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Old Surehand III

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»Anhalten, Schahko Matto! Anhalten und aufstehen!«

Der Osage hörte es und erhob sich. Der Bär hatte es auch gehört und drehte sich nach der Gegend um, aus welcher die Stimme kam. Er sah den Indianer und trabte augenblicklich auf ihn zu. Was das zu bedeuten hatte, wird daraus klar, daß der Trab eines Grizzly gleich dem Galoppe eines Pferdes ist. Schahko Matto war ihm auf zwanzig Schritte nahe gekommen, hatte also bis zu Old Surehand fünfzig zurückzulegen; er mußte vor der Zeit von dem Bären eingeholt werden! Dazu kam, daß Old Surehand, wenn er den Petz wirklich nicht nur verwunden, sondern erlegen wollte, nicht eher schießen durfte, als bis dieser sich aufrichtete und dabei die Brust zum Ziele bot. Ich rief ihm also hastig zu:

»Jetzt ja nicht schießen, Mr. Surehand! Ich werde den Osagen beschützen!«

Ich legte also meinen Bärentöter an und wartete. Schahko Matto hatte wohl noch nie in seinem Leben solche Sprünge gemacht wie jetzt; es war aber vergeblich; der Grizzly kam ihm rapid näher.

»Schahko Matto, eine Wendung zur Seite machen!« schrie ich ihm zu.

Er und der Bär kamen nämlich in einer geraden Linie auf uns zu; es konnte also niemand auf das Tier schießen, ohne den Menschen zu treffen. Er achtete aber nicht auf meinen Ruf und rannte geradeaus weiter. Da sprang ich hinter dem Busche weit hervor und schrie ihm die Warnung wieder zu; der Bär war nur drei Schritte hinter ihm. Jetzt verstand er mich und bog rasch seitwärts ab; nun hatte ich freies Ziel und der Bär bekam meine Kugel, noch ehe er ihm folgen, konnte. Es war natürlich kein Schuß auf den Tod; ich wollte dem Grizzly nur einen Halt gebieten, und das gelang; er ließ den Osagen laufen und blieb stehen. Den Kopf hin und her bewegend, sah er sein Blut laufen und hob die Tatze nach der Wunde, welche meine Kugel ihm unterhalb des Halses geschlagen hatte. Diesen Augenblick ergriff Old Surehand, indem er sich hinter dem Felsen aufrichtete und kühn auf den Bären zuschritt; die Entfernung betrug ungefähr dreißig Fuß. Der Grizzly sah ihn kommen und richtete sich auf. Old Surehand ging unentwegt weiter und gab ihm die erste und nach einigen Schritten die zweite Kugel in die Brust. Dann warf er das Gewehr weg und zog das Messer. Diese Vorsicht war aber glücklicherweise überflüssig; auch dieser »Vater Ephraim« hatte genug; er fiel um, wälzte sich einigemal hin und her, zuckte konvulsivisch mit den Pranken und ließ dann seine Seele nach den ewigen Jagdgründen wandern, seinen Leib aber mit dem Felle hier bei uns zurück.

Von dem Warnungsruf Winnetous an bis jetzt war nicht eine Minute vergangen, so schnell hatte sich die Scene abgespielt. Schahko Matto stand mit tief arbeitender Brust und ohne Atem bei uns.

»Das – das – – ging mir an das Leben!« keuchte er.

»Warum war mein Bruder so unvorsichtig!« antwortete der Apatsche.

»Unvorsichtig? Ich?«

»Ja! Wer sonst?«

»Du! Winnetou!«

»Uff! Ich soll unvorsichtig gewesen sein?«

»Ja. Hättest du mir nicht vor der Zeit zugerufen, so wäre der Bär nicht auf mich aufmerksam geworden! Das ist doch richtig!«

Winnetou sah ihm einen Augenblick lang lächelnd in das Gesicht, sagte kein Wort und wendete sich dann stolz von ihm ab.

»Er dreht sich um! Habe ich nicht recht?« fragte der Osage nun mich.

»Der Häuptling der Osagen hat unrecht,« antwortete ich.

