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Old Surehand III

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»Verfluchter Kerl! Schickt ihm doch eine Kugel nach!« brüllte der Alte.

Es fiel niemandem ein. Thibaut ritt, von der Squaw gefolgt, unbelästigt von dannen, nach links hinüber, also in derselben Richtung, welche er eingehalten hatte, als er uns vorhin begegnet war.

»Ob wir ihn aber auch wiedersehen werden!« sagte Apanatschka halblaut vor sich hin.

»Sicher,« antwortete ich.

»Hat mein weißer Bruder wirklich so bestimmte Gründe, dies zu denken?«

»Ja.«

Winnetou, welcher sich jetzt neben uns befand und die Frage des Komantschen und meine Antwort gehört hatte, fügte hinzu:

»Was Old Shatterhand gesagt hat, wird geschehen. Es giebt Dinge, die man nicht genau vorher wissen kann, aber um so bestimmter vorher fühlt. Dieses Vorgefühl hat er jetzt, und ich habe es auch; es wird zutreffen!«

Ich mußte mich wieder an die Spitze des Zuges setzen, und bald war der Fluß erreicht, wo wir abstiegen. Während einige Tramps nach einer bequemen Furt suchten, wurde ich wieder vom Pferde genommen, um den alten Wabble zu verbinden. Das nahm geraume Zeit in Anspruch, und ich kann mich nicht rühmen, mein Werk mit allzu großer Zartheit ausgeführt zu haben. Der alte Cow-boy heulte oft laut auf vor Schmerzen und bedachte mich mit Schimpfworten und Redensarten, welche man auf dem Papiere unmöglich wiedergeben kann.

Als ich mit ihm fertig war und wieder auf dem Pferde saß, war eine Furt gefunden worden. Wir setzten hinüber und folgten auf der andern Seite dem Wasser, bis wir den Zusammenfluß der beiden Arme erreichten. Wir umritten den Bogen des Südforks und dann westnordwestlich über die Prairie, von welcher Kolma Puschi gesprochen hatte.

Sie war nicht eben, sondern bildete eine langsam ansteigende, zuweilen mit Senkungen versehene Fläche, welche parkähnlich mit Gesträucheilanden bestanden war. Hier gab es eine Menge wilder Truthühner, von denen die Tramps nach und nach ein halbes Dutzend erlegten, aber wie! Es war die wahre Sauschießerei!

Am Spätnachmittag sahen wir grad vor uns eine Höhe aufsteigen, gewiß diejenige, an deren Fuße die Quellen lagen, deren nördlichste ich zu suchen hatte. Ich hielt mich jetzt also mehr rechts und erst dann wieder links, als der Berg genau im Süden vor uns lag. Auf diese Weise mußten wir den erwähnten Spring zuerst zu sehen bekommen. Ich war sehr neugierig darauf, ob der Scharfsinn Kolma Puschis sich bewahrheiten und die Lage und Umgebung der Quelle eine für unsern heutigen Zweck passende sein werde.

Je näher wir kamen, desto deutlicher sahen wir, daß der Berg bewaldet war und uns einige Ausläufer dieses Waldes entgegenschickte. Es begann schon zu dunkeln, als wir ein kleines Wasser erreichten, dem wir im Galoppe entgegenritten, um noch vor Einbruch der Finsternis bei seinem Ursprunge anzukommen. Wir langten bei diesem Ziele an, als eben die letzten Schimmer der Dämmerung zu erlöschen begannen. Das war mir lieb, denn nun konnten die Tramps, falls ihnen der Ort nicht gefiel, nicht daran denken, bei finsterer Nacht einen andern aufzusuchen.

Ob wir uns an dem Spring befanden, den Kolma Puschi gemeint hatte, das wußte ich nicht genau, dachte aber, daß er es sein werde. Er kam unter einem kleinen, mit Moos bedeckten Steingewirr hervor, und zwar an einem engen Grasplatze, welcher von den Bäumen und Sträuchern in drei Abteilungen geteilt wurde. Diese Abteilungen boten zusammen für uns und die Pferde grad Raum genug, mehr nicht, was unsere Bewachung ungemein erschwerte. Uns konnte dies sehr lieb sein; Old Wabble aber, dem dieser Uebelstand keineswegs entging, sagte, indem er abstieg, in mißmutigem Tone:

»Dieser Lagerplatz gefällt mir nicht. Wenn es nicht schon so finster wäre, würden wir weiterreiten, bis wir einen bessern fänden.«

»Warum sollte er uns nicht gefallen?« fragte Cox.

