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Im Reiche des silbernen Löwen I

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Säumen gab es da nicht. Ich trieb meinen Schimmel zur höchsten Eile an; wir flogen wie ein Wetter durch das lichte Gebüsch. Nach einiger Zeit lenkte ich aus demselben hinaus, um einen Blick auf die freie Ebene werfen zu können. Ah, da draußen kam ein Reitertrupp im Galopp auf den Berg und das Buschwerk zu! Den fünf Comantschen war ihr Streich also gelungen. Sie hatten ihren Häuptling befreit und Dschafar und Perkins gefangen genommen. Nun hatte ich also sechs Rote vor mir und eine Rotte von über sechzig hinter mir, doch gab es kein Bedenken.

Es galt, den Häuptling wieder zu ergreifen und die beiden Gefährten zu befreien. Das wäre gar nicht schwer gewesen, wenn ich die fünf Roten hätte erschießen wollen; aber dies widerstrebte mir selbst in dieser mehr als peinlichen und bedrängten Lage. Nur kein Menschenblut vergießen! Die Pferde freilich konnte ich nicht schonen; sie mußten fallen, wenn ich meinen Zweck erreichen wollte.

Die Gefahr, welcher ich mich auszusetzen hatte, war nicht gering. Auch abgesehen von den vielen Verfolgern hinter mir, hatte ich vor mir Feinde, welche ich nicht unterschätzen durfte. Man schickt nicht schlecht ausgerüstete Leute aus, um Feinde zu fangen; die fünf Comantschen waren also jedenfalls gut bewaffnet, und der Häuptling hatte sein Messer und sein Gewehr zweifelsohne wieder in den Händen; dazu kamen die Waffen, welche Dschafar und Perkins abgenommen worden waren. Ich hatte mich sehr in acht zu nehmen!

Alle diese Erwägungen flogen mir durch den Kopf, während ich wieder durch das Gebüsch galoppierte, denn ich war, nachdem ich die Nahenden gesehen hatte, natürlich nicht draußen im Freien geblieben, weil sie mich nicht sehen durften. Ich jagte weiter bis zu der Stelle, an welcher die Spur aus den Sträuchern auf das offene Feld hinausführte. Dort hielt ich mein Pferd an und streichelte ihm den Hals, um es zum ruhigen Stehen zu veranlassen, denn ich durfte keinen Fehlschuß thun, und ebensowenig durfte ich absteigen, weil ich vielleicht gezwungen war, einen oder einige Rote niederzureiten. Ich selbst war nicht im geringsten aufgeregt und konnte mich auf meine sichere Hand verlassen.

Ich nahm den Stutzen vor. Hinter dem äußersten Gesträuch haltend, lugte ich hinaus. Würden die Erwarteten nach der Stelle kommen, an welcher ich mich befand? Ja, sie kamen im Trabe gerade auf dieselbe zu. Schon konnte ich ihre Gesichter erkennen.

Voran ritt der Häuptling mit dem auf das Knie gestemmten Gewehre in der Hand. Hinter ihm folgten drei Rote nebeneinander, und dann kamen zwei, welche die Pferde an den Zügeln führten, auf denen Perkins und Dschafar saßen. Als sie bis auf etwa vierzig Schritt herangekommen waren, legte ich den Stutzen an. Mein Pferd stand still wie eine Mauer. Der erste Schuß traf das Tier des Häuptlings; es that noch einige Sätze und überschlug sich dann; in welche Lage To-kei-chun dabei kam, das durfte ich nicht beobachten, denn ich hatte meine Augen auf die Pferde seiner Leute zu richten; fünf weitere Schüsse, und sie stürzten eins schnell nach dem andern. Jetzt erst sah ich wieder nach dem Häuptling. Er lag unter seinem Tiere und bemühte sich, hervor und aus dem Bügel zu kommen, in dem er hängen geblieben war; sein Gewehr war ihm aus der Hand und weit fortgeschleudert worden. Zwei Indianer wälzten sich noch auf der Erde; die andern drei hatten sich aufgerafft und starrten erschrocken nach der Stelle, von welcher die Schüsse gekommen waren. Ich stieß den Kriegsruf der Indianer aus und galoppierte hinaus und auf sie zu. Als sie mich sahen, dachten sie an keinen Widerstand und rannten davon. Die beiden andern waren nun auch aufgekommen und liefen laut schreiend hinter ihnen her. Ich war sie los und schickte ihnen noch zwei Schreckschüsse nach.

