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In den Schluchten des Balkan

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Ich mußte das Richtige getroffen haben, denn sie legte die beiden Hände auf das Herz und antwortete mit gedämpfter Stimme:

»Herr, das ist wahr; du hast recht. Ich werde schweigen, als ob ich bereits im Grabe läge. Nur deine Fragen werde ich beantworten. Du hast mein zartes, gutes Herz erkannt. Dein armer Kopf soll meinetwegen keine Schmerzen erleiden.«

Der kleine Hadschi machte ein unendlich grimmiges Gesicht, was bei ihm nur dann der Fall war, wenn er all seine Kraft zusammennehmen mußte, um das Lachen zu bekämpfen. Auch den Andern sah man es an, daß sie es nur mit Mühe zurückhielten.

»Zunächst muß ich dich bitten, mir zu verzeihen, daß ich euch gestört habe, liebe Nohuda. Ihr befandet euch in einem sehr angelegentlichen Gespräch. Was war denn der Gegenstand desselben?«

Ihre Augen blitzten von neuem zornig auf. Sie schien von neuem losplatzen zu wollen; darum griff ich mit schmerzlicher Pantomime nach meinem Kopf.

»Keine Angst, Herr!« sagte sie leise. »Ich beginne den Zank nicht von neuem und will dir nur sagen, daß wir uns von diesem da unterhielten.«

Sie deutete auf den Topf.

»Was ist das?«

»Mein Kleistertopf.«

»Brauchst du diesen Topf denn hier an der Quelle?«

»Sogar sehr notwendig!«

»Warum besuchst du das heiße Wasser?«

»Warum? Wardur gendschlenme – es macht wieder jung.«

»Ah so! Du willst dich verjüngen? Das hast du ja gar nicht nötig.«

»Meinst du? Du bist sehr gütig. Wenn doch mein Mann auch dieser Meinung wäre! Du weißt jetzt, daß ich Erbse heiße. Er nennt mich aber bereits seit langer Zeit nur seine alte Schote. Ist das nicht kränkend?«

»Vielleicht meint er es gar nicht schlimm. Er wird das Wort für einen Kosenamen halten.«

»O nein! Da kenne ich ihn viel zu gut. Er ist ein Barbar, ein rücksichtsloser Mensch, ein unaufmerksamer Tyrann, ein – —«

Ich griff an meinen Kopf.

»Du hast recht,« meinte sie. »Ich darf ja nicht laut sprechen. Aber ich will ihm zeigen und beweisen, daß ich keine alte Schote bin. Darum gehe ich täglich hierher und bestreiche mir mit dem Schlamm der Schönheit das Gesicht.«

Es war kein leichtes, ernst zu bleiben. Ich antwortete:

»Das ist sehr weise von dir. Aber wie wird dieser Schlamm bereitet?«

»Man stößt Rosenblätter klar und kocht sie mit Mehl und Wasser zu einem Brei. Den nimmt man mit hierher, vermischt ihn zu gleichen Teilen mit dem roten Bodensatz dieser Quelle und bestreicht dann damit das Gesicht. Es hilft, es hilft sicherlich!«

»Wirklich?«

»Gewiß! Keine Warze, kein Mal, keine Runzel, keine Falte hält stand vor diesem Kleister. Er ist berühmt im ganzen Land. Darum war ich erzürnt, daß dieses Mädchen mir den Topf umstieß. Aber ich bin ein zartes Gemüt, wie du ganz richtig erkannt hast, und darum habe ich geschwiegen und will die Unvorsichtigkeit verzeihen.«

»Daran tust du recht. Sanftmut ist die größte Zierde des Weibes, und Schweigsamkeit erhöht den Zauber desselben.«

»Das sage ich auch!« behauptete sie.

»Ja, liebe Nohuda, die Schweigsamkeit ist das allerbeste Mittel, bis in das hohe Alter schön zu bleiben. Wenn keine Leidenschaften das Antlitz entstellen, so kann die Schönheit in den Zügen sitzen bleiben. Was aber der weise Bahuwi von einem Weibe sagt, welches immer zankt und keift, das wirst du wissen.«

»Nein, Herr, denn ich habe mit diesem weisen Mann noch niemals gesprochen.«

»Er sagt, daß ein von dem Zorn bewegtes Frauenantlitz einem schmutzigen Sack gleiche, welcher mit Fröschen und Kröten gefüllt ist. Der Sack befindet sich in steter Bewegung, weil diese häßlichen Tiere niemals Ruhe halten.«

»Er hat recht! Auch ich habe stets dasselbe gedacht, und darum befleißige ich mich einer steten Ruhe meines tiefen Gemütes. Aber mein Mann ist keineswegs damit einverstanden. Er wünscht im Gegenteil, daß ich lebhafter sein solle.«

