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In den Schluchten des Balkan

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»Das ist wahr,« meinte er geschmeichelt.

»Darum komme ich zu dir! Ich denke zwar nicht, daß du die Teppiche kaufen wirst, aber ich habe gemeint, daß du vielleicht einen andern kennst, welcher bereit ist, einen so vorteilhaften Handel einzugehen.«

»Da hast du freilich gar nicht unrecht vermutet.«

»So kennst du einen Käufer?«

»Ich kenne einen.«

»Der auch bar bezahlen kann?«

»Solche Geschäfte macht man meist auf Kredit.«

»Ich nicht. Gute Ware, billig, aber bares Geld. Dann sind beide zufrieden, der Käufer wie der Verkäufer.«

»Nun, der Mann kann bezahlen.«

»Das ist mir lieb. Wer ist er?«

»Er ist ein Waffenschmied.«

»O weh!«

»Wieso denn?«

»Ein Waffenschmied wird nicht eine so große Menge von Teppichen kaufen.«

»Der aber tut es. Er ist zugleich Kaffeewirt und versteht es, die Ware an den Mann zu bringen.«

»Wo wohnt er?«

»In Ismilan.«

»Das ist mir unangenehm, da es bis dahin so weit ist.«

»Das tut nichts. Er kommt heute oder morgen zu mir.«

»Bis morgen kann ich nicht warten.«

»Warum nicht?«

»Das kannst du dir doch denken!«

»Nein, gar nicht.«

»Wenn ich so teure Ware so billig verkaufe, muß es ja doch irgend eine Bewandtnis mit ihr haben.«

»Hm! Freilich wohl.«

»Ich muß sie schleunigst verkaufen, sonst kann sie mir sehr leicht verloren gehen.«

»Ist man dir auf der Spur?«

Er kniff dabei die Augen zusammen, blinzelte mich bedeutungsvoll an und machte mit den Händen die Bewegung des Ergreifens, des Festhaltens, also des Arretierens.

»Nein, das nicht. Kein Mensch ahnt bis jetzt etwas von meinem Vorhaben; aber die Ware befindet sich an einem Ort, der höchst unsicher ist.«

»Schaffe sie fort!«

»Das mag der Käufer tun.«

»Ist denn der Mann, bei dem du sie untergebracht hast, so unzuverlässig?«

»Ich habe sie bei keinem Manne.«

»Nicht? – Wo sonst?«

»Im freien Felde.«

»Allah ist groß! Wie bist du auf diesen Gedanken gekommen?«

»Nicht ich bin auf ihn gekommen, sondern andere.«

»Aber du hast deine Erlaubnis dazu gegeben?«

»Auch nicht. Es würde mir niemals einfallen, einen solchen Wert so leichtsinnig aufzubewahren.«

»So begreife und verstehe ich dich nicht.«

»Ich werde es dir im Vertrauen erklären. Du machst auf mich den Eindruck eines Mannes, der keinen andern verraten wird.«

»Nein, niemals tue ich das!«

»Gut, gut; ich glaube es dir. Du findest doch, daß dreißig Piaster sehr, sehr wenig ist?«

»Hm! Das kann ich jetzt noch nicht sagen; ich habe die Teppiche nicht gesehen.«

»Ich sage dir, daß es wenig, sehr wenig ist. Kein Anderer verkauft so billig.«

»Du wirst sie noch billiger erhalten haben!«

»Natürlich! Das versteht sich von selbst.«

»Wie viel hast du gegeben?«

»Höre, diese Frage ist keine sehr kluge. Kein Verkäufer wird dir sagen, wieviel er in Wirklichkeit profitiert; aber, wie bereits bemerkt, mit dir will ich aufrichtig sein.«

»Nun, wieviel profitierest du?«

»Dreißig Piaster, nur dreißig Piaster.«

Er blickte mich ganz verständnislos an und fragte:

»An dem ganzen Vorrate?«

»Was denkst du dir! Ich werde doch nicht so dumm sein, mit einer so kleinen Summe fürlieb zu nehmen? Nein, an jedem einzelnen Teppich verdiene ich das.«

»Das ist doch gar nicht möglich!«

»Warum nicht?«

»Du verkaufst das Stück für dreißig Piaster und verdienst grad ebensoviel daran?«

»So ist es.«

»Dann müßte dir jemand die Ware geschenkt haben.«

»Das tut kein Mensch.«

»Dann reicht mein Verstand nicht aus!«

»Laß dich das nicht anfechten; der meinige wird desto weiter reichen. Ich habe die Teppiche nicht gekauft und nicht geschenkt erhalten; ich habe sie gefunden.«

»Gefunden?« stieß er hervor.

