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Old Surehand I

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»Omi enokh, omi enokh – sei gut, sei gut!« sagte ich in der Mundart der Comantschen leise und liebkosend, indem ich mich niederbückte und es streichelte. Es ließ sich diese Zärtlichkeit gefallen, und ich fuhr mit derselben fort, bis ich annehmen durfte, daß meine Gefährten bei unsern Pferden angekommen seien. Da pflockte ich den Lasso los und schnitt ihn in mehrere Stücke, aus denen ich eine Art Kopfgestell zusammenknotete, welches sich das Pferd ruhig anlegen ließ. Zwei längere Stücke band ich als Zügel rechts und links an den Nasenriemen und war dann mit den Vorbereitungen fertig. Hierauf stellte ich mich mit ausgespreizten Beinen über den Leib des Pferdes und forderte es auf:

»Naba, naba – — steh auf, steh auf!«

Es gehorchte augenblicklich; ich saß oben und lenkte es einigemale versuchsweise hin und her; es ließ sich willig lenken, ohne daß ich der Schenkel dazu bedurfte. Ich hatte gewonnen, wenigstens einstweilen, denn später war, wenn es mich als Weißen erkannte, jedenfalls ein Kampf zu erwarten. Um aus der Nähe der Zelte zu kommen, ritt ich hinüber nach dem Rande des Thales und an demselben hin, bis ich das Lager hinter mir hatte; da ließ ich das Tier traben, bis ich zu der Stelle kam, wo wir unsre Pferde gelassen hatten; sie waren fort. Nun stieß ich einen schrillen Schrei aus, mit welchem die Roten ihre Pferde in Galopp setzen; es gehorchte auch diesesmal, und wir flogen zunächst ein Stück am Bache hin und dann rechts von demselben ab in die offene Prairie hinaus.

Das Pferd war ausgezeichnet. Ich bemerkte nach einem halbstündigen Galoppe noch nicht das geringste Zeichen der Anstrengung an ihm; der Atem ging unhörbar. Da hörte ich vor mir einen langgezogenen Schrei. Das war einer von meinen Gefährten, welche wissen wollten, ob ich käme; sie waren in Sorge um mich. Ich antwortete durch einen gleichen Schrei, und da sie hierauf halten blieben, um auf mich zu warten, hatte ich sie schnell eingeholt.

»All devils, ein Roter!« rief Old Wabble aus, als er mich erblickte. »Der verfolgt Old Shatterhand und hat ihn verloren. Machen wir ihn kalt!«

Ich sah, daß er das Gewehr vom Rücken riß, und warnte ihn:

»Nicht schießen, Sir! Ich möchte gern noch einige Zeit leben bleiben.«

»Zounds! Das ist ja Old Shatterhands Stimme!«

»Natürlich, meine eigne; eine andre habe ich nicht.«

»Er ist‘s; er ist‘s; wahrhaftig, er ist‘s! Aber, Sir, seht Ihr, daß ich ganz starr bin?«

»Friert Euch so?«

»Unsinn! Starr vor Verwunderung bin ich!«

»Worüber? «

»Daß Ihr so hübsch dahergeritten kommt, so einig mit dem Gaule, als ob Ihr schon tausend Säcke Hafer miteinander gefressen hättet. Das ist doch nicht das Pferd, welches ihr stehlen wolltet, Sir!«

»Es ist‘s; seht her!«

»Hm, ja! Bei meiner Seele, es ist‘s! Da ist ein Wunder geschehen, sonst hättet Ihr es nicht so schnell bezwingen können.«

»Es hat gar keines Zwanges bedurft.«

»Was? Nicht? Gar nicht?«

»Nein. Es hat mich ohne allen Widerstand hierher getragen.«

»Unmöglich! Ich bin ein zu guter Kenner, als daß Ihr mir so etwas weismachen könnt.«

»Ich mache Euch gar nichts weis, gar nichts. Wenn ich es hätte zwingen müssen, würde es sich jetzt ganz anders verhalten, und einen andern Gang, ein andres Aussehen haben.«

»Es ist zu dunkel, es sehen zu können. Schwitzt, schäumt und geifert es nicht?«

»Nichts von alledem.«

»Unglaublich! Könnt Ihr vielleicht hexen? Ich muß mich doch einmal selbst überzeugen.«

Er lenkte sein Pferd zu mir heran und streckte die Hand aus, das meinige anzufühlen. Es schnaubte scheu und stieg vorn hoch empor.

