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In den Schluchten des Balkan

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»Was? Du willst mit?«

»Ja. Ich begleite dich so weit, bis ich die Ueberzeugung habe, daß du dich nicht mehr irren kannst.«

»Das ist sehr freundlich von dir, aber – —«

»Schweig!« fiel er ein. »Du weißt, was ich dir zu danken habe.«

»Aber ich muß sehr schnell reiten!«

»Mein Pferd ist nicht schlecht; es ist das beste des Mannes, von dem ich es mir geborgt habe. Es wird sich anstrengen müssen. Habe ich mich von dir verabschiedet, so kann ich es ja dann schonen. Ich bedaure nur, daß mein Weib das Glück, dich noch einmal zu sehen, nicht haben kann. Aber du darfst versichert sein, daß dein Andenken uns für immer im Gedächtnisse bleiben wird.«

Halef war uns nachgekommen, um mich auf etwas aufmerksam zu machen, woran ich gar nicht wieder gedacht hatte, nämlich auf den Beutel, von welchem während unsers Rittes von Kabatsch nach der Hütte zurück die Rede gewesen war. Derselbe wurde hervorgenommen und beim Scheine des brennenden Spanes auf seinen Inhalt geprüft.

Es befanden sich in demselben hundert österreichische Dukaten. So ein Dukaten wird fast durch die ganze Türkei nicht Dukaten genannt, sondern mit dem deutschen Worte »Münze« bezeichnet. Da einer derselben, je nach der Gegend, 53 bis 58 Piaster gilt, so betrug die Summe also zwischen fünf- und sechstausend Piaster ungefähr.

Außerdem gab es noch fünfzig Fünfpiasterstücke. Dabei lag ein Zettel, auf welchem bemerkt war, daß die Dukaten mir, das Silber aber Halef gehören sollten. Wie ich später hörte, hatte Omar Ben Sadek bereits in Edreneh von unserem Gastfreunde ein Geldgeschenk erhalten.

Mancher mag ein solches Geldgeschenk nicht für zart halten. Auch mir kam ein schmollender Gedanke, der aber gar nicht lange die Oberhand behielt. Erstens hatte der Geber es gut gemeint. Er wußte, daß ich kein Millionär war. Zweitens hatte das Hauptgeschenk ja in anderen Gegenständen bestanden, welche uns freilich samt dem Lasttiere und dem liebenswürdigen Kawassen verloren gegangen waren. Und drittens befand sich in dem Beutel auch noch ein für mich bestimmter Fingerring von wunderbar feiner Arbeit mit einem Hyazinth von ziemlicher Größe. Zwar kann ich keinen Ring am Finger dulden – des Mannes Schmuck soll anderer Art sein; aber dieser Ring gehört doch zu denjenigen Gegenständen, welche ich als freundliche Andenken aufbewahrte.

Es versteht sich ganz von selbst, daß Halef seine fünfzig Beschliks sofort erhielt. Er steckte sie schmunzelnd ein und sagte:

»Sihdi, dieser Wohltäter ist ein Mann von großem Verstande. Ich an seiner Stelle aber wäre vielleicht noch verständiger gewesen. Ein Kaf ist besser als ein Nun und steht auch im Alphabet vor demselben.«

Nämlich ein jeder Buchstabe des arabischen Alphabets hat auch eine Zahlenbedeutung. Das Kaf (K) bedeutet hundert und das Nun (N), welches aber in der feineren Aussprache vor einem B wie M gebraucht wird, nur fünfzig. Der kleine Hadschi hatte eben grad einmal seine unbescheidene Stunde. Fünfzig Mark sind für einen »Freund und Beschützer seines Effendi« freilich nicht sehr viel, als Bakschisch für einen Diener aber doch sehr reichlich bemessen.

Ich übergehe den Abschied, welcher noch einige wunderliche Szenen bot. Der Färber drückte mir die Rechte, und seine Tochter reichte mir die Linke. Die gute Tschileka weinte sogar einige Tränen schmerzlicher Rührung. Als ich schon zu Pferde saß, kam auch der Gehilfe herbei und streckte mir die Hand entgegen. Sollte ich sie ihm zum Abschiede drücken, oder wollte er ein Bakschisch? Meine Peitsche pflegte besser am Sattel zu hängen, als diejenige des tapferen Hadschi Halef Omar; jetzt aber hatte ich sie blitzschnell in der Hand und zog dem Halunken ein paar solche Hiebe über den Rücken, daß er sich mit einem raschen Sprung hinter seine dicke Herrin retirierte.

»O jazik! Bu biberlemer – O wehe! Das pfeffert!« rief er aus, mit der Hand nach der Kehrseite greifend.

