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Old Surehand I

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Die beste Art und Weise, etwas, was andere thun wollen, zu verhindern oder unschädlich zu machen, ist die, es selbst herbeizuführen; dann hat man es in der Gewalt und kann zur rechten Zeit seine Gegenmaßregeln treffen. Also mußte ich, um des jungen Häuptlings sicher zu sein, ihm an irgend einem Augenblicke die Flucht so leicht wie möglich machen. Ging er auf diese Finte ein, so konnte ich ihn schnell fassen, grad so, wie die Katze die Maus, mit der sie spielt.

Als wir aufgebrochen waren, ritt ich zunächst allein hinterher, um, ohne daß der Häuptling es bemerkte, meinen Lasso so in fertigen Rollen um die Schulter zu legen, daß es nur eines schnellen Griffes bedurfte, ihn wurfgerecht in die Hand zu bekommen. Dann ritt ich als Führer voran und rief ihn an meine Seite. Ich unterhielt mich in der Weise mit ihm, als ob ich ihn gar nicht beaufsichtigte, und blieb dann, als es zu dunkeln begann, mit ihm weiter und weiter zurück, bis wir uns anstatt an der Spitze des Zuges schließlich am Ende desselben befanden. Die Dämmerung verdichtete sich schnell zum vollständigen Abenddunkel. Schiba-bigk ritt mir zur rechten Seite. Ich that so, als ob mir am Sattelzeuge etwas in Unordnung geraten sei, hielt das Pferd an und beugte Mich, ohne abzusteigen, an der linken Seite nieder. Wir waren die letzten im Zuge; ich drehte ihm den Rücken zu: Wenn er jetzt nicht floh, so hatte er überhaupt die Absicht gar nicht, uns zu entwischen. Ich griff gespannt mit der rechten Hand nach dem Lasso. Richtig! Ein Knirschen des Sandes, wie unter den Hufen eines Pferdes, welches auf den Hinterbeinen herumgeworfen wird – schnell erhob ich mich wieder im Sattel und drehte mich um: Da hinten flog er in Carriere auf dem Wege zurück, den wir gekommen waren, doch in demselben Augenblicke hatte ich mein Pferd gewendet und flog hinter ihm her. Mein Rappe hatte nicht ohne Grund den Namen Hatatitla, was so viel wie »Blitz« bedeutet. Er war dem Pferde Schiba-bigks überhaupt und ganz besonders auch in Beziehung auf die Schnelligkeit weit überlegen. Es war noch nicht eine einzige Minute vergangen, so war ich dem Flüchtlinge so nahe, daß mein Lasso ihn erreichen mußte.

»Halt an!« rief ich ihm zu.

»Uff, uff!« antwortete er in schrillem Tone, was so viel bedeuten sollte, nein, das fällt mir gar nicht ein.

Da flog mein Lasso nach vorn; die Schlinge senkte sich auf ihn nieder und faßte ihn bei den beiden Armen, die sie ihm an den Leib zog. Ich hielt meinen Rappen an, und der Ruck, den der Lasso dadurch erhielt, riß den Indianer vom Pferde. Ich sprang ab und kniete bei ihm nieder. Er lag bewegungslos.

»Ist mein junger Bruder noch am Leben?« fragte ich, denn es war leicht möglich, daß er den Hals gebrochen hatte. Solche Unfälle kommen bei dem Fangen mit dem Lasso häufig vor.

Er antwortete nicht.

»Wenn Schiba-bigk nicht redet, werde ich ihn wie eine Leiche auf das Pferd schnallen. Wenn ihm dann die Glieder schmerzen, hat er es sich selbst zuzuschreiben,« warnte ich.

»Ich lebe,« antwortete er jetzt.

»Hast du Schaden genommen?«

»Nein.«

»So rufe dein Pferd herbei!«

Es war, als er aus dem Sattel gerissen wurde, noch eine Strecke weit fortgelaufen. Er stieß einen scharfen Pfiff aus, und es kam.

»Jetzt werde ich meinem jungen Bruder die Hände binden; er selbst ist schuld daran, daß ich das thun muß.«

Er lag noch am Boden. Die Schlinge des Lasso hielt ihm die Arme am Leibe fest. Ich half ihm beim Aufstehen, band ihm die Hände zusammen und befahl ihm, aufzusteigen. Als er das gethan hatte, zog ich ihm unter dem Bauche des Pferdes einen Riemen von einem Fuße zum andern und band dann seine Zügel mit den meinigen zusammen. Dadurch bekam ich sein Pferd in meine Gewalt, und er konnte nicht herunter. Nachdem ich mir den zusammengeschlungenen Lasso wieder über die Schulter gehängt hatte, stieg ich auf und ritt mit dem Gefangenen im Galoppe zurück, unserer Truppe nach.

