Kostenlos

Old Surehand III

Text
Autor:
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Ob ich den Grizzly im Schlafe oder im Wachen schieße, das ist ja ganz egal, wenn ich ihn nur so treffe, daß er liegen bleibt.«

»Hat mein kleiner, dicker Bruder schon einmal ein Wild im Schlafe erlegt?«

»Hunderttausende! Wie oft habe ich geträumt, daß ich Büffels und andres Viehzeug gleich herdenweise geschossen habe! Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Ja,« nickte der Lange. »Du hast die Heldenthaten alle im Traume zu verrichten, und wenn du dann aufwachst, ist es mit dem Heldentum vorbei.«

»Blamiere mich nicht! Ich versuche wenigstens im Schlafe ein tüchtiger Kerl zu sein; du aber bleibst im Wachen und Schlafen das alte, ungeschickte Coon.«

»Ungeschickt? Bring mir den größten Grizzly her, den es auf Erden geben kann, so sollst du erfahren, wer geschickter ist, du oder ich!«

Die Art und Weise, in welcher Winnetou von den grauen Bären dieses Kui-erant-yuaw gesprochen hatte, interessierte mich in hohem Grade. Der Grizzly pflegt ja nicht in Gesellschaften beisammen zu leben; aus den Worten des Apatschen aber war zu entnehmen, daß man da schon mehrere zugleich getroffen hatte. Darum erkundigte ich mich bei ihm:

»Leben die Bären dieses Thales nicht so einsam wie diejenigen anderer Gegenden?«

»Kein Grizzly ist gesellig,« antwortete er. »Es zieht sich sogar seine Frau von ihm zurück, sobald sie Junge hat, weil er ein sehr liebloser Vater ist und seine Kinder gern verzehrt. Aber wenn mein Bruder dieses Thal zu sehen bekommt, wird er sich nicht darüber wundern, daß die grauen Bären dort häufiger als sonst irgendwo anzutreffen sind. Wenn die Büffel der Felsenparks sich auf der Wanderung befinden, müssen sie durch das Kui-erant-yuaw ziehen; das lockt die Bären herbei und hält sie fest. Die Gegend ist so abgelegen und zugleich auch so verrufen, daß selten ein Jäger sie aufsucht; es giebt Beeren in großer Menge, welche der Grizzly liebt, und in den wilden Seitenschluchten des Thales kann er wohnen, ohne von seinesgleichen belästigt zu werden. Dennoch kommen, besonders zur Paarungszeit, furchtbare Kämpfe zwischen ihnen vor, denn man hat die Ueberreste der Besiegten gefunden, denen es anzusehen war, daß sie von keinem Jäger erlegt worden waren. Wenn wir Zeit hätten, würden wir da bleiben, um zu jagen.«

Ja, wir hatten leider keine Zeit, und dennoch war es uns vorbehalten, eine längere Dauer, als wir jetzt ahnten, in dem verrufenen Thal auszuhalten.

Wie hoch die schräg ansteigende Felsenwand war, welche unsere Pferde zu erklimmen hatten, läßt sich daraus ersehen, daß wir über eine Stunde brauchten, ehe wir die Höhe erreichten. Droben gab es ein lang gestrecktes, auch bewaldetes Plateau, welches von zahlreichen Klüften zerrissen wurde und sich jenseits sehr steil abwärts senkte.

Unten lag das »Bärenthal«, auf welches wir aber des Waldes wegen jetzt noch keine Aussicht hatten. Winnetou leitete uns nach einer der Klüfte, welche durch ein rauschendes Gebirgswasser gerissen worden war; sie fiel so schnell in die Tiefe, daß wir absteigen und die Pferde führen mußten. Erwähnen muß ich, daß der Ritt von der Schmiede bis hierher mich nicht sehr angestrengt und das Fieber sich nicht wiederholt hatte. Schmerzen, und zwar nicht unbedeutende, verursachte mir die Wunde freilich, aber das war doch kein Grund, etwa anzuhalten oder gar auf dem Faulpelze liegen zu bleiben.

Unten angekommen, konnten wir einen Teil des »Bärenthales« überblicken. Es war da, wo wir uns befanden, wenigstens eine englische Meile breit. Auf seiner Sohle floß ein Creek, welcher von den rechts und links herbeirauschenden Bergwassern gespeist wurde. Zahlreiche von oben herabgestürzte Felsblöcke lagen zerstreut umher und boten mit dem sie umgebenden Strauchwerke den Tieren dieser Wildnis willkommene Verstecke. Zu beiden Seiten gab es Schluchten wie diejenige, in welcher wir herabgekommen waren. Einzelne breitwipfelige Riesenbäume ragten gen Himmel, und an den Thalwänden stieg der mit dornigem Gestrüpp unterholzte Wald zu den Höhen auf. Es konnte gar keinen bessern Aufenthalt für graue Bären geben, und daß diesen Tieren, falls sich jetzt welche hier befanden, reichlich Nahrung geboten war, das ersahen wir aus den Büffelfährten, welche zahlreich zu erkennen waren.