»So ist es.«

»Wann?«

»Das ist nicht wesentlich.«

»Aber wo?«

»Hier ganz in der Nähe.«

Er erschrak auf das heftigste. Er schluckte und schluckte; es kostete ihm sichtliche Anstrengung, zu fragen:

»Hier in der Nähe? Herr, ist‘s möglich?«

»Natürlich! Ich sage es ja!«

»Darf ich den Ort erfahren?«

»Kennst du den Weg von hier nach Koschikawak?«

»Freilich kenne ich ihn!«

»Er führt an einem Gesträuch vorüber. Hat man dieses hinter sich und biegt ein wenig nach rechts ab, so gelangt man an eine Bodenvertiefung, welche ganz unzugänglich zu sein scheint, denn sie ist von einem sehr dichten Dorngestrüpp umgeben. Das ist der Ort. Da liegen die Teppiche.«

Sein Leib schien ganz erstarrt zu sein. Er machte keine Bewegung. Nur seine Brust arbeitete heftig. Der Atem wollte ihm versagen. Endlich erklang es fast röchelnd aus seinem Munde:

»Herr, das wäre wunderbar!«

»Ja, man sollte nicht denken, da auf freiem Felde einen Vorrat von teuren Teppichen zu finden. Aber es regnet ja hier so sehr selten. Grad jetzt ist die trockene Jahreszeit, und die Ware hat also vom Wetter gar nichts zu leiden.«

»Aber von den Menschen!«

»Wieso?«

»Sie kann so leicht entdeckt werden!«

»O nein. Ihr seid hier die reinen Kinder. Ihr tut heute nur das, was ihr gestern und früher getan habt. Ihr wollt heute nicht mehr wissen, als nur das, was ihr bereits vorher gewußt habt. Die Vertiefung hat stets für unzugänglich gegolten, und so wird es auch wohl schwerlich irgend einem einfallen, nachzusehen, ob sie es auch wirklich ist. Die Stacheln tun wehe.«

»Aber wie bist denn du hingekommen?«

»Zu Pferde. Du weißt, daß man sein Tier nicht stets in der Gewalt hat. So ein Geschöpf geht einmal durch, und dabei gelangt man mitten in die Dornen hinein.«

»Lanetli! Lanetli wakaa – verflucht! Verfluchter Zufall!« rief er aus.

»Wie?« fragte ich im Tone der Verwunderung. »Du ergrimmst darüber, daß ich diese Entdeckung gemacht habe?«

»Nein, o nein! Ich dachte nur daran, wie unangenehm es für jenen Mann sein muß, dem die Sachen gehören.«

»Er hätte sie besser verstecken sollen!«

»Aber, Herr, wie kommst du auf den Gedanken, nun die Teppiche zu verkaufen?«

»Ist das nicht das Vorteilhafteste, was ich tun kann?«

»Für dich, ja; aber – gehören sie dir?«

»Natürlich! Ich habe sie gefunden.«

»Das ist noch kein Grund, sie für dein Eigentum zu halten. Du mußt sie dem Besitzer lassen.«

»So mag er sich melden! Er wird sich hüten, das zu tun.«

»Er wird sie wegholen.«

»Er oder ein Anderer. Wie leicht kann ein Anderer dazukommen, der dann klüger ist, als ich! Nein, ich verkaufe sie.«

Er hatte sich von seinem Schreck erholt und geriet allmählich in Aufregung.

