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In den Schluchten des Balkan

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Ich zog also die beiden Revolver hervor, und begann, das Haus an seiner Außenseite zu untersuchen. Es war einstöckig und lang gestreckt. Die Türe war verschlossen. Ich klopfte mehrere Male vergebens. Links von ihr fand ich drei ebenfalls verschlossene Fensterläden, in dieser Gegend eine Seltenheit. Rechts von ihr fand ich eine zweite, viel breitere Türe, die mit einem Hängschlosse versehen war. Daneben aber standen und lagen verschiedene landwirtschaftliche und andere Gegenstände, die mir die Gewißheit gaben, daß das Haus eine Schmiede sei.

Ich ging weiter – um die Ecke herum. Ich fand aufgehäuftes Holzwerk, das jedenfalls zum Verbrennen bestimmt war. Hinter dem Hause gab es ein kleines Viereck, eingezäunt mit Pfählen, die in die Erde gestampft waren, so wie man es in deutschen Dörfern für Schweine oder Gänse herzustellen pflegt. Das Viereck schien leer zu sein, denn es war nicht die mindeste Bewegung zu bemerken.

Und dennoch schnaufte grad hier mein Rappe weit mehr und ängstlicher als vorher. Er schien sich zu scheuen, ganz an die Umzäunung heranzutreten.

Ich will nicht sagen, daß dies mir geradezu verdächtig vorgekommen sei, aber es war mir doch eine Veranlassung, meine Vorsicht zu verdoppeln. Das Haus war verschlossen, also bewohnt. Sollte man aber eine Wohnung in solcher Gegend und des Nachts ohne alle Aufsicht lassen? Es war leicht möglich, daß hier wenigstens etwas Ungewöhnliches vorgekommen sei, und ich nahm mir vor, die Sache weiter zu untersuchen.

Da mir das Pferd dabei nur hinderlich war und es auch leicht in eine unvorhergesehene Gefahr kommen konnte, so mußte ich das wertvolle Tier sichern. Ich brauchte zum Anhobbeln[27] weder Pflock noch Lasso, weder Strick noch Riemen; vielmehr ließ ich es mit den Vorderbeinen in die Zügel treten. Es war dadurch so gefesselt, daß es sich nicht weit entfernen konnte, selbst wenn es dies ganz gegen seine Gewohnheit hätte tun wollen. Und sollte es ja während meiner Abwesenheit in irgend einer Weise bedroht werden, so war ich überzeugt, daß es sich mit den Hinterhufen auf das tapferste zur Wehre setzen werde.

Nun erst trat ich ganz an die Umpfählung heran und zog eines der Wachshölzchen hervor, von denen ich mir in einer Spezereihandlung in Edreneh einen kleinen Vorrat gekauft hatte. Ich brannte es an und leuchtete über die Umzäunung hinein.

Da lag ein Tier, riesig groß und lang und dicht behaart, grad wie ein Bär. Das Flämmchen erlosch; es war nun wieder dunkel. Welch ein Tier war das? War es lebendig oder tot? Ich nahm die Büchse herab und stieß es an. Es regte sich nicht. Ich stieß kräftiger, und dennoch blieb es unbeweglich. Das war nicht Schlaf, sondern Tod.

Ich stieg, da mir die Sache nun doch verdächtig vorkam, über die ungefähr vier Fuß hohen Pfähle, bückte mich nieder und befühlte das Tier. Es war kalt und steif, also tot. Das Fell war an mehreren Stellen klebrig. War das Blut?

Ich betastete den Körper. Ein Bär war es nicht, denn ich fühlte einen langen, zottigen Schwanz. Man sagt zwar, daß es auf den Höhen des Despodo-Dagh, Schar-Dagh, Kara-Dagh und Perin-Dagh noch vereinzelt Bären gebe. Ich will das nicht in Abrede stellen; aber wie sollte sich ein solcher grad hierher verlaufen haben, um in dieser Verzäunung zu verenden? Und wäre er in dieser Umgegend erlegt worden, so hätte man ihn gewiß nicht hier herein geworfen, ohne ihm vorher das Fell zu nehmen, ganz von dem sehr brauchbaren Fleisch abgesehen.

Um zu sehen, mit welcher Art von Tieren ich es zu tun habe, fühlte ich nun nach den Ohren. Sapristi! Der Kopf des Tieres war zerschmettert, und zwar so, daß es eines sehr schweren Instrumentes bedurft hatte!

Ich brannte ein zweites Hölzchen an und sah nun, daß das erschlagene Tier ein allerdings wahrhaft riesiger Hund war, wie ich noch keinen gesehen hatte.