Die eigentliche Zeit der großen Büffelwanderung war noch nicht gekommen, aber die Bisons, welche sich während des Sommers auf den hochgelegenen und also kälteren Gebirgswiesen aufgehalten hatten, waren doch schon herniedergestiegen und durch das Thal gekommen. Der Buffalo, besonders in seinen älteren, starken Exemplaren, ist das einzige Tier, welches es mit dem Grizzly aufzunehmen wagt; der graue Bär erreicht eine Schwere bis zu zehn und der Bison eine solche bis über zwanzig Zentner; was für gewaltige Kämpfe mußte dieses stille, weit abgelegene Kui-erant-yuaw wohl schon gesehen haben!

Wir durchquerten es, ohne uns um die Büffelspuren zu kümmern, und hielten auf eine Seitenschlucht zu, weiche, wie Winnetou wußte, jenseits mit verhältnismäßiger Bequemlichkeit zur Höhe führte.

Auch sie hatte einen, allerdings kleinen, schmalen Spring, welcher sich in zahlreichen dünnen Kaskaden abwärts stürzte und uns den nötigen Raum zum Aufstieg ließ. Wir mochten die halbe Höhe erreicht haben, als der Apatsche, welcher voranritt, anhielt und vom Pferde sprang. Er untersuchte den vielfach zerrissenen, oft mit Gras und Moos bedeckten Boden mit ungewöhnlicher Sorgfalt und sagte dann:

»Wenn wir Zeit hätten, könnten wir uns jetzt das Fell eines grauen Bären holen. Er ist hier von rechts her quer über die Schlucht gewechselt und wird sein Lager wahrscheinlich da links drin in den Felsen haben.«

Wir waren natürlich alle auch schnell von den Pferden herunter, um die Spur anzusprechen. Winnetou wies die Gefährten mit den Worten zurück:

»Meine Brüder mögen stehen bleiben, um die Fährte nicht zu verderben! Nur Old Shatterhand mag her zu mir kommen!«

Ich ging hin. Es hatten die scharfen Augen des Apatschen dazu gehört, sie zu entdecken. Wir beide folgten ihr über den Spring hinüber, wo sie deutlicher wurde. Es mußte ein alter, sehr starker »Vater Ephraim« sein, von dem sie stammte. – Der Westmann nennt den Grizzly nämlich »Vater Ephraim«. – Die Spuren der gewaltigen Tatzen waren hier ganz deutlich zu sehen, und als wir ein Stück weitergeklettert waren, zeigten die von den Seiten herankommenden Gänge, daß wir wirklich das Lager des Bären vor uns hatten.

Ich fühlte große Lust, diesem Ephraim einen Besuch abzustatten, und sah Winnetou fragend an. Er schüttelte den Kopf und kletterte zurück. Wir mußten freilich annehmen, keine Zeit zu haben, und uns mit dem schweren Pelz des Bären zu schleppen, war auch nicht grad bequem. Als wir drüben wieder ankamen, sah ich die Augen Schahko Mattos und Apanatschkas leuchten; sie sagten aber nichts, doch Hammerdull fragte: »Liegt einer drüben?«

»Ja,« nickte ich.

»Well- den holen wir uns!«

»Nein; wir lassen ihn in Ruhe.«

»Aber warum? Ein Bärenlager zu finden, ohne das Nest auszunehmen, ist doch grad so, wie eine Bonanza zu entdekken und das Gold liegen zu lassen! Ich kann das wirklich nicht begreifen!«

»Wir müssen fort.«

»Ja, aber erst dann, wenn wir dem Kerl eins auf den Pelz gebrannt haben!«

»Das ist nicht so leicht und geht nicht so schnell, wie Ihr denkt, lieber Hammerdull. Ihr müßt in Betracht ziehen, daß wir dabei das Leben riskieren.«

»Ob wir es riskieren oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn er es uns nur nicht nimmt. Ich schlage also vor, daß wir uns jetzt mit – – —«

»Mein Bruder Hammerdull mag uns folgen, ohne etwas vorzuschlagen,« unterbrach ihn Winnetou, indem er aufstieg und weiterritt.

