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Old Surehand III

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»So mag Hammerdull recht viel Holz in das Feuer werfen, daß es eine hell hinüberleuchtende Flamme giebt, und die andern mögen mit schußfertigen Gewehren das Ufer drüben bewachen und sofort schießen, wenn ein Zweig sich regt!«

Diese Untersuchung der Wunde ergab ein günstig-ungünstiges Resultat, günstig, weil das Oberschenkelbein unverletzt war, und ungünstig, weil die Wunde eine Eiterwunde zu werden versprach. Die Kugel war bis auf den Knochen durch die Weichteile gedrungen und wurde von Winnetou mit dem Messer herausgeholt. Sie war einseitig plattgedrückt und hatte mit der dadurch entstandenen Kante, zumal sie matt geworden war, keine glatte Wunde geschlagen, sondern das Fleisch zerfetzt. Das verhieß Wundfieber, heftige Schmerzen und eine langsame Heilung, vielleicht gar mit zurückbleibender Hyperostose. Fatal! Grad jetzt, wo jede Verzögerung unsers Rittes so bedenklich war!

Glücklicherweise führte ich einige reine Tücher in der Satteltasche mit. Indem mir Winnetou den einstweiligen Verband anlegte, sagte er: »Es ist sehr gut, daß mein Bruder gelernt hat, Schmerzen nach der Art der roten Krieger zu ertragen. Wenn wir nicht in kurzer Zeit genug Tschitutlischi[36] finden, wird eine böse Entzündung eintreten; finden wir aber genug davon und vorher auch eine Dentschu-tatah[37], so hoffe ich, weil du eine so kräftige Natur und sehr gesundes Blut besitzest, daß du diese Verwundung nicht schwer überwinden wirst. Hoffentlich kannst du jetzt reiten?«

»Natürlich! Ich habe keine Lust, den schwachen Patienten zu spielen.«

»So wollen wir unserer Sicherheit wegen diesen Ort verlassen und einen andern suchen. Doch nimm dich in acht, daß keine neue Blutung entsteht!«

Wir verließen die für mich so unangenehm gewordene Stelle und folgten dem Creek fast eine Stunde lang abwärts, wo wir abstiegen und wieder ein Feuer anzündeten. Es wurden einige harzreiche Aeste gesammelt, welche als Leuchten beim Pflanzensuchen dienen sollten; die drei Indianerhäuptlinge zündeten sie an und entfernten sich, um für ihren angeschossenen Freund und Bruder Shatterhand botanisieren zu gehen. Dick Hammerdull hatte sich neben mich gesetzt. Er hielt seine alten, guten Augen zärtlich auf mich gerichtet, strich mir plötzlich einmal mit überquellender, besorgter Zärtlichkeit über die Wange und knurrte dabei:

»Verteufelte Erfindung, diese Schießgewehre! Besonders dann, wenn die Kugeln treffen. Habt Ihr große Schmerzen, Mr. Shatterhand?«

»Gar keine jetzt,« antwortete ich.

»So wollen wir hoffen, daß es bei dieser Handschuhnummer bleibt!«

»Das steht leider nicht zu erwarten. Jede Verletzung will sich ausschmerzen; eher heilt sie nicht.«

»Schmerz! Ein ganz miserables Wort! Und dennoch möchte ich, daß ich den Eurigen auf mich nehmen könnte! Ich bin da wohl nicht der einzige, der so denkt. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Hm,« antwortete der Lange, »ich wollte lieber, ich wäre getroffen worden!«

»So! Warum hast du dich da denn nicht dorthin gesetzt, wohin der Kerl geschossen hat? Hinterher kannst du gut aufopfernd sein!«

»Bin ich allwissend, dicker Grobian?«

»Das nicht; aber wenn ich schon sage, daß lieber ich die Schmerzen haben möchte, brauchst du doch nicht auch welche zu verlangen!«

»Du hast mich doch gefragt! Und ich habe Mr. Shatterhand wenigstens ebenso lieb wie du!«

»Ob ich ihn lieb habe, oder ob du ihn lieb hast, das bleibt sich gleich, das ist ganz und gar egal, wenn wir ihn nur beide lieb haben; verstanden?! Wenn ich den Kerl erwische, der da so unvorsichtig geschossen hat, daß die dumme Kugel zurückfliegen mußte, so mag er seine zwölf Knochen nur zusammennehmen!«

»Zweihundertfünfundvierzig, lieber Dick!« verbesserte ich ihn.

