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In den Schluchten des Balkan

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Ich hörte sie am Heu zurückklettern; dann war es still um mich her, still und schauerlich finster.

In einem amerikanischen Urwald, des Nachts, hätte ich mich gewiß nicht so beklemmt gefühlt, wie hier in diesem dunkeln, unbekannten und engen Raum. Rechts war Wand, links die Stiege. Ich befand mich auf einem nur wenige Quadratschuh großen Plätzchen. Hinter mir der Heuboden und vor mir eine dünne Holzwand mit einem offenen Türchen genau so groß, daß ich mich mühsam hindurchzwängen konnte.

Diese Umgebung war außerordentlich feuergefährlich; aber es war notwendig, auch zu sehen, wo ich mich befand. Darum zog ich ein Wachshölzchen hervor und brannte es an. Ich blickte mich schnell außerhalb des Taubenschlages um und leuchtete sodann hinein. Ah, die Alte hatte sehr recht! Schmutz gab es da in Masse; aber das mußte ertragen werden. Glücklicherweise war das Staatskabinet doch so geräumig, daß ich gut Platz fand. Da, rechts, schien ein Stück Boden zu fehlen; doch hatte die linke Hälfte ein ganz sicheres Aussehen. Ich kroch also hinein und zog die Türe hinter mir zu. Ich hatte es mir aber noch nicht ganz bequem gemacht, so begann der hier herrschende Geruch seine Wirkung. Ich merkte, daß kein Mensch hier zwei Minuten bleiben könne, ohne eine ganze Sebastian Bachsche Fuge herunter zu niesen. Das war höchst gefährlich. Ich suchte mit der Hand umher und fand eine Schnur. Ich zog an derselben – und wirklich, da öffneten sich zwei Fluglöcher, und es drang wenigstens so viel Luft herein, als ich unbedingt zum Atmen bedurfte.

Dieser Luxus machte mich anspruchsvoller. Ich kroch wieder hinaus und holte mir ein Quantum Heu herein, um wenigstens für die Ellbogen eine weichere Unterlage zu haben. Nun hatte ich es so gemächlich, wie ich es hier überhaupt nur haben konnte.

Jetzt wäre es mir lieb gewesen, wenn die Erwarteten gekommen wären; aber meine Geduld wurde leider auf eine harte Probe gestellt. Ich merkte dabei, daß es ohne gewisse Vorkehrungen hier auf die Dauer doch nicht auszuhalten sei. Die frische Luft reichte nicht aus. Ich schob die Türe wieder auf. Der Duft des Heues war doch noch besser als das scharfe Aroma des Taubenguano, in welchem ich lag. Um das Niesen zu verhüten, nahm ich mein Taschentuch hervor und band es zusammengelegt über die Nase und hielt dann den Mund möglichst nahe an die beiden Fluglöcher.

Hier waren die Vögel des Oelzweiges aus und ein geschlüpft. Ein Blick hinaus belehrte mich, daß ich mich unter dem Giebeldach befand. Der Lärm und die Lichter des Jahrmarktes drangen zu mir herauf. Dabei kamen und gingen allerlei Gedanken. Meines kleinen Halef berühmter Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi im Taubenschlage! Ein Weltläufer in der Fremde hier im Taubenschlag? Ja, das war ja ganz wie in jenem berühmten Gedicht vom Schneider, der in die Fremde wandern soll, sich aber vor dieser so fürchtet, daß er unmöglich fortzubringen ist und seine Mutter ihn im Taubenschlag versteckt.

An diese romantische Heldenballade mußte ich denken. Ich lachte dabei fröhlich vor mich hin; das verursachte eine zitternde Bewegung meines Körpers, welche sich auch dem Boden mitteilte – er krachte.

Eigentlich hätte mich dies mißtrauisch machen sollen; aber die Hölzer hatten vorher meine viel kräftigere Bewegung ausgehalten, und so war also gar kein Grund zur Besorgnis vorhanden. Selbst wenn die Festigkeit des Taubenschlages nicht auf Jahrtausende berechnet sein sollte – ich lag ja still; es konnte nichts geschehen.

So hielt ich es fast bewegungslos wohl eine Stunde aus, und meine Lage wurde immer unbehaglicher. Da ich die Nase zugebunden hatte, so holte ich durch den Mund Atem. Der scharfe, ätzende Staub drang mir in die Kehle und reizte zum Husten. Ich konnte mir doch nicht auch noch den Mund verbinden!