»Der Gefangenen wegen. Wer soll sie bewachen?«

»Wir natürlich!«

»Da brauchen wir drei Wächter auf einmal!«

»Pshaw! Wozu wären die Fesseln da? Macht, daß wir sie von den Pferden bringen! Sobald sie liegen, sind sie uns sicher und gewiß!«

»Aber wir müssen doch drei Abteilungen machen!«

»Wer sagt das?«

»Der Platz zerfällt ja in drei Teile! Wollt Ihr etwa die Bäume niederhauen?«

»Fällt mir nicht ein! Die Gefangenen kommen alle hier in die eine Abteilung; die beiden andern sind für uns.«

»Und die Pferde?«

»Die schaffen wir hinaus ins Freie, wo sie angehobbelt werden. Da genügt ein Wächter für sie und einer für die Gefangenen.«

»Ja, wenn wir zwei Feuer anbrennen!«

»Ist auch nicht nötig! Ihr werdet gleich sehen, daß ich recht habe.«

Wir wurden von den Pferden genommen, wieder gefesselt und nach der einen Abteilung gebracht; dann ließ Cox da, wo die Abteilungen zusammenstießen, ein großes Feuer anbrennen, welches allerdings alle drei Teile erleuchtete. Hierüber sehr befriedigt, fragte er den alten Wabble:

»Na, habe ich recht gehabt oder nicht? Es genügt, wie Ihr seht, ein einziger Mann, die Kerls zu bewachen. Das ist alles, was Ihr verlangen könnt.«

Der Alte brummte etwas Unverständliches in den Bart und gab sich zufrieden. Und ich? Nun, ich war auch zufrieden, zufriedener wohl als er, denn das Lager hätte für unsere Zwecke gar nicht besser passen können, zumal bei der Einrichtung, welche Cox demselben gegeben hatte.

Ich war in die Mitte der kleinen Lichtung gelegt worden, hatte mich aber sogleich nach dem Rande derselben gewälzt, ein Manöver, welches auch von Winnetou ausgeführt und zu unserer Freude von den Tramps gar nicht beachtet wurde. Wir lagen mit den Köpfen am Rande des Gebüsches, und zwar hatten wir uns eine Stelle gewählt, wo die Sträucher nicht eng nebeneinander standen und es Kolma Puschi wahrscheinlich möglich war, zwischen und unter ihnen bis zu uns hindurch zu kriechen. Der Platz war so klein, daß wir alle, die wir zusammengehörten, so eng beieinander lagen, daß wir uns nicht nur berühren, sondern auch durch leise Worte verständigen konnten.

Bald erfüllte der Duft des Truthahnbratens die Luft. Die Tramps aßen, soviel sie konnten; wir aber erhielten – – —nichts.

»Die Kerls liegen so eng beisammen, daß man gar nicht zwischen ihnen hindurchkommen kann, um sie zu füttern,« sagte Old Wabble. »Sie mögen warten bis morgen früh, wenn es Tag geworden ist. Sie werden bis dahin nicht vor Durst und Hunger sterben; th‘is clear!«

Was das Verhungern und Verdursten betrifft, so hatte ich keine Sorge, denn ich war überzeugt, daß wir noch während der Nacht uns satt essen und trinken würden. Dick Hammerdull, der wieder in meiner Nähe lag, nahm das aber nicht so leicht und sagte zornig:

»Ist das ein Benehmen! Nichts zu essen und kein Schluck Wasser! Wem da die Lust, Gefangener zu sein, nicht vergehen soll, den möchte ich kennen lernen! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn ich nichts bekomme, so meine ich auch nichts,« antwortete der Lange. »Hoffentlich hört diese fatale Geschichte nun bald auf!«

»Ob sie aufhört oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn sie nur ein Ende nimmt. Darf man wissen, was Ihr dazu sagt, Mr. Shatterhand?«

»Wir werden sehr wahrscheinlich noch in dieser Nacht ein gutes Truthahnessen haben,« antwortete ich. »Schlaft nur nicht ein, und vermeidet alles, was geeignet sein könnte, den Verdacht der Tramps zu erregen!«

»Well! So will ich mich ruhig fügen. Wo noch Hoffnung vorhanden ist, da ist weiter nichts nötig, als daß man diese Hoffnung gemacht bekommt.«

Da er sich mit dieser geistreichen Erwägung beruhigte, sagten auch die andern nichts, und wir hörten neidlos zu, wie gut es den Tramps schmeckte; sehen konnten wir es nicht, desto besser aber mit dem Gehör vernehmen.