Wer hatte ihn erschlagen, und warum war dies geschehen? Der Besitzer des Tieres hatte es jedenfalls nicht getan. Und ein Fremder, der so etwas tut, kann dabei keine andere als nur eine böse Absicht verfolgen.

Ich begann zu ahnen, daß hier ein Verbrechen begangen worden sei. Zwar drängte sich mir die Frage auf, was das grad mich angehe, und warum grad ich mich in Gefahr begeben solle; aber ich hatte Grund, zu vermuten, daß die Schmiede dem Bruder des Rosengärtners gehöre, und da fühlte ich denn doch die Verpflichtung, die Sache näher zu untersuchen.

Wenn ich dabei an Gefahr dachte, so geschah dies wohl mit vollem Recht. Die Täter konnten sich ja noch im Hause befinden. Vielleicht verhielten sie sich ruhig, weil sie den Hufschlag meines Pferdes gehört und also meine Ankunft bemerkt hatten.

Wie aber an sie kommen? Sollte ich die Ankunft meiner Gefährten erwarten? Was konnte bis dahin im Innern des Hauses geschehen! Nein, ich mußte handeln.

Ich hatte die vierte Seite, die westliche Giebelseite des Hauses, noch nicht untersucht. Ich schlich mich leise hin und bemerkte dort zwei Läden; der eine war von innen befestigt, der andere aber – — ließ sich öffnen.

Ich überlegte.

Wollte ich einsteigen, so konnte ich augenblicklich eine Kugel vor den Kopf erhalten. Doch just der Umstand, daß von den vorhandenen fünf Läden – denn drei befanden sich auf der vordern Seite – nur dieser eine nicht befestigt war, ließ mich vermuten, niemand befinde sich im Innern. Um die Entdeckung möglichst hinauszuschieben, hatte man alles verschlossen und war dann durch dieses Fenster gestiegen, dessen Laden man also nur hatte fest andrücken, aber nicht von innen befestigen können.

Dennoch befand ich mich in einer mehr als heiklen Lage.

Ich zog den Laden leise so weit auf, daß ich für meinen Arm Platz fand, und langte hinein. Fenster sind in dieser Gegend selten, und darum fand ich auch, was ich erwartet hatte, nur eine fensterähnliche Oeffnung, die weder durch Glas, noch durch einen andern Gegenstand versperrt war.

Ich lauschte. Es war mir, als ob sich innen ein dumpfes, unterdrücktes Gepolter vernehmen ließe. Befand sich doch jemand im Hause? Sollte ich rufen? – Nein.

Ich kehrte zur andern Giebelseite zurück und holte einen Arm voll des Geästes, welches ich dort bemerkt hatte. Ich machte ein dichtes Bündel, setzte es in Brand und warf es durch das Fenster. Mich vorsichtig an die Seite haltend, blickte ich hinein.

Das Gebäude war nicht hoch; die Fensteröffnung lag sehr niedrig; die Reiser brannten hell, und ich erblickte einen großen, viereckigen Raum, dessen Fußboden aus hart geschlagenem Lehm bestand, und rundum diejenigen Gegenstände, welche man in einer armen, rumelischen Wohnung zu finden pflegt. Von einem menschlichen Wesen keine Spur!

Ich warf mehr Reiser auf das Feuer, nahm meinen Fez vom Kopfe, stülpte ihn auf den Büchsenlauf und schob ihn langsam in die Oeffnung. Das sah von drinnen jedenfalls so aus, als ob ich hineinsteigen wolle.

Ich wollte damit die etwa drinnen Versteckten verführen, sich zur Wehre zu setzen; aber es regte sich nichts.

Da zog ich die Büchse zurück, lehnte sie mit dem Stutzen, da beide mich nur hindern konnten, an die Mauer, setzte den Fez wieder auf – ein Schwung, und ich hatte den Oberkörper im Innern. Ich war bereit gewesen, ihn schnell wieder zurückzuziehen; aber dieser erste Blick genügte, mir zu zeigen, daß sich kein feindliches Wesen in dem Raume befand.

Nun stieg ich vollends hinein, langte hinaus, um meine Gewehre hereinzunehmen, und blickte mich um.

In diesem Augenblick wiederholte sich das vorhin erwähnte Poltern. Dies war für mich um so beunruhigender, als das Feuer, welches überdies einen scharfen, in die Augen beißenden Qualm verbreitete, erlöschen wollte. Ich freute mich daher, als ich in einer Ecke ein Häufchen langer Späne bemerkte, das hier vielleicht gebräuchliche Beleuchtungsmaterial.

Ich brannte einen Span an und steckte ihn in ein Mauerloch, welches jedenfalls zu diesem Zweck diente, wie ich an der rauchgeschwärzten Umgebung desselben bemerkte. Dann zog ich den Laden zu und band ihn mittels der an ihm befindlichen Schnur fest, um nach außen hin gesichert zu sein.

