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Old Surehand III

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»Mein Bruder Old Surehand soll den Utahs vier Häute bringen?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Hier liegen schon zwei davon.«

»Wer hat die Bären erlegt?«

»Old Shatterhand den großen und Apanatschka den kleinen.«

»Die gelten nichts; ich selbst muß sie töten.«

Da fragte ich ihn:

»Hat das der Häuptling der Utahs ausdrücklich von Euch verlangt?«

»Nein, ausdrücklich nicht.«

»So braucht Ihr Euch keine Skrupel zu machen.«

»Oh doch! Der Häuptling konnte nicht wissen, daß ich solche Helfer hier treffen würde. Er hat jedenfalls angenommen und auch gemeint, daß ich nur Felle von Bären bringen kann, die ich selbst getötet habe.«

»Was er im stillen gemeint oder angenommen hat, geht uns nichts an. Ihr habt Euch nach dem zu halten, was gesprochen worden ist.«

»Gesagt wurde allerdings bloß, daß ich vier Felle zu bringen habe.«

»So bringt sie ihm! Zwei werden sich wohl noch finden, denke ich.«

»Dieses kleine wird Tusahga Saritsch wohl nicht gelten lassen!«

»Warum?«

»Weil es von einem jungen Bären ist.«

»Es ist ein Fell, ein ganzes, ungeteiltes Fell, an welchem nichts fehlt, was dazu gehört. Er wird es gelten lassen müssen.«

»Und wenn er es doch nicht thut?«

»So werden wir ihn zwingen. Haltet Ihr es für ein Bärenfell?«

»Natürlich!«

»So ist‘s ja gut! Es handelt sich um Euer Wort, und bei der Einlösung desselben kommt es nicht darauf an, was die Utahs denken, sondern darauf, ob Ihr selbst der Ansicht seid, Euer Wort gehalten zu haben.«

»Das habe ich, wenn ich vier Felle bringe, gleichviel, wer die Tiere erlegt hat. Ich gebe Euch recht, daß ich mich nur nach dem Wortlaut zu richten habe.«

»Und nicht einmal das! Es giebt noch eine andere Anschauung der Sache.«

»Welche?«

»Daß Ihr gar keine Pelze zu bringen braucht.«

»Hm!«

»Ja; das ist doch leicht einzusehen. Was soll geschehen, wenn Ihr kein Fell bringt?«

»Ich soll erschossen werden.«

»So bringt doch keins! Wir werden dafür sorgen, daß man Euch nicht erschießt.«

»Das ist freilich richtig. Aber wenn Ihr in dem betreffenden Augenblicke nicht zur Hand seid, so bin ich verloren, Mr. Shatterhand!«

»Wir werden schon dafür sorgen, daß wir zur Hand sind. Ihr braucht nur nicht eher zurückzukehren, als bis wir bereitstehen. Gebt Euch diesen Roten gegenüber nur nicht mit überflüssigen Bedenklichkeiten ab! Was haben sie denn Euch versprochen? Wenn Ihr Euer Leben viermal wagt und vier Grizzlys tötet, erhaltet Ihr nur das Leben, die Freiheit aber nicht. Ist das gerecht?«

»Allerdings nicht!«

»Ihr habt weiter nichts versprochen, als zurückzukehren. Dieses Wort müßt Ihr halten, wie auch ich es halten würde. Mehr verlangen kann man und könnt auch Ihr selbst von Euch nicht. Es ist überhaupt jetzt nicht Zeit, uns mit diesen überflüssigen Dingen abzugeben. Ich bin überzeugt, daß es etwas giebt, was viel nötiger für Euch ist.«

»Was?«

»Das Essen.«

»Da habt Ihr freilich recht,« antwortete er lächelnd. »Die Roten haben mich sehr kurz gehalten und mir in drei Tagen keinen Bissen gegeben.«

»So eßt Euch zunächst tüchtig satt! Das Weitere wird sich finden.«

Er bekam vorgelegt und aß mit einem Appetite, welcher allerdings auf ein dreitägiges Fasten schließen ließ. Ich hatte ihn dabei absichtlich so plaziert, daß ich den Gefährten, ohne daß er es hörte, eine Bemerkung zuflüstern konnte, die ich ihnen eigentlich schon hätte machen müssen, ehe ich fortritt, ihn zu holen. Ich sagte ihnen nämlich, daß sie die Worte Tibo taka, Tibo wete, Wawa Derrick und Myrtlewreath ja nicht gegen ihn aussprechen sollten. Ich hatte meine Gründe dazu. Als ich diese Aufforderung auch an Apanatschka richtete, sah er mir mit einem ganz eigentümlichen, träumerisch forschenden Blicke in das Gesicht, sagte aber nichts. Ging ihm jetzt vielleicht eine Ahnung dessen auf, was ich ganz allein zu wissen glaubte? Unmöglich war dies ja nicht!

