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Old Surehand I

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»Was ich meine, das ist Nebensache; es kommt nur darauf an, was Ihr davon denkt.«

»Richtig, sehr richtig! Wir denken eben, daß es besser ist, wenn wir nach El Paso oder überhaupt über den Rio del Norte gehen.«

»Das sagt Ihr in einem Tone, als ob es einer Entschuldigung bedürfe, Mr. Wren?«

»Allerdings. Wir sollten doch mit Euch nach dem Llano estacado.«

»Ihr solltet? Ich habe gedacht, Ihr wolltet!«

»Ja, wir wollten, haben es uns aber anders überlegt. Hoffentlich denkt ihr nicht etwa von uns, daß wir uns vor dem Llano fürchten?«

»Warum sollte ich das denken? Weil Ihr Euern Entschluß geändert habt? Ihr seid doch freie Männer und könnt also thun, was Euch beliebt.«

»Freut mich sehr, daß Ihr diese Meinung hegt. Es hätte uns sehr leid gethan, wenn Ihr uns für mutlos gehalten hättet. Also Ihr habt nichts dagegen, daß wir uns von Euch trennen?«

»Nichts, gar nichts. Aber sagt, wann diese Trennung stattfinden soll!«

»Jetzt.«

»Was? Gleich jetzt?«

»Ja.«

»Warum so plötzlich?«

»Weil wir sonst Zeit versäumen und einen großen, ganz unnötigen Umweg machen. Ihr wollt ja umkehren.«

»Ja, das ist wahr. Wenn Ihr nach dem Rio Grande del Norte wollt, müßt Ihr in dieser Richtung weiterreiten.«

»Und weil Ihr umkehren wollt, müssen wir uns hier von Euch trennen. Das muß geschehen, so leid uns diese Trennung thut. Sie wird uns nur dadurch erleichtert, daß Ihr sie uns nicht übel nehmt.«

»Uebel nehmen? Kann mir gar nicht in den Sinn kommen.

»Ihr seid auf Euer Wohl bedacht, und das zu thun, ist jedes Menschen Recht und Pflicht.«

Old Wabble hatte mit der gleichgültigsten Miene zugehört, nicht so aber Parker und Hawley; ihre Gesichter drückten zorniges Erstaunen aus. Als ich meine letzten Worte gesagt hatte, fiel Parker eifrig ein:

»Recht und Pflicht? Das sagt Ihr so gelassen, Sir? Diese Leute haben versprochen, mit uns nach dem Llano estacado zu reiten, und ihre Pflicht ist es, ihr Wort zu halten, ebenso wie es unser Recht ist, die Ausführung ihres Versprechens zu verlangen. Sie denken gar nicht daran, nach EI Paso zu gehen. Wißt Ihr, warum sie nicht mit umkehren wollen, Mr. Shatterhand?«

»Nun?«

»Weil sie sich vor dem Llano fürchten; das ist es!«

»Fällt uns nicht ein!« rief Wren. »Von Furcht ist keine Rede.«

»Oho! Ihr sagt, Ihr hättet gestern abend davon gesprochen, nach EI Paso anstatt nach Texas zu gehen. Davon müßte ich doch etwas wissen, weil ich während der ganzen Zeit den Lagerplatz nicht verlassen habe; ich habe aber kein einziges Wort gehört.«

Jos Hawley stimmte ihm bei. Der Wortstreit ging eine Weile hin und her, bis ich den beiden Genannten einen heimlichen, nicht mißzuverstehenden Wink gab und den Abtrünnigen beipflichtete:

»Jedermann kann thun und lassen, was er will und was ihm beliebt. Wenn diese Gentlemen sich von uns trennen wollen, so haben wir kein Recht, sie daran zu hindern. Ja, wir sind sogar verpflichtet, sie darin zu unterstützen.«

»Auch noch unterstützen!« zürnte Parker. »Worin soll diese Unterstützung denn bestehen?«

»Darin, daß wir sie mit Proviant versorgen.«

»Daß wir dumm wären! Fällt uns gar nicht ein!«

Old Wabble mochte ahnen, warum ich mich in dieser Weise verhielt, denn er sagte jetzt zu Parker:

»Dumm? Wer ist dumm, Sir? Doch wohl derjenige, der nicht weiß, wer über den Proviant zu verfügen hat! Und wer hat darüber zu verfügen? Doch wohl der, der ihn gebracht hat! Und wer hat ihn gebracht? Ich! Und ich sage Euch, daß ich diesen Leuten so viel Fleisch mitgebe, wie wir entbehren können. Ob sie aus Angst oder aus einem andern Grunde von uns gehen, das ist mir gleich. Sie bekommen Fleisch, weil sie unterwegs essen müssen; th‘is clear. Also wer fort will, der mag es sagen, damit man weiß, woran man ist!«