Mit einem zweiten angezündeten Span begann ich nun den Raum zu untersuchen.

Die Mauern bestanden aus festgestampfter Erde. Sie faßten die Stube auf drei Seiten ein, während die vierte Seite von einem von der Decke bis zum Boden herabreichenden Strohgeflecht gebildet wurde, in welchem sich eine Oeffnung zum Passieren befand.

Als ich nun durch diese Oeffnung trat, sah ich mich in einer kleineren Abteilung, deren Boden zum Teil durch eine aus Weidengeflecht verfertigte Falltüre gebildet wurde. Gab es hier einen Keller? Das war ja in einem solchen Hause etwas Seltenes!

Und jetzt hörte ich das vorige Geräusch. Es war raschelnd und polternd und kam unter der Falltüre hervor.

Ich holte mir noch mehrere Späne und hob dann die Türe empor. Das Weidengeflecht derselben konnte einen Menschen tragen, ohne durchzubrechen, weil es über Pfosten befestigt war. Ich leuchtete hinab. Der Span brannte so düster, daß ich nur mit Mühe bemerken konnte, daß der Keller über Mannestiefe hatte.

Eine Treppe oder Leiter sah ich nicht. Doch sobald der Schein des Lichtes hinabfiel, ließ sich unten ein sehr deutliches Stöhnen vernehmen.

»Kün aschaghda – wer ist da unten?« fragte ich laut.

Ein doppeltes Stöhnen antwortete. Das klang gefährlich. Ich konnte nicht ewig nach einer Leiter suchen. Ich nahm den brennenden Span in die eine und die andern Späne in die zweite Hand und sprang hinab.

Ich trat mit den Füßen auf einen unten liegenden Gegenstand und stürzte hin. Das Licht erlosch. Aber in einigen Sekunden hatte ich den Span wieder angebrannt und leuchtete umher.

 

Ich befand mich in einem viereckigen, kellerartigen Loch und erkannte in dem Gegenstand, auf den ich gesprungen war, eine Leiter. Da unten lagen Holzkohlen neben allerlei Gerümpel, und beides, die Kohlen und das Holzgerümpel, bewegte sich.

Ich fand ein für den Span bestimmtes Loch, steckte ihn hinein und begann die Kohlen zur Seite zu räumen. Meine Hände trafen auf eine menschliche Gestalt, welche ich hervorzog. Es war ein Mann, an Händen und Füßen gebunden; der Kopf war fest in ein Tuch eingewickelt.

Rasch löste ich den Knoten des Tuches, und nun kam ein blauschwarzes Gesicht zum Vorschein, welchem ich bei der mangelhaften Beleuchtung nicht anmerken konnte, ob diese Färbung eine Folge von Ruß und Kohlen oder des nahe gewesenen Erstickungstodes sei. Der Mann holte tief und keuchend Atem, starrte mich mit weit hervorgetretenen, blutunterlaufenen Augen an und stöhnte dann:

»Ha, zu Hilfe! Habe Gnade, Gnade!«

»Sei ruhig; ich bin dein Freund!« antwortete ich, »ich bringe dir Rettung!«

»Rette vorher geschwind mein Weib!« stieß er hervor.

Der brave arme Kerl dachte mehr an seine Frau als an sich.

»Wo ist sie?«

»Dort!«

Er konnte mit seinen gefesselten Händen keine Bewegung machen; aber sein Blick war voll Angst auf einen zweiten Kohlenhaufen gerichtet, welcher mit dem erwähnten Gerümpel belastet war.

Ich räumte dasselbe weg und zog die Frau hervor, welche ganz ebenso wie ihr Mann gebunden war. Als ich das Tuch von ihrem Gesicht entfernt hatte, bemerkte ich einen dicken Schaum vor ihrem Mund. Sie war dem Ersticken nahe gewesen.

»Zu Hilfe, zu Hilfe!« erklang es gurgelnd.

Ihr Körper bewegte sich in krampfhaften Zuckungen. Ich schnitt mit dem Messer die Stricke durch. Sie warf die Arme wie eine Ertrinkende um sich, stampfte mit den Füßen und schnappte nach Luft.

Diese Bewegungen waren dem Atmen förderlich. Ein heiserer Schrei entrang sich ihrer Brust, und dann schöpfte sie in einem langen, langen Zuge den entbehrten Odem.

Nun schnitt ich auch die Fesseln ihres Mannes durch. Er hatte nicht so viel gelitten wie sie und richtete sich sofort empor. Während ich einen neuen Span ansteckte, rief er aus:

»O Gott! Wir waren dem Tode nahe! Ich danke dir; ich danke dir!«

Dann kniete er zu seiner Frau nieder, die zum Erbarmen schluchzte.