»So erkläre ihm nur die Geschichte von dem Sack, und er wird dir sofort beistimmen. Aber ich sehe, daß die Salbe deines Gesichtes trocken geworden ist. Du wirst eiligst neue auflegen müssen.«

»Gleich, sogleich! Ich danke dir!«

»Aber sprich nicht dabei! Das Antlitz darf sich nicht bewegen.«

»Kein Wort werde ich sagen.«

Sie ergriff den Topf und schöpfte zu dem Kleisterrest, welcher sich noch in demselben befand, den gelbroten Niederschlag der Quelle. Nachdem sie beides durch eifriges Rühren mit der bloßen Hand auf das innigste vermischt hatte, kratzte sie sich die dürre Schminke aus dem Gesicht und bestrich sich dasselbe mit der neuen Auflage des »Schlammes der Schönheit«.

Das war ein Gaudium für meine Begleiter. Am drolligsten aber war der Umstand gewesen, daß wir beide zuletzt nur in leisem Ton miteinander gesprochen hatten, natürlich um meinen armen Kopf zu schonen.

Erst jetzt fand ich Zeit, die andere Frau genauer zu betrachten. Bei dem Anblick ihrer eingefallenen Wangen und tiefliegenden Augen entfuhr mir die Frage:

»Adsch semin – hast du Hunger?«

Sie antwortete nicht. Aber in ihren Augen war zu lesen, daß ich das Richtige getroffen hatte.

»Chasta sen – und du bist krank?«

Jetzt nickte sie.

»Woran leidest du denn?«

»Herr, ich habe das Reißen in den Armen.«

»Hilft diese Quelle dagegen?«

»Ja, sie hilft ja gegen alles.«

»Wie hast du dir dieses Uebel zugezogen?«

»Dadurch, daß ich Pflanzensammlerin bin. Ich ernähre mich und meine Kinder damit, Kräuter zu sammeln, welche ich an den Apotheker verkaufe. Da bin ich bei jeder Witterung im Wald und auf dem Feld, oft vom frühesten Morgen bis in die späteste Nacht hinein. Da habe ich mich oft erkältet, und nun liegt es mir in den Armen, daß ich sie nur unter großen Schmerzen bewegen kann.«

»Hast du keinen Arzt gefragt?«

»Ich werde überall abgewiesen, weil ich arm bin.«

»Aber der Apotheker, welchem du die Pflanzen verkauftest, konnte dir doch vielleicht ein Mittel geben?«

»Er hat es getan. Aber es half nichts. Darüber ist er so zornig geworden, daß ich ihm nicht wieder kommen darf.«

»Das ist schlimm. Aber es gibt ja noch einen hier, welcher die verschiedensten Krankheiten heilt, den alten Mübarek. Bist du denn nicht zu ihm gegangen?«

»Auch das habe ich getan; aber er hat mich im höchsten Zorn abgewiesen, weil er mich haßt.«

»Er haßt dich? Hast du ihn beleidigt?«

»Niemals.«

»So hat er doch gar keinen Grund, dir so unfreundlich gesinnt zu sein.«

»Er meint aber, einen Grund zu haben, da ich zuweilen – — seht, da kommt er!«

Sie deutete nach der Richtung, aus welcher wir gekommen waren.

Von der Stelle aus, an welcher wir uns befanden, konnte man den ganzen Weg übersehen, der uns nach der Stadt geführt hatte. Ich hatte bereits während des Gespräches denselben überblickt und auch nach dem Stein geschaut, auf welchem der gelähmte Bettler gesessen hatte. Dieser aber war verschwunden, während ich dafür eine lange Gestalt bemerkte, welche aus der Richtung dieses Steines langsam und in sehr würdevoller Haltung herbeigeschritten kam.

Wo war der Bettler hin? Die ganze Gegend lag frei vor uns. Man mußte ihn unbedingt sehen, mochte er sich nun hingewendet haben, wohin er wollte, nach rechts oder links oder gradaus in die Ebene. Und im Fall er nach der Stadt gegangen wäre, hätten wir ihn erst recht bemerken müssen, zumal ein Krüppel mit zwei Krücken nur langsam vorwärts kommen kann. Aber er war fort, spurlos verschwunden.

Unweit des Steines, auf welchem er gesessen hatte, war eine Baumwollenpflanzung angelegt. Die Pflanzen waren kaum vier Fuß hoch. Hinter ihnen konnte der Bettler nicht stecken, außer wenn er sich niedergelegt hätte. Das aber durfte er nicht tun, weil er nicht imstande war, sich allein wieder aufzurichten. Dieses plötzliche Verschwinden war mir unbegreiflich.