»Old Shatterhand irrt sich!«

»Beweise es!«

»Mußte Winnetou den Bären auf mich aufmerksam machen?«

»Ja. Du krochst doch zu dem Tiere hin, damit es aufmerksam werden solle.«

»Aber doch nicht so zeitig!«

»Nicht so zeitig? Früher, viel, viel früher hätte es geschehen sollen! Du hättest viel eher aufstehen und den Bären anrufen sollen; dann wäre er dir nicht vor der Zeit nachgekommen, und du hättest Old Surehand auch nicht die ganze Freude verdorben.«

»Die Freude habe ich ihm verdorben? Womit?«

»Durch den Schuß, den ich abgeben mußte, um dir das Leben zu retten.«

»Und der hat Old Surehand um die Freude gebracht?«

»Natürlich!«

»Ich verstehe Old Shatterhand nicht!«

»Das ist mir unbegreiflich. Das Tier hat, ehe Old Surehand es erlegte, schon eine Kugel von mir bekommen. Muß ihn das nicht ärgern?«

»Uff, uff! Ja; daran habe ich nicht gedacht.«

»So denke nun auch daran, daß du dich bei Winnetou hättest bedanken sollen, anstatt ihm Vorwürfe zu machen! Hätte er dir nicht zugerufen, und wärest du dem Bären noch näher gekommen, so lebtest du wahrscheinlich jetzt nicht mehr. Das gebe ich dir zu bedenken!«

Jetzt ließ auch ich ihn stehen und ging zu dem Grizzly hin, bei welchem Winnetou und Old Surehand schon damit beschäftigt waren, ihm »den Pelzrock auszuziehen«. Dieser Vater Ephraim stand, um mich dieses Ausdrucks zu bedienen, in dem besten Mannesalter, und so nahmen wir seine Tatzen mit. Schahko Matto erwirkte es dann, daß wir uns auch einen der beiden Hinterschinken herausschälten, da es geraten erschien, uns so viel wie möglich mit Fleisch zu versehen, von dem allerdings zu erwarten war, daß es sich oben im kühlen Gebirge gut halten werde.

Jetzt hatten wir auch den vierten Pelz und konnten nach dem Lager zurückkehren. Vier Bären im Laufe eines Tages! Das war, obgleich sich ein junger darunter befand, ein höchst seltenes Jagdergebnis, zumal niemand dabei eine Verletzung davongetragen hatte, ein Ergebnis, welches kaum irgendwo anders als in diesem abgelegenen, kaum von einem Weißen besuchten Kui-erant-yuaw hatte stattfinden können! Wir andern waren ebenso erfreut darüber wie Old Surehand, der nun die Erwartung der Utahs, daß die Bären ihn zerreißen würden, ihnen als nichtig beweisen konnte.

Als wir das Lager erreichten, war es schon spät am Nachmittage, und es galt nun, für den Abend unsere Beschlüsse zu fassen. Old Surehand hatte zwar eine zweitägige Frist bekommen; es fiel uns aber gar nicht ein, einen Tag unnötig zu verschwenden. Was zu seiner Befreiung geschehen konnte, das mußte schon heut geschehen, aber was und wie, das waren die wichtigen Fragen.

Old Surehand konnte die Felle unmöglich allein hinauf nach dem Park schleppen; wir mußten sie unsern Pferden zu tragen geben. Aber da, wo er heruntergekommen war, durften wir nicht hinauf, denn da wären die Utahs uns gewahr geworden. Wir machten also mit ihm aus, daß er allein hinaufsteigen solle, und zwar noch während es hell war. Er sollte sich dann um das Lager der Roten herumschleichen, sich aber ja nicht sehen lassen, und nach der nordwestlichen Ecke des Parkes kommen, wo er uns entweder schon antreffen würde oder auf uns warten müsse. Wir aber wollten in unserer Schlucht, wo wir den großen, alten Vater Ephraim erlegt hatten, wieder hinauf und auf demselben Wege wie gestern, also am südlichen und westlichen Rande des Parkes unter den Bäumen hin, unbemerkt das genannte Rendezvous zu erreichen suchen. Er ging auf diesen Vorschlag ein und machte sich, um das Tageslicht ausnutzen zu können, gleich jetzt schon auf den Weg. Dick Hammerdull warf eine Kußhand hinter ihm her und rief ihm nach:

»Leb wohl, herzlieber Schatz! Komm ja heut abend zum Tanze!«

Und sich an seinen Busenfreund wendend, fügte er lustig hinzu: »Du wirst dazu aufspielen. Welches Instrument kannst du denn blasen, alter Pitt?«

»Die längste Posaune von Jericho,« antwortete dieser.

