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In den Schluchten des Balkan

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Sechstes Kapitel: Ein Vampyr

Als wir Menlik hinter uns hatten, umgab uns dunkle Nacht; dennoch gewahrten wir, daß wir uns auf einem gebahnten Wege befanden. Vor uns hatten wir den Strumafluß, den Strymon der Alten, welcher von Menlik aus südwärts der reichen Ebene von Seres zufließt. Wir ritten auf unbekanntem Boden. Ich wußte nur, daß ich nach Ostromdscha reiten mußte, welcher Ort auch den Namen Strumnitza führt, von dem gleich benannten Fluß, an welchem er liegt. Da hätten wir nun eigentlich die Richtung nach Petridasch einschlagen müssen; aber ich konnte mir denken, daß man dies vermuten und uns dahin folgen werde. Darum wendete ich mich schon nach kurzer Zeit in einem rechten Winkel dem Norden zu.



»Wohin willst du, Sihdi?« fragte Halef. »Du weichst ja vom Wege ab!«



»Mit gutem Grunde. Habt acht! Ich suche einen Pfad, eine Straße, welche weiter nördlich nach dem Fluß führt, in derselben Richtung, wie derjenige, dem wir bis jetzt gefolgt sind. Ich will unsere Verfolger irre leiten.«



»So müssen wir aufpassen. Es ist sehr dunkel.«



Wir hatten so etwas wie Brachfeld unter uns. Bald merkte ich, daß wir uns wieder auf einem Wege befanden. Links hörte ich das kreischende Räderknarren eines schweren Ochsenwagens. Diese Richtung schlugen wir nun ein. Bald hatten wir den Wagen erreicht. Zwei große Büffel schleppten ihn hinter sich her; der Fuhrmann schritt voran. Am riesigen, in der Mitte hoch geschweiften Joch hing eine Papierlaterne.



»Wohin?« fragte ich den Fuhrmann.



»Nach Lebnitza,« antwortete er, mit der Hand vorwärts deutend.



Infolgedessen war ich orientiert. Also dieser Weg führte nach Lebnitza, welches am gleichnamigen, sich in die Struma ergießenden Flüßchen liegt.



»Wohin wollt ihr?« fragte er.



»Nach Mikrova.«



»So nehmt euch in acht. Der Weg ist schlecht. Bist du ein Müller?«



»Gute Nacht!« sagte ich, ohne seine Frage zu beantworten. Er hatte sehr wohl recht, so zu fragen. Beim Scheine seiner Laterne hatte ich bemerkt, daß wir beide, Halef und ich, grad so aussahen, als ob wir in einem Mehlsack gesteckt hätten. Wir hatten noch nicht Zeit gefunden, uns zu reinigen. Wollten wir uns die Kleider nicht verderben, so mußten wir damit warten bis zum Morgen.



Nach einiger Zeit hörte ich Hufschlag vor uns. Wir holten einen einsamen Reiter ein, welcher uns höflich grüßte. Er erkundigte sich:



»Kommt ihr auch von Menlik?«



Diese Frage ward bejaht.



»Ich will nach Lebnitza. Wohin reitet ihr?«



»Auch dorthin,« antwortete ich.



»Das ist gut. Der Fährmann würde mich nicht übersetzen. Eines einzelnen Mannes wegen, tut er dies so spät nicht mehr. Da ihr aber auch hinüber müßt, so wird er sich bereit finden lassen, weil er mehr verdient. Darf ich mich zu euch halten?«



»Ja, wenn es dir gefällt.«



Eigentlich war mir sein Antrag nicht sehr willkommen; da er uns aber als Führer diente, so schlug ich ihm seinen Wunsch nicht ab. Ich hätte ja von der Fähre gar nichts gewußt.



Gesprochen wurde jetzt nichts mehr. Der Mann ritt seitwärts hinter mir und Halef her und beobachtete uns. Er mußte trotz der Dunkelheit unsere Gewehre bemerken, ebenso auch den hellen Schmutzüberzug, und er mochte wohl nicht wissen, für wen er uns zu halten habe. Da wir ihn nicht ansprachen, so schwieg er auch.



Am Flusse angelangt, bog er nach der Fähre ein, welche wir ohne ihn nicht so bald gefunden hätten. Drüben trennten wir uns nach kurzem Gruß.



Ich beabsichtigte keineswegs, in Lebnitza zu bleiben. Den Weg nach diesem Orte hatte ich eingeschlagen, um unsere Gegner irre zu führen und Petridasch zu vermeiden. Vom letzteren Ort führt der Weg immer an der Strumnitza entlang nach Ostromdscha. Dort lag die Ruine, in welcher Manach el Barscha warten wollte. Ich beabsichtigte, diesen Weg noch in der Nacht zu erreichen. Deshalb ritten wir gleich weiter, nach Derbend zu, welches von Lebnitza südwestlich liegt.



Bald aber bemerkte ich, daß Rih nicht wohl auf dem Beine war. Sollte der Nadelstich von üblen Folgen sein? Wenn das edle Tier erkrankte, war ich gebunden. Ich mußte es schonen und ihm Umschläge machen. Darum war es mir lieb, als ich nach einiger Zeit seitwärts vom Wege einen hellen Feuerschein bemerkte. Wir hielten auf denselben zu.



Mitten im freien Feld stand eine lange, niedrige Holzhütte, in welcher ich alsbald ein Sahan erkannte. Diese Sahana sind Gebäude, in denen man, oft in bedeutender Anzahl, Rinder schlachtet, um das Fett derselben auszukochen. Der Osmane liebt das Rindfleisch nicht. Er hat bis vor kurzer Zeit nicht verstanden, den Wert der Rinderherden auszubeuten. Man sott in diesen Sahana das Fett, um es nach den größeren Städten zu verführen. Oft wurden da nur die Lendenstücke in Riemen ausgeschnitten und dann getrocknet als Nahrungsmittel verkauft.



Also vor einer dieser Hütten hielten wir jetzt an. Die größere Hälfte derselben diente als Schlacht- und Siederaum; die kleinere schien die Wohnung zu sein. Die erste Abteilung hatte mehrere breite Türen, welche offen standen. Da brannten etliche Feuer, über denen riesige Kessel hingen. Dabei saßen die Fleischer – wilde, schmutzige, fetttriefende Gesellen. Die Feuer leuchteten weit hinaus in das Feld und ließen alle Gegenstände in grotesker Gestalt erscheinen. Die Männer hörten uns kommen und traten unter die Türen. Wir grüßten, und ich fragte, ob wir hier einen Platz finden könnten, um auszuruhen. Der eine von ihnen kam nahe zu mir heran, betrachtete mich und sagte lachend:



»Ein Mehlwurm, der aus dem Mehlkasten kommt! Ist kein Rotkehlchen da, welches ihn fressen kann?«



Die anderen stimmten in sein Gelächter ein und kamen auch herbei. Das war ein allerliebster Empfang! Ich wollte eine scharfe Antwort geben, doch kam mir Halef zuvor:



»Was sagst du, Fettammer? Lecke dir den Talg aus dem Gesicht und reibe dir dafür lieber den Verstand mit Unschlitt ein, ehe du dich über andere lustig machst! Deine Schönheit wird nicht größer durch das Lachen, denn dabei zeigst du die Zähne eines Krokodils und die Schnauze einer Bulldogge, die Meerrettich gefressen hat! Hast du vielleicht einen Sohn?«



Das kam so schnell und unerwartet, das klang so kräftig und selbstbewußt, daß der Mann in die Falle ging.



»Ja,« antwortete er, ganz verblüfft.



»Nun, so ist das arme Kind der Nachkomme eines Menschen, der kein Gehirn im Kopf hat, weil er zu dem Volk der Affen gehört. Ich bemitleide ihn!«



Jetzt erst kam der Fleischer zum Bewußtsein dessen, was ihm gesagt wurde. Er langte nach dem wollenen Fetzen, den er um den Leib trug und in welchem ein langes Schlachtmesser steckte, und antwortete zornig:



»Höre ich recht? – Was hast du gesagt?«



»Ich sehe, daß dein Verstand nicht groß genug ist, um meine Worte zu fassen, die doch so deutlich waren! Soll ich sie dir etwa wiederholen?«



»Sefil, dschüdsche – Knirps, elender! Soll ich dir dieses Messer in den Leib rennen?«



Ich wollte mein Pferd zwischen ihn und Halef drängen; da aber ergriff ihn einer seiner Kameraden beim Arm und sagte hastig:



»Sökiut dur onlarin-war koptschaji – schweig, sie haben ja die Koptscha!«



Das gab der so gefährlich erscheinenden Szene eine augen- blickliche Wendung zum Besseren. Der Mann betrachtete uns genauer und sagte dann im Tone der Entschuldigung:



»Afw sejr etmez-dim – Verzeihung, ich sah es nicht!«



»So öffne ein anderes Mal deine holden Augen weiter,« meinte Halef. »Es ist doch sehr leicht zu sehen, daß dieser Emir, welcher unser Freund und Gebieter ist, die Koptscha der Anführer trägt! Du hast uns mit Schimpfworten empfangen. Ich sollte dir die Hand so in das Gesicht legen, daß du einen Purzelbaum springst, bis hinein in den hintersten Fettkessel. Aber ich bin gnädig gestimmt, und so wollen wir dir verzeihen. Gebt uns einen Platz zur Ruhe, Futter für die Pferde und eine Bürste für unsere Kleider, damit ihr dann sehen könnt, ob wir wirklich Mehlwürmer sind!«



Halef war ein vollständig furchtloser Mensch. Dazu kam, daß er mit seinem selbstbewußten Auftreten bisher stets Glück gehabt hatte. War er durch dasselbe je einmal in eine augenblickliche Bedrängnis geraten, so hatte ihn meine Einmischung stets wieder aus der Verlegenheit gerissen. Darum zeigte er auch jetzt keine Angst vor diesen Männern, obgleich ihr Aeußeres durchaus kein Vertrauen erwecken konnte.



Der Fleischer, an welchen Halef seine Strafpredigt gerichtet hatte, betrachtete ihn mit einer Art bärbeißigen Wohlwollens, ungefähr so, wie ein amerikanischer Bluthund ein Schoßhündchen, das ihn anklafft, betrachten würde. Auf seinem Gesicht war deutlich der Gedanke zu lesen: Armer Wurm! Ein Biß von mir und ein Schluck, so habe ich dich gefressen; aber ich will es nicht tun, da du mich dauerst!



Wir stiegen ab und erhielten geschrotenen Mais für die Pferde. Für uns gab es Fleisch in Menge. Ich nahm natürlich zunächst das Pferd vor und bat um einen alten Lappen, welchen ich zum nassen Umschlage brauchte. Als ich ihn dem Hengst umlegte, fragte mich einer der Fleischer, ob das Pferd am Fuß krank sei.



»Ja,« antwortete ich. »Es hat einen Stich oberhalb des Hufes erhalten.«



»Da legst du Wasser auf? Das kühlt zwar, aber ich weiß ein noch viel besseres Mittel.«



»Was denn?«



»Ich bin hier in der ganzen Gegend als Roßarzt bekannt. Ich kenne eine Salbe, welche die Hitze benimmt und alle Wunden auf das schnellste heilt. Wenn du dieses Mittel versuchen willst, wirst du es nicht zu bereuen haben.«



»Gut; wollen einmal eine Probe machen.«



Das war keineswegs voreilig gehandelt. Ich hatte gehört, daß in manchem dieser Sahana Kuren vorgenommen wurden, deren sich der unterrichtetste Arzt nicht zu schämen brauchte. Ich sollte dieses Vertrauen auch nicht zu bereuen haben. Rih trug die Salbe drei Tage lang am Fuß und von einer Wirkung des Nadelstiches war keine Spur mehr.



Halef und ich schliefen bei unseren Pferden im Freien. Osko und Omar zogen die Hütte vor. Kurz nach Anbruch des Tages wurden wir von Treibern geweckt, welche eine Menge meist gefesselter Büffel brachten, die entweder wegen ihres Alters oder wegen ihrer Unbändigkeit an das Sahan verkauft worden waren. Da war von Schlafen keine Rede mehr, obgleich wir ungefähr nur zwei Stunden geruht hatten.

 



Die Tiere sollten sofort geschlachtet werden. Ich wollte sehen, welche Methode man dabei anwenden werde. Man schlang dem betreffenden Büffel zwei Seile um die Hörner und zog ihn an einem Pfeiler in die Höhe. Oben auf einem Querbalken stand ein Mann, welcher mit einem Beil so lange auf dem Schädel des armen Geschöpfes herumtrommelte, bis es verendete. Der Todeskampf war ein schrecklicher.



Ich bat um die Erlaubnis, die dem Tode Geweihten niederschießen zu dürfen. Man lachte. Man glaubte nicht, daß die Kugel einem dieser riesigen und starkknochigen Tiere ins Leben dringen werde. Ich bewies ihnen das Gegenteil.



Der erste Büffel, welcher den Schuß erhielt, blieb mit tief gesenktem Kopf noch eine ganze Weile bewegungslos stehen. Nicht einmal die Spitze des Schwanzes zuckte. Die Augen stier auf mich gerichtet haltend, stand er mit weit gespreizten Beinen wie eine aus Eisen gegossene Figur.



»Die Beile her! Die Beile und Stricke!« schrie einer. »Er wird gleich losbrechen!«



»Bleibt ruhig!« antwortete ich. »Er wird nicht los-, sondern zusammenbrechen.«



Das geschah auch. Ganz plötzlich, wie erst in diesem Augenblick von der Kugel getroffen, stürzte das mächtige Tier zu Boden und bewegte sich nicht mehr.



So ging es auch mit den andern. Es war keine ehrenvolle Arbeit, diese Tiere zu erschießen; aber ich hatte doch die Genugtuung, daß sie ohne Qual endeten.



Es wunderte mich, daß wir nicht nach dem Woher und Wohin gefragt wurden. Vielleicht war es infolge des Umstandes, daß ich die Koptscha des Anführers trug. Man getraute sich nicht, eine Frage zu tun. Bevor wir aufbrachen, versahen wir uns mit einem Vorrat von Postrama, das heißt gedörrte Streifen von Büffellende. Dieses Fleisch hält sich sehr lange und ist außerordentlich schmack- und nahrhaft. Als ich nach unserer Schuldigkeit fragte, wurde ich gebeten, ja nicht an Bezahlung zu denken. Es ward nichts angenommen, und wir schieden sehr befriedigt von diesen Leuten, obgleich unser Empfang ein keineswegs friedlicher gewesen war.



In Zeit von einer Stunde hatten wir Derbend erreicht, und zu Mittag befanden wir uns in Jenikoi, am linken Ufer der Strumnitza. Hier hielten wir eine kurze Rast und ritten dann weiter auf Tekirlik zu.



Die Pferde waren müde – kein Wunder, da sie ja von Adrianopel an keine wirklich ausgiebige Ruhe gehabt hatten. So ritten wir langsam und gemächlich dahin, links den Fluß und rechts die Höhen, welche zur Hochebene des Plaschkawitza-Planina aufsteigen. Während dieses Rittes ließ Halef den Kopf hängen. Er zeigte üble Laune, was bei ihm eine große Seltenheit war und mir also um so eher auffiel. Ich fragte ihn, und er teilte mir mit, daß ihm die Brust schmerze.



Das konnte seinen Grund in unserem gestrigen Erlebnis haben. Vielleicht war er, als er in die Kammer stürzte, auf etwas gefallen. Freilich konnte er sich nicht besinnen; aber ich war um den lieben Kerl besorgt und beschloß, den heutigen Ritt abzukürzen.



In Tekirlik angekommen, fragte ich nach dem Han. Es wurde mir eine Hütte gezeigt, deren Aeußeres nicht eben einladend war. Wir stiegen trotzdem ab, ließen die Pferde unter Omars Aufsicht und traten ein. Da bot sich uns ein Anblick, der nicht sehr appetitlich war.



In dem kleinen, schwarz geräucherten Raum saßen mehrere Männer. Der eine war sehr eifrig beschäftigt, sich mit einem Dolchmesser die Nägel seiner Zehen zu verschneiden. Neben ihm hockte ein zweiter, welcher einen Gegenstand in der Hand hatte, der vor langen Jahren wahrscheinlich einmal eine Bürste gewesen war, und rieb sich damit dasjenige Kleidungsstück, welches wohl nur er eine Hose nannte. Dieses Beinkleid war so voll von Schmutz, und der Besitzer arbeitete mit solchem Nachdruck, daß er in eine dichte Staubwolke gehüllt war. Ihnen gegenüber hatte ein dritter einen Napf voll Milch zwischen den ausgestreckten Beinen und schabte an der Schneide seines Messers Knoblauch, den er in die Milch tat. An der dritten Wand saß ein vierter auf dem Boden und hatte den Kopf eines fünften, den er rasierte, im Schoße liegen. Dieser fünfte war ein bärtiger Arnaut. Er trug nur auf der Mitte des völlig eingeseiften Schädels ein Haarbüschel. Der Barbier strich alles, was er von dem Hirnschädel des Genannten schabte, ganz gemächlich an die Wand und schnitt während seiner Arbeit Grimassen, wie ich sie selbst in den Vereinigten Staaten von keinem Negerbarbier gesehen habe. Und das will viel sagen, da diese schwarzen Barbers wegen ihren wunderbaren Gesichtsverzerrungen berühmt sind.



Als diese Herren uns eintreten sahen und unsern Gruß hörten, musterten sie uns zunächst. Dann fuhren der Fußzehenoperateur und der Kleiderreiniger in ihren Beschäftigungen fort. Der Mann mit der Milch benützte die Unterbrechung dazu, eine wirklich lebensgefährliche Dosis Knoblauch in den Mund zu stecken. Der Barbier aber sprang auf, verbeugte sich tief und sagte:



»Chosch geldiniz; bendeniz el öpir – seien Sie willkommen; Ihr Diener küßt die Hand!«



Da wir nicht so schmutzig aussahen, wie der Hosenbürster, so hielt uns der Barbier wohl für vornehme Leute.



»Mehandschi nerde – wo ist der Wirt?« fragte ich.



»Dyschar dadyr – er ist draußen.«



»Berber-sen – du bist Barbier?«



»Hei hei; im hekim baschi – warum nicht gar; ich bin Oberarzt!«



Er sagte das in einem Tone, der gar nicht stolzer und selbstbewußter sein konnte, deutete auf den Arnauten und fügte mit wichtiger Miene hinzu:



»Onu-da schische komarim – ich werde ihn auch noch schröpfen!«



Ehe ich ihm sagen konnte, daß diese Mitteilung meine Hochachtung sogleich verzehnfacht habe, gab der Arnaut ihm einen kräftigen Tritt mit dem Fuß und rief:



»Hund, wen hast du zu bedienen? Mich oder diesen dort? Meinst du, daß ich hier so lange liegen kann, wie es dir gefällt! Ich werde dir zeigen, daß du einen Beamten des Padischah vor dir hast!«



Der »Oberarzt« kauerte sich schnell wieder nieder, ergriff das eingeseifte Haupt und fuhr in seiner unterbrochenen Beschäftigung fort.



Ich hatte eigentlich gleich wieder umkehren wollen; aber das Wort »schröpfen« bewog mich zum Bleiben. Ich wollte doch sehen, in welcher Weise dieser berühmte Heilkünstler die Operation vornehmen würde. Wir hockten uns also nieder, so eng wie möglich, um ja nicht mit den andern in Berührung zu kommen.



Als der Wirt hereintrat und nach unseren Befehlen fragte, ließ ich einen Schluck Raki bringen als das einzige, zu welchem man sich entschließen konnte.



Der Barbier war fertig geworden und rieb den glänzenden Schädel mit seinem Kaftan ab, bespuckte aber natürlich erst die Stelle des Gewandes, welche er zum Abreiben benutzte. Dann entblößte der Arnaut seinen Oberkörper. Eine Ehre für uns war es jedenfalls, daß er sich zu der entschuldigenden Erklärung herbeiließ:



»Gidschischim war – ich habe Hautjucken.«



Einige tüchtige Peitschenhiebe wären da wohl nützlicher gewesen, als das Schröpfen!



Der »Oberarzt« holte einen Sack aus dem Winkel herbei und zog einige Gegenstände hervor, welche ich für alte, hohle Uhrgewichte hielt. Sie konnten je vier Zehntelliter Inhalt fassen. Dazu kam noch ein Instrument, welches einer unbrauchbaren Lichtputzschere so ähnlich sah, wie ein Ei dem andern. Nun wurde Raki angebrannt, und der Doktor hielt eins der Uhrgewichte über die Flamme. Als die Luft durch die Wärme verdünnt worden war, mußte der Arnaut sich auf den Bauch legen, und der Barbier versuchte, ihm den riesigen Schröpfkopf auf den Rücken zu setzen.



Der Rand des Gefäßes war heiß geworden; der Arnaut fühlte den Schmerz und langte dem Oberarzt eine so kräftige Ohrfeige hinauf, daß der Getroffene sich, so lang er war, neben den milden Spender hinlegte.



»Was fällt dir ein?« zürnte der Patient. »Du sollst mich schröpfen, nicht aber verbrennen!«



»Kann ich dafür?« lautete die Entschuldigung. »Das Instrument muß ja heiß sein, sonst zieht es nicht.«



Er nahm sich aber nun mehr in acht, und es gelang ihm, zwei der Schröpfköpfe zum Haften zu bringen. Er warf mir einen triumphierenden Blick zu, wurde aber aus seiner Verzückung durch den zornigen Ausruf des Arnauten gerissen:



»Mensch, willst du mich umbringen! Wer soll denn solche Schmerzen aushalten?«



»Habe nur einen Augenblick Geduld! Juckt es dich im Rücken noch?«



»Nein. Es brennt und sticht und beißt!«



»Siehst du, daß ich dir Hilfe bringe! Das Jucken ist bereits vorüber. Jetzt kommt der Wetzstahl daran.«



Er zog aus dem Sack ein langes Eisen und begann das Instrument, welches ich für eine Lichtschere hielt, zu wetzen. Er tat dies mit einer so unternehmenden Miene, als ob es gelte, einem Nilpferd den Genickfang zu geben. Er prüfte die Schärfe des Instrumentes an einem Balken der Wand und kniete dann neben dem Patienten nieder.



Die Schröpfköpfe waren unterdessen erkaltet und also abgefallen, zwei rote, geschwollene Stellen zurücklassend.



Der Heilkünstler setzte an und zählte:



»Bir – icki – ätsch – eins – zwei – drei! Allah ‚l Allah! Was tust du? Ist das der Dank dafür, daß ich dir die Gesundheit wieder schenke?«



Nämlich in demselben Augenblick, in welchem der Arnaut den Stich erhielt, bekam der Arzt eine zweite Ohrfeige. Der Operierte war aufgesprungen und faßte den Wundermann beim Kragen.



»Hund, du hast mich halb erstochen!« brüllte er. »Wie kannst du das Blut eines Dieners des Großherrn so unmäßig vergießen! Soll ich dich aufspießen, oder soll ich dich erwürgen?«



Auch ich stand auf, aber nicht etwa dieses Vorkommnisses wegen, welches mich gar nichts anging, sondern aus einem anderen Grunde. Nämlich der Mann, welcher sich an den Zehen herumgeschnitzt hatte, war mit dieser Beschäftigung fertig geworden und hatte eine andere, leider nicht appetitlichere begonnen.



Er hatte nämlich das helle Tuch, welches er turbanartig um den Kopf trug, herabgenommen und vor sich ausgebreitet, dann einen aus Holz grob geschnitzten Kamm aus der Tasche gezogen und sich ganz ungeniert und vor unsern Augen einer Beschäftigung hingegeben, welche zwar dem Orientalen nicht oft genug empfohlen werden kann, aber doch nicht gar so öffentlich und unbefangen vorgenommen werden sollte. Er schien nicht Mohammedaner zu sein, denn er trug sein volles Haar – und was für ein Haar! Und diesen Filz eggte er mit einer Vehemenz – — – doch genug davon!



Als nun die ärztliche Operation einen interessanten Schluß zu erhalten schien, wollte er sich das zarte Schauspiel nicht entgehen lassen. Er erhob sich also auch und schüttelte das Tuch ganz einfach aus und zwar grad dahin, wo wir uns befanden.



Ich stand natürlich im nächsten Augenblick draußen und die andern waren auch bei mir. Halef meinte lachend:



»Afw, Effendi; tehammül etmez-di daha hajle wakyt – verzeihe ihm, Herr; er konnte es nicht länger mehr aushalten!«



Der Wirt erhielt seine Bezahlung, und wir verließen den nur für Insektensammler so interessanten Ort. Ein zweites Han, selbst wenn es eines gab, war wohl auch nicht einladender, und so waren die Gefährten mit mir einverstanden, als ich äußerte, die Nacht lieber im Freien zubringen zu wollen, als in einem solchen Hause.



Vor dem Ort draußen holten wir einen ärmlich gekleideten Mann ein, welcher neben einem zweiräderigen Karren einherging, der von einem kleinen magern Esel gezogen wurde. Ich grüßte den Mann, und fragte, wie weit es bis Radowa sei, und ob es unterwegs ein Einkehrhaus gebe. Zu reiten hatten wir zwei Stunden; ein Han gab es unterwegs nicht. Wir kamen in ein Gespräch; er benahm sich sehr demütig. Es schien ihm Ueberwindung zu kosten, die Frage hervorzubringen:



»Du willst in Radowa bleiben, Herr?«



»Vielleicht halte ich bereits vorher an.«



»Da müßtest du im Freien übernachten!«



»Das tut nichts. Der Himmel ist das gesündeste Dach.«



»Du hast recht. Wäre ich nicht arm und ein Christ, so würde ich dir mein Dach anbieten.«



»Wo wohnest du?«



»Gar nicht weit von hier; einige Minuten am Bach aufwärts steht meine Hütte.«



»Und was bist du?«



»Ziegelstreicher.«



»Just weil du arm bist und ein Christ, werde ich bei dir bleiben. Ich bin auch ein Christ.«



»Du, Herr?« fragte er ebenso erstaunt als erfreut. »Ich habe dich für einen Moslem gehalten.«



»Warum?«



Er antwortete achselzuckend:



»Die Christen sind hier alle arm.«



»Auch ich bin nicht reich. Du brauchst dir keine Sorge zu machen. Fleisch haben wir bei uns. Wir werden von dir nichts erbitten, als warmes Wasser zum Kaffee. Hast du Familie?«

 



»Ja, eine Frau. Ich hatte auch eine Tochter; aber sie ist gestorben.«



Sein Gesicht nahm dabei einen Ausdruck an, der mich verhinderte, weiter zu fragen.



Es könnte scheinen, als sei es unrecht von uns gewesen, dem armen Schlucker beschwerlich zu fallen; aber ich habe es so viele Male erlebt, daß grad der Arme ganz glücklich und stolz ist, wenn er an einem besser Gestellten Gastfreundschaft üben darf. Sehr arm allerdings war dieser Mann; das sah man seiner Kleidung an, welche nur aus einem Leinwandkittel und aus einer Hose desselben Stoffes bestand. Kopf und Füße waren bloß.



Schon nach kurzer Zeit gelangten wir an einen Bach, welcher sich in die Strumnitza ergoß, und folgten dem Tale desselben aufwärts bis zu der Hütte, die neben einer tiefen Lehmgrube stand. Sie hatte nur die Tür- und eine Fensteröffnung, aber einen richtigen Schornstein. Und neben der Türe war eine Ziegelbank errichtet; hinter dem Häuschen befand sich ein kleiner Gemüsegarten, und an denselben schloß sich eine junge Baumpflanzung. Das machte einen guten, freundlichen Eindruck. Seitwärts waren lange Reihen von Ziegeln übereinander geschichtet, um an der Luft zu trocknen, und eben jetzt kam die Frau aus der Lehmgrube. Sie hatte unser Kommen gehört, schien aber über die Anwesenheit so fremder Leute ganz erschrocken zu sein.



»Komm herbei!« sagte ihr Mann. »Diese Effendis werden heute bei uns bleiben.«



»O Himmel! Du scherzest!« rief sie aus.



»Nein, ich scherze nicht. Dieser Effendi ist ein Christ. Du wirst ihn gern willkommen heißen.«



Da erheiterte sich ihr Gesicht.



»Herr, erlaube, daß ich mich wasche!« sagte sie. »Ich habe in der Grube gearbeitet.«



Sie trat an den Bach, wusch sich die Hände, trocknete sie an der Schürze und reichte mir die Rechte dann mit den Worten dar:



»Wir haben noch niemals so vornehme Gäste bei uns gesehen. Wir sind so arm, und ich weiß nicht, was ich euch bieten soll.«



»Wir haben, was wir brauchen,« beruhigte ich sie. »Wir wären weiter geritten; aber da ich hörte, daß ihr Christen seid, entschloß ich mich, bei euch zu bleiben.«



»So tretet ein in unsere Hütte! Wir wissen, welche Ehre uns heute widerfährt.«



Das klang so offen, herzlich und wohltuend. Auch sie war außerordentlich ärmlich gekleidet, doch sauber, trotz ihrer schmutzigen Arbeit. Rock, Jacke und Schürze, vielfach zerrissen, waren fleißig geflickt. Das sieht man so gern. Die Gesichter beider waren mager und hatten einen Zug, der auch von seelischem Leide sprach. Echt deutsch gesagt: ich war den beiden Leuten sogleich gut.



Man trat durch die Türe in eine kleine Abteilung, welche zur Aufbewahrung von Handwerkszeug und auch als Stall des Eselchens diente. Von da kam man links durch einen zweiten Eingang in die Wohnstube.



Dort stand – ja, wirklich – ein richtiger Ofen, aus Ziegelsteinen aufgeführt. Dann gab es einen Tisch, eine Bank und einige Schemel, Handarbeit des Mannes und blitzblank gescheuert. Auf etlichen, an die Wand befestigten Brettern standen mehrere Gefäße. In der hinteren Ecke befand sich das Bett, von harzigen, bis zur Decke reichenden Zweigen eingefaßt, und daneben war eine Nische angebracht mit dem Bild des heiligen Basilius und mit einem brennenden Lämpchen davor.



Das war arm, aber anheimelnd.



Die Frau blickte den Mann verlegen fragend an. Er gab ihr einen, nach außerhalb des Hauses gerichteten Wink und nickte dazu. Während wir ablegten, trat ich an das Fenster und sah, daß die Frau mit einer Hacke in der Hand quer durch den Bach schritt, was einige darin liegende Steine erleichterten, und dann jenseits in der Nähe eines Busches zu hacken begann. Ich ahnte sogleich, um was es sich handelte.



In jenen Gegenden nämlich und noch mehr nach Griechenland hinein ist es in gewissen, natürlich christlichen Kreisen gebräuchlich, fest verschlossene Krüge oder sonstige Gefäße, die mit Wein gefüllt sind, zu dem Zweck zu vergraben, daß sie erst bei der Hochzeit der Tochter wieder ausgegraben werden. Der Wein hat dann eine seltene Güte erlangt. Bei reichen Hochzeiten geht es hoch her; es darf kein Tropfen übrig bleiben.



»Laßt ihn drin,« sagte ich zu dem Manne. »Ich ziehe das Wasser vor, und meine Begleiter sind nicht Christen, sondern Mohammedaner und dürfen keinen Wein trinken.«



»Nicht Christen? Sie haben doch hier vor dem Heiligen die frommen Zeichen gemacht!«



»Weil sie es von mir gesehen haben. Sie verachten den Andersgläubigen nicht, doch halten sie ihr