Indessen war der erwähnte Mann langsam näher gekommen. Er hielt den Kopf gesenkt, als ob er seine Augen nur an der Erde haften habe. Als er sich unweit der ersten Häuser befand, folgte er dem Weg nicht so wie wir, bis zu den Hütten, sondern er bog gleich zur Seite ein, grad auf uns zu. Da ich nicht annahm, daß er nur von dem Weg abkomme, weil er so tief in Gedanken versunken sei, mußte ich annehmen, daß er mit Absicht sich uns nähere.

Jetzt war es, daß die Frau uns auf ihn aufmerksam machte. Meinetwegen hätte sie das nicht zu tun gebraucht, denn ich stand so, daß ich ihn bereits von weitem sehen konnte, und hatte auch während des Gespräches den Blick nur wenig von ihm gelassen.

Die Andern drehten sich nach ihm um.

»Ja, der Mübarek!« sagte der Türke. »Effendi, das ist er. Siehe dir ihn genau an.«

»Ich habe es bereits getan.«

»Nun kannst du seine Gebeine klappern hören!«

»Wollen sehen. Vielleicht tut er uns auch den Gefallen, zu verschwinden.«

»Wenn er will, so kann er es.«

»Sage es ihm, daß er es tun soll!«

»Das wage ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Er könnte es mir übelnehmen.«

»Pah! Er kennt dich ja!«

»Das trägt nichts dazu bei.«

»Und hat bei dir viel Geld verdient.«

»Dafür hat er uns geheilt. Er ist uns keine Gefälligkeit schuldig.«

Jetzt war der alte »Heilige« herbeigekommen. Er ging sehr, sehr langsam an uns vorüber, ohne den Blick von der Erde zu erheben. Die beiden Frauen standen ehrfurchtsvoll da. Der Türke erhob die Hände zum Gruß. Wir Andern aber kümmerten uns scheinbar nicht um ihn. Ich tat ganz so, als ob ich ihn gar nicht bemerkte, hatte mich halb abgewendet, behielt ihn aber scharf im Auge.

Dabei bemerkte ich, daß er den Blick unter den gesenkten Wimpern hervor auf uns gerichtet hielt. Seine Insichversunkenheit war also nur Maske. Tat er das stets so, oder mußte ich dieses Verhalten, dieses heimliche Schielen auf mich allein beziehen?

Ich horchte sehr gespannt, und wirklich, indem er vorüberging, ließ sich bei jedem Schritt, den er tat, ein leises Klappern hören, grad als wenn Knochen sich berühren. Einen nicht ganz unbefangenen oder gar von Vorurteilen befangenen Menschen konnte das allerdings mit einem gelinden Schauder erfüllen.

 

Er ging so gekleidet, wie der Türke es gesagt hatte: barfuß, mit einem Tuch auf dem Kopf und den Leib in einen alten Kaftan gehüllt. Von dem Shawl war nichts zu sehen, da der Kaftan vorn übereinander ging.

Er war außerordentlich hager, mit tief eingesunkenen Augen, wie der Bettler, an welchem wir vorübergekommen waren. Sein knochiges Gesicht war erdfarben. Die Backenknochen standen weit vor, und der Mund war eingefallen. Der Alte konnte allerdings keine Zähne mehr haben. Die Mundgegend glich einer tief in das Gesicht eingeschnittenen Bucht, unter welcher das spitze Kinn sich weit nach vorn schob und die Nase in doppelter Schärfe hervortrat.

Das also war der berühmte »Heilige«, welchen Allah mit so vielen geheimen und wunderbaren Gaben gesegnet hatte!

Er ging vorüber wie ein Dalai-Lama, für welchen andere Menschen so verächtliche Geschöpfe sind, daß sein Blick sie gar nicht zu bemerken vermag. Auch ihn – eigentümlicher Weise kam es mir so vor – mußte ich bereits gesehen haben, und zwar unter Umständen, welche für mich nicht angenehm gewesen sein konnten. Dieses Gefühl regte sich in mir.

Wenn ich der Ansicht gewesen war, daß er uns seine Beachtung ganz und gar entziehen würde, so hatte ich mich geirrt. Schon war er einige Schritte vorüber, da drehte er sich plötzlich um und ließ seinen stechenden Blick über unsere Gruppe schweifen; dann erschallte seine schnarrende Stimme:

»Nebatja!«

Die Pflanzensucherin zuckte zusammen.

»Nebatja! Hierher!«

Er deutete mit dem Zeigefinger vor sich zur Erde nieder, ungefähr wie man einen Hund heranruft, der geprügelt werden soll.

Die Frau schritt langsam und ängstlich zu ihm hin. Sein Blick richtete sich drohend auf sie, so scharf, als hätte er sie durchbohren wollen.