»Ja, das stimmt. Alles, was lang ist, kannst du blasen, nur dich selber nicht! Möchte auch die Töne hören, die aus dieser alten Oboe kämen!«

»Zupf dich an deinen eigenen Saiten, alte Guitarre! Du bist verstimmt!«

»Ob ich verstimmt bin oder nicht, das bleibt sich gleich; heut aber möchte ich mich hören lassen. Drei Riesenbären und ein Baby dazu! Das ist noch gar nicht dagewesen; so etwas hat es gar noch nie gegeben!«

»Ja, und alle vier hast du allein erlegt!«

»Spotte nicht! Hast etwa du ihren Tod auf deinem Herzen?«

»Nein. Ich thu aber auch nicht so dick wie du damit. Verstanden?«

»Vom Dickthun kann keine Rede sein. Ich habe nur die Ereignisse und Ergebnisse der heutigen Weltgeschichte aufgezählt, welche übrigens noch gar nicht abgeschlossen ist. Es kommt ja nun erst noch der gewaltige Schreck, den wir da oben den Utahs einjagen werden.«

»Uff! Die werden sich wohl ganz besonders vor dir entsetzen?«

»Jedenfalls mehr als vor dir! Doch schau, die andern Gentlemen sind schon fertig. Steig auf, altes Coon, zu neuen großen Heldenthaten!«

Wir verließen das Lager und traten den Weg nach oben an.

Es war trotz der Angst, welche die Utahs vor den Grizzlys hatten, möglich, daß sie wenigstens eine Strecke in die Schlucht herabgekommen waren; der Bär ist ja bei Tage nicht so wie in der Nacht zu fürchten. Darum mußten wir vorsichtig sein und schickten Winnetou voraus, um uns zu warnen, falls dies nötig werden sollte. Er fand aber keine Veranlassung, dies zu thun, denn er hatte niemand gesehen.

Als wir oben ankamen, war es dunkel geworden, so daß wir keine Spur entdecken konnten, ob die Utahs ihre Streifereien bis hierher ausgedehnt hatten. Wir kannten den Weg von gestern, und da wir nicht ritten, sondern die Pferde führten, kamen wir ganz leidlich bis zu der hohen Baumgruppe, bei welcher die Kameraden gestern auf mich und Winnetou, während wir die Utahs belauschten, gewartet hatten.

Hier mußten wir die Pferde lassen, durch welche wir leicht hätten verraten werden können, wenn wir sie näher zu den Utahs mitgenommen hätten.

Die Felle tragend, gingen wir dann weiter bis zu der Ecke, zu welcher wir Old Surehand bestellt hatten. Er war noch nicht da. Das war leicht erklärlich: Er kannte das Terrain nicht so wie wir und mußte sich vorsichtig um die Indianer schleichen; dazu war mehr Zeit erforderlich, als wir für uns nötig gehabt hatten.

Endlich kam er. Er war natürlich sehr erfreut darüber, daß weder ihm noch uns etwas begegnet war, was unser Zusammentreffen verhindert hätte, und teilte uns mit, daß die Roten schon ihre Lagerfeuer brennen hätten. Wir hatten das schon gerochen, wenn es auch nicht möglich gewesen war, sie zu sehen.

 

Ueber das, was nun geschehen sollte, waren wir einig. Die Felle mußten in die Nähe des Lagers geschafft werden, und zwar nach der Seite desselben, von welcher Old Surehand aus dem Thale heraufzukommen hatte. Da dies die von uns abgewendete war, mußten wir einen Umweg machen, einen nach dem offenen Parke gerichteten Bogen schlagen, was nicht schwer war, weil wir dabei nicht durch Bäume gehindert wurden. Wir langten glücklich jenseits der Utahs an und legten die Felle in so geringer Entfernung vor dem Lager nieder, daß es eine Schande für die Roten war, uns nicht bemerkt zu haben.

Jetzt galt es nun zuletzt, uns ebenso unbemerkt hinter sie zu schleichen. Um uns dies zu erleichtern, mußte ihre Aufmerksamkeit von uns abgelenkt werden, und dies konnte am sichersten durch Old Surehand geschehen. Wenn er am Lager ankam, waren jedenfalls alle Augen und Ohren auf ihn gerichtet, und so bekam er die Weisung, sich ungefähr zehn Minuten nach unserer Entfernung bei den Feuern sehen zu lassen.

Wir drangen also, einer hinter dem andern und uns an den Händen führend, in den Wald ein. Die Feuer zu unserer Linken erleichterten uns das Vorwärtsdringen. Dennoch war die angegebene Zeit schon fast vorüber, als wir hinter den Roten unter den Bäumen kauerten. Wir hatten uns ihnen noch mehr zu nähern, und um das zu können, mußten wir auf die Ankunft Old Surehands warten.

Da ertönten laute, verwunderte Rufe. Er war gekommen, und nun schoben wir uns, am Boden kriechend, in das schon gestern erwähnte Farngestrüpp hinein.

Heut war dabei die gestrige große Vorsicht nicht nötig, weil kein Mensch nach dieser Seite blickte.