»Warum so viel?«

»Weil jeder Mensch so viel hat.«

»Desto besser, denn desto länger wird er zu suchen haben, ehe er sie zusammenfindet! Aber zweihundertfünfundvierzig Knochen? Ich habe die meinigen zwar noch nicht gezählt, jedoch daß unter meiner Haut so viele Knochen stekken, das habe ich bisher nicht geahnt!«

»Knochen und Knochen ist ein Unterschied; es sind da auch die kleinen Gehör- und Sesamknöchelchen mitgezählt.«

»Sesamknöchelchen? Sesam? Ich will auf der Stelle gelyncht, geteert und gefedert werden, wenn ich solche Sesambeine schon einmal gesehen habe! Pitt Holbers, du bist doch an Knochen viel stärker und reicher als ich, aber sind dir deine Sesamknöchelchen bekannt?«

»Never mind! Glaubst du, ich habe mich schon einmal umgestülpt, wie man einen Handschuh umwendet, um die Sesams zu zählen, die in mir stecken? Daß ich sie habe, ist vollständig genügend; zu sehen und zu zählen brauche ich sie nicht.«

»Aber der Mensch, welcher geschossen hat, soll die seinigen zählen, wenn ich ihn erwische! Möchte wissen, wer er ist!«

»Wahrscheinlich Toby Spencer selbst.«

»Schöner Schütze!«

»Er hat früher jedenfalls besser geschossen, von mir aber bei Mutter Thick eine Revolverkugel in die Hand bekommen und zwar zu meinem Glücke, denn wenn das nicht wäre, lebte ich jetzt nicht mehr; gezielt war‘s gut, aber zitterig abgedrückt. Da war doch Winnetous Schuß ein anderer! Ein Knieschuß in die Dunkelheit hinein, und doch grad in die Stirn! Uebrigens werden die Tramps morgen große Augen machen, wenn sie den Toten an unserm Lagerplatze finden!«

»Well! Sie werden da erst recht denken, daß sich die Bonanza dort befindet, denn sie müssen doch annehmen, daß wir den Mann erschossen haben, weil er das Placer entdeckt hat.«

»Möglich, daß sie das denken! Aber Eure Bonanzageschichte ist schuld, daß ich verwundet worden bin.«

»Ah, wirklich? – Wieso denn?«

»Der Lärm, den Ihr mit Eurem Loche gemacht habt, hat die Leute herbeigezogen; sie haben ihn gehört.«

»Hm! Ich kann nicht widersprechen. Ihr macht mir also Vorwürfe?«

»Nein. Was geschehen ist, ist vorüber; niemand kann es ändern. Doch hört, da kommen die Häuptlinge!«

Ja, sie kamen. Winnetou teilte mir in erfreutem Tone mit:

»Mein Bruder Shatterhand mag froh sein, denn wir haben viel Tschitutlischi und auch mehrere Dentschu-tatah gefunden; er wird also die Verwundung leichter, wenn auch nicht ohne Schmerzen, überstehen.«

Wenn ich auch nicht an ein »leichtes Ueberstehen« dachte, so war es mir doch außerordentlich lieb, diese Worte von ihm zu hören. Bei einem Verbande, wie ich ihn jetzt trug, waren die Folgen gar nicht abzusehen. Ich hätte vielleicht auf den Weiterritt verzichten müssen, wenn nicht gar noch Schlimmeres eingetreten wäre. Ich kannte die außerordentliche Heilkraft seiner Wundpflanzen und war nun überzeugt, daß ich die Blessur ohne schweren Nachteil überwinden würde.

Der Verband wurde wieder abgenommen und die Wunde ausgewaschen; dann fertigte Winnetou aus einem weichen Blatte einen passenden Pfropf, den er mit dem beizenden Safte des Dentschu-tatah tränkte. Diese Pflanze gehört wie unser Chelidonium in die Familie der Papaveraceen, unterscheidet sich aber von diesem dadurch, daß sie keinen rotgelben Milch-, sondern einen weißen, dünnflüssigeren Saft hat. Als mir der Pfropfen in die Wunde gedreht wurde, war es, als ob ich ein glühendes Eisen hineinbekäme. ich bin gewohnt, Schmerzen zu verbeißen, mußte mich jetzt aber doch zusammennehmen, um ein unverändertes, ja lächelndes Gesicht zu zeigen. Winnetou sah mich an und sagte, mit dem Kopfe nickend:

»Ich weiß, daß Old Shatterhand jetzt am Marterpfahle hängt; da er diesen Schmerz mit Lächeln übersteht, würde er auch an einem wirklichen Pfahle lachen. Howgh!«