»Still, still; weine nicht!« bat er sie. »Wir sind frei!«

Er nahm sie in die Arme und küßte ihr die Tränen von den Wangen. Sie umschlang ihn und schluchzte weiter. Ohne mich jetzt zu beachten, sprach er ihr beruhigend zu, bis ihr leiser und leiser werdendes Weinen ganz aufgehört hatte. Dann richtete er sie auf und wendete sich wieder zu mir, da ich unterdessen beschäftigt gewesen war, das Licht mittels neu aufgesteckter Späne zu unterhalten.

»Herr,« sagte er, »du bist unser Befreier, unser Retter. Wie sollen wir dir danken! Wer bist du, und wie ist es dir gelungen, uns zu finden?«

»Das sind mehrere Fragen,« antwortete ich, »die ich euch oben beantworten werde. Kann deine Frau jetzt wieder gehen?«

»Ja, sie wird es können.«

»So laß uns nach oben steigen, ich darf nicht zu lange unten sein.«

»Hast du Gefährten oben?«

»Nein. Aber ich erwarte einen Reiter, den ich nicht hier vorüberlassen darf.«

»So wollen wir hinauf; dann können wir weiter sprechen!«

Ich lehnte die Leiter an und wir stiegen hinauf, die Frau allerdings mit sichtlicher Anstrengung. Ich hatte ein Lager bemerkt, welches sich in der größeren Abteilung befand, und riet ihr, sich von der gehabten Aufregung auszuruhen. Sie war so angegriffen, daß sie, ohne mir zu antworten, sich sogleich niederlegte.

Er beruhigte sie abermals durch einige Worte und streckte mir dann die Hand entgegen.

»Sei willkommen!« sagte er. »Allah hat dich gesandt. Darf ich erfahren, wer du bist?«

»Ich habe jetzt keine Zeit zu vielen Worten. Sage du mir aber, wie du heißest?«

»Man nennt mich Schimin.«

»So bist du der Bruder von Jafiz, dem Gärtner?«

»Ja.«

»Das ist gut! Ich habe dich gesucht. Mache schnell Feuer in deiner Schmiede!«

Er blickte mich überrascht an und fragte:

»Hast du eine dringende Arbeit für mich?«

»Nein; aber dein Herdfeuer soll über die Straße leuchten.«

»Warum?«

»Damit der Reiter, von dem ich sprach, nicht vorüber kann, ohne von uns gesehen zu werden.«

»Wer ist er?«

»Nachher, nachher! Beeile dich!«

Aus der kleinen Abteilung, in der sich die Kellertüre befand, die wir natürlich wieder zugemacht hatten, führte die Haustüre in das Freie. Sie war durch einen einfachen Holzriegel verschlossen. Wir schoben diesen zurück und traten hinaus. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete das an der Türe zur Schmiede hängende Vorlegeschloß. Bald brannte auf dem Herd ein Feuer, das seinen Schein weit in die Nacht hinaus warf. Das war es, was ich zunächst gewollt hatte.

Während er sich mit dem Herd beschäftigt hatte, war ich hinter das Haus gegangen, um nach meinem Pferde zu sehen. Es befand sich noch in nächster Nähe des Hauses, und ich kehrte beruhigt zu dem Schmied zurück.

»Da brennt das Feuer,« sagte er. »Was befiehlst du noch?«

»Komm fort, aus dem Bereiche des Lichtscheines! Wir wollen uns hier neben die Türe setzen, wo es dunkel ist.«

Ich hatte nämlich vorhin beim Rekognoszieren einen Holzklotz bemerkt, der in der Nähe der Türe lag und jedenfalls als Ruhebank diente. Dorthin zog ich den Mann. Wir setzten uns nebeneinander, und dann sagte ich:

»Besprechen wir zunächst das Notwendige! Es wird – vielleicht sehr bald – ein Reiter hier vorüber kommen, mit dem ich zu reden habe, ohne daß er vorher meine Anwesenheit ahnen darf. Er wird höchst wahrscheinlich hier anhalten, um dir einige Fragen vorzulegen. Ich bitte dich, ihn so weit zu bringen, daß er absteigt und mit dir in das Haus tritt.«

»Du bist mein Retter; ich werde tun, was du verlangst, auch ohne zu wissen, warum du es von mir forderst. Aber weißt du vielleicht, welche Fragen er aussprechen wird?«

»Ja. Er wird fragen, ob hier drei Reiter vorüber gekommen sind.«

»Drei Reiter?« fragte er rasch. »Wann?«

»Wohl heute am Vormittag.«

»Was für Reiter?«

»Er fragt nach zwei weißen und einem dunklen Pferde. Sie haben aber unterwegs das letztere gegen einen Schimmel vertauscht.«

»Also reiten sie drei Schimmel?«

»Ja.«

»Hascha – Gott behüte! Du meinst doch nicht etwa gar diesen Manach el Barscha aus Uskub?«

Er war bei diesen Worten in plötzlicher Erregung von seinem Sitze aufgesprungen. Im nächsten Augenblick stand auch ich auf den Beinen, so sehr hatte seine Frage mich frappiert. Sie kam mir ganz unerwartet.