»Laßt das sein, Sir!« bat ich. »Es kann die Weißen nicht leiden.«

»Ihr seid doch auch einer!«

»Ja; aber es hält mich für einen Roten.«

»Ah! Also darum die Maskerade mit der Decke?«

»Ja.«

»Wie pfiffig! Man kann wirklich noch viel, sehr viel von Euch lernen. Aber der Geruch, der Geruch! Ein Indianer riecht doch wie – — wie – — hm, wie sage ich doch nur gleich? Er riecht nach Schmutz, nach Herberge, nach – —nach – — na, mit einem Worte, er riecht eben wild! Ein Weißer hat diese sonderbare Ausdünstung nicht.«

»Der riecht wohl civilisiert anstatt wild?« fragte ich lachend.

»Ja, civilisiert; so ist es. Wenn Ihr Euch auch maskiert habt, so mußte das Pferd doch am Geruche merken, daß Ihr kein Indsman seid.«

»Ich habe eben den Geruch verändert.«

»Unsinn!«

»Ja! Es giebt ein sehr probates Mittel, mit welchem man selbst so ein Pferd irre machen kann.«

»Was ist das?«

»Mein Geheimnis. «

»Ihr wollt es nicht sagen?«

»Nein, wenigstens jetzt nicht; vielleicht teile ich es Euch später einmal mit. Wer ein wenig nachdenkt, der findet es auch, ohne daß man es ihm sagt.«

»So! Habt Ihr es auch nur durch Euer Nachdenken?«

»Niemand hat es mir gesagt, ich bin selbst darauf gekommen; es ist meine eigene Erfindung.«

»So habt Ihr es vorhin erst erfunden?«

»Nein, schon längst. Es ist heute nicht das erste Mal, daß ich ein Indianerpferd damit täusche. In einigen Stunden ist dieser Geruch verschwunden, und wenn ich dann die Decke ablege und den Hut aufsetze, wird der Gaul die Täuschung erkennen und sich wehren. Dann wird es bei Tage und in der offenen Prairie den Kampf geben, den ich jetzt umgangen habe, weil ich allerdings das Leben riskiert hätte.«

»Well, ich muß Euch glauben, bin aber wirklich begierig, zu sehen, wie Ihr das Pferd bewältigen werdet.«

»Sehr leicht. Nur Raum brauche ich dazu, nur Raum, und den habe ich dann im höchsten Maße. Jetzt aber wollen wir nicht reden, sondern reiten, daß wir die Gegend des Kaamkulano bald möglichst weit hinter uns legen. Laßt mich voran, daß mein Pferd nicht durch Euch scheu gemacht wird!«

Um an ihre Spitze zu kommen, ritt ich an ihnen vorüber, dabei sagte Bob:

»Warum Massa Shatterhand nicht mit seinem Masser Bob reden? Masser Bob will sagen Dank!«

»Ist nicht nötig, lieber Bob.«

»Und will erzählen, wie rote Indsmen nehmen Masser Bob gefangen.«

»Später. Jetzt haben wir keine Zeit dazu. Die Hauptsache ist, daß du mit meinem Rappen gut auskommst.«

»Oh – — oh – — oh – —, Rappe sein sehr gutes Pferd, und Bob sein sehr vortrefflicher Reiter. Beide einander gut kennen und fahren wie Blitz über Prairie dahin!«

Ja, der gute Bob ritt jetzt bedeutend besser als damals, wo er zum erstenmal im Sattel saß. Obgleich er sich mit den Händen krampfhaft an dem Halse und der Mähne des Pferdes festgehalten hatte, war er doch stets immer weiter nach hinten gerutscht und endlich am Schwanze heruntergeglitten. Das hatte ihm den Spitznamen Sliding-Bob eingetragen, also der »rutschende Bob«. Später hatte er sich eingerichtet und war schließlich bei Bloody-Fox in eine gute Schule gekommen. Jetzt ritt er so, daß er nicht hinter uns zurückblieb, was aber freilich mehr dem Pferde als dem Reiter zuzuschreiben war.

Von dem Augenblicke, an welchem ich das »Hasenthal« verlassen hatte, war für uns nichts mehr zu fürchten gewesen, denn bei der Güte unsrer Pferde konnten wir nicht eingeholt werden, und die etwaigen Verfolger wären junge Menschen gewesen, aus denen wir uns nicht viel gemacht hätten. Dennoch ritten wir mehrere Stunden lang ununterbrochen fort und hielten dann an, weil unser Ritt ein noch sehr weiter war. Wir hatten von da an, wo wir hielten, noch einen vollen Tagesritt bis zum Nargoleteh-tsil, wo wir mit den Apatschen zusammentreffen wollten.

Wir pflockten unsre Pferde an, aber so lang an die Lassos, daß sie Platz zum Grasen hatten. Das meinige mußte ich abseits befestigen, weil es nicht in der Nähe der andern sein wollte; es schlug und biß nach ihnen.