Die höchst schmerzhafte Prozedur wurde noch zweimal wiederholt, wobei jedesmal die Empfindung weniger peinigend war. Dann träufelte mir der Apatsche den wasserhellen Saft der Tschitutlischi ein, legte das Kraut auf die Wunde und verband sie fest. Dieses Kraut gehört in die Familie der Plantagineen, ist aber keineswegs unser Wegebreit. Ich habe beide Pflanzen, welche wahrhaft Wunder wirken, nicht in Deutschland, auch nicht im Osten der Vereinigten Staaten gefunden. Die Apatschen nennen, außer den zwei schon angeführten Namen, das eine wie das andere Kraut Schis-inteh-tsi, zu deutsch »Indianerpflanze« und behaupten, daß es ein Geschenk des großen Geistes für seine roten Söhne sei, nur da wachse, wo sie wohnen, sich mit ihnen aus dem Osten nach dem fernen Westen zurückgezogen habe und mit ihnen einst aussterben werde. Selbst Winnetou, der stets so vorurteilslose, behauptete einst in vollstem Ernst zu mir.-

»Wenn der letzte Indianer stirbt, wird auch das letzte Blatt Schis-inteh-tsi verwelken und nie wieder grünen. Es blüht mit der roten Nation in jenem Leben wieder auf!«

Es war doch möglich, daß die sechs Weißen, welche Winnetou gesehen hatte, wieder zurückgekehrt waren und uns beobachtet hatten. Wir trafen die gebotenen Vorsichtsmaßregeln und losten die Wachen aus, wovon indessen ich als Verwundeter entbunden wurde. Ich schlief trotz der Verletzung bis zum frühen Morgen fest, wo ich aber von einem Gefühle des Zerrens und der Trockenheit aufgeweckt wurde. Winnetou lag seinen chirurgischen Pflichten wieder ob, wobei heut nur der zweite Saft in Anwendung kam; dann aßen wir und brachen nachher auf.

Es galt natürlich zunächst, zu erfahren, wer die sechs Weißen gewesen waren. Wir setzten über den Creek und ritten, um mich zu schonen, langsam weiter, während der Apatsche fortgaloppierte, um die gesuchte Fährte zu entdecken. Es dauerte gar nicht lange, bis er kam und uns zu ihr führte. Sie lief in unserer Richtung über die Prairie, was wir uns gleich gedacht hatten. Wir wußten ja, daß Toby Spencer auch hinauf nach dem Park von San Louis wollte. Natürlich folgten wir ihr.

 

Diese Prairie war nicht groß; es hörten jetzt überhaupt die Ebenen auf, die oft so langweilig sind und doch den erhabenen Eindruck des Oceans machen. Wir kamen, um mich so auszudrücken, an die Vorhöhen der Vorberge und mußten von jetzt an auf einen geradlinigen Ritt verzichten. Gut war es, daß wir die Wege und Pässe, welche wir aufzusuchen hatten, kannten. Zunächst galt es, den alten, sogenannten Kontinentalpfad zu erreichen, einen früher vielbelebten Westmannsweg, welcher in unzähligen Windungen über die Mountains führt, zur jetzigen Zeit aber vergessen worden zu sein scheint.

Da wir den grasigen Boden verlassen hatten, war die Fährte, welcher wir folgten, nicht leicht zu lesen. Oft verschwand sie für längere Zeit ganz; wir trafen aber immer wieder auf sie, ohne uns große Mühe gegeben zu haben sie zu finden, und so nahmen wir an, daß die uns Vorausreitenden auch nach dem Kontinentalpfade wollten.

Erwähnen muß ich, daß ich bei jedem Wasser, an welches wir kamen, abstieg, um meine Wunde zu kühlen, was so, wie ich es machte, freilich nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Ich hatte mir nämlich über dem Knie einen Riemen so fest um den hohen Stiefel gebunden, daß das untere Bein luftdicht abgeschlossen war; dann schöpfte ich mir den oberen Teil des Schaftes mit den Händen voll Wasser, und dieses reichte fast stets so weit, bis es wieder frisches gab. Zuweilen stieg ich gar nicht ab und ließ mir von einem der Gefährten »den Stiefel füllen«.

