Kostenlos

Old Surehand III

Text
Autor:
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Ich hatte mich nicht geirrt. Wir waren noch ziemlich weit von ihnen entfernt, da blieb er stehen und sagte in seiner bestimmten Weise:

»Mein Bruder Shatterhand ist überzeugt, daß wir heut nichts thun können?«

»Leider, ja,« antwortete ich.

»Die Ueberwältigung der Posten würde uns wohl gelingen; aber es sind auch noch zwei bei den Pferden, und die Utahs schlafen leise.«

»Es würde dennoch gehen, wenn wir es auf einen Kampf ankommen ließen und bei demselben unser Leben wagten. Ich bin aber nicht dafür.«

»Winnetou auch nicht. Was man ohne Wagnis bekommen kann, das soll man ohne Wagnis nehmen. Wir werden also warten bis morgen früh.«

»Da reiten wir in das »Bärenthal« zurück?«

»Ja, um mit Old Surehand zu sprechen.«

»Welche Ueberraschung und welche Freude für ihn, wenn er uns sieht!«

»Sein Herz wird voller Wonne sein! Mit uns reiten aber wird er nicht.«

»Nein; er hält unbedingt sein Wort.«

»Uff! Von einem Grizzly wissen wir, wo er sein Lager hat. Man sagt, es seien im »Bärenthale« stets mehrere zu finden. Wenn das wahr wäre!«

»Das ist eine außerordentliche, meines roten Bruders würdige Idee!«

»Dann könnte Old Surehand die Felle bringen!«

»Seine Lage würde aber dadurch auch nicht sehr geändert sein. Er soll in diesem Falle ja nur das Leben, nicht aber die Freiheit geschenkt erhalten.«

»Mein Bruder hat recht; wir sind auf alle Fälle gezwungen, ihn zu befreien. Aber wenn er die Felle erbeutet hat, kann er mit uns gehen, sonst nicht. Er hat nicht versprochen, mit zu den Utahs zu gehen und sich dort eine Squaw zu nehmen.«

»Gut, suchen wir morgen nach Bärenfährten! Aber da denke ich an unsere eigenen Spuren. Die Utahs werden morgen den ganzen Tag durch den Park schwärmen und den Ort entdecken, wo wir heut lagern.«

»Uff! Wir dürfen nicht da liegen bleiben. Wo aber gehen wir hin?«

»Wir müssen den Park und auch die Umgebung desselben vermeiden, weil unsere Spuren da unbedingt gefunden werden. Es giebt da nur zweierlei: Entweder reiten wir weiter, in das Thal hier hinab, aus welchem die Utah gekommen sind. Das geht nicht, wegen der Dunkelheit und weil wir morgen früh doch zurück müßten. Oder wir begeben uns wieder in das »Bärenthal« hinab, wo wir morgen gleich an Ort und Stelle wären. Es ist das bei der jetzigen Finsternis freilich eine böse Sache, aber wir kennen die Schlucht noch von heut, und wenn wir die Pferde führen und recht langsam gehen, wird es sich vielleicht ermöglichen lassen. Freilich müssen wir dabei bedenken, daß der Grizzly sein Lager so nahe an unserm Wege hat. Ich meinerseits fürchte mich nicht.«

»Auch Winnetou läßt sich dadurch nicht abhalten, und wenn wir beide vorangehen, sind die andern sicher. Unsere Pferde würden die Nähe des Bären verkünden. Und gegen die Finsternis giebt es ein Mittel. Winnetou hat im obern Teile der Schlucht einen ganz dürren Tago-tsi[43] stehen sehen, der uns Fackeln geben wird.«

»Schön! Also wieder in das »Bärenthal« hinab?«

»Ja. Was den Bär betrifft, so würden wir sein Nahen wegen dem Geräusch des Springs nicht hören können, doch werden unsere Augen desto offener sein.«

»Und die Fährte, welche wir jetzt über den Park machen? Denn wir können uns nicht wieder an seinem Rande halten, sondern müssen ihn durchqueren.«

»Winnetou wird sie mit seiner Decke auslöschen. Howgh!«

Dieses Howgh besagte, daß wir mit unserer Beratung zu Ende seien, und wir gingen nun zu den Gefährten, um ihnen zu sagen, wen wir gesehen und was wir erfahren und hernach beschlossen hatten. Unsere Mitteilung brachte die von uns vorhergewußte Wirkung hervor, besonders bei denen, welche Old Surehand schon kannten, nämlich Apanatschka, Hammerdull und Holbers. Unser Bericht war ganz kurz gewesen; sie wollten ihn ausführlich haben; Winnetou wies sie mit den Worten zurück:

»Meine Brüder mögen warten, bis wir mehr Zeit haben als jetzt. Es gilt vor allen Dingen, unsere Spuren hier an diesem Orte zu vernichten, und das erfordert eine lange Zeit.«

Er machte sich mit Schahko Matto und Apanatschka an diese schwierige Arbeit, weil mir das Bücken Schmerzen bereitete; dann stiegen wir auf und ritten quer über den Park hinüber und auf die Mündung der Schlucht zu, aus welcher wir heut gekommen waren. Wir ritten in Indianerreihe, und Winnetou machte den letzten, um mit seiner am Lasso hinter dem Pferde herschleifenden Decke die niedergetretenen Gräser wieder aufzurichten. An der Schlucht angelangt, stiegen wir ab, weil die Pferde nun geführt werden mußten.

Winnetou ging jetzt voran, und ich machte den zweiten; die anderen folgten hinter uns. Des Bären wegen hielten wir die Gewehre schußfertig in den Händen. Oben auf der Höhe des Parkes war es der aufgegangenen Sterne wegen etwas heller als vorher; in der tief einschneidenden Schlucht aber herrschte eine Finsternis, daß ich Winnetous Pferd kaum sah, obgleich ich so nahe hinter demselben ging, daß ich seinen Schwanz fassen konnte. Hier bewährte sich der unvergleichliche Orts- und Spürsinn des Apatschen wieder einmal glänzend, leider ohne daß dieser Glanz uns leuchtete.

Es war trotz unserer an die Dunkelheit gewöhnten Augen ein sehr beschwerlicher Weg, der uns nur dadurch erleichtert wurde, daß wir, wie wir noch Wußten, nicht zuweilen den Spring zu passieren hatten; sein Plätschern konnte uns stellenweise sogar als Führer dienen. Endlich, nach ziemlich langer Zeit, blieb Winnetou vorn halten und sagte:

»Hier steht zu meiner linken Hand der dürre Tago-tsi. Meine Brüder mögen die Aeste befühlen und diejenigen, welche viel Harz haben, zu Fackeln abschneiden! Ich werde indessen wegen des Grizzlybären wachsam sein.«

Da ich dem Baume am nächsten stand, fand ich zuerst einen kienreichen Ast und schnitt ihn los. Als ich ihn angezündet hatte, ging das weitere leichter von statten. Bald war jeder mit einigen Fackeln versehen, und nun gingen wir weiter, die Zügel über den Arm gehängt, die Leuchte in der einen Hand und das Gewehr in der andern.

Natürlich brachten wir abwärts viel, viel länger zu, als wir aufwärts gebraucht hatten. Es war eine außerordentlich phantastische Scene. Wir kamen an die Stelle, wo Winnetou die Bärenspur entdeckt hatte. Er leuchtete nieder; es waren keine neuen Eindrücke zu sehen. Wahrscheinlich behagte es dem alten Ephraim noch gut in seinem Lager, oder war dieses doch so weit entfernt, daß er uns weder sehen noch hören konnte; wir gelangten in das Thal hinab, ohne von ihm der geringsten Beachtung gewürdigt zu werden. Damit waren aber die Schwierigkeiten noch nicht überwunden, denn es mußte ein passender Lagerplatz für uns gefunden werden.

Die Aeste waren verbrannt, und wir befanden uns wieder ohne Leuchten; aber das Thal war ja breit, und so genügte uns der Schein der Sterne, uns zurecht zu finden. Wir konnten annehmen, daß wir die einzigen Menschen hier im Kuierant-yuaw seien, und durften folglich auf die Vorsichtsmaßregeln verzichten, welche in der Nähe von Feinden geboten sind. Wir suchten also einen Lagerplatz nicht unter den Bäumen auf der Seite des Thales, sondern unter freiem Himmel in der Mitte desselben und fanden endlich eine Stelle, welche wir für passend hielten.

Es lagen da mehrere große Felsstücke so beisammen, daß sie zwischen sich einen von drei Seiten eingeschlossenen Platz bildeten, welcher Raum genug für uns und unsere Pferde bot. Es war also nur die freie, vierte Seite zu bewachen. Die Lücken zwischen den Felsen waren mit Brombeerstauden ausgefüllt, zwischen denen es eine Menge vertrockneten Grases gab. Da dergleichen Orte von Schlangen aufgesucht zu werden pflegen, steckten wir das Gras in Brand, welcher sich schnell über das ganze Gedorn verbreitete und uns erlaubte, unsern heutigen Aufenthalt auf das genauste zu untersuchen. Es waren wirklich mehrere Schlangen dagewesen; wir sahen sie vor dem Feuer fliehen und erschlugen sie. Jetzt hatten wir reines Lager und konnten uns sorglos niederlassen. Zwei mußten wachen. Ich sollte meiner Wunde wegen wieder davon ausgenommen werden, gab dies aber nicht zu und übernahm mit Hammerdull die erste Wache, welche zwei Stunden zu dauern hatte.