»Tuz daha, arzussundscha – wünschest du auch Salz?« fragte ich.

Sofort war der Hadschi hinter ihm, nahm die Peitsche vom Gürtel und fragte:

»Soll ich salzen? Er hat es verdient!«

»Boghul-dim – ich bin verduftet!« rief der Bedrohte und verschwand eiligst hinter der Ecke des Hauses.

Nun brachen wir auf.

Viertes Kapitel: Alte Bekanntschaft

Es war eine dunkle Nacht, grad so finster wie die vorige. Nur wenige Sterne blinzelten matt am Firmament. Erst jetzt sah ich ein, daß es ein kühnes Unterfangen von mir war, in solcher Nacht in so unbekannter Gegend zu reiten, und zwar so schnell, wie es nötig war, um den Bettler einzuholen oder gar ihm zuvor zu kommen.

Eine Viertelstunde lang ritten wir schweigend nebeneinander her. Ein jeder gab seinen eigenen Gedanken im Stillen Audienz. Wir hatten keinen Weg, sondern das freie Feld unter uns. Rih machte sich nichts daraus; seine Augen waren selbst an solches Dunkel gewöhnt.

Jetzt fragte Schimin:

»Herr, erinnerst du dich unseres Gespräches, welches leider unterbrochen wurde, als dieser Mosklan kam? Wir saßen neben der Türe meines Hauses.«

»Noch sehr genau.«

»Du wolltest mir beweisen, daß ihr Christen besser seid, als ich dachte.«

»Es gibt gute und böse Menschen überall, also auch unter den Christen und unter den Moslemim. Nicht von den Christen wollte ich sprechen, sondern von dem Christentum.«

»Du meinst, daß es besser sei, als unsere Lehre?«

»Ja.«

»Das zu beweisen, wird dir schwer werden!«

»O nein. Nimm den Kuran und unsere Bibel her, und vergleiche beide! Die herrlichsten Offenbarungen sind eurem Propheten aus unserem Buch gekommen. Er hat geschöpft aus den Lehren des Alten und Neuen Testamentes und diese Lehren für die damaligen Verhältnisse seines Volkes und seines Landes verarbeitet. Diese Verhältnisse haben sich verändert. Der wilde Araber ist nicht mehr der einzige Bekenner des Islams; darum ist der Islam jetzt für euch zur Zwangsjacke geworden, unter deren Druck ihr hilflos leidet. Unser Heiland brachte uns die Lehre der Liebe und der Versöhnung; sie ist nicht aus den Gewohnheiten eines kleinen Wüstenvolkes gefolgert; sie ist aus Gott geflossen, der die Liebe ist; sie ist ewig und allgegenwärtig; sie umfaßt alle Menschen und alle Erden und Sonnen; sie kann nie drücken, sondern nur beseligen. Sie streitet nicht mit dem Schwert, sondern mit der Gnade. Sie treibt die Völker nicht mit der Peitsche zusammen, sondern sie ruft sie mit der Stimme einer liebenden Mutter, welche ihre Kinder an ihrem Herzen vereinigen will.«

»Du sprichst von Liebe, und dennoch fehlt sie euch!«

»Wirfst du die ganze Ernte weg, weil einige Früchte vom Wurm zernagt sind?«

»Warum aber wächst grad bei uns nicht der Weizen des Christentumes, sondern das Unkraut?«

»Ist es wirklich so? So schlimm? Nun, dann mußt du wissen, daß das Unkraut am allerbesten auf schlechtem Boden gedeiht. Du gibst damit dem Islam ein schlechtes Zeugnis, denn er würde dieser schlechte Boden sein. Wir sind allein und wir haben Zeit. Soll ich dir von Christus erzählen, von den Propheten, die ihn verkündigten, und von den Wundern, die er verrichtete?«

»Erzähle! Beweise, daß er größer ist, als Mohammed! Dir kann ich zuhören, ohne mein Gewissen zu beschweren. Du bist kein Proselytenmacher, der mich verführen will. Du kennst den Islam und das Christentum; du willst mich nicht verlocken, sondern wirst mir die Wahrheit sagen.«

»Von jetzt an wirst du Menschen fangen!« An dieses Wort des Heilandes dachte ich, als ich jetzt zu erzählen begann. Der Schmied hatte recht: ich meinte es ehrlich mit ihm. Er war eine Nathanaelseele; an ihm war kein Falsch. Er gehörte zu jenen einfachen Menschen, welche bei geringen Gaben nach der Wahrheit trachten, während geistig reich Begnadete ihre Kräfte an unfruchtbare Spitzfindigkeiten verschwenden.