Sie wollten alle fort, Parker und Hawley ausgenommen, welche erklärten, sich zu schämen, daß sie mit solchen Memmen bisher geritten seien. Das Ende vom Liede war, daß die acht Männer einen Vorrat Fleisch bekamen und dann nach einem kurzen, nicht eben zärtlichen Abschied weiterritten. Hawley war still; Parker aber räsonnierte hinter ihnen her. Ich fragte ihn: Ach denke, Ihr habt vorhin meinen Wink gesehen. Habt Ihr ihn auch verstanden?«

»Ja.«

»Was hatte er zu bedeuten?«

»Daß ich die Kerls ruhig laufen lassen soll.«

»Warum thut Ihr das nicht?«

»Weil ich mich über sie ärgere.«

»Euer Aerger ist überflüssig und gar nicht maßgebend. Wir andern freuen uns darüber, daß wir sie los sind. Wir werden in Lagen kommen, wo wir ganze Männer, aber keine Memmen brauchen können. Und wenn der Ausdruck Memme zu stark sein sollte, so waren sie doch auch nicht Personen, auf welche man sich verlassen kann.«

Da ging ein freundlicher Zug über sein Gesicht, und er fragte im Tone der Befriedigung:

»Und mich schickt Ihr nicht fort?«

»Nein.«

»So seid Ihr also der Ansicht, daß Ihr Euch auf mich verlassen könnt?«

»Hm! Ich bin der Ansicht, daß ich Euch wahrscheinlich als einen zuverlässigen Mann kennen lernen werde. So ist die Sache.«

»Also erst kennen lernen!« betonte Old Wabble, indem er seine Glieder lachend durcheinander schüttelte. »Gebt Euch also Mühe, Mr. Parker, daß Ihr bei dem nächsten Elk nicht daneben schießt!«

»Diese Ermahnung ist vollständig überflüssig, Mr. Cutter. Ich habe bisher noch jeden Elk getroffen.«

»Auch den ersten damals?«

»Ja.«

»Das möchte ich bezweifeln.«

»Ihr wißt es ja; ich habe es bewiesen.«

»Ja, es ist bewiesen, was Ihr damals getroffen habt, vollständig bewiesen. Wißt Ihr, was?«

»Nun, was?« fragte Parker, jetzt über das Gebaren des Alten aufmerksam werdend.

Dieser kniff sein Gesicht in noch mehr Falten, als es so schon hatte, machte das eine Auge zu, riß das andre weit auf, schlotterte mit den Armen durch die Luft und antwortete dann:

»Einen Esel habt Ihr geschossen, einen Esel! Hahahaha!«

»Wie – — wa – wa – was? Einen Esel?«

»Ja, einen Esel, oder vielmehr ein Tier, welches Ihr für einen Esel hieltet, welches aber eigentlich ein Elkkalb oder »das junge Kind des Elkes« war!«

Er betonte die fünf durch Gänsefüßchen eingeschlossenen Worte besonders stark, indem er sie zugleich sehr langsam aussprach.

»Das junge Kind – — des – — des – — – alle Wetter, was wollt Ihr damit sagen?«

»Daß Ihr damals geflunkert habt. Es ist Euch gar nicht eingefallen, den Elk zu schießen; Ihr seid vielmehr vor ihm gewaltig ausgerissen!«

»Aus – — ge – — ris – — – sen – — —?!«

»Ja, ausgerissen!«

»Das ist eine Verleumdung, die – die – die —!«

»Was denn, die – die – die – — —? Seid Ihr etwa nicht in das Loch gekrochen, in welches dann das Untier den Kopf steckte und Euch so gewaltig anschnaufte, daß Euch fast der Verstand verloren ging?«

»Loch? Was – — für – — ein – — Loch?«

»Das Loch in der Steinwand, in welchem Ihr so schnell verschwandet, wie Ihr in Euerm ganzen Leben noch nie in ein Loch gekrochen waret!«

Parker holte tief, tief Atem und sagte, vor Verlegenheit fast stammelnd:

»Mr. Cutter, ich weiß nicht, was Ihr wollt. Ich verstehe Euch nicht. Ihr habt doch den Elk, den ich geschossen hatte, mit Euern eignen Augen gesehen!«

»Ja, mit meinen eignen Augen, aber den Elk, den der Häuptling der Panashts geschossen hatte!«

»Der Pa – — nashts? Der Teufel soll mich holen, wenn ich im stande bin – — – «

»– einen Elk zu schießen?« fiel ihm der Alte in die Rede. »Ja, das glaube ich nicht nur, sondern ich bin sogar sehr überzeugt davon. Der Häuptling schenkte Euch den Elk dafür, daß Ihr ihn vor mir gewarnt hattet, und erlaubte Euch, zu sagen, Ihr hättet ihn geschossen. Ist es so oder nicht, Mr. Parker?«

»Wenn – — wenn – — und – — – und – — – und – —« stotterte der Gefragte in größter Bedrängnis.