»Kennst du ihn?« erkundigte ich mich.

»Tschokdan, tschokdan – schon längst, seit langer Zeit! Und erst heute war er bei mir!«

»Ah! Er war bei dir?«

»Ja. Er und seine beiden Begleiter waren es ja, welche mich überrumpelten und banden und hinunter in den Keller brachten, wo ich mit meinem Weibe hätte ersticken müssen, wenn du nicht gekommen wärest!«

»Die waren es! Also diese! Nun, so will ich dir sagen, daß derjenige, den ich erwarte, ihr Verbündeter ist.«

»Ich erschlage ihn! Ich ermorde ihn!« knirschte er.

»Ich will ihn gefangen nehmen.«

»Herr, Effendi – — wie soll ich dich nennen? Du hast mir noch nicht gesagt, wer du bist.«

»Nenne mich Effendi!«

»Also, Effendi, ich helfe dir, wenn du dich seiner bemächtigen willst.«

»Gut! Zwar weiß ich nicht ganz genau, ob wir ihn hier noch zu sehen bekommen werden; er kann bereits vorüber sein. Und du wirst ihn auch nicht beachtet – — ah, seit wann habt ihr im Keller gesteckt?«

»Seit kurz vor dem Mittag.«

»So kannst du ihn nicht gesehen haben, selbst wenn er vorbeigeritten wäre, und – —«

»Soll ich mich erkundigen?« fiel er schnell ein.

»Wo? Bei wem?«

»Ich eile ins Dorf und frage den alten Jemischdschi, der bis nach Anbruch des Abends bei seinen Körben an der Straße sitzt.«

»Wie lange wird es währen, bis du zurückkommst?«

»Nur zehn Minuten. Der Ort liegt ganz in der Nähe.«

»Aber ich bitte dich, noch zu verschweigen, was dir heute geschehen ist!«

»Ich werde, wenn du es wünschest, nicht davon sprechen.«

»So beeile dich!«

Ich beschrieb ihm in kurzen Worten den Reiter, so wie derselbe mir beschrieben war, und dann eilte er fort. Die angegebene Zeit war noch nicht vergangen, so kehrte er zurück.

»Er ist noch nicht vorüber,« meldete er mir.

Er trat zunächst in die Schmiede, um dem Feuer neue Nahrung zu geben; dann setzte er sich wieder neben mich.

»Jetzt nun sage mir, wie es dir heute ergangen ist!« forderte ich ihn auf.

»Schlecht, sehr schlecht!« antwortete er. »Ich stand bei meiner Arbeit in der Schmiede; da kamen die drei Reiter und blieben bei mir halten. Der eine, den ich nicht kannte, sagte mir, daß sein Pferd ein Nal[28] verloren habe. Ich bin nicht nur Demirdschi[29], sondern auch Nalband[30], Effendi, und war sogleich bereit, ihm ein neues Nal zu schmieden. Ich hatte mir nur ihn angesehen; aber während der Arbeit fiel mein Blick auf die beiden, die bei ihm waren, und da erkannte ich in dem einen den Steuereinnehmer Manach el Barscha aus Uskub.«