Wir setzten uns miteinander an die offene Seite der Felsen und legten die Gewehre griffbereit neben uns. Während die Gefährten sich nur kurze Zeit unterhielten und dann einschliefen, erzählte ich dem Dicken, was wir bei den Utahs belauscht hatten. Dann ging ich nach einem nahen Gebüsch, um die jungen Zweige desselben den Pferden als Futter zu holen. Darüber verging die Zeit, und als unsere zwei Stunden um waren, weckten wir Apanatschka und Holbers, welche nach uns kamen. Die nächste Wache sollte Schahko Matto mit Treskow übernehmen, während die vierte den Apatschen allein traf. Winnetou war mehr als genug, für unsere Sicherheit zu sorgen.

Ich wäre sehr gern eingeschlafen, brachte es aber nicht fertig. Nicht daß ich das Wundfieber wieder gehabt hätte, nein, aber mein Puls ging doch schneller als gewöhnlich, warum, das konnte ich nicht sagen. Es mußte doch an der Wunde liegen. Die beiden Wächter saßen grad da, wo ich mit Hammerdull gesessen hatte, und sprachen leise miteinander. Das Knuspern der Pferde an den Zweigen und zuweilen ein Stampfen der Hufe waren die einzigen Geräusche, welche die nächtliche Stille unterbrachen. Ueber uns glänzten die Sterne noch heller als vorher; die Felsen und die zwischen ihnen befindlichen Personen und Pferde waren deutlich zu erkennen.

Da sah ich, daß Winnetous Rappen seinen auf das Futter niedergesenkten Kopf mit einer raschen, auffälligen Bewegung in die Höhe hob. Gleich darauf bemerkte ich bei dem meinigen genau dieselbe Bewegung. Beide Pferde ließen ein ängstliches Schnauben hören und stellten sich so, daß ihre Hinterbeine mir zugerichtet waren. Sie witterten eine Gefahr, und zwar nahte sich dieselbe von daher, wo ich lag. Ein Mensch konnte es nicht sein, denn da wäre das Schnauben der Pferde ein leiseres, warnendes und nicht ein so ängstliches gewesen. Ich horchte.

 

Ich lag an einer Lücke zwischen den Felsen, die erst mit Dornen ausgefüllt gewesen, seit dem Brande aber offen war; sie hatte glücklicherweise nur eine so geringe Breite, daß man mit dem Arme hindurchlangen konnte. An dieser Lücke begann es jetzt draußen zu kratzen und zu scharren, so laut und kräftig, wie kein Mensch es vermocht hätte, und zugleich war jenes fauchende Schnüffeln zu hören, welches« ich so gut kannte, daß ich augenblicklich aufsprang, nach dem Bärentöter griff und dem Häuptling der Komantschen leise zuraunte:

»Apanatschka, ein Bär! Aber seid still, ganz still, und kommt näher heran!«

Der feinhörige Winnetou hatte im Schlafe mein Aufspringen bemerkt. Schon stand er neben mir, die Silberbüchse in der Hand.

»Ein Bär am Felsen hinter uns!« unterrichtete ich ihn.

Die andern schliefen weiter; sie hatten nichts gehört, und wir hielten es für besser, sie nicht zu wecken, da sie vielleicht Lärm gemacht hätten, wenigstens von Treskow war dies zu erwarten.

Apanatschka war mit Holbers zu uns herangekommen; sie hatten die Hähne gespannt. Winnetou gab ihnen die Weisung:

»Ihr dürft nur im Notfalle schießen. Für den Grizzly ist das Gewehr Old Shatterhands das beste; er hat also die zwei ersten Schüsse; dann erst komme ich daran. Ihr schießt nur, wenn ich es euch sage!«

Holbers zitterte vor Aufregung. Seine Stimme bebte, als er fragte:

»Wird er etwa über den Felsen geklettert kommen?«

»Nein,« antwortete ich. »Er wird ganz gewiß – – ah, da ist er schon! Seid still! Laßt mich machen!«

An der offenen Seite unsers Lagerplatzes kam eine dunkle, schwere Masse langsam um die Ecke getrollt; es war der Bär; er hielt den Kopf schnüffelnd zu Boden gerichtet. Unsere Pferde schnaubten laut vor Angst. Die beiden Rappen drehten sich um, die Hinterhufe zur Verteidigung ihm zugerichtet. Ich durfte noch nicht schießen; die Kugel mußte ihn zwischen die Rippen hindurch ins Herz treffen; dazu war notwendig, daß er sich aufrichtete. Ich that also einen Sprung auf ihn zu, um ihn auf mich aufmerksam zu machen, wich aber auch rasch wieder zurück, denn der Grizzly ist trotz seiner scheinbaren Plumpheit ein außerordentlich schnelles Tier.