Eine großartige Nachlässigkeit von ihnen war es, daß man mir meine Gewehre gelassen hatte. Die Gewehre, welche andern die Knochen zerbrechen«, waren, als man mich vom Pferde band, gar nicht beachtet worden; ich hatte sie mit den gefesselten Händen mit nach unserm Platze genommen und dort neben mir hingelegt. Auf diesen Umstand hindeutend, flüsterte mir der Apatsche zu:

»Wenn nur mein Bruder Shatterhand allein loskommt, haben wir gewonnen, denn gegen deinen Stutzen können sie alle nichts machen.«

Als der erste Wächter, welcher am Feuer saß, das Turkeyfleisch in nicht sehr appetitlicher Weise mit den Zähnen von den Knochen gerissen und verzehrt hatte, waren auch seine Kameraden mit dem Essen fertig und rüsteten sich zum Schlafe. Der alte Cow-boy-König kam zu uns herübergewabbelt und brachte Cox mit; sie wollten noch unsere Fesseln sehen. Als sie sich überzeugt hatten, daß sich dieselben in dem von ihnen gewünschten Zustande befanden, sagte Cutter zu mir:

»Es ist alles in Ordnung, und ich denke, daß Ihr auch ohne Abendessen einen guten Schlaf thun werdet. Träumt recht angenehm von mir!«

»Danke!« antwortete ich. »Was ich träumen werde, kann ich Euch schon jetzt sagen, falls Ihr die Güte haben solltet, Euch dafür zu interessieren.«

»Ach? Wovon denn?«

»Davon, daß ich mich, nachdem ich Euch heut den einen Arm verbunden habe, auch noch mit dem andern sehr eingehend beschäftigen werde.«

»Ich verstehe Euch nicht. Wie meint Ihr das?«

»Denkt darüber nach!«

»Pshaw! Ueber etwas, was Old Shatterhand gesagt hat, nachzudenken, das fällt mir gar nicht ein! Ah, jetzt errate ich es doch!«

»Wirklich? Sollte mich wundern, denn zu den Leuten, welche durch Scharfsinn und Findigkeit Staunen erregen, habt Ihr ja nie gehört.«

»Du auch nicht, Halunke!« rief er zornig aus. »Wenn du von meinem Arme sprachst, hast du jedenfalls gemeint, daß ich das Wundfieber bekomme. Du würdest dich wohl sehr darüber freuen, wenn Fred Cutter rechte Schmerzen auszustehen hätte und nicht schlafen könnte?!«

»Denke nicht daran!«

»Doch, doch! Aber deine Vorausfreude wird in das Wasser fallen. Meine alte Konstitution ist besser und kräftiger, als du denkst. Ich habe eine Bärennatur und möchte das Fieber sehen, welches sich an mich wagen könnte. Jedenfalls werde ich viel besser schlafen als du!«

 

»Well! Dann gute Nacht, Mr. Cutter!«

»Gute Nacht, Schurke!«

»Und ein fröhliches Erwachen nach dem Schlafe!«

»Wünsche dir dieselbe Fröhlichkeit!«

»Danke, zumal ich weiß, daß dieser Wunsch in Erfüllung gehen wird!«

Er lachte hämisch auf und sagte zu dem zweiten Posten, welcher soeben den ersten abgelöst hatte, in streng warnendem Tone:

»Diesen Kerl da, der soeben gesprochen hat, scheint der Hafer zu stechen. Gieb auf ihn besonders acht, und falls er sich nur einmal falsch bewegen sollte, kommst du sofort zu mir, um mich zu wecken!«

Er entfernte sich mit Cox, und der Wächter setzte sich so, daß er mich grad in den Augen hatte, was mir freilich nicht willkommen sein konnte.

»Dumm wie ein Coyote!« flüsterte Winnetou mir zu.

Er hatte recht. Daß Old Wabble meine Worte weder als eine Drohung noch als ein Zeichen der Hoffnung auf Befreiung, sondern nur als eine leere, höhnische Redensart aufgefaßt hatte, ließ sein Divinations-Vermögen in keinem imponierenden Lichte erscheinen. Ein guter Westmann hätte unbedingt irgend einen Hintergedanken geahnt und seine Gegenmaßregeln darnach getroffen.

Man hatte einen großen Haufen Dürrholz gesammelt und neben dem Feuer aufgestapelt. Um davon zu nehmen und die Flammen zu nähren, mußte der Wächter sich umdrehen. Die kurzen Augenblicke, in denen er dies von Zeit zu Zeit that, waren die einzigen Pausen, in denen er uns nicht beobachtete, und mußten von uns benutzt werden, falls Kolma Puschi hatte Wort halten und nach dem Spring kommen können. Wenn ich über diesen Punkt besondere Sorge gehabt hätte, so wurde sie bald zerstreut; denn schon als der Posten zum zweitenmal Holz nachlegte, hörte ich hinter mir ein leises Geräusch, ein Mund legte sich nahe an mein Ohr und sagte:

»Kolma Puschi ist hier. Was soll ich thun?«

»Warten, bis ich mich auf die andere Seite lege,« antwortete ich ebenso leise. »Dann schneidest du mir die Hände frei und giebst mir dein Messer!«

Der Posten drehte sich uns wieder zu, und dasselbe fast unhörbare Rascheln sagte mir, daß Kolma Puschi zurückgekrochen sei.