»Ich rate dir, es nicht zu tun!« sagte er. »Der rechtmäßige Besitzer wird schon dafür sorgen, daß er sein Eigentum nicht verliert. Du würdest ein Dieb sein, und wie ein solcher siehst du mir nicht aus.«

»Nicht? Hm! Du magst recht haben. Du hast dieses Wort grad noch im richtigen Augenblick ausgesprochen. Ein Dieb will ich allerdings nicht sein.«

»Du wirst also die Teppiche liegen lassen?«

»Ja.«

»Versprichst du es mir?«

»Warum dir? Gehören sie etwa dir?«

»Nein; aber ich möchte nicht haben, daß du deine Seele mit einem Verbrechen belastest.«

»Du bist ein braver Mann; du meinst es gut mit mir!«

»Ja. Also gib mir das Versprechen; gib mir deine Hand darauf, daß du dich an den Teppichen nicht vergreifen willst!«

»Gut! Ich will dir deinen Willen tun. Hier ist meine Hand!«

Er drückte mir die Rechte, holte erleichtert Atem und sagte dann, nach seiner Pfeife greifend:

»Allah sei gelobt! Ich habe dich vom Wege der Sünde weggerissen. Dabei ist mir der Tabak verlöscht. Gib mir noch eins von deinen Wachszünderchen!«

»Hier hast du! Es freut mich, daß du mich auf dem Pfade der Tugend erhalten hast. Die Versuchung war groß. Wir wollen dafür sorgen, daß nicht vielleicht ein Anderer ihr erliege.«

»Wie willst du das anfangen?«

»Ich werde den Fund zur Meldung bringen.«

»Allah ‚l Allah! Bei wem?«

»Bei der Behörde.«

Er legte die in Brand gesetzte Pfeife schleunigst wieder weg, schüttelte abwehrend beide Hände und sagte:

»Das ist ja gar nicht nötig, gar nicht!«

»O doch! Ich werde mich zum Kiaja begeben, der mag die Teppiche in Beschlag nehmen.«

»Was fällt dir ein? Der Besitzer wird sie schon holen!«

»Das kann meinen Beschluß nicht ändern. Es ist meine Pflicht, die Meldung zu machen.«

»Ganz und gar nicht! – Diese Sache geht dich nichts an!«

»Sehr viel sogar. Wer ein Verbrechen entdeckt, der muß es zur Anzeige bringen.«

»Wie sollte es sich hier um ein Verbrechen handeln?«

»Ein ehrlicher Mann versteckt sein Eigentum nicht im Felde; darauf kannst du dich verlassen. Und übrigens habe ich eine Ahnung, für wen die Teppiche bestimmt sind.«

»Du wirst dich täuschen!«

»O nein; ich bin meiner Sache sehr gewiß.«

»Wer soll dieser Mann sein?«

»Derselbe, den du mir vorhin als Käufer vorschlugst.«

»Du meinst den Waffenschmied?«

»Allerdings.«

»O, der hat mit dieser Angelegenheit gar nichts zu tun! Kennst du ihn etwa?«

»Nein, ich habe ihn noch nicht gesehen.«

»Wie kannst du ihn in einen solchen Verdacht nehmen? Ich habe dir nicht einmal seinen Namen genannt.«

»Den kenne ich. Er heißt Deselim.«

»Deselim? Den meine ich nicht. Ich kenne keinen Menschen, welcher diesen Namen führt.«

»So kennst du auch wohl keinen, welcher Pimosa heißt?«

»Pimosa? O, den kenne ich!«

»Woher ist er?«

»Er ist ein Serbe aus Lopaticza am Ibar. Wo hast du ihn kennen gelernt?«

»Das werde ich dir später sagen. Besucht er dich zuweilen?«

»Ja.«

»War er in der letzten Zeit bei dir?«

»Nein.«

»Weißt du, wo er gewesen ist?«

 

»Nein.«

»Hm! Bist du nicht vor ganz kurzem in Mandra und Boldschibak gewesen?«

Jetzt zeigte sein Gesicht einen ganz andern Ausdruck als vorher. Es war die ausgesprochene Fuchsphysiognomie. Dieser dicke Kerl war ein gefährlicher Mensch. Es zuckte in seinem Auge verständnisvoll auf. Er sagte:

»Ich will dir die Wahrheit gestehen: ich bin dort gewesen, und Pimosa auch.«

Der Blick, welchen er jetzt auf mich richtete, war triumphierend zu nennen. Ich aber legte ihm gleichmütig die Hand auf die Achsel und sagte lachend:

»Boschak, das hast du nicht schlecht gemacht, du alter Schlaukopf du!«

»Nicht schlecht? Wie meinst du das?«

»Nun, du errätst, daß ich mit Pimosa gesprochen habe, und zwar ganz kürzlich?«

»Das kann ich mir denken.«

»Dieses hast du nun freilich nicht schlau angefangen, du solltest es nicht eingestehen.«

»Die Wahrheit kann ich sagen!«

»Meinetwegen! Du errätst ferner, daß mir Pimosa gesagt hat, er sei in Mandra und Boldschibak gewesen, und da trittst du sofort als Zeuge auf. Wie aber nun, wenn ich dir beweise, daß du gar nicht von hier fortgekommen bist?«

»Das kannst du nicht beweisen.«

»Ich brauche nur hier nachzufragen. Man wird dich gesehen haben. Aber ich tue das nicht; ich gebe mir keine solche Mühe. Ich reite nach dem Dorfe Palatza; da werde ich wohl erfahren, wer dieser Pimosa eigentlich ist.«

Der Dicke schien unter der Farbe, die sein Gesicht bedeckte, zu erbleichen. Er sagte in möglichst zuversichtlichem Tone:

»Du wirst dort auch nichts anderes erfahren, als das, was ich dir gesagt habe.«

»O, der Roßhändler Mosklan wird mir jedenfalls bessere Auskunft erteilen! Ich sehe ein, daß mein Besuch bei dir zu Ende ist. Ich werde also zum Kiaja gehen.«

Ich stand auf. Er tat dasselbe, und zwar so schnell, daß ich genau bemerkte, daß ihm die Angst die ungewöhnliche Beweglichkeit gab.

»Herr,« sagte er, »du wirst nicht eher gehen, als bis wir einig geworden sind!«

»Einig? Worüber?«

»Ueber die Teppiche.«

»Und über den Schut, nicht wahr?«

»Allahy sewersin – um Gottes willen! Warum sprichst du von dem Schut?«

»Warum erschrickst du, wenn ich von ihm spreche? Warum sagst du, daß wir wegen der Teppiche einig werden müssen? Gehören sie denn dir?«

»Nein, nein!«

»Oder weißt du vielleicht, wer sie versteckt hat?«

»Auch nicht.«

»So kannst du vollständig beruhigt sein. Ich aber muß zum Kiaja, um ihn von meinem Funde zu benachrichtigen.«

»Du hast ja gar keinen Vorteil davon!«

»Man soll seine Pflicht ohne Eigennutz tun.«

Er befand sich in der größten Verlegenheit. Er hatte sich sogar vor die Türe gestellt, um mich nicht hinaus zu lassen. Jetzt sagte er:

»Wer bist du denn eigentlich, daß du als Fremder hierher kommst und dich um unsere Angelegenheiten kümmerst?«

»Kannst du lesen?«

»Ja.«

»Nun, so will ich dir etwas zeigen.«

Ich zog meinen Reisepaß hervor, hielt ihm denselben entgegen], aber so, daß er nur das Siegel deutlich sehen konnte, und fragte:

»Kennst du das?«

»Ja; es ist das Möhür des Großherrn.«

»Nun, so sage ich dir, daß ich das Möhür besitze und den Agenten Pimosa gefangen genommen habe.«

»Herr! Effendi! Bist du ein Polizist?« stieß er erschrocken hervor.

»Ich habe dir nicht zu antworten. Aber ich werde auch dich verhaften und ebenso Deselim aus Ismilan, sobald er hier ankommt.«

»Mich verhaften?«

»Du sagst es.«

»Warum denn?«

»Wegen der Teppiche und wegen verschiedener anderer Gründe.«

»Effendi, ich bin ein ehrlicher Mann!«

»Und doch belügst du mich?«

»Ich habe die Wahrheit gesagt!«

»Das wagst du wirklich zu behaupten? Du willst mit Eile in das Verderben gehen. Du sollst deinen Willen haben. Man wird eine große Untersuchung gegen dich einleiten; du wirst verloren sein. Und doch wollte ich dich retten. Ich kam zu dir, um dir im Vertrauen den Weg zu zeigen, welcher zur Rettung führt.«

Er hatte sich an die Scheidewand gelehnt und wußte nicht, was er sagen sollte.

