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In den Schluchten des Balkan

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Siebentes Kapitel: Im Konak von Dabila

Die unter dem Szepter des Sultans befindlichen Länder gehören zu denjenigen, in welchen der Reisende zu seinem Leidwesen und vielleicht auch zu seinem Schaden sehr oft erfährt, daß die Karten, deren er sich notwendigerweise bedienen muß, nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen.

Zu einem guten Kartenleser gehört schon etwas; aber selbst ein solcher findet sich gar oft in größter Verlegenheit, wenn er den Fehler begeht, sich der wahrheitswidrigen Zeichnung anzuvertrauen.

Da ist zum Beispiel auf vielen Karten eine Doppellinie verzeichnet, welche von dem alten, berühmten Seres nordwärts nach Demir-Hissa und Petrowitsch und von da gegen Nordwesten über Ostromdscha und Istib nach Köprili und Uskub führt. Man schließt aus dieser doppelten Linie, daß da eine gut gepflegte, breite Land- oder gar Heerstraße vorhanden sei – aber wie sieht es in Wirklichkeit aus!

Von einer Straße in unserem Sinn ist keine Spur. Als wir aus der Seitenschlucht in das Tal der Strumnitza einbogen, wußte ich gar wohl, daß nach den Karten sich eine wohlangelegte Straße am Ufer dieses Flusses hinziehen sollte; aber was wir fanden, war auf keinen Fall mit einem deutschen Vizinalweg zu vergleichen. Die Wege, auf denen unsere deutschen Bauern auf ihre Felder fahren, sind besser angelegt und unterhalten, als diese Heerstraße es war.

Von da an, wo wir auf diese sogenannte Heerstraße einbogen, mußte man ungefähr fünf Stunden reiten, um Ostromdscha zu erreichen, wenn man die Tiere nicht stark anstrengen wollte. Dieser Ort war das Ziel unseres Rittes an diesem Tag.

Ich hatte einmal ein altes geographisches Werk über die Türkei in den Händen gehabt. Es war Seiner Königlichen Hoheit Karl, dem Fürst-Primas des Rheinischen Bundes, Großherzog von Frankfurt, Erzbischof von Regensburg usw¨, dem »hochherzigen deutschen Fürsten, Kenner und Freunde der Wissenschaften und großmütigen Beschützer der Gelehrten« gewidmet gewesen. Indem wir nun gen Ostromdscha ritten, fiel mir ein, daß laut des erwähnten Werkes dieser Ort an dem Rande eines Hügels liege, auf dessen Höhe ein altes, verwüstetes Schloß stehe. In der Nachbarschaft wurde früher ein berühmter Markt abgehalten, und am Fuß des Berges sollten heiße Quellen zu finden sein. Aber wer kann einem »Panorama der europäischen Türkei« trauen, welches im Jahre 1812 das Licht der Welt erblickte!

Aus neueren Aufzeichnungen wußte ich, daß die Stadt etwa sieben- oder achttausend Einwohner, meist Türken und Bulgaren, haben solle, welche viel Baumwolle und Tabak bauen. Ich war neugierig, wie sich diese Stadt uns präsentieren werde.

Leider fühlte Halef noch immer Schmerzen in der Brust. Von dem letzten Abenteuer im Taubenschlag schien er doch eine, wenn auch nicht gefährliche, innere Verletzung davongetragen zu haben. Er klagte zwar nicht, aber ich ließ dennoch die Pferde nur im langsamen Schritt gehen, damit er sich nicht anstrengen solle.

Links vom Flusse breitete sich die Ebene aus, welche sich dann langsam zu den Welitzabergen erhebt, und rechts fielen die Höhen der Plaschkawitzaplanina steil zur Tiefe.

Wir erreichten Radowa, ein trauriges Nest, dessen Bewohner sich dem Bau der edlen Tabakspflanze hinzugeben schienen, und dann führte die sogenannte Straße mittels einer alten Brücke auf das jenseitige Ufer des Flusses über. Da wir langsam ritten, erreichten wir erst nach der Mittagszeit das Dorf Dabila, welches unsere letzte Station vor Ostromdscha war.

Ich hatte gar wohl bemerkt, daß Halef zuweilen die Lippen schmerzlich zusammenkniff. Darum sah ich mich, als wir durch das Dorf ritten, nach einem zum Ausruhen geeigneten Ort um. Ich bemerkte eine lange, ziemlich hohe, aber sich in sehr schlechtem Zustand befindliche Mauer, hinter welcher Gebäude standen. Ein breites, altertümliches Tor führte in den Hof. Der obere Teil dieses Tores war weiß übertüncht, und darauf sah ich zu meinem Erstaunen in türkischer Schrift die Worte »Mekian rahatün ile eminlikün ile huzurun« geschrieben.