»Wie lange ist dein Mann nun tot?« fragte er sie.

»Drei Jahre.«

»Hast du für seine Seele gebetet?«

»Täglich.«

»Er war kein Anhänger des ruhmreichen Propheten, dessen Name zu heilig ist, als daß ich ihn vor deinen Ohren nennen möchte; er war ein Nusrani, der Bekenner einer anderen Lehre. Er gehörte zu den Christen, welche selbst nicht wissen, was sie glauben sollen, weshalb sie sich in viele Sekten spalten und sich untereinander befehden. Doch Allah hat in seiner Barmherzigkeit beschlossen, daß auch sie in die untersten Abteilungen des Himmels gelangen dürfen. Dein Mann aber wird in dem Feuer der Hölle gebraten!«

Er schien eine Antwort zu erwarten; die Frau aber schwieg.

»Hast du es gehört?« fragte er.

»Ja,« antwortete sie leise.

»Und glaubst du es?«

Sie schwieg.

»Du mußt es glauben, denn ich selbst habe ihn gesehen. Heute nacht entführte mich der Engel Allahs der Erde und erhob mich zu den Seligkeiten. Tief unter mir lag die Hölle mit ihren glühenden Abgründen. Drin sah ich unter vielen auch deinen Mann. Er war an einen Felsen gefesselt. Höllisches Ungeziefer nagte an seinem Leib, und spitze Flammen leckten in sein Gesicht. Ich hörte ihn vor Schmerz brüllen. Er sah mich hoch über sich schweben und bat mich, dir zu sagen, daß die Pfähle, welche in seiner Nähe in den Fels geschlagen waren, für dich und deine Brut bestimmt seien.«

Er hielt inne. Die Frau weinte.

Am liebsten hätte ich den Kerl mit der Faust zu Boden geschlagen, doch verhielt ich mich ruhig. Halefs Hand lag am Griff der Peitsche, und sein Blick flog zwischen mir und dem Heiligen hin und her. Ich hätte nur leise zu nicken gebraucht, so hätte der kleine Hadschi den berühmten Mann nach Noten durchgewalkt.

»Und nun noch eins!« fuhr dieser fort. »Du bist bei der Polizei gewesen?«

Die Frau senkte den Kopf.

»Ich soll dir Schadenersatz leisten. Ich soll dir Geld geben, weil dein Knabe sich bei meiner Wohnung umherschleicht. Tue noch einen einzigen solchen Schritt, so sende ich dir alle Geister der Finsternis zu, daß sie dich peinigen, bis du deine ungläubige Seele von dir gibst. Merke dir das!«

Er drehte sich ab und schritt von dannen.

»Allah l‘ Allah!« knirschte Halef. »Effendi, bist du ein Mensch?«

»Ich denke es.«

»Ich bin auch einer. Gib mir die Erlaubnis, diesem Schurken nachzueilen und ihm das dicke Fell nach Gebühr zu peitschen.«

»Um Allahs willen, schweig!« warnte ihn der Türke.

»Schweigen! Wer könnte dazu schweigen?«

»Er hört jedes deiner Worte.«

»Lächerlich!«

»Schau hin! Dort sitzt sein Diener.«

Er deutete nach einem dürren Baum, auf dessen Ast eine Krähe saß.

»Bist du des Satans?« antwortete Halef.

»Nein, dieser Vogel ist ein Geist, welchem er befohlen hat, uns zu belauschen und ihm dann jedes Wort mitzuteilen.«

»Und ich sage dir, daß dieser Vogel eine ganz gewöhnliche Krähe ist!«

»Du irrst. Siehst du denn nicht, wie neugierig sie zu uns herunterblickt?«

»Natürlich! Diese Vögel sind neugierig. Ich hätte Lust, ihr eine Kugel zu geben.«

»Tue das ja nicht! Es wäre dein Tod.«

»Unsinn!«

»Der Schuß würde nicht den Vogel, sondern dich selbst treffen.«

»Meine Flinte schießt nicht verkehrt.«

Halef griff auch wirklich nach seinem Gewehr. Da aber eilten die beiden Frauen voll Angst zu ihm und baten ihn, ja nicht zu schießen, da er nicht nur sich, sondern uns alle unglücklich machen würde.

»Aber habt ihr denn gar kein Gehirn, ihr Weiber?« rief er zornig.