»Du solltest dich jetzt sehen können,« sagte ich. »Die Schuld und die Angst kann nicht anders aussehen, als grad so wie du. Nimm deinen Mantel wieder, und folge mir zum Kiaja!«

Da erschienen seine Frau und seine Tochter. Sie hatten im Nebenzimmer gelauscht und alles gehört. Beide erhoben ein lautes Klagen und warfen mir alles mögliche vor. Der Bäcker verhielt sich ganz ruhig; er schien abzuwägen, wie er am besten handeln könne. Ich hörte die beiden Jammernden eine Weile an, dann beruhigte ich sie:

»Seid still! Ich habe ihn ja retten wollen; aber er hat nicht gewollt. Noch jetzt wäre ich bereit, von der Meldung und von der Anzeige abzusehen. Ihr seht jedoch, daß er kein Wort der Bitte spricht.«

Das brachte ihn zum Sprechen.

»Effendi,« sagte er, »was weißt du von mir?«

»Alles! Die einzelnen Punkte brauche ich dir nicht zu sagen; das ist Sache des Richters.«

»Und du meinst, daß du von der Anzeige absehen könntest?«

»Ja. Ich halte dich für keinen Bösewicht. Ich halte dich nur für den Verführten. Darum wünsche ich, mild gegen dich verfahren zu dürfen.«

»Was müßte ich denn tun?«

»Dich von den Verführern lossagen.«

»Das will ich gern tun!«

»Das sagst du jetzt; aber wenn ich fort bin, wirst du dein Versprechen nicht erfüllen.«

»Ich erfülle es. Ich kann es beschwören.«

»So verlange ich, daß du dem Pferdehändler Mosklan die Freundschaft kündigst.«

»Ich werde es ihm sagen.«

»Gut! Du wolltest ihm deine Tochter zum Weibe geben?«

»Ja.«

»Sie wird also ihren Bräutigam verlieren. Suche einen andern für sie aus!«

Er horchte auf. Er blickte die beiden Frauen und dann mich forschend an und fragte dann:

»Ihr habt miteinander gesprochen, ehe ich kam?«

»Ja,« antwortete ich der Wahrheit gemäß.

»Meinst du etwa, daß ich ihr den Sahaf Ali zum Manne geben soll?«

»Das möchte ich dir allerdings raten.«

»Wallahi! So habt ihr von ihm gesprochen?«

»Ja, und ich habe auch bereits selbst mit ihm geredet. Er ist ein braver Mann; er ist kein Verbrecher, wie jener Mosklan. Er wird deine Tochter glücklich machen. Ich habe keine Zeit, hier noch viele Worte zu machen. Ich will dir also Folgendes sagen: Ich gehe jetzt für einige Minuten hinaus, und du magst unterdessen mit deinem Weibe und mit deiner Tochter reden. Komme ich herein, und du sagst mir, daß der Sahaf dir willkommen sei, so reite ich sofort zu ihm, um ihn zu holen. Du magst ihm dann deine Unterschrift geben, und es ist alles gut. Weigerst du dich aber, so gehe ich zum Kiaja und nehme dich gleich mit zu ihm.«

Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, und dennoch kam es mir vor, als ob er viel ruhiger sei, als vorher. Weib und Kind wollten mit Bitten auf ihn einstürmen; er aber wehrte ab und fragte mich:

»Du willst also den Sahaf holen?«

»Ja.«

»Du willst zu ihm nach Kabatsch reiten?«

»Natürlich, wenn ich ihn holen will!«

»Und wenn ich ihm dann meine Unterschrift gebe, wirst du über alles schweigen?«

»Wie das Grab!«

»Ueber den Schut und über den Pferdehändler?«

»Ja.«

»Auch von den Teppichen wirst du nichts sagen?«

»Einem nur werde ich es sagen.«

»Wem?«

»Dem Sahaf. Der mag dann machen, was er will.«

»Er wird schweigen, wenn ich ihm meine Tochter gebe. Sage mir, wann du nach Kabatsch reiten willst.«

»Sobald du dich entschieden hast. Ich habe keine Zeit zu versäumen. Also ich gebe dir einige Minuten Frist. Ueberlege dir die Angelegenheit!«

Ich ging hinaus zu meinem Pferde. Ich hatte beim Verlassen der Stube gehört, daß Mutter und Tochter sofort mit Bitten auf ihn eindrangen, und war meiner Sache gewiß. Es blieb ihm, meiner Ansicht nach, nichts übrig, als nachzugeben, und ich freute mich königlich darauf, dem Sahaf schon nach so kurzer Zeit eine so frohe Nachricht bringen zu können.

