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In den Schluchten des Balkan

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»Herr, du gingst fort,« sagte er. »Ist das aus Zorn gegen mich geschehen?«

»Nein. Weshalb sollte ich dir zürnen?«

»Weil ich deine Gaben zurückwies. Du kommst von da oben herab. Hast du ein Grab gesehen?«

»Ja.«

»Es ist dasjenige meiner Tochter. Ich möchte dich um etwas sehr Wichtiges fragen. Darf ich?«

»Ja. Ich habe Zeit.«

»Ich bitte, komm mit da hinüber, wo die Pferde sind. Es braucht kein anderer zu hören, was ich sage.«

Wir gingen nach der Weide. Dort setzten wir uns nebeneinander nieder. Es dauerte einige Zeit, ehe er sprach. Es mochte ihm schwer werden, einen passenden Anfang zu finden. Endlich sagte er:

»Als du hinausgegangen warst, sprachen wir von dir. Ich hörte, daß du ein Schriftsteller bist und Bücher schreibst, daß du alle Gelehrsamkeiten, die es nur gibt, gelernt hast, und daß es keine Frage gibt, die du nicht beantworten kannst.«

Da hatte der Luftikus, der kleine Hadschi, wieder einmal den Mund voll genommen! Natürlich, je heller er mich malte, desto mehr Licht konnte er auch auf sich fallen lassen. Ich antwortete daher:

»Das ist nicht wahr. Es gibt nur eine einzige Gelehrsamkeit; eine andere kenne ich nicht.«

»Welche meinst du?«

»Sie liegt in dem Gebote der heiligen Schrift: Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes; das andere alles wird euch dann von selbst zufallen.«

»Da hast du wohl recht. Kennst du die heilige Schrift und ihre Lehren?«

»Ich habe gesucht und geforscht in ihr, denn es ist das ewige Leben darin; aber der Geist des Menschen ist zu schwach, das göttliche Licht zu ertragen. Ich habe sehr oft wochenlang über ein einziges Wort der Bibel nachgedacht und dabei erkannt, daß ich vermessen handelte. Dann las ich mit dem Herzen und fand das Richtige gleich.«

»Mit dem Herzen? Wer da auch lesen könnte! Hast du gefunden, was die Bibel von dem Tode und von dem ewigen Leben sagt?«

»Ja.«

»Glaubst du an ein Leben nach dem Tode?«

»Hätte ich diesen Glauben nicht, so wäre es besser, ich wäre nicht geschaffen. Der Glaube an die ewige Seligkeit ist bereits der Anfang der Seligkeit.«

»So lebt der Geist nach dem Tode fort?«

»Ganz gewiß.«

»Und es gibt ein Fegefeuer?«

»Ja.«

»Wir sagen, daß es keins gebe. Gibt es Gespenster?«

»Nein.«

»O, wer das glauben könnte! Es gibt Seelen, die keine Ruhe finden und als Gespenster wiederkommen. Ich weiß es. Darum bin ich so unglücklich, und darum faste ich mit meinem Weibe. Wir denken, daß wir sie dadurch vielleicht erlösen können.«

»Sie? Wen meinst du?«

»Die, an deren Grab du warst. Meine Tochter.«

»Willst du etwa sagen, daß sie als Gespenst umgehe?«

»Ja.«

»Unglücklicher! Wer ist so boshaft gewesen, einem Vater glauben zu machen, daß seine Tochter als Gespenst spuke?«

»Ich weiß es genau!«

»Hast du sie denn gesehen?«

»Ich nicht, sondern Andere.«

»Glaube ihnen nicht!«

»Aber gehört habe ich sie.«

»Du bist toll! In welcher Gestalt erscheint sie denn?«

»Als Fledermaus ist sie erschienen,« antwortete er ganz leise, indem er den Mund nahe an mein Ohr brachte. »Man soll nicht davon reden, wenigstens nicht laut. Ich gräme mich zu Tode. Da ich hörte, du seist ein so großer Gelehrter, dachte ich, du könntest mir ein Mittel sagen, ihr die Ruhe zu geben.«

»Kein Gelehrter kennt ein Mittel, wie du es meinst. Aber glaube nur fest, daß es keine Gespenster gibt, so bist du auf einmal befreit von deinem Kummer!«

»Das kann ich nicht; das kann ich nicht. Ich höre sie ja! Und stets grad um ihre Todesstunde.«

»Wann ist das?«

»Zwei Stunden vor Mitternacht. Dann kommt sie durch die Luft gesaust und klopft an unsern Laden.«

