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Durch die Wuste

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Achtes Kapitel: Am Tigris

»Schrecklich wird der Herr über sie sein; denn er wird alle falschen Götter vertilgen, und es sollen ihn anbeten alle Inseln der Heiden, ein jeglicher an seinem Ort. Und er wird seine Hand ausstrecken über die Mitternacht, um Assur umzubringen. Niniveh wird er öde machen und so dürre wie eine Wüste, daß darinnen sich lagern werden allerlei Tiere der Heidenländer; auch Rohrdommeln und Kormorans werden wohnen auf den Türmen und in den Fenstern singen, und die Raben auf den Balken, denn die Oede wird auf den Schwellen sein. Das ist die lustige Stadt, die so sicher war und bei sich sprach: ich bin es und keine mehr. Wie ist sie so wüste geworden, daß die wilden Tiere darinnen wohnen? Wer an ihr vorübergeht, der pfeift sie aus und klatscht mit den Händen über sie!« —

An diese Worte des Propheten Zephanja mußte ich denken, als wir unser Boot beim letzten Schimmer des Tages an das rechte Ufer des Tigris legten. Die ganze Gegend rechts und links vom Strome ist ein Grab, eine große, ungeheure, öde Begräbnisstätte. Die Ruinen des alten Rom und Athen werden vom Strahle der Sonne beleuchtet, und die Denkmäler des einstigen Aegypten ragen als gigantische Gestalten zum Himmel empor. Sie reden verständlich genug von der Macht, dem Reichtume und dem Kunstsinne jener Völker, welche sie errichtet haben. Hier aber, an den beiden Strömen Euphrat und Tigris, liegen nur wüste Trümmerhaufen, über welche der Beduine achtlos dahinreitet, oft ohne nur zu ahnen, daß unter den Hufen seines Pferdes die Jubel und die Seufzer von Jahrtausenden begraben liegen. Wo ist der Turm, welchen die Menschen im Lande Sinear bauten, als sie zu einander sprachen: »Kommt, lasset uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, damit wir uns einen Namen machen!« —? Sie haben Stadt und Turm gebaut, aber die Stätte ist verwüstet. Sie wollten sich einen Namen machen, aber die Namen der Völker, welche diese Stadt nacheinander bewohnten und in dem Turme ihren sündigen Gottesdienst verübten, und die Namen der Dynasten und Statthalter, welche hier im Golde und im Blute von Millionen wühlten, sie sind verschollen und können mit größter Mühe und von unseren besten Forschern kaum noch erraten werden. – —

Wie aber kam ich an den Tigris, und wie in das Dampfboot, welches uns bis unter die Stromschnellen von Chelab getragen hatte?

Ich war mit den Ateïbeh bis in die Wüste En Nahman gezogen, da ich es nicht wagen konnte, mich im Westen des Landes sehen zu lassen. Die Nähe von Maskat verlockte mich, diese Stadt zu besuchen. Ich tat es allein und ohne alle Begleitung, besah mir seine betürmten Mauern, seine befestigten Straßen, seine Moscheen und portugiesischen Kirchen, bewunderte auch die beludschistanische Leibgarde des Imam und setzte mich endlich in eines der offenen Kaffeehäuser, um mir eine Tasse Keschreh munden zu lassen. Dieser Trank wird aus den Schalen der Kaffeebohne gebraut und mit Zimt und Nelken gewürzt. Meine Beschaulichkeit wurde durch eine Gestalt gestört, welche den Eingang verdunkelte. Ich blickte auf und sah eine Figur, welche einer längeren Betrachtung vollständig würdig war:

Ein hoher, grauer Zylinderhut saß auf einem dünnen, langen Kopfe, der in bezug auf Haarwuchs eine völlige Wüste war. Ein unendlich breiter, dünnlippiger Mund legte sich einer Nase in den Weg, die zwar scharf und lang genug war, aber dennoch die Absicht verriet, sich bis hinab zum Kinne zu verlängern. Der bloße, dürre Hals ragte aus einem sehr breiten, umgelegten, tadellos geplätteten Hemdkragen; dann folgte ein graukarierter Schlips, eine graukarrierte Weste, ein graukarierter Rock und graukarierte Beinkleider, eben solche Gamaschen und staubgraue Stiefel. In der Rechten trug der graukarierte Mann ein Instrument, welches einer Verwalterhacke sehr ähnlich war, und in der Linken eine doppelläufige Pistole. Aus der äußeren Brusttasche guckte ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt neugierig hervor.