Zwar fragte ich mich, ob es nicht meine Pflicht sei, Anzeige zu machen; doch gab es auch gute Gründe, dies zu unterlassen. Ich war ja noch gar nicht überzeugt, ob die Teppiche auch wirklich Schmuggelgut seien. Sie wurden es vielleicht erst an der serbischen Grenze. Uebrigens hielt ich den Sahaf für einen ehrlichen Menschen und dachte mir, daß er nach seinem Gewissen handeln werde, sobald ich ihm alles mitgeteilt haben würde.

Ich ging eine kurze Strecke vom Hause fort. Es war mir, als ob ich einen Ruf vernommen hätte. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß der Gehilfe nach einer der Fensteröffnungen ging; dort sprach der Bäcker mit ihm.

Was ging mich das an? Er hatte ihm wohl eine geschäftliche Weisung zu erteilen. Einige Minuten später hörte ich Hufschlag. Ich sah keinen Reiter; es fiel mir gar nicht ein, Verdacht zu schöpfen. Leider aber war mir die Erfahrung vorbehalten, daß ich unvorsichtig gewesen sei. Der Bäcker hatte seinen Gehilfen fortgeschickt, um mir eine Falle zu stellen. Das Mädchen hatte den Kibitzmenschen schlau genannt. Er war es auch. Er war so vom Hause fortgeritten, daß dieses zwischen ihm und mir lag und ich seine Entfernung also gar nicht bemerken konnte.

Ich wartete ungefähr eine Viertelstunde, dann kehrte ich in die Stube zurück. Dort bat mich die Frau, ihrem Mann noch eine kleine Frist zu gestatten. Es sei ihm doch sehr schwer, einen Entschluß zu fassen, da er nicht wisse, wie er von Mosklan ohne Schaden loskommen könne.

Ich erfüllte ihr die Bitte und ging wieder hinaus. Dort wartete ich, bis ich gerufen wurde. Der Bäcker kam mir entgegen und sagte:

»Effendi, du hast recht; ich werde tun, was du mir geraten hast. Willst du den Sahaf holen?«

»Ja; ich reite sogleich.«

»Und willst du dann für heute und die nächsten Tage unser Gast sein?«

»Ich danke! Das ist unmöglich. Ich muß fort.«

»Wohin reitest du?«

»Weit fort, nach dem Abendlande, wo meine Heimat ist.«

Daß ich dies sagte, war ein sehr großer Fehler, wie ich später erfahren sollte.

»So komme wenigstens jetzt in das Meharrem; dieses ist nur das Selamlük. Ich muß dir etwas zeigen.«

Er war so nachgiebig, und die beiden Frauen strahlten vor Glück. Ich konnte ihm die Bitte nicht abschlagen und trat mit ihnen in den zweiten Raum, welcher allerdings auch nicht viel anders ausgestattet war als der erste. Die Tochter entfernte sich auf einige Augenblicke und brachte einen Gegenstand, welcher in Werg eingeschlagen und mit Schnüren umwunden war.

»Rate, was das ist, Effendi?« sagte er.

»Wer soll das raten können? Sage es.«

Er entfernte das Werg. Es kam eine Flasche zum Vorschein.

»Das ist der Saft der Weinbeere,« sagte er. »Darfst du ihn trinken?«

»Ich darf; aber laß ihn in der Flasche. Erquickt euch selbst damit.«

»Das ist uns verboten. Dieser Wein ist aus Griechenland. Ich erhielt ihn von einem Handelsmanne und habe ihn aufgehoben, bis einmal jemand kommen werde, der ihn trinken darf.«

Ich blieb bei meiner Weigerung; das schien ihn zu kränken. Er besann sich eine Weile; dann sagte er:

»Wenn du ihn verschmähst, will ich ihn nicht länger bei mir haben. Tschileka, wollen wir ihn dem armen, kranken Saban geben?«

Sie stimmte sofort bei und fragte ihn, ob sie nicht auch ein wenig Gebäck beifügen solle. Er erlaubte es ihr und wendete sich dann an mich:

»Aber, Effendi, wenn der Arme diese Gabe bekommen soll, mußt du uns einen Gefallen tun!«

»Gern, wenn ich kann. Wer ist dieser Saban?«

»Er ist Zeit seines Lebens Besenbinder gewesen, jetzt aber gar ein Bettler geworden, da er krank ist und nicht mehr arbeiten kann. Er lebt von der Wohltätigkeit derjenigen, welche Allah mit Nahrung gesegnet hat.«

»Ja, er ist ein Bettler und erhält von uns zuweilen eine Gabe,« wiederholte die Tochter. »Er wohnt in einer Hütte mitten im Walde, auf halbem Wege zwischen hier und Kabatsch.«

Schon die Wiederholung mußte mir auffallen, noch mehr aber der Ton, in welchem diese Worte gesprochen worden. Sie war dem Vater hastig in die Rede gefallen; ich merkte, daß sie meine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte. Sie stand seitwärts hinter dem Bäcker, und als ich nun zu ihr hinblickte, erhob sie warnend den Zeigefinger der rechten Hand, ohne daß ihr Vater es sah.

»Was ist es für ein Wald?« fragte ich in unbefangener Weise.

»Es sind lauter Eichen und Buchen,« antwortete der Bäcker. »Nur zuweilen befindet sich eine Tanne oder eine Cypresse darunter. Soll ich dir den Weg vielleicht genau beschreiben?«

»Ich bitte dich darum.«

»Du reitest von hier aus nach Südwest, immer den Wagengleisen nach, welche dich zur hohen Ebene führen. Dort gehen diese Gleise nach Süden ab, in der Richtung von Terzi Oren und Ireck; aber du wirst Spuren finden, welche dich rechts nach einem Bache bringen, welcher unterhalb Kabatsch in den Söüdlü fließt. Nicht weit von der Stelle, an welcher du diesen Bach erreichst, befindet sich ein freier Platz, an dessen Rande die Hütte Sabans liegt.«

 

»Dort wohnt er allein?«

»Ja.«

Ein Bettler und so allein im Walde, das war auffallend. Dazu das Benehmen der Tochter. Ich hatte jedenfalls Veranlassung, sehr vorsichtig zu sein.

»Und du meinst, daß ich ihn antreffen werde?« erkundigte ich mich.

»Ja. Er kann nicht ausgehen, wie ich gehört habe. Er soll krank sein. Deshalb sende ich ihm die Gaben.«

»Und welchen Gefallen meintest du vorhin, den ich dir da tun soll?«

»Würdest du diese Sachen mitnehmen, um sie ihm zu bringen?«

»Gern; packe sie mir ein!«

Er tat dies. Unterdessen ging die Tochter hinaus und gab mir dabei einen verstohlenen Wink. Ich folgte ihr nach und traf sie hinter dem Hause.

»Du hast mir etwas zu sagen?« fragte ich.

»Ja, Effendi. Ich warne dich.«

»Vor wem und warum?«

»Dieser Bettler ist kein guter Mensch. Nimm dich vor ihm in acht.«

»Denkst du, daß dein Vater eine böse Absicht gegen mich hegt?«

»Ich weiß gar nichts. Ich muß nur sagen, daß ich den Bettler nicht liebe, weil er ein Feind des Sahaf ist.«

»Hm! Deine Mutter wollte mir etwas für diesen letzteren mitgeben. Dein Vater sollte nichts davon wissen.«

»Das hat sich erledigt, Effendi. Sie hat dir nicht sofort sagen wollen, daß es eine Botschaft ist. Er sollte – —«

Sie stockte errötend und blickte zu Boden.

»Nun, was sollte er denn, liebe Ikbala?«

»Er sollte heut abend – zur – — zur Mutter kommen.«

»Zur Mutter? Aber nicht in eure Wohnung?«

»Nein, Effendi.«

»Wohin denn?« fragte ich in allerdings zudringlicher Weise mit dem größten Ernste.

»Er sollte draußen am Wasser warten.«

»So, so! Deine liebe Mama pflegt also dem Sahaf zuweilen ein kleines Stelldichein zu geben?«

»Ja,« antwortete sie so naiv ernst, daß ich nun doch lachen mußte.

»Und du bist wohl die Beschützerin dieser schönen Zusammenkünfte?« fragte ich.