Wir hatten die Pferde jetzt freigelassen. Sie grasten am Wasser, und wir lagerten uns draußen vor den Felsen, um sie im Auge zu haben und vorkommenden Falles mit unsern Gewehren beschützen zu können. Nun wurde erzählt, persönliche Erlebnisse von den Anwesenden und Ereignisse, die uns alle interessierten, aber nichts, was für die Entwickelung der gegenwärtigen Verhältnisse von Bedeutung war, ausgenommen den Bericht Old Surehands, wie er in die Hände der Utahs gefallen war.

Er hatte den ganzen, weiten Ritt allein gemacht und heut vor vier Tagen an einer Quelle gelagert, in deren Umgebung keine Menschenspur zu finden gewesen war. Sich darum sicher fühlend, war er eingeschlummert, aber plötzlich von zwei Roten, einem alten und einem jungen, die mit gezückten Messern neben ihm knieten, aufgeweckt worden. Er hatte, sie auf die Seiten werfend, sich emporgeschnellt und den Revolver gezogen; sie waren trotzdem wieder mit den Messern auf ihn eingedrungen, und so hatte er, um sich zu retten, sie niederschießen müssen. Im nächsten Augenblicke aber war er von fünfzig weiteren Roten umgeben gewesen, welche ihn so umdrängten, daß er sich trotz seiner bedeutenden Körperkraft nicht wehren konnte. Der Revolver war ihm entrissen und er selbst dann niedergerungen und gebunden worden. Das weitere zu erzählen, war nicht notwendig, wir hatten es gestern droben im Lager der Utahs belauscht.

Während dieser Unterhaltung verging die Zeit. Es wurde Mittag, und kurze Zeit darauf kam der Apatsche geritten. Er sprang vom Pferde und fragte mich:

»Hat unser Bruder Surehand alles erfahren, was er für jetzt wissen muß?«

»Ja alles,« antwortete ich.

»Will er diese zwei Bärenfelle nehmen?«

»Ja.«

»Wir werden noch zwei andere holen. Jetzt mögen mich meine Brüder Old Shatterhand und Apanatschka begleiten.«

»Wohin?«

»Das Lager des Bären zu finden, dessen Spur wir gestern gesehen haben.«

Da fragte Dick Hammerdull schnell:

»Und ich soll nicht mit?«

»Nein.«

»Warum?«

»Die Schlucht ist eng, und überflüssige Männer würden nur im Wege sein.«

»Dick Hammerdull ist niemals im Wege! Haltet Ihr mich für einen unnützen Kerl oder für einen Feigling, welcher die Flucht ergreift, sobald er nur die Nase eines Bären zu sehen bekommt?«

»Nein; aber Dick Hammerdull besitzt zuviel Mut; er kann uns durch seine übergroße Tapferkeit leicht viel Schaden machen. Das Baby der alten Bärin hat ihm eine sehr gute Lehre gegeben.«

»Ob Lehre oder ob nicht Lehre, das bleibt sich gleich, das ist sogar ganz egal; ich verspreche aber, daß ich sie sehr beherzigen werde!«

Der kleine Kerl bat so eindringlich, daß Winnetou sich zu der Entscheidung erweichen ließ:

»So mag mein dicker Bruder mitgehen; aber wenn er einen Fehler macht oder mir nicht gehorcht, nehme ich ihn nie wieder mit!«

Holbers und Treskow fühlten sich dadurch, daß sie bleiben sollten, nicht beleidigt. Schahko Matto aber fragte mißmutig:

»Glaubt Winnetou, daß der Häuptling der Osagen ganz plötzlich ein unbrauchbarer Krieger geworden ist?«

»Nein. Weiß Schahko Matto nicht, warum ich ihn hier lasse? Wer schützt unsere Pferde, wenn während unserer Abwesenheit ein Bär erscheint oder vielleicht menschliche Feinde kommen?«

Auf Holbers oder gar Treskow war da allerdings kein Verlaß. Der Osage fühlte sich gehoben und antwortete in stolzem Tone:

»Den Pferden wird nichts geschehen. Meine Brüder können ohne Sorge sein!«

Wir fünf nahmen also unsere Gewehre und gingen. Nach vielleicht zehn Minuten erreichten wir die Schlucht und drangen in dieselbe ein. Aufwärts steigend, suchten wir jedes Geräusch zu vermeiden, und waren um so vorsichtiger, je höher wir kamen. Der kleine Dick ging als der zweite gleich hinter Winnetou; er zeigte ein höchst zuversichtliches Gesicht. Wenn es auf dieses Gesicht ankam, so rissen alle grauen, schwarzen, braunen und sonstigen Bären aus!