Diese Inschrift mutete mich fast heimatlich an. Eine Inschrift, eine Firma an einem türkischen Chan ist eine Seltenheit. Diese Worte bedeuten auf deutsch: »Herberge zur Ruhe, Sicherheit und Bequemlichkeit.« Ob man ihnen wohl trauen konnte?

»Wollen wir hier einmal einkehren?« fragte ich Halef.

»Wenn du willst, Sihdi,« antwortete er; »ich tue, was dir gefällt.«

»So kommt herein!«

Wir lenkten durch das Tor in den Hof, welcher von drei niedrigen Gebäuden und von der erwähnten Mauer eingeschlossen wurde.

In der Mitte desselben lag das, was man als die »Goldgrube des Landwirtes« zu bezeichnen pflegt, nämlich die Düngerstelle. Nach ihrer Höhe und nach ihrem Umfang war anzunehmen, daß der Besitzer reich an dem erwähnten edlen Metall sein müsse, zumal eigentlich der ganze Hof auf die Bezeichnung als Goldgrube Anspruch erheben konnte; denn kaum waren wir durch das Tor gelangt, so wateten unsere Pferde bereits in den tiefen vegetabilischen und animalischen Resten, welche ihre Gegenwart den Geruchsorganen in nicht gerade lieblicher Weise bemerkbar machten.

»Ej gözel koku, ej nimet burundan – o Wohlgeruch, o Wohltat der Nase!« rief Halef. »Ja, das ist eine Herberge der Bequemlichkeit. Wer sich hier niederlegt, der liegt sehr weich. Sihdi, willst du es versuchen?«

»Du bist mein Freund und Beschützer; ich werde tun, was du mir vormachst,« antwortete ich.

Damit war unser Gedankenaustausch zu Ende, denn eine ganze Meute borstiger Hunde kam heulend auf uns zugestürzt. Es sah aus, als ob die Bestien uns zerreißen wollten. Ich gab meinem Rappen die Sporen und schnellte mitten unter sie hinein. Da stoben sie auseinander und flohen davon.

Nach Menschen sahen wir uns vergebens um. Die Gebäude rechts und links von uns schienen landwirtschaftlichen Zwecken zu dienen, während das uns gegenüberliegende Gebäude das Wohnhaus zu sein schien; aber auch nur schien, denn es war nichts zu sehen, was diese Vermutung zur Gewißheit hätte erheben können. Löcher mit Läden gab es, aber keine Fenster. Auch einen Schornstein sah ich nicht. Die Türe war eng und niedrig. Dennoch ritten wir hin und stiegen vor derselben ab.

Erst jetzt ließ sich ein menschliches Wesen am Eingang erblicken. Ich wußte nicht zu sagen, ob diese Person eine männliche oder eine weibliche sei. Die Gestalt trug außerordentlich weite, krapprote Beinkleider, welche oberhalb der Knöchel zusammengebunden waren. Ob die Füße in Schuhen steckten oder ob sie unbekleidet waren, das konnte ich nicht unterscheiden. Schwarz aber waren sie; das war sicher. Von dem Halse ging ein Hemd bis zu den Knieen herab. Es wurde über den Hüften mit einem Riemen zusammengehalten, und ich vermutete, daß es einmal eine weiße Fustanella gewesen sei. Jetzt aber sah es aus, als ob es zehn Generationen hindurch den Ahnen und Urahnen eines Stubenmalers als Arbeitskittel gedient habe und dann noch extra durch den Schlamm eines Teiches gezogen worden sei. Hals und Gesicht waren unendlich hager und waren wohl kaum jemals mit Seife und Wasser in Berührung gekommen. Der Kopf wackelte hin und her, wie bei einer chinesischen Pagode. Unter den Tuchfetzen, welche ihn bedeckten, hingen einige graue, wirre Haarsträhnen hervor.

»Güniz chajir ola – guten Tag!« grüßte ich. »Wer bist du?«

»Im basch dscharije – ich bin die Obermagd,« wurde mir in würdevollem Ton geantwortet.

»Wo ist der Herr?«

»Drinnen.«

Bei diesem Wort deutete die Schaffnerin des gastlichen Hauses mit dem Daumen über ihre Achsel in das Innere des Gebäudes hinein.

»Selamlariz onu – so werden wir ihn begrüßen.«

»Pek ei sultanum – sehr wohl, mein Herr!«

Sie trat heraus, um uns Platz zu machen. Ich mußte mich bücken, um nicht oben anzustoßen. Einen Hausflur gab es nicht, wie ich jetzt bemerkte. Das Gebäude bestand nur aus den vier Umfassungsmauern und aus dem darüberliegenden Strohdach. Das Innere war, wie es in dieser Gegend oft vorkommt, durch Weidengeflechte in mehrere Abteilungen gesondert.