Diese war halten geblieben, weil man bemerkt hatte, daß wir fehlten. Old Surehand, Wabble, Parker, Hawley und Entschar-Ko kamen uns entgegen.

»Gott sei Dank, da seid Ihr ja!« rief der alte König der Cowboys aus. »Wo habt Ihr denn gesteckt, Mr. Shatterhand?«

»Wir haben einen kleinen Aus- oder Rückflug unternommen,« antwortete ich.

»Der Rote wollte wohl echappieren?«

»Ja.«

»Da habt Ihr es! Sage ich nicht, daß diese Kerls alle nichts taugen? Solche Kerls darf man nicht mit Handschuhen anfassen, wie das so Eure Mode ist. Hoffentlich ist er nun gebunden?«

»Ganz nach Eurem Wunsche, Mr. Cutter.«

»Warum sagt Ihr das so ironisch, Sir?«

»Weil er schon vorher gefesselt war.«

»Das ist mir neu. Habe nichts davon gesehen.«

»Ob mit Riemen gefesselt oder durch meine Augen bewacht, das ist ganz dasselbe.«

»So? Na, wenn Eure Augen Riemen sind, so laßt sie nicht zu lang herunterhängen; die Pferde könnten sie Euch wegtreten; th‘is clear!«

Ich hätte ruhig hinterherreiten können, denn eine Wiederholung des Fluchtversuches war nun vollständig ausgeschlossen; dennoch begab ich mich wieder an die Spitze, denn ohne meine Führung hätten die andern den Weg verfehlt. Auch Schiba-bigk hätte, selbst wenn er nicht in unsere Hände gefallen wäre, die Oase nicht überfallen können, weil es ihm unmöglich gewesen wäre, den neuen Durchgang durch den Kaktus zu finden. Er kannte nur den alten, und der war, wie schon erwähnt, von Bloody-Fox zugepflanzt worden.

Es war nach sechs Uhr dunkel geworden. Ungefähr anderthalb Stunden später kamen wir im Lager der Apatschen an, bei denen sich der »Fuchs« befand. Er war natürlich sehr begierig, zu erfahren, welchen Erfolg wir gehabt hätten, fügte aber der Frage, welche er daraufhin aussprach, gleich die Antwort hinzu:

»Uff! Da sehe ich, daß es gar keiner Erkundigung bedarf. Das sind ja eine ganze Menge Comantschen, die Ihr mitbringt. Ihr seid also mit Ihnen zusammengetroffen und habt sie gebeten, mitzukommen. Ist Schiba-bigk dabei?«

»Yes,« antwortete Old Wabble. »Werden doch die Roten nicht ohne ihren Anführer bringen!«

»Sind welche erschossen oder verwundet worden? Haben sie sich gewehrt?«

»Ist ihnen nicht eingefallen. Es hat keiner ein Löchlein in die Haut bekommen. Das ging so sauber zu wie in der Knabenschule, wenn Tintenklexe ausradiert werden. Will es Euch erzählen, wenn es Euch Vergnügen macht. Fürs Erste aber wollen wir hinein zum Wasser, um die Pferde trinken zu lassen. Das ist das Notwendigste, was geschehen muß.«

Er hatte Recht. Ich stieg ab und band Schiba-bigk los.

»Wenn mein roter Bruder sich eingebildet hat, Bloody-Fox überfallen zu können, so hat er sich in einem großen Irrtume befunden; die Gegend ist ganz anders geworden, als sie damals war. Weil du der Flucht verdächtig bist, wirst du den richtigen Weg nicht sehen dürfen.«

Ich nahm ihn vom Pferde, verband ihm die Augen und ergriff ihn beim Arme, um ihn durch den Kaktus nach der Hütte zu führen. Die Weißen und Entschar-Ko folgten uns. Die Gefangenen waren den Apatschen sogleich zur Bewachung übergeben worden; ihre Pferde wurden auch hereingebracht, um getränkt zu werden.

Eigentlich hatte ich die Absicht gehabt, nicht nur den feindlichen Comantschen, sondern auch den Apatschen den Zutritt zu dem Innern der Oase zu verwehren; es war immer am besten, gar keinen von ihnen diese Oertlichkeit kennen lernen zu lassen; aber dies hatte sich durch das unvermeidliche Tränken der Pferde als hinfällig erwiesen. Wenn über dreihundert Pferde und ebenso viele Menschen mit Wasser zu versehen waren, konnte der Quell unmöglich verborgen bleiben.

Während die andern sich draußen an den Tischen niedersetzten, führte ich Schiba-bigk in das Innere des Hauses, wo ich ihn anband.