»Antwortet mir nicht mit »wenn« und »und«, sondern richtig, wie es sich gehört!«

»Ich antworte ja richtig, ganz richtig! Man muß Euch ein Märchen aufgebunden haben!«

»Ein Märchen? Ja, es schien mir allerdings damals ein Märchen zu sein, als Ihr den Elk brachtet und behauptetet, er sei von Euch geschossen worden. So ein ausgemachtes, in Marmor gehauenes Greenhorn, wie Ihr damals waret, und ein Elk, ein so riesiger, gewaltiger Elk! Ich glaubte es aber doch, weil Ihr dann später zufällig, ganz zufällig Glück im Schießen hattet. Jetzt aber ist‘s mit dem Glauben vorbei, ganz und gar vorbei.«

»Ich habe ihn geschossen! Wer ist denn der Halunke, der Euch so angelogen hat?«

»Der Halunke? Angelogen? Richtig, ganz richtig! Der Halunke seid ihr, Ihr Selbst, Mr. Parker.«

»Ich? Was? Ich?!«

»Ja, Ihr selbst! Oder wollt Ihr leugnen, daß Ihr es selbst erzählt und eingestanden habt?«

»Ich selbst? Wem und wo?«

»Euern Gefährten, die vorhin fortgeritten sind; droben jenseits des Mistake-Cañon im Soldatenlager.«

»Ah, die, die haben es gesagt! Schade, daß sie fort sind! Sie müßten diese Lüge eingestehen und mich um Verzeihung bitten. Wer hat es Euch denn wieder erzählt?«

»Wren, der brave Wren, der vorhin das große Wort der Feigheit so beredt führte.«

»Wann?«

»Heut nacht, als wir die Wache miteinander hatten und uns die Zeit mit Geschichten verkürzten.«

»Mit Lügen, müßt Ihr sagen!«

»Oho! Ihr glaubt, leugnen zu können, weil diese Leute fort sind. Es sind noch andre da.«

»Wer denn, wer?«

»Mr. Shatterhand und Jos Hawley hier; die haben auch dabei gesessen, als Ihr es erzähltet. Ist das wahr, oder ist es nicht wahr, Jos?«

Diese Frage an mich zu richten, das wagte der Alte nicht. Ich hätte mit einem Scherze geantwortet. Der ehrliche Hawley aber erklärte sehr ernst:

»Ja, er hat es erzählt; er hat den Elk damals nicht geschossen. Was wahr ist, das muß wahr sein.«

Da fuhr ihn Parker zornig an:

 

»Halte den Schnabel, alter sheeps-head[28]! Wie kannst du behaupten, daß es wahr ist!«

»Weil du es selbst erzählt hast.«

»So ein Unsinn! Selbst erzählt! Muß es darum wahr sein, he?«

»Ich denke!«

»Da giebt es nichts zu denken, ganz und gar nichts. Man erzählt so manches, was sich ganz anders zugetragen hat.«

»Warum sollte man es anders erzählen?«

»Weil man es nicht richtig weiß, oder weil man sich einen Spaß machen will, und das war bei mir der Fall.«

»Keine Ausrede!« fiel da Old Wabble ein. »Kein Westmann wird erzählen, daß er ein Wild, noch dazu einen Riesenelk, nicht getroffen habe, wenn er ihn getroffen hat. Und Ihr seid gar über diese Selbstverleugnung noch weit hinausgegangen, indem Ihr gesagt habt, ein Roter habe ihn geschossen. Ich weiß, woran ich bin. Die Sache ist zu Ende, und wir haben jetzt an wichtigere Dinge zu denken. Wir kehren hier also um, Mr. Shatterhand?«

»Hier nicht, sondern eine Strecke weiter oben.«

»Warum noch weiter hinauf?«

»Dort giebt es ein fließendes Wasser, welches seitwärts führt. Wenn wir in demselben reiten, bleiben den Roten, falls sie ja noch vor Abend kommen sollten, unsre Spuren vollständig verborgen.«

»Wie klug! Sie werden den Spuren unsrer acht ungetreuen Kameraden folgen und denken, wir sind noch bei ihnen, während wir doch seitwärts abgewichen sind. Das ist ein so guter Gedanke, daß man ihn in einem Buche drucken lassen sollte; th‘is clear! «

Es dauerte nur noch zehn Minuten, bis wir den Bach erreichten und ihm in der Weise aufwärts folgten, daß wir die Pferde in seinem Wasser waten ließen. Dabei sagte Old Wabble zu mir:

»Sir, glaubt Ihr es mir, daß ich jetzt eine Eurer Pfiffigkeiten erraten habe?«

»Welche denn?«

»Daß wir mit den acht Kerls nicht bis herauf an dieses Wasser geritten sind. Ihr hieltet wohlbedachter Weise schon weiter unten an.«

»Warum das? «

»Der Verfolger wegen. Wenn sie kommen, werden sie da, wo wir halten geblieben sind, absteigen und die Stelle untersuchen, um zu erfahren, warum wir angehalten haben. Oder nicht, Mr. Shatterhand?«

»Ja.«

»Well! Hätten wir am Bache Halt gemacht, so wäre diese Stelle von ihnen genau geprüft worden, und dabei hätten sie sehr wahrscheinlich bemerkt, daß da fünf Reiter von den dreizehn ihre Pferde in das Wasser gelenkt haben; unsre jetzige, neue Fährte wäre also entdeckt worden. Um das zu vermeiden, habt Ihr dafür gesorgt, daß die Trennung schon vorher geschah. Habe ich recht, Sir?«

»Ja, Ihr habt mich erraten, Mr. Cutter. Es kann uns nur von Nutzen sein, wenn wir uns auch fernerhin so gut verstehen.«

Das Laufen im Wasser wurde den Pferden schwer, weil die Breite und Tiefe desselben oft schnell wechselte; dennoch ließen wir wohl gegen eine Stunde vergehen, ehe wir sie heraus auf den trockenen Boden lenkten. Das thaten wir an einer felsigen Stelle, wo kein Hufstapfen zurückgelassen werden und uns verraten konnte. Damit war aber der Vorsicht volle Genüge geschehen, und wir konnten überzeugt sein, alles gethan zu haben, um eine Entdeckung zu verhüten. Das Wasser hatte uns in der verflossenen Stunde südwärts geführt; wir verließen es nun und lenkten nach Osten ein, um den Rio Pecos wieder zu erreichen. Das mußte nach meiner Berechnung an einer Stelle geschehen, welche volle zwei Stunden von der Furt entfernt lag, und es stand also, wenn nicht ein unglücklicher Zufall eingetreten war, zu erwarten, daß wir auf keinen Comantschen treffen würden.

Die beiden Wasserthäler, in denen wir uns bis jetzt aufwärts bewegt hatten, waren vielen Krümmungen gefolgt. Jetzt ritten wir abwärts, und weil wir da eine schnurgerade Linie einhalten konnten, brauchten wir natürlich viel weniger Zeit als aufwärts. Es war ungefähr halb zwei Uhr, als wir den Rio Pecos wieder erreichten. Wir suchten und fanden bald eine Stelle, deren ruhig fließendes Wasser das Hinüberschwimmen erleichterte, und dann ging es im Galoppe auf der ebenen Prairie dahin, welche zwischen dem Pecos und der früher erwähnten Hügelreihe liegt. Da dieser Höhenzug nicht parallel mit dem Flusse geht, sondern sich bald dem Flusse nähert und bald wieder von ihm entfernt, so ist die Savanne nicht von sich gleichbleibender Breite. Bald wird sie so zusammengedrängt, daß sie nur einen schmalen Streifen bildet, und bald dehnt sie sich in endlos scheinender Weite vor dem Blicke aus. Wir fegten wie im Sturme über die grasige Ebene dahin, und es war eine wahre Lust, das lange, schneeweiße Haar Old Wabbles und die fast noch längere braune Mähne Old Surehands im Winde fliegen zu sehen. Der letztere ritt einen mexikanischen Fuchs spanischen Blutes, welcher es zwar mit meinem Rappen nicht aufnehmen konnte und, der Schwere seines Reiters angemessen, stark gebaut war, aber den langen Galopp doch spielend überwand.

Old Surehand und Old Wabble, zwei solche Reiter an meiner Seite! Ich warf, einen Jauchzer ausstoßend, den Hut hoch in die Luft und fing ihn im jagen wieder auf.

»Ihr scheint recht guter Laune zu sein,« meinte Old Surehand lächelnd.

