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Im Reiche des silbernen Löwen I

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Aber was sonst thun? Dschafar mußte befreit werden! Sehr einfach! Da seitwärts unter mir lag ja der Häuptling. Ich wagte zwar auch mein Leben, wenn ich versuchte, mich seiner zu bemächtigen, aber er war doch leichter zu bekommen, als der Perser, und wenn mir der Streich gelang, so war der Gefangene so gut wie gerettet, beide konnten gegen einander ausgelöst werden. Lächerlich! Wieder Auslösung! Ich hatte nur immer die Fehler anderer gut zu machen.

Ich zauderte nicht lange. Nachdem ich mich noch einmal überzeugt hatte, daß es hier unter mir dunkel genug war und niemand seine Aufmerksamkeit nach dieser Stelle richtete, ließ ich das freie Ende meines Lasso, welcher mehr als lang genug war, hinab und turnte mich an demselben hinunter. Unten angekommen, lauschte ich eine Weile; es regte sich nichts; der Häuptling lag nur wenige Schritte von mir entfernt. Er mußte schlafen, denn wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, so hätte er das von mir verursachte Geräusch hören müssen. Ich hatte es nicht vermeiden können, im Hinabklettern an den Felsen zu streifen, zwar nicht sehr laut, aber doch so, daß es für ein wachsames Ohr in dieser geringen Entfernung vernehmlich war.

Nun legte ich mich auf die Erde nieder und kroch zu ihm hin. Er lag mit dem Kopfe an dem Felsen. Als ich mein Ohr nahe an sein Gesicht gebracht hatte, hörte ich seine leisen, regelmäßigen Atemzüge. Jetzt richtete ich mich halb auf, legte ihm die linke Hand fest um den Hals und gab ihm zu gleicher Zeit zwei Faustschläge gegen die rechte Seite seines Kopfes. Es ging ein krampfhaftes Zucken durch seinen Körper; dann lag er still. Auch als ich meine Hand von seinem Halse nahm, regte er sich nicht.

Die erste Hälfte meines beabsichtigten Streiches war gelungen; nun galt es, ihn unbemerkt nach oben zu schaffen. Ich richtete mich also ganz auf, hob ihn empor und trug ihn nach der Stelle, an welcher der Lasso hing. Dort legte ich ihn wieder nieder und sah nach dem Wachtfeuer hin. Man hatte dort jedenfalls nichts bemerkt, aber ich sah, daß grad in diesem Augenblicke ein Roter vom Feuer aufstand und sich langsamen Schrittes so ziemlich in der Richtung, in welcher ich mich befand, von demselben entfernte. Das war gewiß nur Zufall, konnte mir aber verderblich werden.

Ich hatte den Häuptling vor allen Dingen fesseln und knebeln wollen; dazu gab es aber jetzt keine Zeit, denn ehe ich damit fertig wurde, konnte der Wächter bei mir sein. Zwar wäre es mir wohl möglich gewesen, ihn unschädlich zu machen, aber ob dies ohne alles Geräusch geschehen würde, das war zweifelhaft; ich mußte also schnell fort.

Darum zog ich dem Häuptling das Lassoende unter den Armen hindurch, machte einen Knoten und kletterte dann an dem festen, fünffach geflochtenen Riemen in die Höhe. Oben angekommen, sah ich mich zunächst nach dem Wächter um. Er befand sich schon in der Nähe. Wenn er so wie jetzt weiterging, kam er nicht ganz nahe an den Felsen heran, sondern in einer Entfernung von vielleicht fünfzehn Schritten an demselben vorbei. Ich dachte zunächst, ihn vorüber zu lassen, gab aber diesen Gedanken schnell wieder auf, denn sein scharfes Auge konnte den Häuptling doch vielleicht bemerken. In diesem Falle mußte er sich sagen, daß To-kei-chun sich jetzt an einer andern Stelle befand, was doch einen Grund haben mußte; es war also anzunehmen, daß er herbeikommen werde. Darum beeilte ich mich, den betäubten Häuptling zu mir heraufzuziehen.

Er war nicht leicht, und leider bestand die Felskante, über welche der Lasso streifte, nicht aus hartem Gestein; sie war verwittert; es löste sich ein Stück ab und fiel hinunter. Das gab ein Geräusch, welches der Rote hörte. Er kam sofort mit raschen Schritten näher. Der Häuptling hing vielleicht noch zwei Ellen unter mir; ich beeilte mich, ihn vollends heraufzubringen, was nicht ohne Geräusch geschehen konnte. Der Rote hörte es und sprang schnell bis zum Felsen hervor. An demselben emporblickend, mußte er trotz der Dunkelheit den am Lasso über ihn hängenden Körper sehen.

»Uff!« stieß er überrascht hervor und eilte nach der Stelle hin, wo der Häuptling gelegen hatte. Als er sah, daß dieser fort war, kam er wieder herbei.

»Was thut To-kei-chun da oben?« fragte er, grad als ich den Genannten über die Kante auf den Felsen zog. »Kann der Häuptling der Comantschen fliegen?«

Es erfolgte natürlich keine Antwort. Das mußte sein Mißtrauen erregen, denn wenn der Mensch, welcher soeben da oben in der Höhe verschwand, wirklich der Häuptling gewesen wäre, so hätte er auf die Frage doch gewiß ein Wort gesagt. Der Indianer wußte augenscheinlich zuerst gar nicht, wie er sich verhalten solle; es war unmöglich, den senkrechten Felsen zu erklettern, und doch hatte er gesehen, daß jemand hinaufgekommen war. Dies mußte der Häuptling sein, der aber nicht geantwortet hatte. Wie war dies zu erklären? Was war da zu thun? Lärm machen? Der Häuptling hatte keinen Laut von sich gegeben und wünschte also wahrscheinlich, daß seine unerklärliche Besteigung des Felsens geheim bleiben solle. Der Wächter wußte also nicht, ob er zu schweigen oder das Lager zu alarmieren habe.

Während er sich in diesem Zweifel befand, band ich To-kei-chun vom Lasso los und schnürte ihm die Füße zusammen und die beiden Arme an den Leib. Dabei kam er leider zu sich. Beim Stillliegen wäre er wahrscheinlich länger bewußtlos geblieben, aber indem ich ihn emporzog, war er mit dem Gestein in eine Berührung gekommen, welche die Betäubung, in der er sich befand, abkürzte. Noch hatte ich seine Arme nicht ganz festgebunden, da bewegte er sich. Daß ihm seine Gliedmaßen nicht gehorchten, brachte ihn noch schneller zur Besinnung, und er öffnete die Augen. Ich war über ihn gebeugt und hatte mein Gesicht so nahe an dem seinigen, daß er mich trotz der Dunkelheit grad in dem Augenblicke erkannte, als der unten stehende Wächter, noch immer mit sich im unklaren, abermals, doch mit unterdrückter Stimme, herauffragte:

»Warum antwortet To-kei-chun nicht? Wie ist er da hinaufgekommen, und was will er oben? Soll vielleicht niemand wissen, daß er sich entfernt?«

Da schrie der Häuptling mit weithin schallender Stimme:

»Old Shatterhand ist da, Old Shatterhand! Er hat mich entführt und gefesselt; helft, helft! Lauft schnell um die Ecke des – — – «

Ich drückte ihm die linke Hand fest auf den Mund, setzte ihm mit der rechten das Messer auf die Brust und raunte ihm drohend zu:

»Schweig! Sag noch ein Wort, so ersteche ich dich!«

Er wußte, daß ich das nicht thun würde, denn erstens kannte er mich als einen Feind des unnützen Blutvergießens, und zweitens durfte ich ihn nicht töten, wenn ich mich seiner als Geisel bedienen wollte. Es kam ihm darauf an, seinen Leuten zu sagen, wie sie sich zu verhalten hatten, und das war für ihn nicht unmöglich, weil er den Kopf bewegen konnte. Indem er ihn schnell auf einander von einer Seite nach der andern drehte, bekam er den Mund frei; ich verschloß ihm denselben zwar schnell wieder mit der Hand, doch kam er immer wieder von derselben los, und so gab es eine Reihe von Momenten, in denen sein Mund bedeckt und unbedeckt war, und er benutzte jeden der letzteren Augenblicke, um in wiederholten Unterbrechungen hinunterzuschreien:

»Lauft um die Ecke – — – bis wo man – — – herauf kann – — ich liege – — – hier auf – — – ich liege – — – hier auf – — – dem Felsen – — – und – — – «

Weiter ließ ich ihn nicht kommen. Ihm jetzt einen Knebel in den Mund zu stecken wäre unmöglich gewesen, weil er die Zähne fest zusammengebissen hätte; ich mußte ihn wieder betäuben, was durch einen tüchtigen Fausthieb geschah.

Die Comantschen waren natürlich alle wach geworden. Es wäre mir sehr lieb gewesen, wenn sie, wie ich von ihnen als Indianern eigentlich erwartete, geschrieen hätten; aber sie verhielten sich klugerweise zunächst so ruhig, daß sie jedes Wort ihres Häuptlings verstanden. Da ich ihm immer den Mund wieder bedeckte, so klangen seine Rufe außerordentlich gefährlich; das versetzte sie in Aufregung, und darum ließen sie, als er nun schwieg, ein Wutgeheul hören, wie man es von menschlichen Lippen für unmöglich halten sollte. Ich hörte, daß sie nach der Richtung liefen, welche er ihnen angegeben hatte. Es lag mir selbstverständlich daran, daß sie seinen Befehl nicht ausführten; darum rief ich, ihr Geschrei übertönend, hinunter:

»Halt! Bleibt stehen, und hört, was ich euch sage!«

Ich horchte; es war nichts zu hören; sie standen also still, und ich fuhr fort:

»Ich bin Old Shatterhand und habe To-kei-chun gefangen genommen. Bleibt ihr ruhig hier im Lager, so wird ihm nichts geschehen; kommt ihr aber herauf, so ersteche ich ihn. Ich will das gefangene Bleichgesicht frei haben. Wenn es Tag geworden ist, werdet ihr hören, was ich von euch und euerm Häuptling verlange!«

Für kurze Zeit herrschte die tiefste Stille unten; sie überlegten. Dann hörte ich eine Stimme:

»Uff! Old Shatterhand tötet keinen wehrlosen Gefangenen. Meine Brüder mögen thun, was To-kei-chun befohlen hat!«

»Uff, uff, uff, hiiiiiiiiiih!« antworteten ihm die andern, indem sie das Kriegsgeheul erschallen ließen, und ich hörte, daß sie fortrannten.

Die Lage, in der ich mich nun befand, war nicht beneidenswert. Es war richtig: ich hatte nicht die Absicht, mich an dem Leben des Häuptlings zu vergreifen; meine Drohung, ihn zu töten, hatte keinen Erfolg; sie kamen herauf. Aber den Häuptling tragen und mit dieser Last in dunkler Nacht und bei dem außerordentlich schwierigen Terrain den Verfolgern entgehen, das war keine Kleinigkeit. Ja, wenn es mir gelungen wäre, ihn unentdeckt zu entführen, so hätte ich mir Zeit nehmen können; nun aber mußte ich mich beeilen, und das machte die Sache gefährlich.

Ja, wenn sie alle fortgelaufen wären, so hätte das Entkommen für mich gar keine Schwierigkeiten gehabt. In diesem Falle wäre ich mit meinem Gefangenen wieder von dem Felsen hinunter, um die Flucht über den verlassenen Lagerplatz hinaus auf die Ebene zu nehmen und in einem Bogen die Stelle zu erreichen, wo meine Gefährten sich befanden. So kühn dies klingen mag, so ungefährlich wäre es gewesen. Leider aber war eine Anzahl von ihnen zurückgeblieben; fünf oder sechs befanden sich am Feuer bei dem Gefangenen, um diesen nun um so strenger zu bewachen, und die andern, wohl mehr als zehn, standen unten, dem Felsen gegenüber, und richteten ihre Aufmerksamkeit herauf zu mir. Da konnte ich freilich nicht hinab.

 

Es blieb mir also nichts übrig, als die gefährliche Kletterpartie zu unternehmen. Dabei mußte ich die Arme frei haben, um mich meiner Hände bedienen zu können; ich war gezwungen, den Häuptling auf dem Rücken zu tragen, ihn mir dort festzubinden. Als dies mit Hilfe des Lassos und nach Ueberwindung der dabei erklärlichen Schwierigkeiten geschehen war, trat ich den Rückzug an, und zwar auf demselben Wege, der mich heraufgeführt hatte und den ich kannte.

Das Geheul der Indianer war verstummt, und ich hörte nichts als das Geräusch, welches ich selbst verursachte und welches zu vermeiden eine Unmöglichkeit war. Wie oft mußte ich mich an Felsenzacken und Bäumen anhalten, um nicht zu stürzen! Da krachten dürre Aeste, da rollten Steine, die ich lostrat, in die Tiefe. Das mußten die Roten hören, die sich jetzt so ruhig verhielten. Sie kamen lautlos heraufgestiegen, und der von mir verursachte Lärm zeigte ihnen den Weg zu mir. Die einzige Hoffnung, welche ich hatte, beruhte auf der Beschaffenheit der Oertlichkeit. Ich kannte meinen Weg, und ihnen mußte es viel schwerer werden, die Hindernisse, welche ihnen das unbekannte Terrain entgegenstellte, zu überwinden.

So kam ich weiter und weiter, bald aufrecht gehend, bald unter und zwischen den Bäumen kriechend, bald Felsen erkletternd und bald steile Senkungen hinabrutschend, und das alles mit dem Häuptlinge auf dem Rücken.

Unglücklicherweise hatte dieser noch immer keinen Knebel im Munde. Vorhin, als ich ihn zum zweitenmal betäubte, hatte ich versucht, ihm den Mund zu öffnen; dieser war aber so fest zu, daß ich ihn nur mit dem Messer hätte aufbrechen können, und das wollte ich nicht. Nun kam ihm das Bewußtsein zurück; das merkte ich aus den Bewegungen, welche er machte. Die Arme vom Körper zu nehmen und die Füße auseinander zu bringen, das vermochte er nicht; aber er konnte die Beine, trotzdem sie zusammengebunden waren, auf und nieder bewegen, indem er die Kniee bog, und das that er so kräftig wie möglich, um mir seine Füße von hinten in die Kniekehlen zu stoßen. Dies erschwerte mir die Kletterei bedeutend, aber ich kam doch vorwärts. Da fiel es ihm ein, daß es besser sei, mit dem Munde zu arbeiten, als mit den Beinen, und er schrie:

»Hierher, hierher, ihr Krieger der Comantschen! Hier bin ich; hier schleppt er mich!«

»Schweig!« herrschte ich ihm zu. »Es ist mir Ernst; wenn du nicht ruhig bist, so ersteche ich dich!«

»Stich doch zu!« antwortete er in höhnischem Tone. »Wie willst du den Gefangenen frei bekommen, wenn du mich ermordet hast?«

Er schrie also weiter, nur zuweilen eine Pause machend, um Atem zu holen und dann um so lauter zu brüllen. Da mußte ich freilich seinen Leuten in die Hände laufen. Darum zog ich das Messer, setzte ihm die Schneide desselben an die Kehle und drohte:

»Hörst du nicht sofort auf, so schneide ich dir die Gurgel durch!«

Wie sehr der Kerl sich auf meine Menschlichkeit verließ, bewies er dadurch, daß er, obgleich er die scharfe Klinge an seinem Halse fühlte, doch antwortete:

»Schneiden? Du wolltest doch stechen! Du wirst weder das eine noch das andere thun! Hier bin ich, ihr Comantschen, hier! Kommt hierher; hierher müßt ihr kommen!«

Das mußte anders werden; so durfte es nicht weiter gehen, denn dieses Gebrüll zeigte nicht nur seinen Leuten an, wo ich mich befand, sondern machte es mir auch unmöglich, ihre Schritte zu hören, wenn sie in meine Nähe gelangten. Sollte ich ihn zum drittenmal betäuben? Das war eine ungewisse Sache; es gelingt nicht jedesmal, und ich konnte ihn auch erschlagen; außerdem hätte ich ihn losbinden müssen, weil ich ihn auf dem Rücken trug, und dabei wäre eine kostbare Zeit vergangen. Ich langte also mit dem Messer über meine Schulter hinunter, setzte ihm die Spitze auf den oberen Teil der Brust und sagte:

»Ich steche wirklich, wenn du nicht gleich schweigst!«

»Stich zu, stich zu!« war seine Erwiderung.

»Gut, du willst es so!«

Ich stach, doch nicht tief.

»Hund!« brüllte er.

»Noch ein Wort, so fährt dir die Klinge bis ans Heft in den Leib!«

Da war er still, und ich blieb einige Augenblicke stehen, um zu lauschen. Es regte sich nichts. Aber jetzt – — ja, da klangen unterdrückte Stimmen zu mir herauf, nicht von der Lehne des Berges, sondern vom Fuße desselben her. Das verriet mir die Absicht, welche die Roten verfolgten. Der Aufstieg war ihnen zu beschwerlich, vielleicht gar unmöglich gewesen, und die Stimme ihres Häuptlings hatte ihnen verraten, daß ich nicht oben blieb, sondern mit ihm abwärts stieg. Da brauchten sie ja nur unten zuwarten, bis ich hinunterkam, um mich dann zu empfangen. Aber sie wußten die Stelle nicht, an welcher das zu geschehen hatte, und so mußten sie sich verteilen und eine Linie bilden, welche bei meinem Erscheinen schnell zusammengezogen werden konnte. Daher die Stimmen, welche einander jetzt zuriefen.

Jetzt kam es darauf an, ob sie die Linie bis dahin ausdehnten, wo meine Gefährten versteckt lagen. Wenn dies der Fall war, so konnten die letzteren leicht etwas thun, was nicht gutzuheißen war, und darum hatte ich von jetzt an weit mehr Sorge um sie als um mich.

Ich hatte allerdings nun den schwierigsten Teil des Weges zurückgelegt, und der Abstieg ging viel schneller und besser von statten als bisher. In zehn Minuten konnte ich unten sein; da krachte plötzlich ein Schuß, und eine Stimme rief:

»Da hast du etwas für deine Neugierde, roter Schuft! Nun weißt du, wer wir sind.«

Das war Jim Snuffles Stimme. Die Indianer hatten also unser Versteck entdeckt. Sollte ich diesen Schuß und Jims Schreien gutheißen oder nicht? Das wußte ich jetzt noch nicht; jedenfalls folgte die Wirkung sofort, denn zunächst erhoben einige Rote ihr Geheul, und dann fielen die andern in dasselbe ein; man hörte daraus die Länge der Linie, welche sie bildeten.

Nach kurzer Zeit hörte ich einen zweiten Schuß, und zwar ein großes Stück von der Stelle entfernt, wo der erste gefallen war, und gleich darauf erklang die Stimme Jims:

»Dieses Krachen kenne ich. Nicht wahr, du hast geschossen, alter Tim?«

»Yes!« lautete die allbekannte kurze Antwort.

»Recht so! Gieb es ihnen! Wollen doch sehen, ob sie uns an den Leib können! Das wäre für sie das höchste der Gefühle!«

Es fielen noch einige Schüsse, auf welche die Roten mit Geschrei antworteten, und ich hörte aus demselben, daß sie sich entfernten. Sie hatten eine Lehre erhalten, welche sie beherzigten. Dann kam ich glücklich unten an. Ich fand nur die Pferde vor und einen der beiden Diener Dschafars.

»Ihr seid allein hier? Wo sind die andern?« fragte ich.

»Fort,« antwortete er. »Die Roten kamen uns zu nahe, und Jim Snuffle war der Ansicht, daß sie vertrieben werden müßten.«

Da hörte ich das Rauschen von Zweigen; es nahten Schritte, und der soeben Genannte kam.

»Sie sind fort,« sagte er, mich nicht sogleich sehend, »und werden wohl nicht gleich wiederkommen. Wenn nur auch Mr. Shatterhand bald käme! Man weiß ja gar nicht, wie es steht. Man konnte aus dem Geschrei da oben nicht so recht klug werden. Es klang beinahe, als ob – — – «

Da fiel sein Auge dahin, wo ich stand; er hielt inne, trat zwei Schritte näher und fuhr dann fort:

»Wetter! Wer ist denn das? So einen dicken Kerl, wie dieser ist, hat man – — – «

»Er scheint nur so dick,« unterbrach ich ihn; »es sind aber zwei Kerls, Mr. Snuffle.«

»Ah, Ihr seid es, Ihr?« rief er erfreut aus. »Gott sei Dank, daß Ihr – — – «

»Still, still!« warnte ich ihn. »Ihr schreit ja so, als ob man Euch unten in Texas hören solle. Wißt Ihr denn nicht, wie nahe uns die Roten sind?«

»Nahe?« lachte er. »Fällt ihnen nicht ein! Ja, sie waren nahe, sind es aber nicht mehr.«

»Wißt Ihr das genau?«

»Yes! Habe sie mit diesen meinen eigenen Augen ausreißen sehen. Kamen so am Fuße des Berges entlang, immer einer hinter dem andern. Wollten wahrscheinlich eine Kette bilden, um Euch aufzufangen; wir aber rollten sie auf.«

»Und das ist gelungen?«

»Yes, vorzüglich gelungen. Mein alter Tim ist mit den andern hinter ihnen her; ich aber kam hierher, um Euch zu erwarten. Wer ist denn der Kerl, den Ihr auf dem Rücken habt?«

»Sollt es gleich sehen. Habe ihn Euch noch nicht gezeigt, weil ich vor allen Dingen wissen mußte, ob wir hier sicher sind.«

»So sicher wie die Sardine im Olivenöl. Ihr könnt Euch darauf verlassen.«

»So nehmt ihn mir vom Rücken herunter! Habt Ihr ihn denn nicht an seiner Stimme erkannt, als er vorhin schrie? Er hat doch laut genug gebrüllt.«

»Weiß ich denn, ob es derselbe ist! Vorhin schien es der Häuptling zu sein.«

Er faßte den Gefangenen an und ließ ihn, als ich den Lasso aufgeknüpft hatte, langsam auf den Boden nieder; dann blickte er ihm in das Gesicht und rief erstaunt aus:

»Wetter! Das ist ja To-kei-chun, der alte Teufel! Wie seid Ihr denn zu dem gekommen?«

»Werde es Euch erzählen, wenn wir Zeit dazu haben.«

»Durch Zufall wohl?«

»Nein.«

»Also mit Absicht?«

»Ja.«

»Unmöglich! Ihr wollt doch nicht etwa sagen, daß Ihr in der bestimmten Absicht von uns fortgegangen seid, den Roten ihren geliebten Häuptling zu stehlen?«

»Das nicht. Ich ging, um Mr. Dschafar herauszuholen; dies war aber unmöglich, weil er zu scharf bewacht wurde. Da habe ich mir den Häuptling ausgebeten, was ganz dasselbe ist, denn wenn wir ihn haben, so ist es grad so gut, als ob wir Mr. Dschafar hätten.«

»Das ist wieder so ein Meisterstück, ja, ganz gewiß ein Meisterstück von Euch, Mr. Shatterhand!«

»Bin leider dazu gezwungen.«

»Gezwungen? Wieso?«

»Weil andere Leute nur Gesellen- oder gar bloß Lehrlingsstücke liefern.«

»Wem gilt das, Sir? Doch nicht etwa mir?«

»Auch mit.«

»Oho! Ist es etwa ein Lehrbubenstreich, daß ich die ganze Linie der Roten mit so wenig Mann aufgerollt habe?«

»Wenn es wirklich so ist, wie Ihr sagt, so will ich es loben.«

»Es ist so, Mr. Shatterhand. Ihr seid also mit mir zufrieden?«

»Ja und nein.«

»Warum nein?«

»Die Indsmen kamen vorhin doch wohl nicht ganz bis hierher?«

»Nein.«

»Wie nahe waren sie?«

»Wohl an die fünfhundert Schritte weit von hier; da wollten sie sich häuslich niederlassen, bis Ihr kommen würdet.«

»Warum seid Ihr denn eigentlich hin, um sie von dort zu vertreiben?«

»Natürlich Euertwegen!«

»Meinetwegen? Das kann ich leider nicht begreifen.«

»Nicht? Ihr seid doch sonst nicht so schwer von Begriffen! Wir haben sie fortgejagt, weil sie es auf Euch abgesehen hatten.«

»Ihr glaubtet also, daß sie mich erwischen würden?«

»Yes.«

»Sonderbarer Knabe, der Ihr seid, Mr. Snuffle! Von wo aus habe ich denn eigentlich meinen Weg angetreten?«

Von hier aus.«

»Und nach welchem Orte wollte ich denn zurückkehren?«

»Nach hier.«

»Well! Was gingen Euch da die Roten an?«

Er starrte mich, ganz verwundert über diese Frage, eine Weile an und antwortete dann:

»Was sie uns angingen? Sir, ich weiß da wirklich nicht, was Ihr wollt!«

»Hm! Die Indianer bildeten eine lange Linie. Derjenige von ihnen, welcher Euch am nächsten war, befand sich an die fünfhundert Schritte weit von hier. Konnten sie mich da fassen?«

»Ob sie – — fassen? – — hm! – — Wetter! – — – eigentlich nicht, Mr. Shatterhand,« erklärte er verlegen.

»Hattet Ihr also Grund, sie zu vertreiben?«

»So wichtigen Grund wohl nicht. Aber es kommt Euch doch wohl nicht bei, das, was ich gethan habe, einen Fehler zu nennen?«

»Ja, grad das kommt mir bei!«

»Hört, das möchte ich mir verbitten! Das, was andre Leute, als Ihr seid, thun, braucht nicht deswegen immer und stets fehlerhaft zu sein!«

»Fällt mir gar nicht ein, so etwas zu behaupten; aber höchst wahrscheinlich seid Ihr vernünftig genug, einzusehen, daß ihr durch Euer Vorgehen unser Versteck verraten habt?«

»Verraten? Unser Versteck? Hm, hm, hm! Meint Ihr das wirklich?«

»Gewiß! Wenn Ihr Euch hier ruhig verhalten hättet, wüßten die Indianer gar nicht, wo wir uns befinden.«

»Mag wohl so sein!«

»Ja, noch mehr: sie wüßten gar nicht, ob ich allein hier bin oder Euch auch mitgebracht habe. Das gebt Ihr hoffentlich zu?«

»Gern nicht, Sir.«

 

»Nicht gern, aber doch. Ihr seid ja dazu gezwungen.«

»Ich meine aber doch, es ist ganz egal, ob sie wissen oder nicht, wo wir stecken.«

»Da irrt Ihr Euch. Es ist ganz und gar nicht egal, ob sie das wissen oder nicht. Wenn sie es nicht erfahren hätten, so wüßten sie nicht, wohin sie ihre Aufmerksamkeit zu richten haben; nun aber haben sie es erfahren, und wie ich sie kennen gelernt habe, werden sie sich das zu nutze machen.«

»Möchte wissen, wie?«

»Denkt nach, so werdet Ihr darauf kommen!«

»Ich meine, daß ich es auch ohne Nachdenken von Euch erfahren kann.«

»Ja, es würde mir aber lieber sein, wenn Ihr es durch Euern eigenen Genius fändet.«

»Geht mir mit dem Genius! Ein Stück gute Büffellende ist mir lieber.«

»Das glaube ich Euch, ohne daß Ihr es mit einem Eid bekräftiget. Die Roten haben Mr. Dschafar in ihren Händen, und ich habe ihren Häuptling gefangen genommen. Was werden sie denken, daß nun geschieht?«

»Daß beide gegeneinander ausgewechselt werden sollen.«

»Richtig!«

»Dabei kommen sie noch sehr gut weg, denn ihr Gefangener ist ein gewöhnlicher Mann, wenigstens nach ihren Begriffen, während der unserige ein Häuptling ist. Sie werden also gern auf unser Verlangen eingehen.«

»Sobald es Tag geworden ist, ja, eher aber nicht.«

»Meint Ihr? Warum nicht eher?«

»Am Tage können sie nichts mehr gegen uns thun; die Nacht aber können sie zu einem Streiche gegen uns ausnützen.«

»Uns etwa überfallen?«

»Gewiß. Wenn es ihnen gelingt, ihren Häuptling zu befreien, brauchen sie Mr. Dschafar nicht herzugeben.«

»Das sollen sie nur einmal versuchen!«

»Warum nicht?«

»Wir würden sie mit zerschossenen Köpfen fortschicken. Ich wollte sehr, sie thäten es; das wäre mir das höchste der Gefühle.«

»O, ich bin überzeugt, daß sich in diesem Falle noch ganz andere Gefühle einstellen würden, die nicht zu den höchsten gehören. Bei Tage können sie uns nicht überfallen, sich nicht an uns wagen; da fürchten sie sich vor uns; das ist ja längst erwiesen. Aber des Nachts kann ihnen ein solcher Streich gelingen.«

»Nein!«

»Doch!«

»Wir werden aufpassen!«

»Das nützt uns nichts. Was hilft uns alle Aufmerksamkeit, wenn sie uns einschließen?«

»Einschließen? Hm! Und wenn sie das thäten, würden wir uns wehren!«

»Am Tage, ja; aber wie wollt Ihr Euch des Nachts gegen einen Feind wehren, den Ihr nicht sehen könnt?«

»Aber Sir, wir sind ja geschützt, wir sind rückenfrei!«

»Ja, wir haben hier hinter uns den steilen, bewaldeten Berg, von welchem aus sie uns des Nachts nicht angreifen können.«

»Und der uns auf alle Fälle eine Zuflucht bietet.«

»Ihr seid wirklich ein großer Stratege, Mr. Snuffle, und ein noch viel größerer Taktiker!«

»Pshaw! Wenn Ihr Euch über mich lustig machen wollt, so thut es immerhin; es ist ein sehr billiges Vergnügen!«

»Ich treibe keinen Scherz, sondern ich spreche sehr im Ernste. Die Roten wissen, wo wir stecken. Wir liegen hier am Rande der Ebene, am Fuße des Berges. Sie brauchen nur eine Linie zu bilden, welche links von uns einen Halbkreis hinaus in die Ebene zeichnet, der rechts von uns wieder an den Berg stößt, so sind wir eingeschlossen.«

»Und Ihr meint, sie greifen uns dann an?«

»Ja.«

»Das sollen sie nur wagen!«

»Sie wagen gar nicht viel. Sie ziehen den Halbkreis enger und enger zusammen, bis er keine Lücke mehr aufweist, und fallen dann plötzlich über uns her.«

»Da wehren wir uns!«

»Pshaw! Womit?«

»Mit den Gewehren.«

»Schießt doch einmal des Nachts auf jemanden, den Ihr nicht seht!«

»So lassen wir sie so nahe herankommen, daß wir sie sehen.«

»Dann ist es für die Gewehre zu spät; sie nützen uns nichts mehr.«

»So nehmen wir die Messer!«

»Also Nahekampf? Da sind sie uns überlegen, siebzig Krieger gegen unsere wenigen Leute! Euern Mut und Eure Tapferkeit in allen Ehren; ich stelle auch meinen Mann; aber wenn in der Nacht in einem einzigen Augenblicke siebzig Indianer auf uns eindringen, so sind wir verloren; wir werden zwar einige von ihnen erstechen oder erschießen, werden aber gewiß binnen wenigen Minuten niedergemacht.«

»So fliehen wir in den Wald, da den Berg hinauf; da können sie uns nicht folgen!«

»Und die Pferde lassen wir zurück?«

»Die könnten wir freilich nicht mitnehmen.«

»Ich wiederhole es: Ihr seid ein sonderbarer Heiliger, Mr. Snuffle! Das günstigste, was von uns hier geschehen kann, ist, daß wir fliehen. Seht Ihr ein, daß wir nicht hier bleiben können?«

»Vielleicht doch. Es fragt sich sehr, ob sie auf den Gedanken kommen werden, uns einzuschließen und zu überfallen.«

»Sie kommen darauf; das mögt Ihr nur immer glauben. Wir müssen fort, weil Ihr durch Euern Angriff unser Versteck verraten habt.«

»Es ist doch zum Teufel, daß ich immer unrecht haben muß!« knurrte er.

»O, das würde noch gehen; aber unrecht thun, das ist schlimmer. Fehlerhaft denken, das kann vorkommen, aber fehlerhaft handeln, das soll nicht vorkommen. Ich sage – — – «

Meine Rede wurde dadurch unterbrochen, daß Tim Snuffle kam.

»Höre, alter Jim,« sagte er, »es scheint, als ob die Roten – — – ah, da seid Ihr ja selbst, Mr. Shatterhand! Wer liegt hier?«

»To-kei-chun,« antwortete ich.

»Wetter! Habt ihn gefangen?«

»Ja.«

»Well, großartig, unvergleichlich! Wißt wohl schon alles?«

»Ja. Ihr kommt, um etwas zu melden?«

»Yes.«

»Was?«

»Es scheint, die Indsmen haben was vor.«

»Woraus schließt Ihr das?«

»Kriechen langsam in die Ebene hinaus.«

»Ah, dachte es! Hört Ihr es, Jim, daß ich recht hatte. Sie beginnen, den Plan auszuführen, von dem ich sprach. Macht schnell, daß Ihr die andern holt. Sie sollen leise hierherkommen und sich zum Aufbruche fertig machen. Ich will den Indsmen indessen einen Zaum anlegen.«

Ich nahm den Henrystutzen und ging fort, zwischen den Sträuchern hinaus auf die offene Prairie. Dort legte ich mich nieder und kroch weiter, gerade fort, auf dem Radius des Halbkreises, den nach meinem Vermuten die Indianer zu bilden im Begriffe standen. Als ich weit genug gekommen zu sein glaubte, hielt ich an und wartete. Ja, richtig, da kamen sie von links herüber in gebückter, hockender Körperhaltung, langsam, einer hinter dem andern. Als der vorderste von ihnen noch vier Schritte entfernt war, gab ich, doch ohne auf ihn oder einen andern zu zielen, drei oder vier Schüsse ab und rief:

»Zurück! Hier ist Old Shatterhand! Wer wagt sich weiter?« Ein mehrstimmiger Schreckensruf erscholl, und die Kerls verschwanden. Ich gab noch einige Schüsse hinter ihnen her, stand dann auf und eilte nach unserm Verstecke zurück.

Dort waren die Gefährten jetzt alle beisammen. Sie hatten natürlich meine Schüsse gehört, und Tim Snuffle fragte:

»Ihr habt geschossen, Sir. Auf wen?«

»Auf die Roten natürlich! Oder meint Ihr etwa, daß ich mir das Vergnügen gemacht habe, einige Fixsterne vom Firmament herunterzuschießen?«

»War freilich eine überflüssige Frage! Die Comantschen kamen also wirklich?«

»Ja.«

»Und dann?«

»Sie rissen aus.«

»So können wir also nun hier bleiben?«

»Nein, denn ich bin überzeugt, daß sie den Versuch wiederholen werden, nur in weiterer Entfernung von hier. Machen wir also, daß wir fortkommen!«

Der Häuptling hatte alles gehört, was gesprochen worden war; ich glaubte, keinen Grund zu haben, es vor ihm geheim zu halten. Er hatte weder ein Wort gesagt, noch sonst ein Lebenszeichen von sich gegeben. Ich ließ ihn mir, nachdem ich meine Gewehre übergehängt und mein Pferd bestiegen hatte, heraufgeben und nahm ihn quer vor mir auf das Tier; dann ritten wir fort, hinaus auf die Ebene, bis wir die Stelle erreichten, wo wir bei unserer vorigen Anwesenheit den jetzt wieder gefangenen Häuptling schon einmal ausgetauscht hatten. Dort stiegen wir ab, hobbelten unsere Pferde an und setzten uns nieder. Den Comantschen nahmen wir in unsere Mitte. Jetzt erst fand ich Zeit, zu erzählen, auf welche Weise ich den Häuptling in meine Gewalt bekommen hatte. Die Gefährten hörten mir staunend zu, denn keiner von ihnen hätte das gewagt, was mir so leicht geworden war. Das Schwierigste dabei war ja der Rückweg gewesen. Es wurde mir allgemeines Lob zu teil; To-kei-chun aber, der jedes Wort auch gehört hatte, knirschte mit den Zähnen.