»Wermyn kahwe!« schnarrte er mit einer Stimme, welche dem Tone einer Sperlingsklapper glich.

Er setzte sich auf ein Senieh, welches eigentlich als Tisch dienen sollte, von ihm aber als Sessel gebraucht wurde. Er erhielt den Kaffee, senkte die Nase auf den Trank, schnüffelte den Duft ein, schüttete den Inhalt auf die Straße hinaus und stellte die Tasse auf den Boden.

»Wermyn tütün, gebt Tabak!« befahl er jetzt.

Er erhielt eine bereits angebrannte Pfeife, tat einen Zug, blies den Rauch durch die Nase, spuckte aus und warf die Pfeife neben die Tasse.

»Wermyn« – – er sann nach, aber das türkische Wort wollte nicht kommen, und Arabisch verstand er vielleicht gar nicht. Daher schnarrte er kurzweg: »Wermyn Roastbeef!«

Der Kawehdschi verstand ihn nicht.

»Roastbeef!« wiederholte er, indem er mit dem Munde und allen zehn Fingern die Pantomime des Essens machte.

»Kebab!« bedeutete ich dem Wirt, welcher sogleich hinter der Türe verschwand, um die Speise zu bereiten. Sie besteht aus kleinen, viereckigen Fleischstücken, welche an einem Spieße über dem Feuer gebraten werden.

Jetzt schenkte der Engländer auch mir seine Aufmerksamkeit.

»Araber?« fragte er.

»No.«

»Türke?«

»No.«

Jetzt zog er die dünnen Augenbrauen erwartungsvoll in die Höhe.

»Englishman?«

»Nein. Ich bin ein Deutscher.«

»Ein Deutscher? Was hier machen?«

»Kaffee trinken!«

»Very well! Was sein?«

»Ich bin writer!«[134]

»Ah! Was hier wollen in Maskat?«

»Ansehen.«

»Und dann weiter?«

»Weiß noch nicht.«

»Haben Geld?«

»Ja.«

»Wie heißen?«

Ich nannte meinen Namen. Sein Mund öffnete sich auf die Weise, daß die dünnen Lippen ganz genau ein gleichseitiges Viereck bildeten, welches die breiten, langen Zähne des Mannes sehen ließ; die Brauen stiegen noch höher empor als vorher, und die Nase wedelte mit der Spitze, als ob sie Kundschaft einziehen wolle, was das Loch unter ihr jetzt sagen werde. Dann griff er in den Rockschoß, zog ein Notizbuch hervor, blätterte darin und fuhr sodann in die Höhe, um den Hut abzunehmen und mir eine Verbeugung zu machen.

»Welcome, Sir; kenne Sie!«

»Ah, mich?«

»Yes, sehr!«

»Darf ich fragen, woher?«

»Bin Freund von Sir John Raffley, Mitglied vom Traveller-Klub, London, Near-Street 47.«

»Wirklich? Sie kennen Sir Raffley? Wo befindet er sich jetzt?«

»Auf Reisen – hier oder dort – weiß nicht. Sie waren mit ihm auf Ceylon?«

»Allerdings.«

»Elefanten gejagt?«

»Ja.«

»Dann in See auf Girl-Robber?«

»So ist es.«

»Haben Zeit?«

»Hm! Warum stellen Sie diese Frage?«

»Habe gelesen von Babylon – Niniveh – Ausgrabung – Teufelsanbeter. Will hin – auch ausgraben— Fowling-bull holen – britisches Museum schenken. Kann nicht Arabisch – will gern Jäger haben. Machen Sie mit – bezahle gut, sehr gut!«

»Darf ich um Ihren Namen bitten?«

»Lindsay, David Lindsay – Titel nicht, brauche nicht – Sir Lindsay sagen.«

»Sie beabsichtigen wirklich, nach dem Euphrat und Tigris zu gehen?«

»Yes. Habe Dampfboot – fahre hinauf – steige aus – Dampfboot wartet, oder zurück nach Bagdad – kaufe Pferde und Kamele – reisen, jagen, ausgraben, britisches Museum schenken, Traveller-Klub erzählen. Sie mitgehen?«

»Ich bin am liebsten selbständig.«

»Natürlich! Können mich verlassen, wann wollen – werde gut bezahlen, sehr fein bezahlen – nur mitgehen.«