»Sol tarafda – links!« rief uns die Obermagd nach.

Wir folgten dieser Weisung und traten also in die uns von ihr bezeichnete Abteilung, in welcher wir aber den Wirt nicht fanden.

Der Raum wurde von zwei Maueröffnungen erhellt, vor welchen die Läden zurückgeschlagen waren. Ein Fenster gab es nicht, wie bereits erwähnt. In der Mitte stand ein Tisch mit vier Bänken rund herum. Er war weiß gescheuert und hatte ein so sauberes Aussehen, daß ich mich schier verwunderte. Nach dem Aussehen der Obermagd hätte ich diese Reinlichkeit nicht erwartet. Auch die Bänke waren rein und fleckenlos. Da ich kein Heiligenbild erblickte, vermutete ich, daß der Besitzer dieser Herberge ein Moslem sei.

In den Maueröffnungen standen einige blühende Blumenstöcke, welche dem Gemach ein trauliches Aussehen gaben, und der hölzerne, gefüllte Wasserständer in der Ecke war so blank gescheuert, daß man mit Appetit von seinem kühlen Inhalte schöpfen konnte.

Ich klopfte mit dem Knopf der Reitpeitsche auf den Tisch. Sogleich wurde die eine Zwischenwand ein wenig zur Seite geschoben, und es erschien ein Mann, der nach unserem Begehr fragte.

Er war türkisch gekleidet und trug einen roten Fez auf dem Kopf. Seine Gestalt war kräftig, und der lange, dunkle Vollbart, welcher ihm fast bis auf die Brust wallte, gab ihm ein imponierendes Aussehen.

»Bist du der Herbergsvater?« fragte ich ihn.

»Ja, aber ich beherberge niemand mehr,« antwortete er.

»So mußt du die Inschrift deines Tores entfernen.«

»Das werde ich noch heute tun. Ich lasse sie übertünchen.«

Er sagte das in einem grimmigen Ton, aus welchem zu vermuten war, daß er als Wirt böse Erfahrungen gemacht habe.

»Wir sind auch nicht gekommen, um hier bei dir zu bleiben,« erklärte ich ihm. »Wir wollen uns nur ausruhen und etwas trinken.«

»Das will ich gelten lassen. Auch einen Imbiß könnt ihr haben.«

 

»Was hast du zu trinken?«

»Einen Raki und ein sehr gutes Bier, welches ich euch empfehlen kann.«

Also Bier hatte er! Hm! Das war ja überraschend.

»Wer hat es gebraut?« fragte ich.

»Ich selbst.«

»Wie bewahrst du es auf?«

»In großen Krügen. Es wird täglich neues gekocht, da ich es meinen Leuten zu trinken gebe.«

Das war nun freilich keine Empfehlung. Er mochte dies meinem Gesicht ansehen, denn er sagte:

»Du kannst es getrost versuchen. Es ist ganz neu, erst heute früh fertig geworden.«

Er war also wohl der Ansicht, daß das Bier um so besser munde, je jünger es sei. Ich hegte eine ganz andere Meinung, bestellte aber doch von dem Trank; denn ich war neugierig, welch ein Gebräu man hier mit dem Namen Bier bezeichne.

Er brachte einen großen, gefüllten Krug und setzte denselben auf den Tisch.

»Trink!« munterte er mich auf. »Es gibt Kraft und verscheucht die Sorgen.«

Ich nahm allen meinen Mut zusammen, ergriff den Krug mit beiden Händen und führte ihn zum Mund. Das Zeug roch nicht übel; ich tat einen kühnen Zug, noch einen und – trank weiter. Dünn war es, außerordentlich dünn, Münchener Gebräu, mit dem fünffachen Volumen Wasser vermischt, aber es schmeckte doch nicht übel. Es war ein Mittel gegen den Durst, weiter aber nichts.