»Mein Bruder hat es nur sich selbst zuzuschreiben, daß ich dies thue,« sagte ich. »Hätte er mir sein Wort gegeben, nicht zu entweichen, so dürfte er jetzt frei hier herumgehen.«

»Dieses Wort darf ich nicht geben,« antwortete er, »ich bin ein Häuptling der Comantschen, und da unsre Krieger sich in Gefahr befinden, habe ich die Pflicht, zu fliehen, sobald es möglich ist.«

»Diese Möglichkeit wird nicht eintreten!«

»Vorhin war sie da!«

»Nein!«

»Wenn das Pferd meines weißen Bruders nicht schneller gewesen wäre als das meinige, wäre ich entkommen.«

»Hast du das wirklich geglaubt?«

»Ja.«

»So habe ich dich für scharfsinniger gehalten, als du bist. Wir befanden uns erst dem Zuge voran. Warum blieb ich dann mit dir zurück?«

»Weil du glaubtest, mich sicher zu haben.«

»Nein, ganz im Gegenteile, weil ich wußte, daß du fliehen wolltest. Und weshalb hielt ich an, um nach meinem Sattelzeuge zu sehen?«

»Weil etwas daran zerrissen oder verschoben war.«

»Auch nicht, sondern um dir Gelegenheit zu geben, die Flucht zu ergreifen.«

»Uff!« rief er verwundert. »Old Shatterhand wollte mich an der Flucht verhindern und hat mir doch die Gelegenheit dazu gegeben!«

»Das begreifest du nicht?«

»Wer kann das begreifen!«

»Jeder Mensch, welcher gelernt hat, nachzudenken. Grad weil ich die Flucht verhindern wollte, habe ich dir die Gelegenheit dazu gegeben. Wärest du in einem Augenblicke geflohen, an welchem ich nicht darauf vorbereitet war, so hättest du, weil es dunkel war, trotz der Schnelligkeit meines Pferdes entkommen können; ich mußte also vorbereitet sein, und das konnte nur dadurch geschehen, daß ich selbst den geeigneten Augenblick herbeiführte; dann war ich um so schneller hinter dir her.«

»Uff, uff!«

»Siehst du es jetzt ein?«

»Ich sehe ein, daß es wahr ist, was alle roten und weißen Krieger wissen: Old Shatterhand ist nicht zu überlisten, sondern er überlistet sie alle.«

»Hm, dich heut zu überlisten, dazu gehörte gar nicht viel. Du bist ein Häuptling, aber doch noch fast ein Knabe; wenn du das wenigstens mir gegenüber beherzigen willst, so kann es dir nur zum Vorteile sein. Sei froh, daß mein Pferd schneller war als das deinige, und ich infolge dessen nur den Lasso angewendet habe! Hätte ich dich nicht so rasch einholen können, so wäre ich gezwungen gewesen, dich zu erschießen.«

 

»Schiba-bigk hat keine Angst vor dem Tode!«

»Das weiß ich; aber deine Flucht hatte doch nur den Zweck, die Comantschen zu benachrichtigen. Hättest du das thun können, wenn du erschossen worden wärest?«

»Uff, nein!«

»Du mußt also einsehen, daß du auch in dieser Beziehung unüberlegt gehandelt hast. Und wie konntest du vergessen, daß ich deine Medizin besitze!«

»Ich vergaß es nicht. «

»Und wolltest dennoch fort? Sonderbar! Mochte dir die Flucht gelingen oder nicht, so wäre deine Seele für immer verloren gewesen.«

»Nein!«

»Doch! Wer seine Medizin verliert, der kann sich eine andere suchen und dadurch seine Seele retten. Wer sich aber seine Medizin abnehmen läßt und sie wird vernichtet, dessen Seele ist auch vernichtet und wird nie in die ewigen Jagdgründe gelangen.«

»Old Shatterhand sagt da Etwas, was er selbst nicht glaubt!«

Ich sah trotz des schwachen Scheines der in der Stube brennenden, selbstgefertigten Talgkerze, daß sein Gesicht einen selbstbewußten, ja, ich möchte sagen, einen überlegenen Ausdruck annahm. Ueber das, was er jetzt dachte, hätte ein Deutscher sich wahrscheinlich ausgedrückt: jetzt habe ich Old Shatterhand im Sacke! Ich antwortete:

»Ob ich es glaube oder nicht, das ist Nebensache; aber Ihr glaubt es. Wenn ein roter Krieger einem Feind die Medizin abnimmt und sie aufbewahrt, so muß die Seele desselben ihn in den ewigen Jagdgründen bedienen, außer der große Geist offenbart ihm den Weg, sich eine neue Medizin zu erwerben. Wird aber die Medizin nicht aufbewahrt, sondern vernichtet, so ist mit ihr die Seele vernichtet für alle Ewigkeit. Das ist doch euer Glaube!«

»Aber nicht der meinige!«

»Nicht?« fragte ich scheinbar überrascht.