»Du mußt uns glauben, du mußt!« bat die Pflanzensammlerin. »Auch Andere sind so unvorsichtig und tollkühn gewesen, wie du. Sie haben es bitter bereut.«

»So! Was ist denn mit ihnen geschehen?«

»Sie sind krank geworden – —«

»Zufall!«

»Der Eine wurde sogar toll – —«

»Das hat bereits vorher in ihm gesteckt.«

»Und Einige starben – —«

»Weil der Tod bereits vorher an ihrem Leben nagte.«

»O nein, sondern weil sie sich an den Vögeln des Heiligen vergriffen.«

Da sich die Aufmerksamkeit in dieser Weise auf den kleinen Hadschi richtete, war ich unbeachtet. Ich trat hinter mein Pferd, legte den Stutzen auf den Vogel an und drückte los.

Die Frauen kreischten auf vor Entsetzen. Meine Kugel hatte die Krähe durchbohrt und augenblicklich getötet. Der Vogel lag unter dem Baum, ohne zu zucken.

»Effendi, was hast du getan!« rief der Türke. »Das kann dich deine Seligkeit kosten!«

»Laufe hin!« antwortete ich ihm. »Stopfe dem Vogel alle Oeffnungen zu, damit der Geist nicht heraus kann! Dann gibt es unter den Geisterleichen, welche du mir zeigen willst, eine mehr. O, was seid ihr doch für dumme Menschen.«

Halef war von seinem Pferd gesprungen und brachte die Krähe herbei. Sie war voll von Ungeziefer. Er zeigte das dem Türken und den Frauen und sagte:

»Wenn der Mübarek die ihm dienenden Geister nicht einmal von den Läusen befreien kann, so kann er überhaupt gar nichts. Schämt euch! Habt ihr jemals von einem Geist gehört, welcher Läuse hatte? Wo steht das geschrieben? Etwa in den Büchern der Christen? Der Prophet hat, so oft er von den Geistern sprach, niemals erwähnt, daß sie gereinigt werden müssen.«

Dieser Beweis, daß die Krähe kein Geist sei, war ebenso kurz wie sonderbar; aber er brachte eine bessere und schnellere Wirkung hervor, als durch eine lange Rede erzielt worden wäre.

Die drei Geistergläubigen blickten sich an, schüttelten die Köpfe, schauten dann auf die Krähe, und endlich sagte der Türke zu mir:

»Effendi, welches ist denn deine Meinung? Kann ein Geist Ungeziefer haben?«

»Nein.«

»Aber es ist doch ein böser.«

»Welches ist der allerböseste Geist?«

»Der Satan.«

»Richtig! Nun sage mir, ob der Prophet oder einer der Nachfolger desselben gelehrt hat, daß der Satan von Läusen geplagt werde.«

»Das steht freilich nirgends geschrieben. Und die Insekten würden gewiß auch verbrennen, wenn sie mit dem Teufel in die Hölle kämen.«

»Das hast du mit großem Scharfsinne entdeckt. Nun beantworte dir deine Frage selber.«

Dieser an sich so lächerliche Vorgang war für uns von größerer Bedeutung, als ich denken konnte. Die Bewohner der hinter uns liegenden Hütten hatten alles gesehen, und erst später erfuhr ich, daß sich die Kunde davon wie ein Lauffeuer durch die Stadt verbreitet hatte.

Ein Vogel des vermeintlichen Heiligen war erschossen worden, von einem Fremden, der dann ganz heil davongegangen sei. Das war unerhört.

Wer den Aberglauben jener Gegenden nicht kennt, der hält so etwas kaum für glaublich. Dazu kam der Respekt, in den sich der Mübarek zu setzen gewußt hatte. Was zu seiner Person in Beziehung stand, das war für Andere geradezu unberührbar.

Halefs Beweis hatte gewirkt. Die Frauen und auch der Türke fühlten sich beruhigt. Die Pflanzensammlerin hatte auch gar nicht viel Zeit, über den Tod der Krähe nachzudenken. Die Worte, welche der Alte zu ihr gesprochen, waren ihr viel, viel wichtiger.

Sie – als griechische Christin – stand unter dem Einfluß ihres Popen, und man muß die Popen jenseits des Balkans kennen, um zu wissen, was das zu bedeuten hat.

Diese geistlichen Herren rekrutieren sich aus den untersten Schichten der Gesellschaft und genießen einen Unterricht, welcher nicht mehr als alles zu wünschen übrig läßt. Wie soll es da mit denjenigen stehen, deren Seelen solchen Leuten anvertraut sind!

Es war der armen, unglücklichen Frau anzusehen, daß sie von der Kunde, ihr Mann schmore in der Hölle und erwarte auch sie und ihre Kinder dort, ganz niedergeschmettert war.

Der gute Halef legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte in tröstendem Ton:

»Nebatja, gräme dich nicht! Dein Mann ist im Himmel.«

Sie blickte ihn forschend an.

»Glaubst du es etwa nicht?« fragte er.