Als wir uns dann zu einander gesetzt hatten, fragte Bob:

»Nun haben Zeit, und nun dürfen Masser Bob wohl erzählen, wie Indsmen ihn gefangen nahmen?«

»Ja, erzähle es«, antwortete ich, denn er hätte uns doch keine Ruhe gelassen. »Ich habe mich sehr darüber gewundert, daß Bloody-Fox dich im Stiche gelassen hat. «

»Haben Fox mich im Stiche lassen?«

»Natürlich!«

»Und Massa Shatterhand sich darüber wundern?«

»Sogar sehr!«

»Masser Bob sich nicht wundern.«

»Das verstehst du nicht. Ihr seid auf die Jagd geritten?«

»Ja, auf Jagd.«

»Also beisammen gewesen?«

»Beisammen,« nickte er.

»Du wurdest gefangen, und er entkam?«

»Ja.«

»So mußte er den Roten nachfolgen und alles thun, um dich zu retten. Hat er das versucht?«

»Nein.«

»Das ist ein Beweis, daß er euch nicht gefolgt ist. Wieviel Rote waren es, die euch überfielen?«

»Zehn und noch zehn und wieder noch einmal zehn. Vielleicht auch mehr. Bob nicht haben gut zählen.«

»Also ungefähr dreißig. Wie ich Bloody-Fox kenne, ist er nicht der Mann, der sich scheut, hinter dreißig Roten herzureiten. Er mußte unbedingt zu erfahren suchen, was sie mit dir angefangen hatten oder noch thun wollten.«

»Vielleicht haben Massa Fox es doch thun!« »Nein. Er hat das Anschleichen gelernt, und wenn es ihm unmöglich war, dich zu befreien, so war er der Mann, der es fertig brachte, dir ein Zeichen zu geben. Hast du so etwas gesehen oder gehört?«

»Masser Bob nichts hören und nichts sehen.«

»So hat er dich also im Stich gelassen, und das ist es, worüber ich mich wundere, falls er überhaupt gewußt hat, daß du in ihre Gefangenschaft geraten warest.«

»Massa Fox das vielleicht nicht wissen.«

»Nicht? Hat er es nicht gesehen?«

»Nein.«

»Aber ihr waret ja beieinander!«

»Er nicht bei Masser Bob und ich nicht bei Massa Fox, als rote Indsmen kamen.«

»Oh, das ist etwas Andres! Ihr hattet euch also getrennt?«

»Ja. Wir waren daheim fort, weil nur noch wenig Fleisch haben. Mutter Sanna allein zu Hause bleiben und wir aus Llano estacado heraus, um jagen und Fleisch holen. Wir lange kein Wild finden, bis weit, weit fort an Regenberg kommen.«

 

»Ah, am Nargoleteh-tsil seid ihr gewesen? Dahin wollen wir ja heut!«

»Nargoleteh-tsil; das sein richtig.«

»Dort habt ihr gejagt?«

»Ja; haben schießen zwei Bisons; geben Fleisch, große Menge Fleisch. Schneiden Fleisch in Stücke und hängen auf Riemen, die mitgebracht. Haben auch mitgebracht Packpferde, um Fleisch tragen heim. Als fertig waren mit Aufhängen, gehen fort, um suchen wieder Büffelspuren, Massa Fox links und Masser Bob rechts.«

»Das war nicht klug. Entweder durftet ihr euch nicht trennen oder einer von euch, also jedenfalls du, mußte bei den Pferden und bei dem Fleische bleiben.«

»Vielleicht das richtig sein; Massa Shatterhand es ja gut verstehen, besser noch als Bloody-Fox und viel, viel besser als Masser Bob. Bob reiten weit, sehr weit und nicht finden Spur von Büffel, kehren endlich um, weil anfangen zu regnen. Da kommen Comantschen und ihn umringen. Er sich wehren, sie aber doch nehmen fangen Masser Bob. Sie ihn fragen, was hier wollen und was hier thun; er nichts sagen. Sie nun schlagen Masser Bob, er aber doch nichts verraten. Da sie reiten auf seiner Spur nach Regenberg, schicken Späher voraus. Späher kommen wieder und reden leise, was haben gesehen am Regenberg. Dann reiten fort, schnell; drei reiten langsam nach mit Masser Bob. Alsbald sind an Regenberg, Masser Bob hören schießen. Dann hinkommen. Comantschen sind im Lager und beim Fleisch von Bloody-Fox, er aber nicht da; an Erde aber liegen tote Indsmen, erschossen von Fox und er fort.«

»So also ist es gewesen, so! Er war eher zurückgekehrt als du, und sie haben ihn überfallen. Er hat einige von ihnen erschossen und ist entflohen.«