Bei der gestrigen Stelle angelangt, wurde unser Weg eine Strecke auf- und eine Strecke abwärts sehr genau untersucht. Es war nichts zu sehen; der Bär war nicht herübergewechselt. Nun ging es über den Spring und die felsige Steilung hinauf, Winnetou voran und Hammerdull noch immer als der zweite hinter ihm her. Wir trafen auf die Gänge, welche wir schon gestern gesehen hatten. Diese Gänge vereinigten sich zu einem ausgetretenen Bärenpfade, welcher um eine scharfe Felsenecke führte. Winnetou passierte sie nicht sofort. Er schob den Kopf nur so weit vor, daß er mit einem Auge nach jenseits schauen konnte. Er blieb unbeweglich stehen und winkte mit zurückgestreckter Hand uns tiefste Geräuschlosigkeit zu. Ich war überzeugt, daß er den Bären sah. Als er sich dann wieder zu uns wendete, strahlte sein ganzes Angesicht.

Er nahm Hammerdull bei den Schultern und schob ihn, ohne ein Wort zu sagen, ganz leise, leise, langsam an die Ecke und ließ ihn vorsichtig um dieselbe schauen. Der Kleine zog schon im nächsten Augenblicke den Kopf zurück und schob sich rasch an mir und den andern vorüber, bis er an letzte Stelle kam. Er war leichenblaß geworden! Nun lugte auch ich um die Kante. Da sah ich freilich, daß es keine Schande für Hammerdull war, blaß geworden zu sein! Zwischen dem Felsen und dichtem Gedorn führte ein hartgetretener Sohlengang nach einer Stelle, wo das Gestein eine massive Hinterwand und ein weit überhängendes Dach bildete. Dort lag, vor Wind und Regen geschützt, auf zusammengescharrter Erde, Gras und Zweiggehäuf der König der grauen Bären. Ja, diesen Namen verdiente er, denn von dieser Größe hatte ich noch keinen je gesehen. Dieser alte Vater Ephraim war sicherlich seine vierzig Jahre alt; das bezeugte der Pelz, der ein noch viel älteres Aussehen hatte. Dieser Leib, dieser Kopf und diese Glieder! Wenn ich der stärkste Büffel gewesen wäre, ich hätte vor ihm die Flucht ergriffen. Er schlief. Wie mußte dieser Koloß erst aussehen, wenn er sich aufrichtete! Es war gewiß zum Zittern!

 

Ich trat wieder zurück und ließ auch die andern sich an der männlichen Schönheit und dem herrlichen Profile dieses sohlengängerischen Adonis ergötzen. Dann traten wir zusammen, um zu beraten. Old Surehand und Apanatschka machten ihre Vorschläge; Hammerdull hüllte sich in mutiges Schweigen. Winnetou senkte seinen Blick mit jenem unbeschreiblichen Ausdrucke, der mir unvergeßlich ist, in meine Augen und fragte mich:

»Hat mein Bruder Shatterhand noch das alte Vertrauen zu mir?«

Ich nickte, obgleich ich nun wußte, was er vorhatte.

»Zu mir, zu meiner Hand und meinem Messer?« fragte er wieder.

»Ja.«

»Will er mir sein Leben anvertrauen?«

»Ja.«

Ich hätte nicht Nein gesagt, auch wenn mir bange gewesen wäre, denn Winnetou hätte sich mir auch unbedenklich anvertraut.

»Meine Brüder mögen kommen!«

Er führte uns zurück nach einem dichten Busche. Dort blieb er stehen und sagte:

»Hinter diesem Strauch verstecke ich mich. Old Shatterhand wird mir den Bären bringen und ihn hier vorüberführen. Meine andern Brüder mögen sich da drüben hinter jene Steine niederkauern und aufpassen, was dann geschieht! Old Shatterhand und Winnetou sind eins. Beide haben einen Leib, eine Seele und auch nur ein Leben. Das seinige gehört mir und das meinige ihm. Howgh!«

»Was wollt Ihr thun?« fragte Old Surehand besorgt.

»Nichts, was Euch erschrecken könnte,« antwortete ich ihm.