Auch die Andern tranken und gaben dann ein befriedigendes Gutachten ab, vielleicht nur, weil ich kein abfälliges Urteil ausgesprochen hatte. Das freute den Wirt sichtlich. Sein finsteres Gesicht heiterte sich für einige Augenblicke auf, und er meinte in selbstbewußtem Ton:

»Ja, ich bin selbst Bierbrauer. Das tut mir hier niemand nach.«

»Wo hast du das gelernt?«

»Von einem Fremden, welcher aus dem Bierland gebürtig war. Er hatte längere Zeit in Stambul gearbeitet und war eigentlich ein Schuster. Aber in jenem Lande brauen alle Bier, und darum verstand auch er es gut. Er war sehr arm und wanderte in seine Heimat zurück. Ich hatte Mitleid mit ihm und gab ihm für einige Zeit Herberge nebst Speise und Trank. Dafür hat er mir aus Dankbarkeit das Rezept des Bieres gegeben.«

»Wie heißt das Land, aus welchem er stammte?«

»Ich habe mir den Namen ganz genau gemerkt. Es heißt Elanka.«

»Du hast, wie es scheint, dir den Namen doch nicht ganz genau gemerkt.«

»O doch! Er lautete wirklich Elanka.«

»Oder wohl Erlangen?«

»Erla – — – Herr, du hast recht. So wie du sagst, so heißt das Land. Ich besinne mich. Das Wort ist nicht leicht auszusprechen. Kennst du es denn?«

»Ja, aber Erlangen ist nicht ein Land, sondern eine Stadt in Bawaria.«

»Ja, ja, du weißt es ganz genau. Er war ein Bawarialy. Jetzt fällt es mir ein. Bawaria ist ein Teil von Alemanja, wo alle Leute Bier trinken. Sogar die Säuglinge schreien schon danach.«

»Hat dir das dieser Schuster gesagt?«

»Ja, er tat es.«

»Nun, ich kenne ihn nicht und weiß also auch nicht, ob er bereits in so früher Jugend Bier getrunken hat. Jedenfalls aber hat er dir bewiesen, daß dieser Trank den Menschen nicht undankbar macht. Können wir auch etwas zu essen bekommen?«

»Ja, Herr; sage nur, was dein Herz begehrt!«

»Ich weiß doch nicht, was du hast.«

»Verlange nur – Brot, Fleisch, Geflügel; es ist alles da, alles.«

»Hm! Könnten wir nicht noch eine Eierspeise bekommen?«

»Ja, das kannst du haben.«

»Aber wer wird es bereiten?«

»Meine Frau.«

»Nicht die Basch dscharije, die uns draußen empfangen hat?«

»O nein, Herr! Ich weiß, warum du fragst. Sie ist die Oberste und Fleißigste im Stall, aber mit der Zubereitung der Speisen hat sie gar nichts zu tun.«

»Nun, so wollen wir‘s versuchen.«

Er ging hinaus, um das Verlangte zu bestellen. Meine Kameraden gaben ihre Befriedigung zu erkennen, daß die wackere Schaffnerin nicht auch zugleich das Amt einer Küchenfee bekleidete.

Als der Wirt zurückkehrte, setzte er sich zu uns, und es schien, daß er uns genauer musterte, als vorher.

»Ich habe euch nicht sehr freundlich empfangen,« sagte er dann. »Ihr dürft mir das nicht übel nehmen. Es gibt Gäste, welche einem die Lust am Herbergen verleiden.«

»Hast du schon schlimme Erfahrungen gemacht?«

»Sehr schlimme.«

»Erst kürzlich wohl?«

»Ja, heute nacht. Ich bin bestohlen worden.«

»Von Gästen? Wie ist das zugegangen?«

»Du mußt wissen, daß ich viel Tabak baue. Zu gewissen Zeiten kommt ein Tabakhändler aus Salonik zu mir, um zu kaufen. Gestern war er da und zahlte mir die letzte Rate für die vorjährige Ernte. Es waren grad hundert Pfund. Eben als er sie mir hier auf den Tisch legte, lauter goldene Pfundstücke, kamen drei Fremde, welche mich fragten, ob sie bei mir schlafen könnten. Ich hieß sie willkommen und trug das Geld hinaus, hinüber in meine Schlafstube. Von dort haben sie es mir gestohlen.«

»Wie haben sie das angefangen? Ist es denn so leicht, in deine Schlafstube zu gelangen? Hat sie auch nur solche Rutenwände, wie diese Stube hier?«

»O nein. Sie liegt in der hinteren, linken Ecke des Hauses und besteht aus den beiden Umfassungsmauern und aus zwei starken Backsteinwänden, welche bis unter das Dach hinaufgehen. Die Türe ist stark und sogar mit Eisen beschlagen. Ich habe diese Sicherheitsmaßregel getroffen, weil ich dort alles aufbewahre, was mir wertvoll ist.«

»Wie sind die Diebe da hineingekommen? Wie haben sie überhaupt wissen können, daß du das Geld dort aufbewahrst?«