»Ja, war fort, ganz fort. Mehrere ihm nach; aber später wiederkommen und ihn nicht haben funden.«

»Was thaten die Roten dann?«

»Sie binden Masser Bob auf Pferd, laden Fleisch auf Pferde und reiten fort.«

»Wohin?«

»Reiten fast zwei Tage bis Bob war fangen in Zelt. Sie ihm sagen, daß wollen holen auch Bloody-Fox, und wenn ihn bringen, dann Massa Fox und Masser Bob sollen sterben an Marterpfahl. «

»Hm! Hatte es sehr geregnet?«

»Sehr! Regen gehen Masser Bob bis auf Haut.«

»Da ist mir alles erklärlich. Zu welcher Tageszeit ist es gewesen, Bob? «

»Als Masser Bob umkehren, es bald Abend sein. Und als kommen an Regenberg mit Indsmen, es schon anfangen, sehr dunkel werden.«

»Fox ist jedenfalls zurückgekehrt, hat sich aber nicht ganz bis zu dem betreffenden Platze wagen wollen. Und wenn er es gewagt und also gemerkt hat, daß sie fort waren, hat er ihnen doch nicht folgen können, weil er im Dunkel ihre Spuren nicht sehen konnte. Früh aber war die Fährte verschwunden, denn das niedergetretene Gras hatte sich infolge des Regens bis dahin aufgerichtet. Er wußte nichts davon, daß die Roten dich getroffen und festgenommen hatten. Er glaubte, du habest dich verirrt und suchte dich. Er wartete vielleicht, als er dich nicht fand, den ganzen Tag auf deine Rückkehr. Als du nicht kamst, nahm er an, daß du möglicherweise die Roten gesehen habest.«

»Ja, das er wohl denken.«

»Du konntest ja zurückgekommen sein, als sie ihn schon überfallen hatten; sie bemerkten dich nicht; du sahst, daß er fort war, und rittest auch fort.«

»Ja, heim zu Mutter Sanna!«

»Das konnte er dir schon zutrauen, und da er den Roten nicht folgen konnte, weil er nicht wußte, wohin sie waren, blieb ihm nichts andres möglich, als auch heimzukehren, um zu sehen, ob du dort angekommen seist.«

»Aber als Massa Bloody-Fox sehen, daß Masser Bob nicht da bei Mutter Sanna?«

»So ist er wahrscheinlich wieder fort, um abermals nach dir zu suchen. Wer weiß, wo und wie lange er sich herumgetrieben hat, ohne dich zu finden!«

»Nun aber er mich wiedersehen, oh – oh oh! Denn Massa Shatterhand bringen doch Masser Bob jetzt wieder zu Mutter Sanna und Massa Fox?«

»Ja, wir bringen dich hin. Die Roten sind aufgebrochen, um euer Haus zu überfallen und Bloody-Fox zu fangen und zu töten.«

»Das sie sollen nicht wagen! Masser Bob sie erschlagen und erschießen alle, alle, alle! Niemand von ihnen leben bleiben, kein einziger!«

Er knirschte mit seinen Zähnen, und das hatte etwas zu sagen, denn er hatte ein Gebiß, welches einem Panther Ehre gemacht hätte; dann fuhr er fort:

»Ja, sie alle, alle sterben, denn sie haben schlagen Masser Bob und ihm nichts geben zu essen. Er haben viel Hunger, und sie nichts thun, als nur darüber lachen.«

»Nun, wir haben jetzt Zeit, dies nachzuholen. In meinen Satteltaschen ist Fleisch genug für dich. Geh hin und hole dir, was du essen kannst!«

»Ja, Masser Bob sich holen. Er grad großen Hunger haben, als Massa Shatterhand kommen in Zelt und ihn machen frei. «

»Nun, davon habe ich nichts gemerkt, denn ich mußte dich wecken; du schliefst sehr fest.«

»Oh – — oh – — oh – —! Masser Bob haben großen Hunger auch wenn schlafen; ihn träumen sogar von Hunger!«

Er holte sich Fleisch und aß; er holte sich wieder welches und aß; er holte sich abermals welches und aß – — aß – — aß, bis nichts mehr zu holen war. Was er im Essen leisten konnte, das wußte ich, so eine Portion wie heute aber hatte er noch nie verschlungen! Er erzählte uns dabei die Einzelnheiten seiner Gefangenschaft im Thale der Hasen; es war nichts für uns Wichtiges dabei. Wir fragten ihn nach den Beobachtungen, die er dabei gemacht hatte, bekamen aber nichts zu hören, was uns hätte von Nutzen sein können. Er war ein guter, treuer Kerl, mutig und klug in seiner Weise, aber Beobachtungen wie ein Westmann zu machen, das war ihm bei seiner geistigen Bescheidenheit nicht möglich.