»Ich ahne, daß Ihr Euch in eine große Gefahr begeben wollt!«

»Es ist keine, denn ich kenne meinen Winnetou. Thut also getrost, was er Euch geboten hat, und nehmt meine Gewehre mit!«

»Was? Wie? Ihr wollt Euch wehrlos machen?!«

»Nein. Wehrlos werde ich ganz und gar nicht sein. Geht nur – geht!«

Sie begaben sich nach den Steinen und duckten sich dort nieder. Winnetou nahm sein Messer in die linke Hand und kroch hinter den Busch, so daß er nicht zu sehen war. Er flüsterte mir, falls ich ja noch bedenklich sein sollte, beruhigend zu:

»Der Wind ist unser Verbündeter, und wenn der Bär mich ja entdecken Sollte, hast du den ersten Stich!«

Mir war gar nicht bange. Eine unbekannte Gefahr kann einen beunruhigen; sobald man sie aber kennt und nahe vor sich sieht, ist diese Unruhe vorüber. Ich zog mein Messer auch mit der linken Hand und huschte an die Felsenkante zurück. Als ich um dieselbe blickte, lag der Bär noch genau so wie vorher. Wahrscheinlich hatte er in der Nacht reichlich gefressen und schlief nun um so besser. Ich wußte, daß dies vor seinem Tode der letzte Schlaf sein werde, hob einen Stein auf, trat um die Ecke und warf nach ihm. Er wurde getroffen und hob den Kopf. Die kleinen, giftigen Augen erfaßten mich, und er stand, ohne sich einmal zu dehnen und zu strecken, mit einer Schnelligkeit auf, in welcher ihn gewiß kein Tiger oder Panther übertroffen hätte. Ich huschte um die Ecke zurück und schritt, den Blick auf sie gerichtet, rückwärts dem Busche zu, hinter weichem der Apatsche steckte. Jetzt erschien der Bär, und nun galt es freilich das Leben. Wenn ich strauchelte und stürzte, war ich sicher verloren.

Das Kunststück bestand darin, den Bären an Winnetou vorüber zu locken und ihn dann zum Stehen zu bringen, um dem Apatschen einen sichern Stoß zu bieten. Mit jener schwerfällig erscheinenden Leichtigkeit, welche außer dem Bären noch dem Elefanten eigen ist, folgte er mir, langsam und überlegend, wie es schien, in Wahrheit aber sehr schnell und entschlossen. Er sah niemanden als mich und kam mir immer näher. Das wollte ich. Als ich den Busch erreichte, war er nur noch acht Schritte entfernt. Ich retirierte schneller; jetzt war er am Busche. Noch einen Schritt weiter, und wenn ich ihn nun nicht zum Stehen brachte, war es mit mir aus! Den riesigen Tatzen dieses Ungeheuers konnte kein Geschöpf der Erde widerstehen. An Stärke übertraf es sicher weit den Löwen.

Also entweder – oder! Ich sprang zwei Schritte vor und hob den Arm. Schon war Winnetou hinter dem Busche hervorgetreten und stand mit gezücktem Messer hinter dem Bären. Dieser hielt bei meiner scheinbaren Angriffsbewegung inne und richtete sich auf, kopfshöher noch als ich. In diesem Augenblicke stieß der Apatsche zu, nicht hastig schnell, sondern mit der raschen Bedächtigkeit, welche geboten war, wenn er richtig treffen wollte, nämlich zwischen die zwei bekannten Rippen in das Herz. Die Klinge war bis an das Heft hineingefahren; er ließ sie nicht stecken, sondern zog sie schnell wieder heraus, um nicht ohne Waffe zu sein.

Das Ungetüm wankte, als ob es stürzen wolle, drehte sich aber ganz unerwartet im Nu um und streckte die Pranken nach Winnetou aus, der kaum Zeit fand, zurückzuspringen. Jetzt war sein Leben in Gefahr, nicht mehr das meinige. Ich stand sofort hinter dem Bären, holte aus und stach zu, sprang aber augenblicklich, das Messer stecken lassend, wieder zurück. Jetzt gab es kein Biegen und kein Wanken; der alte »Ephraim« stand unbeweglich still; nicht einmal der Kopf veränderte seine Stellung. Das dauerte zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Sekunden; dann brach er, wie von einem unsichtbaren Eisenhammer getroffen, genau auf derselben Stelle zusammen und rührte sich nicht mehr.

»Uff! Das war gut getroffen!« sagte der Apatsche, indem er mir die Hand entgegenstreckte. »Der steht gewiß nicht wieder auf!«

»Ich habe nur nachgeholfen,« antwortete ich. »Das Herz dieses Riesen muß in einem zehnfachen Beutel stecken. Es gehörte Kraft dazu, die Klinge hineinzubringen. Fast hätte er dich gehabt!«

Da lag nun die Masse Fleisch, gewiß zehn Zentner schwer! Der Kerl verbreitete einen Geruch, der jeden Appetit auf seine Tatzen vergehen ließ. Gewöhnlich riechen die katzenartigen Raubtiere viel penetranter als der Bär; dieser machte eine Ausnahme.

