Kostenlos

Old Surehand I

Text
Autor:
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Wir stellten, obgleich wir gar nichts zu fürchten brauchten, Wachen aus und legten uns dann schlafen, nachdem die Pferde Wasser und Maiskolben bekommen hatten, von denen eine ansehnliche Menge mitgebracht worden war. Der Schlaf in der kühlen Wüstennacht that uns außerordentlich wohl, und wir waren zum Weitermarsche gestärkt, als wir am Morgen erwachten.

Der heutige Weg führte uns zuweilen an dürren Kaktusstrecken vorüber, vor denen wir unsre Pferde hüten mußten, damit sie sich nicht an den Füßen verwundeten. Diese Kaktusflächen treten einander oft nahe und schieben sich da oft so ineinander, daß man zu bedeutenden Wendungen und Umwegen gezwungen ist und sich nur schwer zwischen ihnen hindurchwinden kann. Wer ihre Lage, Ausdehnung und Beschaffenheit nicht kennt, der kann so in die Irre geraten, daß er sich nicht wieder herausfinden kann und, wenn er keinen Proviant und kein Wasser bei sich führt, verloren ist.

Am Nachmittage war es glühend heiß. Die Sonne brannte förmlich hernieder, und es wehte ein Backofenwind, welcher die Luft mit dichtem Sandstaub erfüllte. Ich hatte einen sehr schweren Posten, denn ich war der einzige, der den Weg kannte, und also für unser Wohlergehen verantwortlich. Der Blick konnte die dicke Atmosphäre kaum durchdringen, und obgleich ich überzeugt war, die grade Richtung eingehalten zu haben, gab es doch verschiedenes, was geeignet war, mich irre zu machen. Zwar war der Neger bei mir, aber, die geistigen Schwächen seiner Rasse überhaupt nicht gerechnet, war er stets nur mit Bloody-Fox durch die Wüste geritten, hatte sich auf diesen verlassen und konnte mir also nicht die geringste Auskunft geben. Es hatte Kaktusfelder gegeben, die jetzt verschwunden waren, und wo es keine gegeben hatte, da waren welche entstanden. Den Kompaß zu fragen, hütete ich mich. Der Ortsinstinkt des Westmanns ist sicherer als die trügerische Magnetnadel.

Ich mußte unbedingt an Ort und Stelle sein, da, wo zwischen zwei ausgedehnten Kaktusstrecken ein offener Weg nach dem »Wüstenwasser« führte. Diesen Weg aber fand ich nicht. Wahrscheinlich hätte mir das Fernrohr von da aus, wo wir waren, die Bauminsel gezeigt, die sich rund um den kleinen See gebildet hatte; aber die Luft war zu sehr mit Sand geschwängert. Ich wendete mich nochmals an Bob und erfuhr nach vielem Hin- und Herfragen endlich, was er mir schon längst hätte sagen können.

Bloody-Fox hatte sich nämlich noch mehr als bisher abschließen wollen und den Weg, den ich suchte, zugepflanzt. Er hatte mit großer Mühe und mit Hilfe des Wassers, das ihm zu Gebote stand, einen so breiten Kaktuskreis um sich gezogen, daß sein Home vom Rande desselben und mit bloßem Auge nicht gesehen werden konnte. Das wäre freilich ganz unmöglich gewesen, wenn es nicht schon vorher rundum meilenweite Kaktusstrecken gegeben hätte. Er hatte nur Lücken auszufüllen gehabt und mit Bob und Sanna monatelang daran gearbeitet. Während wir früher von Westen oder von Norden her zu ihm kommen konnten, hatte er da die Lücken ausgefüllt und dafür im Osten eine neue hergestellt. Sie war sehr schmal und ging so zickzackförmig, daß sich jeder Fremde sicher gehütet hätte, ihr zu folgen. Daß sein Home von einem so ausgedehnten Kaktuswalde umgeben sein konnte, das war freilich nur durch das Vorhandensein von Wasser möglich. Uebrigens habe ich schon einmal diese wilden Kaktusfelder des Llano estacado beschrieben[40]. Wir verdankten damals einem solchen Felde die Rettung vom Tode des Verschmachtens, und zufälligerweise befand sich auch ein Neger bei uns, der ebenso Bob hieß, aber mit dem jetzigen Neger Bob nicht zu verwechseln ist.

Nun wußte ich endlich, woran ich war, und wie ich zu Bloody-Fox kommen konnte. Die Apatschen durfte ich nicht mitnehmen, weil sein Home ein Geheimnis war und auch für sie wahrscheinlich bleiben sollte. Sie mußten sich also lagern; ich ließ auch alle Weißen bei ihnen und nahm nur den Neger mit, um ihm so rasch wie möglich die Gelegenheit zu geben, seine Mutter und Bloody-Fox wiederzusehen.