Als der Morgen zu grauen begann, standen wir auf, um die Pferde zu besteigen.

»Jetzt bin ich neugierig, was Euer Pferd sagen wird,« meinte Old Wabble. »Denn mit der Maskerade hört es jetzt wohl auf?«

»Ja. Wollt Ihr meine Indianerdecke mit auf Euer Pferd nehmen, Mr. Cutter?«

»Ja, gebt sie her!«

»Jetzt noch nicht, sondern erst dann, wenn ich aufgestiegen bin.«

»Well! Sonst würde es Euch gar nicht hinauf lassen!«

»Es müßte wohl; aber ich würde dabei Zeit verlieren, und das ist nicht notwendig; ich werfe sie Euch zu.«

Ich ging zum Pferde hin, um es zu liebkosen. Es zeigte sich mißtrauisch und unruhig; es sträubte die Mähne, schnaubte und zerrte am Lasso. Der Pflanzengeruch hatte sich verloren, und das Tier wurde nur noch durch die Indianerdecke getäuscht. Ich zog den Pflock aus der Erde und steckte ihn in die Satteltasche, sprang auf, band den Lasso vom Halse des Pferdes los und wickelte ihn in Schlingen; die andern standen neugierig da, hielten sich aber fern, um nicht von dem Tiere umgerissen zu werden, wenn es plötzlich ausbrechen sollte. Es ging ein eigentümliches Zittern durch seine ganze Gestalt; ich kannte dieses Zittern; es war das Vorzeichen des nahen Kampfes. Im Nu flog die Decke herab und zu Old Wabble hinüber; ebenso schnell warf ich mir den Lasso über die Schulter; mit der einen Hand die improvisierten Zügel ergreifend, zog ich mit der andern den Hut unter dem Rocke hervor, um ihn aufzusetzen und fest anzudrücken. Da warf das Pferd den Kopf herum, einen einzigen kurzen Augenblick nur sah es mich, dann wieherte es laut und zornig auf und stieg vorn empor. Die Zügel mit beiden Händen fest anziehend, legte ich die Schenkel noch viel fester an. Es war dem Ueberschlagen nahe; ich drückte es nach vorn und riß es dabei mit solchem Nachdrucke seitwärts, daß es sich einmal um seine eigene Achse drehte. Dann kam es vorn nieder und schlug hinten aus – vergeblich. Es bockte, indem es den Rücken krumm bog und mit allen vieren in die Luft ging; es stand still, um mich zu betrügen, und sprang dann plötzlich mit vollständig steifen Beinen auf die Seite, damit ich auf der andern Seite herabstürzen möge – ebenso vergeblich! Es erging sich in allen den Mucken, die einem sogenannten Bucking-horse andressiert werden – ich blieb fest sitzen.

»Bravo, bravo, Sir!« rief der alte Wabble. »Ihr habt einen famosen Sitz, das muß ich sagen. Der Racker macht es Euch schwer, er hat den Teufel im Leibe!«

»O, bis jetzt ist das noch nichts,« antwortete ich. »Es kommt noch besser, wartet nur!«

Da warf sich das Pferd, als ob es meine Worte verstanden habe, nieder und wälzte sich, indem es mit den Beinen arbeitete und um sich schlug. Ich kam – und das ist dabei die Hauptsache, sonst ist man verloren – mit den Füßen auf die Erde zu stehen und sprang, so wie es sich Wälzte, bald nach rechts, bald nach links, so daß das Tier stets zwischen meinen ausgespreizten Beinen blieb. Das ist außerordentlich anstrengend; es gehört ein scharfes Auge dazu, man muß wissen, nach welcher Seite sich das Pferd im nächsten Augenblicke zu drehen beabsichtigt, und sich dabei in acht nehmen, daß man von den schlagenden Hufen nicht getroffen wird. Noch schärfer muß man erraten, wann es wieder aufspringen will, sonst wird man zur Seite geschleudert und es geht auf und davon.

Jetzt sprang es auf und nahm mich ganz regelrecht mit in die Höhe, indem ich die Zügel wieder ergriff, die ich während des Wälzens natürlich hatte fahren lassen.