»Nein. Auch ich habe es geglaubt, aber nur so lange, bis mein großer Bruder Old Shatterhand mir von dem großen Manitou erzählte, der alle Menschen erschaffen hat, der allen gleiche Liebe gibt und zu dem alle Seelen zurückkehren werden. Kein Mensch kann einem andern seine Seele nehmen. Es wird nach dem Tode keine Herrscher und keine Diener, weder Sieger noch Besiegte geben. Vor dem Stuhle des großen, guten Manitou werden alle Seelen gleich sein; es wird ewige Liebe und ewiger Friede herrschen und weder Kampf noch Jagd und Blutvergießen geben. Wo sollen da die Jagdgründe liegen, von denen unsere Medizinmänner sprechen?«

Er hatte das in einem Eifer, der sich von Wort zu Wort steigerte, gesagt. Ich freute mich auf‘s herzlichste darüber. Das war es ja, was ich hatte erfahren wollen! Der Same, den ich damals in sein Herz gesäet hatte, war also doch aufgegangen und hatte unter der starren Rinde feste Wurzeln geschlagen.

»Ja, wenn du so denkst, dann hat ja keine Medizin mehr Wert für dich,« sagte ich, scheinbar absichtslos.

»Sie ist das Zeichen, daß ich Krieger bin, weiter nichts.«

»Dann hat es auch keinen Zweck, daß ich sie behalte. Hier hast du sie zurück.«

Ich nahm sie von meinem Halse und gab sie ihm. Er hing sie sich um und antwortete: »Sie hat mit meiner Seele nichts zu thun, aber sie ist das Zeichen des Kriegerranges, und darum danke ich dir, daß du sie mir wiedergiebst!«

»Hast du schon mit andern roten Kriegern darüber gesprochen, daß die Seele und die Medizin zwei Dinge sind, die einander nichts angehen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil sie es nicht glauben würden.«

»Aber du hast es doch mir geglaubt!«

»Mein Mund ist nicht der deinige, und wenn ich ganz dasselbe sage, was du gesagt hast, so ist es doch nicht dasselbe. Wird Old Shatterhand heut hier bleiben?«

Ich durfte ihm keine Auskunft erteilen und antwortete darum, über seine Frage weggehend:

»Mag ich hier sein oder nicht, es wird dir an nichts fehlen. Da du fliehen willst, muß ich dich noch als

Feind betrachten; aber du sollst dich wenigstens zwischen diesen vier Wänden frei bewegen dürfen.«

»So willst du mich losbinden?«

»Bob, der Neger, wird dies später thun.«

»Der Nigger? Soll ein Nigger mich berühren? Weißt du nicht, daß kein roter Krieger mit einem Nigger etwas zu thun haben mag?«

»Und weißt du nicht, daß der große Manitou alle Menschen erschaffen hat und alle gleich sehr liebt, mögen sie nun eine schwarze, rote oder weiße Haut besitzen?«

Er blickte verlegen vor sich nieder.

»Und was hast du gegen unsern Bob?« fuhr ich fort. »Er war dabei, als wir dich damals retteten. Du bist ihm nicht weniger Dank schuldig als uns. Er ist ein besserer Mensch, als du gewesen bist. Er hat niemals einem Menschen Freundschaft vorgelogen; du aber hast Bloody-Fox dein Leben zu verdanken und mit ihm die Pfeife des Friedens und der Freundschaft geraucht und bist trotzdem jetzt hierher gekommen, ihn aus seinem Home zu vertreiben und zu töten. Sag mir da einmal aufrichtig, wer steht höher, er oder du?«

Er antwortete nicht.

»Du schweigst; das ist genug. Denke über dich nach! Damit du das ungestört thun kannst, werde ich jetzt gehen.«

Meine Worte klangen vielleicht streng; aber sie waren gut gemeint, und ich hoffte, daß sie den beabsichtigten Eindruck machen würden. Ich ging hinaus und winkte den Neger zu mir. Ich kannte ihn und wußte, daß er seiner Aufgabe gewachsen sei; ich mußte ihm die Sache nur richtig plausibel machen. Der Gefangene war streng zu bewachen, sollte aber nicht gequält werden.

»Komm einmal her, Bob,« sagte ich. »Ich habe dir etwas mitzuteilen.«

»Schön! Massa Shatterhand Masser Bob was mittheilen.«

»Es ist sehr wichtig!«

»Wichtig? Oh, oh! Masser Bob sein ein sehr tüchtig Gentleman, wenn wichtig Sache mitgeteilt bekommen!«

Er verdrehte vor Stolz die Augen so, daß nur das Weiße zu sehen war.