»Als Fledermaus? Da klopft sie?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe sie nur gehört, aber nie gesehen. Doch Andere haben sie als Fledermaus gesehen, und nun liegt ihr Verlobter todkrank und muß sterben.«

Da stieg mir eine Ahnung auf. Ich fragte:

»Meinst du etwa, daß sie ein Vampyr sei?«

»Ja, das ist sie!«

»Mein Gott! Das ist ja noch schrecklicher, als ich dachte!«

»Nicht wahr? Ich sterbe noch vor Kummer!«

»Ja, stirb vor Kummer! Aber vor Kummer über deine Dummheit! Verstanden?«

Das war hart; aber nicht jede Medizin schmeckt süß. Er saß weinend neben mir; ich hatte das herzlichste Mitleid mit ihm. Der Aberglaube ist in jenen Provinzen so tief eingedrungen, daß man starke Mittel braucht, wenn man gegen ihn kämpfen will. Uebrigens wollte ich nur wenige Stunden hier bleiben und hatte also gar keine Zeit zu breiten Auseinandersetzungen.

»Herr, ich hatte Trost von dir erwartet,« sagte er, »nicht aber solchen Spott!«

»Ich spotte deiner nicht, sondern ich bin entrüstet über deinen schlimmen Aberglauben. Geh zu deinem Popen und frage ihn. Er wird dir sagen, welch eine Sünde es ist, zu glauben, daß deine Tochter ein Vampyr sei.«

»O, ich war ja bei ihm!«

»Nun, was sagte er denn?«

»Dasselbe, was er zu Wlastan gesagt hat, der auch bei ihm gewesen ist.«

»Wer ist denn dieser Wlastan?«

»Mein bester Freund früher, jetzt aber mein ärgster Feind. Sein Sohn war der Verlobte meiner Tochter. Jetzt steht sie aus ihrem Grabe auf und saugt ihm das Blut aus dem Leibe, so daß er langsam hinsiecht und sterben muß.«

»Hm! Also ist er bei dem Popen gewesen! Was hat dieser zu ihm gesagt?«

»Er hat zugegeben, daß meine Tochter ein Vampyr sei.«

»Unmöglich! Ist sie denn ohne Beichte und Absolution gestorben? Man sagt, daß dies bei einem Vampyr immer der Fall sei.«

»Leider war es so. Der Pope wohnt weit von hier und konnte nicht kommen. Und in Tekirlik durfte ich die Leiche nicht begraben – der Pocken wegen.«

»Ist deine Tochter an dieser Krankheit gestorben?«

»Ja. Es gab damals hier mehrere Blatternkranke. Meine Tochter war unwohl; sie hatte Kopfschmerz und konnte nicht essen. Sie ging hinauf zu Wlastan, um dessen Frau, die ihre Schwiegermutter werden sollte und die Pocken hatte, zu pflegen. Sie kam bald wieder nach Hause. Sie hatte Fieber; es mußte ihr etwas geschehen sein; sie tat so entsetzt, so erschrocken; ich habe aber den Grund nicht erfahren können. Sie sagte im Phantasieren nur immer, daß der Sohn Wlastans, ihr Bräutigam, sterben müsse. Dann brachen die Pocken aus, und sie starb, aber noch vor ihrem Tode sagte sie, daß er sterben müsse. Nun ist sie ein Vampyr und holt ihn zu sich, wenn man nicht das Mittel des Popen in Anwendung bringt.«

»Welches Mittel ist es?«

»Man muß ihr Grab öffnen und ihr einen spitzen, geweihten Pfahl, welcher mit dem Fett eines acht Tage vor Weihnacht geschlachteten Schweines bestrichen ist, in das Herz stoßen.«

»Schrecklich, schrecklich! Auch daran glaubst du, daß das Mittel hilft?«

»Ja. Aber ich gebe die Erlaubnis nicht dazu. Der Pope mag kommen und bei dem Kranken wachen; dann kann ihr Gespenst nicht zu ihm. Geschieht dies zwölf Nächte lang, so kommt sie nicht wieder und ist erlöst. Wird sie aber im Grabe gespießt, so fällt sie dem Teufel anheim. Es soll entsetzlich sein, wie so ein Vampyr schreit und gute Worte gibt, wenn er gespießt werden soll. Das geschieht stets um Mitternacht. Der Leib des Vampyrs verwest nämlich nicht. Er liegt im Grabe so warm und rot, als ob er am Leben sei. Weil ich das Grab meiner Tochter nicht öffnen lassen will, ist Wlastan mein Todfeind geworden.«

»Was ist dieser Mann?« fragte ich.