Es war ein eigentümlicher Ritt. Ich erzählend und er still zuhörend. Nur zuweilen warf er eine kurze Frage ein oder sprach ein Wort der Verwunderung aus. Wir ritten im schärfsten Trabe, und er hatte sehr zu tun, sich an meiner Seite zu halten. Dennoch achtete er mehr auf meine Worte als auf Pferd und Weg, und da kam es vor, daß er bei einem Stolpern oder bei einem unerwarteten Sprung seines Gaules den Bügel verlor und dabei ein Kraftwort ausrief, welches zu dem Inhalte meiner Erzählung keine ganz passende Interjektion bildete. Aber wir kamen körperlich schnell vorwärts, und geistig oder vielmehr geistlich machten wir auch Fortschritte, wie ich bemerkte.

Es waren Stunden vergangen. Wir hatten einen ziemlich bedeutenden Berg erklommen – ohne Weg und bei dieser Finsternis keine Leichtigkeit. Wir ritten drüben wieder hinab, durch lichten Wald und bei steilem Abfall. Darum ging es langsamer als bisher.

»Und glaubst du, daß er wirklich auferstanden ist und aufgefahren gen Himmel?« fragte er.

»Ja, ganz gewiß!«

»Wie kann ein irdischer Leib in den Himmel kommen? Ist doch der Leib unseres Propheten auf der Erde geblieben!«

»Habe ich dir nicht von dem Berg der Verklärung erzählt? Und sagt nicht euer Prophet, daß Christus vor den Augen seiner Jünger aufgefahren sei?«

»Ja, es ist ein großes Wunder. Und er wird einst wiederkommen?«

»Um zu richten die Lebendigen und die Toten. Das sagt auch Mohammed. Er wird Seligkeit und Verdammnis geben. Ist er da nicht Gott? Muß er da nicht größer, herrlicher und mächtiger sein, als Mohammed, der nicht ein einziges Mal von sich sagt, daß er Richter sei?«

»Fast glaube ich es!«

»Fast? Nur fast? Christi Worte sind wahr, wie er selbst die Wahrheit ist. Er sagt von sich: »Benim war hepsi kuwwet gökda toprak üzerinde – ich besitze alle Macht im Himmel und auf Erden!« Hat euer Mohammed ein einziges Mal so gesprochen?«

»Nein, Effendi. Ich werde meiner Frau und meinen Freunden erzählen, was du mir erzählt hast. Ich wollte, ich hätte eure Heilige Schrift; dann könnte ich lesen und lernen, und vielleicht käme dann jener Heilige Geist, von dem du erzähltest, auch über mich, wie über die Gemeinde zum ersten heiligen Pfingstfest. Wenn der Mensch dürstet, so soll man ihm Wasser geben. Auch die Seele hat ihren Durst. Ich habe ihn gefühlt und ich habe geglaubt, Wasser zu trinken, wenn ich meine Gebete sagte und die Moschee besuchte. Jetzt aber ist es mir, als hätte ich kein reines Wasser gehabt, denn deine Worte sind klarer und erquickender als die Worte unseres Vorbeters. Ich bedaure, daß du hier fremd bist, und daß ich dich also niemals wiedersehen werde.«

 

»Ich werde bei dir bleiben, zwar nicht mit dem Körper, aber meine Worte werden nicht von dir weichen. Sie ruhen in deinem Herzen, wie der Same in der Erde ruht, und werden keimen und treiben und Früchte bringen. Und weil ich dich liebgewonnen habe und dir so viel Dank schuldig bin, will ich dir ein Geschenk zurücklassen, welches dich an diese Nacht erinnern soll, so oft du es in die Hand nimmst. Du kannst ja lesen. Es ist ein Buch. Ich kaufte es in Damaskus als ein Andenken an die Stadt der Gärten und der kühlenden Gewässer. Magst du erquickende Wasser fließen hören und sie auch trinken, wenn du es liesest! Hier ist es!«

Ich öffnete die Satteltasche, nahm das Buch heraus und gab es ihm.

»Was steht darin?« fragte er. »Ist es ein Märchenbuch?«

»Nein. Nicht ein Märchen wirst du lesen, sondern die Wahrheit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Deine Seele dürstet nach ihr, und du sollst sie haben. Dieses Buch ist das Neue Testament, welches alles enthält, was ich dir erzählt habe, und noch weit mehr.«

Da stieß er einen lauten Ruf der Freude aus, ein helles Jauchzen, dem man anhörte, wie glücklich ihn die Gabe machte.