»Woher könntest du das wissen?«

»Ich habe ihn gesehen.«

»Du?«

»Ja,« nickte er ernsthaft.

»Wann?«

»Heute nacht. Der Engel Allahs kam und entführte mich aus dieser Welt. Er trug mich über die Himmel empor, so daß ich sie alle erblicken konnte. Da sah ich deinen Mann im dritten Himmel sitzen – —«

»Kennst du ihn denn?« fragte sie hastig.

Der Kleine wurde durch diese Frage nicht im mindesten in Verlegenheit gebracht. Er antwortete ohne Bedenken:

»Nein; aber der Engel sagte mir: »Schau da hinab! Dort sitzt der Mann der armen Nebatja, welche du morgen in Ostromdscha zu Gesicht bekommen wirst.« Daher weiß ich, wer der Selige war. Dieser blickte auch auf, denn er hatte die Worte des Engels vernommen, und bat mich, dich zu grüßen. An seiner Seite waren die Plätze für dich und deine Kinder.«

Der Kleine brachte das sehr ernsthaft vor. Es kam ihm nicht in den Sinn, mit dem Heiligsten Scherz zu treiben. Es war seine Absicht, die Geplagte zu beruhigen, und er fing dies nach seiner eigenen Weise an. Die Frau sah ihm noch immer kopfschüttelnd in das Gesicht.

»Ist das wahr, was du erzählst?« fragte sie nun.

»Wenigstens ebenso wahr wie die Geschichte des Mübarek.«

»Aber wie kannst du in den Himmel schauen? Du bist doch kein Christ!«

»Ist etwa der Mübarek ein Christ?«

Das leuchtete ihr ein.

»Dieser alte Halunke,« fuhr Halef energisch fort, »weiß im Himmel auch nicht besser Bescheid als ich und jeder andere. Vielleicht ist er in der Hölle besser zu Hause. Ich wenigstens bin ganz überzeugt davon. Wenn du aber meinst, daß nur ein Christ hier zu Wort kommen darf, so wende dich an diesen Effendi und frage ihn. Er wird dir alle Auskunft geben können.«

Er deutete auf mich, und die Frau sah mich fragend an.

»Bete für deinen Mann,« sagte ich ihr. »Das ist deine Christenpflicht. Der Mübarek aber hat dich belogen; denn es kommt kein Engel, um einen Sterblichen in den Himmel zu führen und dann wieder zur Erde herabzubringen. Die heilige Schrift lehrt, daß Gott in einem Licht wohnt, zu welchem kein irdisches Geschöpf kommen kann. Ich werde dich wiedersehen und mit dir von dieser Angelegenheit sprechen. Nun aber wollen wir uns lieber mit deiner Krankheit beschäftigen. Du wirst hier an dieser Quelle vergeblich Heilung suchen. Seit wann benutzest du dieses Wasser?«

»Schon über ein Jahr.«

»Ist dein Leiden geringer geworden?«

»Nein, Effendi.«

»So siehst du, daß ich recht habe. Diese Quelle heilt deine Leiden nicht.«

»Mein Gott! Was soll da aus mir und den Kindern werden? Ich kann nicht arbeiten, und wir hungern bereits seit längerer Zeit. Nun wird auch die einzige Hoffnung, die ich hatte und die ich auf dieses Wasser setzte, zu Schanden.«

Sie begann bitterlich zu weinen.

»Weine nicht, Nebatja!« tröstete ich sie. »Ich werde dir ein besseres Mittel sagen.«

 

»Bist du denn ein Hekim?«

»Ja, in dieser Krankheit sogar ein Hekim Baschi. Hast du noch niemals von den fremden Aerzten gehört, welche aus dem Westen kommen?«

»Schon oft. Sie sollen sehr weise Leute sein und alle, alle Krankheiten heilen können.«

»Nun, ich komme aus dem Westen und werde deine Krankheit heilen. Wie hast du denn dieses Wasser hier angewendet?«

»Ich habe vom Morgen bis zum Abend hier gesessen und Umschläge gemacht.«

»Damit hast du das Uebel nur verschlimmert. Was ist‘s denn mit dem Knaben, welchen der Mübarek erwähnte?«

»Weil ich nicht selbst mehr kann, habe ich ihn ausgesandt, um Pflanzen zu suchen. Die besten Kräuter stehen oben auf dem Berg: Feldkümmel, Gänsekraut und wilde Minze und viele andere. Aber der Mübarek duldet es nicht, daß man sie holt. Er hat den Knaben einmal fortgejagt, und als uns die Not trieb, es doch noch einmal zu wagen, warf er ihn vom Felsen herab, so daß er den Arm brach.«