Das Aufsehen, welches die Rückkehr Old Surehands erregt hatte, war noch nicht vorüber, als wir es uns in den Farn schon so bequem wie möglich gemacht hatten. Bemerken muß ich, daß der Häuptling Tusahga Saritsch genau an demselben Platze wie gestern saß, doch heut allein. Er war der einzige, welcher nicht aufgestanden war; die andern alle umdrängten Old Surehand und riefen ihm ihre Fragen zu, von denen er, still um sich sehend, keine beantwortete.

Erst als er annehmen zu dürfen glaubte, daß wir die von uns beabsichtigten Plätze eingenommen hatten, sagte er mit lauter Stimme: »Die Krieger der Utahs umdrängen mich mit Fragen, ohne zu bedenken, daß nur ihr Häuptling es ist, dem ich Rede stehen werde!«

»Uff! Das Bleichgesicht hat recht,« stimmte Tusahga Saritsch bei. »Old Surehand mag kommen und sich zu mir setzen!«

Der Genannte folgte dieser Aufforderung, ohne vorher entwaffnet und gebunden zu werden, was doch wohl das erste war, was die Utahs hätten thun müssen. Sie glaubten, seiner auf alle Fälle sicher zu sein.

»Old Surehand mag sagen, ob er unten im »Thale der Bären« gewesen ist!«

Der Jäger antwortete auf diese Frage des Häuptlings:

»Ich war unten.«

»Hast du die Spuren des Grizzly gesehen?«

»Sogar mehrerer Grizzlies!«

»Auch die Bären selber?«

»Ja.«

»Doch ohne mit ihnen zu kämpfen?«

»Ich kenne keinen Grizzly, welcher nicht sein Leben lassen mußte, nachdem er so unvorsichtig gewesen war, sich von mir sehen zu lassen!«

»Du bist aber nicht verwundet!«

»Ich habe noch nie einem Bären erlaubt, mich zu berühren. Wozu habe ich mein Gewehr?«

»So bist du Sieger gewesen?«

»Ja.«

»Aber ich sehe kein Fell!«

»Fell? Du sprichst nur von einem! Hast du vergessen, was mir aufgetragen worden ist! Habe ich nicht vier Felle bringen sollen?«

»Uff! Du redest sehr stolz!«

»Ich rede nur so, wie ich darf!«

»Hast du denn vier Felle?«

»Ja.«

»Das ist nicht wahr; das ist nicht möglich; das kann man nicht glauben!«

»Was Old Surehand sagt, ist immer wahr!«

»Wie hättest du die Felle tragen können! Vier Felle von grauen Bären sind so schwer, daß kein einzelner Mann sie schleppen kann!«

»Die Söhne der Utahs scheinen sehr schwache Leute zu sein.«

»Uff! Du hast kein einziges Fell. Du weißt, daß du verloren bist, und willst uns in Zorn und Aerger versetzen!«

»Schicke vier Krieger vierzig Schritte weit hier an dem Rande des Waldes hin; sie mögen bringen, was sie dort finden werden!«

»Uff, uff! Meinst du, daß wir mit uns scherzen lassen?«

»Ich spreche im Ernste!«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Uff! Ich sage dir: Ich habe dir zwei Tage Zeit gegeben, heut und morgen. Wenn du glaubst, scherzen zu können, strafe ich dich dadurch, daß ich aus den zwei Tagen nur einen mache; du mußt also heute noch sterben!«

»Mach nicht so viel Worte, sondern sende hin!«

»Uff! Dieses Bleichgesicht muß während dieses Tages wahnsinnig geworden sein!«

Er konnte den Worten Old Surehands absolut keinen Glauben schenken und fragte ihn noch einmal, erhielt aber die bestimmte Antwort:

»Ihr sollt mich sofort töten, wenn ich mit euch im Scherz gesprochen habe!«

Nun endlich schickte er vier Männer fort. Er und die andern warteten mit größter Spannung, keiner sprach ein Wort. Da erklangen laute Ausrufe der Verwunderung, ein sicheres Zeichen, daß die Roten ihren Weg nicht umsonst gemacht hatten. Die Utahs, welche sich vorhin alle niedergesetzt hatten, sprangen jetzt abermals auf und blickten erwartungsvoll nach der Gegend hin, aus welcher ihre vier Kameraden kommen mußten. Sie kamen, und jeder von ihnen brachte ein Grizzlyfell getragen, welches er am Feuer niederlegte.