Meine Absicht wurde erreicht: Kaum hatte er mich gesehen, so stand er aufrecht da, nicht weiter als sechs Schritte von mir entfernt. Da krachte auch schon mein Schuß. Es war, als ob der Bär einen Schlag von vorn bekäme und hintenüberstürzen wolle; er stürzte aber nicht, sondern wankte hin und her und that dabei zwei Schritte vorwärts. Da gab ich ihm die zweite Kugel, die ihn niederwarf. Er zog, am Boden liegend, die Pranken an sich, als ob er jemanden umarmen und erdrücken wolle, wälzte sich auf die andere Seite, hierauf wieder herum, öffnete die Pranken und blieb dann liegen. Hierbei hatte er keinen Laut, nicht einmal einen Atemzug hören lassen. Der graue Bär hat keine eigentliche Stimme; der Kampf mit ihm ist meist ein stiller, stummer, doch grad das ist es, was diesen Kampf so »Rückenmark angreifend« macht, wie mein alter Sam Hawkens sich auszudrücken pflegte. Beim Donnergebrüll des Löwen schießt sich‘s besser!

»Er ist ausgelöscht!« sagte Winnetou. »Die Kugeln gingen ihm beide in das Leben. Doch nähert euch ihm noch nicht! Der Grizzly hat ein zähes Leben; es kehrt zuweilen auf Augenblicke wieder.«

Die Schläfer waren natürlich bei meinem ersten Schusse aufgesprungen. Schahko Matto war still, ganz nach stolzer Indianerart. Treskow, obgleich kein Feigling, hatte sich nach ganz hinten zurückgezogen. Hammerdull drängte sich zwischen die Pferde hindurch bis her zu mir und rief:

»Ein Bär! Alle Teufel, wirklich ein Bär! Und diesen Kerl hab ich verschlafen! Ich kann doch nur eine Minute weggewesen sein, als er kam. Ich war so müde! Ich bin zornig auf mich; ich bin wütend! Ich könnte mir mit beiden Händen Ohrfeigen geben!«

»Thue das, lieber Dick, thue das gleich!« ermahnte ihn Holbers.

»Schweig, altes Heupferd! Sich selbst zu ohrfeigen, dazu gehört weit mehr Geschick, als du zum Beispiel hast! Nein, daß grad mir so was passieren muß! Ich bin außer mir, ganz und gar, außer mir!«

»So geh in dich, daß du wieder zu dir kommst!«

»Ob ich in mich oder zu mir gehe, das bleibt sich gleich, wenn nur diese Bestie nicht so dumm gewesen wäre, erst dann zu kommen, als ich grad wieder eingeschlafen war! Wenn so ein Bär nicht mehr Verstand hat, wer soll ihn dann haben, frage ich dich?!«

So drollig er seinen Aerger ausdrückte, er meinte es doch ernst. Der kleine, dicke Kerl hätte sich gewiß nicht gefürchtet; er wäre sicher auf den Bären losgegangen! Damit ist freilich nicht gesagt, daß er ihn auch glücklich erlegt hätte. Unbedachtsamer Mut kann leicht gefährlich werden. Da Hammerdull dem lebenden Grizzly nicht hatte entgegentreten können, so ging er jetzt, trotz der Warnung des Apatschen, zu dem Toten hin, um uns zu zeigen, daß er sich nicht fürchte. Er drehte ihn, allerdings mit großer Kraftaufbietung, auf die andere Seite, zog ihm die Pranke hin und her und sagte:

»Er ist tot, Mesch‘schurs, vollständig tot, sonst würde er sich das nicht gefallen lassen. Ich schlage vor, wir ziehen ihm die Handschuhe und die Stiefel samt seinem ganzen Fell vom Leibe herunter. Vom Schlafen ist doch jedenfalls nun keine Rede mehr!«

Da hatte er recht. Neben einem frisch erlegten Grizzly würde kein Jäger schlafen können. Wir mußten ein Feuer haben und gingen darum fast alle fort, um dürres Holz zu suchen. Als dieses dann brannte, sahen wir, daß es eine Bärin im Gewicht von gegen sieben Zentnern war, ein ausgezeichnet schönes Tier.

»Sie wird es sein, deren Fährte wir gesehen haben,« meinte Treskow.

»Nein,« antwortete Winnetou. »Die Spur war von einem viel schwereren Tier. Das ist nicht die Squaw des Bären, sondern er selbst. Wir werden ihn uns holen, wenn Surehand gekommen ist.«

Nun wurden die Messer gezogen, um der Bärensquaw die Handschuhe und die Stiefel samt dem Jagdrocke auszuziehen. Alle machten sich daran, nur Winnetou und ich nicht; wir sahen zu.