Die Zeit des Handelns war noch nicht gekommen. Wir mußten warten, bis wir annehmen konnten, daß die Tramps alle schliefen. Ich ließ über eine Stunde vergehen, bis mehrfaches Schnarchen, Blasen und wohlbekannte Gaumentöne vermuten ließen, daß niemand außer Old Wabble munter sei. Wir wurden durch einen dünnen Buschstreifen von den Schläfern getrennt; ich konnte sie also nicht sehen. Es mischte sich in die beschriebenen Töne zuweilen ein kurzes Aechzen oder Stöhnen, welches jedenfalls von dem Cow-boy kam. Sein Arm schmerzte ihn. Sollte ich warten, bis auch er, wenigstens einmal für kurze Zeit, eingeschlafen war? Vielleicht fand er bis zum Morgen keinen Schlaf! Nein; wir durften diese Nacht nicht vorüberstreichen lassen. Glücklicherweise verriet mir sein Stöhnen, daß er jenseits der Sträucher an einer Stelle lag, von welcher aus er den Posten hüben bei uns nicht sehen konnte.

Ich legte mich also auf die andere Seite und hielt die Hände so, daß sie unserm Retter so bequem wie möglich lagen. Bald darauf wendete sich der Posten dem Feuer zu. Sofort fühlte ich, daß eine Messerklinge schneidend durch die Riemen ging und gleich darauf wurde mir das Heft in die Hand gedrückt. Mich rasch aufsetzend, zog ich die Füße an und schnitt dort auch die Riemen durch. Kaum hatte ich mich ebenso schnell wieder niedergelegt und ausgestreckt, so war der Posten mit dem Nachlegen fertig und drehte sich uns wieder zu. Es galt, zu warten; ich aber fühlte mich schon frei.

»Jetzt mich losschneiden!« flüsterte mir Winnetou zu, der meine Bewegungen natürlich beobachtet und den Erfolg derselben gesehen hatte.

Er legte sich so, daß er mir die Hände zukehrte. Als der Posten das nächste Mal nach dem Dürrholz griff, bedurfte es nur zweier Sekunden, so war auch der Apatsche an den Händen und an den Füßen frei.

Jetzt war es grad, genau und ganz so gut, als ob wir alle schon auf unsern Pferden säßen und von hier weiter ritten! Ich hatte ja meine Gewehre! Aber ich wollte kein Blut vergießen, und so mußten wir uns noch eine Weile gedulden. Indem wir zwei so dalagen, als ob wir noch gefesselt seien, raunte ich dem Apatschen zu:

»Jetzt zunächst den Posten! Wer nimmt ihn?«

»Ich,« antwortete er.

Es galt, den Mann lautlos, ohne alles Geräusch, unschädlich zu machen. Unsere Kameraden lagen zwischen ihm und uns; man mußte über sie wegspringen. Wenn dabei das geringste Geräusch entstand und er sich umdrehte und um Hilfe schrie, wurde die Befreiung unserer Leute, wie ich sie ausführen wollte, unmöglich. Winnetou war der richtige und unter uns wohl auch der einzige Mann, diese Schwierigkeit zu überwinden. Ich fühlte mich außerordentlich gespannt auf diesen Augenblick.

Der Wächter ließ dieses Mal das Feuer weiter niedergehen als vorher. Endlich, endlich wendete er sich von uns ab und dem Holzhaufen wieder zu! Wie ein Blitz war Winnetou in der Höhe und mit einem wahren Panthersprunge über unsere Gefährten hinüber. Ihm das Knie in den Rücken legend, faßte er ihn mit beiden Händen um den Hals. Der Mann war vor Schreck steif; er machte keine Bewegung der Abwehr; es war kein Laut, nicht der geringste Seufzer zu hören. Jetzt sprang ich, weil Winnetou keine Hand frei hatte, hinüber und schlug dem Tramp die Faust zweimal an den Kopf. Der Apatsche öffnete langsam und versuchsweise seine Hände; der Kerl glitt mit dem Oberkörper nieder und blieb, lang ausgestreckt, wie eine Leiche liegen. Der erste Teil des Werkes war gelungen!