»Effendi,« sagte er, »dieses Geschenk ist so groß, daß ich es gar nicht annehmen kann!«

»Behalte es in Gottes Namen! Ich bin nicht reich. Das Buch kostet mich keine große Summe, aber es enthält den größten Reichtum, den die Erde bietet, nämlich den Weg zur Seligkeit. Der heilige Apostel sagt, man solle in dieser Schrift suchen und forschen, da sie das ewige Leben enthalte. Mögest du dir dieses Leben daraus erforschen! Das wünsche ich dir von ganzem Herzen.«

Ich hatte wirklich Mühe, seinen Danksagungen ein Ende zu machen. Er hätte dieselben wohl noch länger fortgesetzt, wenn er nicht auch von anderer Seite darin gestört worden wäre.

Wir hatten die Ebene wieder erreicht und bemerkten, daß wir uns auf einem ziemlich gebahnten Pfade befanden, das heißt, was man dort gebahnt nennt.

»Dies ist der Weg von Usu-Dere nach Maden,« erklärte Schimin, indem er seine Dankesrede unterbrach.

Zu gleicher Zeit griff ich ihm in die Zügel.

»Halt! Horch! Es war mir, als hörte ich da vor uns ein Pferd schnauben.«

»Ich habe nichts gehört und vernehme auch jetzt noch nichts.«

»Der Boden ist weich und dämpft den Schall des Hufschlages. Aber mein Pferd legt die Ohren nach vorn und zieht die Luft prüfend durch die Nüstern. Das ist ein sicheres Zeichen, daß wir jemand vor uns haben. Horch!«

»Ja, jetzt hörte ich es. Es trat ein Pferd auf einen Stein und rutschte von demselben ab. Wer mag so spät in dieser einsamen Gegend reiten?«

»Vielleicht ist‘s der Bettler.«

»Das ist sehr unwahrscheinlich.«

»Warum?«

»Dann müßte er sehr spät erst aufgebrochen sein.«

»Warum sollte sich dies nicht denken lassen?«

»Er will doch vor dir ankommen!«

»Nun hat er sich gesagt, daß ich jedenfalls erst am Morgen aufbrechen werde, und so hat er keine Eile gehabt. Können wir ihn hier umreiten, so daß er gar nicht merkt, daß ich schon vor ihm bin?«

»Ganz gut; aber das rate ich dir nicht.«

»Freilich wohl! Wenn wir einen Bogen reiten, so daß wir ihn dann hinter uns haben, wissen wir ja gar nicht, ob er es auch wirklich ist.«

»Darum müssen wir hin zu ihm.«

»Aber was tue ich mit ihm? Kann ich ihn hindern, seinen Weg fortzusetzen? Doch nur mit Gewalt. Ich möchte doch nicht etwa Blut vergießen!«

»Das ist nicht nötig, Herr. Ueberlasse ihn mir.«

»In welcher Weise?«

»Du zwingst ihn, umzukehren, und ich tue dasselbe. Ich bleibe ihm zur Seite und nehme ihn mit nach Koschikawak. Er soll mir nicht entkommen.«

»Wenn er dich nun nach dem Recht fragt, welches du dir über ihn anmaßest?«

»Habe ich es etwa nicht? Hat er dich nicht ermorden wollen, Effendi?«

»Das mag allerdings einen Grund abgeben. Aber du wirst in ihm einen Feind bekommen, welcher bestrebt sein wird, sich an dir zu rächen.«

»Ich fürchte ihn nicht. Er ist bereits mein Feind. Er ist der Feind aller ehrlichen Leute. Du mußt mir erlauben, dir gefällig zu sein, und brauchst dir dabei keine Sorge um mich zu machen. Ist er es wirklich, so nehmen wir ihn fest und sagen uns lebewohl, ohne daß er zu hören braucht, wohin du reitest.«

»Wie ist der Weg von hier bis Maden?«

»Du bleibst immer auf diesem Pfade und bist in einer halben Stunde dort. Von hier aus kannst du gar nicht irren. Ich wollte noch wegen der Koptscha mit dir sprechen; aber dein kleiner Hadschi hat eine, und du hast diejenige des Ismilaners genommen. Diese beiden genügen. Jetzt komm, Effendi.«

Er setzte sein Pferd wieder in Gang, zum Zeichen, daß er keinen Einwand von mir hören wollte. Mir konnte dies recht sein, da auf die gedachte Weise der Bettler ganz ohne Schaden für mich verhindert wurde, seine Botschaft auszurichten.

Es dauerte gar nicht lange, so waren wir dem nächtlichen Reiter so nahe gekommen, daß er uns hören mußte. Wir bemerkten, daß er schneller zu reiten begann, damit wir ihn nicht einholen sollten.