»Ja,« antwortete ich. »Und sie wird noch besser werden, wenn erst Winnetou bei uns ist. Sein schwarzer Schopf ist köstlich. Dann fliegen drei Mähnen um mich her.«

»Wann werden wir ihn treffen?«

»Das ist noch ungewiß. Er ist, wie ich Euch schon sagte, nach dem Llano estacado voran. Ich vermute, daß wir noch heut auf einen Boten von ihm stoßen werden.«

»Wo? Ist der Ort bestimmt?«

»Nein, aber die Linie. Ich sprach ja nur von einer Vermutung. Ihr werdet das Nähere erfahren, wenn wir lagern. Winnetou weiß, daß ich in gerader Linie vom Mistake-Cañon nach der Llano-Oase reite. Wenn er einen Boten zurückgelassen hat, wird dieser auf irgend einem Punkte dieser Linie auf mich warten.«

»Befinden wir uns jetzt auf ihr? «

»Noch nicht. Ich mußte, um Euch herauszuholen, von ihr nach dem Saskuan-kui abweichen. Jetzt nähern wir uns ihr wieder, und in einer Stunde erreichen wir sie. Leider müssen wir wieder langsam reiten, denn Parker und Jos Hawley kommen uns nicht nach. Gegen Abend kommen wir an einen Ort, den die Apatschen Altschese-tschi nennen; das wäre für den Boten die richtige Stelle, mich zu erwarten. Er kann sich da verbergen.«

»Es giebt dort Büsche und Bäume?«

»Ja.«

»Dachte es mir!«

»Warum?«

»Weil die beiden Apatschenworte Altschese-tschi soviel wie kleiner Wald bedeuten.«

»Das wißt Ihr? Ihr seid also dieser Sprache mächtig?«

»Leidlich.«

»Das ist sehr vorteilhaft für uns. Aber ich denke, Ihr seid noch nie in einem Apatschengebiete gewesen!«

»Allerdings nicht. Meine bisherigen Jagdreviere lagen mehr im Norden. Aber ich bin mit Kennern der Apatschendialekte lange zusammen gewesen und habe von ihnen gelernt, was ich brauche. Ich freue mich außerordentlich darauf, mit Winnetou in seiner Muttersprache reden zu können. Kennt er mich dem Namen nach?«

»Sehr gut. Ich will Euch verraten, daß er eine hohe Meinung von Euch hat.«

»Danke, Sir!«

»Wir sind miteinander weit herumgekommen, bis an die Nordgrenze der Vereinigten Staaten hinauf, und es ist eigentlich zu verwundern, daß wir mit Euch kein einziges Mal zusammengetroffen sind.«

»Mir ist das sehr erklärlich, und auch Ihr werdet Euch nicht mehr darüber wundern, wenn Ihr später erfahret, wie und wo ich lebe und mich bewege.«

»Ist das ein Geheimnis?«

»Ja und nein, wie man es nimmt. Ich pflege nicht darüber zu sprechen, weil ich nicht zu denjenigen Leuten gehöre, die gern und viel überflüssige Worte machen.«

Er wendete sich halb ab, und es flog wie ein dunkler Schatten über sein bisher so heiteres Gesicht. War es dennoch ein Geheimnis, welches jetzt berührt worden war? Es wollte mir vorkommen, als ob diese Berührung ihm wehe thue. Wir schwiegen beide. Vielleicht hatte dieser körperlich und geistig seltene Mann auch ein seltsames Schicksal hinter sich. Giebt es doch nie einen Westmann, dessen Lebenslauf ein gewöhnlicher gewesen ist!

Nach der angegebenen Zeit von einer Stunde war der grüne Vegetationsstreifen des Rio Pecos längst nicht mehr hinter uns zu sehen; vor uns lag die Prairie meilen- und aber meilenweit; es gab rings keinen Punkt, an welchem das Auge den Halt zu einer Berechnung finden konnte, und dennoch wußte ich, daß ich mich nun auf der vorhin erwähnten Linie befand. Das war der Oertlichkeitssinn oder vielmehr der Ortsinstinkt, der dem Wandertiere eigen ist und ohne den auch der Westläufer in hundert und wieder hundert Gefahren gerät. Wer ihn nicht besitzt, der wird entweder zu Grunde gehen oder ein Jäger niedrigster Klasse bleiben. Wir hatten nur eine kleine Wendung zu machen, um von unsrer bisherigen Tour auf diese Linie einzubiegen.

Es war jetzt drei Uhr nachmittags, und wenn jemand behauptet hätte, daß es den Comantschen möglich sei, unsre Fährte aufzufinden und uns gar nachzukommen, den hätte ich für irrsinnig gehalten. Sie konnten jetzt erst auf dem jenseitigen, rechten Ufer des Rio Pecos angekommen sein, um nach unsern Wachen oder Posten zu suchen, die aber gar nicht dastanden und nicht dagestanden hatten.

