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Im Reiche des silbernen Löwen I

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Der Alte schien von diesem Vorwurfe gerührt zu sein, denn er sprach in mildem Tone:

»Lassen wir den Hammel sein; aber wenigstens brauchte der junge Hahn doch nicht so schnell zu verschwinden!«

»Sprich nicht von ihm; ich bitte dich! Es war ihm so im Buche des Lebens vorgezeichnet. Er war an demselben Tage wie der Hammel geschlachtet worden; ich hatte beide zu derselben Stunde gekauft; sie waren miteinander nach Hause geschafft und auf demselben Herde nebeneinander gebraten worden; daraus folgt doch, daß sie auch miteinander verspeist werden mußten. Dagegen war nichts zu wollen, nichts zu sagen und nichts zu thun. Außerdem hat der Hahn mich ganz gewiß vom Tode errettet. Nämlich als der Hammel den Weg seiner Bestimmung gegangen war, verfiel mein armer Magen in einen solchen Zustand der Erbärmlichkeit, daß ich von dieser Erde abzuscheiden gedachte und deutlich fühlte, daß es mir bestimmt sei, infolge des Genusses dieses verdorbenen Fleisches zu den Vorvätern meiner Urahnen versammelt zu werden. Ich sterbe gern und habe keine Angst vor dem Tode, weil nach demselben die ewigen Freuden des Paradieses folgen; aber ich dachte an dich und was mit dir werden solle, wenn ich, der Gefährte deines Alters und die einzige Stütze deiner Lebenstage, dich verlassen müsse. Ich gedachte meiner unvergleichlichen Anhänglichkeit und Liebe zu dir, meiner Pflicht, dir den Abend deines Daseins zu verschönern, und ging in mein Inneres hinein, um den festen Entschluß zu fassen, mich dir noch zu erhalten und bei dir auszuharren trotz der immerwährenden Betrübnis, daß du mir stets unrecht giebst.

Ich mußte also das Elend meiner Verdauung überwinden, was nur dadurch geschehen konnte, daß ich meinen schon halb abgeschiedenen Magen wieder zurückrief, indem ich ihn durch den jungen Hahn verlockte, es noch einmal mit der Erfüllung seiner irdischen Verpflichtungen zu versuchen. Dies ist mir gelungen, und aus Freude darüber habe ich ihn dann durch die wohlverdiente Gabe des neubackenen Brotes belohnt, welches du ihm leider nicht zu gönnen scheinst. Wenn du mir nun Vorwürfe darüber machst, daß ich mich und dich errettet habe, so sind sie unverdient, denn ich bin an dem Verschwinden der Speisen so unschuldig wie ein harmloser Ziegenbock, den man beschuldigt, ein Kamel gefressen zu haben, während es doch der Löwe gewesen ist. Weiter habe ich dir nichts zu sagen, Effendi; nun thue, was du willst.«

Diese lange und energische Auseinandersetzung erreichte ihren Zweck. Der Alte schien von dem »Gefährten seines Alters, der einzigen Stütze seiner Lebenstage und der abendlichen Verschönerung seines Daseins« gerührt worden zu sein, denn er nickte ihm gütig zu und sagte:

»Ich will dich nicht betrüben und meine Vorwürfe also zurücknehmen; aber das ändert unsere Lage nicht. Wir müssen essen und haben aber nichts.«

»O Allah, Allah! Welche Kürze der Gedanken und welcher Mangel der erforderlichen Geistesgegenwart! Wenn du den guten Rat befolgst, welcher mir auf den Lippen schwebt, so wird alle Not sofort ein Ende haben.«

»Was rätst du mir?«

»Gieb mir wieder Geld, so gehe ich, um zu holen, was wir brauchen!«

»Und kommst vor heut abend nicht zurück.«

»Meinst du denn, daß der Hunger dieser beiden Männer, welche unsere Gäste sind, so groß ist, daß sie nicht bis zum Abend warten können?«

»Welche Frage! Gäste darf man niemals warten lassen, gleichviel, ob sie Hunger haben oder nicht.«

»Das kann ich allerdings auch nicht ganz in Abrede stellen; aber ich muß doch meine vier Kaffeehäuser besuchen, um zu erzählen, daß der unvergleichliche Emir Kara Ben Nemsi Effendi und der tapfere Hadschi Halef Omar zu uns gekommen sind und bei uns wohnen. Da werde ich Hunderte von Fragen zu beantworten haben und kann unmöglich eher wiederkommen, als bis es dunkel geworden ist.«

Wenn ein europäischer Diener diese Worte hervorgebracht hätte, so wäre er einfach für verrückt gehalten worden; dieser wunderbare Kepek aber hielt sich für wirklich und vollständig berechtigt, uns hungern zu lassen und seinen Bummel auszuführen. Sein Herr schien in seiner grenzenlosen Güte und Nachsicht nicht zu wissen, was er sagen solle, und so hielt ich es für an der Zeit, nun auch einmal das Wort zu ergreifen, doch kam mir Halef zuvor, was mir gar nicht unlieb war, weil es mir widerstebte, dem sonderbaren Dicken Dinge zu sagen, die ihm nicht angenehm sein konnten. Mein kleiner Hadschi hatte schon längst die Geduld verloren; darum befürchtete ich, daß er sich, obgleich er Gast war, in seiner gewohnten, kräftigen Weise ausdrücken werde, doch sah ich bald zu meiner Beruhigung, daß er sich zu beherrschen wußte. Er stand auf, klopfte dem stets unschuldigen Schuldigen vertraulich auf die Schulter und fragte ihn:

»Verzeihe mir, o Freund der halben Hammel und der ganzen jungen Hähne! Kannst du mir sagen, wer der Herr dieses Hauses ist?«

»Dieser Effendi, dem ich diene,« lautete die Antwort.

»Ah, du bist also sein Diener?«

»Ja.«

»Wer hat zu gehorchen, der Diener oder der Herr?«

»Der Diener natürlich.«

»Schön, du hungrigster unter allen Köchen der Erdenländer! Du hast also nicht zu thun, was dir beliebt, sondern was die Gastfreundschaft deines Herrn erfordert, und diese heischt von ihm, daß seine Gäste sobald wie möglich zu essen bekommen. Willst du dann später in die Kaffeehäuser gehen, so thue es; ich habe dir nichts zu befehlen; aber wenn du dort von uns sprichst – — – paß wohl auf, was ich dir jetzt sage! – — – wenn du dort von uns sprichst, wenn du nur ein einziges Wort davon sagst, daß wir in Bagdad sind und wo wir uns befinden, so bist du morgen früh eine Leiche, eine die ganze Nacht hindurch langsam und allmählich totgemordete Leiche!«

Der Dicke fuhr vor Schreck einige Schritte so schnell, wie ich es ihm gar nicht zugetraut hätte, zurück. Bis herab zur Unterkehle erblassend, wiederholte er stammelnd die letzten Worte:

»Eine – — die ganze Nacht hindurch – — – langsam und allmählich – — – totgemordete – — – Leiche – — —!«

»Ja,« nickte Halef sehr ernst.

»Aber – — – aber – — – warum tot – — —? warum ermordet – — —? warum Leiche – — —?«

»Das will ich dir erklären. Wir haben Feinde, welche uns verfolgen, welche uns in Bagdad suchen. Wenn sie uns finden, giebt es einen Kampf; wir beide werden zwar siegen, aber das Haus, in welchem wir wohnen, wird die Folgen zu tragen haben; man wird die Bewohner sehr wahrscheinlich langsam zu Tode martern.«

»Zu – — Tode – — martern – —! Allah behüte mich vor dem Teufel, vor dem Tode und vor allen Menschen, welche mich um das Leben bringen wollen! Es fällt mir gar nicht ein, die Kaffeehäuser zu besuchen, solange ihr euch hier befindet! Ich werde den Mund halten und keinem einzigen Geschöpfe verraten, wo ihr seid! Am liebsten blieb ich im Hause und ginge gar nicht über die Grenzen unsers Gartens hinaus!«

»Das ist recht gedacht von dir. Ich bin bereit, dir diese mutige Zurückgezogenheit zu erleichtern, indem ich selbst gehen werde, um einzukaufen, was wir nötig haben. Du magst dich inzwischen vorbereiten, sofort Feuer machen zu können, wenn ich wiederkehre. Komm mit mir in die Küche!«

Sie gingen. Als sie fort waren, erkundigte sich der Wirt im besorgten Tone:

»Hadschi Halef Omar hat auf alle Fälle übertrieben; aber sag, habt ihr wirklich Feinde, welche euch verfolgen?«

»Wir sind allerdings mit Männern zusammengetroffen, welche uns so feindselig behandelten, daß wir ihnen die Peitsche schmecken ließen. Es waren Perser,« antwortete ich.

»Ah, also auch Perser!«

»Ja. Sie glühen vor Rache, und da sie wissen, daß wir in Bagdad sind, werden sie nach uns forschen, um eine Gelegenheit zu finden, uns die Schläge zu vergelten, welche sie bekommen haben. Wir fürchten uns natürlich nicht im mindesten. Halef hat die Sache übertrieben, um deinem Diener aus naheliegenden Gründen Angst zu machen. Dieser Kepek scheint ziemlich furchtsam zu sein.«

»Da irrst du dich, Effendi. Er ist Onbaschi[135] gewesen und war einer der brauchbarsten und furchtlosesten Unteroffiziere. Bei dieser Gelegenheit magst du erfahren, daß ich Dozorca heiße und als Bimbaschi[136] entlassen worden bin. Kepek ist jetzt alt und bequem geworden; früher gewandt, beweglich und stets zum Raufen bereit, hat er durch seine geradezu ungeheuere Körperdicke den Anschein des Gegenteiles erhalten, und es mag sein, daß die Liebe, mit welcher er an mir hängt, und die Sorge, welche er stets um mich hat, auch mit dahin gewirkt haben, daß er bedächtiger erscheint, als er früher war, und also erschrickt, wenn er meint, daß wir Gefahren ausgesetzt sind. Er hat mich schon mehreremal mitten aus den Feinden herausgehauen und mir auch sonstige Dienste geleistet, welche mich über seine Schwächen wegsehen lassen, und ich bin überzeugt, daß er, wenn es nötig wäre, sein Leben auch jetzt noch für mich wagen würde, wenn er nur erst einmal wieder aus sich herausgegangen ist. Er ist mir treu wie Gold und auch am Herd erfahren, sodaß ich keinen Koch zu halten brauche. Er ißt zwar außerordentlich stark und giebt mir bloß die Reste, mit denen ich aber ganz gut ausreiche, und was seinen Kaffee betrifft, so kocht er allerdings zweierlei, nämlich den guten, starken für sich und den dünnen für mich, weil er behauptet, daß der starke mir zu sehr ins Blut gehen würde und meine Nerven das nicht – —Blyskawica! Da spreche ich vom Kaffee und erinnere mich erst hierbei, daß wir noch keinen haben! Welche Nachlässigkeit gegen dich, Effendi! Er soll sogleich welchen bringen!«

 

Er klatschte zwei-, drei-, fünf- und zehnmal in die Hände, aber der Dicke kam nicht; erst als ich bei geöffneter Thür so kräftig in die meinigen schlug, daß sie schmerzten, hörte ich seine Stimme hinter einer angelehnten Thür erschallen. Dann kam er zwar sehr langsam geschlürft, aber sein Gesicht war doch so rot, als ob er einen anstrengenden Dauerlauf hinter sich habe, und er sagte in unwilligem Tone:

»Schon wieder! Kaum habe ich diesem Hadschi Halef, der nichts begreifen kann, meine Instruktionen erteilt, über welche er nur lacht, anstatt sie mit Würde entgegenzunehmen, so muß ich schon wieder hierher rennen! Was wollt ihr denn?«

»Kaffee,« antwortete sein Herr.

»Kaffee? Es ist noch keiner da; der Hadschi wird welchen mitbringen. Da er nun doch einmal alles selbst bezahlt, was er holt, so habe ich ihm gesagt, er solle auch den Kaffee nicht vergessen.«

»Aber du hast doch welchen!«

»Wo?«

»Ich weiß nicht, wo du ihn hingethan hast; der Hadschi hatte ihn in seiner Satteltasche stecken.«

Weil auch ich glaubte, daß der Dicke den Kaffee wirklich vergessen habe, erinnerte ich ihn daran, daß er ihn an seiner Brust verborgen hatte; er schüttelte aber den Kopf und erklärte mir in wirklich überraschender Unbedenklichkeit:

»Ja, hineingesteckt habe ich ihn, Emir, aber auch wieder herausgenommen.«

»Wo ist er jetzt?«

»Versteckt und aufgehoben.«

»Warum versteckt?«

»Damit ihn niemand finden soll.«

»So willst du ihn wohl für dich allein haben?«

»Ja. Du wirst einsehen, o Emir, daß ich dazu berechtigt bin. Wisse, daß mein Id el Milad[137] in einigen Tagen ist, an welchem ich einige Bekannte zu mir laden werde. Diese sind vorzügliche Kaffeekenner, und weil ich gesehen habe, daß du besseren hast, als mein Effendi zu kaufen pflegt, so hebe ich den deinigen für das Fest auf und werde euch den kochen, den der Hadschi mitbringt. Habt also nur Geduld! Es wird nicht lange dauern, bis er wiederkommt.«

»Aber warum soll grad dein Besuch diesen meinen guten Kaffee erhalten?«

»O Emir, wie kannst du nur so fragen! Es ist doch eine der wichtigsten Vorschriften des Kuran, daß man seine Gäste dadurch ehren Soll, daß man ihnen das beste giebt, was man hat.«

jetzt wußte ich wirklich nicht, ob ich zornig werden oder lachen sollte. Der Bimbaschi hatte den Dicken durch seine übertriebene Dankbarkeit und Selbstlosigkeit in der Weise verdorben, daß dessen Verhalten in andern Verhältnissen als Frechheit zu bezeichnen gewesen wäre. Das ging nur sie beide an, solange es ihnen gefiel und solange kein anderer darunter zu leiden hatte; ich aber hatte keine Lust, auch mich von dem frühern Onbaschi in die gleiche Behandlung nehmen zu lassen; darum zeigte ich ihm jetzt ein strengeres Gesicht und sagte:

»Grad weil ich diese Vorschriften kenne und dazu auch alles andere, was sich auf die Ausübung der Gastfreundschaft bezieht, muß ich mich sehr wundern, daß du es wagst, mir den Kaffee, welcher doch der meinige ist, zu entziehen und schlechtern dafür anzubieten. Du bekommst Gäste; das sind die Gäste eines Dieners, welcher früher Onbaschi war, und wir sind heut die Gäste deines Herrn, welcher den Rang eines Bimbaschi bekleidete. Wer ist der Vornehmere, er oder du? Hadschi Halef Omar ist der oberste Scheik der Haddedihn, und was ich bin, dir zu sagen, ist gar nicht nötig; wer werden aber deine Gäste sein, welche bessern Kaffee als wir trinken sollen? Du hast sofort den meinigen zu kochen, hörst du wohl, sofort, und zwar stark und gut, wie vornehme Herren ihn verlangen können! Uebrigens warne ich dich da vor meinem Hadschi Halef, von welchem du ja genug gehört hast, um zu wissen, wie er ist. Er ist die schnellste und aufmerksamste Bedienung gewöhnt und duldet keine Zurücksetzung. Ferner ißt und trinkt er gern so gut wie möglich, und wer das nicht beachtet, dem pflegt er sehr schnell den fehlenden Respekt beizubringen. Es hat schon mancher Mensch, der ihn mit der Nachlässigkeit behandelte, welche auch du zu besitzen scheinst, nicht nur seine Hand oder seine Peitsche, sondern sogar sein Messer fühlen müssen. Hüte dich vor seinem Zorne! Er ist ein freier Ben Arab[138] und bei der geringsten Vernachlässigung der ihm gebührenden Ehre sehr rasch mit Hieben und auch mit Messerstichen bereit. Wer ihm zumutet, schlechten Kaffee zu trinken, der mag sich vor den Folgen hüten, die keine angenehmen sind!«

Eine solche Standrede hatte der Dicke wohl seit langer Zeit nicht mehr zu hören bekommen; er duckte sich förmlich zusammen und antwortete in devotem Tone:

»Ich danke dir, o Emir, daß du mich auf diese gefährlichen Eigenheiten des Scheikes aufmerksam machst. Das ist ja ein wahrer Wüterich! Ich werde euch schnell, sehr schnell deinen eigenen Kaffee bringen, denn das Wasser kocht bereits, und ich habe ihn auch schon im Hon el Bonn[139] zerstoßen.«

»Schon? Ah, der war also für dich; wir aber sollten keinen bekommen?«

»Halte ein mit den Vorwürfen, Emir! Weil ich ihn meinen Gästen vorsetzen wollte, mußte ich ihn doch kosten, um mich von seiner Güte zu überzeugen; jetzt aber hast du mich belehrt, und ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe. Es wird nicht ganz eine einzige Minute dauern, so wird sein Duft deinen Zorn besänftigen und die Empfänglichkeit deines Geruches erquicken. Ich gehe schnell, ich eile schon!«

Er arbeitete und stampfte mit den Beinen wie ein Radfahrer, um schnell hinauszukommen, was meinen Zorn, wenn ich wirklich zornig gewesen wäre, sogleich in das Gegenteil verwandelt hätte; ich lachte, doch so, daß er es nicht hörte, hinter ihm her. Sein Herr lachte auch und sagte:

»Ich habe ihn verwöhnt; das weiß ich nur zu gut. Ich halte ihn mir, wie man in Europa sich ein Schoßhündchen, einen Papagei, ein Aeffchen oder einen Kanarienvogel hält, und lasse meine Schwäche für ihn mit seiner Anmaßung wachsen. Du hast ihm jetzt die nötige Achtung eingeflößt und kannst versichert sein, daß die Wirkung davon nicht lange auf sich warten lassen wird.«

Er hatte recht; der Dicke kam schneller wieder, als ich es ihm zugetraut hatte, und setzte den Kaffee zwischen uns auf den Serir[140]. Man sah es ihm förmlich an, daß ihm das Wasser im Munde zusammenlief, und es war ein Ton aufrichtiger Betrübnis, in welchem er die Bemerkung machte:

»Hier habt ihr ihn! Ich sage euch, daß ich nicht einen Schluck davon gekostet habe. Ich werde ihn auch ferner nicht für mich, sondern ganz allein für euch bereiten, selbst wenn der Appetit mich um die Ruhe meiner Seele und die Annehmlichkeiten meines sonstigen Wohlbefindens bringen sollte. Aber ich bitte dich, o Emir, falls Allah so gnädig ist, dich mit dem Gedanken zu erleuchten, daß auch ich eine Tasse dieses Trankes genießen dürfe, so zögere ja nicht, mir dies sofort mitzuteilen!«

Als er sich entfernt hatte, bedienten wir uns selbst. Es ist nämlich im Orient bei vornehmen Verhältnissen gebräuchlich, daß beim Kaffeetrinken der Kaffee in Tassen und nicht in größeren Gefäßen serviert wird; Kepek aber hatte eine ganze Rakwa[141] voll gebracht. Das war mir lieb, da es nicht angenehm ist, fortwährend durch das Kommen und Gehen der Dienerschaft gestört zu werden. Auch nahm ich an, daß der Bimbaschi unser Alleinsein zu den Mitteilungen benützen werde, auf welche er mich vorbereitet hatte.

Wir saßen längere Zeit beieinander. Er ließ sich meinen Tabak und meinen Kaffee schmecken und blickte, ohne ein Wort zu sagen, nachdenklich vor sich hin. Endlich ließ er mich eine Frage hören.

»Du warst schon in Persien?«

»Ja,« antwortete ich.

»Sprichst und verstehst du die Sprache dieses Landes?«

»Ja.«

»So sag, ob du vielleicht einmal von einer Gul-i-Schiraz[142] gehört hast! Denke nach! Diese Frage ist eine sehr wichtige für mich.«

»Gul-i-Schiraz? Natürlich. Die Rosen von Schiras sind berühmt, doch gestehe ich, daß ich die Rosenzucht in Rumili kennen gelernt habe, welche ich der persischen vorziehe.«

»Das ist es nicht, was ich meine. Ich spreche nicht von Rosenzucht, nicht von den Rosen im allgemeinen, auch nicht von den Rosen von Schiras in der Mehrzahl, sondern von einer Rose in der Einzahl, von einer ganz bestimmten Rose, welche aus einer mir unbekannten Ursache als Gul-i-Schiraz bezeichnet wird.«

»Von einer solchen Rose habe ich noch nichts gehört; sie ist mir unbekannt.«

»Das ist bedauerlich, sehr bedauerlich!«

»Wie kommt es, daß du, der seit langen Jahren hier zu wohnen und ein vollständiger Orientale geworden zu sein scheinst, mir, der ich mich nur ganz vorübergehend im Oriente aufgehalten habe, die Kenntnis eines Gegenstandes zutraust, welche du nicht besitzest?«

»Diese Frage sagt mir, daß du nicht weißt, was man von dir erzählt und in welcher Weise man über dich spricht und dich beschreibt. Nach den Schilderungen, welche über dich, den Hadschi Emir Kara Ben Nemsi Effendi im Umlaufe sind, kannst du alles und weißt alles.«

»Das ist echt orientalische Uebertreibung. Der Europäer hat natürlich mehr gelernt, als der unwissende Beduine.«

»Das weiß auch ich; du aber stehst in einem so ungewöhnlichen Rufe, daß auch ich geneigt bin, dir mehr als jedem andern zuzutrauen. Ist Hadschi Halef Omar dein Freund oder dein Diener?«

»Mein Freund.«

»So ist er Mitwissender von allem, was sich auf eure jetzige Reise bezieht?«

»Ja. Ich will und kann keine Geheimnisse vor ihm haben.«

»So werde ich nicht jetzt sprechen, sondern dann, wenn er von seinem Gange zurückgekehrt und wieder bei uns ist. Inzwischen können wir uns in deiner Muttersprache unterhalten. Du weißt von deinem damaligen Besuche her, daß ich sie verstehe.«

Ich ging natürlich sehr gern darauf ein; aber der Genuß, welcher sich mir dadurch bot, war nicht von langer Dauer, denn Halef kam herein, und zwar in einer Weise, welche auf eine gewisse Aufregung schließen ließ, und meldete uns:

»Ich habe gebracht, was ich in der Nähe bekommen konnte; es ist genug, um mehrere Tage davon zu leben, wenn nicht dieser dicke Vater der Gefräßigkeit über Nacht wieder alles verschlingt, um sich aus Liebe zu seinem Herrn vom Tode zu erretten. Nun aber muß ich fragen, wer kochen und braten soll?«

»Kepek, natürlich,« antwortete der Bimbaschi.

»Allah‘l Allah! Kennst du deine Küche? Wann bist du zum letztenmal drin gewesen?«

»Seit Jahren nicht. Sie ist das unbestrittene Reich Kepeks, der mich keinen Augenblick drin duldet.«

»Das dachte ich! Und darum geriet er so in Wut, als ich von der Reinlichkeit des Lebens und der Appetitlichkeit der Speisen sprach! Ich habe ihm aber geantwortet, wie sich‘s gebührt; da setzte er sich vor Schreck auf die Erde nieder, was einen solchen Plumps that, daß ich glaube, entweder hat er einen Riß bekommen oder der Boden ist geplatzt.«

 

»Und dann?« fragte der Alte besorgt. »Was thut er jetzt?«

»Habe keine Sorge um ihn! Er sitzt noch fest und kann wegen der unmenschlichen Schwere seiner Gewichtigkeit nicht eher wieder aufstehen, als bis ich ihm helfe. Laß ihn sitzen, bis ich zu ihm zurückkehre! Ich muß dich vor allen Dingen fragen, ob ich aufrichtig sprechen darf?«

»Du darfst es.«

»Und du wirst mir nichts übelnehmen?«

»Gar nichts.«

»So muß ich dir sagen, daß du gar keine Ahnung hast, was alles und in welcher Weise bisher für dich gekocht, gebraten und gebacken worden ist. Wenn ich gezwungen würde, nur einen einzigen Bissen aus der fetten Hand dieses Dschedd el Wasach[143] zu essen, so würde sich mein Leib wie ein Geldbeutel umwenden, sodaß meine Eingeweide nach außen kämen und die ganze Schönheit meiner äußeren Gestalt nach innen.«

Ich befürchtete eine Beleidigung unsers Wirtes und gab also dem Hadschi einen verstohlenen Wink, sich zu mäßigen; er fuhr aber unbeirrt fort:

»Mein Sihdi winkt mir freilich zu, zu schweigen; aber wenn wir bei dir etwas genießen sollen, so muß ich sprechen und dich darauf aufmerksam machen, daß, solange wir uns hier befinden, ich allein die Chukuhme el Matbach[144] sein werde. Ich will diese Küche gar nicht beschreiben, weil ich keine Worte dazu finden würde, aber das Geschirr – — dieses Geschirr! In der Ecke steht ein Blechgefäß mit dem Wasser, mit welchem er sein Gesicht und seine Hände wäscht und aus welchem er auch zum Kochen schöpft; auf dem Boden des Wassers liegt der Schlamm mehrere Finger hoch. Ich habe es ihm, als er sich vor Schreck niedergesetzt hatte, über den Kopf gegossen – — – «

»Das hättest du nicht thun sollen!« fiel der Bimbaschi ein. »Wenn er nun davon krank und – — – «

»Aengstige dich nicht um ihn!« unterbrach ihn Halef. »Dieses Bad hat ihn wieder zu sich gebracht und ihm nur gutgethan. Er wollte noch mehr haben, denn er sperrte vor Entsetzen den Mund so weit auf, wie er nur konnte; es war aber leider keines mehr da. Dann sah ich eine Tangara.[145] Es war ein schwarzes, dickes Fett mit Fingerspuren drin, und als ich ihn fragte, wozu das sei, erfuhr ich, daß er es zum Einschmieren seiner Schuhe und Pantoffel nehme. In derselben Tangara kocht er dann das Fleisch und Gemüse. Ich habe das Fett sogleich heraus- und ihm in das Gesicht gewischt.«

»Boze daj ci zdrowi! Wenn du das gethan hast, so wird er – — —«

»Keine Sorge, Effendi!« fiel Halef ein. »Es hat ihm nichts geschadet. Er leckte es ab, und es schien ihm gut zu schmecken. Während er dies that, sah ich mich weiter um und entdeckte ein Miklaja[146] von Kupfer, in welchem er das Fleisch zu braten pflegt. Jetzt hatte er ein Marham[147] zur Vertreibung der in seinem Bette wohnenden Bakk[148] darin bereitet. Ich habe ihm diese Salbe auf das erste Fett gestrichen. Sodann – — – «

»Halt ein!« unterbrach ich ihn. »Ich will nichts weiter hören. Du wirst jetzt noch einmal fortgehen und die Gefäße kaufen, welche du für heut nötig hast, und sie dann dem Dicken als Geschenk verehren, was, wie ich hoffe, dir seine Zuneigung wiederbringen wird.«

»Ich darf mich also als den Gebieter der Küche betrachten?«

Er erhielt durch ein Kopfnicken die Einwilligung des Wirtes und entfernte sich. Der letztere befand sich in größter Verlegenheit und bemühte sich, den Eindruck, welchen der Bericht des Hadschi auf mich hatte hervorbringen müssen, durch Entschuldigungen abzuschwächen.

Ich half ihm schnell darüber hinweg, zumal der Hauptgrund dieser Mißwirtschaft in seiner Armut zu bestehen schien. Wir unterhielten uns in deutscher Sprache über mein und sein Vaterland, welch letzteres, nämlich Polen, er noch jetzt glühend zu lieben schien. Er fragte mich auch, ob ich die Absicht habe, heut noch auszugehen oder auszureiten. Ich verneinte dies, und so machten wir einen Spaziergang in den Garten, wobei ich Gelegenheit nahm, mich zu überzeugen, daß es unsern Pferden an nichts gebrach. Der Bimbaschi war ein leidlicher Kenner und sprach sich begeistert über die edlen Tiere aus.

Als wir dann in das Haus zurückkehrten und an der Küchenthür vorübergingen, blieben wir einen Augenblick stehen, um zu lauschen. Wir hörten das Feuer prasseln, dann Topfgeklirr und dabei die Stimme des Dicken:

»Laß die Salsa[149] ja nicht überlaufen, denn ich sage dir, verehrter Scheik der Haddedihn, daß es schade um jeden Tropfen ist, welcher verloren geht! Ich sehe, daß du ein wahrer Aschschi el Aschschiji[150] bist und freue mich wie ein Sultan auf dieses Essen.«

Der Bimbaschi schmunzelte, und auch ich war befriedigt über das gute Einvernehmen, welches sich, nach diesen Worten zu schließen, zwischen den beiden eingestellt hatte. Wir saßen noch nicht lange wieder in dem Zimmer, so kam Kepek hereingestampft und fragte seinen Herrn:

»Effendi, das Mahl wird bald beginnen, und der Hadschi behauptet, daß ich ihm in der Küche nur im Wege sei. Darf ich mich hier niedersetzen, wie ich es immer darf, wenn wir nichts zu thun haben?«

Der Alte sah mich fragend an. Ich konnte mir denken, daß die beiden einsamen Menschen so oft wie möglich beisammen saßen, weil einer auf den andern angewiesen war, und wollte sie nicht zu einer Ausnahme wegen uns veranlassen; darum antwortete ich dem Onbaschi, der jetzt viel sauberer aussah als vorher:

»Setz dich nieder; wir haben nichts dagegen!«

Er nahm uns gegenüber Platz, aber wie! Zunächst drehte er sich nach der Wand um, an welche er die Hände stemmte; dann ließ er diese langsam niedergleiten, wobei er sich nicht bückte, sondern den Körper in steifer Haltung folgen ließ, so daß die Füße von dem an der Mauer liegenden Kissen wegrutschten. In dem Augenblicke, wo er sich wegen seiner Schwere nicht mehr halten konnte und also stürzen mußte, warf er sich schnell und mit einer gewaltsamen Bewegung herum und kam infolgedessen mit einem kräftigen – — Plumps, wie Halef sich vorhin ausgedrückt hatte, auf das Kissen zu sitzen. Bei dem Anblicke, den er dort bot, kostete es mich Mühe, das Lachen zu verbeißen. Der Bauch lag ihm wie ein den Kaftan auftreibender Luftballon auf den Oberschenkeln, und er pustete mit vor Anstrengung hochrot gewordenem Gesichte wie eine Sekundärbahnlokomotive, wobei er sich vergeblich bemühte, die Unterschenkel mit den unzureichenden Flügeln des Gewandes zu bedecken. Als er wieder zu Luft gekommen war, stieß er einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus und sagte:

»So! Jetzt stehe ich nicht eher wieder auf, als bis ich vollständig satt geworden bin!«

»Hast du Hunger?« fragte sein Herr.

»Hunger bloß? Allah w‘ Allah! Es ist noch mehr, viel mehr als Hunger, Effendi. Wenn man diesen Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar so eifrig und appetitlich in der Küche herumhantieren sieht, so laufen einem alle möglichen Wasser des Himmels und der Erde im Munde zusammen. Der versteht‘s, oh, der versteht‘s! Ich möchte ihn ohne Unterlaß kochen sehen und immer und immer, ohne Aufhören von ihm essen!«

Er schnalzte mit der Zunge, machte das allerseligste seiner Gesichter und fuhr fort:

»Uebrigens ist er ganz und gar nicht so schlimm, wie ich dachte. Erst räsonnierte er so schrecklich, daß ich das Gleichgewicht meines Daseins verlor und mich dann, auf dem Boden sitzend, wiederfand. Dann untersuchte er die Gefäße, mit deren Bestimmung er leider selbst jetzt noch nicht einverstanden ist. In diesem Mangel an Kenntnis der Notwendigkeiten verwechselte er den Gegenstand mit der Person und strich mir erst die wohlzubereitete Erquickung der Schuhe und Pantoffel und dann die ganze Vertreibung des beißenden Ungeziefers in das Gesicht. Hierauf ging er erst zu euch und dann fort, um Pfannen und Töpfe zu holen. Den Schlüssel zur Pforte hatte er mir schon vorher abverlangt.«

Er holte Atem, schob den überhängenden Bauch soviel wie möglich zurück und fuhr dann fort:

»Ich konnte mich nicht erheben und blieb also sitzen, bis er wiederkam. Da zeigte er mir die Herrlichkeiten des Töpfers und sagte, daß er mir dies alles schenken werde, wodurch der Zorn meines Herzens in eine wohlthuende Rührung der Empfänglichkeit meiner Seelenstimmung verwandelt wurde. Nun holte er Wasser, machte Feuer und setzte das Fleisch und Gemüse an Ort und Stelle. Ich erkannte dabei, daß er kein Unkundiger sei, doch wurde diese gute Meinung später nicht nur bestätigt, sondern übertroffen. Als er mit dieser Besorgung des Herdes fertig war, holte er abermals Wasser, nahm die Seife, welche er auch mitgebracht hatte, und widmete mir eine reinigende Säuberung der Persönlichkeit, welche mich mit seltener Wohlthuung erfüllte und mir zwar erst als überflüssig erschien, ihm aber nachher mein ganzes Wohlwollen gewann. Dann war er mir behilflich, aufzustehen, und beehrte mich mit dem Auftrage, das Feuer nicht ausgehen zu lassen und durch die fortgesetzte Rührung des Löffels den Reis vor dem Anbrennen zu bewahren. Während dieser Beschäftigung näherten sich unsere Seelen einander immer mehr; ich bemerkte in der Tiefe meines Innern, daß ich ihn lieb gewann, und als er mich das erste, wohlgeratene Stück Maschwi[151] hatte kosten lassen, konnte ich nicht anders, ich mußte ihn umarmen, worauf er mich dann höflich ersuchte, hierher zu euch zu gehen und den er warteten Genüssen mit der Ruhe innigster Zufriedenheit entgegenzusehen, was ich ihm zu Ehren hiermit thue.«

Als er dies sagte, war ihm diese innige Zufriedenheit sehr deutlich anzusehen, und als der Bimbaschi sich erkundigte, ob er wirklich so einverstanden mit Halef sei, antwortete er:

»Das versteht sich ganz von selbst. Man kann nicht anders als ihm Liebe und Verehrung zollen. Er ist eine Perle, ein schön geschliffener Edelstein, ein glänzendes Juwel. Wem es vergönnt ist, zuzusehen, wie er das Mafruhm[152] oder gar die abgezogenen Katahkit[153] zu behandeln versteht, der kann sich selbst über die Vortrefflichkeit nicht wundern, mit welcher sich die Leber des Hammels unter seinen Händen in alle Wohlgeschmäcke und Wohlgerüche des Paradieses verwandelt. Als ich ihn fragte, wem er diese große, unvergleichliche Kunst abgelauscht habe, teilte er mir mit, daß er erst ein Vorbild und dann eine Lehrerin gehabt habe; das Vorbild sei sein Emir Hadschi Kara Ben Nemsi gewesen, und die Lehrerin heiße Hanneh, die lieblichste Blume unter allen freundlichen Blüten des Frühlings und der anderen Jahreszeiten, nur allein den Winter abgerechnet. O Emir Kara Ben Nemsi, wenn dieser Halef diese Fertigkeit der Zubereitung und diese feine Sicherheit der schmeckenden Zunge auch dir zu verdanken hat, wie mußt da du erst kochen und braten können! Wirst du vielleicht die Gnade haben, uns morgen ein Beispiel davon zu liefern?«

135Korporal.
136Major.
137Geburtsfest.
138Araber.
139Kaffeemörser.
140Niedriges Serviertischchen.
141Kaffeekanne.
142Rose von Schiras.
143Großvater des Schmutzes.
144Behörde der Küche.
145Thönerne Pfanne zum Kochen.
146Kasserolle.
147Salbe.
148Wanzen.
149Brühe.
150Garkoch der Garköche.
151Gebratenes Fleisch.
152Gehacktes Fleisch.
153Plural von Katkuhta = Küken.