»Immer rasch nach!« sagte der Schmied. »Saban ist kein guter Reiter. Wir holen ihn leicht ein, wenn er es wirklich ist und kein Anderer.«

»Wenn er aber vom Wege weicht?«

»Er wird sich hüten. Das wagt hier niemand in so finsterer Nacht. Auch ich würde es unterlassen haben, wenn es sich nicht darum gehandelt hätte, dich zu begleiten.«

Er hatte richtig vermutet. Der Reiter merkte, daß wir schneller waren, als er. Von dem Wege getraute er sich nicht abzuweichen, und so hielt er es für das beste, anzuhalten und uns zu erwarten.

Der Schmied ritt davon, und ich hielt mich so weit hinter ihm, daß meine Gestalt nicht sogleich zu erkennen war. Der Reiter war ein wenig zur Seite gewichen, um uns vorüber zu lassen. Aber der Schmied hielt bei ihm an und grüßte:

»Sabahiniz, chahir ola – guten Morgen!«

»Sabahiniz,« antwortete der Andere kurz.

»Nereden gelir my sin – woher kommst du?«

»Deridereden – aus Deridere.«

Das war eine Lüge, denn ich erkannte an der Stimme den Mann. Es war der Bettler.

»Nereje gidejorsun – wohin gehst du?«

»Her jerde hitsch bir jerde – überall und nirgends hin.«

Das klang sehr trotzig; er kam aber damit nicht aus, denn der Schmied sagte in einem Tone, welcher seinen Entschluß, sich nicht abweisen zu lassen, deutlich verriet:

»Du wirst es mir wohl sagen müssen!«

»Müssen?«

»Ja. Kennst du mich?«

»Kennst du mich etwa?«

»Du bist Saban, der Bettler.«

»Ah, und du?«

»Die Nacht ist so schwarz wie deine Seele. Du kannst mein Gesicht nicht erkennen. Ich bin Schimin, der Schmied aus Koschikawak.«

»Darum kam deine Stimme mir so bekannt vor! Reite weiter! Ich habe nichts mit dir zu schaffen!«

»Aber ich mit dir. Kennst du den Mann, welcher hier bei mir ist?«

»Nein. Packt euch fort!«

»Das werde ich tun, vorher aber ein Wort mit dir sprechen, Saban!«

Bei diesen Worten näherte ich mich ihm und trieb mein Pferd so neben das seinige, daß er mich erkennen konnte. Wir hielten so bei einander, daß sich der Kopf des einen Pferdes bei dem Schweife des anderen befand.

»Bei allen Teufeln! Der Fremde!« rief er aus.

»Ja, der Fremde! Nun glaubst du wohl, daß ich mit dir zu sprechen habe?«

»Aber ich nicht mit dir!«

Ich bemerkte, daß er mit der Hand nach dem Gürtel griff. Es war so dunkel, daß ich nicht erkennen konnte, was er dort suchte. Ich nahm meinen Stutzen in der Mitte, so daß ich den Kolben vor mir auf dem Halse des Pferdes liegen hatte, zum Hiebe von links nach rechts bereit.

»Also sag‘, wo willst du hin?« fragte ich, ihn scharf im Auge behaltend.

»Was geht das dich an, Mörder?« antwortete er.

»Mörder?«

»Ja. Wer hat deinetwegen den Hals gebrochen, und wem hast du das Gesicht zerschlagen?«

»Und wen habt ihr in deine Hütte gelockt, um ihn zu erschlagen? Ich weiß, wohin du willst; aber du wirst die Güte haben, umzukehren.«

»Wer will mich zwingen?«

»Ich. Steige ab!«

»Oho! Willst du auch mich morden? Da werde ich mich verteidigen. Fahre zur Hölle!«

Er erhob den Arm gegen mich. Ich schlug augenblicklich zu, und zu gleicher Zeit drückte er ab. Der Schuß blitzte auf – die Kugel traf nicht, weil mein Hieb seinen Arm abgelenkt hatte. Und er hatte denselben noch nicht gesenkt, so drängte ich mein Pferd um einen Schritt vorwärts und stieß ihm den Kolben von unten herauf in die Achselhöhle, so daß er bügellos wurde und auf der anderen Seite vom Pferde stürzte.

Ich wollte schnell vom Pferde herab, hatte jedoch den Erdboden noch nicht erreicht, so hörte ich den Schmied rufen:

»Halt, Kerl, bleib; sonst reite ich dich nieder!«

Ich wollte um das stehen gebliebene Pferd des Bettlers hinumspringen – da sah ich einen zweiten Schuß blitzen; das Pferd des Schmiedes machte darauf einen Satz nach vorn, und der Schmied war blitzschnell aus dem Sattel.