Old Surehand schien durch den letzten Teil unsres kurzen Gespräches nach innen gekehrt worden zu sein, denn er hatte sein Pferd angetrieben und ritt, den Kopf nachdenklich niedergesenkt, allein voran. Da parierte er plötzlich sein Pferd, stieg ab und untersuchte den Boden. Als wir ihn erreichten und ich seinen Augen folgte, sah ich, daß er eine Fährte entdeckt hatte, und stieg auch ab. Old Wabble folgte unsrem Beispiele, untersuchte das niedergetretene kurze Gras und sagte:

»Das sind Pferde gewesen, Mesch‘schurs, sechs an der Zahl und Indianern angehörig. Die Kerls sind hintereinander geritten, aber diese meine alten Augen zählen die sechs doch ganz genau heraus. Sie sind ostwärts geritten und vor zwei Stunden hier vorübergekommen.«

Old Surehand warf mir einen Blick zu, in welchem deutlich die Bewunderung für den Alten lag, und ich gab diesen Blick zurück, denn ich hätte die Fährte wohl kaum so gut oder wenigstens nicht deutlicher zu lesen vermocht.

Hier auf der offenen Savanne zeigte sich der Alte als einstiger König der Cowboys, als der Fachmann, der nicht zu täuschen war. Er hatte unsre Blicke nicht gesehen, und weil niemand sogleich antwortete, fragte er:

»Seid Ihr etwa andrer Meinung, Gents?«

»Nein,« antwortete ich. »Ihr habt ganz richtig gesehen.«

»So viel die Spur besagt, ja, Sir. Das Weitere aber muß ich Euch überlassen, weil ich die Gegend und die Roten, die sich hier herumtreiben, nicht kenne.«

»Es kann sich nur um Apatschen oder Comantschen handeln.«

»Welcher der beiden Nationen werden diese Leute hier wohl angehören?«

»Ihr fragt so bestimmt, Mr. Cutter, als ob es kinderleicht sei, darauf Antwort zu geben!«

»Weil ich annehme, daß Old Shatterhand sich den Kopf nicht zu zerbrechen braucht, um die richtige Auskunft zu finden.«

»Danke Euch für das Kompliment! Man muß nachdenken, wenn man sich auch nicht gerade den Kopf zu zerbrechen hat. Die Comantschen sind ausgezogen und befinden sich in der Nähe, da seitwärts hinter uns. Die Apatschen wissen, daß die Comantschen das Kriegsbeil ausgegraben haben; sie sehen sich zur Vorsicht gezwungen und senden also Späher aus.«

»Das ist sehr richtig, Sir; aber damit sind wir nicht weiter als vorher; th‘is clear.«

»Wartet nur! Die Spur geht ostwärts; sie weist also nach dem Llano estacado. Wer aber von beiden ist es, der den Llano jetzt im Auge hat?«

»Die Comantschen.«

»Richtig! Ich bin überzeugt, daß nur ein einziger Apatsche von der Absicht der Comantschen auf den Llano weiß; das ist Winnetou. Seine Mescaleros werden durch ihn selbst oder durch einen Boten von ihm erst davon benachrichtigt. Sie können noch nicht hier sein und also auch keine Späher nach dem Llano vorausgesandt haben. Dazu kommt, daß ihre Wohnsitze von hier im Süden liegen. Wenn sie Kundschafter oder Boten direkt nach dem Llano schickten, so würde der Weg derselben nicht so weit nach Norden führen.«

»Ihr meint also, daß wir es mit Comantschen zu thun haben, Mr. Shatterhand?«

»Ja.«

»So wissen wir, woran wir sind und – — —«

»Halt!« unterbrach ich ihn. »Was ich sage, ist mehr Vermutung als Ueberzeugung. Wir müssen Gewißheit haben. Die Sache ist so wichtig für mich, daß es uns auf eine kleine Zeitversäumnis nicht ankommen darf. Getraut Ihr Euch, diese Spur schnellreitend gut im Auge behalten zu können?«

»Welche Frage! Haltet Ihr mich für blind?«

 

»So steigt auf, und galoppiert fünf Minuten lang auf ihr zurück! Ich möchte gern die Richtung wissen, ob sie gerade verläuft oder auf dieser immerhin langen Strecke irgend eine Biegung macht.«

»Well, soll gleich geschehen!«

Er schwang sich auf das Pferd und jagte auf der Fährte zurück, der Richtung zu, aus welcher die sechs Reiter gekommen waren. Seine Figur wurde schnell kleiner und immer kleiner, bis sie, obgleich das Terrain vollständig eben war, unsern Augen ganz entschwand. Dann tauchte er als ein sich bewegender Punkt wieder auf, der sich immer mehr vergrößerte, bis er endlich in Lebensgröße wieder bei uns hielt.

»Nun?« fragte ich ihn.