»Wer ist noch dabei?«

»So viel, wie Sie wollen – aber lieber ich, Sie, zwei Diener.«

»Wann fahren Sie ab?«

»Uebermorgen – morgen – heute – gleich!«

Das war ein Anerbieten, wie es mir nicht gelegener kommen konnte. Ich bedachte mich nicht lange und schlug ein. Natürlich aber stellte ich die Bedingung, daß es mir zu jeder Zeit frei stände, meine eigenen Wege zu gehen. Er führte mich an den Hafen, wo ein allerliebster kleiner Puffer lag, und ich merkte bereits nach Verlauf von einer halben Stunde, daß ich mir keinen besseren Gefährten wünschen konnte. Er wollte Löwen und alle möglichen Bestien schießen, die Teufelsanbeter besuchen und mit aller Gewalt einen Fowling-bull, wie er es nannte, einen geflügelten Stier, ausgraben, um ihn dem britischen Museum zum Geschenk zu machen. Diese Pläne waren abenteuerlich, hatten aber eben deshalb meine volle Zustimmung. Ich war auf meinen Wanderungen noch viel seltsameren Käuzen begegnet, als er war.

Leider ließ er mich gar nicht wieder zu den Ateïbeh zurück. Ein Bote mußte meine Sachen holen und Halef benachrichtigen, wohin ich reisen werde. Als er zurückkehrte, erzählte er mir daß Halef mit noch einem Ateïbeh zu Lande zu den Abu Salman – und Schammar-Arabern reisen werde, um mit ihnen über die Einverleibung der Ateïbeh zu verhandeln. Er werde mein Hedjihn mitbringen und mich schon zu finden wissen.

Diese Nachricht war mir lieb. Daß Halef zu dieser Botschaft ausersehen war, bewies mir abermals, daß er der Liebling seines Schwiegervaters geworden sei. Wir fuhren im persischen Busen hinauf, sahen uns Basra und Bagdad an und gelangten nachher, auf dem Tigris aufwärts dampfend, an die Stelle, an welcher wir heute anlegten. – —

Oberhalb unserer Landestelle mündete der Zab-asfal in den Tigris, und die Ufer hüben und drüben waren mit einem dichten Bambusdschungel bestanden. Wie schon vorhin gesagt, brach die Nacht herein; trotzdem aber bestand Lindsay darauf, an das Land zu gehen und die Zelte aufzuschlagen. Ich hatte keine rechte Lust dazu, konnte ihn aber nicht gut allein lassen und folgte ihm also. Die Bemannung des Dampfbootes bestand aus vier Leuten; es sollte mit Tagesanbruch bereits nach Bagdad zurückkehren, und so faßte der Engländer gegen meinen Rat den Entschluß, alles, auch die vier Pferde, welche er in Bagdad gekauft hatte, noch auszuladen.

 

»Es wäre besser, wenn wir dies unterließen, Sir,« warnte ich ihn.

»Warum?«

»Weil wir es morgen bei Tageslicht tun könnten.«

»Geht auch am Abend – bezahle gut!«

»Wir und die Pferde sind auf dem Fahrzeuge sicherer als auf dem Lande.«

»Gibt es hier Diebe – Räuber – Mörder?«

»Den Arabern ist niemals zu trauen. Wir sind noch nicht eingerichtet!«

»Werden ihnen nicht trauen, uns aber doch einrichten – haben Büchsen; jeder Spitzbube wird niedergeschossen!«

Er ging nicht von seinem Vorsatze ab. Erst nach zwei Stunden waren wir mit der Arbeit fertig; die zwei Zelte waren aufgerichtet, und zwischen ihnen und dem Ufer wurden die Pferde angehängt. Nach dem Abendbrote gingen wir schlafen. Ich hatte die erste, die beiden Diener die zweite und dritte und Lindsay selbst die vierte Wache. Die Nacht war wunderschön, vor uns rauschten die Fluten des breiten Stromes hinab, und hinter uns erhoben sich die Höhen des Dschebel Dschehennem. Die Helle des Firmaments erleuchtete alles zur Genüge, aber das Land selbst, auf dem ich stand, war noch ein Rätsel. Seine Vergangenheit glich den Fluten des Tigris, die dort unten verschwanden im Schatten des Dschungel. An Assyrien, Babylonien und Chaldäa knüpften sich die Erinnerungen an große Nationen und riesige Städte, aber diese Erinnerungen glichen dem Rückblick auf einen Traum, dessen Einzelheiten man vergessen hat.