»Welch ein großer Fehler!« brummte der Kleine mißmutig, indem er sich auf seine alte Stute schwang. »Haben das Nest so schön vor uns liegen und lassen die Eier drin! Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Daß das gefährliche Eier sind, lieber Dick. Lassen wir sie drin!« antwortete der Lange.

»Gefährlich? Möchte wissen! Ein Grizzly ist ein Grizzly, weiter nichts!«

Mir that es auch leid, dieses »Nest« liegen lassen zu müssen, ohne die Eier, wie er sich ausdrückte, ausnehmen zu dürfen; aber Winnetou hatte recht. Wenn wir auch nicht grad das Leben gewagt hätten, so muß man bei einer Begegnung mit dem grauen Bären auf einen Unfall doch immer gefaßt sein, und ich hatte an meiner Wunde schon genug!

Kurz, nachdem wir die jenseitige Höhe erreicht hatten, gelangten wir an den Rand einer jener Lichtungen, welche in den Rocky-Mountains »Parks« genannt werden. Dieser Park lief wohl zwei englische Meilen lang auf der Höhe hin und war durchschnittlich eine halbe Meile breit. Einzelne schattige Bäume oder Baumgruppen und boskettartig verteiltes Strauchwerk gaben ihm das Aussehen eines künstlich angelegten Geheges. Vom jenseitigen Rande an senkte sich der Wald allmählich wieder in ein breites Thal hinab.

Der Park war fast genau von Süd nach Nord gerichtet, und wir befanden uns in der nach Südost gelegenen Ecke desselben, von wo aus wir am südlichen Rande weiterritten, um noch vor Abend in das nächste Thal hinabzukommen und dort Halt zu machen. Indem wir dies thaten, sah ich im Nordwesten eine Krähenschar, welche, von Zeit zu Zeit über dem Walde in die Luft steigend, sich immer wieder niedersenkte, und zwar nicht an einer und derselben Stelle, sondern in fortlaufender Weise. Das mußte mir auffallen. Auch Winnetou hielt den Blick nach der betreffenden Gegend gerichtet, um die Krähen zu beobachten. Die andern wurden auch aufmerksam, und Schahko Matto sagte:

»Uff! Dort kommen Leute aus dem Thale herauf. Die Krähen fliegen von Zeit zu Zeit auf, weil sie von diesen Leuten gestört werden.«

»Die Vermutung des Häuptlings der Osagen wird wohl richtig sein,« antwortete ich. »Auch ich nehme an, daß dort Menschen kommen, und zwar nicht wenige, weil die Vögel sich vor zwei oder drei Personen nicht so sehr scheuen würden, wie es dort geschieht.«

 

»Müssen wir nicht zu erfahren suchen, wer es denn ist?«

»Eigentlich haben wir keine Zeit dazu. Wenn wir uns hier verweilen, kommen wir nicht vor Abend in das Thal hinab. Winnetou mag bestimmen, ob das Erscheinen so vieler Leute wichtig genug für uns ist, hier zu bleiben und sie zu beobachten.«

»Es müssen Indianer sein,« erklärte der Apatsche.

»Das ist für uns bedenklich! Was wollen sie auf dieser Seite des Gebirges? Wenn es wirklich Indianer sind, so können sie nur dem Volke der Utahs angehören, deren Paßpfade weiter nördlich liegen.«

»Mein Bruder Shatterhand hat recht. Was wollen sie hier? Wir müssen das zu erfahren suchen. Da wir aber nicht wissen, welche Richtung sie nehmen werden, wenn sie diesen Park erreicht haben, so müssen wir in den Wald zurück und da warten, bis sie kommen.«

Ich war, ein höchst seltener Fall, diesmal nicht mit Winnetou einverstanden; darum sagte ich in dem höflichen Tone, der unter Freunden erst recht geboten ist:

»Mein Bruder möge es verzeihen, daß ich lieber nicht hier warten möchte!«

»Warum nicht?« fragte er.

»Wenn wir hier warten und sie dann sehen wollen, müssen wir ihnen nachreiten, sobald sie den nördlichen Rand des Parks erreicht haben. Das giebt bis dorthin einen Weg von zwei Meilen. Da sie nicht halten, sondern weiterreiten werden, müssen wir ihrer Spur folgen, was sehr schwer sein wird, weil es inzwischen dunkel geworden ist.«

»Mein Bruder hat recht,« stimmte er bei.

»Ich möchte sie im Vorbeireiten beobachten!«

»Dazu ist die Zeit zu kurz. Ja, wir beide kämen noch hin, weil wir die besten Pferde haben, aber unsere Gefährten nicht.«

»So reiten wir allein, und die Kameraden mögen uns langsamer nachkommen. Da wir auf dem offenen Parke keine Spuren machen dürfen, haben sie sich längs dieses Waldrandes unter den Bäumen zu halten und sich drüben bei der andern Ecke, auch immer am Rande hin, nordwärts zu wenden. Sie sehen die hohe Baumgruppe, welche da oben hoch über den Wipfeln emporragt; dort mögen sie uns erwarten.«

»Winnetou. stimmt seinem Bruder bei; sie mögen dort auf uns warten, aber ja kein Feuer anzünden, durch welches sie sich verraten würden!«

Wir trennten uns also von ihnen und jagten unter den Bäumen des Waldrandes erst west- und dann, als wir die südwestliche Ecke erreicht hatten, nordwärts. Das wurde uns nur dadurch möglich, daß die Bäume nicht dicht beisammenstanden; dennoch mußten wir gut aufpassen, denn es gab hervorragende Wurzeln und maskierte Löcher genug, welche uns zu Falle bringen konnten.

Unser jetziger Weg war, da er eine Ecke bildete, fast drei Meilen lang, während es von da aus, wo wir die Krähen über dem Walde gesehen hatten, bis zum Parke nur wenig über eine halbe Meile war; aber die Ankömmlinge ritten bergauf, also wahrscheinlich langsam, und wir flogen in schlankem, wenn auch vorsichtigem Galoppe hin, so daß wir hoffen durften, noch vor ihnen an der nordwestlichen Ecke des Parks anzukommen.

Bevor wir diese erreicht hatten, hielten wir an, um unsere Pferde zurückzulassen. Wir banden sie an einer dazu geeigneten Stelle an und gingen dann zu Fuße weiter, bis wir an den obern Rand einer Vertiefung gelangten, welche hinunter in das Thal zu führen schien. Dies war jedenfalls der Weg, auf welchem die Erwarteten heraufgeritten kamen. Sie waren noch nicht vorüber, denn als wir uns zwischen den Sträuchern so weit vorschoben, wie es möglich war, und hinunter in die Vertiefung blickten, war keine Spur, weder eines Menschen noch eines Pferdes, zu sehen.

Erfreut darüber, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen waren, lauschten wir gespannt nach unten. Es dauerte nicht lange, so hörten wir die nahenden Schritte eines Pferdes. Sollten wir uns geirrt haben? Sollte es ein einzelner Reiter anstatt einer ganzen Schar sein? Höchst unwahrscheinlich! Jedenfalls ritt einer als Späher voran.

Jetzt erschien er. Wir sahen erst seinen Kopf über das Gesträuch ragen, und dann erblickten wir ihn und sein Pferd in voller Gestalt. Es war ein Utah-Indianer, und zwar ein Häuptling; er hatte zwei Adlerfedern in dem Haarschopfe stecken. Sein Pferd – – —

Mein Himmel! Sein Pferd – – —! Ja, sah ich denn recht? Das war ja ganz genau, Haar für Haar, das Pferd, welches ich damals dem Häuptling der Komantschen aus dem Kaam-kulano entführt und später Old Surehand geschenkt hatte! Winnetou stieß mich an und sagte leise:

»Uff! Dein Komantschenpferd! Das Pferd unsers Bruders Surehand!«

»Ja, es ist es; es ist es ganz gewiß!« antwortete ich ebenso leise.

»Wenn sie ihn gefangen und getötet hätten!«

»Dann wehe ihnen! Kennst du diesen Roten?«

»Ich kenne ihn. Es ist Tusahga Saritsch[41], der Häuptling der Utahs vom Capote-Stamme. Ich habe ihn schon mehrmals gesehen.«

»Was für ein Krieger?«

»Nicht tapfer, sondern falsch und voller Hinterlist.«

»Wollen warten und seine Krieger sehen!«

Der Häuptling war vorüber. Nun kamen seine Leute, nach Indianerart, einer hinter dem andern. Wir zählten zweiundfünfzig Mann. In ihrer Mitte ritt auf einem alten Klepper – – – Old Surehand, an den Händen gefesselt und mit den Füßen an das Pferd gebunden.

Wie war er in die Hände der Utahs gefallen? Das fragten wir uns natürlich. Er sah leidend, aber keineswegs niedergeschlagen aus. Es war anzunehmen, daß er sich schon einige Tage bei diesen Roten befand, die ihn wahrscheinlich schlecht behandelt und ihm keine Nahrung gegeben hatten.

Es war jetzt nichts, gar nichts für ihn zu thun. Wir mußten sie vorüberreiten lassen, doch stand fest, daß wir alles zu seiner Befreiung aufzuwenden und zu wagen hatten. Als wir die Schritte ihrer Pferde nicht mehr hörten, krochen wir aus dem Gebüsch, um ihnen vorsichtig zu folgen. Es verstand sich natürlich ganz von selbst, daß wir erfahren mußten, wo sie ihr Lager aufschlagen würden.

Als sie den Park erreicht hatten, ritten sie am nördlichen Rande desselben hin, doch gar nicht weit; dann stiegen sie von den Pferden. Wir sahen bald, daß sie an dieser Stelle bleiben wollten, und kehrten darum zu unsern Pferden zurück, um nach der hohen Baumgruppe zu reiten, wohin wir unsere Gefährten bestellt hatten.

Sie waren schon dort angekommen und warteten auf uns. Es läßt sich denken, welchen Eindruck das, was wir ihnen erzählten, auf sie machte. Sie wollten wissen, was wir zu thun beschlossen hatten, doch konnten wir es ihnen nicht sagen, weil wir es selbst noch nicht wußten. Es kam ja alles darauf an, in welcher Absicht die Utahs hierhergekommen waren, was sie mit Old Surehand vorhatten und welcher Art Gelegenheit sich uns bot, ihm zu Hilfe zu kommen.

Zunächst mußten wir das nächtliche Dunkel erwarten, um sie ungesehen beschleichen zu können. Die Dämmerung war zwar schon nahe, doch mußte es für unser Vorhaben vollständig finster sein. Inzwischen sah Winnetou nach meiner Wunde, die er in zufriedenstellendem Zustande fand.

Als dann das erste, tiefe Dunkel des Abends hereingebrochen war, machten wir uns nach dem Lagerplatze der Utahs auf.

Wir gingen natürlich nicht über den offenen Park hinüber, sondern wieder am Rande desselben hin und bogen an der Ecke rechts ab. Nicht lange, so sahen wir mehrere Feuer brennen, deren Rauch wir schon vorher gerochen hatten. Daß sie nicht unter freiem Himmel, sondern unter den Bäumen angezündet worden waren, konnte uns nur lieb sein, weil uns eben diese Bäume Deckung gaben. Nur die Pferde waren draußen angehobbelt und wurden von zwei Roten bewacht, welche gelangweilt auf und ab spazierten.

Wir drangen links in den Wald ein, um von hinten an die Roten zu kommen, was uns ganz vortrefflich gelang. Es gab da hohe, kräftige Farnpflanzen, durch die wir uns bis fast ganz an sie heranschieben konnten. Freilich gehörte große Geschicklichkeit und viel Zeit dazu, dies zu thun, denn die geringste Berührung an den untern Teilen der Wedel hatte oben eine sehr auffällige Bewegung derselben zur Folge. Wir vereinfachten das, indem der Apatsche vorankroch und ich ihm folgte und wir uns erst dann trennten, als wir möglichst weit gekommen waren. Auf diese Weise hatten wir uns nicht zwei Wege, sondern nur einen zu bahnen und ersparten die Hälfte der Arbeit, welche auf unserm Rückzuge vorzunehmen war.

Mit dieser Arbeit meine ich die Vertilgung unserer Spuren. Die Indsmen durften morgen früh, wenn es hell geworden war, natürlich nicht sehen, daß sich jemand in den Farn befunden hatte. Wie schwer und zeitraubend eine solche Arbeit ist, brauche ich wohl nicht zu sagen. Es muß, indem man sich rückwärts bewegt, jede einzelne Pflanze, ja jeder einzelne Wedel gerichtet und auch der Boden von jedem Eindrucke der Hände und der Füße gesäubert werden.

Tusahga Saritsch saß, mit dem Rücken an einem Stamme lehnend und uns sein linkes Profil zukehrend, an einem Feuer, welches fast seine Füße berührte. Jenseits dieses Feuers war Old Surehand ihm gegenüber an einen Baum gebunden; außerdem hatte man ihm die Hände und die Füße gefesselt. Seine lange, braune Haarmähne hing ihm wirr und ungeordnet bis auf den Waldboden herab. Das gab ihm eine Aehnlichkeit mit Winnetou, noch größere aber – – – mit Kolma Puschi, dem geheimnisvollen Indianer, eine Aehnlichkeit, welche mir jetzt, da ich ihn vor mir hatte, geradezu auffallend vorkam.

Wir sahen an den herumliegenden Resten, daß die Utahs gegessen hatten. Wahrscheinlich hatte Old Surehand nichts bekommen. Es war für ihn ganz unmöglich, unsere Gegenwart zu ahnen; er wußte ja nicht, daß ich in Jefferson-City gewesen, dort von seinem Vorhaben gehört hatte und ihm nachgeritten war. Ich hätte ihm jetzt wohl ein Zeichen geben können, welches er von früher her kannte, war aber so vorsichtig, dies nicht zu thun, da ich die Größe seiner Ueberraschung in Berechnung ziehen mußte. Es war anzunehmen, daß er uns durch sie verraten würde.

Wir lagen über eine halbe Stunde lang, ohne etwas Wichtiges zu hören. Die Indianer sprachen miteinander, doch nichts, was uns interessieren konnte. Vom Zwecke ihres jetzigen Rittes war kein Wort dabei. Der Häuptling verhielt sich vollständig schweigend; er bewegte sich kaum einmal leise. Sein Gesicht und seine Gestalt schienen aus Holz geschnitzt zu sein. Nur in seinen Augen war Leben; sie blickten wieder und immer wieder mit dem Ausdrucke befriedigten Hasses zu dem Gefangenen hinüber. Dieser saß auch fast unbeweglich. Die Augenlider stets niedergeschlagen, hatte er das Aussehen, als ob er sich in einer so verächtlichen, ihm so gleichgültigen Umgebung befinde, daß es sich gar nicht verlohne, auch nur mit der Wimper zu zucken. Gab es ein bezeichnendes Wort für seine Haltung, so war es nur das eine: der personifizierte Stolz!

Nach der angegebenen Zeit war in der Ferne die Stimme eines Bergwolfes zu hören, worauf eine zweite, dann eine dritte und vierte Stimme antwortete. Dies gab dem Häuptling Veranlassung, sein Schweigen zu brechen:

»Hört das Bleichgesicht die Wölfe? Sie streiten sich um die Knochen, welche ihnen der Kui-eran[42] von seiner Mahlzeit übrig gelassen hat.«

Old Surehand antwortete nicht. Der Häuptling der Utahs fuhr fort: »So werden sie sich morgen abend auch um deine Gebeine streiten!«

Da der Gefangene auch jetzt schwieg, fuhr ihn Tusahga Saritsch zornig an:

»Warum redest du nicht? Weißt du nicht, daß man zu antworten hat, wenn ein berühmter Häuptling den Mund öffnet, eine Frage auszusprechen?«

»Berühmt? Pshaw!« ließ sich Old Surehand jetzt verächtlich hören.

»Zweifelst du daran?«

»Ja.«

»So kennst du mich nicht!«

»Das ist es ja! Ich habe dich nicht gekannt, bis ich dich sah; ich hatte noch nicht ein einziges Mal deinen Namen gehört. Kannst du da berühmt sein?«

»Ist nur der berühmt, dessen Namen grad deine Ohren gehört haben?«

»Wer den Westen so kennt wie ich, kennt auch den Namen jedes berühmten Mannes!«

»Uff! Du willst mich beleidigen, nur damit ich dich schnell töte! Das wird aber nicht geschehen. Du sollst dem grauen Bären gegenüberstehen!«

»Damit du dich dann mit seinem Felle, seinen Ohren, seinen Krallen und seinen Zähnen schmücken und die Lüge sagen kannst, du habest ihn erlegt!«

»Schweig!. Es sind über fünfzig Krieger hier, welche wissen werden, daß ich ihn nicht getötet habe. Wie kann ich da so sagen, wie du sprichst?!«

 

»Wer feig ist, ist zu jeder Lüge fähig. Warum schickt ihr mich in das »Thal der Bären«? Warum wollt ihr nicht selbst hinunterreiten?«

»Wer uns Feiglinge nennt, ist ein Coyote, dessen Stimme wir verachten!«

»Wenn du von Verachtung redest, so verachte dich nur selbst!«

»Hund! Hast du nicht bei der Beratung gesessen und jedes Wort vernommen, als wir über dich beschlossen haben? Du hast unsere beiden Krieger ermordet, welche Vater und Sohn waren, der »alte Bär« und der »Junge Bär« genannt. Beide trugen ihre Namen davon, daß sie den mächtigen grauen Bären des Felsengebirges erlegt hatten; sie waren sehr berühmte Krieger – – —«