»Uff!« rief der Apatsche nach einer Weile, indem er aufsprang und hinaus in das Freie deutete. »Das Baby steht dort!«

Das Feuer leuchtete weit zwischen den Felsen hinaus, und sein Schein zeigte uns einen jungen Bären, welcher bei den Büschen stand, von denen ich das Futter für die Pferde geholt hatte. Er hatte die Größe eines mittleren Kalbes, nur daß er dicker war.

»Hurra, das Baby von dieser Lady!« schrie Dick Hammerdull, indem er aufsprang und hinausrannte, auf den Bären zu.

»Dick, Dick!« rief ich ihm nach. »Faßt ihn nicht; faßt ihn nicht an! Das Tier ist viel gefährlicher, als Ihr denkt!«

»Unsinn, Unsinn! Ich hab ihn schon; ich hab ihn schon!« schrie er zurück.

Ja, er hatte ihn schon, der Bär aber auch ihn! Erst wollte er ihn nicht loslassen, und dann konnte er es nicht. Wie sie einander gepackt hatten, das sah man nicht; sie wälzten sich im Grase, und dabei brüllte der Dicke:

»Woe to me! Help, Help! Das Vieh läßt mich nicht los!«

Apanatschka flog, das Messer in der Hand, hinaus und auf die beiden wohlbeleibten Helden zu. Mit der linken Hand zwischen Mensch und Tier hineingreifend, holte er mit der rechten zum tödlichen Stiche aus. Er mußte gut getroffen haben, denn wir sahen, daß der Bär liegen blieb, Hammerdull aber sich aufraffte, um ergrimmt zu rufen:

»So eine Bestie! So ein unkultiviertes Viehzeug! Wollte es lebendig fangen, und richtet mich auf diese Weise zu! Habe meine ganze Kraft anwenden müssen, um nur seine Zähne von mir fernzuhalten! Dafür aber wird‘s gebraten und gegessen, ob‘s auch noch leibt und lebt!«

Er brachte das »Baby« an einem Beine herbeigeschleppt. Apanatschkas Messer hatte gut getroffen, grad in das Herz. Hammerdull sah nicht zum besten aus. Sein Anzug war vielfach zerfetzt und sein Gesicht zerkratzt; er blutete an den Händen, und auch von den Beinen liefen die roten Tropfen. Dieser Anblick brachte seinen Busenfreund, den langen Holbers, ganz aus der Fassung. Anstatt in mitleidigen Ausdrücken, machte sich seine Liebe in zornigen Vorwürfen Luft:

»Was hast du nur gemacht! Wie siehst du jetzt nur aus! Rennt der Kerl von hier fort, um einen Grizzly lebendig zu fangen! Solche Dummheit hat noch nie ein Mensch erlebt! Was mach ich nur mit dir? Du mußt doch den Verstand und noch viel mehr verloren haben! Denkst du denn nicht an deinen alten Holbers, der kein Blut von dir ersehen kann! Ist das deine Liebe zu mir, die du mir so oft gestanden hast? Machst du nicht durch solche Albernheiten dich und mich unglücklich durch und durch? Ist dir deine Haut dazu gewachsen, daß sie dir durch Bärenkrallen verschimpfiert werden soll? Was stehst du da und guckst mich an? Sprich! Rede! Gieb Antwort, Menschenkind!«

Hammerdull stand allerdings mit offenem Munde da und starrte seinem Liebling verwundert ins Gesicht. So eine lange Rede! Die Worte waren förmlich aus dem Munde heraus- und übereinander weggeflogen! Das konnte doch unmöglich der stille, ruhige, trockene Pitt Holbers sein! Hammerdull schüttelte den Kopf und antwortete:

»Pitt, alter Pitt, bist du‘s denn wirklich noch? Ich kenne dich doch gar nicht wieder! Du bist doch auf einmal ein Redner geworden, wie er im besten Buche nicht zu finden ist! Du bist ganz aus- und umgewechselt! Man hält es nicht für möglich! Hast du mich denn gar so lieb?«

»Natürlich hab ich dich so lieb, Dummkopf! Was denn?! Mußt du mir denn das anthun, daß du dich so zerkratzen lässest! Wie siehst du aus! Guck dich nur im Spiegel an! Ach so, es ist keiner da! Mit dir hat man nichts als Kummer, Sorge und Herzeleid! Und Freude? Pshaw! Freude kann man an dir gar nicht mehr erleben!«