Als meine Wachtzeit vorüber war, weckte ich den Diener und instruierte ihn gehörig. Er hieß Bill, war ein Irländer und machte den Eindruck, als sei die Kraft seiner Muskeln dreißigmal stärker als diejenige seines Geistes. Er grinste sehr verschmitzt zu meinen Anweisungen und begann dann auf und ab zu patrouillieren. Ich schlief ein.

Als ich erwachte, geschah es nicht freiwillig, sondern ich wurde am Arme gerüttelt. Lindsay stand vor mir in seinem graukarierten Anzuge, den er selbst in der Wüste nicht abzulegen beschlossen hatte.

»Sir, wacht auf!«

Ich sprang auf die Füße und fragte:

»Ist etwas geschehen?«

»Hm – ja!«

»Was?«

»Unangenehm!«

»Was?«

»Pferde fort!«

»Die Pferde? Haben sie sich losgerissen?«

»Weiß nicht.«

»Waren sie noch da, als Sie die Wache übernahmen?«

»Yes!«

»Aber Sie haben doch gewacht?«

»Yes!«

»Wo denn?«

»Dort.«

Er deutete auf einen isolierten Hügel, welcher ziemlich entfernt von unsern Zelten lag.

»Dort; warum dort?«

»Ist wohl ein Ruinenhügel – hingegangen wegen Fowling-bull.«

»Und als Sie jetzt zurückkehrten, waren die Pferde fort?«

»Yes!«

Ich trat hinaus und untersuchte die Pfähle. Die Enden der Leinen hingen noch daran; die Tiere waren losgeschnitten worden.

»Sie haben sich nicht losgerissen, sondern sind geraubt worden!«

Er formierte das bekannte Lippenparallelogramm und lachte vergnügt.

»Yes! Von wem?«

»Von Dieben!«

Er machte ein noch vergnügteres Gesicht.

»Very well, von Dieben – wo sind sie – wie heißen sie?«

»Weiß ich es?«

»No – ich auch no – schön, sehr schön! – Abenteuer da!«

»Es ist keine Stunde vergangen, seit der Diebstahl geschah. Warten wir nur noch fünf Minuten, so ist es hell genug, um die Spuren zu erkennen.«

»Schön – ausgezeichnet! Sind Prairiejäger gewesen – Spuren finden – nachlaufen – totschießen – kapitales Vergnügen – bezahle gut, sehr gut!«

Er trat in sein Zelt, um die Vorbereitungen zu treffen, welche er für notwendig hielt. Ich erkannte nach kurzer Zeit im Scheine der Dämmerung die Spuren von sechs Männern und teilte ihm diese Entdeckung mit.

»Sechs? Wie viel wir?«

»Nur zwei. Zwei müssen bei den Zelten zurückbleiben, und das Boot bleibt auch liegen, bis wir zurückkehren.«

»Yes! Das befehlen und dann fort!«

»Sind Sie ein guter Läufer, oder soll ich Bill mitnehmen?«

»Bill? Pah! Weshalb gehe an Tigris! Abenteuer! Laufe gut – laufe wie Hirsch!«

Nachdem die nötigen Verhaltungsmaßregeln erteilt worden waren, warf er die rätselhafte Hacke nebst der Büchse über die Achsel und folgte mir. Es galt, die Diebe einzuholen, ehe sie zu einer größeren Truppe stießen, und daher schritt ich so schnell aus, als mir möglich war. Die langen karierten Beine meines Gefährten hielten sich ganz wacker; es war eine Lust, so mit ihm zu laufen.

Wir befanden uns in der Zeit des Frühjahrs; der Boden glich daher nicht einer Wüste, sondern einer Wiese, nur daß die Blumen förmlich büschel— oder vielmehr buschweise aus der Erde schossen. Wir waren noch nicht weit gekommen, so hatten unsere Hosen sich vom Blütenstaube gefärbt. Wegen dieser Höhe der Vegetation war die Spur sehr deutlich zu erkennen. Sie führte uns schließlich an ein Nebenflüßchen, welches von dem Dschebel Dschehennem herfloß und eine sehr aufgeregte Wassermasse zeigte. An seinem Ufer stieß die Spur an eine Stelle, die von Pferdehufen zertreten war, und eine neue Untersuchung ergab von hier aus zehn statt vier Hufspuren. Zwei von den sechs Dieben waren bis hierher gelaufen, statt geritten, und hier hatten sie alle ihre Pferde versteckt gehabt.