»Und du hast ihn verklagt?«

»Nein. Ich bin nur zur Polizei gegangen und habe um eine Unterstützung gebeten. Die drei andern Kinder sind zu klein. Sie kennen auch die Pflanzen nicht. Ich kann sie nicht aussenden, um Kräuter zu sammeln.«

»Du bist aber wohl abgewiesen worden?«

»Ja. Der Zabtieh Muschiri sagte, ich solle nur arbeiten.«

»Hast du nicht gesagt, daß du nicht arbeiten kannst?«

»Ja, aber sie haben mich durch den Kawassen hinausführen lassen und mir mit der Bastonnade gedroht, wenn ich wiederkäme.«

»Eine Frau und Bastonnade! Aber sorge dich nicht. Du sollst die Unterstützung erhalten.«

»Effendi, könntest du das bewirken?«

»Ich hoffe es.«

»So wollte ich dir dankbar sein und täglich für dich beten.«

Sie wollte meine Hand ergreifen, doch war ihr die dazu nötige Armbewegung zu schmerzlich.

»Sage mir zunächst, wo du wohnst.«

»Gleich hier nebenan, im zweiten Hause.«

»Das ist bequem. Führe mich einmal hin; ich will deine Stube sehen. Meine Gefährten werden unterdessen warten.«

Mein Schuß nach der Krähe war gehört worden und hatte eine Anzahl Neugieriger herbeigelockt, welche in einiger Entfernung standen und nun erstaunt sahen, daß ich mich mit der Frau in deren Wohnung begab.

Wer die Schmutz- und Lumpenwirtschaft Halbasiens kennt, wird wohl glauben, daß ich in meiner Kleidung diesen Leuten wie ein Fürst erscheinen mußte.

»Ich wohne nicht allein, Effendi,« erklärte mir die Frau. »Es wohnt noch eine Familie mit mir zusammen.«

Ich ahnte, was nun kommen werde, und diese Ahnung erfüllte sich. Ich sah keine Stube, sondern ein Loch ohne Diele und Mauerbewurf, so feucht, daß Tropfen an den Wänden hingen, alles mit Moder überzogen war und ein entsetzlicher Geruch in diesem Raum herrschte.

Und in dieser Höhle wälzten sich und lagen gegen zehn Kinder übereinander. Zwei kleine Löcher, welche als Fenster dienten, ließen nicht mehr Licht herein, als nötig war, um die Gesichter zu erkennen.

Dazu kamen stinkende Decken und Kleider, unaussprechliche Gerätschaften, kurz und gut, es war entsetzlich.

In der einen Ecke saß eine alte Frau und kaute an einem hellen Gegenstand herum. Bei näherer Betrachtung sah ich, daß es ein Stück von einem rohen Kürbis war.

Nicht weit von ihr kauerte ein Knabe, welcher den Arm in der Binde trug. Es war der Sohn der Nebatja. Ich nahm ihn mit hinaus an die Haustüre, um besser sehen zu können, und entfernte die Binde, um den Verband zu untersuchen. Ich bin weder Arzt noch Chirurg, also kein Fachmann, aber ich bemerkte doch zu meiner Befriedigung, daß der Hekim, welcher den gebrochenen Arm eingerichtet hatte, kein Dummkopf gewesen war.

Freilich sah der arme Junge wie das leibhaftige Hungerleiden aus.

»Hier dürft ihr nicht wohnen bleiben,« sagte ich zu seiner Mutter. »Hier wirst du niemals gesund.«

»Herr, wo soll ich hin?«

»Fort, nur fort!«

»Das ist leicht gesagt. Ich kann ja kaum diese Wohnung hier bezahlen.«

»So sorge ich für eine andere.«

»O, wenn du das tun wolltest!«

»Was ich kann, das tue ich. Ich bin zwar hier fremd und komme soeben erst an, aber ich hoffe, daß ich dir doch dienen kann.«

»Und auch ein Mittel für mein Reißen willst du mir geben?« »Ich brauche es dir nicht zu geben. Du kannst es dir holen lassen. Weißt du, was eine Birke ist?«

»Ja, ganz gut.«

»Und gibt es solche Bäume hier?«

»Nicht häufig; aber man findet sie doch.«

»Nun, das Laub dieser Bäume ist das beste Mittel für dein Leiden.«

»Ist es möglich? Birkenlaub soll gegen diese schmerzhafte Krankheit gut sein?«

»Ja, wie ich sage. Ich habe es selbst an mir erfahren. Es gibt wilde Völker, welche keine Aerzte haben und ihre Krankheiten nur mit solchen einfachen Mitteln heilen. Von ihnen habe ich es erfahren, daß das Laub der Birke den Rheumatismus heilt. Als ich dann selbst sehr an demselben litt, habe ich das Mittel erprobt und es als ausgezeichnet gefunden.«