»Feiglinge waren sie!« fiel Old Surehand ihm in die Rede. »Feiglinge, die mich von rückwärts überfielen! Ich tötete sie, indem ich mich gegen sie wehrte, im offenen, ehrlichen Kampfe. Wäret ihr nicht so viele über mich gekommen, fünfzig gegen einen, und wäre ich auf diesen Kampf vorbereitet gewesen und nicht hinterrücks angegriffen worden, so hättet ihr mich anders kennen gelernt, als es geschehen ist!«

»Jeder rote Mann kennt die Bleichgesichter; sie sind blutdürstig und räuberisch wie die wilden Tiere und müssen als solche behandelt werden. Wer da glaubt, sie seien eines ehrlichen Kampfes wert, der wird von ihnen ausgelöscht. Du bist ein Bleichgesicht, doch vermute ich, daß du rotes Blut in den Adern hast; das aber sind die Schlimmsten, die es giebt.«

Diese Worte des Häuptlings frappierten mich. Old Surehand rotes Blut in den Adern! Er hatte nicht das Aeußere und noch viel weniger den Charakter eines Mestizen; aber es hatte mir doch schon oft, wenn ich still und ihn beobachtend bei ihm saß, geschienen, als ob etwas Indianisches an ihm sei; ich hatte nur nicht finden können, worin das eigentlich lag. Nun sprach der Utah diesen Gedanken offen aus, und als ihm hierauf die Augen Old Surehands in tiefer, aber verhaltener Glut entgegenleuchteten, wurde mir wenigstens soviel klar: das waren Indianeraugen! Der Utah fuhr fort:

»Der Tod des »jungen« und des »alten« Bären muß gerächt werden. Wir können dich nicht mit nach dem Lager unsers Volkes nehmen, um dich dort am Marterpfahle sterben zu lassen, denn das liegt zu fern von hier; darum haben wir einen andern Tod für dich beschlossen: Du hast die beiden »Bären« getötet und sollst nun dafür auch von den Bären getötet werden. Liegt darin etwa eine Feigheit von unserer Seite?«

»Darin nicht, aber in der Weise, in welcher ihr es ausführen wollt.«

»Das ist keine Feigheit, sondern eine Milde gegen dich!«

»Pshaw! Ihr getraut euch nicht in das »Thal der Bären« hinunter!«

»Wahre deine Zunge, Hund! Ist es nicht ein großes Vertrauen, welches wir dir erweisen, indem wir dich zwei Tage lang früh allein fortgehen lassen und deinem Worte glauben, daß du abends wiederkommst?«

»Wie verhält sich dieses Vertrauen zu den Worten, welche du vorhin über die Bleichgesichter gesprochen hast? Warum schenkt ihr mir diesen Glauben?«

»Weil wir wissen, daß Old Surehand hält, was er versprochen hat. Er ist in dieser Beziehung ganz wie Old Firehand und Old Shatterhand.«

»Kennst du diese beiden weißen Jäger?«

»Ich habe keinen von ihnen gesehen; aber ich weiß, daß sie nie ihr Wort brechen würden. Ganz dasselbe weiß ich auch von dir. Ihr seid die einzigen Bleichgesichter, denen man Glauben und Vertrauen schenken kann, obgleich ihr wie alle Bleichgesichter doch Feinde der roten Männer seid. Glaubst du etwa, durch deine Reden unser Urteil über dich abändern zu können?«

»Dies zu glauben, fällt mir gar nicht ein. Ich kenne euch nur zu genau!«

»Du willst damit sagen, daß auch wir Wort zu halten verstehen. Es bleibt bei dem, was über dich beschlossen worden ist. Wir geben dich morgen früh, sobald es Tag geworden ist, frei, um in das »Thal der Bären« hinabzusteigen. Du bekommst dein Messer und dein Gewehr. Am Abend kommst du zurück und darfst am nächsten Morgen wieder gehen, um am Abend abermals hier einzutreffen. Hast du in diesen zwei Tagen vier Bären erlegt, deren Felle du bringst, so ist dir das Leben geschenkt.«

»Das Leben, aber nicht die Freiheit?«

»Nein. Die Freiheit bekommst du erst dann, wenn du mit uns reitest und eine unserer Töchter zur Squaw nimmst. Wir haben durch dich zwei tapfere Krieger verloren, und dafür sollst du ein Krieger unsers Stammes werden, wenn du nicht von den Bären aufgefressen wirst.«