»Du mußt eben bedenken, daß hier alle Wände nur aus Geflecht bestehen und daß sie leicht verschiebbar sind. Dadurch ist es ermöglicht worden, daß mir einer von den dreien nachschleichen und da beobachten konnte, wohin ich das Geld trug. Dann ist er schnell hinausgegangen, hinter das Haus, um durch das Fenster zu sehen, wohin ich es stecken werde. Als ich es eingeschlossen hatte, war es mir, als ob ich von draußen her ein Geräusch vernähme. Ich eilte an den offenen Laden und horchte hinaus. Da vernahm ich Schritte, welche sich entfernten. Als ich dann zurückkehrte, fehlte einer von den dreien. Er trat nach einigen Augenblicken ein.«

»Ist dir denn das nicht aufgefallen?«

»Sogleich nicht. Die Schritte, welche ich gehört hatte, konnten ja von einem meiner Knechte herrühren, welche um die betreffende Zeit gewöhnlich hinter dem Hause zu tun haben. Erst später, als ich den Verlust des Geldes bemerkte, fiel mir dieser Umstand ein, und als ich da die Dienstboten befragte, erfuhr ich von einem meiner Taglöhner, daß er genau um die angegebene Zeit nach dem Pferch der Schafe, welcher hinter dem Hause liegt, sich begeben habe und dort dem Fremden begegnet sei, der aus der Richtung meiner Schlafstube gekommen ist.«

»Und weißt du vielleicht, in welcher Weise der Diebstahl ausgeführt worden ist?«

»Das ist mir noch jetzt ein Rätsel. Als ich schlafen ging, war es sehr spät, einige Stunden nach Mitternacht. Ich hatte gespielt und Geld gewonnen und wollte es zu dem übrigen tun. Als ich das Schränkchen öffnete, war es leer.«

»Hm! Es war vorher verschlossen? Ich meine, mit einem Schlüssel?«

»So war es.«

»Und die Schlafstube auch?«

»Nein, diese nicht. Sie steht fast immer offen, weil mein Weib und meine Kinder oft hineingehen und ich dann die Mühe hätte, allemal aufzuschließen.«

»Du sagst, daß du gewonnen habest. Mit wem hast du gespielt?«

»Mit den drei Männern.«

»Nicht auch mit dem Tabakhändler?«

»Nein. Der war noch vor Einbruch der Nacht fortgeritten. Die Gäste waren noch nicht müd und fragten mich, ob ich wohl ein Kartenspiel mit ihnen machen wolle. Ich ging darauf ein und gewann beinahe ein Pfund. Ich mußte dabei mit ihnen Raki trinken, und da sie mir sehr fleißig zutranken, so bekam ich nach und nach ein Räuschchen und wurde so müd, daß ich endlich das Spiel aufgeben mußte.«

»Und dann bist du sogleich in deine Schlafstube gegangen, um den Gewinn in den Schrank zu tun?«

»Nein. Vorher mußte ich den dreien das Tor öffnen. Sie meinten, es sei zu spät, um noch schlafen zu gehen. Der Morgen war nahe, und sie zogen vor, sogleich aufzubrechen. Sie bezahlten für das, was sie verzehrt hatten, mehr als ich verlangte, und dann ritten sie fort.«

»Wohin? Haben sie dir das gesagt?«

»Ja. Sie wollten nach Doiran.«

»Hm, also nach Süden, über Furkoi und Oliwetza. Und woher waren sie gekommen?«

»Von Menlik her.«

»Ah, von Menlik! Und drei waren es? Hast du sie genau angesehen?«

»Natürlich! Ich habe ja fast sechs Stunden lang mit ihnen gespielt.«

Es stieg nämlich die Ahnung in mir auf, daß die drei Diebe mit den Männern, welche wir suchten, identisch seien. Darum fragte ich weiter:

»So hast du auch ihre Pferde in Augenschein genommen?«

»Ja. Es waren drei Schimmel.«

»Peh ne güzel – wie schön, wie schön!« entfuhr es dem kleinen Halef. »Sihdi, ich habe es sofort geahnt, sofort!«

»Ja, du bist ein scharfsinniger Freund und Beschützer deines Herrn.«

»Was hat er geahnt, was?« fragte der Wirt schnell.

»Etwas, was dich später wohl auch noch interessieren wird,« antwortete ich ihm. »Zunächst bitte ich dich, mir weitere Auskunft zu erteilen.«

»Betrifft es die Leute, welche mich bestohlen haben?«

»Du hast es erraten.«

»So frage mich nur! Ich werde dir sehr gern alles sagen, was du wissen willst.«

Sein Gesicht nahm einen ganz anderen Ausdruck an. Die Worte des kleinen Hadschi hatten ihn auf die Vermutung gebracht, daß wir in irgend welcher Beziehung zu den Dieben ständen, und er war nun sehr gespannt, das Weitere zu hören. Man sah es ihm an, daß ihn jetzt eine, wenn auch nur unbestimmte Hoffnung zu erfüllen begann.