»Er ist Ziegelbrenner und Dachziegelbrenner, während ich nur Luftziegelstreicher bin. Wir stammen beide aus der Gegend von Drenowa und kamen hierher, um die Lehmgruben zu pachten. Er war wohlhabend, und ich bin arm; aber er war nicht stolz, und sein Sohn wollte mein Eidam werden. Nun ist das alles aus.«

»Wohnt er weit von hier?«

»Eine Viertelstunde am Bach hinauf.«

»Ich werde ihn morgen früh aufsuchen und ihm meine Meinung sagen. Ihr seid alle beide unglaublich dumm!«

»Dann wäre der Pope ja auch dumm?«

»Vielleicht ist er noch mehr als das. Aber sag: kommt deine Tochter denn an bestimmten Tagen durch die Luft geflogen, um an deinen Laden zu klopfen?«

»Sie kommt nicht regelmäßig.«

»Bist du nicht hinausgeeilt?«

»Nein. Wie könnte ich das tun! Der Anblick eines Vampyrs kostet das Leben.«

»Nun, so wollte ich, sie käme heute!«

»Heute ist Mittwoch, und Mittwochs ist sie meist gekommen.«

»Schön! Ich werde sie fragen, warum sie dich nicht schlafen läßt.«

»Herr, das wäre toll! Ich würde noch eine Leiche zu begraben haben.«

»Das ist möglich.«

»Nämlich dich!«

»Schwerlich! Doch schließen wir jetzt unsere Unterredung. Ich höre meine Gefährten sprechen. Sie haben nun gegessen und suchen mich.«

»Du wirst ihnen doch nichts erzählen?«

»Nur dem kleinen Hadschi werde ich es erzählen. Er wird mir helfen, den Vampyr zu kurieren.«

»Herr, ich bitte dich auf das innigste, sei nicht unbesonnen! Du opferst töricht dein Leben!«

»Ich werde im Gegenteile sehr besonnen sein. Ich habe mich bereits viele Jahre lang gesehnt, ein Gespenst zu sehen, und würde mich sehr freuen, wenn dieser Wunsch heute in Erfüllung ginge.«

»Ich höre, daß du keine Angst hast, und ich errate den Grund davon. Wirst du vielleicht die Güte haben, mir den Zauber zu zeigen, den du besitzest?«

»Ja, gern. Hier ist er.«

Ich hielt ihm die geballte Faust vor das Auge.

»Mache die Hand auf, daß ich ihn sehe!«

»Siehe her! Es befindet sich nichts in der Hand. Die Faust ist der Talisman; das meine ich.«

Wir sprachen nicht weiter, denn wir waren mit den Andern zusammengetroffen. Wir führten vor dem Hause noch eine kurze Unterhaltung, während welcher ich dem darüber ganz glücklichen Kerpitschi meinen Tabak zu kosten gab, und dann sagten wir ihm und seinem Weib gute Nacht. Beide waren nicht wenig erstaunt, als sie hörten, daß wir uns oben am Grabe zur Ruhe legen wollten. Sie protestierten auf das eifrigste dagegen, hatten aber keinen Erfolg. Wo ein müdes Menschenkind für immer schläft, darf man sich ohne Sorge für eine kurze Nacht zur Ruhe legen.

 

Osko und Omar stiegen hinauf; ich aber blieb mit Halef noch unter dem Vorwande, nach den Pferden sehen zu wollen.

»Sihdi, du hast etwas Geheimes, was diese beiden nicht wissen sollen?« meinte der Kleine.

»Ja. Hast du einmal ein Gespenst gesehen, Halef?«

»Es soll allerlei Dschinns geben, in der Wüste und in den Wäldern, auf den Bergen und in den Tälern, aber gesehen habe ich noch keinen Geist.«

»Du irrst. Du hast einen gesehen.«

»Wo?«

»Im Lande der Kurden, den Höhlengeist.«

»Du meinst Marah Durimeh? Die war ein gutes Weib, aber kein böser Dschinn. Einen richtigen Dschinn möchte ich jedoch gern einmal sehen.«

»Ich weiß einen.«

»Wo?«

»Hier. Es kommt des Abends ein Gespenst durch die Luft gefahren und klopft da an den Laden.«

»O Wunder! Denkst du, daß es auch heute kommt?«

»Ich weiß es nicht, aber ich wünsche es.«

»Ich auch. Wir könnten diesen Geist fragen, ob er einen Paß des Großherrn bei sich hat. Wollen wir?«