»Bravo, bravo!« rief der Alte. »Thunder-storm, ist das ein Vieh! In dieser eleganten Weise macht es Euch keiner als nur Old Wabble nach!«

»Es kommt noch schlimmer, Sir!« antwortete ich, »Erst ermüde ich es hier und dann lasse ich es durchgehen. Steigt auf, um mir schnell nachzukommen!«

Während ich dies sagte, wiederholte das Pferd die schon beschriebenen Versuche, bis es sich zum zweitenmal wälzte und dann wieder aufsprang. Bis jetzt hatte die menschliche Intelligenz mit dem tierischen Willen gekämpft, nun aber sollte es rohe Kraft gegen rohe Kraft gelten, was mir stets gelungen war und mir noch von niemandem hatte nachgemacht werden können. Ich nahm das Pferd also fester in die Zügel, rückte weiter nach vorn und legte die Schenkel mit aller mir zu Gebote stehenden Kraft an. Es stand starr. Ich horchte. Kam der Ton, den ich erwartete, oder kam er nicht? Ja, er kam. Es war ein langes, tiefes, schmerzliches Stöhnen aus eingeengter Brust, das sichere Zeichen, daß der Sieg mein sein werde, wenn meine Kraft nicht ermüdete. Das Tier wollte wieder in die Höhe, vorn, hinten, mit allen vieren; es konnte nicht; ich drückte und preßte womöglich noch stärker als vorher. Nach jeder vergeblichen Anstrengung stöhnte es laut, der Atem ging keuchend. So dauerte es fünf Minuten und noch länger; der Schweiß drang ihm aus allen Poren; es schäumte und warf die weißen Flocken nach allen Seiten.

»Prächtig, prächtig!« schrie Old Wabble entzückt. »So etwas habe ich noch nie gesehen!«

Ja, prächtig! Das konnte er gut sagen. Hätte er nur an meiner Stelle gesessen! Diese Anstrengung! Die Lunge wollte mir platzen; der Schweiß drang auch mir aus allen Poren, aber ich ließ nicht nach. Da wollte das Pferd sich niederwerfen, um sich wieder zu wälzen; es konnte nicht; nun noch ein letzter, langer Schenkeldruck aus allen Leibeskräften – — die menschlichen Muskeln und Sehnen siegten; das Pferd brach zusammen.

»Grandios, grandios!« brüllte der Alte. »Das hätte ich nicht fertig gebracht. Es ist wahr, Sir, Ihr seid ein viel, viel besserer Reiter als ich.«

Old Surehand stand still und sagte nichts; aber seine Augen leuchteten.

»Schön, schön, oh schön!« schrie Bob. »Massa Shatterhand das schon oft machen mit fremden und mit wildem Pferd. Masser Bob dabei sein und es sehen!«

»Ich bin noch lange nicht fertig,« antwortete ich. »Paßt auf, jetzt geht es fort!«

Ich stand mit breiten Beinen über dem Pferde, mit gebücktem Oberkörper und die Zügel in der Hand. Es erholte sich, stand auf und nahm mich mit in die Höhe. Da stand es einige Augenblicke regungslos; dann schnellte es fort, wie plötzlich von einer gewaltigen Feder getrieben. Ich saß fest und ließ es laufen, nur dafür sorgend, daß es die Richtung nahm, in welche wir wollten. Die andern drei kamen hinter mir hergejagt. Nach einer Weile blieb es plötzlich halten und begann das Bocken und Wälzen von neuem. Es sprang auf und jagte wieder fort, hielt abermals an und that alles, um mich los zu worden. Ich ließ es gewähren, bis ich die Zeit gekommen meinte; da nahm ich es zwischen die Schenkel wie vorher; es stand unbeweglich; ich schwitzte; es stöhnte, schwitzte und schäumte, bis es zum zweitenmal zusammenbrach. Jetzt wußte ich, daß es keinen Versuch mehr machen, keinen Widerstand mehr leisten werde, und stellte mich zur Seite, als mich die drei eben einholten. Sie parierten ihre Pferde, und Old Wabble fragte:

»Ihr gebt die Zügel aus der Hand und laßt es frei liegen? Wenn es Euch nun davongeht, Sir!«

»Es bleibt, es ist besiegt, es ist mein!« antwortete ich.

»Traut der Bestie nicht! Es wäre schade, jammerschade, wenn es Euch nach dieser großen, riesenhaften Anstrengung entkäme!«

 

»Es läuft nicht fort.«

»Oho! «

»Paßt auf! Ich kenne die Dressur.«

Ich legte dem Pferde die Hand auf den Kopf und sagte:

»Naba, naba – steh auf, steh auf! «

Es sprang auf. Ich ging langsam fort und befahl:

»Eta, eta – komm, komm!«

Es kam hinter mir her, nach rechts und links, hin und zurück, bis ich stehen blieb, da blieb es auch stehen.