Jetzt hatten wir das Vergnügen, eine sich vor Erstaunen fast wie toll gebärdende Indianerschar zu sehen und zu hören. Das von ihnen für vollständig unmöglich Gehaltene war nicht nur möglich, sondern wirklich geworden. Die Felle wurden hin und her gezerrt und sehr eingehend betrachtet. Die größte Bewunderung erregte der Pelz des alten Vater Ephraim, den wir in der Schlucht erlegt hatten. Man suchte vergeblich nach dem Kugelloche, und als man schließlich die zwei hart aneinander liegenden Stiche sah und zur Erkenntnis kam, daß er nicht erschossen, sondern erstochen worden war, legte sich der vielstimmige Lärm, und es trat eine um so auffälligere Stille ein, während welcher alle Augen groß und staunend auf den weißen Jäger gerichtet waren.

Bei den Indianern gilt die Erlegung eines grauen Bären für die größte Heldenthat. Wer einen Grizzly ohne Hilfe anderer getötet hat, wird bis an seinen Tod und noch darüber hinaus gefeiert und hat nach dem Häuptlinge die erste Stimme in der Versammlung der alten Krieger, mag er auch noch so jung sein. Da die Capote-Utahs bekanntlich sich nicht durch hervorragend kriegerische Eigenschaften auszeichnen, mußte der Sieg über einen Grizzly bei ihnen noch viel höher geschätzt werden als bei andern, sich durch größere Tapferkeit auszeichnenden Stämmen. Und nun lagen gar vier Felle hier anstatt eines einzelnen! Und unter diesen gab es die Haut eines wahrhaft riesigen Tieres, welches mit dem Messer erlegt worden war! Kein einziger der Capote-Utahs hätte gewagt, mit dem bloßen Messer auf einen viel, viel kleineren grauen Bären loszugehen! Daher die plötzlich eingetretene Stille, während welcher aller dreiundfünfzig Augen auf Old Surehand gerichtet waren.

Dieser that, als sehe er das gar nicht, zog ein Stück gebratenes Fleisch aus der Tasche und begann, es zu verzehren. Da fragte der Häuptling:

»Ist dieses Fleisch von einem dieser Bären?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Zum Braten muß man Feuer haben!«

»Natürlich!«

»Wir haben alle Taschen Old Surehands leer gemacht; er hat weder Punks[44] noch etwas anderes, womit man ein Feuer anzünden kann!«

»Auch das ist richtig!«

»Und doch hat er ein Feuer gehabt?«

»Ja.«

»Wie hat er es anbrennen können?«

Tusahga Saritsch war mißtrauisch geworden. Old Surehand antwortete:

»Die roten Männer kennen nicht die Wissenschaften der Bleichgesichter. Der Weiße braucht weder Punks noch Hölzer mit Schwefel. Hat Tusahga Saritsch noch nicht gehört, daß man mit Stahl und Stein Feuer machen kann?«

»Das weiß ich.«

»Nun, Stahl ist meine Messerklinge, und Feuerstein habe ich unten bei den Felsen gefunden. Zunder steckt in jedem hohlen Baume genug.«

»Uff! Das ist wahr! Schon dachte ich, Old Surehand habe andere Leute gefunden, Bleichgesichter, welche ihm Feuer gegeben haben. Aber die Bleichgesichter haben nicht den Mut, das »Bärenthal« zu betreten!«

»Das ist eine Unwahrheit. Den Indianern aber fehlt dieser Mut!«

»Willst du mich wieder beleidigen?!«

»Pshaw! Bin ich unten gewesen, oder habt ihr es gewagt, hinabzusteigen? Bin ich ein Indianer, und seid ihr Weiße? Wer hat den Mut besessen, ich oder ihr, die ihr über fünfzig seid, und ich bin allein?«

»Schweig! Das Urteil, hinunter zu gehen, hat dich getroffen, aber nicht uns. Wir haben keinen Grund, dahin zu gehen, wohin wir nicht zu gehen brauchen. Wie hast du es angefangen, vier Bären zu finden?«

»Ich habe Augen!«

»Und sie zu erlegen?«

»Ich habe ein Gewehr und ein Messer!«

»Und die schweren Felle hier heraufzutragen?«

»Ich habe Schultern und Arme!«

»Aber kein Mensch kann diese vier schweren Felle tragen.«

»Auf einmal nicht. Wer hat denn behauptet, daß ich das gethan habe?«

»Konntest du es anders machen?«

»Natürlich! Kann ich sie nicht einzeln heraufschaffen?«

»Uff! Das ist wahr. Wir werden sehen, ob du morgen noch einen Bär erlegst!«

»Noch einen? Wer verlangt das?«

»Ich.«

»Warum?«

»Es ist ein sehr kleiner dabei; der gilt nichts!«

»Desto größer ist der alte Grizzly gewesen.«

»Das gilt nichts, daß er größer ist. Bär ist Bär!«

»Da bin ich einverstanden. Bär ist Bär; auch der kleine war ein Bär und hat also als ein Bär zu gelten. Ich habe vier Felle gebracht!«