Wir jagten im Galopp um die gewaltige Kaktusstrecke herum, bis wir an der Ostseite derselben angekommen waren, was, da wir uns im Westen befunden hatten, beinahe eine Stunde dauerte. Wir fanden die Lücke und mußten, um ihr zu folgen, langsamer reiten, bald nach rechts, bald nach links, wie es das Zickzack mit sich brachte. Endlich erblickte ich die grünen, aber vom Sande grau belegten Wipfel der Bäume, und bald darauf das Haus, welches in ihrem Schatten lag. Vor demselben bewegte sich arbeitend eine weibliche Gestalt. Als Bob dieselbe erblickte, trieb er sein Pferd an und schrie:

»Das sein Mutter Sanna, Mutter Sanna von Masser Bob! Oh – oh – — oh! Mutter, Mutter! Sanna, Sanna! Dein Boy kommen! Bob sein da, sein wieder da!«

Sie drehte sich um, sah ihn und öffnete die Arme. So stand sie da, starr vor Freude, ohne ein Wort sagen zu können. Er hielt sein Pferd bei ihr an, sprang herab und warf die langen Arme jauchzend um sie.

Sein Schreien war gehört worden; die Thür wurde geöffnet, und heraus trat einer, dem die Wiederkehr des Negers ganz gewiß ein Rätsel war, der aber trotzdem keine Miene verzog und dessen Gesicht nicht das geringste Anzeichen von Ueberraschung zeigte.

Er stand still und unbeweglich vor der Thür, das dunkle Auge leuchtend auf Mutter und Sohn gerichtet. Sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen helmartigen Schopf geordnet und hing dann noch weit auf den Rücken herab. Keine Adlerfeder, kein Abzeichen schmückte diese indianische Frisur. Man sah es ihm auch ohne dieses an, daß er kein gemeiner Indianer, kein gewöhnlicher Krieger war. Wer einen Blick auf ihn richtete, der war gewiß sofort überzeugt, einen bedeutenden Mann vor sich zu haben. Er war ganz so in Leder gekleidet wie ich. Um den Hals trug er den köstlich gestickten Medizinbeutel, die außerordentlich künstlich geschnittene Friedenspfeife und eine dreifache Kette von den Krallen und Zähnen der Grizzlybären, die er erlegt hatte. Die Züge seines ernsten, männlich schönen Gesichtes waren fast römisch zu nennen, nur daß die Backenknochen kaum merklich hervorstanden. Die Farbe seiner Haut war ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauche.

Das war Winnetou, der Häuptling der Apatschen, der herrlichste der Indianer. Sein Name lebte in jedem Zelte, in jeder Blockhütte, an jedem Lagerfeuer. Gerecht, treu und klug, tapfer bis zur Verwegenheit, aufrichtig und ohne Falsch, ein Freund und Beschützer aller Hilfsbedürftigen, mochten sie weiß oder rot von Farbe sein, aber ebenso ein Feind und strenger, unerbittlicher Gegner aller Ungerechten, so war er bekannt bei allen, die von ihm gehört oder ihn vielleicht gar gesehen hatten. Welch ein Glück, der Freund dieses Mannes zu sein!

Bob schrie immer noch auf seine Mutter ein. Sein Entzücken schien sich zu steigern anstatt sich zu vermindern. Inzwischen war ich langsam näher gekommen, und Winnetou hörte die Schritte meines Pferdes. Er drehte sich um und erblickte mich. Auch jetzt blieb sein ehernes Gesicht unbeweglich; keine Wimper zuckte. Aber sein Auge vergrößerte sich und ein leuchtender Glanz inniger Liebe strahlte mir aus demselben entgegen. Ich stieg ab, Wir schlangen die Arme fest, fest umeinander und küßten uns wie Brüder, die einander lange nicht gesehen haben. Darm hielt er meine Hände fest, trat einen halben Schritt zurück, ließ seinen Blick an mir herniederschweifen und sagte:

»Mein Bruder Shatterhand kommt wie der Tau in den Kelch der dürstenden Blume und wie der Adler, der mit mächtigen Fängen das Nest seiner jungen beschützt. Du hast droben in den Bergen der Sierra Madre meinen Zettel gefunden?«

Ich antwortete: »Mein Bruder Winnetou ist meinem Herzen ersehnt wie der Sonnenstrahl dem Kranken, und meiner Seele teuer wie das Kind der Mutter, die es geboren hat. Es sind viele Sonnen und Monde vergangen, seit mein Auge dich zum letztenmale erblickte, Ich war oben in der Sierra an der Lebenseiche und habe deine Zeilen gefunden und gelesen. Nun komme ich mit dreihundert Apatschen unter Anführung des tapfern Entschar-Ko, um sie deinem Befehle zu übergeben. Ist Bloody-Fox nicht daheim?«

