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In den Schluchten des Balkan

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Am allerbesten war es jedenfalls, wenn der Wirt eingestand, daß wir hier gewesen seien. Und war er sehr pfiffig, so konnte er sagen, daß wir den dreien, die vor uns hier eingekehrt, in der Richtung nach Doiran nachgeritten seien. Auf diese Weise erweckte er in den Fragern die Ueberzeugung, daß von uns einstweilen, und zwar für die Zeit von mehreren Tagen, keinerlei Gefahr zu erwarten sei. Aber, wie gesagt, ich traute ihm diese Klugheit nicht zu. Darum war ich sehr angenehm von dem weiteren Verlauf des Gespräches überrascht. Der Wirt bewies ganz gegen meine Erwartung, daß er wohl auch scharfsinnig sein könne. Er antwortete:

»Es kehrten bei mir seit gestern abend keine Gäste mehr ein. Ich habe euch ja bereits gesagt, daß ihr die ersten seid.«

»Hm! Aber diejenigen, welche wir meinen, sind ganz gewiß nach Dabila gekommen.«

»So sind sie vielleicht durch den Ort geritten, ohne sich hier aufzuhalten.«

»Jedenfalls. Und das ist uns sehr unangenehm, denn wir wollten sie gern einholen. Wir hatten sehr notwendig mit ihnen zu reden.«

»Waren es Bekannte von euch?«

»Sogar sehr gute Freunde.«

»So müßt ihr ihnen nacheilen und dürft euch hier nicht lange Zeit aufhalten.«

»Leider! Wir möchten aber so gern deine Gastfreundschaft ehren, indem wir uns deine Gaben schmecken lassen. Vielleicht treffen wir diese vier Männer noch in Ostromdscha.«

»Vier waren es?«

»Ja.«

»War vielleicht einer dabei, der einen Rappen von edler Abstammung ritt?«

»Ja, ja! Hast du ihn gesehen?«

»Gewiß. Er hatte sogar zwei Gewehre anstatt nur eines einzigen?«

»Das stimmt, das stimmt!«

»Unter den drei Anderen befand sich ein kleiner Kerl, dem statt des Bartes zehn oder elf lange, dünne Fäden von dem Gesicht herabhingen.«

»Ganz richtig! Du hast sie gesehen. Aber wo denn, da sie bei dir nicht eingekehrt sind?«

»Draußen vor dem Tore. Ich stand mit dem Nachbar dort, als sie kamen. Sie wollten freilich bei mir einkehren. Als ich ihnen sagte, daß ich der Wirt sei, fragte mich der Dunkelbärtige, welcher auf dem Araber saß, ob vielleicht drei Männer, die lauter Schimmel ritten, bei mir eingekehrt seien.«

»Scheïtan! Was hast du geantwortet?«

»Natürlich die Wahrheit.«

»O wehe!«

»Warum denn?«

»Wegen nichts. Es entfuhr mir nur so. Sprich weiter!«

»Der Mann fragte mich, wann die drei dagewesen, wie lange sie geblieben und wohin sie dann geritten seien.«

»Ah, vortrefflich! Was hast du ihm geantwortet?«

»Alles, was ich wußte. Ich sagte ihm, daß diejenigen, nach denen er fragte, gen Süden nach Doiran geritten seien. Hätte ich das etwa nicht tun sollen?«

»O doch, o doch! Es war ganz recht von dir. Was taten sie dann?«

»Der Reiter sagte, er müsse den andern schnell folgen und könne deshalb nicht bei mir absteigen. Er fragte mich sehr genau nach dem Weg, welcher von hier nach Doiran führt.«

»Ist er auf ihm fortgeritten?«

»Ja. Ich habe ihn und seine Begleiter bis vor das Dorf hinaus geführt und ihnen alles sehr ausführlich erklärt. Dann jagten sie im Galopp davon, gegen Furkoi zu. Sie mußten es außerordentlich eilig haben.«

»Also weißt du ganz genau, daß sie gegen Süden geritten sind?«

»So genau, wie ich dich vor mir sehe.«

»Nicht aber gegen Westen, nach Ostromdscha?«

»Ist ihnen nicht eingefallen. Ich habe noch lange dort gestanden und ihnen nachgeschaut, bis sie jenseits des Berges verschwanden. Der Rappe entzückte mich so, daß ich ihn nicht aus den Augen lassen konnte.«

»Ja, er ist ein prachtvolles Pferd; das ist wahr.«

»Nun müßt ihr jedenfalls auch nach Doiran reiten, da ihr mit diesen vier Männern reden wollt?«

»Allerdings; doch haben wir nun keine Eile mehr. Da sie dorthin sind, so wissen wir, daß sie auf uns warten werden.«

»So freue ich mich, sie gesehen und mit ihnen gesprochen zu haben, sonst hätte ich euch gar keine Auskunft geben können. Nun aber muß ich fort. Ihr dürft es mir nicht übel nehmen, daß ich nicht länger bei euch bleiben kann.«

Ganz im Gegenteil zu ihrem früheren Benehmen versicherten sie ihn in der freundlichsten Weise ihrer Dankbarkeit und verabschiedeten sich von ihm, als ob sie ihm ihre ganze Liebe geschenkt hätten. Als er fort war, schlug der Schleuderer mit der Faust auf den Tisch und rief:

»Welch ein Glück! Jetzt sind wir diese Sorge los. Sie sind nicht nach Ostromdscha.«

»Ja, darüber können wir uns freuen. Wie klug von Manach el Barscha und Barud el Amasat, daß sie den albernen Kerl von Wirt beschwatzt haben, sie wollten nach Doiran! Nun sind die Hunde, welche uns belauschten, auch dorthin und werden vergeblich suchen.«

»Ich war noch nie in Doiran und weiß also nicht, wie weit es bis dorthin ist.«

»Ich glaube, daß man gut sieben Stunden zu reiten hat. Die Kerle werden erst am Abend dort ankommen. Morgen erkundigen sie sich. Dann erfahren sie freilich, daß sie am Narrenseil geführt wurden. Aber vor übermorgen mittag haben wir sie nicht in Ostromdscha zu erwarten. Wir können also hier essen und trinken so viel und so lange, als es uns beliebt.«

»Das freut mich so, als ob ich selbst heute meinen Geburtstag hätte. Ob aber der Wirt wohl heute wieder zurückkommt?«

»Wird ihm nicht einfallen!«

»Wir hätten ihn doch fragen sollen.«

»Warum?«

»Wüßte ich, daß er erst morgen zurückkehrt, so würde ich vorschlagen, den ganzen Tag hier zu bleiben. Wir sind ja Gäste und bekommen alles, was wir verlangen, ohne daß wir einen einzigen Para zu zahlen brauchen. So etwas muß man nach Kräften ausnützen.«

»Was diese Sorge betrifft, so ist sie überflüssig. Der Wirt bleibt jedenfalls bis morgen dort.«

»Meinst du?«

»Wenn man seinen Geburtstag begeht, so fällt die Hauptfeier doch allemal auf den Abend.«

»Das ist wahr.«

»Wenn sie zu Ende ist, dann ist Mitternacht jedenfalls vorüber. Denkst du etwa, daß er dann noch sich auf das Pferd setzt, um vier lange Stunden bis nach Hause zu reiten?«

»Dazu wird er wohl keine Lust haben.«

»Vielleicht nicht bloß keine Lust. Man ißt und man trinkt dazu, und das Trinken am Geburtstag ist ein böses Ding. Man trinkt sich da sehr leicht einen Rausch an, infolgedessen man gern bis in den Tag hinein schläft.«

Das klang grad so, als ob ich mich im lieben deutschen Reich befände, wo sich ganz dieselben Anschauungen vorfinden sollen.

»Du hast recht,« stimmte der Andere bei, indem er einen gewaltigen Zug aus dem Krug tat. »Der Wirt wird trinken und morgen lange schlafen. Es steht zu erwarten, daß er vor Mittag nicht nach Hause kommt. Wir können uns also hier gütlich tun und die Nacht hier bleiben. Die verwünschten vier Kerle sind ja jetzt nicht mehr zu fürchten, und nach Ostromdscha zu kommen, das hat folglich für uns gar keine Eile.«

»Gut! Also bleiben wir! Wenn ich an die vorgestrige Nacht denke, so könnte ich über mich selbst zornig werden. Dieser Mensch, welcher den Rappen reitet, der noch dazu ein Christenhund, ein Ungläubiger sein soll, befand sich in unseren Händen, und wir haben ihn entkommen lassen!«

»Ja, es war unverantwortlich. Ein einziger Messerstich, und der Mensch wäre unschädlich gemacht gewesen!«

»Es kam alles so plötzlich! Man konnte sich gar nicht besinnen. Kaum waren die Kerle zwischen uns, so waren sie auch schon wieder fort.«

»Wie aber sind sie nur hinauf in den Taubenschlag gekommen?«

»Jedenfalls durch den Raum, in welchem sich das Heu befindet.«

»Aber wie haben sie wissen können, daß es von da aus möglich war, uns zu belauschen? Wer hat ihnen überhaupt gesagt, daß wir eine Versammlung hatten und daß wir uns ihretwegen in der Kammer befanden?«

»Der Teufel hat es ihnen erzählt. Diese Giaurs werden alle vom Teufel geholt. Darum hält er bereits bei Lebzeiten mit ihnen Freundschaft. Kein Anderer hat es ihnen verraten. Aber wehe ihnen, wenn sie nach Ostromdscha kommen! Sie sollen in die Hölle fahren, alle vier!«

»Hm! Uns beide geht die Sache eigentlich gar nichts an. Wir sind nur die Boten und werden dafür bezahlt.«

»Aber wer mich bezahlt, dessen Freund bin ich, und dem stehe ich bei.«

»Auch mit einem Mord?«

»Warum denn nicht, wenn es Geld einbringt? Ist es etwa eine Sünde, einen Giaur zu töten?«

»Nein, es ist sogar ein sehr verdienstliches Werk. Wer einen Christen tötet, der steigt dadurch um eine ganze Stufe zum siebenten Himmel höher. Das ist die alte Lehre, auf welche leider die Leute nicht mehr hören wollen. Es juckt mich in den Fingern, diesem Fremden, wenn er nach Ostromdscha kommt, eine Kugel zu geben.«

»Ich bin dabei.«

»Bedenke, welchen Vorteil wir davon hätten! Es würde uns sehr gut bezahlt, und sodann gehörte uns alles, was er bei sich hat. Sein Pferd allein wäre ein wahres Vermögen für uns. Der Stallmeister des Padischah würde, wenn wir es zu ihm nach Stambul brächten, uns eine große Summe dafür zahlen.«

»Oder auch gar nichts!«

»Oho!«

»Er würde uns fragen, woher wir es haben.«

»Geerbt natürlich.«

»Wo wäre aber der Stammbaum des Pferdes, den doch jeder Käufer sehen und haben wollte?«

»Den wird der Mensch schon bei sich tragen. Er fiele uns also in die Hände. Ich befürchte nur, daß nicht wir diejenigen sein werden, welche den herrlichen Rappen bekommen.«

»Warum nicht?«

»Manach el Barscha und Barud el Amasat werden ebenso klug sein, wie wir.«

»Hm! Das ist richtig. Aber wir können sie ja leicht betrügen.«

»Wie so denn?«

»Indem wir ihnen verschweigen, daß der Fremde nach Doiran geritten ist. Wir sagen ihnen nur, daß er entkommen sei und sich wahrscheinlich nach – — nach irgend einem Ort gewendet habe, dessen Namen wir uns noch aussinnen können. Dann reiten wir übermorgen gegen Doiran und lauern den vier Kerlen auf.«

»Dieser Gedanke ist prächtig. Ich vermute nur, daß Manach und Barud sich nicht täuschen lassen werden.«

 

»Wir müßten es dann sehr dumm anfangen!«

»Wer weiß auch überhaupt, wie lange es dauert, ehe wir sie finden!«

»Keine einzige Stunde.«

»Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Wir wissen nur, daß wir zu der Ruine kommen sollen. Aber da können wir lange suchen.«

»Hast du vergessen, daß wir uns an den alten Mübarek wenden sollen?«

»Das weiß ich sehr wohl. Aber erstens fragt es sich, ob sie ihm ihren Aufenthaltsort wirklich genau mitgeteilt haben, und zweitens kennen wir den Alten nicht. Wer weiß, was für ein Kerl er ist!«

»Er soll ja auch die Koptscha haben, das geheime Zeichen unseres Bundes.«

»Das ist noch kein Grund, um jedes Geheimnis mitzuteilen.«

»So haben wir das heimliche Wort, welches Barud el Amasat uns sagte und welches er auch dem alten Mübarek geben wird. Es ist das Zeichen, daß er uns den Aufenthaltsort der Verborgenen nennen oder zeigen soll. Also finden wir sie sofort. Das macht mir keinen Kummer. Nur fragt es sich, ob sie noch weitere Dienste von uns verlangen werden.«

»Das schlage ich ihnen ab. Wir würden dadurch verhindert werden, den vier Fremden aufzulauern.«

»Abschlagen? Das geht nicht. Wir müssen gehorchen. Du weißt doch, daß Widersetzlichkeit mit dem Tod bestraft wird.«

»Wenn sie erwiesen ist. Aber wenn ich krank bin, so kann ich nicht gehorchen.«

»Ah, du willst dich krank stellen? – Das müßte ich dann auch tun, und das würde sehr auffällig sein. Warum sollten wir zufällig alle beide krank geworden sein?«

»Auch da gibt es eine gute Ausrede. Wir sind unterwegs mit den vier Fremden zusammengetroffen und von ihnen angegriffen worden.«

»Hm! Verwundet also?«

»Ja. Ich verbinde mir den Kopf, und du tust das Gleiche mit deinem Arm. Wir sind so matt und angegriffen, daß man zunächst unmöglich einen weiteren Dienst von uns verlangen kann – schau, da reitet der Wirt zum Tore hinaus! Trink, damit wir erfahren können, ob der Knecht uns den Krug auch wirklich wieder füllen wird.«

Sie tranken und tranken und brachten den Krug zu meinem Erstaunen, ich möchte fast sagen zu meinem Entsetzen, wirklich leer. Dann trat der eine an das Fenster und rief hinaus, worauf ein Knecht hereinkam, welcher natürlich von seinem Herrn die nötige Weisung erhalten hatte.

Die beiden Gäste erfuhren von ihm, daß er ihnen bringen werde, was sie verlangten, und sie gaben ihm den Befehl, zunächst den Krug wieder zu füllen.

Von zwei Krügen solchen Rakis hätte ein Rhinozeros betrunken werden müssen, und so war ich überzeugt, daß sie sehr bald in einen Zustand verfallen würden, welcher meiner Absicht, sie zu belauschen, nicht günstig sein konnte.

Sie saßen, als der volle Krug gebracht wurde, auch wirklich einsilbig bei einander, blickten stier vor sich hin und tranken in kurzen Zwischenräumen. Ich sah ein, daß von ihnen nichts mehr zu erfahren sei, und beschloß, mich jetzt zu entfernen.

Ich war nicht recht befriedigt von meinem Erfolg. Was hatte ich erfahren? Daß der Schut, der geheimnisvolle Anführer derjenigen, die in »die Berge gegangen waren«, seine Untertanen in einer sehr strengen Zucht hielt, daß er sogar Widersetzlichkeit mit dem Tode bestrafte.

Ferner wußte ich nun genau, daß Barud el Amasat, Manach el Barscha und der mit ihnen aus Adrianopel entflohene Gefängnisschließer in der Ruine von Ostromdscha zu suchen seien. Aber diese Ruine konnte sehr weitläufig sein. Vielleicht befanden sich die Betreffenden auch nur des Nachts oder überhaupt nur zu gewissen Zeiten dort.

Sodann hatte ich erfahren, daß es einen alten Mübarek gebe, einen sogenannten Heiligen, bei welchem die Eingeweihten mit Hilfe eines heimlichen Wortes erfahren konnten, wo sich die drei erwähnten Männer befanden. Aber wer war dieser »Heilige«, welcher trotz seiner Heiligkeit in dem verbrecherischen Bund der Ausgestoßenen eine Stelle einnahm? Wo war er zu finden? Auch in der Ruine? Und welches war das Wort, mit dem man sich bei ihm legitimieren konnte? —

Den »Heiligen« getraute ich mir leicht zu finden. Aber das Wort zu erfahren, dies war jedenfalls außerordentlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Vielleicht gelang es, den Alten zu überrumpeln und ihm dadurch sein Geheimnis zu entreißen.

Jedenfalls aber war ich jetzt überzeugt, daß die beiden Trinker da drin in der Stube für mich bis morgen ganz unschädlich seien. In ganz kurzer Zeit waren sie gewiß so betrunken, daß sie den Verstand verloren hatten. Sie kamen wohl gar nicht dazu, sich Essen geben zu lassen, und wurden in irgend einem Winkel untergebracht, um dort ihren gewaltigen Rausch auszuschlafen.

Das war natürlich von großem Vorteil für mich, denn auf diese Weise blieben die Gesuchten ungewarnt vor uns, und ich konnte die Zeit von heute nachmittag bis morgen mittag – denn eher waren die Betrunkenen wohl nicht in Ostromdscha zu erwarten – dazu verwenden, nach den drei Entflohenen zu forschen.

Jetzt nun, da nichts Weiteres mehr zu erlauschen war, schob ich mich, am Boden kriechend, unhörbar hinter den Weidenbündeln hervor und schlich dann nach der Schlafstube. Sie war von innen verriegelt. Als ich leise klopfte, öffnete Halef. Er befand sich mit den beiden Gefährten und einem Knecht darinnen.

»Wir mußten natürlich zuriegeln, Sihdi,« erklärte er leise. »Die Halunken hätten ja auf den Gedanken kommen können, nachzusehen, ob sich jemand hier befinde.«

»Ganz recht. Wo sind die Bewohner des Hauses?«

»Sie haben sich versteckt, weil der Wirt erzählt hat, daß alle sich auf dem Felde befänden.«

»So wollen wir aufbrechen. Geh du voran, und sorge dafür, daß wir nicht entdeckt werden.«

Der Knecht, an welchen diese Aufforderung gerichtet war, ließ uns heraustreten, schloß dann die Türe zu, zog den Schlüssel ab und huschte uns voran.

Der andere Knecht, welcher die Gäste bediente, stand auch bereit. Er ging zu ihnen hinein, um, laut mit ihnen sprechend, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und so wurde es für uns sehr leicht, aus dem Hause hinaus und auf den Hof zu gelangen.

Von hier aus kamen wir dann schnell nach der hinteren Seite des Gebäudes und wurden von dem Knecht eine Strecke weit auf das Feld geführt, wo der Wirt mit einigen Knechten und mit unsern Pferden auf uns wartete.

»Endlich!« sagte er. »Dir ist die Zeit wohl nicht so lang geworden, als mir. Nun aber wollen wir aufbrechen. Steigt auf!«

»Vorher will ich bezahlen. Sage uns, was wir dir schuldig sind!«

»Ihr mir schuldig?« lachte er. »Nichts, gar nichts!«

»Das dürfen wir nicht annehmen!«

»Doch! Ihr waret meine Gäste.«

»Nein. Wir sind ungeladen zu dir gekommen und haben sogar alles, was wir aßen und tranken, von dir verlangt.«

»Effendi, sprich nicht weiter! Thu mir die Schande nicht an, meine Gastfreundschaft von dir zu weisen. Wenn ich zwei solchen Halunken, wie jenen in der Stube, gebe, was ihr Herz begehrt, so kann ich wohl euch bitten, so zu tun, als ob ihr bezahlt hättet.«

»Aber grad das, was diese beiden erhielten, habe auch ich bestellt. Ich habe sogar versprochen, es zu bezahlen.«

»Herr, willst du mich erzürnen? Du willst mir mein Geld wieder verschaffen, und ich soll einige lumpige Piaster von dir für Bier und zwei Eier verlangen? Das tue ich auf keinen Fall!«

Ich hätte mich gleich beim ersten Wort nicht geweigert und hatte mich nur Halefs wegen nicht sofort beruhigt. Ich wollte sein Gesicht sehen, über welches es unaufhörlich zuckte und zerrte. Er mochte befürchten, daß ich doch bezahlen werde. Darum sagte er jetzt hastig:

»Sihdi, du kennst den Kuran und alle seine Auslegungen. Warum handelst du gegen diese vom Engel Gabriel diktierten Lehren? Siehst du nicht ein, daß es gottlos ist, eine offene und mildtätige Hand von sich zu weisen? Wer ein Almosen gibt, der gibt es Allah, und wer eine Gabe zurückweist, der beleidigt Allah. Ich hoffe, daß du die Härte deines Herzens bereuest und dem Propheten die Ehre gibst. Steig also auf, und bekümmere dich nicht um die Piaster, welche kein Mensch haben will!«

Das war so ernst und eifrig hervorgebracht, als ob es sich um Tod und Leben, um Verdammnis und Seligkeit handelte. Ich gab lachend nach und reichte nur den Knechten ein Bakschisch, eine Kleinigkeit, von welcher sie aber so entzückt waren, daß sie der Reihe nach mir die Hand küßten, was ich trotz aller Anstrengung nicht verhindern konnte. Dann ritten wir davon, zunächst ein Stück hinter dem Dorf hin, und dann bogen wir zu der nach Ostromdscha führenden Straße ein, welche aber keine Straße war.

Nur sehr kurze Zeit ritten wir auf derselben hin; dann aber, als wir das Dorf hinter uns hatten, fragte ich unseren Wirt:

»Ist diese sogenannte Straße der einzige Weg, welcher nach Ostromdscha führt?«

»Der geradeste ist sie. Es gibt aber noch andere Wege, welche freilich längere Zeit erfordern.«

»Suchen wir uns einen solchen Weg aus! Ich möchte gern diesen vermeiden.«

»Warum?«

»Weil morgen, wenn uns die beiden Kerle nachkommen – — «

»Morgen?« unterbrach er mich.

»Ja, sie wollen so lange bei dir bleiben, weil sie nichts bezahlen dürfen. Sie erwarten dich nicht vor morgen zurück, weil du zu deinem Geburtstag ihrer Ansicht nach heute abend tüchtig trinken wirst.«

»Diese Schurken! Ich werde sie überraschen und ihnen mitteilen, daß ich heute meinen Geburtstag gar nicht habe.«

»Das wirst du wohl nicht tun.«

»So? Warum nicht?«

»Weil es auch in deinem Interesse liegt, daß sie nicht vor morgen mittag nach Ostromdscha kommen. Du wirst das noch erfahren. Wenn sie uns dann nachkommen, könnten sie zufällig inne werden, daß wir doch nach Ostromdscha ritten und nicht nach Doiran. Dies könnte alle meine Pläne zunichte machen.«

»Gut! Wenn du es wünschest, so reiten wir anders. Gleich hier führt ein Weg links ab in die Felder und Wiesen. Wir werden so reiten, daß wir auf die Straße von Kusturlu gelangen. Dort kennt uns kein Mensch.«

Wir bogen also seitwärts ein. Doch war das Ding, welches er einen Weg genannt hatte, alles andere, aber kein Weg. Man sah es dem Boden an, daß hier zuweilen Menschen gegangen waren, aber eine Bahn gab es nicht.

Rechts und links waren Felder zu sehen, meist mit Tabak bebaut. Auch einige kleine, kümmerliche Baumwollenpflanzungen erblickte ich. Dann gab es wieder braches Land und endlich Wald, durch welchen wir ritten, ohne einen Pfad zu sehen.

Bisher waren wir schweigsam gewesen, nun aber konnte der »Herbergsvater« seine Neugierde nicht länger zügeln. Er fragte:

»Hast du gehört, was ich mit den Rakitrinkern gesprochen habe?«

»Alles.«

»Ihre Fragen und meine Antworten?«

»Es ist mir nichts entgangen.«

»Nun, wie bist du mit mir zufrieden?«

»Du hast deine Sache ganz vortrefflich gemacht. Ich muß dich wirklich loben.«

»Das freut mich sehr. Es war gar nicht so leicht für mich, das Richtige zu treffen.«

»Das weiß ich sehr wohl, und darum habe ich mich doppelt über deinen Scharfsinn gefreut. Du hast bewiesen, daß du ein tüchtiger Pfiffikus bist.«

»Herr, ich bin entzückt, das aus deinem Mund zu hören, denn ein Lob von dir ist zehnfach mehr wert, als aus einem andern Mund.«

»So? Warum?«

»Weil du ein Gelehrter bist, der alles weiß, von der Sonne herab bis auf das Körnchen im Sand, und ein Held, den noch niemand hat besiegen können. Du kennst Kaiser und Könige, welche dich verehren, und reitest unter dem Schatten des Großherrn, mit welchem du von einem Teller gegessen hast.«

»Wer hat dir das gesagt?«

»Einer, der es weiß.«

Ich ahnte sogleich, daß mein kleiner, sonst so braver Hadschi hier wieder einmal eine seiner Aufschneidereien losgelassen habe. Er nannte sich meinen Freund und Beschützer, und je höher er mich herausstrich, desto bedeutender war der Abglanz, der von mir auf ihn fallen mußte. Ein Blick nach ihm zeigte mir, daß er, wohl eine Art von Gewitter ahnend, gleich bei Beginn der Rede des Wirtes ein Stück zurückgeblieben war.

Daß der Wirt meine Frage nicht direkt beantwortete, war mir ein Beweis, daß Halef ihm verboten hatte, ihn zu nennen.

»Wer ist es denn also, der etwas weiß, wovon nicht einmal ich selbst eine Ahnung habe?« fragte ich weiter.

»Ich soll ihn nicht nennen.«

»Gut! So werde ich ihn nennen. Hat er dir seinen Namen gesagt?«

»Ja, Effendi.«

»Es ist ein sehr langer. Heißt der kleine Halunke etwa Hadschi Halef Omar – — und so weiter?«

»Effendi, frage mich nicht!«

»Und doch muß ich dich fragen.«

»Aber ich habe ihm versprechen müssen, seinen Namen nicht zu nennen.«

»Dieses Versprechen mußt du halten. Den Namen brauchst du nicht zu nennen. Sage nur ja oder nein! War es der Hadschi?«

Er zögerte noch verlegen, aber als ich ihm einen strengen, zornigen Blick zuwarf, antwortete er:

 

»Ja, er hat es gesagt.«

»Nun, so will ich dir mitteilen, daß er ein ganz gewaltiger Lügner ist.«

»Herr, das sagst du aus Bescheidenheit!«

»Nein. Laß dir das nicht einfallen. Ich bin ganz und gar nicht bescheiden; das kannst du schon daraus ersehen, daß ich deine prächtige Eierspeise gegessen habe, ohne sie zu bezahlen —«

»Herr, sei still!« fiel er mir in die Rede.

»Nein, ich muß sprechen, um den Fehler dieses Hadschi Halef Omar wieder gut zu machen. Er hat geradezu gelogen. Ich habe den Padischah gesehen, aber nicht mit ihm von einem Teller gegessen. Ich kenne Kaiser und Könige, ja, nämlich dem Namen nach, habe auch wohl einen oder den andern von ihnen erblickt, aber sie verehren mich ganz und gar nicht; sie kennen nicht einmal meinen Namen. Ich bin für sie gar nicht vorhanden.«

Er sah mir mit einem Ausdruck ins Gesicht, aus dem ich erkannte, daß er der Aufschneiderei des Kleinen weit mehr Glauben schenkte, als meinem offenen Geständnis.

»Und was meine Gelehrsamkeit betrifft,« fuhr ich fort, »so ist sie gar nicht weit her. Ich soll alles wissen, von der Sonne bis zum Sandkorn herab? Nun ja, das Sandkorn kenne ich, wie jeder andere; aber von der Sonne weiß ich weiter nichts, als daß die Erde sich um sie dreht, wie weit wir von ihr entfernt sind, welchen Umfang, welch ein mutmaßliches Gewicht, welchen Durchmesser sie hat, wie – — —«

»Maschallah! Maschallah!« schrie der Mann laut auf, indem er mich ganz ängstlich anblickte und sein Pferd von dem meinigen wegrückte.

»Was schreist du denn?« fragte ich.

»Das weißt du? Was du jetzt gesagt hast?«

»Ja.«

»Wie weit die Sonne von uns entfernt ist?«

»Ungefähr zwanzig Millionen Meilen.«

»Daß wir uns um sie drehen?«

»Natürlich!«

»Wie stark und wie dick sie ist, das weißt du auch?«

»Ja.«

»Und sogar wie schwer sie wiegt?«

»Ungefähr. Auf eine Million Zentner kommt es dabei gar nicht an.«

Er machte jetzt ein völlig entsetztes Gesicht und hielt sein Pferd an.

»Herr,« sagte er, »ich bin einmal in Istambul gewesen und habe dort mit einem gelehrten Derwisch gesprochen, welcher wieder mit vielen gelehrten Männern anderer Länder zusammengetroffen war. Der hat mir bei dem Propheten und dessen Bart zugeschworen, daß die Sonne und die Sterne nicht so klein sind, wie es scheint, sondern viel, viel größer als die Erde. Sie scheinen so klein zu sein, weil sie so gar unendlich weit von uns entfernt sind. Ich war ganz erschrocken darüber. Du aber willst diese Entfernungen wissen und auch alles andere dazu! Kennst du denn auch den Mond?«

»Das versteht sich!«

»Wie weit er von uns entfernt ist?«

»Sechsundachtzigtausend türkische Aghatsch.«

»O Allah, wallah, tallah! Effendi, mir graut vor dir!«

Er starrte mich förmlich an. Da kam Halef herbei, hielt bei uns an und sagte:

»O, mein Sihdi weiß noch mehr, noch viel, viel mehr. Er weiß, daß es Sterne gibt, die wir noch gar nicht sehen, und daß es Sterne nicht mehr gibt, die wir noch alle Nächte erblicken. Er hat es mir selbst gesagt und es mir auch erklärt. Ich aber habe es wieder vergessen, denn mein Kopf ist viel zu klein für eine solche Menge von Sonnen und Sternen.«

»Ist das wirklich wahr?« schrie der Türke laut auf.

»Ja. Frage ihn selbst!«

Da ließ der Mann die Zügel auf die Kniee fallen, hob die Hände bis zum Gesicht empor und hielt sie so, daß alle zehn Fingerspitzen nach mir wiesen. Das tut man in der Levante, wenn man sich gegen den bösen Blick und Zauberei verteidigen will.

»Nein!« rief er dazu. »Ich frage ihn nicht. Ich will nichts wissen. Ich will ganz und gar nichts mehr erfahren. Allah behüte meinen Kopf vor solchen Dingen und solchen Zahlen. Er würde zerplatzen, wie ein alter Mörser, in den man zu viel Pulver gesteckt hat. Laßt uns lieber weiter reiten!«

Er nahm die Zügel wieder auf und setzte sein Pferd in Bewegung. Dabei murmelte er:

»Und da nennst du den Hadschi einen Lügner? Er hat noch viel zu wenig von dir gesagt!«

»Ibarek, was du jetzt von mir gehört hast, das weiß in meinem Vaterland jedes Kind.«

»Maschallah! Ich danke für so ein Land, in welchem schon die Kinder die Sterne wiegen und messen müssen. Welch ein Glück, daß ich nicht in Alemannia geboren bin! Der Schuster, von welchem ich das Bier kochen lernte, hat mir davon nichts gesagt, und das war sehr klug von ihm. Laß uns von etwas anderem reden. – Ich sagte, daß dein Lob mich doppelt erfreue, eben weil es aus deinem Munde kommt. Du bist mit mir zufrieden gewesen, und das gibt mir die Hoffnung, daß ich mein Geld wieder erlangen werde.«

»Wenn mich meine Hoffnung nicht betrügt, so bekommst du es wieder.«

»Hoffnung? Du hoffst es bloß?«

»Ja. Was sonst?«

»Du hoffst es nicht, sondern du weißt es genau.«

»Da irrst du dich.«

»Nein. Ich kann darauf schwören, daß du es genau weißt.«

»Du würdest einen falschen Eid schwören.«

»Nein, Effendi! Wer in der Wüste, im Wald und im Feld die Spuren von Leuten lesen kann, welche längst verschwunden sind, der weiß auch ganz genau, wo sich mein gestohlenes Geld befindet.«

Jetzt wurde ich ernstlich zornig. Der kleine Hadschi konnte mich leicht einmal durch seine unbedachten Lobeserhebungen in die übelste Lage bringen.

»Das hat dir natürlich Halef auch gesagt?« fragte ich den Wirt.

Er nickte zustimmend.

Jetzt wandte ich mich zu dem Kleinen:

»Halef, warum bleibst du zurück? Komm doch einmal her!«

»Was soll ich, Sihdi?« fragte er freundlich, wie ein Hund, welcher weiß, daß er gerufen wird, um Prügel zu bekommen, und dabei doch mit dem Schwanze wedelt.

»Die Kurbatsch solltest du bekommen, die Nilhautpeitsche! Weiß du, warum?«

»Sihdi, deinen treuen Halef schlägst du niemals. Das weiß ich genau!«

»Das ist eben das Unglück, daß du meinst, ich könne dich nicht bestrafen. Es gibt aber noch ganz andere Strafen als das Peitschen. Kostentziehung sollst du haben! Nichts zu essen bekommst du, während wir gebratene Hühner speisen!«

Ich sagte das sehr drohend und im Ton des Zornes. Gebratenes Huhn war sein ganzes Leben! Er aber antwortete lächelnd:

»Sihdi, lieber äßest du selber nichts, mir aber gäbst du die ganze Henne.«

»Schweig! Wenn nichts Anderes hilft, so jage ich dich fort!«

»Effendi, du weißt, daß ich dir doch nachlaufen würde. Ich bin dein Diener. Wir haben zusammen gehungert und gedürstet, geschwitzt und gefroren, geweint und gelacht – Sihdi, zwei solche Leute sind nur schwer zu trennen.«

Der gute Kerl hatte freilich recht. Er wußte ganz genau, was erfolgte, wenn er diese Saite anschlug. Mein Zorn legte sich sofort.

»Aber, Halef, du sollst nicht so flunkern!«

»Sihdi, war es geflunkert? Das habe ich wirklich nicht gewußt. Wie kannst du doch so zornig werden, wenn ich sage, du habest mit dem Sultan von einem Teller gegessen?«

»Es ist ja eine Lüge!«

»Das kannst du nicht behaupten! Hast du nicht in Stambul beim Kasi Askeri gespeist?«

»Was hat das aber mit deiner Aufschneiderei zu tun?«

»Gar viel. Speist der Sultan denn nicht einmal auch beim Kasi Askeri?«

»Offiziell nicht.«

»Also heimlich. Nun, so habe ich ganz und gar nicht unrecht. Wie leicht kann der Sultan einmal grad den Teller, auf welchem auch du gegessen hast, schon bekommen haben! Du siehst, Sihdi, daß dein treuer Halef ganz genau weiß, was er sagt. Aber du bist wie die Trüffel, ganz genau so. Sie ist eine große Delikatesse und wird teuer bezahlt, aber sie versteckt sich unter die Erde, weil man ja nicht von ihr reden soll. Ich allein kenne dich, und da ich dein Angesicht wieder freundlich leuchten sehe, so ist mein Herz wieder leicht und froh. Allah gibt Wolken, und Allah gibt Sonnenschein. Der Mensch muß nehmen, was Allah gibt.«

Natürlich leuchtete mein Gesicht. Der Kuckuck mag ernst bleiben, wenn man auf eine so geistreiche Weise mit einer Trüffel verglichen wird. Ich mußte natürlich lachen, und der kleine Hadschi lachte mit. Das war das jedesmalige sichere Ende, wenn ich einmal begann, ein Ungewitter über ihn loszulassen.

Wir ritten weiter. Ich bemerkte aus den Blicken, welche mir der Türke zuwarf, und aus dem Umstand, daß er sein Pferd stets ein wenig zurückhielt, daß er einen gewaltigen Respekt vor mir hatte. Er schien große Lust zu haben, mich für ein Weltwunder zu halten.

Der Wald ging bald zu Ende, und wir trabten nun über eine weite, ebene Brache, die unseren Pferden freien Spielraum bot. Da regte sich die Neugierde des Wirtes wieder.