Unsere Kameraden waren wach geblieben; sie hatten die Ueberwältigung des Postens gesehen. Da ich nicht reden, auch nicht ganz leise, wollte, winkte ich ihnen mit den Händen Schweigen zu und machte mich dann mit Winnetou an das Lösen ihrer Fesseln, die ich nicht zerschneiden wollte, weil wir sie später mit brauchten, um die Tramps zu binden. Was mich während dieser kurzen Beschäftigung wunderte, war, daß sich Kolma Puschi nicht sehen ließ. War er, der Geheimnisvolle, etwa schon wieder fort? Das mußte sich ja zeigen!

Als alle Befreiten still bei einander standen, kroch ich mit dem Apatschen langsam um das Feuer, um nach den Tramps zu sehen. Sie schliefen alle. Auch Old Wabble lag lang ausgestreckt im Grase; er war gefesselt, hatte einen Knebel im Munde, und neben ihm saß – – Kolma Puschi, unser Erretter! Wir mußten über das Meisterstück, welches dieser Rote so geräuschlos vollbracht hatte, staunen.

Er hielt seine dunkeln Augen nach der Stelle, von welcher er wußte, daß wir von dort aus lauschen würden. Als er uns sah, nickte er uns lächelnd zu. Ich hätte ihn ob dieser Ruhe, Kaltblütigkeit und Sicherheit umarmen mögen!

Es galt natürlich zunächst, uns zu bewaffnen. Ich holte meinen Stutzen und machte ihn schußfertig. Da die Tramps auch eng bei einander lagen, hatten sie zur Vermeidung der Unbequemlichkeiten ihre Gewehre zusammengestellt; wir nahmen sie in der Zeit von einer Minute in unsern Besitz. Jeder von den Kameraden fand das seinige dabei; nur Winnetous Silberbüchse lag bei Cox, der sich nicht von ihr hatte trennen wollen. Der Apatsche kroch wie eine Schlange hin und holte sie sich; das war auch ein Bravourstück von ihm!

Nun wir alle bewaffnet waren, wurden die Schläfer so umstellt, daß uns keiner entwischen konnte. Dick Hammerdull warf neues Holz in das Feuer, daß es hoch aufleuchtete.

»Nun erst den Posten draußen bei den Pferden,« sagte ich leise zu Winnetou, indem ich durch die Büsche deutete.

Kolma Puschi sah diese meine Handbewegung, kam leise zu uns her und meldete:

»Das Bleichgesicht, welches Old Shatterhand meint, liegt gebunden bei den Pferden. Kolma Puschi hat es mit dem Gewehre niedergeschlagen. Meine Brüder mögen einen Augenblick warten, bis ich wiederkomme!«

Er huschte fort. Als er nach wenigen Sekunden zurückkehrte, hatte er eine Menge Riemen in den Händen; er warf sie hin und sagte:

»Kolma Puschi hat unterwegs einen Bock erlegt und sein Fell zu Riemen zerschnitten, weil er glaubte, daß sie hier gebraucht würden.«

Ein außerordentlicher Mann! Winnetou reichte ihm schweigend die Hand, und ich that dann dasselbe. Dann konnten wir die nichtsahnenden Schläfer wecken. Dick Hammerdull war natürlich derjenige, welcher uns bat, dies thun zu dürfen. Wir nickten ihm zu. Er stieß ein Geheul aus, welches der Größe seines weit aufgerissenen Mundes entsprechend war. Die Kerls sprangen alle auf; sie sahen uns mit angeschlagenen Gewehren stehen und waren vor Schreck bewegungslos. Nur Old Wabble blieb liegen, weil er gefesselt und geknebelt war. Dieses erste Entsetzen benutzend, rief ich ihnen zu:

»Hands up, oder wir schießen! All hands up!«

»Hands up, die Hände in die Höhe!« ist ein sehr gefährlicher Befehl, zumal im wilden Westen. Wer diese Worte hört und nicht augenblicklich beide Hände hoch hält, bekommt die Kugel; das weiß jedermann. Es kommt vor, daß nur zwei oder drei verwegene Menschen einen Bahnzug überfallen. Wehe dem Passagier, welcher auf den Ruf »Hands up!« nicht unverweilt die Arme hebt! Er wird sofort erschossen. Während einer der Räuber auf diese Weise mit seinem Revolver alle Reisenden in Schach hält, werden diese von dem oder den andern ausgeplündert und müssen mit hochgehobenen Händen stehen bleiben, bis die Taschen auch des letzten untersucht und geleert worden sind. Dieses »Hands up!« trägt allein die Schuld daran, daß viele, wenn sie überrascht worden sind, gegen wenige gar nichts machen können. Selbst der sonst mutige Mann wird lieber die Arme heben als nach seiner Waffe greifen, denn ehe er sie erlangen kann, hat er die tödliche Kugel im Kopfe. Das weiß, wie gesagt, dort jedermann.