Lindsay machte eine sehr mißvergnügte Miene.

»Miserabel – tot ärgern!«

»Worüber?«

»Werden entkommen!«

»Weshalb?«

»Haben nun alle Pferde – wir laufen.«

»Pah! Ich holte sie dennoch ein, wenn Sie aushielten; aber dies ist gar nicht einmal nötig. Man darf nicht nur sehen, sondern man muß auch schließen.«

»Schließen Sie!«

»Sind diese Leute zufällig an unseren Lagerplatz gekommen?«

»Hm!«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es scheint mir, als ob sie zu Lande dem Schiffe gefolgt seien, welches alle Abende angelegt hat. Ist dies der Fall, so führt zwar ihre Spur nach Westen, aber nur deshalb, weil sie über diesen Fluß müssen und sich aber doch bei Hochwasser mit den fremden Pferden nicht hineingetrauen.«

»Also Umweg machen müssen?«

»Ja. Sie werden sich eine Furt oder irgend eine bessere Uebergangsstelle suchen und dann wieder in die alte Richtung lenken.«

»Schön, gut – sehr gut!«

Er warf die Kleidung ab und trat an das Ufer.

»Ja, Sir, sind Sie denn ein guter Schwimmer?«

»Yes!«

»Es ist hier nicht so ganz gefahrlos, wenn man die Waffen und die Kleider trocken halten will. Machen Sie mit den Kleidern einen Turban über Ihren Hut!«

»Gut – sehr gut – werde machen!«

Auch ich wand mir aus meinen Kleidern einen hohlen Ballen, den ich mir auf den Kopf setzte; dann gingen wir in das Wasser. Dieser Engländer war wirklich ein ebenso gewandter Schwimmer, wie er ein ausdauernder Läufer war. Wir kamen ganz gut hinüber und zogen die Kleider wieder an.

Lindsay überließ sich ganz meiner Führung. Wir eilten noch ungefähr zwei englische Meilen nach Süd und schlugen dann nach West um, wo uns die Höhen eine weite Aussicht gewährten. Wir stiegen einen Berg empor und sahen uns um. So weit das Auge reichte, zeigte sich kein lebendes Wesen.

»Nothing! – Nichts – keine Seele – – miserabel!«

»Hm, auch ich sehe nichts!«

»Wenn Sie geirrt – oho, was dann?«

»Dann haben wir noch immer Zeit, sie dort am Flüßchen zu verfolgen. Mir hat noch keiner ungestraft ein Pferd gestohlen; ich werde auch hier nicht eher zurückkehren, bis ich die vier Tiere wieder habe.«

»Ich auch.«

»Nein. Sie müssen bei Ihrem Eigentume sein.«

»Eigentum? Pah! Wenn fort, dann neues kaufen – Abenteuer gern bezahlen – sehr gut.«

»Halt! Bewegt sich da draußen nicht etwas?«

»Wo?«

»Dort!«

Ich deutete mit der Hand die Richtung an. Er riß die Augen und den Mund weit auf und spreizte die Beine auseinander. Seine Nasenflügel öffneten sich – es sah aus, als ob sein Riechorgan auch mit der Eigenschaft, zu sehen, oder wenigstens mit einem optischen Witterungs— und Ahnungsvermögen begabt sei.

»Richtig – sehe auch!«

»Es kommt auf uns zu.«

»Yes! Wenn sind, dann schieß‘ alle tot!«

»Sir, es sind Menschen!«

»Diebe! Müssen tot – unbedingt tot!«

»Dann tut es mir leid, Sie verlassen zu müssen.«

»Verlassen? Warum?«

»Ich wehre mich meiner Haut, wenn ich angegriffen werde, aber ich morde keinen Menschen ohne Not. Ich denke, Sie sind ein Engländer!«

»Well! Englishman – Nobelman – Gentleman – werde nicht töten – nur Pferde nehmen!«

»Es scheint wahrhaftig, daß sie es sind!«

»Yes! Zehn Punkte – stimmt!«

»Vier sind ledig und sechs beritten.«

»Hm! Guter Prairiejäger Sie – recht gehabt – Sir John Raffley viel erzählt – bei mir bleiben – gut bezahlen, sehr gut!«

»Schießen Sie sicher?«

»Hm, ziemlich!«

»So kommen Sie. Wir müssen uns zurückziehen, damit sie uns nicht bemerken. Unser Operationsfeld liegt unten zwischen dem Berge und dem Flusse. Gehen wir noch zehn Minuten weiter nach Süd, so tritt die Höhe so eng an das Wasser heran, daß ein Entkommen gar nicht möglich ist.«

Wir eilten jetzt im vollen Laufe wieder hinab und erreichten bald die Stelle, welche ich angedeutet hatte. Der Fluß war von Schilf und Bambus eingesäumt, und am Fuße des Berges fanden sich Mimosen und ein hohes Wermutgebüsch. Wir hatten Raum genug zum Versteck.