»Ich weiß, daß du ein sehr starker und tapferer Mann bist. Nicht, alter Bob?«

»Oh, ja, oh! Bob sein sehr stark und tapfer!«

»Aber auch listig?«

»Sehr listig, sehr! Listig wie – wie – — wie —«

Er sann nach; es schien ihm kein genug augenfälliges Beispiel von List einfallen zu wollen; dann schlug er froh die Hände zusammen, denn er hatte eins gefunden, und fuhr fort: »Listig wie Fliege, grad wie Fliege!«

»Fliege? Hältst du die Fliege für ein so außerordentlich listiges Geschöpf?«

»Yes! Oh, oh, Fliege sehr listig, sehr! Setzen sich immer nur auf Nasenspitze.«

»Und das ist List?«

»Sehr viel List, denn Nasenspitze sein ganz vorn, und Fliege da kann gleich schnell wieder fortfliegen.«

»Schön, das imponiert mir allerdings. Also, ich brauche deine Stärke, deine Tapferkeit und deinen Muth. Hast Du gesehen, daß ich Schiba-bigk in die Stube geschafft habe?«

»Yes, Masser Bob haben lauschen durch Thür und sehen, daß junger Häuptling liegen auf Diele und sein mit Riemen fest angebunden.«

»Richtig! Er will fliehen; darum muß er streng bewacht werden. Das sollst du thun.«

»Well! Masser Bob sich setzen zu ihm ganze Nacht und ganzen Tag und ihn nicht lassen aus allen zwei Augen!«

»Das wird nicht gerade nötig sein. Du wirst ihn nachher, wenn ich fort bin, losbinden; er soll frei in der Stube umhergehen können; aber heraus darf er nicht.«

»O no, darf nicht heraus! Aber wenn dennoch will heraus, was Masser Bob dann thun?«

»Du lässest ihn auf keinen Fall heraus.«

»Nein, gar nicht! Sobald er steckt Nase heraus, Masser Bob ihm geben einen Hieb darauf.«

»Das darfst du nicht thun. Schläge sind für einen roten Krieger die größte Beleidigung.«

Da kratzte er sich verlegen hinter dem Ohr und sagte:

»Oh, hm, oh! Das bös, sehr bös! Masser Bob ihn nicht lassen heraus und doch nicht dürfen schlagen! Masser Bob ihn müssen losbinden und doch ihn festhalten!«

»Ja,« lächelte ich, »es ist eine sehr schwierige Angelegenheit; aber du bist der richtige Mann dazu. Du bist schlauer und listiger als der Fuchs; du bist so listig wie eine Fliege auf der Nasenspitze und wirst keinen Fehler machen. Dir vertraue ich diesen wichtigen Gefangenen an. Er wird losgebunden und bekommt zu essen und zu trinken, darf aber nicht zur Thür heraus, auch nicht etwa zu einem Fenster; aber schlagen darfst du ihn nicht.«

»Auch nicht erschießen?«

»Das nun gar nicht! Du mußt dich da ganz auf deine große, anerkannte Pfiffigkeit verlassen.«

Er sann nach und antwortete dann auf diese Schmeichelei mit einem unendlich glückseligen Lächeln:

»Oh, ah, oh, Masser Bob sein pfiffig. Bob weiß jetzt, wie machen. Soll Bob es sagen?«

»Nein, ich brauche es jetzt nicht zu wissen; aber ich bin überzeugt, daß ich mit dir zufrieden sein kann, wenn ich zurückkehre.«

»Zufrieden, sehr zufrieden! Masser Bob haben einen Gedanken, der sehr pfiffig, sehr. Schiba-bigk drinstecken, losbinden und doch nicht heraus können; ihn auch nicht schlagen oder schießen. Das machen Masser Bob sehr schlau. Massa Shatterhand werden sehen!«

»Gut, lieber Bob. Es soll mich sehr freuen, wenn ich dich bei meiner Rückkehr loben kann.«

Ich wußte gar wohl, weshalb ich grad ihm die Beaufsichtigung dieses Gefangenen übergab; den Apatschen mochte ich diesen nicht anvertrauen. Und ebensogut wußte ich, warum ich den »Gedanken« nicht wissen wollte, der dem Neger gekommen war; ich wollte nichts mit einer Verantwortung zu thun haben, die es nach den Anschauungen der Bleichgesichter vielleicht nicht gab, welche aber nach indianischen Begriffen sehr groß sein konnte. That der Schwarze ohne mein Wissen mit dem Gefangenen etwas, was das Ehrgefühl Schiba-bigks verletzte, so durfte dieser nicht denselben Maßstab daran legen, als wenn es mit meiner Genehmigung oder gar in meinem Auftrage geschah.