»Sie geht wie eine Schnur immer geradeaus.«

»Das sagt mir genug. Wißt Ihr, wohin man kommt, wenn man dieser geraden Linie folgt?«

»Nach dem »blauen Wasser«, vermute ich.«

»Ja, nach dem Saskuan-kui. Der Häuptling Vupa Umugi hat diese sechs Leute als Späher ausgesandt. Wir müssen ihnen schleunigst nach.«

»Warum so schnell? Sie einholen?«

»Ja.«

»Das ist ein Fehler, Sir! Nehmt es mir nicht übel, aber es ist gewiß ein Fehler!«

»Warum?«

»Ihr seid doch kein Indianermörder!«

»Allerdings nicht.«

»Und wollt ihnen dennoch nach? Das widerspricht sich ja. Seht Ihr das nicht ein?«

»Worin liegt der Widerspruch?«

»Ihr wollt kein Mörder sein und wäret doch gezwungen, diese sechs Roten auszulöschen, wenn wir sie einholten. Sie dürfen nicht wissen, daß wir in dieser Gegend sind, was doch verraten würde, wenn auch nur einer von ihnen entkäme. Unsre Force liegt doch darin, daß Vupa Umugi die Ueberzeugung hegt, wir seien nach Westen geritten!«

»Ihr habt recht und doch nicht recht, Mr. Cutter. Es kommt auf die Umstände an, ob wir uns diesen Kundschaftern zeigen werden oder nicht. Ihr Weg führt genau nach dem Altschese-tschi, dem »Kleinen Walde«, wo ich, wie ich schon vorhin sagte, einen Boten Winnetous vermute. Kommen sie dort vorüber, ohne ihn zu entdecken, so ist es gut; wenn sie ihn aber bemerken, ihn selbst oder eine Spur von ihm, so greifen sie ihn an. Ein Mann gegen sechs Männer; Ihr könnt Euch den Ausgang denken. In diesem Falle ist er entweder tot oder gefangen. Findet das letztere statt, so müssen wir ihn losmachen, schon aus reiner Freundschaft für die Apatschen, und sodann auch wegen Winnetous Botschaft, die ich unbedingt hören muß, wenn es nur möglich ist. Da darf es mir auf das Leben von sechs feindlichen Comantschen nicht ankommen. Also vorwärts jetzt, Mesch‘schurs!«

Wir stiegen wieder auf und jagten so schnell weiter, wie die Pferde Parkers und Jos Hawleys zu laufen vermochten.

Die Kundschafter befanden sich zwei Stunden vor uns; aber sie waren langsam geritten. Wenn sie diese Gangart beibehalten hatten und noch beibehielten, so war es möglich, daß wir sie noch vor dem Altschese-tschi einholten.

Leider aber zeigte es sich, daß die Pferde der beiden Genannten nicht mit den unsern fortkommen konnten; ich bestimmte also, daß Parker und Hawley unsrer Spur möglichst schnell folgen sollten, und ritt mit Old Surehand und dem alten Wabble voran. Von Zeit zu Zeit hielt einer von uns an, um aus den Spuren das Tempo der Reiter zu ersehen, und holte dann die andern beiden wieder ein. Da stellte sich denn bald heraus, daß die Comantschen später viel schneller geritten waren, und so schwand meine Hoffnung mehr und mehr, sie noch zur rechten Zeit ein- oder gar zu überholen, was durch einen Halbkreisritt ganz wohl möglich gewesen wäre.

Es verging eine Stunde und dann die zweite. Wir mußten die Pferde zuweilen verschnaufen lassen, indem wir langsamer ritten. Nach wieder einer halben Stunde tauchte vor uns ein dunkler Punkt am Horizonte auf. Ich deutete mit der Hand auf ihn und sagte:

»Das ist der »Kleine Wald«, das Ziel unsers Parforcerittes. Wollten wir geradeaus reiten, würden wir in einer Viertelstunde dort sein.«

»Das dürfen wir aber nicht,« warnte Old Wabble.

»Nein, denn die Comantschen sind wahrscheinlich nicht weiter geritten, sondern drin geblieben.«

»Wir müssen aber hin! Wie fangen wir das an?«

»Es ist ein Glück, daß ich die Oertlichkeit genau kenne. Kommt rechts nach Süd! Wir müssen einen Bogen reiten.«

Indem wir dies thaten, fragte Old Wabble weiter:

»Meint Ihr, daß wir auf diese Weise hinankommen, ohne gesehen zu werden?«

»Ja. Ihr müßt wissen, daß von den ostwärts liegenden Höhen ein Wasser kommt, welches auf der Ebene versiecht, aber später da, wo sich der Boden tiefer senkt, als ein kleiner Weiher wieder zu Tage tritt. Dieser Weiher hat einen Durchmesser von nur vielleicht fünfzig Schritten, hat aber doch einem Wäldchen das Leben gegeben, dessen Durchmesser wenigstens zehnmal größer ist. Das ist Altschese-tschi, der »kleine Wald«, dessen westliche und östliche Seite ziemlich licht ist, während er an den beiden andern Seiten so dicht steht, daß man, besonders auf der südlichen, kaum durchzudringen vermag. So war es, als ich mich vor drei Jahren zum letztenmale hier befand, und so wird es wohl auch heute noch sein.«