»Und wie wendet man es an?«

»Man hat zu warten, bis es regnet. Dann streift man das nasse Laub mit den Händen von den Zweigen, so daß es ganz naß ist, und trägt es schnell heim, da es nicht trocken werden darf. Dann umhüllt man das kranke Glied sehr dick mit diesem Laub und legt sich nieder. Sind die Beine krank, so steckt man sie in einen Sack, welcher mit Laub gefüllt ist, bindet diesen über den Hüften zu und legt sich nieder. Bald wird man in Schlaf fallen und sehr schwitzen, weshalb man sich sorgfältig zudecken muß. Der Schweiß des kranken Gliedes und das Wasser des Laubes tropfen förmlich aus der Umhüllung hervor. Man schläft lange und tief. Wenn man erwacht, so steht man auf und findet die Krankheit, wenn sie nur eine leichte war, verschwunden. Bei schweren Fällen, wie der deinige es ist, muß man die Einhüllung wiederholen.«

Die Frau hatte mir sehr aufmerksam zugehört. Jetzt fragte sie:

»Darf man das Laub nicht auch holen, ohne daß es geregnet hat, und es dann mit Wasser naß machen?«

»Nein. In diesem Fall hat es keinen Erfolg. Es ist eine angreifende Kur; darum solltest du vor derselben ja keinen Hunger leiden.«

Sie senkte traurig den Blick.

»Effendi, wenn ich nichts habe, so kann ich nichts essen. Ich wollte gern hungern, wenn ich nur nicht meine Kinder jammern sähe.«

»Dem wollen wir abhelfen. Ein guter Freund gab mir eine kleine Summe mit, um sie einem würdigen Armen zu schenken, wenn ich einen solchen während meiner Reise finden sollte. Was denkst du: soll ich dir das Geld geben oder soll ich warten, bis ich eine andere Gelegenheit finde?«

Sie erhob den leuchtenden Blick zu mir.

»Effendi!«

Sie sagte nur dieses eine Wort, aber es klang aus demselben eine ganze Fülle von Bitte, Scham und Dank.

»Nun, soll ich?«

»Wie viel ist es denn?«

»Zwei Pfund.«

»Pfund? Das kenne ich nicht. Wie viele Para sind das?«

»Para? Es ist mehr, viel mehr!«

»Wohl gar einige Piaster?«

»Zwei Pfund sind zweihundert Piaster.«

»O Himmel!«

Sie wollte die Hände zusammenschlagen, aber der Schmerz hinderte sie, es zu tun.

»Und weil es zwei Goldstücke sind, so wird man dir, wenn du sie wechseln lässest, zweihundert und zehn Piaster dafür geben müssen.«

Ich hatte von dem Geld, welches ein Geschenk Hulams in Adrianopel war, die angegebene Summe herausgenommen und hielt sie der Armen hin. Sie aber trat zurück.

»Effendi, du scherzest!«

»Nein, es ist mein Ernst. Nimm!«

»Ich darf nicht.«

»Wer verbietet es dir?«

»Niemand. Aber eine so hohe Gabe – —«

»Sprich nicht weiter! Derjenige, welcher mir diese Summe gab, ist sehr reich. Hier, stecke das Geld ein, und wenn du es wechseln lassen willst, so geh zu einem ehrlichen Mann. Kaufe Speise für dich und die Kinder. Lebe wohl! Morgen komme ich wieder.«

Ich drückte ihr das Geld in die gekrümmten Hände und eilte fort. Sie kam mir nach, aber ich winkte energisch zurück, so daß sie sich doch nicht getraute, mir bis zu den Gefährten zu folgen, welche auf mich warteten. Wir ritten weiter. Aber beim Aufsteigen hatte ich gesehen, daß die Neugierigen sich um die arme Frau versammelten, jedenfalls um sie auszufragen.

Von Nohuda, der Erbse, welche sich verjüngen wollte, hatte ich nicht Abschied genommen. Sie war zu den neugierigen Zuschauern getreten – trotz ihres bekleisterten Gesichtes – und da suchte ich sie freilich nicht auf.

Wir bogen nun von der Therme aus in ein enges Gäßchen ein, an dessen Ecke ich einen zerlumpten Kerl lehnen sah, welcher uns mit scharfen Augen betrachtete. Er fiel mir gar nicht besonders auf, da die Personen, welche ich sah, mir alle mehr oder weniger zerlumpt vorkamen.

Nun wußte ich nicht, wohin uns der Türke führen werde. Ich fragte ihn jetzt danach, und er drückte seine Verwunderung darüber aus, daß ich diese Frage nicht früher gestellt hatte.