»Was nun?« fragte der Engländer.

»Sie verbergen sich hier im Schilfe und lassen die Leute vorüber. Am Ausgange dieser Enge trete ich hinter die Mimosen, und wenn wir die Diebe zwischen uns haben, treten wir beide vor. Ich schieße ganz allein, da ich mich vielleicht besser nach den Umständen zu richten verstehe, und Sie gebrauchen Ihr Gewehr nur auf mein ganz besonderes Geheiß, oder wenn Ihr Leben ernstlich in Gefahr kommt.«

»Well – gut, sehr gut – exzellent Abenteuer!«

Er verschwand in dem Schilfe, und auch ich suchte mir meinen Platz. Bereits nach kurzer Zeit hörten wir Hufschlag. Sie kamen herbei – an Lindsay vorüber, ohne böse Ahnung, ohne sich umzusehen. Ich sah den Engländer jetzt aus dem Schilfe tauchen und trat vor. Sie hielten im Augenblicke ihre Pferde an. Die Büchse hing ich mir über die Schulter, und nur den Henrystutzen hielt ich in der Hand.

»Sallam aaleïkum!« sagte ich.

Der freundliche Gruß verblüffte sie.

»Aaleïk —« antwortete einer von ihnen. »Was tust du hier?«

»Ich warte auf meine Brüder, welche mir helfen sollen.«

»Welcher Hilfe bedarfst du?«

»Du siehst, daß ich ohne Pferd bin. Wie soll ich durch die Wüste kommen? Du hast vier Tiere übrig; willst du mir nicht eines davon verkaufen?«

»Wir verkaufen keines dieser Pferde!«

»Ich höre, daß du ein Liebling Allahs bist. Du willst nur deshalb das Pferd nicht verkaufen, weil dein gutes Herz dir gebietet, es mir zu schenken.«

»Allah heile dir deinen Verstand! Ich werde auch kein Pferd verschenken.«

»O, du Muster von Barmherzigkeit, du wirst einst die Wonnen des Paradieses vierfach kosten; denn du willst mir nicht bloß ein Pferd, sondern vier verehren, weil ich so viel brauche!«

»Allah kerihm – Gott sei uns gnädig! Dieser Mensch ist deli, ist gewiß und wahrhaftig verrückt.«

»Bedenke, mein Bruder, daß die Verrückten nehmen, was man ihnen nicht freiwillig gibt! Blicke dich um! Vielleicht gibst du jenem dort das, was du mir verweigerst.«

Erst jetzt, beim Anblick des Engländers, wurde ihnen die Situation vollständig klar. Sie legten rasch die Lanzen zum Stoße ein.

»Was wollt ihr?« fragte mich der Sprecher.

»Unsere Pferde, welche ihr uns beim Anbruch des Tages gestohlen habt.«

»Mensch, du bist wahrhaftig toll! Wenn wir dir Pferde genommen hätten, so hättest du uns mit den Füßen nicht erreichen können!«

»Meinst du? Ihr wißt, daß diese vier Pferde den Franken gehören, welche dort mit dem Schiffe angekommen sind. Wie könnt ihr denken, daß die Franken sich ungestraft bestehlen lassen, und daß sie nicht klüger sind, als ihr! Ich habe gewußt, daß ihr am Fluß einen Umweg machen würdet, bin herübergeschwommen und euch zuvorgekommen. Ihr aber habt euch allerdings täuschen lassen. Ich will nicht Menschenblut vergießen; darum bitte ich euch, mir die Pferde freiwillig zurückzugeben. Dann könnt ihr gehen, wohin ihr wollt!«

Er lachte.

»Ihr seid zwei Männer, und wir sind sechs.«

»Wohl! So tue ein jeder, was ihm beliebt!«

»Weiche vom Wege!«

Er legte die mit Straußenfedern verzierte Lanze ein und trieb sein Pferd auf mich zu. Ich erhob den Stutzen: der Schuß krachte und Roß und Reiter stürzten nieder. Ich bedurfte keiner Minute, um noch fünfmal zu zielen und fünfmal abzudrücken. Alle Pferde stürzten, und nur die unserigen, welche man zusammengekoppelt hatte, waren unversehrt. Der, welcher sie vorher an der Leine hielt, hatte sie losgelassen. Wir benützten den Augenblick der Verwirrung, sprangen auf und eilten davon.