Man glaubt nicht, welchen Eindruck die Rocky-Mountains machen, wenn man so lange Zeit von Tag zu Tag vergeblich nach dem Horizonte der weiten, unendlich scheinenden Ebene gejagt hat. Auf der Savanne flieht er fort und fort ins Weite, in die Endlosigkeit; das Auge bittet förmlich um einen festen Halt, doch ohne ihn zu finden; es ermüdet und blickt doch immer wieder sehnend auf – – vergeblich, vergeblich! Der wie ein Halm im grenzenlosen Grasmeere sich fühlende Mensch wird zum Ahasver, der nach Ruhe schreit und doch keine findet. Da endlich tauchen nach langem Sehnen und Wünschen in der Ferne die grauen Schleier auf, hinter denen das Kanaan des Auges seine Berge gen Himmel streckt. Sie bilden nicht einen Horizont, welcher, unerbittlich zurückweichend, immer treulos flieht; nein, dieser Vorhang ist treu, hält Wort! Ja, er scheint nicht nur auf unser Nahen zu warten, sondern uns entgegenzukommen. Und je mehr wir uns ihm nähern, desto mehr gewinnt er an Durchsichtigkeit; oder er hebt sich allmählich höher und höher und läßt uns nach und nach die Herrlichkeiten sehen, viel schöner noch, als er sie uns von weitem schon versprochen hat. Nun gewinnt das Auge Halt und das Leben Farbe und Gestalt. Glich die Savanne einer keinen Anfang und kein Ende bietenden Tafel, auf welcher die große, erhabene Rune »Ich, der Herr, bin das Alpha und das Omega!« zu lesen war, so steigen jetzt die in Stein erklingenden Hymnen von der Erde auf und jubilieren: »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Berge verkündigen seiner Hände Werk; ein Tag sagt es dem andern, und eine Nacht thut es der andern kund!« Und dieser steinerne Jubel ruft den Widerklang der Seele wach; es falten sich die Hände, und die Lippen öffnen sich zum Gebete: »Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Deine Weisheit hat sie geordnet, und die Erde ist voll von deiner Liebe und Güte!«

So, grad so habe ich stets empfunden, wenn ich aus diesen Ebenen nach diesen Bergen kam. Tausende stiegen hinauf, mit tödlichen Waffen in den Händen, um schonungslos die Geschöpfe Gottes niederzumetzeln; Tausende stiegen und steigen noch heut hinauf, vom trügerischen Glanze des Goldes und des Silbers geblendet, um das ihnen von Gott geliehene Leben an den verderblichen Mammon zu wagen; wie viele waren unter ihnen, welche, wenn sie das Bibelwort kannten: »Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, auf denen mein Heil und meine Hilfe wohnt,« dabei an ihr wahres Heil und an den allein rechten Helfer dachten?

Ich ritt auch heut hinter den Gefährten her, um nicht gestört zu sein, und ließ die Farben und Lichter, welche von oben glänzten, mir in die Seele leuchten; denn die Felsenberge sind reicher an Farben und zeigen erhabenere Lichter als jedes andere Gebirge der Erde. Es ist nicht die massigstolze Erhabenheit der Alpen, nicht die epische der Pyrenäen und nicht die unnahbare, niederdrückende des Himalaja, sondern es ist eine Hoheit, welche zwar mit ernster Würde doch mild lächelnd niederschaut. Wenn die alten Griechen ihren Göttern den Olymp zur Wohnung gaben, so hatte und hat der Indianer weit größere Berechtigung zu dem Glauben, daß auf diesen Bergen sein großer, guter Manitou wohne.

Wir ritten heut noch lange nicht im Gebirge, sondern erst unten, zwischen den weit ausgreifenden Zehen der Bergesfüße dahin, und doch schon welche Herrlichkeit rings um uns her! Bei jeder Wendung ging ein neuer Vorhang auf und bot ein andres, schönes Bild. Es war ein unvergleichliches Wandelpanorama, nur wandelten wir, und Gottes Berge standen. Schon sandte uns der hohe Wald seine Ausläufer grüßend entgegen: »Willkommen! Mein Dom ist ein Tempel, von keines Menschen Hand gemacht!« Das waren nicht die trüben, trägen Wasser der Savanne, welche uns klar und hell mit fleißigen Sprüngen ereilten und uns mahnend zuplätscherten: »Wie du da oben meine Quelle suchst, so strebe immer nach dem Urgrund aller Dinge!« Und die Winde, welche uns bei jeder Biegung des Weges entgegenwehten und die Wangen kühlten, sie säuselten uns zu: »Du weißt nicht, von woher wir kommen und wohin wir gehen; uns leitet der Herrscher aller Dinge. So ist auch das Leben des Menschen; du kennst weder seinen Beginn noch seinen Verlauf; der Herr allein weiß es und leitet es!«

Nicht wahr, lieber Leser, ich bin doch ein ganz übermäßig frommer Mensch? So wirst du vielleicht denken; aber du wirst dich da wohl irren. Uebermäßig? Nein! Die wahre Frömmigkeit kennt kein Uebermaß; sie kann überhaupt gar nicht gemessen werden. Ich bin ein stets gern seelenvergnügter, heiterer Gesell und weiß gar wohl, wem ich diese Heiterkeit verdanke. Du darfst es mir wirklich nicht übelnehmen, daß ich das, was ich drüben im wilden Westen dachte und fühlte, hier in der von der »Civilisation« gebändigten Heimat niederschreibe. Was ich da drüben gethan und erlebt habe, das waren doch Ergebnisse meiner Gedanken und Gefühle, und wenn ich dir die Folgen erzähle, darf ich doch die Ursachen nicht verschweigen! Ueberdies hat jeder Leser das Recht, seinem Autor in das Herz zu blikken, und dieser ist verpflichtet, es ihm stets offen zu halten. So gebe ich dir das meine. Ist es dir recht, so soll mich‘s freuen; magst du es nicht, so wird es dir dennoch stets geöffnet bleiben. Soll ein Buch seinen Zweck erreichen, so muß es eine Seele haben, nämlich die Seele des Verfassers. Ist es bei zugeknöpftern Rock geschrieben, so mag ich es nicht lesen. —