War er getroffen worden? Ich schnellte mich hinzu.

Zwei Menschen lagen am Boden: der eine auf dem andern. Es war so dunkel, daß ich sie, so nahe an der Erde, gar nicht unterscheiden konnte. Ich packte den Obenliegenden beim Arm.

»Halt, Effendi,« sagte er. »Ich bin es!«

»Ah, du, Schimin! Hat er dich getroffen?«

»Nein. Ich sah, daß er davon springen wollte, und verbot es ihm; da schoß er und ich ritt ihn nieder. Er wehrte sich, aber nur mit einem Arm. Der Huf meines Pferdes wird ihn an dem anderen getroffen haben.«

»Nein. Das bin ich mit dem Gewehrkolben gewesen.«

»Er beißt. Der Kerl ist wie ein Marder. Ich werde ihm den Mund stopfen müssen!«

Ich konnte nicht sehen, was er machte; aber nach einigen Augenblicken, während welcher ich ein gurgelndes Röcheln gehört hatte, richtete er sich empor und sagte:

»So, jetzt ist er still.«

»Was hast du gemacht? Ihn doch nicht ermordet?«

»Nein. Fühle her, wie er noch zappelt. Ich habe ihm nur die Halsbinde ein wenig zugedreht.«

»So wollen wir ihm die Arme binden.«

»Aber womit?«

»Mit dem Gürtel.«

»Ja. Ah, er hat eine Gürtelschnur und auch Hosenträger. Das reicht sogar aus, ihn auch auf das Pferd zu binden.«

Ich half dem Schmied. Er hatte Saban beinahe erwürgt. Ehe dieser wieder gut zu Atem kam, saß er bereits auf dem Pferde. Die Gürtelschnur hielt ihn auf demselben fest, da sie von dem einen Fuße unter dem Bauche des Pferdes weg nach dem andern ging. Die Arme waren ihm mit dem Hosenträger festgebunden. Es stellte sich heraus, daß er zwei Pistolen gehabt hatte: die eine hatte ich ihm aus der Hand geschlagen, und die andere war ihm entfallen, als ihn Schimins Pferd niedergerissen hatte. Sie waren nur einläufig und beide abgeschossen, ohne daß, glücklicherweise, eine Kugel getroffen hatte.

Jetzt begann er zu schimpfen. Er verlangte, freigelassen zu werden, und drohte mit der Obrigkeit. Der Schmied lachte ihn aus und sagte:

»Was du vorher getan hast, soll mich gar nichts angehen, aber du hast mich erschießen wollen, und so nehme ich dich mit mir, um dir zu beweisen, daß nur du allein es bist, der sich vor der Obrigkeit zu fürchten hat. Vielleicht verzeihe ich dir, wenn du dich unterwegs gut beträgst. Schimpfest du aber in dieser Weise weiter, so hast du nichts Gutes zu erwarten.«

»Ihr habt mich aufgehalten; ich habe mich nur verteidigt. Ich muß weiter reiten.«

»Ja, überall und nirgends hin! Dazu ist später auch noch Zeit. Und nun schweig! Wir können dann auch miteinander reden, wenn ich von diesem Effendi Abschied genommen habe.«

Der Bettler verhielt sich nun wirklich still. Vielleicht dachte er, aus unseren Reden noch etwas für sich erfahren zu können. Aber Schimin war klug. Er führte ihn irre, indem er zu mir sagte:

»Also, Effendi, von jetzt an wirst du den Weg ganz gut allein finden. Reite zurück und erwarte uns. Ich aber schlage den Weg nach Göldschik ein, da es jedenfalls nicht leicht sein wird, mit diesem Manne auszukommen. Du kannst den deinigen sagen, daß wir ihn haben, damit sie nicht unnötigerweise suchen. Wir sehen uns bei mir wieder.«

Während dieser Worte war er aufgestiegen. Er ergriff den Zügel auch des anderen Pferdes und ritt querfeldein davon.

 

Ich hörte noch einige Zeitlang die laute, scheltende Stimme des Bettlers; dann war es wieder ruhig.

Ich konnte nicht glauben, daß Saban die Worte Schimins für wahr halten werde; aber ich war ihn los. Das war für mich die Hauptsache. Zugleich hatte mir der Schmied den Abschied erspart, und Abschied nehmen ist niemals etwas Angenehmes, außer man trennt sich von Menschen, für welche man keine Sympathie besitzt.

Ich folgte nun der Richtung, welche wir bisher inne gehalten hatten, und erreichte Maden in der mir von Schimin angegebenen Zeit.