»Er reitet täglich mehreremale hinaus, um die Kaktus zu umkreisen und zu sehen, ob du kommst. Auch jetzt ist er fort und – — – — sich!«

Er unterbrach seinen Satz und deutete bei dem letzten Worte dahin, woher ich gekommen war. Da kamen mehrere Reiter, Old Surehand, Old Wabble, Parker, Hawley und Entschar-Ko, der Apatsche. Ihnen voran ritt Bloody-Fox, genau so wie die mexikanischen Vaqueros ganz in Büffelkuhleder gekleidet, und zwar so, daß alle Nähte mit Fransen versehen waren. Eine rote, breite Schärpe umschlang anstatt des Gürtels seine Taille und hing mit ihren Enden an der linken Seite herab. In dieser Schärpe steckten ein Bowiemesser und zwei mit Silber ausgelegte Pistolen. Auf dem Kopfe trug er einen breitkrämpigen Sombrero[41]; quer über die Knie hielt er eine schwere, doppelläufige Kentuckybüchse, und vorn zu beiden Seiten des Sattels waren nach mexikanischer Art Schutzleder angebracht, um die Beine bis herunter auf die Füße zu bedecken und gegen Lanzenstöße und Pfeilschüsse zu beschützen.

Er war jetzt fünfundzwanzig Jahre alt; ein voller, langer Schnurrbart beschattete seine Lippen. Der untere Teil seines Gesichtes mit den stark entwickelten Kauwerkzeugen deutete auf einen festen, unerschütterlichen Willen; seine Augen aber schauten, vielleicht nur jetzt, da er sich freute, froh und mild in die Welt wie diejenigen eines Kindes, welches kein Würmchen, keinen Schmetterling anrührt, um ihm keinen Schmerz zu bereiten. Und doch war dieser jugendliche Mann der fürchterliche Avenging-Ghost, dessen sichere Kugel jeden »Geier« des Estacado grad in die Mitte der Stirn getroffen hatte!

 

Er sprang mitten im Trabe von seinem Pferde und reichte mir die Hand. Nachdem er mich mit aufrichtig gemeinten, herzlichen Worten begrüßt hatte, wendete er sich an Winnetou:

»Diesesmal habe ich sie gefunden, die ich suchte. Aber es sind nicht die Krieger der Apatschen allein. Ahnt Winnetou, was für berühmte Männer ihm sein Freund und Bruder Shatterhand mitgebracht hat?«

Der Häuptling antwortete mit einem leisen Schütteln seines Kopfes. Hierauf stellte Fox sie vor:

»Hier steht Old Surehand, einer der berühmtesten unter den weißen Jägern. Er ging nach dem Süden, um den Häuptling der Apatschen kennen zu lernen, und traf dabei auf Old Shatterhand.«

Jetzt endlich standen diese beiden Männer einander gegenüber! Ihre Augen waren prüfend auf einander gerichtet; dann reichte Winnetou dem Jäger die Hand und sagte:

»Wen Old Shatterhand bringt, der ist dem Häuptling der Apatschen willkommen. Ich habe viel von dir gehört; nun mag die That an die Stelle des Wortes treten wie heut die Person an die Stelle der Erzählung.«

Old Surehand erwiderte einige Worte; ich sah, daß Winnetou auf ihn einen großen, sehr großen Eindruck machte.

»Und hier,« fuhr Bloody-Fox fort, »ist Old Wabble, welcher der König der Cowboys genannt wird. Er hat Old Shatterhand und Old Surehand geholfen, Bob zu befreien.«

Es ging ein eigentümliches, ich möchte sagen, heiteres Zucken über das Gesicht Winnetous, als er dem Alten seine Hand mit den Worten bot:

»Old Wabble ist dem Häuptling der Apatschen wohlbekannt; er ist pfiffig wie ein Fuchs, reitet wie ein Teufel und raucht gern Cigaretten.«

Das Gesicht des Alten strahlte bei dem Anfange dieser Begrüßungsrede; kaum aber hörte er die letzten Worte, so verfinsterten sich seine Züge sofort und er rief aus:

»Thunder-storm, das ist freilich wahr! Aber ich habe nun seit Monaten keine einzige zwischen die Lippen gebracht. Wo soll man sie hernehmen in dieser verteufelten Gegend? Wenn das nicht bald anders wird, fahre ich vor Sehnsucht aus der Haut und wickle mir Cigarren daraus; th‘is clear!«

Er war ein so leidenschaftlicher Raucher, daß er sich ohne Cigarette nicht wohl fühlte. Daher dieser Gefühlsausbruch.