Es war schon Nachmittag, als wir kurz vor einem Walde den Kontinentalweg erreichten. Wir kannten die sehr charakteristische Stelle, waren sicher, daß wir uns nicht irrten, und lenkten auf ihn ein. Bald befanden wir uns im hohen Walde, herrliche Tannen hüben und drüben, vor und hinter uns. Wir mochten uns wohl eine Viertelstunde in seinem Schatten befunden haben, als uns ein Reiter entgegenkam, ganz in leichtes Leinen gekleidet und mit einem sehr breitrandigen Sombrero auf dem Kopfe. Der Sombrero ist überhaupt in Colorado sehr beliebt.

Der Mann war jung, wohl nicht viel über zwanzig Jahre alt. Als er uns erblickte, hielt er sein Pferd an; sein scharfer Blick schien uns taxieren zu wollen. Bewaffnet war er nur mit einem Messer im Gürtel. Kurz ehe wir ihn erreichten, grüßte er uns:

»Good day Gents! Möchte fragen, wohin ihr wollt?«

»Bergauf,« antwortete ich.

»Wie weit?«

»Wissen es nicht genau. Wohl bis es dunkel wird und wir einen guten Platz zum Lagern finden.«

»Ihr seid Weiße und Rote. Darf ich eure Namen wissen?«

»Warum?«

»Weil ich Hilfe suche und sie nur bei Gentlemen finden kann.«

»So seid Ihr bei den richtigen Leuten. Ich heiße Old Shatterhand, und – – —«

»Old Shatterhand?« unterbrach er mich schnell. »Ich denke, Ihr seid tot!«

»Tot? Wer sagt das?«

»Der, welcher Euch gestern abend erschossen hat.«

»Ah! Wo ist der Kerl?«

»Bei uns.«

»Ja, wo ist denn nun das?«

»Sollt es gleich erfahren, Sir. Wenn Ihr der Seid, auf den diese Leute geschossen haben, so kann ich mich auf Euch verlassen. Vater ist Black-smith[38]. Wir haben uns vor einiger Zeit hierher gemacht, weil jetzt an diesem alten Wege ein gutes Geld zu verdienen ist. Es sind da oben in den Bergen neue Gold- und Silberfunde gemacht worden, und es kommen täglich Leute vorüber, welche hinauf wollen und einen Schmied brauchen. Es ist uns ganz gut gegangen bisher; wir sind zufrieden, nur daß manchmal Menschen bei uns anhalten, welche alles sind, nur keine Gentlemen. So schlimm aber wie heut diese sechs Kerls, hat es noch niemand getrieben. Sie kamen vor vier Stunden an, haben für sich arbeiten lassen und wollen nicht bezahlen. Die Schwester hat sich verstecken müssen, warum, das brauche ich nicht zu sagen. Den Vater haben sie eingesperrt, und ich habe alles herschaffen müssen, was zu essen und zu trinken im Hause war. Fleisch, Mehl, Brot werfen sie einfach auf dem Fußboden herum, und die Flaschen fliegen, noch ehe sie ausgetrunken worden sind, nur so durch die Luft. Es gelang mir endlich, zu fliehen, und nun wollte ich in das Deep[39] hinab, um meinen Bruder zu holen, welcher dorthin nach Fischen gegangen ist.«

»Wißt Ihr vielleicht, wie die Kerls heißen?«

»Einer heißt Spencer; ein anderer wird General genannt.«

»Well! Ihr seid hier an die richtigen Leute gekommen und braucht nicht ins Deep zu reiten. Wir werden Euch helfen. Kommt!«

Er kehrte um, und wir ritten weiter. Nach einiger Zeit ging zu unserer rechten Hand der Wald zu Ende; linker Hand lief er noch weiter, indem er eine Krümmung machte und dann auch aufhörte. Wir hielten unter den letzten Bäumen an, weil einen guten, halben Büchsenschuß von uns ein Haus am Wege lag, dem man es gleich ansah, daß es eine Schmiede war. Es stieß eine Fenz daran, in welcher Pferde standen, wieviel, das konnten wir nicht sehen.