»So waren sie also schon fort, als du den Verlust des Geldes entdecktest,« meinte ich. »Fiel denn dein Verdacht sofort auf sie?«

»Nein. Ich weckte natürlich sogleich alle meine Leute auf und fragte sie aus. Sie alle sind ehrliche Menschen, und es gibt keinen unter ihnen, dem ich eine solche Tat zutraue. Ich suchte bei allen nach, ohne etwas zu finden, was nur den geringsten Verdacht erwecken konnte. Dann erst dachte ich an die drei Fremden. Ich fragte nach ihnen und erfuhr nun von dem Taglöhner, daß der eine grad zu der Zeit, in welcher ich das viele Geld in meine Schlafstube getragen hatte, hinter dem Hause gewesen sei.«

»Aber der Diebstahl kann doch nicht zu dieser Zeit, sondern er muß später ausgeführt worden sein!«

»Natürlich. Das sage ich mir auch.«

»Und mir scheint, daß auch nicht ein einzelner Mann genügt hat, sich des Geldes zu bemächtigen. Es haben wenigstens zwei dazu gehört. Kannst du dich denn nicht besinnen, ob sich einmal zwei zugleich entfernt haben?«

»Sehr genau sogar. Zunächst ist mir das gar nicht aufgefallen; erst später dachte ich daran.«

»Ist das früh oder spät geschehen?«

»Noch bevor die Meinen schlafen gingen.«

»Deine Familie schläft bei dir im Zimmer?«

»Natürlich, alle.«

»So mußte der Diebstahl allerdings ausgeführt werden, bevor sie sich zur Ruhe legten. Die Diebe haben sich das sehr wohl überlegt. Wie aber haben sie es angefangen, euch alle abzuhalten, sie zu erwischen?«

»Der eine von ihnen begann, uns Kartenkunststücke zu zeigen. Da mir dieselben so wohl gefielen, erlaubte er mir, alle meine Leute herbeizuholen. Während er uns so prächtig unterhielt, entfernten sich die beiden andern, was mir aber gar nicht aufgefallen ist. Erst als sie zurückkamen, sagte er, daß er uns nun alles gezeigt habe, was er könne. Dann gingen die Leute wieder fort, und wir spielten weiter.«

Es darf keineswegs wunder nehmen, daß hier in dem entlegenen türkischen Dorf gespielt worden war. Ich hatte schon oft in der Türkei Karten spielen sehen. Ja, ich war Zuschauer von Kartenkünstlern gewesen, welche sich vor keinem der unsrigen zu schämen brauchten. Das waren fast stets Griechen oder Armenier gewesen. Der eigentliche Türke hat nicht die Geduld, welche dazu gehört, sich durch lange Uebung die nötige Gewandtheit anzueignen. Also erstaunt war ich nicht im mindesten über die Tatsache, daß hier in der Herberge von Dabila dergleichen Kartenkunststücke ausgeführt worden seien; aber neugierig war ich, zu erfahren, welcher von den dreien sich als Künstler hatte sehen lassen.

Ich ließ mir den Mann von dem Wirt beschreiben und gelangte zu der Ansicht, daß der mitentflohene Gefängnisschließer es gewesen sei. Folglich mußten Manach el Barscha und Barud el Amasat den Diebstahl miteinander ausgeführt haben, und es war natürlich anzunehmen, daß der Schließer von ihrem Vorhaben unterrichtet gewesen sei.

»Also nach Untersuchung und Verhör der Deinen bist du zu der Ueberzeugung gelangt, daß die Fremden die Diebe gewesen seien?« fragte ich weiter. »Was hast du dann getan?«

 

»Ich habe ihnen meine sämtlichen Knechte beritten nachgeschickt.«

»So! Warum bist du nicht selbst mitgeritten?«

»Ich jagte eiligst nach Ostromdscha zu dem Polizeipräfekt, um ihm die Anzeige zu machen und um Kawassen zu bitten. Er gewährte mir die Erfüllung dieses Wunsches erst nach langer Verhandlung und nachdem ich fünfhundert Piaster bezahlt hatte. Ich mußte mich verpflichten, alle Kosten, welche bei Verfolgung der Diebe entstehen würden, zu erstatten und ihm, falls sie erwischt würden, eine Gratifikation von zehn Pfund auszubezahlen.«

»Dieser ehrenwerte Mann ist ein kluger Verwalter seines eigenen Beutels. Allah erhalte ihn euch noch lange Zeit!«

»Der Teufel mag ihn zu sich nehmen!« entgegnete der Wirt auf meinen Segensspruch. »Der Prophet will, daß Gerechtigkeit auf Erden herrschen soll. Die Beamten des Großherrn müssen und sollen uns dienen, ohne Geschenke zu fordern, und wenn du diesem Tagedieb ein langes Leben wünschest, so kann ich dich nicht für einen guten Jünger des Propheten halten.«

»Der bin ich auch nicht.«

»Ah, bist du etwa Schiit, ein Anhänger der verfälschten Lehre?«

Er rückte ein Stück von mir weg.