»Großartig, wirklich großartig!« rief Old Wabble. »Wenn man es nicht sähe, würde man es gar nicht glauben!«

»Ihr gebt also zu, daß ich es gebändigt habe?«

»Yes, yes und yes!«

»Ohne daß ich Arme und Beine oder sogar den Hals dabei gebrochen habe!«

»Sprecht nicht davon, Sir! Ich konnte ja nicht wissen, daß Ihr im Reiten sogar den alten Wabble übertrefft!«

»Sogar? Ihr scheint Euch für den besten Reiter des ganzen Erdballs zu halten! Ich übertreffe Euch ja, das behaupte ich auch, aber nicht aus Stolz oder Ueberhebung, denn ich füge sogleich hinzu: ich habe Reiter getroffen, die mich weit, weit übertroffen haben.«

»All devils! So einen Kerl möchte ich sehen!«

»Ich habe auf Pferden gesessen, die fünfzigtausend Dollars und noch mehr gekostet hätten, wenn sie überhaupt zu verkaufen gewesen wären. Nun schließt von einem solchen Tiere einmal auf seinen Reiter! Versucht doch einmal, ein zugerittenes Kirgisenpferd, einen kurdischen Streithengst oder eine nach der altparthischen Reitkunst geschulte Perserstute zu besteigen! Ihr seid nach hiesigen Begriffen ein vorzüglicher Reiter; dort aber würdet Ihr ausgelacht!«

»Kirgisisch —kurdisch-altparthisch – — —? Ich lasse mich aufhängen, wenn ich weiß, was das ist! Habt denn Ihr auf solchen Pferden gesessen? «

»Ja, und unser Bob würde an meiner Stelle sagen: Wir sind gut aufeinander geritten.«

Oh – oh – — oh!« wendete der Neger mit verlegener Miene ein. »Masser Bob nicht so sagen, denn Bob nicht mit dabei gewesen sein!«

»Hm, hm, hm!« brummte der Alte. »Da hat man sich für einen tüchtigen Kerl gehalten und ist gar keiner!«

»Bitte, so war es nicht gemeint, Mr. Cutter. Ihr seid gar wohl ein tüchtiger Reiter, nämlich in der Art der Cowboys. Ein Roter reitet anders; das gebt Ihr zu, nicht?«

»Yes.«

»Weil ich diese indianische Schule genau kenne, konnte ich das Pferd hier überwältigen, sonst nicht. Ich glaube auch nicht, daß es Euch gelungen wäre. «

»Nein, ich hätte es nicht fertig gebracht; das habe ich aber auch eingestanden! «

»Richtig! Nun denkt, daß es noch viele andre Reitervölker giebt, die Araber, Beduinen, Tuaregs, Imoscharh, Perser, Turkmanen, Kirgisen, Mongolen und so weiter, und jedes dieser Völker hat eine andere Art zu reiten. Kann sich da jemand, der eine Schule vortrefflich reitet, für überhaupt den besten Reiter halten und dann erstaunt von einem andern sagen: der kommt sogar über mich? «

»Nein, Sir! Ich höre, daß Ihr wieder einmal den Kanzelredner macht, denn was Ihr da sagt, ist ja, wie ich gern zugebe, alles sehr richtig, aber allein gegen mich gerichtet; es soll ganz einfach heißen: Brüste dich nicht, alter Wabble!«

»Freut mich, daß Ihr diesen Stich empfindet!«

»Also wirklich ein Stich! Warum aber stecht Ihr mich? «

»Nicht, weil ich denke, mehr zu sein oder mehr zu können als ihr, sondern um Euch ein wenig anschmiegender zu machen. Ihr wißt, von wegen dem »Sitzenlassen«. Ihr habt mir dahinten im Kaani-kulano wieder gute Lehren geben wollen, und zwar zu einer Zeit und in einer Situation, wo solche Lehren nicht nur überflüssig sind, sondern alles verderben können. Ich habe sie hingenommen, weil ich Euch augenblicklich nicht beweisen konnte, daß sie unnütz waren. Diesen Beweis habe ich jetzt erbracht. Wir sind nun einmal bei einander, und da würde es mich freuen, wenn es Euch beliebte, mir künftig etwas mehr Vertrauen zu schenken. Der Mangel an Vertrauen kann bei dem, was wir vorhaben, verhängnisvolle Folgen bringen!«

»Egad, Ihr habt recht, Mr. Shatterhand!« gab er zu. »Ich bin ein alter Querkopf geworden, weil ich noch niemals meinen Meister gefunden habe. Ihr habt mir eine Zurechtweisung erteilt, in Worten und noch vielmehr durch die That, und ich will sie mir ad notam nehmen. Macht, was Ihr wollt; ich werde nicht wieder daran mäkeln. Und wenn Ihr Euch vornehmt, dem Monde auf die eine Backe eine Ohrfeige zu geben, so bekommt er von mir auf die andre Backe auch eine; denn was Ihr für möglich haltet, das ist auch möglich; th‘is clear!«