»Schimpf nicht so! Ob du Freude oder Herzeleid an mir erlebst, das bleibt sich gleich, das ist ganz egal, wenn du nur überhaupt etwas an mir erlebst! Wer denkt denn, daß ein solches Hündchen solche Kräfte hat!«

»Hündchen! Ein Grizzly soll ein Hündchen sein! So, wie du hier Stehst, kann ich dich nicht länger sehen. Die Augen thun mir weh vor lauter Gram und Kummer über dich! So ein altes, liebes, zerschundenes Gesicht! Komm, Dick, geh mit zum Wasser! Ich wasch dich ab!«

Er faßte ihn am Arme und zog ihn fort, zum Creek, der gar nicht weit von uns vorüberfloß. Als sie wiederkamen, war der liebe Dicke abgespült; die Krallenrisse aber hatten nicht fortgewaschen werden können; auch war sein Anzug dadurch nicht ganz geworden.

»Sieht dieser Mensch nicht wie ein Landstreicher aus?« fragte Pitt. »Ich bitte Euch, Mr. Shatterhand, mir einen großen Gefallen zu thun!«

»Welchen?«

»Ihr habt Nähzeug dort im Sattelkissen. Bitte, es mir zu borgen, denn ich muß ihm natürlich seine zerrissenen Siebensachen zusammenflicken!«

»Gern; holt es Euch, Pitt Holbers!«

Er folgte dieser Aufforderung. Dann konnte man sehen, wie einer einfädeln wollte und doch eine halbe Stunde lang das Oer nicht fand. Hernach machte der liebe Mensch Stiche! Stiche, so weit auseinander wie die Straßenbäume! Nach dem zweiten Einfädeln hatte er keinen Knoten gemacht und nähte und nähte, ohne vorwärts zu kommen, bis ich ihn darauf aufmerksam machte, daß er den Faden immer wieder herauszog. Später belehrte ich ihn noch darüber, daß diese Stelle zu wibbeln, eine andere mit Hinterstichen und eine dritte überwendig zu nähen sei. Da warf er den Zwirnknäuel zornig fort, schob mir das Bein des Dicken hin und rief, mir die Nadel, die er mir nur reichen wollte, in den Finger stechend:

»Da habt Ihr Eure ganze Flickerei, Sir! Macht‘s selber, wenn Ihr‘s besser könnt! Wibbeln! Hinterstiche! Hat man schon so was gehört! Was giebt es denn wohl noch für Stiche, Mr. Shatterhand?«

»Kettenstiche, einfache und doppelte Steppstiche, Messerund auch Säbelstiche.«

»Die Messerstiche lasse ich mir gefallen; mit den andern aber könnt Ihr mir vom Leibe bleiben! Flickt den Kerl zusammen! Ich habe das Nähen satt!«

Was war die Folge? Ich saß fast bis zum frühen Morgen da und besserte die Jacke, Hose und Weste des dicken Bärenbabyjägers aus! Dazwischen wurde Bärenbraten gegessen. Die Tatzen, bekanntlich das beste von dem Bären, wurden eingewickelt, um aufgehoben zu werden, denn sie haben erst dann den höchsten Grad von Delikatesse erreicht, wenn die Würmer darin zu »wibbeln« beginnen. Ob jedermanns Geschmack?

Als der Tag graute, stiegen Winnetou und ich zu Pferde, um, den Rotschimmel Apanatschkas am Zügel führend, thalaufwärts zu reiten und die Ankunft Old Surehands zu erwarten. Wir hatten wohl zwei englische Meilen zurückgelegt, als wir links den Thalschnitt sahen, aus welchem er nach dem, was wir gestern erlauscht hatten, kommen mußte. Wir blieben in einiger Entfernung davon bei einem Gesträuch halten, hinter welchem wir uns und die Pferde versteckten, doch so, daß er unsern Augen nicht entgehen konnte.

 

Es lag ja die Möglichkeit vor, daß sich oben bei den Utahs irgend etwas Unvorhergesehenes ereignet oder der Häuptling seinen Plan geändert hatte; darum waren wir überaus gespannt darauf, ob der Erwartete kommen werde oder nicht. Es verging eine Stunde und darüber; da sahen wir endlich einen Menschen drüben unter den Bäumen gehen. Er kam nicht heraus ins Freie, und so konnten wir nicht deutlich erkennen, wer es war. Ich wagte dennoch laut zu rufen:

»Mr. Surehand! Mr. Surehand!«

Der Mann blieb stehen, aber nur einen Augenblick. Wenn er es war, so kam er sicher schnell herbei. Als Gefangener der Indianer mußte er ja froh sein, andere Menschen hier zu finden, zumal sie ihn kannten. Diese Annahme täuschte mich nicht. Als ich seinen Namen noch einmal, zum drittenmal rief, kam er eiligst unter den Bäumen hervorgesprungen und auf uns zugeschritten. Da wir uns nicht sehen ließen, blieb er auf halbem Wege stehen und rief uns zu:

»Wer ist da im Gebüsch? Wer hat meinen Namen genannt?«

»Ein Freund,« antwortete ich.

»Kommt heraus! Im wilden Westen muß man vorsichtig sein.«

»Hier bin ich!«

Bei diesen Worten ließ ich mich von ihm sehen; Winnetou aber blieb noch versteckt. Old Surehand erkannte mich sofort.

»Old Shatterhand! Old Shatterhand!«

Meinen Namen nennend, ließ er vor freudigem Schreck sein Gewehr fallen, kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zugerannt und zog, nein, riß mich förmlich an sein Herz.

»Welch eine Wonne, welch eine Freude, welch ein Glück! Mein Freund, Old Shatterhand, mein Retter früher und mein Retter nun auch jetzt!«

Bei jedem Worte schob er mich von sich ab und drückte mich wieder an sich. Seine Augen leuchteten; seine Wangen glühten. Er befand sich in dem Zustande allerglücklichster Aufregung und fuhr fort:

»Wer sollte es für möglich halten, daß Ihr jetzt, grad jetzt in den Rocky-Mountains seid, grad hier im »Bärenthale«! Wie freue ich mich, wie glücklich bin ich darüber! Habt Ihr einen besondern Grund zu diesem Ritte?«

»Ja.«

»Welchen? Bitte, sagt es mir!«

»Ich komme von Jefferson-City herauf.«

»Ah! Seid Ihr bei dem Bankier gewesen?«

»Ja.«

»Er sagte Euch, daß ich hier herauf bin?«

»Ja.«

»Und Ihr seid mir nach?«

»Natürlich! Jefferson-City, Lebruns Weinstube in Topeka, Fenners Farm und so weiter! Ihr seht, daß ich genau unterrichtet bin.«

»Gott sei Dank! Gott sei Dank! Nun bin ich gerettet! Ihr ahnt natürlich nicht, was ich meine. Ihr müßt wissen, daß ich Gefangener bin!«

»Des Häuptlings Tusahga Saritsch!«

»Wie? Ihr wißt – – —?« fragte er erstaunt.

»Heut und morgen entlassen auf Ehrenwort!« fuhr ich lachend fort.

»Er weiß es wirklich, wirklich!« rief er aus.

»Um vier Bärenfelle zu holen!«

»Aber – – aber, Sir— – – sagt mir doch, wie Ihr das so wissen könnt!«

»Als Ihr gestern oben im Park bei dem Häuptling am Feuer saßet, haben wir drei Schritte von Euch in den Farn gesteckt und Euch belauscht!«

»Mein Himmel! Hätte ich das gewußt!«

»Wir haben jedes Wort gehört. Es war unmöglich, Euch schon diese Nacht loszumachen; darum sind wir noch gestern abend trotz der Finsternis wieder in dieses Thal herab, um Euch hier zu erwarten. Wie freuen wir uns darüber, daß Ihr gekommen seid!«

»Ihr sagt »wir«! Ihr sprecht nicht von Euch allein! Ist noch jemand da?«

»Ja.«

»Wer?«

»Kommt, ihn zu sehen!«

Ich führte ihn hinter die Sträucher. Als er Winnetou erblickte, stieß er einen Jauchzer aus und streckte ihm beide Hände entgegen. Der Apatsche drückte sie ihm in herzlichster Weise und bewillkommnete ihn:

»Winnetou ist froh in seiner Seele, seinen Bruder Old Surehand wiederzusehen. Wir glaubten, ihn erst droben im Parke von San Louis erreichen zu können, freuen uns nun aber um so mehr, dem Häuptling der Capote-Utahs zeigen zu dürfen, daß fünfzig von seinen Kriegern nicht genügen, Old Surehand festzuhalten!«

»Ich habe mein Wort gegeben, wiederzukommen!« warf Old Surehand vorsichtig ein. »Sie hätten mich ohne dasselbe nicht fortgelassen.«

»Wir wissen es. Old Surehand soll sein Wort nicht brechen, sondern zu ihnen zurückkehren. Dann aber werden Old Shatterhand und Winnetou auch zu den Utahs kommen und ihnen ein Wort sagen!«

»Ich muß bis morgen abend vier Grizzlyfelle bringen, sonst ist mein Leben verwirkt. Weiß das der Häuptling der Apatschen auch?«

»Wir wissen es. Old Surehand wird die Felle bringen. Damit dies möglich werde, mag er mir erlauben, mich jetzt einstweilen zu entfernen!«

Er bestieg sein Pferd und ritt davon, ohne zu sagen, warum und wohin. Ich wußte es trotzdem: Er wollte nach Grizzlyspuren suchen.