Ich ging nun zunächst zu Bloody-Fox, um mit ihm über seine Aufgabe zu sprechen. Er stand mit Old Surehand zusammen und empfing mich mit den Worten:

»Ich habe gehört, daß ich zu Winnetou reiten soll, um ihn und seine Apatschen in die rechte Richtung zu bringen. Wann soll ich fort von hier?«

»Noch heute abend; so bald wie möglich.«

»Und wo werde ich ihn treffen?«

»Das ist nicht genau zu sagen, läßt sich aber ungefähr berechnen. Er ist auf der Spur Schiba-bigks zurück, welche ganz genau westlich bis zu den »hundert Bäumen« geht. Da er die Pfähle zu entfernen und mitzuschleppen hat, mit welchen der junge Häuptling den Weg nach hier bezeichnete, so wird er länger zubringen, als wenn er ohne Aufenthalt reiten könnte – — —«

»Er kann diese Arbeit auch während des größten Teiles der Nacht thun, denn die Sichel des Mondes wird in kurzer Zeit erscheinen,« unterbrach er mich.

»Allerdings, und darum denke ich, daß er wahrscheinlich gegen Mittag bei den »hundert Bäumen« ankommen wird.«

»Dort hat er die Pferde zu tränken und wenigstens eine Weile ausruhen zu lassen.«

»Ganz recht; aber sehr lange wird er sich nicht dort verweilen; ich kenne ihn. Die Hauptsache ist, daß die Tiere Wasser bekommen; was ihre Müdigkeit betrifft, so wird er darauf weniger Rücksicht nehmen, weil er weiß, daß er sie dann unterwegs nach Belieben schonen kann, denn es steht da ganz in seinem Belieben, anzuhalten und auszuruhen, wann und wo es ihm gefällt. Ich habe ihm gesagt, daß er von den »hundert Bäumen« an sich genau nach Südosten halten soll. Nehmen wir an, daß er von Kilometer zu Kilometer einen Pfahl anbringt und sich damit nicht allzusehr beeilt, so läßt sich nicht schwer berechnen, an welchem Punkte er von hier aus zu treffen sein wird.«

»Well; da weiß ich nun, woran ich bin. Habt Ihr sonst noch eine Bemerkung, Mr. Shatterhand?«

»Ja. Vupa Umugi wird hinter ihm herkommen und darf nur auf indianische Spuren treffen.«

»So muß ich also meine Stiefel ausziehen und Mokassins anlegen. Ich habe stets mehrere Paare hier, weil ich in dieser Abgeschiedenheit gezwungen bin, auf Vorrat zu sehen.«

»Ah, wenn ich auch ein Paar haben könnte!«

»Und ich auch,« fiel Old Surehand ein. »Wir müßten uns sonst von den gefangenen Comantschen welche nehmen und was diese an den Füßen gehabt haben, hm!«

»Da kann ich wahrscheinlich Rat schaffen, denn ich habe mehrere Größen, weil Bob oft auch welche trägt. Wartet einige Augenblicke; ich werde sie holen.«

Er ging in das Haus und brachte die indianischen Schuhe; eine Probe ergab, daß sowohl für Old Surehand wie auch für mich passende vorhanden waren. Wir zogen sie an und übergaben Bob unsere Stiefel, um sie bis zu unserer Rückkehr aufzubewahren.

Anders stand es mit Old Wabble, für dessen Meterfüße Fox nichts Geeignetes besaß. Wir schickten ihn mit Entschar-Ko hinaus zu den Comantschen; vielleicht gab es unter diesen einen, der ähnlich ausgebildete Gehwerkzeuge besaß.

 

»Um in Beziehung auf Winnetou die Hauptsache nicht zu vergessen: er muß Wasser haben,« fuhr ich in dem unterbrochenen Gespräche fort. »Glücklicherweise sind Schläuche hier.«

»Ja,« nickte Fox. »Ich werde sie sogleich füllen. Aber allein kann ich mich nicht mit ihnen schleppen; darf ich einige Apatschen mitnehmen?«

»Natürlich! Doch nicht zu viele, sonst sieht Vupa Umugi, daß er einer größeren Schar von Reitern folgt, als Schiba-bigk bei sich gehabt hat. Hierbei komme ich auf eine Idee, welche mich sehr wahrscheinlich vor einem Unterlassungsfehler bewahrt oder, wenn das nicht, uns den Fang der Comantschen erleichtert. Ich wollte erst nur mit Euch, Mr. Surehand, und mit Old Wabble reiten, denke aber jetzt, daß es besser ist, wenn wir so fünfzig oder sechzig Apatschen mitnehmen.«

»Auf einen Kundschaftsritt?« verwunderte sich Old Surehand. »Da pflegt man doch so wenig zahlreich wie möglich zu sein!«