»Kannte er auch dich?«

»Ja.«

»Wo habt ihr euch denn kennen gelernt?«

»Vor vier Jahren in Raslug. Du mußt nämlich wissen, daß ich alle und jede Krankheit der Pferde kenne und auch die Arznei dafür. In Raslug und in der Umgegend war ein großes Sterben unter den Pferden ausgebrochen, und weil niemand helfen konnte, wurde ich geholt. Ich wohnte als Gast bei einem reichen Pferdehändler, der über 100 Pferde stehen hatte. Zu diesem kam Manach el Barscha, um ein Roß zu kaufen. Es wurden ihm mehrere vorgeführt. Eines davon hatte sich eine Erkältung zugezogen; es ließ den Speichel fließen. Der Steuereinnehmer sagte, es sei nicht der Schnupfen, sondern die böse Rotzkrankheit, und er werde bei der Gesundheitspolizei Anzeige machen. Er hätte von dem Händler gern ein Pferd als Preis des Schweigens erpreßt. Ich wurde gerufen und sagte, welche Krankheit es sei. Er stritt mit mir und schlug mich schließlich sogar mit seiner Reitpeitsche. Ich gab ihm dafür eine gewaltige Maulschelle, eine Ohrfeige, wie er wohl noch keine bekommen hatte; denn die Hand eines Schmiedes ist wie Horn und Knochen. Er ging wütend fort und zeigte mich an. Er war Steuereinnehmer, ich aber nur ein armer Schmied. Ich bekam zwanzig Hiebe auf die Fußsohlen und mußte auch noch fünfzig Piaster Strafe zahlen. Ich lag mehrere Wochen krank, ehe ich in die Heimat zurückkehren konnte. Du wirst mir glauben, daß ich ihn nicht lieben kann.«

»Das läßt sich denken!«

»Heute schlug ich dem Pferde das Eisen auf. Er beobachtete mich mit finstern Blicken und fragte mich dann, als ich fertig war, ob ich ihn noch kenne. Ich sagte ja, denn ich dachte nicht, daß dies mir schaden würde. Er sprach mit den andern einige Worte, und dann traten sie in das Haus herein. Ich war allein, denn mein Weib befand sich auf dem Felde, um Spinat für das Mittagessen zu holen. Was hatten die drei in der Stube zu suchen? Ich schloß die Schmiede zu, obgleich das Feuer noch brannte, und folgte ihnen. Aber kaum war ich eingetreten, so fielen sie über mich her. Es gab einen heißen Kampf, Effendi. Ein Schmied hat harte Muskeln und starke Nerven; aber sie rangen mich doch nieder und banden mich mit den Stricken, welche ich im Hause liegen hatte. Ich schrie vor Wut wie ein Stier. Da banden sie mir ein Tuch um den Kopf und schafften mich in den Keller. Eben als sie mich hinab trugen, kam mein Weib. Ihr ging es ganz ebenso wie mir. Wir wurden mit den Kohlen bedeckt, damit ja oben kein Laut gehört würde, und dann gingen sie. Ich hatte gar nicht an meinen Ajy gedacht, welcher sich hinter dem Hause befand, sonst hätte ich ihn losgebunden, bevor ich in das Haus trat.«

 

»Wer ist Ajy?«

»Mein Hund. Er heißt so, weil er so groß ist, wie ein Bär. Ich hörte ihn bellen, als ich schreiend mit ihnen rang; aber er konnte nicht los. Wäre er bei mir gewesen, so hätte er alle drei zerrissen.«

»Du hast noch nicht nach ihm gesehen?«

»Nein. Du weißt ja, daß ich noch nicht hinter das Haus gegangen bin.«

»So tut es mir leid, daß ich dich betrüben muß!«

»Betrüben? Ist etwas mit dem Hunde geschehen?«

»Ja.«

»Was? Sage es schnell!«

»Er ist tot.«

Der Schmied sprang auf.

»Tot?« stieß er hervor.

»Ja.«

»Er war doch gesund und munter! Haben etwa diese drei ihn umgebracht?«

»Sie haben ihm den Schädel eingeschlagen.«

Er blieb einige Augenblicke lang wort- und bewegungslos; dann kam es zischend zwischen seinen Lippen hervor:

»Sagst du die Wahrheit?«

»Ja, leider!«

»Tausendfache Todesangst und Verdammnis für die Hunde!«

Mit diesem Ausruf sprang er fort, in die Schmiede, kam mit einem Holzbrand heraus und eilte hinter das Haus, um sich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Dort hörte ich seine mehr als zornige Stimme erschallen. Ich wollte die zu erwartenden Kraftworte nicht hören; darum blieb ich sitzen, bis er zurückkam. Er befand sich in einem solchen Grimm, daß ich noch mehr als genug jener starken Ausdrücke zu hören bekam, an denen die orientalischen Sprachen nichts weniger als arm sind.

Während er sich in solchen Interjektionen erging, hielt ich Augen und Ohren nach der Gegend gerichtet, aus der der Erwartete kommen mußte; doch es war nichts zu sehen und nichts zu hören. Entweder hatte ich infolge der ungemeinen Schnelligkeit meines Pferdes ihm einen zu großen Vorsprung abgewonnen, oder er war durch irgend einen Umstand aufgehalten worden.