Eben begann der Tag zu grauen. Ich überlegte. Ich hatte gar nicht nötig, nach Palatza zu reiten, um mich über etwaige Verwandte des verwundeten Mosklan zu erkundigen. Der Bote, welchen dieser an sie gesandt hatte, war ja zur Umkehr gezwungen worden und befand sich in der Obhut des wackeren Schmiedes. Also erfuhr man auch in Ismilan heute noch nichts von dem Tode Deselims. Warum also mein Pferd anstrengen nach zwei so schlimmen nächtlichen Ritten? Ich beschloß, nach Topoklu zu reiten und dort Halef mit den beiden Anderen zu erwarten.

In Maden schliefen die Leute noch. Ich wußte, daß Topoklu davon in ungefähr nördlicher Richtung liegt, und ritt also weiter. Der Weg führte an einem Wasser entlang, von welchem ich annehmen konnte, daß es sich in der Nähe von Topoklu in die Arda ergießen werde. Ich konnte also nicht irren.

Nach einiger Zeit gelangte ich in ein Dorf, in welchem es ein Gasthaus gab. Hier war man bereits wach, und ich beschloß, meinem Rappen einige Ruhe zu gönnen. Das Gasthaus lag abseits des Weges, von einem tiefen Morast umgeben. Ueber denselben war ein dicker, knorriger Eichenstamm gelegt, rund und unbehauen. Dann kam ein tiefes, breites Loch, in welchem sich einige Schweine wälzten, und aus diesem Loch gelangte man direkt in ein breites Tor. Was hinter diesem Tore war, konnte ich wegen der hohen Lehmwand, die einen Hof zu umfassen schien, nicht sehen.

Eigentlich hätte man ein Eichkätzchen sein müssen, um über den Stamm hinüber zu kommen; doch gelang meinem Rih das Wagnis ziemlich gut. Jetzt hielt ich vor dem Loch mit den Schweinen. Rih schnellte darüber hinweg und zum Tore hinein. Ich wurde von einem vielstimmigen Schreckensrufe empfangen und riß einen Mann um, welcher grad in diesem Augenblick am Eingang hatte vorübergehen wollen.

Ich befand mich auf einem ziemlich großen Hof, der eine einzige Düngerstätte zu sein schien. In einer Ecke desselben standen die Leute, welche geschrieen hatten. Zwei Kerle schienen ein ziemlich altes Mädchen festzuhalten. Sie waren augenscheinlich soeben im Begriff gewesen, jene Person an eine Leiter zu binden, welche dort angelehnt stand. Ein hochgebauter Mann, der eine Peitsche in der Hand hatte, kam in selbstbewußter Haltung auf mich zu. Seine breite Brust, sein lang gezogenes Gesicht mit einer fürchterlichen Habichtsnase ließen schließen, daß er ein Armenier sei.

»Bist du blind?« fuhr er mich an. »Kannst du dich nicht in acht nehmen, wenn du durch das Tor reitest?«

»Schaff den Dreck da draußen fort, und mach‘ die Löcher zu, dann kann man zu dir kommen, ohne sich oder Anderen die Hälse zu brechen!«

»Was! Du willst grob mit mir sein?«

»Bist du etwa höflich?«

»Soll ich dich umarmen und küssen, wenn du mir meinen Knecht fast zu Tode reitest?«

»Zu Tode? Dort steht er, und putzt sich den Dünger aus den Haaren. Bei dir fällt man so weich, daß es eine wahre Lust ist, umgeritten zu werden. Bist du der Wirt?«

»Ja. Und wer bist du?«

»Ein Fremder.«

»Das sehe ich. Hast du einen Paß?«

»Ja.«

»Zeige ihn her!«

»Wasche dir erst die Finger, sonst wird er schmutzig. Was hast du zu trinken?«

»Saure Milch.«

»Danke! Hast du sonst nichts?«

»Zwetschgenbranntwein.«

»Und Futter für das Pferd?«

»Gestoßenen Mais.«

»Schön! Laß ihm geben, so viel es frißt. Mir aber gib ein Glas Zwetschgenbranntwein.«

»Ich habe keine Gläser. Du wirst einen Topf bekommen. Gehe hinein in die Stube.«

Der Mann war sehr kurz angebunden. Ich band mein Pferd an einen Pfahl und trat dann in die Stube. Diese war ein schmutziges Loch mit einer rohen Bank und einem eben solchen Tisch. Mehrere umherstehende kleinere Holzgestelle von ganz absonderlicher Form gaben mir zu denken. Sie bestanden aus einem dreieckigen Lattenrahmen und hatten drei Beine. Mein bewundernswerter Scharfsinn ließ mich erraten, daß es Sessel seien.