»Hm!« brummte der Alte. »In drei Jahren kann sich viel verändern, was hier, wo es sich um unser Leben handeln kann, außerordentlich wichtig ist!«

»Wenn eine Veränderung eintrat, so besteht sie wohl nur darin, daß der Wald dichter geworden ist, was uns nicht anders als lieb sein kann. Weil die südliche Seite die bewachsenste ist, so reiten wir in einem Bogen nach ihr. In dem dortigen Gestrüpp nimmt kein Mensch seinen Aufenthalt, und darum glaube ich, daß wir uns da am besten annähern können, ohne gesehen zu werden. Wenn wir nicht die Nacht abwarten wollen, so weiß ich keine andre Weise, das Wäldchen zu erreichen.«

»Well, so müssen wir es eben versuchen und uns darauf gefaßt machen, bei unsrer holdseligen Ankunft einige weniger holdselige Kugeln zwischen die Rippen oder gar in die Köpfe zu bekommen. Ein Wagehals, der etwas wagen will, der wagt etwas; th‘is clear!«

Old Surehand verhielt sich noch immer schweigend, doch las ich auf seinem Gesichte jene unbedenkliche Entschlossenheit, die vor keiner Gefahr zurückschreckt, wenn nur einigermaßen Aussicht vorhanden ist, sie glücklich zu bestehen. Er kam mir immer mehr wie ein Mann vor, der lieber handelt als spricht, und später zeigte es sich, wie vortrefflich er in dieser Beziehung zu Winnetou paßte.

Wir waren also nach rechts abgewichen und hielten uns, indem wir einen Halbkreis ritten, immer so weit von dem Walde entfernt, daß er in gleicher scheinbarer Größe vor uns liegen blieb. Als wir uns dann genau südlich von ihm befanden, hielt ich an und nahm mein Fernrohr, welches mir im fernen Westen schon oftmals große Dienste geleistet und sogar das Leben gerettet hatte, aus der Satteltasche, um den Rand des Gehölzes sorgfältig abzusuchen. Ich konnte nichts Verdächtiges bemerken.

»Seht Ihr etwas, Sir?« fragte Old Wabble.

»Nein. Ich kann kein lebendes Wesen, weder Mensch noch Tier, entdecken.«

»Sieht man uns von dort?«

»Sonderbare Frage, Sir! Würdet Ihr von hier aus einen dort befindlichen Menschen sehen?«

»Nein.«

»Also werden auch wir mit unbewaffnetem Auge nicht zu erkennen sein, und ich glaube nicht, daß die Roten mit Fernrohren versehen sind.«

»Wird keinem Indsman einfallen, ein solches Ding bei sich zu führen!«

»O doch! Winnetou hat stets ein Rohr, und zwar ein ganz ausgezeichnetes, mit. Ich bin der Ansicht, daß wir nun stracks vorwärts reiten. Nicht?«

»Wenn Ihr nicht anders wollt, dann los! Unvorsichtig aber ist‘s und bleibt‘s!«

Da ließ sich Old Surehand zum erstenmale wieder hören, indem er in ungeduldigem und verweisendem Tone ausrief:

»Was unvorsichtig! Wenn es keine andre Wahl giebt als das Wasser, so stürzt man sich eben hinein und lernt sofort das Schwimmen. Wenn Ihr Euch fürchtet, alter Wabble, so bleibt hier halten, bis Ihr angewachsen seid; wir aber nehmen das Wäldchen jetzt im Sturme. Go on, Mr. Shatterhand, go on!«

Er schoß auf seinem Pferde davon, und ich folgte ihm mit gleicher Schnelligkeit. Old Wabble blieb natürlich nicht zurück; er kam hinter mir hergeflogen und wetterte dabei ganz aufgebracht:

»Ich mich fürchten! Was bilden sich diese beiden jungen Menschen ein! Old Wabble kannte schon keine Furcht, als er noch nicht geboren war, viel weniger dann später. Die jetzige Jugend ist doch zuweilen mit ganz abnormen und unbegreiflichen Ideen behaftet; th‘is clear!«

Es war von ihm ein kühnes Beginnen, uns beide als »die jetzige Jugend« zu bezeichnen; ich mußte trotz des Ernstes unsrer Lage laut darüber lachen. Er hörte das und rief, noch mehr erzürnt:

»Was lacht Ihr, Sir! Lacht dann, wenn Ihr mit heiler Haut da vorn im Walde sitzt, nicht eher!«

28Schafskopf.