Nach und nach beruhigte sich mein zorniger Schimin wieder. Er wollte nun auch von mir etwas hören und leitete seine Erkundigung durch die Frage ein:

»Wirst du nun Zeit haben, mir deinen Namen zu sagen, Effendi?«

»Man nennt mich Kara Ben Nemsi.«

»So bist du ein Nemtsche, ein Germanly?«

»Ja.«

»Wohl ein Austrialy oder Prussialy?«

»Nein.«

»Oder ein Bawarialy?«

»Auch nicht. Ich bin ein Saxaly.«

»Ich habe noch niemals einen Saxaly gesehen; aber erst gestern war ein Mann aus der Stadt Triest in Austria hier, mit dem ich viel gesprochen habe.«

»Ein Oesterreicher? Das höre ich mit Ueberraschung. Was war er denn?«

»Ein Handelsmann. Er will Tabak, Seide und seidene Zeuge einkaufen. Es war ihm ein Sporen zerbrochen, den ich ihm reparieren mußte.«

»Sprach er türkisch?«

»Nur so viel, daß ich verstand, was er von mir wollte.«

»Und doch sagst du, daß du sehr viel mit ihm gesprochen habest?«

»Wir haben meist durch die Pantomime gesprochen.«

»Hat er dir gesagt, wie er heißt?«

»Sein Name ist Madi Arnaud gewesen. Er war ein sehr großer Sänger, denn er hat mir viele Lieder gesungen, welche mein Herz und die Seele meiner Frau erquickten.«

»Wo kam er her?«

»Von Tschirmen, wo er große Einkäufe gemacht hat.«

»Und wo geht er hin?«

»Zum großen Jahrmarkt nach Menlik. Dort gibt es sehr berühmte Waffenschmiede. Er will von ihnen kaufen.«

»So werde ich ihn vielleicht unterwegs treffen.«

»Auch du willst nach Menlik, Effendi?«

»Ja.«

»Bist du vielleicht auch ein Handelsmann?«

»Nein. Ich reite nach Menlik, weil ich denke, die drei Schurken dort zu treffen, welche dir heute so Uebles taten.«

»Was wirst du tun, wenn du sie findest?«

»Ich halte sie fest und übergebe sie der Polizei, damit sie ihre Strafe finden.«

»Allah sei Dank! Ich wollte morgen früh Anzeige erstatten.«

»Das kannst du tun. Doch ehe du Erfolg hast, befinden sich die Schurken wohl bereits in meinen Händen. Dann werde ich vor dem Richterstuhl auch ihr heutiges Verbrechen mit erwähnen.«

»Daran tust du recht, Effendi. Sie dürfen der verdienten Strafe nicht entgehen. Wer aber sind die beiden andern gewesen, welche bei dem Steuereinnehmer waren?«

»Das ist eine lange Geschichte, welche ich dir kurz erzählen will.«

Ich machte ihn, so weit es nötig war, mit dem Geschehenen bekannt. Er hörte mir aufmerksam zu und sagte sodann:

»Hätte ich das gewußt! Ich hätte sie in den Keller gelockt, und von meinem Hunde bewachen lassen, bis du gekommen wärest.«

»Haben sie nicht vielleicht einige Worte fallen lassen, aus denen du entnehmen konntest, welchen Weg sie von hier aus einzuschlagen gedenken?«

»Kein einziges Wort. Nur als sie mich banden, hörte ich von dem, welchen du Barud el Amasat nennst, daß sie mich unschädlich machen wollten, damit ich, wenn ihre Verfolger vielleicht kämen, sie nicht verraten könnte.«

»Das dachte ich mir. Manach el Barscha hat sich nicht nur aus Rachsucht, sondern auch aus Vorsicht an euch vergriffen. Man wollte euch nicht töten, sondern nur für einige Zeit verschwinden lassen, weil du den Steuereinnehmer erkannt hattest.«

»Und doch wären wir erstickt!«

»Das ist – Gott sei Dank – nun doch nicht geschehen. Der Reiter, den ich hier erwarte, ist ihnen nachgefolgt oder nachgesandt worden, um ihnen zu sagen, daß ich wieder frei bin und daß sie jedenfalls verfolgt werden. Sie würden dadurch gewarnt, und das will ich verhindern.«

»Ich helfe dir, Effendi! Was werden wir mit ihm tun?«

»Wir stecken ihn in deinen Keller und übergeben ihn dann der Polizei.«

»Wie willst du ihn in den Keller bringen?«

»Sind wir nicht zwei, und er ist allein!«

»Meine nicht, daß ich mich vor ihm fürchte. Ich wollte nur wissen, ob wir List oder Gewalt anwenden werden.«

»Es wird wohl ohne Gewalt nicht geschehen können.«

»Das ist mir lieb. Liebkosend werde ich ihn jedenfalls nicht behandeln. Aber, Effendi, da fällt mir ein, daß du mich fragtest, ob ich der Bruder von Jafiz sei.«