Winnetou sah mich fragend an. Es war kein Mensch außerhalb des Hauses; die Rowdies mußten also noch in der Stube sein; darum sagte ich:

»Das beste ist, wir überraschen sie. Also im Galopp hin, von den Pferden herunter, in das Haus hinein, und ihre Flinten weg, dann hands up! Vorwärts! Mr. Treskow bleibt vor der Thür bei den Pferden!«

Diese letztere Bestimmung traf ich, weil er kein Westmann war und bei dem hands up leicht einen Fehler machen konnte; auch mußte jemand die Pferde bewachen. Wir jagten vorwärts. Bei dem Hause angekommen, waren die andern im Nu aus dem Sattel; mit mir ging es etwas langsamer. Ich folgte ihnen. Das Innere bestand aus zwei Räumen, nämlich aus der Schmiedewerkstatt und der Stube; um in die letztere zu kommen, mußte man durch die erstere gehen. Als ich in die offene Stubenthür trat, standen die Kerls schon mit hochgehobenen Händen da; ich sah nur die Hände, nicht sie selbst, denn der Raum war klein; ich mußte unter der Thür stehen bleiben und hatte die Gefährten vor mir. Winnetou kommandierte eben:

»Wer den Arm sinken läßt, wird erschossen! Schahko Matto mag ihnen die Gewehre wegnehmen!«

Als dies geschehen war, gebot er weiter:

»Hammerdull nimmt ihnen die andern Waffen aus den Gürteln!«

Auch das wurde ausgeführt; dann befahl der Apatsche:

»Setzt euch längs der Wand nebeneinander nieder!

Jetzt könnt ihr die Hände niederthun; aber wer aufsteht, bekommt die Kugel!«

Jetzt schob ich Apanatschka und Holbers, welche mir im Wege standen, auf die Seite und trat vor. Da ertönte der Schreckensruf.

»Alle Teufel! Old Shatterhand!«

Es war Spencer. Er hatte mich bei Mutter Thick nicht gekannt, gestern aber, als er auf mich geschossen hatte, seinen Gefährten meinen Namen genannt; jetzt nannte er ihn wieder. Woher wußte er ihn? Diese Frage war jetzt nebensächlich; die Hauptsache war der Mann selbst. Ich sagte in strengem Tone zu ihm:

 

»Ja, die Toten stehen auf. Ihr hattet schlecht gezielt.«

»Gezielt – – —? Ich – – –?« fragte er.

»Versucht nicht, zu leugnen; es hilft Euch nichts! Könnt Ihr Euch besinnen, mit welchen Worten Ihr bei Mutter Thick in Jefferson City Abschied von mir nahmt?«

»Ich – – weiß – – – nicht – – – mehr,« stammelte er.

»So will ich Eurem Gedächtnisse zu Hilfe kommen. Ihr sagtet: »Auf Wiedersehen! Dann aber hebst du die Arme in die Höhe, Hund!« Heut ist das Wiedersehen; wer aber hat sie hochgehalten, Ihr oder ich?«

Er antwortete nicht und sah vor sich nieder. Sein Gesicht sah aus wie dasjenige einer Bulldogge, welche Prügel bekommen hat.

»Heut rechnen wir freilich ganz anders ab als damals, wo Ihr nur die Zeche und ein zerbrochenes Glas zu berichtigen hattet,« fuhr ich fort. »Ihr habt mich verwundet; das kostet Blut.«

»Ich hab nicht auf Euch geschossen,« behauptete er.

Da zog ich den Revolver, richtete ihn auf ihn und sagte:

»Heraus mit dem Geständnisse! Wenn Ihr noch einmal lügt, so schieße ich. Seid Ihr es gewesen?«

»Nein – – ja – – nein – – – ja, ja, ja, ja, ja!« schrie er um so ängstlicher, je näher ich ihm den Lauf an den Kopf hielt.

»Euer hinterlistiges Verhalten hat Euer Kamerad gestern mit dem Leben bezahlt. Womit werdet Ihr mir die Wunde wohl bezahlen, die ich Euch zu verdanken habe?«

»Wir sind quitt!« antwortete er trotzig.

»Wieso quitt?« »Ihr habt mir die Hand zerschossen!«

Er hielt die verbundene rechte Hand empor.

»Wer war schuld daran?«

»Ihr! Wer sonst?«

»Ihr wolltet auf mich schießen, und ich kam Euch zuvor; das ist die Sache. Es war Notwehr von mir; ich hätte Euch erschießen anstatt bloß verwunden können. Wer und was hat Euch aber gestern zum Schuß gezwungen?«

Er schwieg.