»Nein,« antwortete ich. »Ich bin ein Christ.«

»Ein Christ! Das ist viel besser als so ein Schiit, der jedenfalls nach seinem Tod in die Hölle fährt. Ihr Christen könnt, wenn ihr an Isa Ben Marryam (Jesus) glaubt, doch wenigstens auch in den Himmel kommen, wenn auch nur bis in den dritten; die andern – der vierte bis siebente – sind nur den rechtgläubigen Moslemim vorbehalten. Gegen euch Christen habe ich nichts, denn der Mann, welcher mich lehrte, Bier zu kochen, war ja auch ein Katolika. Desto mehr aber wundert es mich, daß du diesem Beamten ein langes Leben wünschest!«

Er rückte langsam wieder näher. Ich antwortete:

»Ich habe das getan, weil ich wünsche, daß er nicht sterbe, bevor er die Strafe für seine Erpressung erhalten hat. Weißt du denn, welche Maßregeln er ergreifen will?«

»Ja. Er will alle seine Kawassen aussenden, um auf die Spitzbuben zu fahnden. In allen zwischen hier und Doiran gelegenen Ortschaften soll eine große Jagd nach ihnen veranstaltet werden, und er selbst will sich an die Spitze seiner Häscher stellen.«

»Ich vermute sehr, daß er jetzt daheim auf seinem Polster sitzt, um den lieben Tschibuk zu rauchen und Kaffee dazu zu trinken.«

»Wenn ich das wüßte, so sollte es ihm wohl nicht gut bekommen!«

»Du wirst es erfahren, denn du wirst jetzt mit uns nach Ostromdscha reiten, um ihn aufzusuchen.«

»Ich? Warum?« fragte er erstaunt.

»Davon nachher. Hast du dich denn überzeugt, ob er sein Versprechen gehalten und alle seine Kawassen ausgesandt hat?«

»Ich hatte keine Zeit dazu, denn ich mußte wieder heim, um bei der Rückkehr meiner Knechte zugegen zu sein.«

»Sind sie wieder da?«

»Ja. Sie haben sich verteilt gehabt und sind bis Furkoi und Welitza geritten, ohne eine Spur der Diebe zu entdecken. Da haben sie es für geraten gehalten, wieder umzukehren. Ich habe sie natürlich tüchtig ausgezankt. Sie sind Söldlinge, welche das Wohl ihres Herrn vernachlässigen.«

»O nein; sie haben recht gehandelt.«

»Meinst du? Warum?«

»Und wenn sie bis Doiran und noch weiter geritten wären, sie hätten doch niemanden gefunden.«

»Das sagst du in einem so bestimmten Ton?«

»Weil ich vollständig überzeugt davon bin. Die Diebe wollen ja gar nicht nach Doiran.«

»Sie sagten es aber doch!«

»Sie haben dich belogen, um dich irre zu führen. Meinst du denn, daß ein Dieb so unvorsichtig ist, die Polizei auf seine Fährte zu lenken?«

»Als sie es sagten, hatten sie mich noch nicht bestohlen!«

»Aber sie beabsichtigten bereits, es zu tun. Auch hatten sie noch einen andern Grund, dir das wirkliche Ziel ihres Rittes zu verschweigen. Sie werden bereits wegen früherer Taten verfolgt. Sie haben sich gedacht, daß ihre Verfolger, wenn sie ja nach Dabila kommen sollten, hier bei dir einkehren würden. Darum gaben sie eine falsche Richtung an. Und – was du auch noch in Berechnung ziehen mußt – sie haben gesagt, daß sie von Menlik kommen und nach Doiran wollen. Der grade Weg von dem einen Ort zum andern führt südwestlich über die Sultanitza-Berge. Sie aber sind erst grad nach Westen geritten, um nun hier genau nach Süden abzubiegen. Sie haben also einen Umweg gemacht, den ich auf zwei deutsche Meilen schätze. Wenn man aber flüchtig ist und seine Pferde zu schonen hat, reitet man nicht sechs volle Stunden um.«

Der Wirt musterte mich mit prüfendem Blick.