Da – endlich – erschallten unter mir Schritte und Stimmen. Man öffnete die Türe; es wurde Licht, und es traten ein – zwei, vier, fünf, sechs Männer, welche sich auf die auf dem Boden ausgebreiteten Strohdecken niederließen.

Jetzt, da das Licht von unten herauf durch meine Knüppel-Unterlage leuchtete, erschien mir dieselbe gar nicht mehr so recht zuverlässig. Es gab da ganz bedeutende und beängstigende Lücken. »Sehr fest«, hatte die Alte gesagt. Ich fand dies aber ganz und gar nicht.

Der Regen war durch das arg beschädigte Dach gedrungen, hatte den Guano durchnäßt und ihn zu einer ziemlich zusammenhängenden Kruste gemacht. Das mochte der Grund sein, daß er überhaupt noch vorhanden und nicht längst hinunter in die Kammer gefallen war.

Nun aber hatte ich mich auf der Kruste bewegt; die Wirkung konnte verhängnisvoll für mich werden. Ich erblickte zu meinem Schrecken den weißgrauen, stellenweise fingerhohen Ueberzug, welchen die Gegenstände da unten erhalten hatten, und dazu siebte ununterbrochen ein feiner Staubregen nach.

Das wurde dann erst deutlich bemerkt, als sich die Männer niedergesetzt hatten.

Derjenige, welcher das Licht in der Hand gehabt hatte, ein langer, spindeldürrer Mensch, jedenfalls der Wirt, blickte zornig nach oben und sagte:

»Dschehenneme gitme kedije; onu öldürim – Verdammnis über die Katze! Ich schlage sie tot.«

Man kann sich denken, daß ich mich nicht rührte; ich wagte kaum, zu atmen.

Neben dem Wirt saß mein liebenswürdiger Gastfreund, der Fuhrmann; dann folgten Saban, der Bettler, und der Bruder Deselims aus Ismilan. Der Bettler hatte den einen Arm verbunden und eine tüchtige Beule an der Stirn. Es schien, daß er dem wackeren Schmied nur nach einem Kampf entkommen war. Die beiden anderen Männer hatte ich noch nicht gesehen. Sie trugen die Koptscha, waren also auch Eingeweihte und hatten Physiognomien, welche man am besten mit dem Worte »Ohrfeigengesichter« bezeichnet. Der Eine hatte außer den gewöhnlichen Waffen noch etwas an dem zerfetzten Gürtel hängen, was ich für eine Schleuder zu halten geneigt war. Ich wußte damals nicht, daß diese Waffe noch heute in jenen Gegenden im Gebrauche ist.

Diese beiden Männer verhielten sich schweigend; nur die anderen sprachen.

Der Bettler erzählte das Ereignis in der Waldhütte und berichtete dann von unserem nächtlichen Zusammentreffen und wie er in meine und des Schmiedes Hände geraten war. Als an das Pferd gefesselter Gefangener hatte er widerstandslos folgen müssen, bis sie am frühen Morgen ein Dorf erreicht hatten und da bei einem Bekannten des Schmieds eingekehrt waren. Dort aber hatte sich ein Freund des Bettlers auf Besuch befunden und ihn von seinen Fesseln frei gemacht, so daß es ihm geglückt war, auf dem Pferde davonzureiten. Der Schmied hatte ihn dann verfolgt und auch erreicht. Es war zu einem Handgemenge gekommen, bei welchem der Bettler zwar einige derbe Jagdhiebe erhalten hatte, aber doch noch entwischt war. Natürlich hatte er nun in höchster Eile seinen unterbrochenen Ritt nach Ismilan fortgesetzt und dort im Einkehrhause vernommen, ich sei dagewesen, aber bereits wieder aufgebrochen.

Als der Bruder Deselims erfahren hatte, ich trüge die Schuld, daß sein Bruder den Hals gebrochen hatte, war er mit dem Bettler sofort zu Pferde gestiegen, um mir zu folgen. Er wußte ja, daß ich in Menlik bei dem Fruchthändler einkehren würde und da ganz sicher zu finden wäre.

