieviel Pferde es gewesen waren, vier oder fünf aber jedenfalls nicht. Ebenso war es unmöglich, die Zeit zu bestimmen, in welcher diese Eindrücke entstanden waren, denn das Wasser hatte ein unbedeutendes Gefäll und also nicht die Kraft, sie binnen kurzer Zeit zu zerstören. Es konnten Stunden oder Tage, aber auch Wochen vergangen sein, seit diese Spuren entstanden waren. Aber eine Wirkung hatten sie doch: Wir schenkten in Beziehung auf Fährten dem Wege mehr Aufmerksamkeit, als wir es in letzter Zeit gethan hatten.

Wir konnten aber nichts entdecken, denn wir hatten den Paß und die ihm folgenden Engen hinter uns, und ritten in den Hochwald ein, der solche Gelegenheit, sich auszubreiten, bot, daß wir, um eine Spur zu finden, ihn hätten tagelang absuchen müssen.

Es war die Kuppe des Pah-sawehre-payew, welche wir jetzt erreicht hatten. Sie war mit Hochwald bedeckt, unter welchem wir wie in einem Dome ritten, durch dessen dichtes Laubdach nur zuweilen ein Sonnenstrahl zu dringen vermochte. Das war der Urwald des Nordens, welcher in dieser Höhenlage gedeihen konnte.

Wir ritten stunden- und stundenlang unter diesem Dache immer bergauf. Es wurde unter demselben dunkel, weil die Sonne jenseits niedersank, und wir mußten die Pferde antreiben, um noch vor der Nacht den See des »grünen Wassers« zu erreichen.

Endlich waren wir oben! Die Sonne hatte sich von dieser Seite des Gebirges schon verabschiedet, aber es war noch licht genug, den See, so weit das Auge reichte, überblicken zu können. Ich sage, so weit das Auge reichte, denn das gegenseitige Ufer konnten wir nicht sehen; dazu war er zu groß. Von der hellgrünen Färbung, welche sein Name andeutete, denn Pah heißt in der Utahsprache »Wasser« und sawehre »hellgrün«, bemerkten wir jetzt, da es schon zu dunkeln begann, nichts. Er war, so weit wir ihn überblicken konnten, vom Walde umgeben. Wir befanden uns an seinem östlichen Ende. Sein südliches Ufer bildete eine von keiner Bucht unterbrochene Bogenlinie, während an seinem nördlichen eine breite, auch dicht bewaldete Halbinsel hervortrat. Um diese Halbinsel zu erreichen, hätten wir noch eine Viertelstunde weiterreiten müssen; es gab aber für uns keinen Grund, dort Lager zu machen, und so blieben wir da, wo wir uns befanden.

Hammerdull und Holbers liefen umher, um, so lange man noch sehen konnte, dürres Holz zusammenzusuchen. Als sie so viel gesammelt hatten, wie wir für die Nacht brauchten, wollten sie Feuer anzünden. Der Apatsche aber untersagte es ihnen:

»Jetzt noch nicht! Ein Feuer glänzt weit in den See hinaus, und wir haben heute Pferdespuren gesehen. Es können Menschen am Wasser sein, die von uns nichts wissen dürfen. Wir wollen warten, bis es dunkel geworden ist; dann wird es sich finden, ob wir uns erlauben können, hier zu bleiben und ein Feuer anzubrennen.«

45Berg des grünen Wassers.