»Ja. In einer halben Stunde ist die Zeit, in welcher er zu kommen pflegt. Kommt er nicht, so versäumen wir nur diese wenigen Minuten.«

»Wo erwarten wir ihn?«

»Hier am Bach, hinter den Büschen da liegen wir bequem im Grase und haben das Haus so nahe, daß wir es mit fünf Schritten erreichen können. Wir warten, bis er gehen will, und fassen ihn dann von zwei Seiten her.«

»Gebrauchen wir die Waffe, wenn er sich wehrt?«

»Das wollen wir vermeiden. Wir zwei werden doch wohl ein einziges Gespenst festhalten können!«

»Ganz richtig! Eigentlich brauche ich dich gar nicht dazu. Ich bin dein Freund und Beschützer. Du könntest dich ganz ruhig schlafen legen.«

Bei diesen Worten kroch er hinter den einen Busch. Ich legte mich nur eine kurze Strecke davon hinter den andern. Eigentlich tat ich das nur so pour passer le temps. Ich war fest überzeugt, daß der Vampyr nicht kommen werde. Daher dachte ich auch gar nicht an die nötige Vorsicht und fragte auf die Entfernung von mehreren Metern den Hadschi nach seinem Brustschmerz und bat ihn, sich zu schonen, falls es zum Handgemenge käme.

»Sei still, Sihdi!« antwortete er. »Wer einen Dschinn fangen will, der darf ihn nicht durch lautes Sprechen warnen. Das sollst du jetzt hier von mir lernen.«

Natürlich leistete ich diesem Befehle Gehorsam. Der Kleine hatte recht. Lagen wir einmal da, so mußten wir die Sache auch ernst nehmen. Und ernst war sie ja auf alle Fälle. Ich hatte von diesem Vampyr-Aberglauben viel gehört und viel gelesen. Jetzt galt es günstigen Falls eine Tat, so einem gespensterhaften Blutsauger hinter die Flughäute zu schauen und die beiden braven Wirtsleute von ihrer Angst und ihrem Kummer zu heilen. Es lag ja jedenfalls eine Täuschung vor.

So warteten wir weit über eine halbe Stunde. Schon wollte ich fortgehen, da kam es geschlichen, schnell und völlig geräuschlos, von der Seite her, an welcher ich mich befand. Es war eine dunkle, männliche Gestalt, die mit gewandten Bewegungen hin an den Laden glitt und da einen Augenblick horchte. Dann brachte der Kerl jenes sausende Geräusch hervor, welches ich einmal im Wiener Wurstelprater gehört hatte, als im Kasperltheater der Teufel den Doktor Faust holte. Man pfeift nämlich laut, läßt den Ton schwellen und wieder sinken und summt dabei nach Kräften. Das klingt grad so, als ob ein hohler Wind um eine scharfe Felsenecke pfeife. Dann tat der Mensch zwei, drei kräftige Schläge gegen den Laden und wollte dann schleunigst fort. Da aber erklang Halefs Stimme:

»Dur, gizli jürümdschi, schimdi seni bizim-war – halt, Schleicher, jetzt haben wir dich!«

Er sprang auf ihn ein, um ihn festzunehmen. Der Geist war als Geist sehr geistesgegenwärtig. Er versetzte dem Kleinen einen Hieb ins Gesicht und rief:

»Eredj a tatárba!«

Damit sprang er davon.

Hätte der Kleine den Mund gehalten und nicht vor der Zeit gerufen, so wäre es anders gekommen. Der Mensch floh nach der mir entgegengesetzten Seite, so daß er also mehr als die ganze Hausesbreite Vorsprung vor mir hatte. Dennoch aber rannte ich ihm nach und herrschte dem Hadschi im Vorüberspringen einen zornigen Tölpel zu. Der auf diese Weise Bestrafte kam mir eiligst nach.

Der Fliehende war ein guter Läufer. Hier galt es, sich gleich in den ersten Augenblicken tüchtig anzustrengen. Ich hatte bei den Indianern gelernt, mich mehr fort zu schnellen, anstatt zu springen, und kam ihm rasch so nahe, daß ich schon die Hand nach ihm ausstreckte. Aber auch jetzt verließ ihn die Geistesgegenwart nicht. Er schoß mit einer raschen Bewegung vom Wege ab und ich an ihm vorüber, da ich mich eben mit beiden Beinen in der Luft befand. Natürlich wendete ich mich augenblicklich um. Er eilte quer über den Bach hinüber; fast hatte er den Rand erreicht. Ich holte aus, um mit einem mächtigen Satz hinüber zu kommen. Es gelang. Ich faßte gleich hinter ihm Fuß und griff zu gleicher Zeit nach ihm. Ich hatte ihn am Gürtel erwischt und stemmte mich mit dem einen Fuße ein, um ihn niederzureißen.