Unterwegs waren sie dem abgelohnten Führer Albanis begegnet, welcher ihnen alles Weitere erzählt hatte. Sie erfuhren, daß wir einen Umweg eingeschlagen hatten, und beeilten sich, vor uns in Menlik anzukommen, was ihnen auch gelungen war, da sie das Pferd des Bettlers gegen ein besseres vertauscht hatten.

Sie hatten Barud el Amasat, Manach el Barscha und den mit diesen beiden davongelaufenen Gefangenwärter in Menlik bei dem Fruchthändler angetroffen und dieselben von allem unterrichtet. Die drei waren – also gewarnt – sofort aufgebrochen, um von uns nicht erwischt zu werden, hatten sich aber vorher das feste Versprechen geben lassen, daß man uns an einer weiteren Verfolgung hindern werde.

Man hatte an den beiden östlichen Ausgängen der Stadt auf uns gewartet, um uns bei dem Fuhrmann einzuquartieren. Das Weitere sollte nun besprochen werden.

»Es versteht sich von selbst,« sagte der Fruchthändler, »daß diese Hunde unsere Freunde nicht erreichen dürfen.«

»Nicht erreichen?« meinte der Ismilaner. »Nur das willst du verhindern? Weiter soll nichts geschehen? Hat dieser Fremde nicht meinen Bruder getötet? Hat er mich nicht betrogen und mir unsere Geheimnisse entlockt? Hat er sich nicht in den Besitz der Koptscha gesetzt, so daß ich ihn nicht nur für einen der Unserigen, sondern sogar für einen der Anführer gehalten habe? Er wird unserem Bund den größten Schaden bereiten, wenn wir ihn fortreiten lassen. Er muß bleiben!«

»Wie willst du ihn dazu bewegen?«

»Wie? Das fragst du noch?«

»Ja, ich frage es.«

»Nun – durch schöne Worte und freundliche Vorspiegelungen bringen wir ihn nicht soweit. Wir müssen Zwang anwenden. Das können wir auf zweierlei Weise tun. Entweder klagen wir ihn an, so daß er hier gefangen genommen wird, oder wir selbst halten ihn fest.«

»Wessen willst du ihn anklagen?«

»Gibt es nicht der Gründe genug?«

»Es wird kein Grund etwas nützen. Du hast mir ja gesagt, daß er drei Papiere besitzt: das Teskereh, Buyuruldi und auch den Ferman. Er steht nicht nur unter dem Schutz der Behörde, sondern er ist sogar ein Empfohlener des Großherrn. Wenn man ihn festnehmen will, so wird er seine Pässe vorzeigen, und man wird ihm eine Verbeugung machen und ihn nach seinen Befehlen fragen. Ich kenne das. Und selbst wenn er arretiert würde, so könnte er darüber lachen. Er ist ein Franke und wird sich auf seinen Konsul berufen. Und fürchtet sich ja der Vizekonsul vor uns, so gibt es einen Generalkonsul, dem es gar nicht einfallen wird, auf uns zu hören.«

»Du hast recht. Wir werden also handeln.«

»Aber wie?«

Da machte der Bettler eine energische Handbewegung und sagte:

»Was verliert ihr so viele Worte? Er ist ein Verräter und ein Mörder. Gebt ihm eine Messerklinge in den Leib; da wird er schweigen und kann nichts ausplaudern.«

 

»Du hast recht,« stimmte der Ismilaner bei. »Mein Bruder ist tot. Blut um Blut! Ihr habt sein Pferd gelähmt, damit wir ihn schnell einholen. Warum soll er überhaupt von hier fort? Mein Messer ist scharf. Während er schläft, schleiche ich mich zu ihm und stoße ihm die Klinge ins Herz. Dann ist unsere Rechnung ausgeglichen.«

Da entgegnete der Fuhrmann hastig:

»Das geht nicht! Ich bin euer Freund und Helfer; ich bin bereit gewesen, ihn bei mir aufzunehmen, damit wir ihn genau beobachten können; ich will auch weiter das meinige tun. Aber bei mir darf er nicht sterben. Ich will nicht vor dem Richter erscheinen, weil ein Schützling des Großherrn bei mir ermordet wurde.«

»Feigling!« brummte der Ismilaner.