So auch hier! Ich hatte den Befehl kaum zum zweitenmal ausgesprochen, so fuhren alle Hände hoch empor.

»Schön, Mesch‘schurs!« fuhr ich fort. »Nun laßt euch sagen: Bleibt genau so stehen wie jetzt! Denn wer nur eine seiner Hände sinken läßt, bis wir mit euch allen fertig sind, der sinkt auch ganz, nämlich tot ins Gras! Ihr wißt wieviel Schüsse hier mein Stutzen hat. Es kommt mehr als eine Kugel auf jeden von euch! Dick Hammerdull und Pitt Holbers werden euch binden. Es giebt da keine Gegenwehr. Dick, Pitt, fangt an!«

Es war eine ernste Situation, aber doch machte es mir, überhaupt uns allen, innerlich Spaß, diese Leute wie beim Freiturnen oder bei einem Gesellschaftsspiele mit hoch erhobenen Armen stehen zu sehen, um ohne alle Gegenwehr zu warten, bis einer nach dem andern von ihnen an den Händen und Füßen gebunden und in das Gras gelegt wurde. Da waren uns freilich die Riemen sehr willkommen, welche Kolma Puschi mitgebracht hatte.

Erst als der letzte niedergelegt wurde, ließen wir die Gewehre sinken. Unser Retter ging mit Schahko Matto fort, um auch den Posten bei den Pferden zu holen. Nachdem dieser gebracht worden war, nahmen wir Old Wabble und auch dem Wächter am Feuer den Knebel aus dem Munde, denn dem letzteren hatten wir aus Vorsicht auch einen geben müssen.

Jetzt waren nun nicht mehr sie, sondern wir die Herren der Situation. Sie fühlten sich so deprimiert, daß keiner von ihnen ein Wort hören ließ. Bloß Old Wabble stieß zuweilen einen Fluch aus; das war aber auch alles, was er that. Um Platz zu bekommen, schoben wir sie so eng wie möglich aneinander, wodurch wir einen für uns genügenden Raum am Feuer gewannen. Es waren noch zwei ganze Turkeys da, welche wir für uns zurichteten. Während dies geschah, konnte Dick Hammerdull es nicht über sich gewinnen, ruhig zu bleiben. Er hatte in berechnender Weise die Gebrüder Holbers nebeneinander gelegt und suchte sie jetzt auf.

»Good evening, ihr Onkels und Cousins!« grüßte er sie in seiner gravitätisch drolligen Weise. Ach gebe mir die Ehre, euch zu fragen, ob ihr noch wißt, was ich euch unterwegs gefragt habe?«

Er bekam keine Antwort.

»Richtig! Es stimmt!« nickte er. »Ich sagte, entweder flögen wir euch davon, und dann ständet ihr mit aufgesperrten Mäulern da; oder wir drehten den Spieß grad um und nähmen euch gefangen, und dann klappten euch die Mäuler wieder zu. Ist es nicht so, Pitt Holbers, altes Coon? Habe ich das gesagt oder nicht?«

Holbers saß, einen Puter rupfend, am Feuer und antwortete trocken:

»Ja, das hast du gesagt, lieber Dick.«

»Also richtig! Wir haben sie gefangen, und nun liegen sie mit zugeklappten Mäulern da und haben nicht den Mut, sie wieder aufzumachen. Die armen Teufel haben die Sprache verloren!«

»Fällt uns nicht ein!« fuhr ihn da Hosea an. »Wegen euch verlieren wir die Sprache noch lange nicht; aber laßt uns in Ruhe!«

»Ruhe? Pshaw! Ihr habt ja bis jetzt geschlafen! Das plötzliche Erwachen war freilich etwas sonderbar, nicht? Was wolltet ihr doch nur mit euern Händen so hoch droben in der Luft? Es sah aus, als ob ihr Sternschnuppen fangen wolltet. Ganz eigenartige Pose!«

 

»Die Eurige war nicht besser, als wir Euch gestern festgenommen hatten! Ihr konntet da nicht einmal die Hände heben!«

»Das thue ich auch sonst niemals, weil ich kein Schnuppenfänger bin. Uebrigens, wie habt ihr doch gelacht, als ich euch heut sagte, wir ritten nur zu unserm Vergnügen mit euch und würden auf keinen Fall länger als einen Tag eure Gefangenen sein! Hoffentlich kommt euch die Sache jetzt auch noch so lustig vor! Oder nicht?«