»Allerdings; aber vielleicht wird aus dem beabsichtigten Späherritte etwas ganz anderes. Soweit wir jetzt den Plan der Comantschen kennen, kommt zunächst Vupa Umugi mit seiner Schar bei den »hundert Bäumen« an. Das wird, wie ich erlauscht habe, morgen abend sein. Er wird dort während der Nacht bleiben und dann längs der Pfähle weiterreiten. Er lockt die weiße Kavallerie hinter sich her. Wann diese folgt, das weiß man nicht, läßt sich aber vermuten, da ich aus Schiba-bigk herausgelockt habe, daß Nale-Masiuv einen halben Tag später als Vupa Umugi kommen wird, und die Weißen sind doch vor Nale-Masiuv zu erwarten, welcher die Aufgabe hat, sie vor sich herzutreiben.«

»Das Militär wird also wahrscheinlich übermorgen vormittag bei den »hundert Bäumen« ankommen.«

»Das denke ich auch. Sind diese Weißen dann fort, hinter Vupa Umugi her, wird Nale-Masiuv erscheinen und ihnen folgen. Unsere bisherige Absicht war nun, diese einzelnen Trupps ziehen zu lassen und in der ihnen gelegten Falle einzuschließen – — —«

»Und das ist das Beste, ja das Einzige, was wir thun können,« fiel Bloody-Fox ein.

»Leider nicht. Ich wundere mich jetzt außerordentlich darüber, daß es keinem von uns eingefallen ist, welchen großen Fehler wir dadurch begehen würden.«

»Fehler? Wieso?«

»Bedenkt doch, daß es zwei verschiedene Indianertrupps sind, welche wir im Kaktus einschließen wollen!«

»Nun? Was ist da zu bedenken?«

»Daß sich die Weißen zwischen ihnen befinden. «

»Ah! Hm!«

»Ahnt Ihr jetzt, was ich meine?«

»Well, es ist wahr!« rief Old Surehand aus. »Das ist ein Fehler in unserm Plane, ein so großer, daß ich kaum begreifen kann, wie wir ihn machen konnten!«

»Wir müßten die Weißen mit den Roten einschließen!«

»Und hätten dadurch das Spiel verloren!«

»Wenn auch das nicht, Mr. Surehand, aber es würde für uns weit schwerer sein, es zu gewinnen. Die Comantschen würden sich der Kavallerie bemächtigen und dadurch zu einem Trumpfe gelangen, der nicht leicht zu überbieten ist. Darum werden wir drei nicht allein reiten, sondern eine Abteilung unserer Apatschen mitnehmen. Den Zweck werdet Ihr erraten.«

»Sehr leicht. Es gilt Nale-Masiuv?«

»Ja. Wir lassen ihn gar nicht in die Falle gehen, sondern nehmen ihn schon bei den »hundert Bäumen« gefangen.«

»Ein vortrefflicher Gedanke, Sir!«

»Ja, vortrefflich, ganz vortrefflich, wenn er nicht zu kühn ist,« bemerkte Bloody-Fox.

»Zu kühn? Inwiefern?« fragte ich.

»Spracht Ihr nicht davon, nur fünfzig oder sechzig Apatschen mitzunehmen?«

»Ja.«

»Wird diese Zahl genügen?«

»Ich denke es.«

»Und ich bezweifle es. Verzeiht, daß ich so aufrichtig bin, dies zu sagen!«

»Pshaw! Es ist ja grad notwendig, daß ein jeder ehrlich seine Meinung sagt.«

»So erlaube ich mir, daran zu erinnern, daß Nale-Masiuv wahrscheinlich über hundertfünfzig Krieger bei sich haben wird.«

»Das ist allerdings anzunehmen.«

»Und die wollt Ihr mit fünfzig bis sechzig Apatschen fangen?«

»Nein. Das wäre freilich ein mehr als kühnes, es wäre ein lächerliches, ein höchst leichtsinniges Unternehmen. Ich werde viel, viel mehr Leute bei mir haben.«

»Woher sollen die kommen?«

»Aber Fox, Fox! Ist das so schwer zu begreifen?«

»Hm! Helft mir auf die Sprünge, Sir. Ich weiß wirklich nicht, woher Euch weitere Kräfte kommen sollen!«

»Und die Kavallerie?«

Er sah mir überrascht in das Gesicht, schlug sich mit der Hand an die Stirn und rief. »So ein Esel! Das ist ja die reine Blindheit, mit der ich geschlagen war! Natürlich werden die weißen Reiter Euch beistehen, ganz natürlich! So dumm, wie in diesem Augenblicke, bin ich noch nie gewesen!«

»Ihr habt dabei den Trost, daß auch ich erst vor einigen Minuten auf diesen Gedanken gekommen bin. Und er lag doch so nahe, daß jedes Kind ihn fassen konnte. Ich werde Entschar-Ko sagen, daß – — – ah, da kommt er ja!«

Der Unteranführer der Apatschen kam mit Old Wabble zurück; ich schickte ihn wieder hinaus, diejenigen Krieger auszuwählen, welche uns begleiten sollten. Der alte König der Cowboys stand in einer so eigentümlichen Haltung vor uns, daß ich ihn unwillkürlich fragte:

»Was habt Ihr, Sir? Seid Ihr unwohl?«

»Yes, sehr, außerordentlich unwohl!« nickte er.