»Wo ist der General?«

Douglas war nämlich nicht in der Stube; darum fragte ich nach ihm.

»Das weiß ich nicht,« antwortete er.

»Ihr müßt es wissen!« »Er hat nichts gesagt, als er ging.«

»Also hinaus, fort ist er doch?«

»Ja.«

»Wann?«

»Kurz, ehe Ihr kamt.«

»Kerl, Ihr wißt, wohin er ist! Da Ihr leugnet, mache ich kurzen Prozess und gebe Euch die Kugel.«

Er sah den Revolver wieder auf sich gerichtet. Solche rohe, gewaltthätige Menschen besitzen gewöhnlich nicht den wahren Mut. Er hätte sich denken können, daß ich nicht schießen würde, selbst wenn er leugnete; aber die Feigheit preßte ihm das Geständnis aus:

»Er wollte dem Sohne des Schmiedes nach.«

»Warum?«

»Weil er glaubte, dieser werde Leute holen.«

»So ist er auch nicht fort, kurz ehe wir kamen?«

»Nein.«

»Sondern wann?«

»Gleich, als der Boy weg war.«

»Zu Fuße?«

»Nein; er holte sein Pferd, weil der Boy auch nicht zu Fuße fort war.«

»Nach welcher Richtung ist er fort?«

»Wir haben nicht aufgepaßt.«

»Well; die Sache wird sich bald aufklären, denke ich.«

Ich ging hinaus, um Treskow zu instruieren, für den Fall, daß der »General« zurückkommen sollte. Bei ihm stand der Schmiedssohn, der aus Vorsicht nicht mit hineingegangen war. Von links her kam ein Mädchen gegangen. Auf sie zeigend, fragte ich den Boy:

»Wer ist das?«

»Meine Schwester,« antwortete er.

»Welche sich vor diesen Rowdies versteckt hatte?«

»Ja.«

»Die muß ich fragen.«

Als sie herangekommen war, sagte ihr der Bruder, daß sie sich nun, weil wir da seien, nicht mehr zu fürchten brauche, und ich erkundigte mich:

»Wo habt Ihr gesteckt, Miß?«

»Drüben im Walde,« antwortete sie.

»Während der ganzen Zeit?«

»Nein.«

»Wo sonst?«

»Ich sah meinen Bruder fortreiten und wollte ihm nach. Da kam der Mann, welcher General genannt wurde, aus dem Hause und holte sein Pferd aus der Fenz. Als er aufgestiegen war, sah er mich und ritt auf mich zu. Ich floh zurück; er holte mich aber ein, als ich den Wald grad erreicht hatte.«

»Und dann?« erkundigte ich mich, da sie eine Pause machte.

»Dann kamen Reiter nach dem Hause.«

»Das waren wir. Hat er uns gesehen?«

»Ja. Er schien heftig zu erschrecken und stieß einen greulichen Fluch aus.«

»Erkannte er uns vielleicht?«

»Es schien so.«

»Hat er vielleicht in seiner Ueberraschung einen oder mehrere Namen genannt?«

»Ja. Ich glaube, er sprach von Old Shatterhand und einem gewissen Winnetou.«

»So hat er uns wirklich erkannt. Das ist unangenehm! Was that er dann?«

»Er ritt fort.«

»Ohne ein weiteres Wort zu sagen?«

»Er gab mir noch einen Auftrag.«

»An wen?«

»An Old Shatterhand.«

»Der bin ich. Was sollt Ihr mir sagen?«

»Das ist – – das ist – – – es würde Euch wahrscheinlich beleidigen, Sir.«

»Nein, gar nicht. Ich bitte Euch, mir jedes Wort genau zu sagen!«

»Er nannte Euch den größten Schuft auf Gottes Erdboden; er habe gar nichts dawider, falls es Euch beliebte, seine Begleiter aufzuhängen oder sonstwie zu töten, er aber werde mit Euch Abrechnung halten.«

»Das ist alles?«

»Weiter sagte er nichts. Aber daß er Euch so einen Schuft nannte, machte mir Angst auch vor Euch, und wenn ich nicht gesehen hätte, daß mein Bruder so lange und so ruhig vor der Thür stand, ohne daß ihm ein Leid geschah, wäre ich jetzt noch nicht gekommen.«

»Ihr könnt ruhig sein; man wird Euch nichts mehr thun.«

Ich ging wieder hinein, und der Sohn folgte mir.

»Nun, wißt Ihr, wo der General ist?« rief mir Toby Spencer entgegen.

»Ja,« antwortete ich.

»Wo?«

»Entflohen.«

»Ah! Wirklich entflohen?« fragte er in frohem Tone.