»Ich sage Euch noch einmal, daß Ihr uns in Ruhe lassen sollt!«

»Verehrtester Hosea, nicht so hitzig! Du siehst ja, wie gefaßt und still dein lieber Joel ist! Wenn ich ihn richtig beurteile, so denkt er über die Erbschaft meines alten Pitt Holbers nach.«

Da brach Joel sein Schweigen auch:

»Er mag behalten, was er hat! Wir brauchen nichts von ihm, dem Prügeljungen, denn wir werden reich sein; wir werden noch – – —«

Da er inne hielt, fuhr Dick Hammerdull, fröhlich lachend, fort:

»– – – noch nach dem Squirrel Creek reiten und die Bonanza holen? Nicht wahr, das wolltet Ihr sagen, Sir Joel, der Prophet?«

»Ja, das werden wir!« schrie der Geärgerte. »Es wird uns nichts auf Erden abhalten können, dies zu thun! Verstanden?«

»Ich denke, wir werden euch ein wenig davon abhalten!«

»Möchte wissen, auf welche Weise!«

»Indem wir euch erschießen.«

»Dann wäret ihr Mörder!«

»Thut nichts! Ihr sagtet mir ja auch, daß ihr uns auslöschen würdet. Ich war da freilich der Ansicht, daß wir uns wieder anzünden würden. Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Ich meine nur, daß du den Schnabel halten sollst!« belehrte ihn der Gefragte vom Feuer her. »Diese Kerls sind es ja gar nicht wert, daß du mit ihnen sprichst. Komm lieber her, und rupfe mit!«

»Ob ich mit rupfe oder nicht, das ist ja ganz egal; aber ungerupft schmeckt mir der Puter nicht, und darum komme ich!«

Er setzte sich zu seinem Pitt ans Feuer und half ihm bei der Arbeit.

Kolma Puschi hatte sich inzwischen entfernt. Er war zu seinem irgendwo versteckten Pferde gegangen und brachte das Fleisch, welches er heut geschossen hatte, um es uns zu schenken. Dann trat er vor Cox hin und sagte zu ihm:

»Das Bleichgesicht hat heut von einem stinkigen Hunde und von Ungeziefer gesprochen. Kolma Puschi antwortete, der Hund werde das stinkige Ungeziefer jagen, bis es gefangen wird. Nun liegt es vor ihm da, wie er es vorher verkündet hat!«

Cox knurrte etwas vor sich hin, was man nicht verstehen konnte. Der Indianer fuhr fort:

»Das Bleichgesicht nannte die roten Männer eine armselige Bande, welche immer mehr herunterkomme. Wer ist tiefer herabgekommen, und wer ist verachtenswerter, der Weiße, welcher wie ein räudiger, hungriger Hund als Tramp das Land durchstänkert, oder der Indianer, welcher als unausgesetzt Bestohlener und immerfort Vertriebener durch die Wildnis irrt und den Untergang seiner unschuldigen Nation beklagt? Du bist der Hund, und ich, ich bin der Gentleman. Das wollte ich dir sagen, obgleich ein roter Krieger sonst nicht mit Hunden spricht. Howgh!«

Er wendete sich, ohne eine Antwort zu bekommen, von ihm ab und setzte sich zu uns, die wir ihm von Herzen gern und vollständig recht geben mußten. Er hatte wenigstens Winnetou und mir ganz aus der Seele gesprochen. Die andern stimmten ihm bei für diesen einen vorliegenden Fall, im allgemeinen aber wohl kaum. Zu den Verhältnissen, die man aus der Ferne richtiger beurteilt als in der Nähe, gehört dasjenige zwischen der roten und der weißen Rasse. Der echte Yankee, der Native, wird nun und nimmermehr zugeben, daß er schuld am Untergange der Indsmen, am gewaltsamen Tode seines roten Bruders sei!