»Darüber habe ich allein zu bestimmen, nicht aber du! Schweig also!«

Mit diesen Worten leitete er, ohne zu ahnen, eine Entscheidung ein, die ihn noch mehr in Aufregung bringen mußte, als der Anblick der Bärenfelle. Old Surehand antwortete ihm im ruhigsten Tone:

»Meinst du wirklich, daß Old Surehand der Mann ist, welchem du Schweigen gebieten darfst, wenn er sprechen will? Ich rede, wenn ich will, und ich thue, was ich will. Du hast mir nichts zu befehlen!«

»Nicht? Bist du nicht mein Gefangener?«

»Nein!«

»Uff! Du denkst, weil du dein Gewehr und dein Messer noch hast!«

»Pshaw!«

»Grad daß ich dir beides noch nicht habe nehmen lassen, muß dir sagen, daß wir dich fest in den Händen haben. Ich werde dich wieder binden lassen.«

»Das wirst du nicht thun!«

»Wer soll mich hindern?«

»Ich! Ich habe gethan, was du von mir gefordert hast, und bin nun frei!«

»Noch lange nicht! Dieser kleine Bär gilt nichts. Und wenn ich ihn gelten lassen wollte, hättest du doch nur dein Leben gerettet!«

»Auch die Freiheit!«

»Nein! Willst du mit uns ziehen und dir eine Squaw bei uns nehmen?«

»Nein!«

»So bleibst du gefangen!«

»Es wundert mich, daß du in dieser Weise mit mir zu sprechen wagst. Wer furchtlos in das Kui-erant-yuaw hinabgestiegen ist und vier graue Bärenfelle mitgebracht hat, fürchtet sich vor keinem roten Manne!«

»Ich werde dir beweisen, daß du dich dennoch vor mir fürchtest!«

»Möchte wissen, wie du das anfangen wolltest! Ihr habt mir für die Felle zwar nur das Leben versprochen; das ist wahr; aber ich habe mir mit ihnen auch die Freiheit mit aus dem Thale heraufgeholt.«

»Sprich deutlicher, wenn mein Ohr deine Worte verstehen soll.«

»Gut, ich will deutlich sprechen! Ich gebe euch die Wahl, Old Surehand entweder als Freund oder als Feind zu haben. Du sollst darüber entscheiden.«

»Wir fürchten deine Feindschaft nicht!«

»Warte nur noch kurze Zeit, so wirst du anders reden! Mein Leben habe ich mir erkauft; ich brauch nun meine Freiheit dazu. Giebst du sie mir jetzt freiwillig, so werde ich stets der Freund deines Stammes sein; verweigerst du sie mir aber, so wirst du es bitter bereuen!«

»Ich verweigere sie! Das ist meine Antwort. Poche nicht auf dein Messer und auf dein Gewehr! Es ist nicht die Zauberflinte Old Shatterhands, der immerfort schießen kann, ohne laden zu müssen, und gegen den darum fünfzig und hundert Krieger nicht aufkommen können.«

»So glaubst du also doch, daß dieses Gewehr euern Waffen überlegen ist?«

»Ich glaube es, und jeder Krieger muß es glauben.«

»Hast du dieses Gewehr einmal gesehen?«

 

»Nein.«

»So wünsche auch nicht, es zu sehen.«

»Warum nicht?«

»Weil seine Mündung auf dich und deine Krieger gerichtet sein und jedem von euch den augenblicklichen Tod geben würde, der es wagte, dem Willen Old Shatterhands zu widerstehen.«

»Uff! Was weißt du von diesem seinem Willen!«

»Ich kenne ihn. Old Shatterhand will, daß ich frei sei!«

»Hat er dir das gesagt?«

»Ja. Er und Winnetou wissen, daß ihr mich durch einen hinterlistigen Ueberfall gefangen habt; sie werden dir gebieten, mich freizugeben.«

»Du sprichst im Traume!«

»Ich rede von der Wirklichkeit. Wende den Kopf nach deiner linken Seite.«

Wir hatten Old Surehand keine speziellen Verhaltungsmaßregeln erteilt und mit ihm nicht verabredet, was er thun und sprechen solle. Sein und unser Verhalten mußte, sozusagen, extemporiert werden. Ich und Winnetou ließen uns seine an den Häuptling gerichtete Aufforderung als Stichwort dienen und richteten uns empor. Indem ich den Stutzen auf Tusahga Saritsch anlegte, trat Winnetou furchtlos, als ob er sich bei den besten Freunden befinde, zu ihm hin, hielt ihm sein silberbeschlagenes Gewehr vor das Gesicht und fragte:

»Du wirst mir sagen können, was dies für eine Büchse ist. Wie nennt man sie?«

Jetzt zeigte es sich wieder einmal, welchen Eindruck die herrliche Erscheinung und das stolze, selbstbewußte Auftreten des Apatschen hervorzubringen pflegte. Aller Augen waren auf ihn gerichtet. Niemand wagte es, nach den Waffen zu greifen. So überrascht, ja erschrocken die Utahs über unser plötzliches Erscheinen waren, sie vergaßen es ganz, demselben Ausdruck zu verleihen. Auch ihr Häuptling vergaß, vom Boden aufzuspringen. Die Augen auf das Gewehr gerichtet, antwortete er beinahe stotternd:

Das – – das – – uff – – das ist die Silberbüchse Winnetous!« »Ja, ich bin Winnetou, der Häuptling der Apatschen. Und da steht mein weißer Bruder Old Shatterhand mit seiner Zauberflinte, und hinter ihm erblickst du noch mehrere Häuptlinge roter Stämme und tapfere Krieger der Bleichgesichter, welche ihre Gewehre alle auf euch richten. Sag deinen Kriegern, daß sie ja keine Hand und keinen Fuß bewegen sollen, denn wer es wagt, dies zu thun, der bekommt augenblicklich eine Kugel in den Kopf!«

Es war für uns eine wahre Wonne, die Wirkung dieser Worte zu beobachten. Kein Indianer machte die geringste Bewegung; sie standen wie die Statuen. Ihr Häuptling betrachtete mich mit angstvollen Augen und antwortete dem Apatschen in bittendem Tone:

»Ich sehe, daß du Winnetou bist, und glaube auch, daß das Bleichgesicht dort Old Shatterhand ist. Ich mag sein Zaubergewehr nicht auf mich gerichtet haben. Sag ihm, daß er es senken möge!«

»Old Shatterhand thut, was er will; er nimmt keinen Befehl eines andern an, auch nicht von mir, der ich sein Freund und Bruder bin.«

»So bitte ihn!«

»Auch darauf hört er nicht. Er ist nur dann bereit, eine Bitte zu erfüllen, wenn sie aus dem Munde seines Bruders Old Surehand kommt.«

Da wendete sich Tusahga Saritsch an seinen bisherigen Gefangenen:

»So bitte du Old Shatterhand, das Zaubergewehr nicht länger auf mich zu richten.«

Jetzt fühlte sich Old Surehand im richtigen Fahrwasser; er antwortete:

»Ich werde diese Bitte nur dann aussprechen, wenn du meine Wünsche schnell und ohne allen Widerspruch erfüllst!«

»Was wünschest du?«

»Bin ich frei?«

»Nein!«

»Pshaw! Old Shatterhand braucht nur den Drücker zu bewegen, so bist zu eine Leiche. Ich bin schon frei. Niemand kann mich festhalten. Dennoch frage ich, um dir Gelegenheit zu geben, deinen guten Willen zu zeigen. Also sag: Bin ich frei?«

»Wie kann ich dich freigeben? Du hast zwei unserer Krieger getötet!«

Da sagte Winnetou:

»Der Häuptling der Capote-Utahs will nicht einsehen, wer hier zu befehlen und wer zu gehorchen hat. Was sind das für Riemen, welche ich hier zu den Füßen meines Bruders Surehand liegen sehe?«

»Es sind die, mit denen ich bis heut früh gefesselt war,« antwortete der Genannte.

»Heb sie auf und binde damit Tusahga Saritsch die Arme und die Füße!«

Der Häuptling wollte aufspringen; da ließ ich den noch unaufgezogenen Hahn knacken.

»Halt! Still!« warnte ihn Winnetou. »Noch eine solche Bewegung, so trifft dich die Kugel! Hört, alle ihr Männer vom Stamme der Utah: Von den Worten, die ich euch jetzt sage, geht kein Laut und keine Silbe ab. Ihr seid unsere Gefangenen, legt eure Waffen ab und laßt euch von uns binden. Morgen früh erhaltet ihr die Waffen und die Freiheit wieder und könnt gehen, wohin ihr wollt. Wer sich das nicht gefallen lassen will, der hebe seine Hand empor; aber wer sie emporhebt, der bekommt sofort die Kugel in den Kopf!«

Es gab natürlich keine Hand, welche in die Höhe gehalten wurde.