Jetzt kamen die Gefährten herbei. Wir streckten den Körper des Grizzly aus und konnten nun erst die erschrecklichen Formen desselben anstaunen und daran denken, was aus uns geworden wäre, wenn wir uns auf unsere Klingen nicht hätten verlassen können.

»So hatte ich mir das nicht gedacht,« sagte Old Surehand. »Bloß mit dem Messer auf so ein Untier loszugehen, heißt wirklich, Gott versuchen. Ich bin kein Schwächling und kein feiger Mensch; dies aber würde ich nicht wagen!«

»Mein Bruder irrt,« antwortete Winnetou. »Ein gutes Messer und eine sichere Hand, die sind oft besser als eine nicht ganz genau gezielte Kugel. Nicht jeder Bär ist so stark wie dieser hier!«

Apanatschka sagte nichts; er zog nur mein Messer heraus und mußte dabei solche Kraft anwenden, daß er still den Kopf schüttelte. Um so lauter war Dick Hammerdull. Er sah die Wunden an und sagte:

»Ganz eng nebeneinander! Wie weiß man denn eigentlich die Stelle, in welche man stechen muß, Mesch‘schurs?«

»Das sagt keine bestimmte Regel, sondern nur das Augenmaß,« antwortete ich. »Es ist nicht ein Bär so wie der andere gebaut, und auch die Beschaffenheit des Pelzes kann leicht verhängnisvoll werden.«

»Hm! Wenn man nun die Rippe trifft?«

»So rutscht man ab und wird dafür wahrscheinlich rasch skalpiert.«

»Danke! Da lobe ich mir doch mein Gewehr! Ja, wenn man mit der einen Hand gemächlich nach der Stelle suchen könnte, um dann mit der andern zuzustoßen! Dann möchte ich es auch versuchen.«

»Der Kampf mit einem Grizzly ist kein Schweineschlachten!«

»Das habe ich gesehen! Jetzt aber sagt, was mit diesem lieben Vater Ephraim geschehen soll?«

»Wir nehmen ihm den Pelz und lassen ihn dann liegen.«

»Kein Fleisch?«

»Danke!«

»Warum nicht?«

»Das würde sich grade wie Sohlenleder kauen. Wir wollen uns beeilen, denn Winnetou scheint noch weitere Arbeit für uns zu haben!«

»Mein Bruder Shatterhand hat es erraten,« nickte der Apatsche.

»Giebt es noch eine Grizzlyspur?«

»Ja; aber sehr weit von hier, ganz am oberen Ende des Thales.«

»Das läßt sich denken. Die Grizzlys können doch nicht so eng beisammen wohnen wie die Biber oder Prairiehunde. Meint mein Bruder Winnetou, daß wir heut vor Nacht noch fertig werden?«

»Ich denke es; die Pferde werden uns ja rasch hinbringen.«

»Darf ich da auch wieder mit?« fragte Hammerdull.

»Nein,« antwortete ich.

»Warum nicht? Habe ich mich hier nicht gut benommen, Sir?«

»Es gab für Euch überhaupt gar nichts zu benehmen. Uebrigens war Euch, wie mir schien, der Kerl etwas zu groß gewachsen?«

»Das will ich allerdings nicht falsch ableugnen. Man läßt sich wohl einen Bären gefallen, aber so einen doch nicht! Ich habe mich auch, als ich ihn sah, sofort ins hinterste Glied gemacht. Grad und genau so bescheiden würde ich sein, wenn ich noch einmal mitthun dürfte!«

»Das geht nicht. Schahko Matto muß berücksichtigt werden. Er würde es als eine Beleidigung auffassen, wenn wir ihn wieder ausschließen wollten.«

»Ob Ihr ihn ausschließt oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn er nur mit dabei sein darf. Ich trete also gern zurück.«

»Gern oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn Ihr nur müssen müßt!« persiflierte ich ihn. »Jetzt lauft einmal zum Lager, um ein Pferd zu holen, damit nicht wir das schwere Fell zu tragen haben!«

Er folgte dieser Weisung. Als er wiederkam, brachte er seine alte Stute und auch noch Pitt Holbers mit. Weil ich ihn nicht fragte, weshalb, gab er mir selber die Erklärung:

»Hier ist das Pferd, welches Ihr haben wollt, Mr. Shatterhand!«

Pitt Holbers war nämlich mit zu uns auf den Felsen gekommen; die Stute aber stand drunten am Wege neben dem Spring. Wir waren fertig mit der Arbeit geworden, auch diesem Bären die Handschuhe, Stiefel und den Rock zu nehmen; darum gebot ich:

»Da, schafft das Fell hinüber zu dem Pferde!«

»Wie? Zu meiner Stute?« fragte Hammerdull schmunzelnd. »Die habe ich nur für mich geholt, nicht aber für das Fell.«

»Und wer soll dieses tragen?«

»Das Pferd, welches Ihr verlangt habt, Mr. Shatterhand, nämlich dieses Heupferd hier, Pitt Holbers, das alte Coon.«

Jetzt ging dem guten Pitt erst ein Licht auf, weshalb sein dicker Freund ihn mitgenommen hatte. Er fuhr ihn zornig an:

»Was fällt dir ein! Ich denke, ich soll die Ehre haben, der erste von uns sein zu dürfen, der diesen Bär zu sehen bekommt! Statt dessen spielst du schon wieder mit mir Schabernack!«

»Ereifre dich doch nicht so, lieber Pitt! Bist du denn von euch nicht der erste, der den Bär zu sehen bekommt?«

»Aber den Pelz schleppe ich nicht!«

»Gut, so will ich ein Einsehen haben, denn du hast an deiner Haut genug zu tragen. Also nur hinüber bis zum Pferd. Fass‘ an!«

Während sie sich mit der schweren Haut schleppten, gingen wir andern rascher fort. Nun erst, da sie vorüber war, stellte sich die überstandene Gefahr in ihrer ganzen Größe vor mein Auge. Ein solches Wagnis war mit keinem andern als nur mit Winnetou allein zu unternehmen. Wenn man ein solches Ungetüm in dieser Weise erlegen will, kann der geringste Mangel an Geschick und Geistesgegenwart verderblich werden; auf den Apatschen aber konnte ich mich verlassen.

Im Lager angekommen, erklärten wir Schahko Matto, daß er nun mit uns reiten solle; er fand das für ganz selbstverständlich. Treskow, Hammerdull, Holbers und Apanatschka sollten bei den Fellen bleiben. Der letzte hätte sich uns sehr gern angeschlossen, wußte aber gar wohl, warum wir ihn nicht mitnahmen; auf ihn konnten wir uns mehr verlassen als auf die andern drei zusammen.

Wir ritten also jetzt thalauf, an der Stelle vorüber, wo wir die Begegnung mit Old Surehand gehabt hatten. Winnetou hatte uns außer der Entfernung, welche wir zurücklegen sollten, keine Andeutung über das Abenteuer gegeben, welchem wir entgegengingen.

Das Thal war außerordentlich lang und wurde, je höher wir in demselben aufwärts kamen, um so schmäler. Es begegneten uns zuweilen Büffel, teils einzeln, teils in Familien, aber nicht in größern Trupps, weil die Zeit der eigentlichen Herbstwanderung noch nicht da war. Diese Tiere waren so Wenig menschenscheu, daß sie nicht etwa vor uns flohen, sondern nur zur Seite wichen. Wir schlossen daraus, daß sie während des Sommers von keinem Jäger gestört worden waren. Es gab sogar alte Stiere, welche nicht einmal zur Seite gingen, sondern uns verwundert anglotzten und höchstens herausfordernd den großen Kopf mit den starken Hörnern senkten, bis wir vorüber waren. Natürlich regte sich die Jagdlust in uns allen; wir durften ihr aber nicht folgen, Weil wir keine Zeit dazu hatten und von den Bären mehr als genug Fleisch besaßen.

Der Westmann tötet eben nie ein Tier, wenn er dessen Fleisch nicht braucht. Auch ist es nicht wahr, daß die Indianer zur Zeit der beiden Büffelwanderungen große, ganz unnötige Metzeleien unter den Bisons angestellt hätten. Der Rote wußte nur zu gut, daß er ohne diese Herden nicht leben könne, sondern zu Grunde gehen müsse, und hütete sich infolgedessen stets, mehr Fleisch zu machen, als er brauchte. Wenn der Buffalo jetzt ausgestorben ist, so trägt nur der Weiße allein die Schuld daran. Es haben sich da zum Beispiele ganze Gesellschaften von »Sauschützen« zusammengethan und Bahnzüge gemietet, welche da halten mußten, wo man in der Prairie eine Büffelherde traf. Von dem Zuge aus wurde dann aus reiner Mordlust unter die Tiere hineingeschossen, bis man die Kracherei satt bekam. Dann fuhr man weiter, um bei der nächsten Herde wieder anzuhalten. Ob die getroffenen Büffel tot oder nur verwundet waren, darnach wurde nicht gefragt. Die angeschossenen Tiere schleppten sich fort, so weit sie konnten, und brachen dann zusammen, um von den Geiern und Wölfen zerrissen zu werden. So sind Tausende und Abertausende von Bisons nur aus Blutgier niedergepafft oder todkrank geschossen worden und Millionen von Zentnern Fleisch verfaulten, ohne daß ein Mensch den geringsten Nutzen davon hatte. Ich selbst bin nicht selten an Stellen gekommen, wo solche Massakres stattgefunden hatten, und habe die bleichenden Knochen in großen Haufen beisammenliegen sehen. Nicht einmal die Felle und Hörner waren mitgenommen worden.