Nun zu dem Häuptling! Eben war er losgekommen und richtete sich auf. Ich trieb mein Pferd an ihm vorbei und gab ihm dabei einen Kolbenschlag, der ihn wieder niederwarf; er blieb bewußtlos liegen. Jetzt konnte ich an die Gefährten denken. Sie hielten nebeneinander auf ihren Pferden, die sie nicht lenken konnten, weil ihnen die Hände nach hinten gefesselt waren; die Füße hatte man ihnen an die Bügel gebunden. Ich sprang schnell ab, durchschnitt ihnen die Riemen und sagte:

»Sprechen wir später; jetzt müssen wir fort! Ich habe wahrscheinlich über sechzig Rote hinter mir, die mich verfolgen. Gebt mir nur rasch den Häuptling herauf!«

Ich schwang mich wieder in den Sattel; sie aber stiegen ab und hoben To-kei-chun zu mir empor. Ich legte ihn wie schon einmal quer vor mich herüber, und dann ging es fort, im Galopp auf die Ebene hinaus. Keine halbe Minute später hörten wir hinter uns ein vielstimmiges Geheul. Mich umblickend, sah ich die Verfolger, welche soeben das Gebüsch verlassen hatten, bei den erschossenen Pferden angekommen waren und ihre fünf Kameraden bemerkten, welche in ihrer Flucht innegehalten und mein Beginnen von weitem beobachtet hatten. Sie sahen natürlich nicht nur uns, sondern auch den Häuptling in meinen Armen, verdoppelten ihr Wutgeschrei und kamen hinter uns hergestoben.

»Alle Teufel, sie werden uns einholen!« rief Perkins voller Angst.

»Das werde ich mir verbitten,« antwortete ich. »Eure Furcht ist ohne allen Grund, denn wir haben nun gewonnen.«

»Das mag der Himmel geben, wenn ich auch nicht weiß, auf welche Weise!«

»Beeilen wir uns nicht zu sehr! Es ist vielmehr meine Absicht, sie näherkommen zu lassen.«

Die Verfolger waren so weit hinter uns, daß ich sie mit dem Bärentöter aber nicht mit dem Stutzen erreichen konnte. Da begann der Häuptling sich zu regen. Wir mußten anhalten, um ihn zu binden, und stiegen darum ab. Wir befestigten ihm die Hände auf dem Rücken, wobei er vollends zu sich kam. Er sah seine Leute kommen und wollte sich sträuben, um uns um die kostbare Zeit zu bringen; da richtete ich den Stutzen auf ihn und drohte:

»Noch eine einzige Bewegung, und ich erschieße dich! Es ist mein Ernst! Setzt ihn aufrecht auf das Pferd, und bindet ihn da fest!«

»Warum aufs Pferd?« fragte Perkins.

»Weil da seine Halunken deutlich sehen, was für ein schönes Ziel er meinem Gewehre bietet. Wir spielen unsern Trumpf jetzt aus.«

Er mußte einsehen, daß es mir jetzt mit meiner Drohung Ernst war, und fügte sich. Sein Widerstand hatte uns doch so aufgehalten, daß uns die Comantschen beträchtlich näher gekommen waren.

»Sie kommen, sie kommen; sie werden sogleich da sein!« klagte Perkins.

»Sie werden im Gegenteile sogleich halten bleiben,« antwortete ich. »Ich werde sie sogleich darum ersuchen.«

Ich legte den Bärentöter an und schoß die beiden Läufe desselben ab; zwei Pferde stürzten und ihre Reiter mit; natürlich hatte ich nur die ersteren getroffen. Die Roten ritten dennoch weiter. Da richtete ich den Stutzen auf sie und warf mit sechs schnell aufeinander folgenden Schüssen ebensoviele Pferde nieder. Da hielten sie freilich an und sandten uns ein Wutgeheul zu. Ich benützte dies, um wieder zu laden, und sagte dabei in drohendstem Tone zu To-kei-chun:

»Schau nach der Sonne, wie tief sie bereits steht! Sobald sie den Horizont berührt, erschieße ich dich, wenn die gefangenen Bleichgesichter mir nicht bis dahin ausgeliefert worden sind. Old Shatterhand schwört nie; dieses Wort aber ist wie ein Schwur. Rechne ja nicht länger auf meine Nachsicht; sie ist zu Ende!«

Er lächelte mit überlegenem Grinsen zu mir vom Pferde herunter und antwortete:

»Old Shatterhand wird mich nicht erschießen!«

»Meinst du? Welche Gründe könnte ich wohl haben, dies nicht zu thun?«

»Zwei Gründe.«

»Nenne sie!«

»Old Shatterhand vergießt nie Blut, außer im Kampfe, und auch da nur dann, wenn es sein Leben gilt und er gar nicht anders kann.«

»In diesem Falle befinde ich mich doch jetzt!«

»Nein!«

»Doch! Stehe ich nicht deinen Leuten gegenüber? Wollen sie mich nicht angreifen? Ist das nicht Kampf? Sie wollen auf mich schießen. Gilt es da nicht mein Leben?«

»Sie wollen dich nur fangen.«

»Das ist Ausrede. Wenn es ihnen gelänge, mich festzunehmen, müßte ich am Marterpfahle sterben. Es handelt sich also sehr um mein Leben. Und der andere Grund?«

»Die Klugheit verbietet dir, mich zu erschießen. Ich bin ein Geisel in deinen Händen, den du nicht vernichten darfst. Du willst die Bleichgesichter retten; das kannst du nur dadurch, daß ich mich in deiner Gewalt befinde. Ich lache also über deine Drohung.«

Bei diesen Worten grinste er mich wieder triumphierend an. Jetzt lachte ich ihm auch in das Gesicht und entgegnete:

»To-kei-chun hält sich für sehr klug und ist überzeugt, jetzt durch seine Pfiffigkeit Old Shatterhand überwunden zu haben; aber was du für List hältst, ist nicht List, sondern Kurzsichtigkeit. Ja, ich betrachte dich als einen Geisel, den ich gegen die Bleichgesichter austauschen will. Ich habe dich darum aufgefordert, jetzt die Auswechslung zu bewerkstelligen; du weigerst dich, weil du glaubst, daß ich meine Drohung, dich im Weigerungsfalle zu töten, nicht ausführen werde. Dadurch wirfst du deine beiden eigenen Gründe über den Haufen. Freiheit gegen Freiheit, Leben um Leben! Giebst du mir die Gefangenen, so lasse ich dich los. Giebst du mir sie nicht, so willst du ihren Tod; dann habe ich keine Ursache mehr, dich zu schonen, und werde dich erschießen.«

»Dann müssen auch die Bleichgesichter sterben!«

»Sie werden ohnedies getötet, weil du sie nicht herausgeben lassen willst.«

»Sie würden augenblicklich erschossen!«

»Du noch eher als sie! Und es ist besser, sie werden gleich jetzt erschossen, als daß sie langsam am Marterpfahle sterben.«

»Und meine Leute würden auch euch hier überfallen und umbringen!«

»Pshaw! Dort halten sie. Wagen sie sich zu uns heran?«

»Sie werden es, wenn mich deine Kugel getroffen hat!«

»Das glaube nicht! Sie werden, wie gewöhnlich, ein ohnmächtiges Wutgeheul erheben, aber sich vor dem Zaubergewehre Old Shatterhands fürchten. Ich halte mein Wort: Du stirbst, wenn die Sonne herunter ist, falls die Bleichgesichter noch nicht freigegeben worden sind. Verhandle also nicht, sondern benutze die Zeit, die sonst verstreicht. Die Sonne hat nur noch zwei Hand breit niederzugehen, dann geht auch die deinige unter!«

 

Da fiel Dschafar mit kräftiger Betonung ein:

»Gebt Euch doch keine solche Mühe mit diesem roten Kerl, Sir! Wir fürchten uns vor seinen Halunken nicht. Wenn die Frist verstrichen ist, die Ihr ihm gegeben habt, so bekommt er eine Kugel, und wir wollen sehen, ob diese Kerls es wagen, uns anzugreifen. Ich sage Euch, ich warte nur darauf, daß die Sonne den Horizont berührt. Wenn Ihr dann nicht schießt, so schieße ich; das schwöre ich Euch zu! Der Halunke hat es nicht um mich verdient, daß ich ihn schone! Solches Ungeziefer muß man von der Erde vertilgen, daß es fernerhin weiter keinen Schaden machen kann!«

»Hast du es gehört?« warnte ich den Häuptling. »Es ist uns ernst; also besinne dich schnell!«

Er wäre ganz und gar ohne Verstand und Ueberlegung gewesen, wenn er jetzt nicht eingesehen hätte, daß die beiden Trümpfe, die er gegen mich ausgespielt hatte, bei uns keine Geltung besaßen. Dennoch ließ er es bis zum Aeußersten kommen, denn er wartete, finster vor sich niederblickend und ohne ein Wort zu sagen, bis die Sonne in höchstens einer Minute den Horizont berühren mußte. Da nahm Dschafar sein Gewehr auf und sagte:

»Jetzt wird es Zeit, Mr. Shatterhand. Wer soll schießen? Ihr oder ich?«

»Alle beide,« antwortete ich.

»Nein, alle drei,« fiel Perkins ein. »Ihr sollt nicht allein den Vorzug haben, die Menschheit von diesem Schufte befreit zu haben. Gebt nur das Zeichen, Sir!«

Diese Aufforderung war, indem er sein Gewehr auf den Häuptling anlegte, an mich gerichtet. Ich hob meinen Stutzen, richtete das Auge auf die Sonne und antwortete:

»Gut, ich bin einverstanden; mag er also drei Kugeln bekommen anstatt nur eine. Zielt nicht auf sein Herz, sondern auf seinen Kopf! Der Tod mag ihn in sein schwaches Gehirn treffen. Dann nehmen wir ihm die Skalplocke die Medizin und werfen beides den Prairiewölfen vor, damit seine Seele nicht in den ewigen Jagdgründen erscheinen darf.«

Als er die Mündung der drei Gewehre auf seine Stirn gerichtet sah, gab er den Widerstand auf und rief aus:

»Schießt nicht! Ich bin bereit, zu thun, was ihr wollt!«

»Ohne allen Hintersinn?« fragte ich.

»Ja. Der große Geist ist diesmal gegen mich; er will, daß ich nachgebe, und ich gehorche ihm.«

»Ob du ihm oder aus Angst vor uns gehorchest, ist ganz dasselbe. Ruf deinen Kriegern zu, die Gefangenen loszubinden und sie uns herzuschicken! Vorher aber müssen sie ihnen alles zurückgeben, was sie ihnen abgenommen haben. Wenn nur der geringste Gegenstand fehlt, bekommst du die drei Kugeln, welche dir zugedacht waren.«

»Sie sollen alles wiederhaben; aber dann giebst du mich auch frei?«

»Dazu bin ich nicht verpflichtet.«

»Du hast aber doch gesagt: Freiheit gegen Freiheit!«

»Allerdings; aber vergiß nicht, was geschehen ist und was wir ausgemacht haben! Du hast uns die Gefangenen nur dafür auszuliefern, daß wir deine Medizin schonen, bleibst jedoch unser Gefangener. Einen Mord wollen wir nicht begehen, und ich halte es für einen Mord, wenn wir dir nachträglich das Leben nähmen. Du sollst also die Freiheit erhalten, aber wann, das ist meiner Güte anheimgestellt.«

»So wollt ihr mich mit euch schleppen?«

»Nein. Ich werde vielmehr so gnädig sein, dich heut schon freizugeben, und nicht nur heut, sondern sofort dann, wenn die Bleichgesichter mit allem, was ihnen gehört, hier bei uns eingetroffen sind. Wir werden dies mit der Pfeife des Friedens bekräftigen.«

»So will ich einen meiner Krieger herbeirufen und ihm befehlen, was geschehen soll.«

»Thue es! Das ist besser, als wenn du deine Befehle aus der Ferne giebst.«

Er rief seinen Leuten einen Namen zu, befahl dem Träger desselben, zu uns zu kommen, und gab ihm die Versicherung, daß ihm nichts geschehen werde. Der Betreffende gehorchte der Aufforderung und kam, freilich langsam und mißtrauisch, herbeigeritten. Als er in einiger Entfernung zögernd anhielt, forderte ich ihn auf:

»Komm vollends heran! Wir werden dich nicht als Feind behandeln.«

»Ist das keine List von dir?« fragte er vorsichtig.

»Nein. Ich gebe dir mein Wort, und Old Shatterhand hat noch nie sein Wort gebrochen.«

Da kam er vollständig heran, und To-kei-chun sagte ihm, was zu geschehen hatte. Er war sichtlich nicht entzückt darüber, ließ aber kein Wort des Widerspruches, nicht einmal eine Bemerkung hören, und ritt dann wieder fort. Wir sahen ihm nach, sehr gespannt darauf, welchen Eindruck seine Botschaft auf die Indsmen hervorbringen werde.

Sie scharten sich im Kreise um ihn; bald entstand eine unruhige Bewegung unter ihnen, aber zu hören gab es nichts; sie sahen ein, daß sie gehorchen mußten, und ergaben sich schweigend in das Unvermeidliche. Nach einer Weile öffnete sich ihr Kreis, und wir sahen die Gefangenen auf ihren Pferden erscheinen. Sie hatten ihre Gewehre und kamen schnell auf uns zugeritten; kein Roter folgte ihnen.

Die beiden Snuffles waren auf ihren Maultieren voran. Noch ehe sie uns erreicht hatten, rief mir Jim zu:

»Endlich mußten die Kerls Verstand annehmen! Es war aber auch Zeit dazu, denn morgen früh sollten wir ausgelöscht werden!«

»Hättet es eigentlich auch nicht anders verdient,« antwortete ich kurz. »Kommt her; steigt ab, und seid Zeugen des Abkommens, welches ich mit To-kei-chun treffen werde!«

»Abkommen? Was für ein Abkommen soll da noch zu treffen sein? Wir sind frei; er aber ist noch gefangen und wird ausgelöscht! Das ist doch ganz selbstverständlich!«

»Nicht so sehr, wie Ihr denkt. Habt Ihr Euer Eigentum zurückerhalten?«

»Ja.«

»Alles? Wem etwas fehlt, der mag sich melden.«

Es ergab sich, daß die Roten nur einige Kleinigkeiten behalten hatten. Das waren Gegenstände, auf welche leicht verzichtet werden konnte; ich sah also von Reklamationen, welche ja doch nur Weitläufigkeiten und Zeitversäumnis ergeben hätten, ab, denn es begann schon zu dunkeln, und ließ dem Häuptlinge die Fesseln abnehmen, sodaß er frei vom Pferde steigen konnte. Jim Snuffle wollte dagegen Einspruch erheben, ich bemerkte ihm aber in einem keineswegs freundlichen Tone:

»Ihr habt hier gar nichts zu befehlen, Mr. Snuffle, sondern Euch ruhig in das zu fügen, was ich bestimme!«

»Aber bedenkt doch, Sir, was Ihr da für einen Fehler begeht!« entgegnete er. »Dieser Schurke hat den Tod verdient und soll doch, wie es scheint, freigelassen werden. Das muß für ihn doch das allerhöchste der Gefühle sein!«

»Bekümmert Euch einstweilen nicht um seine Gefühle, sondern um die Eurigen! Ihr werft mir einen Fehler vor. Was habt denn Ihr gemacht?«

»Ich? Wann denn?«

»Als Euer Bruder so schön mitten in das Lager der Roten hinein Schlitten fuhr!«

»Ich wollte ihn heraushauen. War das etwa ein Fehler?«

»Was denn sonst?«

»Meine Pflicht war es, aber kein Fehler. Ich werde doch meinen Bruder nicht stecken lassen sollen!«

»Das solltet Ihr auch nicht; ich wenigstens hätte es Euch nicht zugemutet. Aber war es da grad notwendig, ihm so kopflos und kopfüber nachzustürzen und Euch den Roten auch gefangen zu geben?«

»Hm! Wurde so hineingetrieben; konnte mich nicht halten; mußte hin zu meinem alten Tim. Da fielen die Kerls über mich her und nahmen mich bei allen meinen Gliedern. Ich wehrte mich zwar so gut, wie ich konnte, kam aber nicht los. Habe tüchtige Püffe erhalten, ganz gewaltige Püffe, und wurde dann gebunden; thun mir noch jetzt alle Glieder weh!«

»Seid froh, daß Ihr mit nur den Püffen davongekommen seid! Sie sind Euch zu gönnen, denn Ihr habt sie verdient. Redet also ja nicht zu mir von einem Fehler, den ich mache! Ich gebe den Häuptling frei, weil Ihr Eure Freiheit zurückerhalten habt. Oder mutet Ihr mir zu, ihn abzuschlachten?«

»Abschlachten? Fällt mir nicht ein! Bin nie ein Menschenschlächter gewesen. Aber eine Kugel hat er verdient; das ist gewiß. Doch thut meinetwegen, was Ihr wollt. Und wenn Ihr ihn in einer Staatskarosse nach Hause fahren laßt, ich habe nichts dagegen.«

Sein Bruder war so klug, gar nichts zu sagen. Die andern Befreiten wollten sich gegen Dschafar und Perkins in Mitteilungen ergehen; ich machte sie darauf aufmerksam, daß dies für später aufzuheben sei, und forderte den Häuptling auf, sich niederzusetzen. Er that es; ich setzte mich zu ihm und stopfte meine Friedenspfeife. Die Bedingungen, welche ich ihm gestellt hatte, wurden wiederholt, und ich betonte ganz besonders die, daß er sich gegen einen jeden von uns in Zukunft aller Feindseligkeiten zu enthalten hätte. Dann that ich die bekannten sechs Züge aus der Pfeife, blies den Rauch nach den vier Windrichtungen, gegen den Himmel und die Erde und forderte ihn auf, es nachzumachen. Er kam diesem Verlangen nach, gab mir die Pfeife zurück, stand auf und fragte mich:

»Das Calumet ist zwischen uns ausgetauscht worden. Bin ich nun frei?«

»Ja,« antwortete ich. »Du kannst zu deinen Kriegern zurückkehren.«

Er stieg auf sein Pferd und ritt einige Schritte weit; da hielt er an, drehte sich zu mir um und sagte:

»Old Shatterhand ist das listigste unter allen Bleichgesichtern; er kennt die Gebräuche der roten Männer fast so gut wie sie selbst; aber etwas weiß er doch noch nicht.«

»Was?«

»Er mag darüber nachdenken und nicht verlangen, daß ich ihn belehre!«

Nach diesen Worten galoppierte er davon.

»Habt ihr es gehört, Sir?« sagte Jim. »Das klang genau wie eine Drohung. Schickt ihm schnell eine Kugel nach!«

»Fällt mir nicht ein! Ich habe ihm das Leben und die Freiheit geschenkt und halte mein Wort.«

»Aber ob er das seinige halten wird!«

»Das ist seine Sache. Mich kümmert es jetzt nicht.

Wir haben vor allen Dingen zu machen, daß wir fortkommen. Steigt also auf!«

»Wohin soll‘s gehen?«

»Zunächst den Roten aus den Augen.«

Diese empfingen ihren Häuptling mit demselben Schweigen, mit welchem sie vorhin seinen Befehl entgegengenommen hatten, und keiner von ihnen machte, als sie uns den Platz verlassen sahen, Miene, uns zu folgen. In kurzer Zeit waren wir ihnen aus den Augen.

Ich hatte, weil das Terrain es so gebot, die Richtung nach Westen eingeschlagen und behielt dieselbe bei, bis es vollständig dunkel geworden war und wir, falls die Comantschen doch hinter uns her kommen sollten, nicht von ihnen gesehen werden konnten. Da hielt ich an und sagte:

»Jetzt müssen wir uns zunächst darüber verständigen, wohin wir uns zu wenden haben. Mr. Dschafar, Ihr wollt hinauf nach Neu-Mexiko. Hattet Ihr einen bestimmten Weg im Auge?«

»Ja,« antwortete Perkins an Stelle des Gefragten.

»Welchen?«

»Wir wollten vom Beaver-Creek nach den Hazelstraits, wenn Ihr diese kennt, Sir.«

»Ich kenne sie; bin schon einigemal dort gewesen.«

»Meint Ihr, daß dies richtig gewesen wäre?«

Aa.«

»Well. Aber wir befinden uns nicht mehr am Beaver-Creek, sondern am Makik-Natun, und es ist also, zumal jetzt des Nachts, nicht leicht, uns zurecht zu finden.«

»Was das betrifft, so braucht Ihr keine Sorge zu haben; ich werde Euch führen, bis Ihr Euch von selbst dann weiterfindet.«

Da lenkte Dschafar sein Pferd zu mir heran und fragte:

»Bis wir uns von selbst weiterfinden, Sir? Nicht weiter?«

»Nein.«

»So wollt Ihr uns dann verlassen?«

»Ja. Ich muß nach Süden, und wenn Ihr den Weg kennt, braucht Ihr mich nicht mehr.«

»Möglich, daß wir auf Eure Ortskenntnis verzichten können, aber doch nicht auf Euch selbst. Denkt, welchen Gefahren wir eben erst entgangen sind, und welche uns noch erwarten!«

»Daß es hier Gefahren giebt, war Euch wohl bekannt, Mr. Dschafar, und Ihr habt Euch ja auch ganz gut vorbereitet. Es sind drei Führer und zwei Diener bei Euch; rechnet dazu die Snuffles, so seid Ihr acht Männer, die sich nicht so leicht zu fürchten brauchen. Acht Männer! Ich komme ganz allein von den Gros Ventre Bergen herunter, fast stets durch das Gebiet feindlicher Indianer, und habe mich nicht gefürchtet.«

»Ja, das seid auch Ihr! Könntet Ihr denn nicht wenigstens so lange bei uns bleiben, bis wir vor den Comantschen sicher sind?«

»Hm! Habe eigentlich keine Zeit dazu.«

»Ich bitte Euch dennoch darum. Ich bin für Euch ein Fremder und meinetwegen werdet Ihr kein solches Opfer bringen; aber thut es um Eures Hadschi Halef Omar willen, dessen Gast ich gewesen bin!«

»Yes, thut das, Sir!« fiel da Tim Snuffle ein, der sonst so wenig sprach. »Kann es Euch beweisen, daß wir Euch sehr notwendig brauchen.«

 

»So? Na, dann beweist es einmal, alter Tim!«

»Ist sehr leicht zu machen. Nehmt diese fünf Gentlemen an, diesen Fremden, seine zwei Diener und die drei Scouts! Sind sie nicht den Roten in die Hände geraten?«

»Allerdings.«

»So gebt Ihr also zu, daß ihnen eine Hilfe willkommen sein muß?«

»Sie haben doch Euch!«

»Uns? Pshaw! Die beiden Snuffles! Habe freilich bisher immer wunder gedacht, was für außerordentlich tüchtige Kerls wir sind, möchte es aber jetzt nicht mehr behaupten. Bin wie ein Schuljunge den Roten in die Hände gerutscht, und mein Jim hat auch nicht klüger gehandelt. Sind wir zwei alte Narren da die rechten Helfer für diese fünf Gentlemen? Ohne Euch würden wir alle morgen totgepeinigt werden; das ist der Beweis, daß wir Euch noch länger brauchen. Habe ich recht oder nicht?«

»Aber alter Tim, was fällt dir ein!« rief da Jim ganz erstaunt. »Ich kenne dich nicht mehr. In deinem ganzen Leben hast du noch nie so viele Worte hintereinander gesprochen!«

»Well! Ist mir auch nicht leicht geworden. Will lieber mit einem Grizzlibären in seinem Lager schlafen, als eine Rede halten; habe aber geglaubt, daß es hier nötig ist. Oder meint Ihr nicht, Mr. Shatterhand?«

Dschafar wiederholte seine Bitte, welcher sich die andern alle anschlossen, und so erklärte ich endlich:

»Nun gut, Ihr sollt Euern Willen haben; ich will Euch bis an die Grenze von Neu-Mexiko begleiten, thue das aber nur unter einer Bedingung.«

»Welche ist das?« fragte Jim.

»Daß Ihr Euch möglichst nach mir richtet und nichts unternehmt, ohne mich vorher zu fragen.«

Jim zögerte, auf diese Forderung einzugehen. Er hielt sich für einen tüchtigen Westmann und glaubte, daß es gegen seine Ehre sei, sich so aller Selbständigkeit zu begeben. Dafür ließ sich aber sein Bruder sofort hören:

»Das versteht sich doch ganz von selbst! Wenn Old Shatterhand bei uns ist, haben wir unsern Willen dem seinigen zu unterordnen.«

Dschafar war gern einverstanden; die beiden Diener hatten nichts zu sagen; Perkins wußte, wie er gefehlt hatte, und widersprach nicht; die andern beiden Scouts waren überhaupt bescheidene Leute, die sich freuten, aller Verantwortlichkeit enthoben zu sein; sie stimmten sehr gern ein, und so sah Jim sich schließlich zu der Bemerkung gezwungen:

»Habe auch nichts dagegen, hoffe aber, daß wir, wenn es sich um etwas Wichtiges handelt, auch mit zu Rate gezogen werden!«

»Dieses Verlangen brauchtet Ihr gar nicht zu stellen. Ich habe keineswegs die Absicht, wie ein absoluter Fürst oder gar wie ein Tyrann über Euch zu herrschen; wir stehen einander gleich; keiner soll mehr gelten als die andern, doch glaubte ich, daß es besser sei, wenn wir im Augenblicke einer Gefahr nicht vielköpfig handeln, und da muß es also Einen geben, nach dem sich die andern richten. Als diesen habe ich mich vorgeschlagen, gebe aber zu, daß auch ein jeder von Euch das Recht hat, sich in Vorschlag zu bringen. Wollt Ihr der Anführer sein, Jim?«

»Nein, danke, Sir! Mag nichts zu verantworten haben; dachte nur, daß ich auch einen Mund besitze, zuweilen ein Wort mitzusprechen. Also Ihr seid überzeugt, trotz der Nacht den rechten Weg zu finden?«

»Ja.«

»Und wie lange reiten wir? Etwa in einer Tour fort bis zum frühen Morgen?«

»Nein. So eine Anstrengung darf ich Euch nicht zumuten. Ihr seid gefesselt gewesen und habt jedenfalls nicht viel geschlafen.«

»Das ist richtig; wenigstens ich habe das Auge keinen Augenblick geschlossen und muß gestehen, daß ich heut unbedingt eine Stunde oder zwei schlafen muß.«

»Ihr sollt noch länger schlafen. Wir reiten nur so weit, bis wir annehmen können, daß wir morgen vor den Comantschen sicher sind.«

»Ah! ihr traut ihnen also nicht?«

»Nein.«

»Trotz der Friedenspfeife, welche geraucht worden ist?«

»Trotz derselben. Die Worte des Häuptlings, die er mir zuletzt zurief, sollten wirklich eine Drohung sein.«

»Dachte es mir! Er behauptete, daß Ihr etwas doch noch nicht wüßtet. Wenn man nur erraten könnte, was er gemeint hat!«

»Ich brauche es nicht zu erraten, denn ich weiß es schon.«

»Wirklich? Was ist es denn?«

»Wir haben mein Calumet geraucht, aber nicht das seinige.«

»Macht dies denn einen Unterschied?«

»Eigentlich nicht. Zwischen ehrlichen Leuten ist es ganz gleich, ob die eine oder die andere Partei das Calumet liefert, welches geraucht wird. Hat aber der Rote eine Heimtücke im Nacken, so giebt er nicht seine Friedenspfeife zu der Ceremonie her, sondern es wird diejenige seines Gegners geraucht. Dann gebraucht er gegebenen Falles die Ausrede, daß ein Uebereinkommen nur dann Geltung besitze, wenn er es mit seinem eigenen Calumet besiegelt habe. Der Treubruch, den er gleich von vorn herein beabsichtigte, ist seiner Ansicht nach dann vollständig gerechtfertigt oder wenigstens entschuldigt.«

»Das also ist‘s? Das hat er gemeint? Daran hättet Ihr freilich denken sollen!«

»Ich habe daran gedacht.«

»Aber doch Eure Pfeife genommen und nicht die seinige! Warum?«

»Weil ich mit Recht annahm, daß er sie nicht gleich hergeben, sondern allerlei Ausflüchte machen werde. Dabei wäre die Zeit vergangen, und er hätte seine Absicht erreicht.«

»Welche Absicht?«

»Daß es finster werden solle. Es wäre uns nicht mehr möglich gewesen, seine Leute zu beobachten, und sie hätten sich nähern und uns angreifen können. Er wollte Zeit gewinnen. Dies zu verhüten, habe ich ihm seine Pfeife lieber gar nicht abgefordert.«

»Aber nun wird er nicht Wort halten, sondern uns folgen!«

»Sehr wahrscheinlich. Doch wird er uns nicht finden, denn wir reiten jetzt so weit, daß unsere Fährte morgen früh nicht mehr gesehen werden kann.«

»Hm! Ich verstehe und begreife Euch nicht. Wenn die Spur zu sehen ist, kann man sie doch sehen, wir mögen so weit reiten, wie wir wollen!«

»Mr. Snuffle, Ihr wollt wirklich ein Westmann sein?«

»Yes, ich bin einer. Möchte den kennen lernen, der dies nicht glauben will!«

»Ich möchte es beinahe nicht glauben, weil Ihr meine Worte nicht begreift.«

»Na, wie Ihr so weit reiten wollt, daß Eure Fährte nicht zu sehen ist, das ist mir freilich ein Rätsel. Wenn man den ersten Teil derselben sieht, sieht man doch auch den übrigen Teil, Ihr mögt noch so weit fortreiten!«

»Das ist eben nicht der Fall. Jetzt ist es dunkel; die Comantschen können uns also erst folgen, wenn es früh hell wird. Das ist ungefähr sechs Uhr. Jetzt haben wir sieben Uhr abends. Wenn wir nur drei Stunden reiten und also schon um zehn Uhr lagern, sind die Roten morgen früh um neun Uhr an unserm Lagerplatze, den sie wahrscheinlich noch ziemlich deutlich erkennen können. Reiten wir aber fünf Stunden lang, so lagern wir um zwölf Uhr, und die Indianer kommen erst um elf Uhr an die betreffende Stelle, oder vielmehr sie würden hinkommen, wenn unsere Fährte noch zu erkennen wäre. Das wird sie aber nicht sein, denn eine Spur, welche sich möglicherweise von jetzt bis morgen früh neun Uhr hält, wird gewiß zwei Stunden später nicht mehr zu sehen sein. Je weiter und länger wir also heut noch reiten, desto sicherer können wir sein, daß die Verfolger uns nicht entdecken werden. Seht Ihr das nicht ein?«

»Hm, jetzt ist mir‘s allerdings deutlicher, als vorher. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

»Yes,« antwortete sein nun wieder einsilbig gewordener Bruder.

»Und weiter!« fuhr ich fort. »Da der Anfang unserer Fährte morgen früh wahrscheinlich noch zu sehen ist, weil wir hier weichen Boden haben, so führen wir die Roten dadurch irre, daß wir sie in eine falsche Richtung locken. Die Hazelstraits, welche unser nächstes Ziel sind, liegen westlich von hier; wir werden aber nach Süden reiten, und zwar so weit, bis wir harten Boden finden, an welchem wir nach Westen umbiegen.«

»Well! Das ist pfiffig, Sir! Die Comantschen werden uns nach Süden folgen. Hört dann unsere Spur auf, so denken sie natürlich, daß wir nach Süden weitergeritten sind, und werden diese Richtung beibehalten. Dann sind wir sie los. Es ist wahr, Ihr seid der richtige Mann für uns, Mr. Shatterhand. Stellt Euch also an die Spitze und führt uns, wohin Ihr denkt! Es ist nicht gut, uns hier noch länger aufzuhalten.«