»Ihr habt unsern Freund und Bruder Surehand gebunden mit euch herumgeschleppt; ihr habt ihm die Wahl zwischen dem Tode und dem Kampfe mit den Bären gelassen; das muß gesühnt werden. Wir legen euch eine milde, eine geringe Sühne auf, ihr sollt dafür eine Nacht gefangen sein. Morgen früh seid ihr alle wieder frei. Wer darauf eingeht, der handelt klug; wer unsere Güte von sich weist, dem kostet es das Leben. Winnetou hat gesprochen. Howgh!«

Es ließ sich nicht ein einziges Wort des Widerspruches hören, und so sagte ich:

»Auch ich, Old Shatterhand, gebe den Kriegern der Capote-Utah mein Wort, daß sie morgen früh wieder frei sein werden, wenn sie sich jetzt binden lassen. Der Häuptling soll der erste sein, der die Riemen bekommt. Dick Hammerdull und Pitt Holbers, ihr beide versteht euch auf dieses Geschäft! Auch ich habe jetzt gesprochen. Howgh!«

Es ist etwas ganz eigenes um die fast unausbleibliche Wirkung, welche so ein ruhiges, festes und selbstbewußtes Auftreten auf Leute, wie die Utahs waren, hervorbringt. Der Ruf, in welchem wir standen und die Furcht vor meinem vermeintlichen Zaubergewehre hatten wohl auch ihren Anteil daran, aber das Aeußere besonders des Apatschen und die Art und Weise, wie er sich gab und wie er sprach, brachten auch hier das hervor, was er beabsichtigte: Der Häuptling wehrte sich nicht, als ihm die Riemen angelegt wurden, und seine Untergebenen konnten nicht anders, als diesem Beispiele folgen. Erst als der letzte gefesselt war, ließ ich den Stutzen sinken. Die Arme thaten mir weh.

Das nächste war, daß sich Old Surehand in den Wiederbesitz seines Eigentumes setzte; es war nichts davon abhanden gekommen, ein Umstand, der ihn versöhnlich stimmte. Er erklärte uns also:

»Eigentlich haben diese Indianer einen Denkzettel verdient, denn es ist nicht angenehm, mehrere Tage lang als Gefangener umhergeschleppt zu werden. Daß ich ihnen zwei Leute erschossen habe, dürfen sie mir nicht anrechnen, weil ich mich meines Lebens wehren mußte; also wäre ich jetzt eigentlich noch nicht quitt mit ihnen, sondern hätte einen Betrag heraus zu bekommen; aber da sie die Ursache sind, daß ich euch hier getroffen habe, will ich meine Rechnung durchstreichen und dareinstimmen, daß sie morgen ihre Wege ziehen können. Die Bärenfelle aber bekommen sie natürlich nicht!«

»Das fehlte noch!« stimmte Dick Hammerdull bei. »Wer einen Bärenpelz haben will, mag mit dem Kerl, welcher naturgemäß hineingewachsen ist, selber reden. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Hm!« brummte der Lange. »In was für ein Fell bist denn du eigentlich hineingewachsen, lieber Dick?«

»In das deinige natürlich nicht! Fang nicht etwa schon wieder an, mich zu molestieren! Seit Mr. Shatterhand heutnacht mein Leibschneider geworden ist, halte ich auf Reputation und Ehre und laß mich von dir nicht schikanieren. Aber, Mesch‘schurs, wer soll die schweren Felle bis so weit hinauf in das Gebirge schleppen? Das ist doch eine unbequeme Plackerei!«

»Meine Brüder werden auf die Felle verzichten und nur die Trophäen behalten,« antwortete Winnetou. »Das ist genug.«

Er meinte die Zähne, Krallen und Ohren der Bären, welche der Jäger als Siegeszeichen um den Hals oder am Hute zu tragen pflegt. Ich muß erwähnen, daß wir den Tieren die Zähne mit Hilfe der Tomahawks und Messer ausgebrochen hatten. Nun fragte es sich, wer diese Trophäen bekommen sollte. Old Surehand hatte den vierten Bären erlegt, weigerte sich aber, etwas von ihm anzunehmen, und begründete diese Weigerung mit den Worten:

»Die zwei Kugeln, welche er von mir bekommen hat, zählen nicht. Old Shatterhand hat ihm den ersten Schuß gegeben; dieser gilt!«

Natürlich ging ich nicht auf diesen Verzicht ein, und er mußte sich in meinen Willen fügen. Dieser Bär gehörte ihm. Dann handelte es sich um die Bärin, deren Fell und Zähne mir zugesprochen wurden. In Beziehung auf den alten starken Vater Ephraim wollte Winnetou geltend machen, daß er durch den zweiten, also durch meinen Messerstich erlegt worden sei; es entspann sich also ein Wettstreit zwischen ihm und mir, aus welchem ich als Sieger hervorging; der Grizzly wurde als von ihm getötet betrachtet; er fügte sich mit den Worten:

44Prairiefeuerzeug.