Eine Frau saß da und rührte in einem großen hölzernen Kübel herum, in welchem sich saure Milch befand. Das Instrument, dessen sie sich bediente, war nicht etwa ein Löffel oder Quirl, sondern die Hälfte eines Stiefelknechtes, welcher seiner Länge nach auseinandergebrochen war. Daß ich mich nicht irrte, bewies die andere Hälfte dieses nützlichen Hausgerätes, welche daneben lag. Diese Frau hatte jedenfalls den ersten nächstliegenden Gegenstand ergriffen, um die Milch zu rühren. Wäre der halbe Stiefelknecht nicht dagelegen, so hätte sie, glaube ich, einen ihrer Pantoffel ausgezogen, um sich desselben zu dem angegebenen Zweck zu bedienen.

Ich grüßte. Sie glotzte mich mit großen, dummen Augen an und antwortete nicht. Der Mann war auch eingetreten. Er nahm einen kleinen Topf von einem Nagel herab und goß aus einem Krug einige Tropfen einer Flüssigkeit ein, welche er mir als Zwetschgenbranntwein vorsetzte.

»Ist das wirklich Zwetschgenbranntwein?« fragte ich, an dem Topf riechend.

»Ja.«

»So! Hast du sonst nichts?«

»Nein. Er ist dir wohl nicht gut genug?«

»Er ist schlecht.«

»So packe dich fort, wenn es dir bei mir nicht schmeckt! Ich habe es dir nicht befohlen, hier einzukehren. Bist du etwa ein Pascha, daß du solche Ansprüche machst?«

»Nein. Wieviel kostet dieser Zwetschgenbranntwein?«

»Zwei Piaster.«

Ich verkostete den Trank. Der Topf hatte einen Kubikinhalt von mehr als einem halben Liter. Zwetschgenbranntwein enthielt er vielleicht zwei Fingerhüte voll. Dazu klebte an dem Rande eine Art Pech, welches gewiß aus dem Schmutz bestand, welchen die Schnurrbärte von einigen Tausenden von Trinkern daran abgesetzt hatten. Der Zwetschgenbranntwein war der allerniederträchtigste Fusel, den ich gerochen und geschmeckt hatte. Und zwei Piaster sollte er kosten! Achtunddreißig bis vierzig Pfennige! Das war der reine Schwindel in diesem Lande der Zwetschgenbäume! Doch enthielt ich mich jetzt noch einer Bemerkung.

»Nun, schmeckt er?« fragte der Mann.

»Ja – und wie!«

Er verstand mich falsch und sagte:

»Wenn du mehr willst, so sage es der Frau. Sie wird dir geben. Ich habe keine Zeit. Ich muß hinaus, um eine Züchtigung vorzunehmen.«

Er ging, und ich betrachtete mir nun die Stube näher. Einige elende Bilder, welche einfach an die Wand geklebt waren, bestätigten, daß ich mich bei einem armenischen Christen befand. Das war jedenfalls einer von jenen Christen, welche der gute Schimin »Unkraut« genannt hatte. Sie sind es leider, nach denen in jenen Gegenden von Andersgläubigen das Christentum beurteilt wird. Kann man sich da wundern, wenn man, falls von einem Christen die Rede ist, allüberall die stehenden, verächtlichen arabischen Worte hört: »Hascha naßrani – Gott bewahre, ein Christ«?

Die Frau rührte noch immer. Ihre Unterlippe hing weit herab, und davon tropfte es in den Milchkübel hinein. Ich wendete mich ab und blickte zu einem der Löcher hinaus, welche hier Fenster genannt werden. Draußen begann die Sonne ihr wärmendes Tagewerk. Hier innen aber war es dunkel und räucherig. Ich dachte an den persischen Dichter Hafiz:

»Wenn deiner Locken Wohlgerüche

Ums Grab mir wehen einst,

So blühen viele tausend Blumen

Aus meinem Hügel auf.«

Ob wohl jenes weibliche Wesen, auf welches er diese Worte dichtete, eine Aehnlichkeit mit der sauren Milchküblerin vor mir gehabt haben mag? Und Wohlgerüche! Brrr!

Ich stand auf, um hinauszugehen und frische Luft zu schöpfen, so frisch sie eben da draußen im Hofe zu finden war. Meines Bleibens konnte hier nicht lange sein. Das stand so fest wie eine kalifornische Balsamfichte.

Eben tat ich den ersten Schritt zur Stube hinaus, da ertönte draußen ein schriller, langgezogener Schrei. Im Nu war ich vor der Haustüre. Ein zweiter, ebenso gräßlicher Schrei, und ich sprang über den Hof hinüber nach der Ecke, in welcher man wirklich jene weibliche Person an die Leiter befestigt hatte.