»Effendi,« fragte er, »bist du wirklich ein Christ?«

»Ja. Warum fragst du?«

»Wenn du nicht ein Christ wärest, so würde ich meinen, du seiest ein Beamter der Polizei.«

»Es gibt auch Khawassen, welche nicht Moslemim sind.«

»Ein gewöhnlicher Khawaß würdest du nicht sein, sondern einer von den hohen Zabtieh. Und bei denselben werden, so viel ich weiß, keine Christen angestellt.«

»Warum hast du denn eine so große Lust, mich für einen Polizisten zu halten?«

»Deine Person paßt dazu, und du sprichst wie Einer, welcher alles ganz genau weiß, bevor er es gesagt bekommt. Auch deine Begleiter passen sehr genau zu dieser meiner Vorstellung. Siehe nur diese beiden an!« – Er zeigte dabei auf Osko und Omar Ben Sadek. – »Wie ernst und gewichtig sie dreinschauen! Ihnen steht die Würde ihres Berufes im Gesicht geschrieben. Und hier der Kleine!« – Er deutete auf Hadschi Halef Omar. – »Sieht er nicht aus wie die verkörperte Zabtieh? Diese listigen Augen und dieses pfiffige Lächeln! Tut er nicht ganz so, als ob er die ganze Welt arretieren könne, wenn er nur wolle?«

Die drei Genannten lachten laut auf. Ich aber antwortete ernst:

»Du irrst. Wir sind einfache Reisende, welche, wie jeder Andere, auf den Schutz der Polizei angewiesen sind. Aber wir sind durch viele Länder und Gegenden gekommen und haben mehr gesehen und erfahren, als tausend Andere. Darum fällt es uns nicht schwer, uns in deine Angelegenheit hinein zu denken. Wer stets daheim sitzen bleibt, dessen Sinn bleibt gar leicht ein beschränkter, und passiert ihm einmal etwas Ungewöhnliches, so weiß er sich nur schwer zurecht zu finden.«

»Das mag richtig sein, und – — aber da bringt man euch euer Essen. Das sollt ihr ohne Störung genießen. Wir können dann, wenn ihr fertig seid, über meine Angelegenheit weiter sprechen. Wünscht ihr vielleicht, daß ich euren Pferden Wasser und Futter gebe? Ich habe schönen Mais, welcher gut geschroten ist.«

»Ja, gib ihnen von demselben, und sage einem Knecht, er solle ihnen die Sattelung abnehmen und sie sodann mit Wasser begießen. Das wird sie erfrischen. Sie haben uns von Edreneh bis hierher getragen, ohne nur einmal recht ausruhen zu können.«

»Ich habe nicht weit hinter dem Hause einen schönen Fischteich, dessen Wasser hell und sauber ist. Wünschest du, daß die Knechte eure Pferde hineintreiben?«

»Ich lasse sie bitten, es zu tun.«

Der Mann schien trotz des Schmutzes, welcher fußhoch seinen Hof bedeckte, ein unternehmender und für die hiesigen Verhältnisse auch tüchtiger Landwirt zu sein. Die ihm gestohlenen 100 Pfund, nach deutschem Geld 1850 Mark, waren der Preis für nur einen Teil seiner vorjährigen Tabaksernte. Er war jedenfalls recht wohlhabend. Und daß er sogar einen Fischteich angelegt hatte, dies bewies, daß er den ihm gehörigen Grund und Boden trefflich auszunutzen verstand.

Außerdem wußte er auch anders als der große Haufen der dortigen Einwohner zu leben. Davon sollte ich sogleich einen Beweis erhalten, aus welchem ich zugleich ersah, daß er uns nicht für ganz gewöhnlich Reisende hielt.

Das Essen wurde uns von zwei recht sauber gekleideten Burschen hereingebracht. Es bestand aus mehreren großen, dampfenden und appetitlich duftenden Eierkuchen, zu welchen in Essig gelegte und mit Pfeffer gewürzte Melonen und andere frische Früchte gegeben wurden. Die Speisen lagen, wie ich zu meiner Verwunderung sah, auf reinlichen, weißen Steinguttellern, und nur die große Melonenschüssel war aus gelbem Ton gebrannt.

Der Wirt beobachtete, ob uns alles auch bequem serviert werde, und befahl dann, als uns sogar ein Körbchen vorgesetzt worden war, welches Messer, Gabeln und Löffel enthielt:

»Geht zur Herrin, und sagt ihr, sie solle euch vier Servietten und ebenso viele Handtücher geben. Die Männer, welche hier speisen, sind weit gereiste und vornehme Herren. Sie sollen nicht sagen, daß sie beim Konakdschy Ibarek schlecht bedient worden seien.«