 

Beim Anblicke solcher Büffelleichenfelder mußte sich das Herz jedes echten Westmannes gradezu umdrehen, und was nun erst die Indianer dabei dachten und dazu sagten, das läßt sich wohl unschwer denken! Sie waren selbstverständlich der Ansicht, daß die Regierung diese niederträchtigen Metzeleien nicht nur dulde, sondern sogar begünstige, um die Ausrottung der nun dem Hunger preisgegebenen roten Rasse zu beschleunigen. Und wenn der Redman sich gegen diese Sauschießereien zu wehren versuchte, wurde er ebenso schonungslos wie die Büffel niedergeknallt.

Wo sind nun die Bisons und wo die stolzen, ritterlichen roten und weißen Jäger hin? Ich behaupte, daß es nicht einen, aber auch nicht einen einzigen jener Westmänner mehr giebt, von deren Thaten und Erlebnissen an jedem Lagerfeuer erzählt wurde. Ihre Gebeine sind zerstreut, und wenn die Hacke oder der Pflug jetzt einen halb vermoderten Schädel aus der Erde hebt, ist dieser Ort wahrscheinlich der Schauplatz eines heimtückischen Ueberfalles oder eines verzweifelten Kampfes gewesen, bei welchem, wie überall hier im blutgetränkten Westen, die erbarmungslose Gewalt das Recht vernichtete. —

Wir waren über eine Stunde, und zwar nicht langsam, geritten und hatten doch das Ende des Kui-erant-yuaw noch nicht erreicht; da hielt Winnetou sein Pferd endlich an und sagte:

»Nun nur noch zwei Minuten, so kommen wir an eine Stelle, an welcher Winnetou einen niedergeschlagenen Büffel fand. Er war von einem Grizzly geworfen worden, denn der Sieger hatte nur wenig Fleisch gefressen, sondern die Markknochen zerbrochen und ausgesaugt; das thut nur der graue Bär. Seine Spur führte nach dem Rande des Thales und ein Stück den Berg hinauf.«

»Hat Winnetou sein Lager dort entdeckt?« erkundigte sich Old Surehand.

»Nein. Ich wollte nur seine Fährte ausmachen, ihn aber nicht aufstören, damit meine Brüder auch sagen können, daß sie einen Grizzly erlegt haben. Ich denke, daß ich da richtig gehandelt habe!«

»Ja, das ist recht! Wenn ich die Felle vorzeige, will ich mir sagen dürfen, daß ich wenigstens eins davon erbeutet habe.«

»Wünscht Old Surehand vielleicht, daß wir ihm diesen Grizzly überlassen?«

»Ja; ich bitte darum!«

»So soll er ihn haben! Will er sich dazu den Bärentöter Old Shatterhands leihen?«

»Nein; ich kann mich auf mein Gewehr verlassen.«

»Und was thue ich dabei?« fragte der Häuptling der Osagen. »Soll man von Schahko Matto erzählen, daß in seiner Gegenwart vier Bären erlegt worden seien, ohne daß er eine Hand dazu gerührt habe?«

»Mein roter Bruder wird, wenn er das will, wohl auch zu thun bekommen; in welcher Weise, das wird sich zeigen, wenn wir den Grizzly finden. Wir halten in der Nähe an und – – – uff, uff!«

Wir waren während des letzten Teiles dieses Gespräches weiter geritten; jetzt parierte Winnetou sein Pferd wieder und streckte den Arm aus, um vorwärts zu deuten. Da sahen wir vielleicht tausend Schritte von uns einen Grizzly an der linken Seite des Thales unter den Bäumen hervorkommen und in gerader Richtung quer über den offenen Plan trollen. Er hielt den Kopf tief an den Boden gesenkt und sah weder rechts noch links. Wenn er ihn nur ein wenig nach unserer Seite gerichtet hätte, wären wir unbedingt von ihm bemerkt worden. Winden konnte er uns freilich nicht, weil die Luft thalabwärts wehte.

»Jetzt, am hellen Tage!« sagte Old Surehand. »Der Kerl muß Hunger haben!«

»Ja,« nickte Winnetou. »Daß er jetzt sein Lager verläßt, ist ein Zeichen davon, daß er Appetit bekommen hat, aber auch davon, daß diese Gegend seit langer Zeit von keinem Jäger besucht worden ist.«

»Wo liegt der Büffel?« erkundigte ich mich.