Bloody-Fox stellte auch noch Parker und Hawley vor, die auch einige freundliche Worte zu hören bekamen. Er hatte einen Rundritt gemacht, um nach mir und den Apatschen auszuschauen, und war, von Norden kommend, während ich mit Bob östlich geritten war, auf sie gestoßen. Die Weißen hatten ihm sofort gesagt, wer sie waren, und er hatte sie eingeladen, schnell mit zu ihm zu kommen.

Was hätten Winnetou, Fox und ich jetzt einander zu fragen und zu erzählen gehabt! Dazu gab es aber keine Muße, denn die Comantschen nahmen zunächst unsre ganze Zeit in Anspruch. Bob und Sanna mußten unsre Pferde zur Tränke führen, und wir nahmen alle vor dem Hause Platz, um uns zu beraten. Da stand eine aus rohen Brettern zusammengefügte Tafel mit zwei Bänken, wo wir uns niedersetzen konnten.

Fox trat in das Innere seiner Wohnung, um uns zu bewirten. Aber obgleich das, was er uns vorsetzte und vorlegte, unsere Beachtung sehr verdiente, die Aufmerksamkeit derer, die noch nicht hier gewesen waren, wurde nach ganz anderen Richtungen gezogen.

Sie blickten staunend rund umher. Was war das für ein Paradies hier mitten in der glühenden Wüste! Da stand ein von der Natur gebildetes, fast kreisrundes Becken, dessen Durchmesser vielleicht achtzig Schritte betragen mochte, bis an den Rand voll von hellem, köstlichem Wasser, über dessen Oberfläche die Sonne leuchtende Brillantblitze warf. Darüber zuckten schillernde Libellen hin und her, die nach Fliegen, Mücken und anderen kleinen Insekten jagten. An dem Ufer naschten unsere Pferde wie Feinschmecker von den außerordentlich saftigen Halmen des üppigen Delicacygrases. Niedrige Palmen spiegelten sich im Wasser, welches der Wind bewegte. Ueber ihren Federkronen bildeten hohe Cedern und Sykomoren ein schützendes Wipfeldach. Hinter dem Häuschen lag ein großes Maisfeld, in welchem sich eine Schar von Zwergpapageien um die goldigen Körner zankte.

Das Häuschen selbst war nicht groß, aber für die Bedürfnisse des Bloody-Fox hatte es Raum genug. Aus welchem Materiale es erbaut worden war, das konnte man nicht sehen, denn alle vier Seiten wurden ebenso wie das ganze Dach vollständig eingehüllt von den dichten Ranken, Blättern und Blüten der weißen, rotfädigen Passionsblume. An mehreren in der Entwickelung vorgerückten Stellen sah man schon die gelben, süßen, dem Hühnerei gleichenden Früchte aus der Fülle der gelappten Blätter hervorleuchten. An anderen Stellen, wo die Blüten noch nicht verwelkt waren, schwirrten winzige Kolibris von Blume zu Blume. Diese Liliputer der Vogelwelt, welche fliegenden Edelsteinen glichen, hatten den Weg über den Llano herüber nach dieser herrlichen Insel gefunden.

Die Sykomoren, Cedern und Cypressen am Wasser waren alte Bäume, deren Samen, als noch kein Mensch eine Ahnung von dem Dasein dieser Wüstenoase hatte, von Vögeln hierhergetragen worden war. Weiterhin gab es Anpflanzungen von Kastanien, Mandeln, Orangen und Lorbeerbäumen; diese hatte Bloody-Fox vor Jahren gepflanzt, ebenso einen breiten, sich weit um das Wasser ziehenden Streifen schnellwachsender Sträucher und perennierender Kräuter, welche die Bestimmung hatten, den vom Winde herbeigewehten Sand von der Oase abzuhalten. Fox hatte von dem kleinen See aus Gräben nach allen Richtungen gezogen, um dieses Grün bewässern zu können. Wo die Bewässerung aufhörte, ging dieser üppige Pflanzenwuchs in an der Erde hinkriechende Kaktusarten über, welche jenen großen, schützenden Ring um die Besitzung bildeten, von dem ich bereits gesprochen habe.

Dieser schöne, von der Welt abgelegene Ort machte ganz den Eindruck der Tropen. Man hätte sich nach Südmexiko, nach dem mittleren Bolivien oder an die Urwaldränder Brasiliens versetzt fühlen können. Darum war das Staunen, mit welchem dieses kleine, mitten in der Wüste liegende Paradies betrachtet wurde, gar kein Wunder. Ich hatte zu Old Surehand und Old Wabble, zu Parker und Hawley davon gesprochen, aber daß es so sehr reizend hier sei, das hatten sie doch nicht gedacht.

Als sie ihrem Entzücken durch Worte Ausdruck gaben, fühlte Bloody-Fox sich geschmeichelt und bat sie, mit in das Haus zu kommen, er wolle es ihnen zeigen.

Wenn man durch die von den Passifloren umrahmte Thür eintrat, sah man, daß das Innere aus einem einzigen Raume bestand. Die vier Wände waren aus Schilf errichtet; als Füll- und Bindemittel hatte der feine Schlamm des Sees gedient. Die Decke bestand aus langem, geflochtenem Rohre. An drei Wänden gab es je ein kleines Fenster, dessen Oeffnung von den Blumenranken freigehalten war. An der vierten Wand, von der daselbst befindlichen Thür weit fortgerückt, stand der aus Erde gebaute Herd, über dem sich der auch aus Schilf und Schlamm bestehende Rauchfang öffnete. Unter diesem hing ein eiserner Kessel.

Der Fußboden war mit enthaarten Fellen belegt. Es gab drei Bettstellen, welche aus an Pfählen befestigten Riemen bestanden, über die Bärenfelle gebreitet waren. Unter der Decke hingen Stücke geräucherten Fleisches und an den Wänden alle möglichen Waffen, die im fernen Westen zu sehen und zu haben sind. Einige Kisten dienten als Schränke oder Kommoden. Einen Tisch und mehrere Stühle, von Bloody-Fox selbst zusammengezimmert, gab es auch.

Den größten Schmuck der Stube aber bildete das zottige Fell eines weißen Büffels, an welchem der Schädel gelassen worden war, Das war die »Uniform« des Avenging-Ghost; Fox hatte es stets übergeworfen, wenn er ausgeritten war, um einen Stakeman zu bestrafen. Daher die Schilderungen von dem entsetzlichen Aussehen des »Geistes des Llano estacado«! Zu beiden Seiten dieses Büffelfelles steckten viele, viele Messer in der Wand, grausige Erinnerungszeichen, denn der Rächer hatte sie den Stakemen abgenommen, die von ihm durch einen Schuß mitten in die Stirn getötet worden waren. Unter dem Lager des Bloody-Fox gab es eine mit Fellen verdeckte Vertiefung, die in Blechkisten seine Munition enthielt.

An der nördlichen Wand des Hauses, wohin die Sonne nicht kam, hing eine Anzahl von Lederschläuchen, zur Aufnahme von Wasser bestimmt. Mit ihrem Inhalte hatte Fox schon manchen im Llano verirrten Reisenden vorn Tode des Verschmachtens errettet.

So war die »Insel in der Wüste« und so war das Haus auf dieser Insel beschaffen.

Dann saßen wir draußen und aßen, mit Appetit zwar, aber schnell, um zur Beratung zu kommen. Ehe diese begann, ging Bloody-Fox in das Haus und kam mit einem kleinen Pappkarton zurück, reichte diesen dem alten Wabble hin und sagte:

»Hier, Mr. Cutter, das ist für Euch, weil ich wünsche, daß meine Gäste sich wohl bei mir fühlen mögen.«

Old Wabble nahm den leichten Karton, wog ihn in der Hand und sagte zweifelnden Tones:

»Wohl fühlen? Meint Ihr, daß dieses Dings da mein Wohlbefinden stärken werde?«

»Ich bin überzeugt davon. «

»Was ist denn drin?«

»Oeffnet und seht selbst.«

»Hm! Wenn Ihr es nicht sagt, muß ich freilich aufmachen, sonst erfahre ich nicht, was es ist; th‘is clear!«

Er entfernte das Papierband, nahm den Deckel ab und – —stieß einen lauten Freudenschrei aus:

»Himmel! Cigaretten, Cigaretten, es sind Cigaretten! Und zwar fünfzig Stück, volle fünfzig Stück! Und wem sollen die gehören, Mr. Fox? Etwa mir?«

»Natürlich.«

»Alle? Alle fünfzig?«

»Alle! «

»Thunder-storm! Ihr seid ein edler Jüngling, ein sehr vorzüglicher Mann! Kommt her; kommt an mein Herz; ich muß Euch einen smack, einen tüchtigen smack[42] geben!«

Er zog den Bloody-Fox an sich und gab ihm einen »Schmatz«, daß es nur so schallte und knallte. Dann brannte er sich »eine« an und blies den Rauch mit einem Behagen von sich, welches aus jeder Falte und jedem Fältchen seines Gesichtes hervorlugte. Eigentlich hätte die Kameradschaftlichkeit ihn bewegen sollen, jedem der Anwesenden eines der kleinen Dingerchen anzubieten; er that dies aber nicht, denn er war ein zu leidenschaftlicher Raucher, als daß er ein so großes Opfer hätte bringen mögen.

Ueber Winnetous Gesicht glitt ein leises, nur mir verständliches Lächeln. Er hatte keine Leidenschaft und keine Angewohnheit, und es war ihm beinahe unbegreiflich, daß ein alter Westmann, welchen man gar den »König der Cowboys« nannte, sich durch eine Cigarette in solche Begeisterung versetzen ließ.

Drittes Kapitel: In der Kaktusfalle

Der heiße Wüstenwind war zur Ruhe gegangen und die Sonne hatte das letzte Achtel ihres Tagesbogens erreicht; es gab keinen Flugsand mehr in der Luft und wir konnten den leuchtenden Ball sich im Niedersenken deutlich vergrößern sehen. Welche Scene werden seine Strahlen wohl morgen um dieselbe Zeit bescheinen? So fragten sich wohl die meisten von uns, als wir zunächst still auf unseren Plätzen saßen, denn so wenig Angst wir vor den Comantschen hatten, es wußte doch jeder, daß die besten und vorsichtigsten Berechnungen des Menschen durch einen Zufall, der sich ganz unerwartet einstellt, zu Schanden gemacht werden können.

Es war natürlich, daß ich Winnetou zunächst erzählte, was ich seit meiner Ankunft beim Rendezvous in der Sierra Madre erlebt hatte. Da die Erlebnisse meiner Begleiter hierin mit eingeschlossen waren, brauchte der Apatsche, um eine klare Anschauung zu erhalten, nach diesen nicht zu fragen. Als ich geendet hatte, rekapitulirte er das Gehörte in den Worten:

»Wir haben jetzt nur an das zu denken, was den Ort angeht, an welchem wir uns befinden; alles Uebrige können wir später besprechen. Also Vupa Umugi hat hundertfünfzig Krieger am Saskuan-kui bei sich?«

»Hundertvierundfünfzig waren es. Davon gehen die sechs Comantschen ab, die wir am Altschese-tschi überwunden haben.«

»Nale-Masiuv will mit hundert Mann zu ihm stoßen?«

»Von diesen sind bei dem Kampfe gegen das Militär viele getötet oder kampfunfähig gemacht worden; aber er hat heimgesandt, um noch hundert holen zu lassen.«

 

»Wieviel Krieger hat Schiba-bigk gebracht?«

»Zwanzig.«

»So werden wir ungefähr dreihundert Feinde gegen uns haben. Mein Bruder hat eben so viele Apatschen draußen vor unserem Kaktusfelde; wir sind ihnen also gewachsen.«

»Gewachsen? bloß gewachsen?« fiel da Old Wabble ein. »Ich meine sogar, daß wir ihnen überlegen sind, weit, weit überlegen! Ich habe die Krieger der Apatschen gesehen, wie gut bewaffnet und disciplinirt sie sind. Zweihundert von ihnen würden dreihundert Comantschen besiegen. Dazu kommen wir Weißen. Winnetou, Old Shatterhand und Old Surehand nehmen eine ganze Menge von Feinden auf sich. Von mir, dem Fox, Parker und Hawley will ich gar nicht reden. Die Kerls sollen nur kommen! Wir schießen sie alle über den Haufen, und ich gebe mein Wort, daß keiner von ihnen sein Wigwam wiedersehen wird!«

Winnetou zeigte ihm sein ernstestes Gesicht und antwortete:

»Mein alter Bruder ist, wie ich weiß, ein unerbittlicher Feind aller roten Männer; er hält sie für Diebe, Räuber und Mörder, ohne zu bedenken, daß sie nur zu den Waffen greifen, um ihr gutes Eigentum zu verteidigen, oder das zu rächen, was an ihnen verbrochen worden ist. Old Wabble hat noch nie einem roten Manne, der in seine Hände fiel, Gnade gegeben; er ist auf der ganzen Savanne als Indianertöter bekannt; aber wenn er sich bei Old Shatterhand und Winnetou befindet, muß er diese Gesinnung ändern, sonst sind wir gezwungen, uns von ihm zu trennen. Wir sind Freunde aller roten und weißen Männer, und wenn wir einen Feind vor uns haben, mag er weiß oder rot aussehen, so besiegen wir ihn wo möglich, ohne daß wir sein Blut vergießen. Old Wabble nennt sich einen Christen; er wird Winnetou einen Heiden nennen; aber wie kommt es doch, daß dieser Christ so gern Blut vergießt, während der Heide das zu vermeiden sucht?«

Daß der sonst so wortkarge Apatsche sich herbeiließ, so viele Worte zu machen, war ein Beweis, daß ihm der Alte sympathischer war, als der Inhalt dieser Worte eigentlich vermuten ließ. Old Wabble senkte den Kopf, hob ihn aber nach einer Weile wieder und verteidigte sich:

»Die Roten, mit denen ich bisher zusammengetroffen bin, sind alle, alle Schufte gewesen.«

»Das bezweifle ich. Und wenn es wahr sein sollte, wer hat sie denn zu Schuften gemacht?«

»Ich nicht!«

»Du nicht?«

»Nein.«

»Sie sind es durch die Bleichgesichter geworden. Und ist Old Wabble nicht auch ein Weißer?«

»Der bin ich, ja. Und ich denke sogar, ich bin einer, der sich schon sehen lassen kann!«

»Und Winnetou denkt, es wäre besser, die Roten, von denen du redest, hätten dich nicht gesehen! Du sagtest, daß alle Comantschen niedergeschossen werden sollen; ich aber sage dir, daß wir, wenn es möglich ist, keinen einzigen von ihnen töten werden. Ist mein Bruder Old Shatterhand einverstanden?«

»Vollständig,« antwortete ich ihm. »Du weißt, daß du mich da gar nicht erst zu fragen brauchst.«

Der alte Wabble machte ein sehr verlegenes Gesicht, versuchte aber doch, sich zu verteidigen: »Aber sie wollen doch Bloody-Fox überfallen, dem wir helfen müssen! Wir wollen ihn und uns verteidigen, und das kann doch wohl nur durch Gegenwehr geschehen; th‘is clear!«

»Es giebt Gegenwehr verschiedener Art, Mr. Cutter,« antwortete ich. »Laßt Winnetou sprechen; dann werdet Ihr hören, daß wir keineswegs die Comantschen nur allein dadurch, daß wir sie niederschießen, von der Ausführung ihres Vorhabens abhalten können. Es giebt noch andere Mittel.«

»Ja, jedenfalls wieder Eure berühmte List!«

Er sagte das in einem Tone, der meinen Beifall nicht haben konnte; ich brauchte ihn aber nicht zurückzuweisen, denn Parker that dies, indem er einfiel:

»Wird es nicht besser sein, wenn Ihr schweigt, alter Wabble? Ihr seht, daß ich auch still bin. Wenn Mr. Shatterhand und Winnetou miteinander sprechen, ist es gar nicht nötig, daß andere, ohne gefragt zu werden, ihre Meinungen dazugeben. Ihr habt ja mehr als zehnmal versprochen, nur das zu thun, was Mr. Shatterhand will. Wenn Ihr dieses Versprechen nicht halten wollt, so thun wir das, was schon oft gesagt worden ist: wir gehen fort und lassen Euch sitzen!«

Dieses »Sitzen lassen«, von mir nur einmal ausgesprochen, war zur stehenden Redensart geworden, über welche sich Old Wabble ungeheuer ärgern konnte. Er fuhr auch jetzt auf: »Haltet Euern Schnabel! Wer hat Euch um Eure Meinung gefragt? Wenn ich nicht reden darf, so habt Ihr erst recht zu schweigen! Wie könnt Ihr mich einen Querkopf nennen? Kehrt doch erst vor Eurer eigenen Thür! Ich habe mir noch von niemandem einen Elk schenken lassen und dann gesagt, daß ich ihn selbst geschossen habe!«

»Und ich habe noch nie das große Wort geführt und trotzdem solche Dummheiten gemacht, wie Ihr zum Beispiele am Saskuan-kui, wo Ihr mit – — —«

»Still!« fiel ich ein, »wir haben weit Wichtigeres zu thun, als solche Grillenduells auszukämpfen. Wir sind vorhin dabei unterbrochen worden, daß wir genau so viel Krieger wie die Comantschen haben und ihnen also gewachsen sind. Ich gebe gerne zu, daß Old Wabble recht hatte, als er sagte, daß wir ihnen nicht nur gewachsen, sondern sogar überlegen seien. Das gedenke ich freilich nicht, so wie er, dadurch zu begründen, daß wir große, unüberwindliche Helden sind, gegen die ein roter Krieger als nichts zu achten ist. Der Grund liegt vielmehr in dem Umstande, daß wir unsere dreihundert Apatschen beisammen haben, während die Comantschen in einzelnen Abteilungen kommen und dabei auch noch die weiße Kavallerie gegen sich haben werden.«