»O, Effendi, du weißt wohl recht gut, daß er nicht zur Mutter kommt, sondern zu mir!«

»Ja, ich kann es mir wohl denken. Und da ich ihn heut zu euch bringen will, so braucht deine Mutter mir nun die Botschaft nicht zu geben, welche für ihn bestimmt war?«

»So ist es, Effendi. Dein Vorhaben ist so gut; es erfüllt mein Herz mit Freude. Allah gebe, daß es gelingt!«

»Es wird auch den Sahaf mit Freude erfüllen. Er hat dich, als ich mit ihm sprach, die Schönste in Rumili genannt, und so – —«

»Ist das wahr?« fiel sie mir hastig ins Wort.

»Ja, so sagte er.«

»O, er ist ein großer Schmeichler und Uebertreiber.«

»Nein, er hat nicht übertrieben. Du bist noch süßer als der Most, welchen du bereitest. Aber du sagtest, Allah möge geben, daß mein Vorhaben gelinge. Kannst du noch im Zweifel sein? Dein Vater hat doch seine Zustimmung gegeben!«

»Dir hat er sie gegeben; aber es kommt mir vor, daß er es nicht ernstlich meine. O, Effendi, ich ahne eine Gefahr. Beschütze meinen Sahaf!«

»Was könnte ihm denn drohen?«

»Ich weiß es nicht; aber du und er, ihr habt euch sehr in acht zu nehmen, und ich würde viele, viele Tränen vergießen, wenn ihm ein Leid geschähe.«

»Ihm! Um mich aber würdest du wohl nichts vergießen?«

»Du bist ja fremd!«

Sie sagte das so aufrichtig, und das war so spaßig, daß ich herzlich lachen mußte.

»Na,« erwiderte ich, »wenn du nur um ihn weinst, so sage wenigstens deiner Anajah, daß sie, falls uns ein Unglück geschieht, auch um mich zwei oder drei Tränentropfen vergießen möge. Jetzt aber gehe wieder hinein, damit dein Vater nicht bemerkt, daß wir heimlich miteinander gesprochen haben. Auch ich traue ihm nicht.«

»Effendi, ich werde dich von weitem beschützen!«

Sie ging. Ihre Worte schienen mir ganz ohne Sinn zu sein, doch erfuhr ich später, daß es ihr doch möglich geworden war, dieses Versprechen zu halten.

Ich band mein Pferd los und wartete. Nach kurzer Zeit kam der Bäcker und brachte mir die für den Bettler bestimmten Gaben.

»Wo ist dein Weib und deine Tochter?« fragte ich so obenhin, ihn dabei aber verstohlen beobachtend. »Soll ich nicht von ihnen Abschied nehmen?«

»Du kommst ja wieder, Herr,« antwortete er.

Dabei glitt es so verschlagen und schadenfroh über sein fettes Antlitz, daß ich ihm sogleich die Hand auf die Achsel legte und im ernsten Tone sagte:

»Meinst du, ich bemerke nicht, daß deine Worte eine Ironie enthalten?«

Sofort nahm sein Gesicht den Ausdruck erstaunter Aufrichtigkeit an. Er blickte mich kopfschüttelnd an und sagte:

»Ich verstehe dich nicht. Ich will doch nicht hoffen, daß du mich für einen Lügner hältst?«

»Hm! In meinem Heimatlande gibt es ein Sprichwort, welches sagt, daß man keinem Menschen trauen soll, der geschlitzte Ohren besitzt.«

»Beziehst du das auf mich?« fragte er im Tone des Gekränkten.

»Ich sehe, daß du einen Schlitz an jedem Ohre hast.«

»Das ist kein Zeichen, daß ich dich täusche. Früher waren meine Ohren unversehrt. Ich bin ein Bekenner des Propheten und schwöre dir beim Barte Mohammeds, daß wir uns wiedersehen werden, wenn du nicht selbst darauf verzichtest.«

»Ich verzichte nicht und hoffe, daß dieses Wiedersehen ein freundliches sein werde. Fände das Gegenteil statt, so könnte dir leicht etwas passieren, was dir nicht lieb ist.«

Ich hatte während dieses sehr freundschaftlichen Gespräches das von ihm empfangene Paket an dem Sattel befestigt, war aufgestiegen und ritt nun davon.