»Das habt Ihr gut gesagt! « stimmte ihm Old Surehand bei. »Ich pflege nicht viele Worte zu machen, aber was Mr. Shatterhand von mir verlangt, das thue ich, und wenn es mir noch so widersinnig vorkommen sollte. Die Kunst, mit welcher er das Pferd besiegte, war bewundernswert, doch giebt es wenigstens Einen, der das grad so fertig bringt; ich meine Winnetou; aber die Kraft, die Körperkraft, der Schenkeldruck! daß das Pferd stöhnt und schäumend und geifernd zusammenbricht! Das macht ihm niemand nach, gewiß niemand! Ich bin höher und breiter gebaut als er, aber wenn ich behauptete, ein Pferd in dieser Weise niederbringen und niederringen zu können, so würde das eine Lüge sein, eine großartige Lüge! Und wie das Pferd ihm nun nachläuft! Grad als ob er schon jahrelang sein Herr gewesen wäre!«

»Ja, Ihr werdet sehen, daß es sich nun wie ein treuer und gehorsamer Hund zu mir verhält,« sagte ich. »Es ist nicht nötig, in dieser Weise von mir zu reden, Mr. Surehand. Ein jeder thut, was er kann; der eine versteht dieses besser und der andre jenes, und wenn ein jeder das Seinige leistet, wird‘s ein gutes Ende geben. Jetzt wollen wir weiter!«

»Doch zunächst nach dem Altschese-tschi, wo wir gestern früh fortgeritten sind?« fragte Old Wabble.

»Nein; nach dem »kleinen Walde« reiten wir nicht wieder.«

»Warum? Wenn wir nach dem Regenberge wollen, liegt das Wäldchen doch in unserm Wege!«

»Denkt an die Kundschafter, die dort getötet worden sind! Sie kehren nicht zurück. Das erregt das Mißtrauen der Comantschen. Ich bin überzeugt, daß Vupa Umugi ihnen einige Krieger nachsenden wird. Dürfen die auf unsre Fährte treffen?«

»Nein, denn sie würden uns nach dem Regenberge folgen, und alles wäre verraten. Aber Parker, Hawley und Langes Messer haben doch auch eine Fährte gemacht, die dorthin führt!«

»Das war gestern; sie ist also nicht mehr zu sehen.«

So müssen wir einen Umweg machen; aber wohin?«

»Das ist doch zu erraten!«

»Hm! Etwa zwischen dem »kleinen Walde« und dem »blauen Wasser« hindurch? Das geht nicht, denn da würde unsre Spur noch viel eher und viel leichter bemerkt.«

»Wir müssen noch weiter nach rechts abweichen.«

»Also wieder über den Rio Pecos hinüber?«

»Ja.«

»Das ist allerdings ein Umweg, und was für einer! Sollte er nicht zu groß sein, Sir?«

Da meinte Old Surehand kopfschüttelnd:

»Ihr seid doch unverbesserlich, alter Wabble! Soeben erst habt Ihr davon gesprochen, dem Monde eine Ohrfeige geben zu wollen, wenn es Mr. Shatterhand für möglich hält, und jetzt ist das, was er will, Euch schon wieder nicht recht!«

»Well, ich sage kein Wort mehr, kein einziges!«

»Ich stimme Mr. Shatterhand vollständig bei. Ob dieser Umweg groß ist oder nicht, wir müssen ihn machen. Merkt Ihr denn nicht, daß Mr. Shatterhand auf diese Weise zwei Fliegen mit einem Schlage treffen will? «

»Zwei Fliegen? Die erste?«

»Daß unsre Spur nicht gesehen wird.«

»Well! Und die zweite?«

»Nale-Masiuv.«

»Nale-Masiuv? Der soll eine Fliege sein? Wieso? «

»Heut ist doch der dritte Tag!«

»Ach richtig! Von dem Abende am »blauen Wasser« an ist es der dritte Tag, an welchem Nale-Masiuv mit seinen hundert Roten kommen soll! Wollen wir nach ihm spüren?«

»Ja,« antwortete ich. »Es ist uns von Vorteil, zu erfahren, ob er schon da ist oder nicht.«

»Wieso, Sir?«

»Weil ich annehmen mußte, daß die Roten bald nach seiner Ankunft nach dem Llano estacado aufbrechen werden; wir können uns dann darnach richten. Wir haben uns von jetzt an also mehr nach rechts hinüber zu halten. Kommt, wir wollen fort, Mesch‘schurs!«

»Mesch‘schurs!« wiederholte der Neger. »Haben Massa Shatterhand auch Masser Bob mit meinen?«

»Natürlich, ja.«

»So sein Masser Bob auch mit Mesch‘schurs?«

»Versteht sich, lieber Bob!«