»Darauf gehe ich nicht ein; das habe ich euch schon wiederholt gesagt.«

»Das wird sich finden. Wir werden dich zu zwingen wissen!«

»Pshaw! Old Surehand läßt sich nicht zwingen!«

»Diesmal doch! Ich gebe dir mein Wort. Du wärst nur dann nicht zu zwingen, wenn du dein Versprechen brächest und nicht wiederkämst. Wir wissen aber, daß dies nicht geschehen wird. Du wirst nur dann nicht zu uns zurückkehren, wenn die Tatzen und die Zähne der Bären dich zerrissen haben.«

»Well! Ich werde nicht zerrissen und komme auf alle Fälle wieder. Hier grad am Waldesrande hin führt eine Schlucht in das »Bärenthal« hinunter; da werde ich meinen Weg hinab nehmen und auf demselben auch zurückkehren. Sollte ich aber doch nicht wiederkommen, werdet ihr da nach mir suchen?«

»Nein. Kommst du nicht, so bist du tot und aufgefressen worden.«

»Ich könnte aber doch auch nur verwundet sein!«

»Nein. Ein Mensch, der so verwundet ist, daß er nicht gehen kann, muß unbedingt ein Fraß der wilden Tiere werden. Wir suchen also nicht!«

»Sag doch die Wahrheit ehrlich heraus: Ihr fürchtet Euch vor den grauen Bären!«

»Schweig! Sind wir nicht über fünfzig Krieger?! Es giebt keinen unter uns, der sich scheuen würde, den Grizzly allein anzugreifen. Woher soll die Furcht kommen, wenn wir so viele sind? Wir warten hier, ob du vier Felle bringst, für den »Jungen Bären« zwei und für den »alten Bären« zwei. Kommst du lebend, ohne sie zu bringen, so wirst du erschossen; kommst du nicht, so bist du tot, und die beiden »Bären« sind gerächt. So wurde es beschlossen, und dabei wird es bleiben. Ich habe gesprochen. Howgh!«

Er machte mit den Händen ein Zeichen, daß er nichts mehr hören wolle, und lehnte sich wieder an den Baum. Wir warteten noch über eine Viertelstunde, und als bis dahin keiner von ihnen den Mund wieder geöffnet hatte, wußten wir, daß nun nichts mehr zu erfahren sei und verließen in der vorhin angegebenen Weise unsern Lauscherposten.

Das Auslöschen unserer Spuren war nur dadurch möglich, daß die Utahs Feuer brennen hatten. Indem wir, tief am Boden liegend, gegen diese Feuer blickten, erhielten wir das dazu nötige Licht, und doch dauerte es wohl eine Stunde lang, ehe wir uns sagen konnten, daß am nächsten Morgen nichts mehr von unserer Anwesenheit zu sehen sein werde.

Wir hatten eben das Famgestrüpp verlassen und wollten noch eine Strecke weiter zurückkriechen, bis wo wir uns aufrichten konnten, als der Häuptling sich am Feuer emporrichtete und seine Befehle für die Nacht erteilte. Wir hörten, daß alle Feuer bis auf eines ausgelöscht werden und die Roten sich um dieses und den Gefangenen in einem Doppelkreise lagern sollten. Außerdem sollten zwei Wachen unausgesetzt um das Lager patrouillieren, weil die Nähe des »Bärenthales« die Möglichkeit zuließ, daß sich ein Grizzly hierher verirren könne.

Diese Vorsicht war allerdings geboten, zumal ein großer Teil der Utahs nur Lanzen, Bogen und Pfeile besaß, uns aber kam sie äußerst ungelegen. Nahmen wir uns vor, Old Surehand heut während der Nacht zu befreien, so wurde dies durch den Doppelkreis außerordentlich erschwert und durch die Posten, wenn wir nicht Blut vergießen wollten, fast unmöglich gemacht. Diese waren gewiß aus Angst vor den Bären doppelt aufmerksam, und wenn Winnetou und ich uns auch vorgenommen hätten, sie in unserer gewöhnlichen Weise zu überraschen, so mußten wir uns außerdem sagen, daß die anderen alle nur mit Sorgen, also leise schlafen würden. Die Art und Weise, in welcher ich Apanatschka aus der Hand der Osagen und Kolma Puschi uns aus der Gefangenschaft der Tramps befreit hatte, war hier unmöglich anzuwenden.

Während die Utahs die Befehle ihres Häuptlings ausführten, verursachten sie so viel Geräusch, daß wir uns leicht und unbemerkt entfernen konnten. Winnetou ging dann neben mir her, ohne ein Wort zu sagen. Er überlegte, doch wie ich ihn kannte, wußte ich, daß er nicht zu den Gefährten treten werde, ohne einen Entschluß gefaßt zu haben.

41Utahsprache: Schwarzer Hund.
42Grauer Bär.