»Allerdings.«

»Kennst du ihn?«

»Ich ritt heute an seinem Garten vorüber, habe mit ihm gesprochen und bei ihm ein Fläschchen Gül jaghy gegen Dschebeli umgetauscht.«

»Allah ia Allah! Mein Bruder hat nun solchen Tabak aller Tabake?«

»O, nicht sehr viel!«

»Er hat ihn von dir?«

»Ja.«

»Du hattest solchen Tabak?«

»Natürlich, da er ihn von mir bekommen hat.«

Er schwieg eine Weile. Ich wußte, welche Frage er jetzt auf den Lippen habe. Endlich platzte sie heraus:

»Nun ist er alle geworden?«

»Noch nicht ganz.« Und um ihm die Sache ein wenig leichter zu machen, fuhr ich fort: »Rauchst du auch?«

»O gern, sehr gern!«

»Dschebeli?«

»Ich habe diesen Tabak noch nie gerochen, also noch viel weniger geraucht.«

»So geh‘ hinein, und hole dir deine Pfeife.«

Ich hatte diese Aufforderung noch nicht ganz ausgesprochen, so war er bereits durch die Türe verschwunden, und ebenso schnell kam er mit der Pfeife zurück.

»Wie geht es deiner Frau?« fragte ich.

Bei diesen einfachen Handwerkern kann man eine Ausnahme machen und nach der Frau fragen, was sonst im Orient streng verboten ist. Gehen doch auf dem platten Lande die Frauen und Mädchen sehr oft unverschleiert.

»Ich weiß nicht,« antwortete er. »Sie wird schlafen.«

Der Tabak hatte ihm also mehr am Herzen gelegen als sein Weib, für das er doch so große Liebe an den Tag gelegt hatte.

»Gieb die Pfeife her! Ich will sie dir stopfen.«

Als er sodann den köstlichen Duft langsam durch die Nase stieß, meinte er entzückt:

»Effendi, das sind Wohlgerüche des Paradieses! So hat selbst der Prophet wohl nicht geraucht!«

»Nein. Zu seiner Zeit gab es keinen Dschebeli.«

»Hätte es solchen gegeben, so hätte er den Samen mit ins Jenseits genommen, um ihn dort in die Felder des siebenten Himmels zu pflanzen. Was tue ich, wenn jetzt der Reiter kommt? Rauche ich fort, oder stehe ich auf?«

»Du wirst wohl aufstehen.«

»Soll ich auf die köstliche Pfeife verzichten?«

»Du kannst ja wieder anbrennen, und ich werde dir noch ein wenig Tabak geben.«

»Effendi, deine Seele ist voll von Freundlichkeit, wie das Meer voll von Wassertropfen! Hat dir mein Bruder keinen Gruß anvertraut?«

»Ja. Ich soll dir sagen, daß es dir wohl gehen möge, wie ihm. Ich soll dir diesen Gruß bringen von dem, der dein Oeje-kardasch und dein Jary-kardasch ist.«

Er horchte auf und sagte:

»Was höre ich? Dies sind seine eigenen Worte?«

»Ja.«

»So habt ihr wichtige Dinge miteinander besprochen!«

»Wir sprachen von den Skipetars und von denen, die in die Berge gegangen sind.«

»Und da hat mein Bruder dir ein Versprechen gemacht?«

»Ein Versprechen, welches du nach seiner Meinung erfüllen wirst.«

»Wie lange hast du mit ihm gesprochen?«

»Den vierten Teil einer Stunde.«

»So ist ein Wunder geschehen, Effendi. Jafiz ist menschenscheu; er spricht nicht gern und nicht viel und hält in allem sehr zurück. Er muß dich sehr schnell liebgewonnen und dir großes Vertrauen geschenkt haben!«

»Ich sagte ihm, daß ich vielleicht bis in die Berge des Schar-Dagh reiten müsse.«

»So hat er von der Gefahr gesprochen, welche dich dort erwartet?«

»Er hat mich gewarnt und zur Vorsicht gemahnt.«

»Und gewiß dabei des Sicherheitspapieres erwähnt?«

»Ja, er hat davon gesprochen.«

»Und gesagt, daß ich dir so ein Kiaghad eminlikün verschaffen könne?«

»Ja.«

»Er hat sich geirrt.«

»Ah! Wirklich?«

»Wirklich.«

»Es steht nicht in deiner Macht, mich in den Besitz eines solchen Schutzes zu setzen?«

»Nein.«

»Aber er versicherte es so ganz bestimmt!«

»Er hat gedacht, es sei noch so, wie in früheren Zeiten.«

»So bist du kein Wissender mehr?«

27Trapperausdruck für anbinden.
28Hufeisen.
29Schmied.
30Hufschmied.