»Mein Bruder kann ihn von hier aus nicht sehen, weil das kleine Gebüsch da vorn dazwischen liegt,« antwortete der Apatsche.

»Daß der Bär ganz gegen seine sonstige Gewohnheit jetzt kommt, erspart uns Zeit. Wir brauchen ihn nicht zu suchen. Steigen wir hier ab und hobbeln wir die Pferde an! Das Gebüsch, von welchem Winnetou sprach, erlaubt uns die Annäherung, ohne daß er es bemerkt.«

»Meine Brüder mögen noch einen Augenblick warten; ich habe ihnen einen Vorschlag zu machen,« sagte der Osage, indem wir abstiegen.

»Welchen?« fragte Old Surehand.

»Ich habe nichts dagegen, daß mein Bruder Surehand diesen Grizzly erlegt; aber es mag mir erlaubt sein, mich dabei zu beteiligen!«

»In welcher Weise?«

An der Weise, wie Old Shatterhand und Winnetou den ihrigen getötet haben.«

»Das ist zu gewagt!«

»Nein.«

»Oh doch! Ich bin nicht sicher, ihn mit dem Messer gleich so zu treffen, daß er fallen muß. Ist Schahko Matto vielleicht sicher?«

»Auch ich habe noch keinen grauen Bären nur mit dem Messer erlegt. Ich meine auch nicht, daß wir die Messer nehmen, was allerdings gefährlich sein würde.

Aber kann Old Surehand sich auf sein Gewehr verlassen?«

»Ja.«

»So wird es leicht sein, ihn zu töten. Mein Bruder versteckt sich mit seinem Gewehre, und ich bringe ihm den Bären grad so, wie Old Shatterhand es vorhin mit dem seinigen gethan hat.«

»Wenn Schahko Matto das wagen will, habe ich nichts dagegen.«

»Es ist kein Wagnis, wenn nur die Kugel dahin trifft, wo sie zu sitzen hat.«

»Pshaw! Ich werde doch keinen Fehlschuß thun!«

»Sind Winnetou und Old Shatterhand einverstanden?«

Natürlich waren wir es. Wir hobbelten die Pferde eng und gingen im Gänsemarsche auf das betreffende Gebüsch zu. Dort angekommen, sahen wir, vielleicht hundert Schritte von uns entfernt, den Grizzly bei dem Büffel. Er wendete uns den Rücken zu und grub mit den Tatzen in das Fleisch hinein, um die Röhren bloßzulegen. Nächst dem Gehirn ist das Knochenmark die größte Delikatesse für den grauen Bären. Ungefähr dreißig Schritte von uns lag ein Felsstück von der Größe, daß ein Mann sich hinter ihm verbergen konnte. Der Osage deutete auf dasselbe und sagte:

»Mein Bruder Surehand legt sich an diesen Stein; ich gehe zum Bären und hole ihn; das wird so leicht wie ein Spiel der Knaben sein.«

Ich war ebensowenig wie Winnetou dieser Meinung Schahko Mattos. Die Entfernung von dem Bären bis zum Felsen war zu groß; aber um den Stolz des Osagen nicht zu verletzen, schwiegen wir.

Er ließ sein Gewehr bei uns zurück, legte sich auf die Erde und kroch auf den Felsen zu, diesen natürlich als Deckung gegen den Bären nehmend. Old Surehand folgte ihm, selbstverständlich mit dem Gewehre, in derselben Weise. Bei dem Steine angekommen, blieb Old Surehand dort liegen, während der Osage weiter kroch.

Der Bär merkte noch immer nichts von dem, was gegen ihn im Werke war. Wir hörten trotz der weiten Entfernung die Knochen zwischen seinen Zähnen krachen. Schahko Matto schob sich vorwärts, weiter, immer weiter; das war mehr unvorsichtig als mutig.

»Uff!« sagte der Apatsche. »Wir wollen unsere Gewehre bereit halten. Der Häuptling der Osagen weiß den Weg nicht einzuteilen!«

Ich konnte Schahko Matto auch nicht begreifen; er zog die Schnelligkeit eines Grizzly gar nicht mit in Berechnung. Er durfte sich nur so weit von Old Surehand entfernen, daß er auf dem Rückwege nicht von dem Bären eingeholt werden konnte. Anstatt aber den Grizzly so aufmerksam zu machen, daß er, von ihm verfolgt, noch vor ihm bei Old Surehand ankam, kroch er weiter, immer weiter! Da legte Winnetou beide Hände an den Mund und rief: