Kostenlos

In den Schluchten des Balkan

Text
Autor:
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Also Ibarek hieß der aufmerksame Mann, welcher sogar Servietten besaß! Ich war überzeugt, daß es uns allen hier recht gut munden werde. Er entfernte sich, um den Knechten die erwähnten Befehle zu erteilen. Dann wurden uns die Servietten und Handtücher gebracht, welch letztere mir allerdings überflüssig zu sein schienen; Handtücher zu den Servietten werden selbst in einem abendländischen Gasthof ersten Ranges wohl kaum gereicht.

Als ich nun die Servietten nahm und jedem meiner Gefährten eine reichte, machte es mir heimlich Freude, die Blicke zu sehen, welche fragend auf mich gerichtet waren. Sie wußten nicht, was mit den weißen, reinlichen Dingern anzufangen sei. Der kleine Hadschi war der einzige, welcher es riskierte, von mir ausgelacht zu werden. Er fragte:

»Sihdi, was sollen wir mit diesen Tüchern? Es ist doch bereits ein großes Tafeltuch über den Tisch gebreitet.«

»Es sind auch keine Tafeltücher.«

»Maschallah, Gottes Wunder! Sollen es etwa Taschentücher sein? Es ist doch keiner von uns mit einem Schnupfen behaftet!«

»Auch das ist‘s nicht. Diese Tücher werden so vorgebunden, wie ich es euch zeige, damit man sich nicht mit den Speisen die Kleider beschmutzt.«

»Allah akbar, Gott ist groß! Aber die vornehmen Leute müssen doch rechte Tolpatsche sein, wenn sie besondere Vorhänge brauchen, um die Speisen in den Mund zu bringen und sie nicht auf die Kleider zu schütten. Ich habe gelernt, anständig zu speisen, und meine Jacke wird vergebens lüstern sein, diesen wohlschmeckenden Saft der Melone zu trinken.«

Ich band mir die Serviette absichtlich möglichst ungeschickt vor, und da die Anderen es genau so nachmachten, wie ich es ihnen vorgemacht hatte, so saßen wir nun da, wie Kinder, welche von der vortrefflichen Mama den dicken Milchbrei eingestopft bekommen. Das machte mir im Stillen großen Spaß.

Während des Essens bemerkte ich, daß die Pferde hinter das Haus geführt wurden. Der Wirt schien es als echter Muselmann für höflich zu halten, uns ohne Zeugen speisen zu lassen. Er trat erst wieder ein, als wir fertig waren, und gab den beiden Burschen den Befehl, abzutragen und uns ein Waschbecken zu bringen. Auch dieses war von weißem Steingut und nun kamen auch die Handtücher zu Ehren.

Während wir uns die Hände reinigten, flüsterte mir Halef zu:

»Sihdi, hast du keine Angst?«

»Wovor?«

»Welch eine Zeche wird das geben! Dieses gute Essen, das kühle Bier, Messer, Gabeln und Löffel, ein Tafeltuch, ein Waschbecken, Handtücher und gar noch Brustvorhänge von weißer Leinwand! Dazu hat die Tscheleba alles selbst gekocht! Ich glaube, dieser brave Wirt wird grad so viel von uns verlangen, wie die Rechnung des Polizeipräfekten betragen hat.«

»Mache dir keine Sorge; ich bin überzeugt, daß wir hier gar nichts zu bezahlen brauchen.«

»Meinst du, daß der Wirt auf diesen prächtigen, menschenfreundlichen Gedanken kommen wird?«

»Ganz gewiß. Wir werden nur den Knechten ein Bakschisch zu geben haben.«

»Wenn er so verständig ist, so will ich auch von ganzem Herzen heute, morgen und auch übermorgen vor dem Einschlafen den Propheten bitten, sich bei dem Engel des Todes für diesen guten Wirt zu verwenden.«

»Warum nur bis übermorgen?«

»Dreimal ist genug. Bis dahin lernen wir wohl wieder andere Leute kennen, welche uns gut bewirten und also meiner Fürbitte würdig sind.«

Der kleine Hadschi lächelte still und listig vor sich hin, wie es so seine Art und Weise war, wenn er sich einmal als Pfiffikus gezeigt hatte.

Nach der Reinigung lud der Wirt uns ein, uns wieder an den Tisch zu setzen. Er wollte den ziemlich geleerten Bierkrug abermals füllen und bat uns, vorher auszutrinken. Ich aber lehnte es ab und erwiderte:

»Du würdest mich und wohl auch dich erfreuen, wenn du mir einmal das Schränkchen zeigtest, aus welchem dir das Geld gestohlen ward. Wirst du mir das zu Gefallen tun?«

»Ja. Komm, und folge mir!«

Halef ging mit. Der ihm angeborene Spürsinn erlaubte es ihm nicht, so wie die beiden Anderen zurück zu bleiben.

Der Wirt brauchte nur zwei der dünnen, geflochtenen Zwischenwände ein wenig zurückzuschieben, so standen wir schon vor der Türe seiner Schlafstube. Sie war unverschlossen. Ich überzeugte mich sogleich, daß ein Riegel vorhanden war, mit dessen Hilfe man von innen einem unwillkommenen Oeffnen vorbeugen konnte.

Betten gab es nicht. Rund um die Wände lief ein sogenanntes Serir, ein niedriges Lattengestell, auf welchem Polster lagen. Auf diesen schliefen die Hausbewohner, im Sommer gar nicht und im Winter von ihren Decken oder Pelzen zugedeckt. Die Kleider abzulegen, fiel ihnen natürlich gar nicht ein.

Diese Unsitte des Morgenländers, dieser Mangel aller Betttücher und dieses sehr seltene Wechseln der Leibwäsche disponieren nicht nur zu vielen Krankheiten, sondern sind auch der Grund von dem massenhaften Vorhandensein jener zwei Arten blutgieriger Insekten, welche einst ein ungarischer Magnat, dem zwar die lateinischen Namen Pulex und Pediculus, nicht aber die beiden betreffenden deutschen Wörter geläufig waren, mit den sonderbaren Hauptwörtern »Hopphopp« und >Krappele< bezeichnete.

Die Wände waren weiß getüncht. Die einzige Zierde derselben bildete der in arabischer Schrift hart unter dem Strohdach herumlaufende Spruch:

»Der Schlaf des Gerechten wird von Engeln bewacht; am Lager des Ungerechten aber stöhnen die Vorwürfe ihre ängstlichen Klagen.«

Das Gemach hatte nur eine einzige Fensteröffnung. Dieser gegenüber hing das betreffende Schränkchen an der Wand.

»Da drin hat das Geld gelegen,« sagte der Wirt, indem er auf das Schränkchen zeigte. »Ich habe es wieder so zugeschlossen, wie es war, als der Diebstahl geschah.«

»Schließe einmal auf!« begann ich.

Er zog den kleinen Schlüssel aus der Tasche und öffnete. Das Schränkchen war vollständig leer. Ich untersuchte Schlüssel und Schloß. Es war keine der gewöhnlichen, leichten Fabrikwaren. Auf meine Erkundigung erfuhr ich, daß ein Schlosser in Ostromdscha der Verfertiger sei, und meiner Meinung nach war es nicht durch einen Haken oder Stift zu öffnen gewesen.

Desto unerklärlicher aber war es, wie der Diebstahl hatte vorgenommen werden können.

»Weißt du denn gewiß, daß du das Schränkchen wirklich verschlossen hattest?« fragte ich.

»Ja, ganz gewiß.«

»Hm! War nur das Geld darin?«

»Nein, auch der Schmuck meiner Frau und noch einige goldene oder silberne Kleinigkeiten.«

»Sind diese auch mit gestohlen?«

»Ja, alles ist fort.«

»Das zeigt, daß die Diebe keine Zeit hatten, eine Auswahl zu treffen. Auch wurde der Diebstahl im Dunkel vorgenommen; da konnten die Spitzbuben natürlich nicht sehen, was Wert für sie hatte oder nicht.«

»O, der Kopfschmuck und die Kette meines Weibes bestanden meist aus großen und kleinen Gold- und wertvollen Silbermünzen. Das werden die Diebe trotz der Dunkelheit gar wohl bemerkt haben. Das andere waren einige Spangen, Brustnadeln und Ringe, was alles doch einen Wert hat.«

»Aber auch zur Entdeckung führen kann. Der vorsichtige Dieb nimmt solche Sachen nicht mit. Wenn die beiden Männer diese Gegenstände mitgenommen haben, so beweisen sie, daß sie keine vorsichtigen und auch keine zünftigen Einbrecher sind. Aber wir müssen doch unbedingt herausbekommen, auf welche Weise sie das Schränkchen öffneten.«

Ich wollte mir dasselbe genauer betrachten, aber der kleine Hadschi hatte dies bereits getan.

»Ich hab‘s, Sihdi,« sagte er. »Da ist‘s!«

Er deutete in das Innere. Als ich hinblickte, sah ich freilich sehr leicht, daß die Hinterwand nicht genau anhaftete. Jetzt untersuchte ich, in welcher Weise das Schränkchen an die Wand befestigt war. Das war nicht etwa mit Hilfe eines mehr Sicherheit bietenden Bankeisens geschehen, sondern das Behältnis hing ganz einfach an einem Nagel, von welchem es sehr leicht abgenommen werden konnte.

Ich nahm es herab, und nun zeigte es sich viel deutlicher als vorher, daß es durch die Entfernung der Hinterwand geöffnet worden war. Man bemerkte die Spuren, welche wohl durch eine starke, widerstandsfähige Messerklinge hervorgebracht worden waren.

Die Teile des Schränkchens waren nicht etwa durch Nägel, sondern durch die künstliche, sogenannte Verzinkung vereinigt. Das Lossprengen der Hinterwand hatte also unbedingt ein ganz bedeutendes Geräusch verursachen müssen.

»Habt ihr denn nichts gehört?« fragte ich.

»Gar nichts.«

»Es hat doch sehr laut krachen müssen. Vielleicht habt ihr großen Lärm gemacht?«

»O gar nicht. Wir waren auf die Kunststücke so gespannt, daß wir uns im Gegenteil sehr ruhig und still verhalten haben. Vielleicht hatten die Diebe die Türe nicht offen.«

»Sie werden sich freilich gehütet haben, sie offen zu halten. Jedenfalls haben sie sogar den Türriegel vorgeschoben, um nicht plötzlich überrascht zu werden.«

»Nun, dann haben wir doch nichts hören können?«

»Doch! Es gibt keine Scheidemauern, sondern nur Weidengeflechte im Haus. Das Lossprengen der Hinterwand hättet ihr hören müssen. Ich möchte vermuten, daß – — – hm!«

Ich trat an das Fenster. Es war gerade groß genug, daß ein nicht allzu starker Mann sich hindurchzwängen konnte. Auch das Schränkchen war klein genug, um ganz leicht durch das Fenster gegeben oder genommen zu werden.

»Kommt einmal mit hinaus!« sagte ich, indem ich die Stube verließ.

Sie folgten mir um das Haus herum.

»Hast du schon außen am Fenster gesucht?« fragte ich den Wirt.

»Nein. Wie hätte ich auf diesen Gedanken kommen sollen! Der Schrank hat im Zimmer gehangen. Dort ist der Diebstahl geschehen; was soll da hier zu finden sein?«

»Vielleicht sucht man doch nicht so vergebens, wie du denken magst. Wir wollen sehen! Aber überlaßt das mir; kommt dem Fenster nicht zu nahe. Ihr könntet mir die Spuren verderben.«

Als ich den Platz vor dem Fenster erreichte, blieben die beiden Andern ein wenig rückwärts stehen. Hart an der Mauer wucherte ein üppiges Brennesselgestrüpp. Grad unter dem Fenster war es niedergetreten.

 

»Schau!« sagte ich. »Da siehst du, daß jemand aus dem Fenster gestiegen ist.«

»Aber wohl schon vor längerer Zeit. Vielleicht ist‘s einer meiner Knaben gewesen.«

»Nein. Ein Knabe war es nicht, denn ich sehe hier die Spur eines großen Männerstiefels in dem weichen Boden. Und vor längerer Zeit war es auch nicht. Die geknickten Nesseln sind nicht verwelkt; sie hängen nur matt ihre Blätter. Ich schätze, daß sie erst gestern Abend geknickt wurden. Auch die Fußspuren sind frisch. Die hohen dünnen Kanten der Eindrücke müßten trocken sein, wenn die Spuren alt wären.«

»Wie du das so wissen kannst!« meinte der Wirt ganz erstaunt.

»Um das zu wissen, braucht man nichts als ein offenes Auge und ein wenig Nachdenken. Schau her! Hier erblickst du die Stelle, an welcher das Schränkchen gestanden hat. Es ist jedenfalls von dem feuchten Boden beschmutzt, von den klugen Dieben aber trotz der Dunkelheit wieder hübsch abgewischt worden.«

»Woher weißt du denn auch dieses?«

»Daher, daß ich keine Spur von Schmutz an dem Schränkchen gesehen habe; das ist doch sehr einfach. Wollen weiter sehen!«

Ich suchte am Boden. Vergebens. Jetzt zog ich mein Messer und hieb die Brennesseln hart an der Erde ab. Nachdem ich sie entfernt hatte, betrachtete ich mir nun die leere Stelle. Zwischen den Stoppeln konnte etwas liegen. Ich hatte ganz richtig vermutet. Von zwei Punkten glänzte es mir goldig entgegen. Ich hob die beiden Gegenstände auf. Es war ein dünner Fingerreif mit einem Türkis und ein starker, goldener Ohrring von fast anderthalb Zoll Durchmesser; so groß werden sie in der dortigen Gegend von den Frauen getragen.

»Nun, schau,« sagte ich zu dem Wirt. »Hier ist den Spitzbuben doch etwas entfallen. Kennst du diese Ringe?«

»Ah! Sie gehören meiner Frau. Ob nicht das andere Ohrgehänge auch da ist?«

»Hilf suchen!«

Aber alle Mühe war vergeblich. Es fand sich weiter nichts. Wir wußten nun, wie der Diebstahl ausgeführt worden war. Die Spitzbuben hatten befürchtet, daß der Lärm gehört würde. Darum war der eine von ihnen aus dem Fenster gestiegen, um das Schränkchen, welches der andere ihm nachgereicht hatte, draußen zu öffnen.

Was nun noch zu verhandeln war, konnten wir drinnen besprechen; darum wollten wir uns jetzt wieder hinein in das Zimmer begeben. Vorher aber gingen wir für einige Augenblicke zu unsern Pferden.

Sie waren bereits aus dem Teich herausgeführt und wieder gesattelt. Sie standen mit vorgebundenen Maulsäcken am Ufer und fraßen den für sie delikaten geschrotenen Mais. Ich sagte den Knechten, daß sie die Tiere hier lassen könnten, wo trotz der Nähe des Teiches nicht so viele Fliegen und Mücken waren, wie auf dem schmutzigen Hof. Und es war ein Glück, daß ich auf diesen Einfall kam, wie sich sehr bald zeigen sollte.

Wir waren nämlich kaum in die Stube getreten und schickten uns eben an, wieder an dem Tisch Platz zu nehmen, so sahen wir zwei Reiter in den Hof kommen. Sie sahen nicht eben reputierlich aus. Die Pferde taugten nichts und waren außerdem sichtlich abgetrieben, alte Mähren, für welche ich nicht fünfzig Mark geboten hätte. Und die beiden Männer paßten genau zu ihren Tieren, so zerlumpt und herabgekommen sahen sie aus.

»Du bekommst neue Gäste,« bemerkte Halef dem Wirt.

»An dieser Sorte liegt mir nichts,« antwortete dieser. »Ich werde sie fortweisen.«

»Darfst du denn das, da du ein Einkehrhaus besitzest?«

»Wer will mir verwehren, jemand fort zu weisen, der mir nicht willkommen ist?«

Er wollte hinausgehen, um seinen Vorsatz auszuführen. Ich aber hielt ihn am Arm zurück.

»Halt!« sagte ich. »Laß sie herein!«

»Warum?«

»Ich muß wissen, was diese Leute reden.«

»Kennst du sie denn?«

»Ja. Aber sie dürfen auf keinen Fall wissen, daß wir uns hier befinden. Darum sollen sie weder uns, noch unsere Pferde sehen.«

»Das kann sehr leicht vermieden werden. Ihr braucht nur in meine Schlafstube zu gehen, bis sie wieder fort sind.«

»Meine Gefährten mögen das tun. Ich aber will sie belauschen.«

»Ich weiß zwar nicht, was du damit bezweckst, aber das Horchen wird dir nicht schwer werden. Komm her; ich werde dich verstecken.«

Er führte mich hinter die eine Scheidewand. An derselben lehnten mehrere große Bündel geschälter Weiden, das Material, aus welchem die Wandgeflechte hergestellt wurden.

»Stecke dich hinter diese Bündel,« sagte er. »Da kannst du durch die Zwischenräume des Geflechtes in die Stube sehen. Die Fremden werden dir so nahe sitzen, daß du ihre Worte hören kannst, selbst wenn sie nicht allzu laut sprechen.«

»Aber wenn sie nachsehen sollten, ob sie nicht beobachtet werden?«

»Ich werde den Bündeln eine solche Stellung geben, daß du gar nicht bemerkt werden kannst.«

»Gut! Noch aber muß ich dir sagen, daß ich eher aufbrechen muß, als die beiden Reiter, welche nach Ostromdscha wollen. Und du mußt mit!«

»Ich? Warum?«

»Um den Dieben dein Geld wieder abzunehmen.«

»Sind diese denn in Ostromdscha?«

»Ich habe allen Grund, es zu vermuten. Laß also sofort satteln und dein Pferd mit den unserigen an einen Ort schaffen, wo sie nicht von diesen Menschen bemerkt werden können. Sobald ich hier genug gehört habe, schleiche ich mich in dein Schlafzimmer. Einer deiner Knechte muß dort bereit sein, uns zu den Pferden zu führen, bei denen du dich dann auch schnell einfindest. Jetzt gehe fort, bevor sie kommen.«

Diese Mitteilung war uns nur dadurch ermöglicht worden, daß ich bemerkt hatte, die beiden Reiter schienen sich gar nicht zu beeilen, in die Gaststube zu kommen. Sie waren langsam abgestiegen und dann nach einem der Seitengebäude gegangen, wohl »um zu sehen, ob sie dort nicht etwas fänden, was sie heimlich mitgehen lassen könnten«, wie der Wirt sich ausdrückte.

Dieser entfernte sich, und ich setzte mich nun zwischen der Flechtwand und den Weidenbündeln bequem auf den Boden nieder. Die Zwischenräume der Wand erlaubten mir, die ganze Stube zu überblicken.

Da hörte ich einen nahenden Schritt.

»Sihdi, wo bist du?« fragte die Stimme des kleinen Hadschi jenseits der Bündel.

»Hier stecke ich. Was willst du denn? Wie unvorsichtig von dir!«

»Pah! Die Kerle kommen noch nicht – sie stehen im Stall des Wirtes, um dessen Pferde zu betrachten. Du sagtest, daß du sie kennst. Ist das wahr?«

»Ja, freilich.«

»Nun, wer sind sie denn?«

»Hast du sie denn nicht auch erkannt?«

»Nein, Sihdi.«

»Du hast doch sonst ein so gutes Auge! Hast du nicht die Schleuder bemerkt, welche dem einen von ihnen im Gürtel hängt?«

»Allerdings.«

»Nun, wer trug eine solche?«

»Weiß ich es?«

»Du solltest es wissen. Denk‘ doch einmal an den Taubenschlag!«

»O, Sihdi, an den mag ich gar nicht denken. Wenn ich mich an diesen traurigen Ort erinnere, möchte ich dich bitten, mir einige Ohrfeigen zu verleihen.«

»Du hast dir doch die Männer angesehen, welche unter uns in der Kammer saßen?«

»Auf welche dann die Katze mitsamt den Knüppeln herabkrachte und die Katze war aber ich! Ja, die Leute habe ich mir genau betrachtet.«

»Auch die beiden zerlumpten Menschen, welche links an der Mauer saßen? Sie waren Brüder?«

»Ah, Sihdi, jetzt besinne ich mich. Der eine hatte eine Schleuder. Denkst du, daß sie es sind?«

»Ja, sie sind es. Ich habe mir ihre Gesichter ganz genau gemerkt.«

»O Allah! Sie sagten, daß sie nach Ostromdscha gehen müßten, um den drei Halunken zu melden, was mit uns geschehen sei, vielleicht gar, daß man uns in das Paradies befördert habe.«

»Das wollten sie. Diesen Auftrag haben sie von Manach el Barscha und Barud el Amasat erhalten.«

»So sind sie also noch nicht nach Ostromdscha gelangt, und die drei Kerle, welche wir suchen und die auch unsern jetzigen Wirt bestohlen haben, denken noch jetzt, daß wir uns nicht mehr auf ihrer Spur befinden. Sihdi, erlaube mir, dir einen sehr guten und sehr gescheiten Vorschlag zu machen!«

»Welchen?«

»Wollen wir nicht die beiden Kerle, welche du zu belauschen beabsichtigst, unschädlich machen?«

»Natürlich werden wir das tun.«

»Aber wie?«

»Das werden wir uns überlegen.«

»O, es ist schon überlegt!«

»Deinerseits? Was gedenkst du zu tun?«

»Ich werde sie ein wenig töten.«

»Das laß dir ja nicht einfallen, Halef!«

»O, Sihdi, nur ein wenig! Sie wachen ja sogleich dann in der Hölle wieder auf. Das ist doch wohl kein Totschlag zu nennen!«

»Laß mich mit solchen Vorschlägen in Ruhe!«

»Ja, ich vergesse zuweilen, daß du ein Christ bist. Wenn es auf dich ankäme, so würdest du dein Leben für deinen ärgsten Feind wagen. Diese beiden Halunken stehen ja eben im Begriff, uns in die größte Gefahr zu bringen. Wenn sie die drei andern in Ostromdscha treffen, so kannst du sicher sein, daß sie uns auflauern und jedem von uns eine Kugel geben, bevor wir daran denken können, daß so etwas unter Umständen wohl schädlich sein kann.«

»Wir werden eben dafür sorgen, daß diese zwei jene drei nicht treffen. Oder noch besser, wir werden dafür sorgen, daß sie dieselben treffen können.«

»Bist du toll?«

»Durchaus nicht.«

»Was denn?«

»Nicht toll, sondern klug, denke ich. Wir wissen nicht, wie die drei zu finden sind. Wir haben im Taubenschlag nur erlauscht, daß sie sich in der alten Ruine aufhalten. Aber wir kennen diese Ruine nicht. Es kann sehr schwer, vielleicht unmöglich sein, jemand, der sich dort verborgen hält, aufzufinden.«

»O, ich bin dein Freund und Beschützer Hadschi Halef Omar. Meine Augen reichen von hier bis nach Aegypten, und meine Nase ist noch viel, viel länger. Mir wird es ein Leichtes sein, diese Menschen anzutreffen.«

»Ebenso leicht oder vielmehr noch wahrscheinlicher ist es, daß du von ihnen angetroffen wirst, und dann allerdings werden sie dir keine Zeit lassen, die Sure des Todes zu beten. Nein, wir werden diesen beiden jetzt nichts tun; wir werden uns gar nicht von ihnen erblicken lassen, damit wir ihnen heimlich folgen und sie beobachten können. Sie, die unser Verderben wollen, müssen grad unsere Führer sein, durch welche uns die andern drei in die Hand gegeben werden.«

»Allah! Dieser Gedanke ist auch nicht schlecht!«

»Es freut mich, daß du dieses erkennst! Nun aber entferne dich, damit du nicht etwa noch bemerkt wirst. Sage aber dem Wirt, er solle dafür sorgen, daß diese beiden Gäste so lange wie möglich hier zurückgehalten werden, wenn er mit uns hier fortgeritten ist. Man soll sie so verpflegen, daß sie recht lange hier verweilen. Ich will auch gern bezahlen, was es kostet. Sage es ihm, und nun geh!«

»Ja, Sihdi, ich verschwinde! Es scheint jemand zu kommen.«

Diese letzten Worte sprach er nur noch leise flüsternd. Dann schlich er sich von dannen. Und nun kamen die beiden Erwarteten endlich in die Stube.

Sie fanden dieselbe natürlich leer. Auch Osko und Omar hatten sich längst entfernt, und der Wirt war da gewesen, um den Bierkrug wegzunehmen.

Jetzt konnte ich diese Menschen besser betrachten, als vorgestern abend. Sie hatten wahre Galgengesichter. Es gibt Menschen, denen man es sofort ansieht, was man von ihnen zu halten hat. Zu diesem Schlag gehörten sie. Ihre Kleidung war die der ärmsten Leute, überdies bis zum Ekel schmutzig und zerrissen; aber ihre Waffen waren desto besser und schienen sehr gut gehalten zu sein.

Während der eine eine Schleuder an dem zerrissenen Gürtel hangen hatte, trug der andere die einst so sehr gefürchtete Waffe der vor den Türken in die Wälder geflüchteten Serbier und Walachen, einen Heiduckenczakan, dessen gewundener Schaft mit der perligen Haut des Haifisches überzogen war. Ich kannte die Waffe nur vom Hörensagen, hatte auch hier und da in Sammlungen Exemplare derselben gesehen, aber Zeuge ihres Gebrauches war ich noch nicht gewesen. Ich dachte nicht, daß ich in kürzester Zeit sogar ein Ziel derselben bilden würde.

Sie schauten sich in dem Raume um.

»Kein Mensch ist da,« knurrte der Schleuderer. »Glaubt man etwa, daß wir den Raki, den wir trinken wollen, nicht bezahlen können?«

»Müssen wir ihn bezahlen?« lachte der Andere. »Sind wir nicht in die Wälder geflüchtet? Besitzen wir nicht die Koptscha, vor der sich alle fürchten? Wenn wir nicht freiwillig bezahlen wollen, so möchte ich doch sehen, wer es sich einfallen ließe, uns zu zwingen!«

»Schweig‘ davon! Wir sind nur zu zweien, und dieser Ibarek hier ist ein reicher Mann, welcher viele Knechte und Arbeiter hat, gegen die wir nicht aufkommen könnten. Wegen einiger Schlücke Raki begebe ich mich nicht in Gefahr. Aber ärgerlich ist es, daß man sich gar nicht nach uns umsieht. Sollten sie es sich etwa einfallen lassen, uns für Vagabunden zu halten?«

 

»Sind wir etwas anderes?«

»Gar wohl sind wir etwas anderes. Wir sind die Helden der Berge und Wälder, welche die Aufgabe haben, das an ihnen begangene Unrecht zu rächen.«

»Gewöhnliche Leute aber sagen Räuber anstatt Helden, was mir jedoch höchst gleichgültig ist. Vielleicht ist nur deshalb niemand in der Stube, weil diese guten Leute draußen an den Wänden stehen, um uns durch die Ritzen derselben anzustarren. Das sollte ihnen aber schlecht bekommen. Schauen wir einmal nach!«

Sie traten heraus und schritten an den Weidenscheidewänden hin. Als sie an die Wand kamen, hinter welcher ich hockte, meinte der eine:

»Hier hinter diesen Bündeln kann leicht jemand sein. Wollen einmal nachfühlen. Mein Messer ist spitz genug.«

Die Art und Weise, in welcher diese Menschen hier auftraten, zeigte deutlich, von welch rohem Schlag sie waren. Und ebenso, wie sie, sind weitaus die meisten jener Leute, welche sich einen Nimbus damit geben, daß sie, wie der landläufige Ausdruck lautet, »hinaus in die Wälder gehen«. Es mag wohl einige wenige geben, welche, von der Ungerechtigkeit, von dem Haß und der Verfolgung gezwungen, sich in die Berge flüchten, aber ihre Zahl ist verschwindend klein gegen die Menge derjenigen, die nur aus roher Brutalität die heiligen Bande zerreißen, welche das Gesetz, das göttliche und das menschliche, um alle gezogen hat.

Der Urian zog sein Messer und stach zwischen den einzelnen Bündeln hindurch, doch glücklicherweise zu hoch. Wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, mich zu setzen, hätte er mich sicherlich getroffen.

Freilich, ob es mir auch wirklich eingefallen wäre, als Zielscheibe dieses Messerhelden ruhig stehen zu bleiben, das war eine andere Frage. Jedenfalls hätte ich den Stoß nicht abgewartet; aber – mochte ich mich nun gegen die Männer verhalten, wie ich wollte – eine Schande wäre es doch für mich auf alle Fälle gewesen, mich von ihnen aufstöbern zu lassen. Es gibt eben Dinge, welche man, unbeschadet seiner Ehre und seines Selbstgefühles, ganz wohl tun kann, aber – wissen lassen darf man es nicht. Zu diesen Dingen gehört jedenfalls auch das Lauschen.

Horchen ist eine Schande, sagt man allgemein; aber es gibt Lagen, in denen es geradezu eine Pflicht sein kann. Wem sich die gute Gelegenheit bietet, Verbrecher zu belauschen und dadurch eine böse Tat zu verhüten, der macht sich, wenn er aus falschem Scham- und Ehrgefühl diese Gelegenheit unbenutzt vorübergehen läßt, zum Mitschuldigen dieser Tat. Und bei mir trat noch die Pflicht der Selbsterhaltung dazu.

»Es ist niemand da,« meinte der Mann befriedigt. »Wollte es auch keinem geraten haben! Komm‘ herein!«

Sie begaben sich in die Stube zurück und riefen nun laut nach Bedienung. Der Wirt kam herein, begrüßte sie und entschuldigte sich in höflichen Worten, daß er nicht sogleich habe erscheinen können.

»Ich bereitete mich eben zur Reise vor,« erklärte er ihnen. »Da mußtet ihr leider warten.«

»Wohin willst du?« fragte derjenige, welcher die Schleuder trug.

»Nach Tekirlik.«

Er war also so klug, grad die entgegengesetzte Richtung anzugeben. Dennoch erkundigte sich der Kerl:

»Was willst du dort? Willst du in Geschäften hin?«

»Nein, sondern zu meinem Privatvergnügen. Was befehlt ihr, daß ich euch bringen soll?«

»Raki. Bringe aber genug! Wir haben Durst und werden gern bezahlen.«

Wenn diese Menschen den Branntwein gegen den Durst tranken, so hätte ich ihre Gurgeln sehen mögen!

»Bezahlen?« erwiderte der Wirt lächelnd. »Ihr seid heut‘ meine ersten Gäste, und ich habe die alte Gewohnheit, denjenigen, welche bei mir an dem heutigen Tage die ersten sind, das, was sie verzehren, umsonst zu geben.«

»So? Was für ein Tag ist denn heute?«

»Mein Geburtstag.«

»Dann gratulieren wir dir und wünschen dir ein Leben von tausend Jahren. Also, was wir essen und trinken, brauchen wir nicht zu bezahlen?«

»Nein.«

»So bringe nur gleich einen Krug voll Raki. Du sollst mit uns trinken.«

»Das kann ich nicht, da ich sofort aufbrechen werde. Ich will den heutigen Tag mit meinen Verwandten verbringen, welche in Tekirlik wohnen. Aber Bescheid werde ich euch tun.«

Er entfernte sich, um den Schnaps herbei zu holen.

»Du,« meinte derjenige mit dem Heiduckenbeil, »das haben wir gut getroffen. Nicht?«

»Ja«, nickte der andere, vor Vergnügen grinsend. »Wir werden uns eine Güte tun.«

»Der Mann soll, wenn er bei seiner Rückkehr erfährt, was wir verzehrt haben, nicht sagen, daß wir seinen Geburtstag nicht zu feiern verstanden.«

Mich freute es, daß der Wirt so klugerweise auf diesen Vorwand, die beiden hier fest zu halten, gekommen war. Er brachte einen Krug, welcher nach meiner Ansicht groß genug war, mit seinem Inhalt zehn Männer betrunken zu machen. Dazu setzte er ein Glas auf den Tisch und wollte eingießen.

»Halt!« gebot der Schleuderer. »Dieses Gefäßchen ist ja nur für Kinder. Wir aber sind Männer und trinken gleich aus dem Krug. Was Allah gibt, das soll man voll genießen. Ich trinke auf dein Wohl und wünsche dir dabei alles, was du dir selbst wünschen magst.«

Er tat zwei lange Züge, setzte ab, tat noch einen Zug und machte dann ein Gesicht, als ob er Nektar getrunken habe. Sein Kamerad folgte seinem Beispiel, trank auch nicht weniger, schnalzte mit der Zunge und meinte, dem Wirt nun den Krug entgegen haltend:

»Trink‘, Freundchen! Dieses Labsal findet seinesgleichen nicht auf der ganzen Erde. Trink‘ aber nicht so sehr viel, damit wir als deine Gäste nicht zu kurz kommen.«

Der Wirt nippte nur und antwortete dann:

»Ihr werdet nicht zu kurz kommen und könnt euch den Krug wieder füllen lassen.«

»Wird dies auch geschehen, wenn du dich nicht mehr hier befindest?«

»Ja. Ich habe dem Knecht, der euch bedienen wird, den Befehl gegeben, euch zu geben, was ihr verlangt, wenn es nämlich vorhanden ist.«

»So wünsche ich dir zehntausend Jahre anstatt eines einzigen Tausends. Du bist ein sehr frommer und würdiger Sohn des Propheten und führst ein verdienstliches Leben, für welches dich der Engel des Todes einst in Abrahams Schoß betten wird.«

»Ich danke euch! Jetzt aber werde ich gehen. Also wendet euch an den Knecht, wenn ich nicht mehr da bin.«

»Wo befindet er sich denn?«

»Draußen auf dem Hof. Es ist kein Mensch hier im Hause. Die Leute sind alle auf dem Feld, werden aber bald zurückkommen.«

Der Schlaue sagte das, um sie in Sicherheit zu wiegen. Sie sollten nicht argwöhnen, daß sie belauscht würden, sondern vollständig überzeugt sein, daß sie sich ganz gemütlich und laut unterhalten konnten.

»So wünschen wir dir gute Reise,« sagte der Besitzer des Beiles. »Vorher aber möchte ich mich bei dir nach etwas erkundigen.«

»Was ist das?«

»Sind vielleicht vor einiger Zeit drei Männer eingekehrt, weißt du, nicht gewöhnliche Männer, sondern vornehme Herren?«

»Hm! Bei mir kehren sehr viele Leute ein. Ihr müßt mir also diese drei beschreiben.«

»Das ist nicht notwendig. Wir brauchen dir nur zu sagen, was für Pferde sie ritten. Es waren drei Schimmel.«

»Ah, richtig! Die sind gestern abend hier gewesen. Es waren sehr vornehme Männer.«

»Haben sie hier geschlafen?«

»Nein. Sie wollten es zwar tun, aber wir machten ein Spielchen, welches fast bis zum Morgen währte, und da meinten sie dann, daß es besser wäre, sogleich weiter zu reiten.«

»Haben sie dir gesagt, welches ihr Reiseziel wäre?«

»Ja.«

»Etwa Ostromdscha?«

»O nein! Sie wollten nach Doiran.«

»Ah so! Sind sie denn auch dorthin geritten?«

»Natürlich! Sie haben es ja gesagt. Warum sollten sie denn auf einen andern Gedanken kommen?«

»Ganz richtig! Du hast wohl gesehen, daß sie nach Süden davonritten?«

»Ich? Gesehen?« fragte er erstaunt. »Um das zu sehen, hätte ich ihnen doch durch das ganze Dorf nachlaufen müssen. Welchen Grund sollte ich haben, dies zu tun?«

»Ich fragte das nur so nebenbei. Aber weiter! Sind nicht dann auch noch Andere bei dir eingekehrt, welche aus derselben Richtung kamen?«

Diese Frage galt natürlich mir und meinen Begleitern. Wie ich sie beantwortet hätte, das wußte ich; aber daß sie der Wirt anders beantworten werde, davon war ich vollständig überzeugt. Jedenfalls war es am leichtesten, uns ganz zu verleugnen. Daß wir gar nicht hier durchgekommen seien, war nicht zu behaupten; denn wir waren ganz offen durch die rückwärts liegenden Orte geritten und von vielen Leuten gesehen worden. Die beiden hatten sich da jedenfalls auch nach uns erkundigt und wußten also, daß wir ihnen voraus waren.