»Schweig! Du weißt, daß ich nicht feig bin. Ich habe des Schadens bereits genug, da mein Knecht schwer verletzt ist. Ich glaube sogar, dieser Fremdling ahnt, was wir getan haben.«

»Wie kann er es ahnen?«

»Er sprach von Stecknadeln. Vielleicht hat er gar die Nadel im Fuße des Pferdes entdeckt. Diese ungläubigen Frankenhunde haben die Augen des Teufels. Sie sehen alles, was sie nicht sehen sollen.«

Da legte der eine der beiden Männer, welche mir unbekannt waren, den Tschibuk weg und sagte:

»Macht es kurz! Worte sind für Kinder und Weiber; wir aber sind Männer und wollen Taten verrichten. Manach el Barscha will in der Ruine von Ostromdscha auf uns warten, damit wir ihm sagen, wie wir diese Hunde unschädlich gemacht haben. Ich muß ihm mit meinem Bruder hier die Botschaft bringen und habe nicht Lust, eine Ewigkeit zu warten.«

Diese Worte waren mir natürlich von größter Wichtigkeit, da sie mir sagten, wo ich die Flüchtlinge suchen mußte. Nun harrte ich in höchster Spannung des Entschlusses, welcher gefaßt werden sollte. Es verursacht einem ein gar eigentümliches Gefühl, zu hören, daß es einem an den Kragen gehen soll.

Natürlich war ich bemüht, mir kein Wort entgehen zu lassen. Um so ärgerlicher war es, daß ich grad jetzt draußen ein Rascheln des Heues vernahm. Ich hob den Kopf empor. War das vielleicht die Katze, von welcher der Hausherr gesprochen hatte? Das Tier spazierte zu einer Zeit hier oben herum, welche mir gar nicht ungelegener sein konnte. Unten erhoben sich laute Stimmen. Fast noch lauter aber wurde es in diesem Augenblick vor dem Taubenschlag. Es gab einen sehr geräuschvollen Rutsch – plumps – ein ärgerliches »Ah!« und dann war es draußen still, unter mir aber auch.

Ein Blick, den ich hinunter warf, zeigte mir, daß alle horchten. Auch sie hatten das Geräusch vernommen. Es war ein Glück, daß sie eben jetzt lauter als vorher gesprochen hatten.

»Was war das?« fragte der Bettler.

»Wohl die Katze,« antwortete der Fruchthändler.

»Hast du so viele Mäuse da oben?«

»Mäuse und Ratten.«

»Aber wenn es ein Mensch gewesen ist, der uns belauscht!«

»Wer sollte das wagen?«

»Sieh doch lieber einmal nach!«

»Es wird nicht nötig sein; ich will es aber tun.«

Er stand auf und verließ die Kammer. Jetzt befand ich mich in Gefahr. Ich zog die Beine möglichst an mich. Er hatte zwar kein Licht bei sich; aber wenn er fühlte, daß die Türe zum Taubenschlag offen war, schöpfte er wohl Verdacht und griff hinein. Ich hörte die Stiege knarren. Er kam wirklich herauf – zum Glück aber nicht ganz.

»Ist jemand da?« fragte er.

Niemand antwortete; aber es raschelte leise im Heu, so daß auch er es sicher hörte.

»Wer ist da?« wiederholte er.

»Miau!« antwortete es jetzt.

Und darauf folgte ein zorniges Pfauchen. Es war wirklich die Katze, welcher er vorhin die Verdammnis angewünscht hatte. Er brummte unmutig einige Worte in den Bart und kehrte dann in die Kammer zurück.

»Habt ihr es gehört?« fragte er. »Es war das Vieh.«

Ich hatte bereits die Hand am Messer gehabt; jetzt fühlte ich mich beruhigt – aber nicht für lange Zeit, denn als das Gespräch wieder begann, hörte ich ein leises, streichendes Geräusch hinter mir, als ob jemand mit der tastenden Hand die Räumlichkeit untersuche. Ich horchte auf. Ah, da fühlte eine Hand an meinem Fuße.

»Sihdi!« flüsterte es.

Jetzt kannte ich diese Katze.

»Halef?« antwortete ich so leise wie möglich.

»Ja. Habe ich die Stimme der Katze nicht prächtig nachgeahmt?«

»Mensch, was fällt dir ein! Du bringst dich und mich in die allergrößte Gefahr!«

»Mußte ich nicht? Du bliebst so lange fort. Ich hatte Sorge um dich. Wie leicht konnte man dich erwischen!«

»Das hättest du abwarten sollen!«

»So! Soll ich warten, bis man dich getötet hat? Nein, ich bin dein Freund und Beschützer.«

»Der mich aber in Verlegenheit bringt. Verhalte dich jetzt ganz ruhig!«

»Siehst du sie?«

»Ja.«

»Und hörst du sie?«

»Ja, ja doch!« antwortete ich ungeduldig. »Aber ich werde sie nicht hören, wenn du weiter plauderst.«

»Gut, ich schweige. Aber zwei hören mehr als einer. Ich lausche auch – ich komme hinein.«

Ich hörte, daß er Anstalt machte, in den Taubenschlag zu kriechen.

»Mensch, bist du des Teufels?« raunte ich ihm zu. »Ich kann dich nicht brauchen. Bleibe draußen!«

Leider aber hatte eben jetzt der Ismilaner seine Stimme so erhoben, daß Halef meine Worte gar nicht verstehen konnte. Er kam zu mir hereingekrochen – wahrhaftig, er kam! Ich gab ihm zwar einen tüchtigen Tritt mit dem Fuß; aber der kleine Kerl meinte es gut – zu gut für die Verhältnisse. Er war ganz erpicht darauf, den Lauscher zu machen, und mochte glauben, daß der Fußtritt nur eine ganz zufällige Bewegung von mir gewesen sei.

Jetzt war er da. Ich drückte mich so weit nach links, wie es mir möglich war.

»O Allah! Wie stinkt es hier!« flüsterte er.

»Her zu mir! Hierher, hierher, ganz zu mir!« gebot ich ihm. »Dort rechts brichst du durch!«

Er machte eine hastige Bewegung zu mir herüber und hatte dabei ganz sicher eine ganze Menge von dem Guano aufgewühlt, denn unten fluchte der Fruchthändler:

»Zur Hölle mit dieser Katze! Da ist sie jetzt über uns und wirft allen Kot herab!«

»Puh! Ah – oh – — uh!« pustete Halef, dem der scharfe Staub in die Nase und Lunge geraten war.

Er hatte sich infolge meiner Aufforderung ganz nahe an mich geschmiegt; darum fühlte ich, daß sein Körper eine krampfhafte, wurmartige Bewegung machte.

»Atsch zözünü – nimm dich in acht!« mahnte ich, denn trotz der verbundenen Nase empfand ich einen heftigen Niesreiz.

»Ja, Sihdi! Niemand soll hören – — oh – ih – — bchch – — gchchch – dchchchch – — hilf mir, Allah!«

Er kämpfte vergebens gegen den unüberwindlichen Reiz. Ich hörte ein ganz unbeschreibliches, vergebens nach innen gedrängtes Pusten und Keuchen und griff unwillkürlich hinüber, um ihm den Mund zuzuhalten.

»O Allah – Al – — ill – — ell- ah – ha- ha – ha- hab – — habziiih, habzuäuuuh!«

Da krachte es los, und zwar so kräftig, so nachhaltig, daß sein ganzer Körper bebte: aber es krachte auch unter uns. Ich fühlte, daß der ganze Taubenschlag wackelte und bebte.

»Si – — Sih – — Sihdi, o Mohammed, ich breche durch!«

Der Kleine wollte diese Worte leise sagen, aber da er bereits den Boden unter sich verlor, so stieß er sie in seinem Schreck laut wie einen Hilferuf aus. Er faßte mich am Arme. Ich erkannte, daß er auch mich mit hinunterreißen würde, und riß mich los. Im nächsten Augenblick prasselte es um mich her, als ob das ganze Gebäude zusammenstürze: – ein entsetzliches Gepolter, eine noch entsetzlichere, dicke Guanowolke – unter mir lautes Schreien, Fluchen, Husten und Niesen – der gute Hadschi war mit der Hälfte des Taubenschlages hinabgestürzt.

Auch ich hing halb in der Schwebe. Ein rascher Schwung brachte mich mit den Beinen zu dem Loch hinaus; nach einer zweiten, krampfhaften Anstrengung stand ich mit dem ganzen Körper draußen. Ich riß das Tuch von der Nase und hustete und nieste, als ob ich es bezahlt bekäme. Jetzt war es ganz gleich, wenn man mich auch hörte.

Unten entstand ein Höllenlärm. Halef befand sich jedenfalls in Gefahr. Das Licht war nicht verlöscht. Hatte man ihn ergriffen, oder war er so geistesgegenwärtig gewesen, hurtig zu entspringen? Ich rannte, so rasch es die Dunkelheit gestattete, die Stiege hinab. Der Heidenspektakel war mein Führer. Ich fühlte die Kammertüre – ich tastete mit der Hand, daß sie von außen verriegelt werden konnte; man brauchte nur einen an einer Schnur hängenden Holzpflock vorzuschieben. Von innen war sie nicht verschlossen. Ich öffnete. Ein dicker Guanostaub, durch welchen das Licht der Lampe kaum zu dringen vermochte, wallte mir entgegen.

Ich erblickte, so weit ich die Augen zu öffnen vermochte, ein Chaos von Armen, Beinen und herabgefallenen Holzknüppeln, alles in Bewegung – ein unbeschreiblicher Lärm von hustenden, niesenden, fluchenden Menschen, dazu klatschendes Geräusch, als ob jemand eine Peitsche aus Leibeskräften in Bewegung setze. Ich merkte, daß diese Leute sich untereinander gepackt hielten, in der Meinung, den unerwarteten Eindringling ergriffen zu haben. Jetzt erschallte Halefs Stimme:

»Sihdi, wo bist du? Bist du auch herunter?«

»Ja, hier!«

»Hilf, hilf! Jetzt haben sie mich!«

Ich sprang nun – ohne weiteres Besinnen – sprang mitten in den Knäuel hinein. Ja, sie hatten ihn. Ich packte ihn mit der Linken, entriß ihn ihren Händen und schleuderte ihn zur offenen Türe hinaus. Einige Faustschläge mit der Rechten – und sie wichen zurück. Sofort war auch ich draußen, warf die Türe zu und steckte den Pflock vor.

»Halef!«

»Hier!«

»Bist du verletzt?«

»Nein. Komm fort!«

»Ja, hier die Treppe hinab!«

Ich erfaßte seine Hand und zog ihn nach der Gegend, in welcher ich die Treppe vermutete. Hierbei leiteten mich Stimmen, welche unten erschallten. Man hatte da den Lärm vernommen und kam, um nachzusehen, was es zu bedeuten habe.

Wir rutschten mehr die Treppe hinab, als daß wir liefen, rissen dabei einige Personen um, kamen glücklich unten an und sprangen über den Hof hinüber, nach der Stelle, wo ich die Bretter locker gemacht hatte. Als wir da hindurchgeschlüpft waren und stehen blieben, um auszuschnaufen, sagte der kleine Hadschi:

»Allah sei Dank! Mich bringt kein Mensch wieder in einen Taubenschlag!«

»Es hat dir niemand geheißen, hinaufzugehen!«

»Du hast recht. Ich bin an allem schuld. Aber schön war es doch, denn ich habe meiner Peitsche Arbeit gegeben, an welche diese Leute noch lange denken werden. Hörst du sie rufen? – Horch!«

»Ja. Man sucht uns. Wo ist Osko? Wo ist Omar?«

»Hier,« antworteten die beiden Genannten in der Nähe.

»Sind die Pferde zum Aufbruch bereit?«

»Ja. Wir warteten schon lange.«

»Hinaus aus dem Stalle, und fort aus der Stadt!«

Jeder ergriff sein Pferd. Meine Gewehre hingen am Sattel, wie ich tastete. Im Hofe stiegen wir auf. Das Tor des Hauses war offen; wir gelangten unangefochten auf die Gasse.

Halef ritt neben mir. Er sagte:

»Wohin geht es? Kennst du den Weg? Wollen wir denn nicht jemand fragen?«

»Nein. Es braucht niemand zu erfahren, welche Richtung wir einschlagen. Wir reiten nach Westen. Nur erst zur Stadt hinaus! Dann werden wir wohl einen Weg finden.«

»Aber müssen wir denn fliehen? Ist das notwendig?«

»Wir reiten fort; das ist auf alle Fälle gut. Willst du das eine Flucht nennen, so tue es. Ich weiß, wo Barud el Amasat steckt. Er ist nicht hier, und wir werden ihn und seine Begleiter aufsuchen.«

Bald lag Menlik hinter uns. Als wir heute von der entgegengesetzten Seite in die Stadt geritten waren, hatte ich nicht geahnt, daß wir sie so schnell wieder verlassen würden.