»Wohin reitet er?« fragte Old Surehand.

»Es gilt wahrscheinlich eine Ueberraschung für Euch, Mr. Surehand.«

»Welche?«

»Wenn ich es Euch sagte, würde es doch wohl keine Ueberraschung sein.«

»Well. Müssen wir hier auf ihn warten?«

»Nein. Wir reiten auch fort. Er wird uns später wiederfinden.«

»Ich gehe natürlich von Herzen gern mit Euch, darf aber dabei nicht vergessen, daß meine Zeit sehr kostbar ist, ungeheuer kostbar.«

»Wegen der Bärenfelle?«

»Ja.«

»Das hat noch Zeit, viel Zeit. Bitte, Euch auf diesen Rotschimmel zu setzen!«

»Ihr habt drei Pferde. Ihr seid nicht allein? Ist noch jemand bei Euch?«

»Ja.«

»Wer?«

»Wartet noch eine Meile! Ich denke, daß Ihr Euch freuen werdet, wenn Ihr den Besitzer dieses Pferdes seht. Es ist auch ein Bekannter von Euch.«

Während Winnetou thalaufwärts geritten war, wendeten wir uns wieder thalab. Natürlich hatte Old Surehand sein Gewehr vorher von da geholt, wo es ihm vor Ueberraschung vorhin entfallen war. Er merkte, daß ihn noch eine solche erwartete, und unterließ es darum, Fragen auszusprechen, welche ich ihm doch nicht beantwortet hätte. Als wir uns dem Lagerplatze näherten, sah ich Hammerdull in der Nähe desselben stehen. Old Surehand bemerkte ihn auch, erkannte ihn und fragt mich:

»Ist das nicht der alte Dick Hammerdull, Mr. Shatterhand?«

»Ja,« antwortete ich.

»Da ist höchst wahrscheinlich auch sein zweites Ich Pitt Holbers bei Euch?«

»Natürlich! Diese beiden Toasts sind ja unzertrennlich voneinander.«

»Ah, so ist das die Ueberraschung, die ich haben sollte! Ich danke Euch!«

Ich ließ ihn bei dieser Meinung. Hammerdull kam uns entgegengelaufen, hielt das Pferd Old Surehands an, reichte ihm die Hand empor und rief:

»Welcome, Mr. Surehand, Welcome in diesen alten Bergen! Hoffentlich habt Ihr Euern Dick nicht vergessen, seit wir uns nicht sahen!«

»O nein, lieber Hammerdull. Ich habe stets mit Vergnügen an Euch gedacht.«

»Ob mit Vergnügen oder ohne Vergnügen, das bleibt sich gleich, das ist übrigens ganz egal, wenn nur dabei Pitt Holbers auch in Euerm Herzen lebt!«

»Natürlich lebt er drin!«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Also wir alle beide?«

»Gewiß! Er, so lang wie er ist, und Ihr, so dick wie Ihr seid. Ist es so richtig?«

»Vollständig richtig! Kommt, und seht Euch den alten, guten Kerl ‚mal an!«

Wir ritten vollends bis zum Lager und stiegen da von den Pferden. Hammerdull führte Old Surehand zwischen die Felsen hinein und rief triumphierend:

»Pitt Holbers, hier hast du ihn, altes Coon! Ich bringe ihn dir gebracht. Gieb ihm die Hand; aber falle ihm ja nicht um den Hals; denn von dir kommt man nicht wieder los; deine Arme reichen zweimal um jeden Menschen herum!«

Old Surehand hatte zunächst nur Holbers im Auge; als aber dann sein Blick auch auf Apanatschka fiel, gab ihm das Erstaunen einen Ruck.

»Apanatschka! Mein roter Bruder Apanatschka!« rief er aus. »Das – das – das hätte ich mir freilich nicht gedacht! Nun weiß ich freilich besser als vorhin, Mr. Shatterhand, was für eine Ueberraschung Ihr meintet! Mein roter Bruder mag mir erlauben, ihn zu umarmen!«

Die Augen des Komantschen strahlten vor Freude. Er öffnete die Arme, ohne ein Wort zu sagen. Sie hatten sich auf ihrem gemeinschaftlichen Ritte nach Fort Terrel liebgewonnen und drückten jetzt einander an die Herzen, ohne zu wissen, daß diese Herzen auch noch in anderer Beziehung zusammengehörten. Jetzt wurde natürlich auch Treskow begrüßt; dann stellte ich den Häuptling der Osagen vor. Dieser reichte ihm mit gewohnter Würde die Hand, nickte ihm freundlich zu und sagte, indem er mit der Hand auf die Bärenfelle zeigte:

43Harzbaum.