»Wo liegt das Leiden?«

»Tief, sehr tief!«

Er zeigte dabei mit dem Finger nach unten.

»Ach! In den Füßen wohl?«

»Yes!«

»Die Mokassins – — –?«

»Mag der Teufel holen!« platzte er zornig heraus.

»Habt Ihr welche gefunden?«

»Und was für welche!«

»Groß genug?«

»Und wie groß! So groß, daß man sich ordentlich schämen muß, sie anzuziehen! Dieser Rote, dem wir sie abgenommen hatten, besitzt keine menschlichen Füße, sondern wahre Bärentatzen!«

»Nun, was weiter?«

»Was weiter? Das fragt Ihr noch?«

»Natürlich!«

»Da ist gar nichts Natürliches dabei! Es ist ganz selbstverständlich, daß ich wütend sein muß!«

»Aber warum wütend?«

»Thunder-storm, seht Ihr das wirklich noch nicht ein? Ich bin wütend und ganz außer mir, weil diese kolossalen Schuhe mir noch immer nicht passen. Sie sind noch zu klein!«

»Das ist freilich sehr bedauerlich!«

»Aber nicht für Euch, sondern für mich, Sir!« fuhr er mich zornig an.

»Das bezweifle ich gar nicht, Mr. Cutter,« lachte ich.

»Ja, lacht nur zu! Ihr würdet aber nicht lachen, wenn Ihr das niederträchtige Gefühl hättet, welches ich empfinde! «

»Wirklich? Seid Ihr auch einmal gefühlvoll?«

»Und wie! Seht Ihr denn nicht, wie krumm und trostlos ich dastehe? Meine Zehen sind so rund gebogen, daß man sie für Nullen halten könnte.«

»So macht sie gerade!«

»Geht nicht! Die Mokassins sind zu kurz. Wißt Ihr vielleicht ein Mittel gegen meine Qualen?«

»Ja.«

»Welches? Ich kann doch die Schuhe nicht länger machen!«

»Nein; aber Löcher könnt Ihr hineinschneiden.«

»Ah – — – Löcher – — –?«

»Ja.«

»Vortrefflicher Gedanke, ganz vortrefflicher! Old Shatterhand ist doch der pfiffigste Kopf, der jemals zwischen zwei Schultern gesessen hat! Löcher hineinschneiden! Das werde ich gleich thun, sofort. Die Zehen werden zwar ein wenig herausgucken, aber das schadet nichts; ich gönne ihnen die Freude, auch einmal das liebe Tageslicht zu sehen.«

Er zog das Messer und setzte sich nieder, um die vorgeschlagene Operation augenblicklich auszuführen.

Als wir uns dann von Fox, Parker und Hawley verabschiedet hatten und mit unsern Pferden hinaus zu den Apatschen kamen, standen sechzig von ihnen bereit, uns zu begleiten.

»Hat mein weißer Bruder mir noch einen Befehl zu erteilen?« fragte mich Entschar-Ko.

»Du wirst dafür sorgen, daß an dem Wege, der nach der Oase führt, sich stets einige Wachen befinden. Ich habe Schiba-bigk dem Neger Bob übergeben, der ihn nicht aus dem Hause lassen soll. Er sinnt auf Flucht. Der Schwarze wird ihn nicht aus den Augen lassen. Auf keinen Fall kann der junge Häuptling durch den dichten Kaktus entkommen; er muß den einzigen Weg wählen, der hindurchführt, und dabei auf diese Wächter treffen.«

»Was sollen wir thun, wenn er kommt?«

»Ihn festhalten.«

»Ich meine, wenn er sich wehrt?«

»Da muß natürlich Gewalt angewendet werden. Ich will ihn so viel wie möglich schonen, aber entkommen darf er auf keinen Fall. Wenn es nicht anders geht, muß er das Leben lassen. Ebenso streng hast du darauf zu sehen, daß keiner von seinen Comantschen entweicht.«

Nun war weiter nichts zu sagen, und wir ritten fort, als eben die dünne Sichel des Mondes am Horizonte erschien.