 

Hinter uns ertönte das Zorngeschrei der Araber. Wir machten uns nichts daraus, sondern brachten die Riemen unserer Tiere in Ordnung und ritten lachend davon.

»Magnificent – prächtig – schönes Abenteuer – hundert Pfund wert! Wir zwei, sie sechs – sie uns vier Pferde genommen, wir ihnen sechs genommen – ausgezeichnet – herrlich!« lachte Lindsay.

»Ein Glück, daß es so ausgezeichnet, so herrlich abgelaufen ist, Sir. Wären unsere Tiere scheu geworden, so kämen wir nicht so schnell weg und hätten sehr leicht einige Kugeln erhalten können.«

»Machen wir auch Umweg oder gehen grad aus?«

»Grad aus. Wir kennen unsere Pferde; der Uebergang wird gelingen.«

Wir kamen in guter Zeit wieder bei unseren Zelten an, und bald nach unserer Ankunft stieß das Boot vom Lande ab und wir blieben allein in der Wüste zurück.

Lindsay wollte anfangs sehr viel Gepäck und auch Proviant mitnehmen, ich aber hatte ihn zu einer andern Ansicht gebracht. Wer ein Land kennen lernen will, der muß auch lernen, sich auf die Gaben desselben zu beschränken, und ein Reiter darf nie mehr bei sich haben, als sein Tier zu tragen vermag. Uebrigens waren wir reichlich mit Munition versehen, was die Hauptsache ist, und außerdem verfügte der »Nobelman« über so bedeutenden Geldvorrat, daß wir davon den Reiseaufwand für Jahre hinaus hätten bestreiten können.

»Nun allein am Tigris,« meinte er. »Nun gleich graben nach Fowling-bulls und andern Altertümern!«

Der gute Mann hatte sicher sehr viel gelesen und gehört von den Ausgrabungen bei Khorsabad, Kufjundschik, Hammum Ali, Nimrud, Keschaf und El Hather und war dadurch auf den Gedanken gekommen, nun seinerseits auch das britische Museum zu bereichern und dadurch ein berühmter Mann zu werden.

»Jetzt gleich?« fragte ich ihn. »Das wird nicht gehen!«

»Warum? Habe Hacke mit.«

»O, mit diesem Mattok werden Sie nicht viel machen können. Wer hier graben will, muß sich erst mit der Regierung verständigen – – —«

»Regierung? Welche?«

»Die türkische.«

»Pah! Hat Niniveh den Türken gehört?«

»Allerdings nicht, denn damals war von den Türken keine Rede. Aber die Ruinen gehören jetzt zum türkischen Grund und Boden, obgleich hier der Arm des Sultans nicht sehr mächtig ist. Die arabischen Nomaden sind da die eigentlichen Herren, und wer hier graben will, der hat sich zunächst auch mit ihnen in freundschaftliche Beziehung zu setzen, da er sonst weder seines Eigentums, noch seines Lebens sicher ist. Darum habe ich Ihnen ja geraten, Geschenke für die Häuptlinge mitzunehmen.«

»Die seidenen Gewänder?«

»Ja; sie sind hier am meisten gesucht und nehmen beim Transport sehr wenig Raum ein.«

»Well, so wollen setzen in freundschaftliche Beziehung – aber sogleich und sofort – nicht?«

Ich wußte, daß es bei seinen Ausgrabungen nur bei dem Gedanken bleiben werde, hatte mir aber vorgenommen, ihn nicht abwendig zu machen.