Während wir aßen, lagen die Gefangenen ruhig. Nur zuweilen klang eine leise Bemerkung, welche einer dem andern zuflüsterte, zu uns herüber, ohne daß wir sie verstanden. Es war uns vollständig gleichgültig, was sie miteinander sprachen. Old Wabble warf sich wiederholt von einer Seite auf die andere. Seine Seufzer verwandelten sich nach und nach in ein immer häufiger wiederkehrendes und immer lauter werdendes Stöhnen. Er fühlte Schmerzen, wohl durch die Riemen vermehrt, mit denen Hammerdull und Holbers ihn fester, als eigentlich nötig war, gebunden hatten, nachdem er schon vorher von Kolma Puschi auf leichtere Weise gefesselt worden —war. Endlich rief er uns in ergrimmtem Tone zu:

»Hört ihr denn nicht, was ich für Schmerzen leide! Seid ihr Menschen, oder seid ihr Schinder, die kein Gefühl besitzen!«

Ich machte eine Bewegung, aufzustehen und nachzusehen, ob ich ihm seine Lage ohne Gefahr für uns erleichtern könne; da aber hielt mich Treskow zurück, indem er kopfschüttelnd sagte:

»Ich begreife Euch nicht, Mr. Shatterhand! Vermutlich wollt Ihr hin, um ihm die Hölle in ein Paradies zu verwandeln? Ich lasse jede Art erlaubter oder verständiger Humanität gelten; aber Euer Erbarmen für diesen Menschen ist geradezu eine Sünde!«

»Er ist schlecht, doch immerhin ein Mensch!« warf ich ein.

»Er? Pshaw! Denkt an das, was Ihr heut sagtet, als Ihr ihn verbinden wolltet: Ihr hieltet für maßgebend, nicht daß er ein Mensch sei, sondern daß Ihr einer seiet. Ja, Ihr seid ein Mensch, und zwar ein in Beziehung auf ihn sehr schwacher Mensch. Nehmt mir das nicht übel! Nun geht hin, und bindet ihn in der ganzen Menschheit Namen los, wenn ich unrecht habe!«

»Mein Arm, mein Arm!« wimmerte der Alte in kläglichem Tone.

Da rief Hammerdull ihm zu:

»Nun kannst du wohl klagen, alte Schleiereule! Wie steht es da mit deiner Konstitution, mit deiner großartigen Bärennatur, mit der du vorhin prahltest? Jetzt singst du schon nach Gnade!«

»Nicht nach Gnade!« antwortete Old Wabble. »Nur die Fesseln lockern sollt ihr mir!«

»Ob sie locker sind oder nicht, das bleibt sich gleich, wenn sie dir nur den Spaß so gründlich verderben, wie du es verdienst. Jede Sache hat einen Zweck, den sie erreichen muß; die Riemen haben ihn auch!«

Kolma Puschi aß natürlich auch mit, ohne dabei ein Wort zu sagen. Er verhielt sich fast noch schweigsamer als Winnetou, und nur einmal, als die Rede auf unser Zusammentreffen mit dem weißen Medizinmann und seiner Squaw kam, sagte er:

»Kolma Puschi ist, nachdem er von dem Bleichgesichte Cox beleidigt worden war, der Fährte seiner Brüder gefolgt, um sich zu überzeugen, daß sie den richtigen Weg geritten seien. Da kam er auf den Platz, wo sie gehalten haben. Er sah die Spur von drei Pferden, welche von rechts her auf ihre Fährte stieß und dann nach links weiterführte. War das der weiße Mann mit seiner roten Squaw, von welchem ihr jetzt gesprochen habt?«

»Ja,« antwortete ich.

»Dieser Weiße ist ein roter Komantsche gewesen?«

»Ja.«

»Uff! Was hat er als Komantsche hier im Norden zu thun?«

»Das wissen wir nicht.«

»Warum hat er die Farbe aus seinem Gesicht entfernt? Warum kommt er nicht als roter, sondern als weißer Mann?«

»Wohl seiner Sicherheit wegen. Als Komantsche würde er hier der Feind aller Bleichgesichter und noch mehr aller Indianer sein.«

»Diese Worte scheinen die Wahrheit zu treffen, doch hat Kolma Puschi auch noch andere Gedanken.«

»Dürfen wir sie erfahren?«

»Ein roter Krieger darf nur solche Gedanken aussprechen, von denen er weiß, daß sie richtig sind. Ich denke jetzt nach!«

Er zog sein Gewehr lang an sich und legte sich wie zum Schlafen nieder. Ich nahm das als Zeichen, daß er nicht weitersprechen wolle. Später sah ich freilich ein, daß es viel besser gewesen wäre, wenn ich dieses Gespräch mit ihm fortgesetzt hätte. Dabei wäre mir jedenfalls der Name Thibaut über die Lippen gekommen, ein Name, welcher eine von mir ungeahnte Wirkung auf ihn hervorgebracht hätte. Der sogenannte »Herr der Schöpfung« mag sich trotz des vielgerühmten Reichtums seiner geistigen Eigenschaften ja nicht vermessen, daß er von keiner andern Führung abhängig sei als nur von seinem Willen! Mag er es noch so sehr bezweifeln, es giebt einen Willen, der hoch über allem irdischen Wollen erhaben ist.