»Ja. Ich mache es nicht wie ihr; ich sage die Wahrheit gleich beim erstenmal.«

»Gott sei Dank; so bekommt Ihr ihn also nicht!«

»Heut nicht, später aber um so sicherer. Euch aber habe ich fest.«

»Pshaw! Ihr werdet uns gern loslassen!«

»Warum?«

»Aus Angst vor ihm.«

»Vor diesem Feigling, der ausgerissen ist, sobald er uns gesehen hat?«

»Ja. Er würde uns an Euch rächen!«

»Fällt ihm gar nicht ein! Er ist froh, daß er Euch los ist.«

»Das ist eine Lüge!«

»Pshaw! Er hat mir durch die Tochter des Schmieds sagen lassen, daß er sich gar nichts daraus mache, wenn ich Euch aufhänge oder Euch sonstwie an das Leben gehe.«

»Das glaube ich nicht!«

»Ob Ihr es glaubt oder bezweifelt, ist mir sehr gleichgültig. Jetzt zu einer andern Angelegenheit! Wo ist der Wirt dieses Hauses?«

»Da unten im Keller,« antwortete sein Sohn, indem er auf eine hölzerne Fallthüre zeigte, welche im Fußboden angebracht war.

»Ist er da eingesperrt worden?«

»Ja.«

»Mit Gewalt?«

»Ja. Sie haben ihn überwältigt und da hinabgeworfen.«

»Laßt ihn heraus!«

Es fehlte der Schlüssel. Spencer leugnete, daß er ihn eingesteckt hatte, gab ihn aber aus Angst vor meinem Revolver doch heraus.

In der Stube lagen Scherben von Flaschen, Gläsern, Töpfen und anderem Geschirr herum. Es war sehr wüst zugegangen. Als die Fallthür geöffnet worden war, kam der Schmied heraus, eine lange, starke, knochige Gestalt. Es hatte jedenfalls Anstrengungen gekostet, diesen Mann in das Verlies zu bringen, und er hatte sich gewehrt. Sein Gesicht war zerschlagen und zerkratzt; es blutete noch jetzt; er sah schrecklich aus. Nachdem er einen Blick um sich geworfen hatte und mir ansehen mochte, daß ich hier der Wortführer sei, wendete er sich an mich:

»Wer hat mich aus dem Keller gelassen?«

»Wir,« antwortete ich.

»Wie heißt Ihr?«

»Old Shatterhand.«

»Ist das nicht der Name eines bekannten Westmannes?«

»Ja.«

»Aber die Roten hier! Ist denen zu trauen?«

»Sie sind berühmte Häuptlinge ihrer Nation und gewohnt, jeden Bedrängten zu beschützen.«

»Well, so seid ihr zur rechten Zeit und an den rechten Ort gekommen, Mesch‘schurs! Ist das nicht entsetzlich, daß rote kommen müssen, um einen ehrlichen Menschen gegen weiße Schurken zu beschützen? Ihr glaubt nicht, was das für armselige, niederträchtige Halunken sind!«

»Ich glaube es, denn wir kennen sie.«

»Ah?!«

»Ja. Wir haben auch eine Rechnung mit ihnen.«

»Ist sie groß?«

»Ziemlich. Der Kerl dort mit dem verbissenen Bulldoggengesicht hat gestern abend auf mich geschossen, um mich zu töten.«

»Gott sei Dank!«

»Wie? Ihr dankt Gott, daß er auf mich einen Mordanschlag verübt hat?«

»Ja. Warum sollte ich nicht?«

»Na! Nehmt es mir nicht übel, aber das ist ja sehr freundlich von Euch!«

»Ganz und gar nicht! Das werden diese Kerle bald erkennen. Ich danke Gott zweimal, nämlich das erste Mal dafür, daß Ihr nicht getötet worden seid, denn da habt Ihr kommen und mich hier herauslassen können, und das zweite Mal allerdings dafür, daß auf Euch geschossen worden ist, denn da habt Ihr das Recht, kurzen Prozeß mit dem Meuchelmörder zu machen, obgleich er Euch nicht getroffen hat.«

»Er hat mich getroffen!«

»Ah! Wirklich? Ist das wahr?«

»Ja.«

»Man sieht Euch aber nichts an!«

»Die Kugel traf mich hier in den Oberschenkel. Ich habe eine schwere Beinwunde davongetragen. Hier seht Ihr doch das Blut!«

»Gott sei Dank!«

»Schon wieder solch ein Dank?!«

»Ja, nun zum drittenmal!«

»Wofür?«

»Daß Ihr verwundet worden seid.«

»Hört, jetzt werdet Ihr wirklich ganz außerordentlich liebenswürdig!«

36Apatschensprache: Wundkraut.
37Beizkraut.
38Hufschmied.
39Schlucht, Thal.