»Da hat mein Bruder recht, wie immer,« stimmte Winnetou bei. »Zunächst wird Schiba-bigk mit einer Schar nahen, um dies Haus und seine Bewohner zu überfallen und die Stangen in den Sand der Wüste zu stecken. Nach ihm kommt Vupa Umugi, um diese Stangen falsch zu stecken und die weißen Soldaten dem Tode des Verschmachtens zuzuführen. Nach diesen weißen Reitern folgt der Häuptling Nale-Masiuv mit seinen Leuten, um den Bleichgesichtern den Rückzug abzuschneiden und sie vollends einzuschließen. Das sind drei verschiedene Trupps, die wir einzeln angreifen werden und vielleicht ohne alles Blutvergießen besiegen können. Old Shatterhand wird diesen meinen Worten seine Beistimmung erteilen.«

»Die gebe ich allerdings,« sagte ich. »Ich glaube nicht, daß Schiba-bigk, der zuerst kommt, mehr als fünfzig Krieger bei sich haben wird. Wenn wir sie mit unsern dreihundert einschließen, werden sie einsehen, daß es am besten für sie sei, sich ohne Gegenwehr zu ergeben.«

Der alte Wabble konnte trotz der vorhin erhaltenen Zurechtweisung nicht schweigen; er entgegnete:

»Sollte er wirklich nur fünfzig mitbekommen, da wir doch dreihundert haben?«

»Ihr vergeßt, daß die Comantschen gar nicht wissen, daß wir da sind. Sie glauben doch, es nur mit den Bewohnern der Oase zu thun zu haben.«

»Hm, ja, mag sein! Aber das Einschließen ist nicht so leicht, wie man es denkt.«

»In diesem Falle ist es sogar sehr leicht. Wir brauchen sie nur an ein Kaktusfeld zu drängen; da können sie nicht hinein. Wir haben dann nicht nötig, einen ganzen Kreis um sie herum zu bilden, sondern es genügt ein halber. Hinter sich den undurchdringlichen Kaktus und vor sich dreihundert Feinde; da müßten die Fünfzig wahnsinnig sein, wenn sie glaubten, sich heiler Haut durchschlagen zu können.«

»Wenn sie es aber doch glauben?«

»So werde ich mit ihnen sprechen.«

»Sprechen? Hm! Ob sie darauf hören?«

»Was das betrifft, so giebt es Einen unter ihnen, der sicher auf mich hören wird.«

»Wer ist das, Sir?«

»Schiba-bigk, der junge Häuptling. Er hat uns sein Leben zu verdanken, ist hier der Gast unseres Fox gewesen und hat damals sein Wort gegeben, daß er die Oase nicht verraten wolle. Das ist mehr als genug, ihn meinen Worten geneigt zu machen.«

»Bin neugierig, ob Ihr Euch da nicht irren werdet. Ihr seht ja, wie er sein Wort gehalten hat. Verspricht, die Oase nicht zu verraten, und bringt doch volle dreihundert Comantschen hergeschleppt! Hoffentlich brauchen wir nicht lange zu warten, bis er kommt.«

»Er wird morgen abend hier sein.«

»Hier an der Oase schon?«

»Ja. Ich glaube nicht, daß diese Berechnung täuscht.«

»Und da wollen wir ihn einschließen?«

»Ja.«

»Des Nachts?«

»Vielleicht schon am Tage. Je eher er kommt, desto eher wird er umzingelt.«

»Da müssen wir aber wissen, wann er kommt; es ist also nötig, ihm Kundschafter entgegen zu senden.«

»Das würde ein großer Fehler sein.«

»Wieso?«

»Weil er die Spuren dieser Späher entdecken und infolgedessen Argwohn schöpfen würde.«

»Hm! Also keine Kundschafter! Wie aber wollen wir erfahren, ob und wann diese – — —«

»Mein alter Bruder kann getrost annehmen, daß Old Shatterhand weiß, was er sagt und thut,« schnitt ihm Winnetou die Rede ab. »Die Comantschen würden die Fährte der Späher sehen; darum dürfen wir keine aussenden. Schiba-bigk ist hier gewesen und von hier aus direkt nach dem Gutesnontin-khai geritten, wo er sich jetzt befindet, um Pfähle zu schneiden. Er wird ganz genau auf demselben Wege wiederkommen. Wir reiten ihm seitwärts dieses Weges entgegen und werden ihn sehen, ohne daß er uns bemerkt. Wenn er vorüber ist, kehren wir um, ihm nach, und treiben ihn gegen ein Kaktusfeld, durch welches er und seine Schar nicht reiten kann; dann haben wir ihn. Ich errate, daß mein Bruder Shatterhand dies sagen wollte?«

40Siehe Winnetou Band III, pag. 92.
41Von spanisch: Sombra = Schatten, also Schattenspender.
42Schmatz, im Gegensatze zu kiss oder buss, was Kuß bedeutet.