»Az istenért!« entfuhr es ihm.

Hatte er den Gürtel blitzschnell gelockert, oder war derselbe nicht fest gebunden, ich hielt den Fetzen in der Hand und taumelte infolge meiner eigenen Kraftanstrengung zurück; der Geist aber schoß in die Büsche hinein, wohin ich ihm nun gar nicht zu folgen brauchte.

»Hast du ihn?« fragte hinter mir Halef, der sich eben auch zum Sprunge anschickte.

»Nein; aber dich werde ich sogleich haben, und zwar bei den Ohren! Gestern brichst du mir durch den Taubenschlag, und heute jagst du mir diesen Menschen durch dein unzeitiges Schreien fort!«

»Sihdi, das war die reine Begeisterung! Der Kerl ist wirklich nur aus Angst davongelaufen!«

Das war so drollig, daß ich trotz des Aergers lachen mußte.

»Natürlich aus Angst und nicht aus Verwegenheit! Nun kannst du dir ihn suchen, wenn du ihn nach dem Passe des Großherrn fragen willst!«

»Wir werden beim Anbruch des Tages seine Spur finden.«

»Ja, grad dann, wenn wir von hier aufbrechen müssen.«

»Du hast doch wenigstens etwas von ihm. Was ist es?«

»Ein alter Lappen, wie es scheint, den er als Gürtel umgebunden hatte.«

»Hast du verstanden, was er sagte?«

»Ja; es war ungarisch. Ich werde den Ziegelstreicher fragen, ob er hier einen weiß, der diese Sprache spricht. Hier in dem Gürtel steckt etwas. Wollen einmal sehen, was es ist.«

Ich hatte nämlich in dem Stückchen Lappen etwas gefühlt, welches ein runder Gegenstand mit einem Stiele zu sein schien. Ich zog dieses Ding hervor und wollte es gegen den Himmel empor halten, um sehen zu können, was es sei. Aber der durchdringende Geruch, welcher mir von ihm entgegenströmte, bewies mir auch ohne allen Augenschein, daß ich eine alte, ganz und gar von Tabakssaft durchtränkte Stummelpfeife in der Hand hatte.

»Was ist es?« fragte Halef.

»Eine Tabakspfeife.«

»Allah ‚l Allah! Rauchen die Gespenster Tabak?«

»Zuweilen, wie es scheint, und zwar nicht die beste Sorte.«

»Zeig her!«

Er nahm den Stummel, roch daran und rief:

»O wehe mir! Wer daran riechen will, darf keine Nase haben.«

Er erhob den Arm, um die Pfeife von sich zu schleudern; ich aber verhinderte ihn daran.

»Halt! Was fällt dir ein? Ich brauche die Pfeife.«

»Allah behüte dich! Willst du aus ihr rauchen?«

»Nein. Sie soll mir dazu dienen, zu erfahren, wer das Gespenst gewesen ist.«

»Du hast recht. Ich hätte sie weggeworfen und damit einen sehr dummen Streich begangen.«

»Komm nun zurück zu dem Ziegelstreicher!«

Dieser hatte Halefs lauten Ruf, ebenso die Worte des unbekannten Gespenst-Darstellers und sodann unsere Schritte gehört. Es war ihm himmelangst geworden. Als wir bei ihm eintraten, war sein Gesicht kreideweiß, dasjenige seiner Frau ebenso.

»Du hast den Vampyr gesehen, Herr?« fragte er, sich hastig von seinem Sitze erhebend.

»Ja.«

»So mußt du sterben. Wer einen Vampyr erblickt, der kann nicht leben bleiben.«

»So werde ich sehr schnell sterben, da ich ihn nicht nur gesehen, sondern sogar angegriffen habe.«

»Heiliger Himmel!«

»Ich hätte ihn sehr gern fest gehalten! Leider aber ist er mir entflohen.«

»Durch die Lüfte?«

»Nein, sondern ganz regelrecht auf dem Wege und sodann über den Bach hinüber. Dabei hat er sogar einige Worte gesprochen.«

»Welche?«

»Eredj a tatárba und az istenért.«

»Das kann kein Mensch verstehen. Es ist jedenfalls die Sprache der Geister.«

»O nein! Es ist die Sprache der Magyaren, wie ich ganz genau weiß. Der Geist war sehr erschrocken. Die Worte, welche er ausrief, stößt man nur im Schreck aus. Gibt es vielleicht hier in der Nähe einen Menschen, welcher aus Ungarn stammt?«

»Ja.«

»Wer ist er?«

»Der Knecht Wlastans.«

»Ah, das ist sehr eigentümlich! Kennst du ihn genau?«

»Sehr.«

»Kennst du auch diese beiden Gegenstände?«

Ich zeigte ihm den Gürtel und die Pfeife vor.

»Sie gehören dem Knecht,« antwortete er. »Besonders die Pfeife kenne ich ganz genau. Er raucht aus diesem Tonkopf mit Schilfrohr. Ist das Rohr von dem Tabaksaft recht durchzogen und er hat keinen Tabak zum Rauchen, so beißt er sich immer ein Stück des Rohres ab, um es zu kauen. Er sagt, dies sei erst die richtige Feinschmeckerei. Er ist mein Feind, denn er hatte ein Auge auf meine Tochter geworfen, und wir zeigten ihm die Türe. War er denn jetzt auch draußen?«

»Ich weiß es nicht genau. Ich denke, der Vampyr wird nicht wieder kommen. Morgen früh werde ich ihn dir zeigen. Ich hatte mir vorgenommen, mit Tagesanbruch von hier wegzureiten; ich werde aber einige Stunden länger bleiben, um mit dir zu Wlastan zu gehen.«

»Wo denkst du hin, Herr!« sagte er erschrocken. »Er würde uns zur Türe hinauswerfen!«

»Ich gebe dir mein Wort, daß er uns zwar sehr unfreundlich empfangen, aber auch sehr freundlich entlassen wird. Du wirst vollständig mit ihm ausgesöhnt sein.«

»Wie wolltest du dieses zustande bringen?«

»Darüber will ich jetzt nachdenken, und darum will ich mich zur Ruhe legen.«

Das wollte er nicht zugeben. Unser Erlebnis vor dem Hause war ihm ein Rätsel, und das, was ich ihm darüber gesagt hatte, konnte er sich nicht deuten. Er bat um Erklärung; ich aber hielt es für besser, ihn warten zu lassen, bis er sich durch die Tatsache überzeugen könnte, daß es keine Vampyre und Gespenster gibt. Darum ging ich, alle Fragen zurückweisend, mit Halef hinaus und stieg zu der erwähnten Anhöhe empor. Osko und Omar schliefen nun auch da oben. Gesprochen wurde nicht.

Ich war überzeugt, daß jener Knecht aus Rache für die Abweisung, welche er erfahren hatte, auf den Gedanken gekommen war, sich dadurch zu rächen, daß er die verstorbene Tochter des Kerpitschi für einen Vampyr ausgebe. Morgen früh wollte ich den sauberen Vogel vornehmen und zum Geständnis zwingen.

Da wir alle ermüdet waren, senkte sich der Schlaf recht bald auf unsere Augenlider, doch war wenigstens mein Schlummer außerordentlich leise. Ich hatte das Gefühl, als ob uns noch irgend etwas begegnen werde.

Hatte mir es geträumt oder war es Wirklichkeit, ich hatte ein Rollen vernommen, wie wenn ein Stein aus seiner festen Lage gebracht wird und dann, von der Höhe herunterfallend, durch das Buschwerk schlägt. Ich richtete mich auf und horchte. Ja, wirklich, es nahten Schritte, nicht eines einzelnen, sondern mehrerer Menschen.

Schnell weckte ich meine drei Gefährten. Einige kurze, leise Worte genügten, sie zu verständigen, und wir huschten nach der den Schritten entgegengesetzten Richtung hinter die Büsche.

Kaum hatten wir uns dort niedergekauert, so erschienen drüben die Leute, welche uns so unliebsam um den Schlaf brachten. Es war unter der Platane natürlich dunkler als unter dem freien, sternenhellen Himmel, trotzdem aber konnte ich mit ziemlicher Deutlichkeit vier Personen erkennen. Die vordere von ihnen schien mehrere Werkzeuge zu tragen, welche sie vor dem Grab in das Gras warf; hinter ihr führten zwei eine dritte Person, welche sie dann sorgsam auf die Erde niedersitzen ließen. Eine von diesen zweien war ein Weib.

»Fangen wir gleich an, Herr?« fragte der erste.

»Ja. Wir müssen rasch machen. Mitternacht ist schon nahe. Die Teufelshexe soll nicht wieder aus dem Grabe steigen können.«

»Wird es uns nichts schaden?« fragte die Frau ängstlich.

»Nein. Ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß wir ein gutes Werk tun. Nimm die Hacke, András!«

András, zu deutsch Andreas, ist ungarisch. Ich wußte sofort, wen wir vor uns hatten, nämlich den alten Wlastan mit Frau, Sohn und Knecht.

 

Nichts konnte mir willkommener sein. Ich beschloß, diese Leute gar nicht so weit kommen zu lassen, das Grab zu berühren, sondern ganz kurzen Prozeß zu machen. Einige an die Gefährten gerichtete Worte genügten. Wir sprangen hervor – ein vierfacher Schrei, und jeder von uns hatte eine der vier Personen beim Kragen, ich den Knecht.

»Nagy Istem – großer Gott!« brüllte er auf.

Ich riß ihn nieder und hielt ihn am Boden fest, zog das Messer und setzte ihm die Spitze desselben an die Gurgel.

»Oh én szerencsétlen, vége mindennek – o ich Unglücklicher, es ist alles verloren!« stöhnte er.

Es ist eigentümlich, daß man, selbst wenn man vieler Sprachen mächtig ist, in einem solchen Augenblick sich unwillkürlich der Muttersprache bedient; so auch der Ungar jetzt. Ich durfte ihn gar nicht zum Nachdenken kommen lassen.

»Du warst der Vampyr!« rief ich ihn an.

»Ja,« antwortete er entsetzt.

»Aus Rache dafür, daß die Tochter des Ziegelstreichers dich nicht leiden konnte?«

»Ja.«

»Du hast allabendlich hier unten an den Laden geklopft und den Geist gespielt?«

»Ja.«

Dieses Geständnis war eigentlich hinreichend, die drei anderen zu überzeugen; aber ich dachte daran, daß der Sohn Wlastans hinsiechte. Das konnte zwar auch nur aus Angst vor dem Vampyr geschehen, aber doch kam mir die Frage auf die Zunge:

»Und deinem jungen Herrn hast du heimlich etwas eingegeben?«

»Gnade!« stöhnte er.

»Was?«

»Ratten- und Mäusegift, aber alle Tage nur wenig.«

»Er sollte also langsam zugrunde gehen?«

»Ja.«

»Warum? Sage die Wahrheit, sonst stoße ich dir das Messer in die Kehle!«

»Ich wollte Sohn werden,« stammelte er.

Jetzt war mir alles klar. Die Tochter des Ziegelmachers war so erschrocken, so entsetzt nach Hause gekommen, und sie hatte noch vor ihrem Tode gesagt, daß ihr Verlobter sterben werde; aber sie hatte verschwiegen, woher sie das wußte. Ich legte dem Kerl die Hand noch fester um den Hals und fragte:

»Die Braut deines jungen Herrn hat dich ertappt, als du ihm das Rattengift gabst, und du hast sie durch Drohung zum Schweigen gebracht?«

War es die Angst vor meinem Messer, oder mochte er – hier in der Nähe des Grabes und infolge der beabsichtigten Leichenschänderei – meinen, es mit nicht menschlichen Wesen zu tun zu haben, kurz, er gestand:

»Ich drohte ihr, daß ich auch ihre Eltern töten würde, wenn sie auf den Gedanken käme, mich zu verraten.«

»Das ist genug. Kommt alle mit hinab zu dem Ziegelstreicher.«

Ich zog den Knecht empor und zwang ihn, vor mir her den Abhang hinabzusteigen. Die anderen folgten. Keiner sprach ein Wort. Der brave Besitzer des Häuschens schlief noch nicht. Er war natürlich im höchsten Grade erstaunt, uns mit seinen Todfeinden eintreten zu sehen.

»Hier,« sagte ich, den Knecht in die Ecke schleudernd, »hier ist der Vampyr. Betrachte ihn genau. Er lebt von alten Tabakspfeifenrohren und gräbt zum Vergnügen Leichen aus.«

Der gute Mann sah uns an, einen nach dem andern. Er brachte kein Wort hervor. Wlastan hatte die Sprache wieder gefunden. Er streckte ihm die Hände entgegen und sagte:

»Verzeihe! Wir sind betrogen worden.«

»Wie kommt ihr hierher?«

»Wir wollten das Grab da droben öffnen. Wir hatten den geweihten Pfahl mitgebracht, um ihn deiner Tochter in das Herz zu stoßen. Ich weiß selbst nicht, wie – wie – —«

Mehr hörte ich nicht. Ich fühlte mich nicht befugt, mich als Zeugen der sicher nun zu erwartenden Versöhnungsszene aufzudrängen, und ging hinaus. Halef, Omar und Osko folgten mir.

Der kleine Hadschi machte allerlei Glossen über den eingefangenen Vampyr. Dazwischen hörten wir die Stimmen der laut in der Stube Sprechenden erst zornig und drohend – wohl gegen den Knecht – dann aber beruhigter und endlich gar fröhlich erschallen. Dann wurden wir hineingerufen.

»Herr,« sagte der Kerpitschi, vor Freude weinend, »das haben wir euch zu danken. Ihr habt die Schande und den Gram von uns genommen. Wie kann ich euch das doch vergelten?«

Auch seine Frau bot uns allen schluchzend die Hand. Ich aber meinte:

»Nur euch selbst habt ihr diese Freude zu verdanken. Ihr habt die Fremden gastfrei bei euch aufgenommen, trotz eurer Armut. Jetzt kommt die Belohnung: Ihr braucht nicht mehr zu fasten aus Betrübnis über die üble, wahnwitzige Nachrede, durch welche man euer Leben verbitterte. Hättest du mir nicht dein Leid geklagt, so wäre die Hilfe wohl nicht so schnell gekommen.«

»Ja, ich hörte es, daß du in allen Wissenschaften erfahren bist. Kennst du auch die Gifte?«

Ich blickte auf Wlastans Sohn, welcher bleichen Antlitzes und mit eingefallenen Wangen dasaß. Dabei aber leuchteten doch seine Augen jetzt vor Freude und Hoffnung.

»Ich verstehe grad so viel von den Giften, von ihren Wirkungen und von den Gegenmitteln, daß ich euch die Versicherung geben kann, dieser brave junge Mann wird sehr bald gesund werden, wenn ihr euch an einen richtigen Arzt und nicht an einen Quacksalber wendet. Den Menschen dort, welcher in der Ecke kauert, übergebt dem Richter. Er mag seine Strafe finden.«

Mein als Laie abgegebenes ärztliches Gutachten erregte die größte Freude, auch bei ihm selbst, oder vielmehr es wirkte bereits kräftig auf ihn ein, denn er kam ganz munter herbeigesprungen und drückte mir ebenso kräftig wie seine Eltern die Hände.

Ohne jetzt ein Wort zu sagen, nahm Wlastan eine Schnur, band dem Knechte die Hände zusammen und führte ihn fort. Ein Wink von ihm gebot seiner Frau, ihm zu folgen.

Als sie nach ungefähr einer Stunde zurückkehrten, trug sie einen großen, mit Eßwaren gefüllten Korb; er aber schleppte einen mächtigen Krug zur Türe herein.

»Herr,« sagte er, »du hast den Hochzeitswein meines armen Feindes, der nun wieder und auf immer mein Freund ist, eben wegen seiner Armut nicht trinken wollen; ich aber bin reich; von mir könnt ihr den trinken, welchen ich soeben für euch ausgegraben habe.«

»Gut, das soll geschehen. Wenn er uns aber munden soll, so mußt du uns versprechen, daß du in deinem Reichtum dich des armen Freundes annehmen werdest, damit er nicht, wie bisher, sich über seine Kräfte anstrengen muß, um die Not und den Mangel von sich abzuwenden.«

»Das verspreche ich mit Freuden. Hier gebe ich dir meine Hand darauf. So oft wir beisammen sitzen, werden wir eurer und dieses Abends mit Freuden gedenken.«

Jetzt begann das Freudenmahl. Meine drei mohammedanischen Begleiter sahen, wie gut uns der alte Wein schmeckte. Das Wasser mochte ihnen im Munde zusammenlaufen. Da flüsterte Halef mir zu:

»Sihdi, er sieht so ganz dick rot aus und war in die Erde gegraben; es ist kein Wein mehr.«

»Was sonst?«

»Es ist jetzt Blut der Erde. Dieses darf man doch wohl trinken?«

»Natürlich !«

»So erlaube, daß auch wir uns einschenken. Wir wollen fröhlich sein, wie ihr!«

Und er schenkte sich ein – viele, viele Male.

Es ist nur noch zu sagen, daß vom Schlafe keine Rede war. Und als wir am Morgen wieder nach der Straße lenkten und das kleine Tal hinter uns hatten, meinte der kleine Hadschi:

»Wenn ich heimgekehrt bin zu Hanneh, der Schönsten unter den Schönen, so werde ich sie lehren, aus dem Weine Blut der Erde zu machen, denn ein Tropfen desselben überwindet alles Herzeleid der Welt. Allah ist groß, und Mohammed ist sein Prophet!«