»Ich bin dabei. Nun fragt es sich, welchem Häuptling man zunächst seine Aufwartung zu machen hat.«

»Raten!«

»Der mächtigste Stamm heißt El Schammar. Er hat aber seine Weidegründe weit oben am südlichen Abhang der Sindscharberge und an dem rechten Ufer des Thathar.«

»Wie weit ist Sindschar von hier?«

»Einen ganzen Breitegrad.«

»Sehr breit! Was sind noch für Araber hier?«

»Die Obeïden, Abu-Salman, Abu-Ferhan und andere; doch läßt sich nie genau bestimmen, wo man diese Horden zu suchen hat, da sie sich stets auf der Wanderschaft befinden. Wenn ihre Herden einen Platz abgeweidet haben, so bricht man die Zelte ab und zieht weiter. Dabei leben die einzelnen Stämme in ewiger, blutiger Feindseligkeit miteinander; sie haben sich gegenseitig zu meiden, und das trägt auch nicht wenig zu der Unstetigkeit ihres Lebens bei.«

»Schönes Leben – viel Abenteuer – viel Ruinen finden – viel ausgraben – ausgezeichnet – exzellent!«

»Am besten ist es, wir reiten in die Wüste hinein und befragen uns bei dem ersten Beduinen, welcher uns begegnet, nach dem Wohnort des nächsten Stammes.«

»Gut – well – sehr schön! Gleich jetzt reiten und befragen!«

»Wir könnten heute noch hier bleiben!«

»Bleiben und nicht graben? Nein – geht nicht! Zelte ab und fort!«

Ich mußte ihm seinen Willen lassen, zumal bei näherem Ueberlegen ich mir sagte, daß es wegen der heutigen feindseligen Begegnung besser sei, den Ort zu verlassen. Wir brachen also die leichten Zelte ab, welche von den Pferden der Diener getragen werden mußten, setzten uns auf und schlugen den Weg nach dem Sabakah-See ein.

Es war ein wundervoller Ritt durch die blumenreiche Steppe. Jeder Schritt der Pferde wirbelte neue Wohlgerüche auf. Ich konnte selbst die weichste und saftigste Savanne Nordamerikas mit dieser Gegend nicht vergleichen. Die Richtung, welche wir eingeschlagen hatten, stellte sich als eine glücklich gewählte heraus, denn bereits nach kaum mehr als einer Stunde kamen drei Reiter auf uns zugesprengt. Sie machten eine sehr hübsche Figur mit den fliegenden Mänteln und wehenden Straußfedern. Unter lautem Kriegsgeschrei ritten sie auf uns los.

»Sie brüllen. Werden sie stechen?« fragte der Engländer.

»Nein. Das ist die Begrüßungsart dieser Leute. Wer sich dabei zaghaft zeigt, der wird für keinen Mann gehalten.«

»Werden Männer sein!«

Er hielt Wort und zuckte nicht mit der Wimper, als der eine mit seiner scharfen Lanzenspitze grad auf seine Brust zuhielt und erst abbog und sein Pferd in die Hacken riß, als die Lanzenspitze beinahe die Brust berührte.

»Sallam aaleïkum! Wo wollt ihr hin?« grüßte einer.

»Von welchem Stamme bist du?«

»Vom Stamme der Haddedihn, welcher zu der großen Nation der Schammar gehört.«

»Wie heißt dein Scheik?«

»Er führt den Namen Mohammed Emin.«

»Ist er weit von hier?«

»Wenn du zu ihm willst, so werden wir euch begleiten.«

Sie wandten um und schlossen sich uns an. Während wir – die Diener hinter uns – in würdevoller Haltung in den Sätteln saßen, sprengten sie um uns in weiten Kreisen herum, um ihre Reitkünste sehen zu lassen. Ihr Hauptkunststück besteht im Innehalten mitten im rasendsten Laufe, wodurch aber ihre Pferde sehr angegriffen und leicht zu schanden werden. Ich glaube behaupten zu können, daß ein Indianer auf seinem Mustang sie in jeder Beziehung übertrifft. Dem Engländer gefiel das Schaureiten dieser Leute.

»Prächtig! Hm, so kann ich es nicht – würde den Hals brechen!«

»Ich habe noch andere Reiter gesehen.«

»Ah! Wo?«

»Ein Ritt auf Leben und Tod in einem amerikanischen Urwalde, auf einem gefrorenen Flusse, wenn das Pferd kein Eisen hat, oder in einem steinigen Cannon ist doch noch etwas ganz anderes.«

»Hm! Werde auch nach Amerika gehen – reiten in Urwald – auf Flußeis – in Cannon – schönes Abenteuer – prachtvoll! Was sagten diese Leute?«

»Sie grüßten uns und fragten nach dem Ziel unseres Rittes; sie werden uns zu ihrem Scheik bringen. Er heißt Mohammed Emin und ist der Anführer der Haddedihn.«

»Tapfere Leute?«

»Diese Männer nennen sich alle tapfer und sind es auch bis zu einem gewissen Grade. Ein Wunder ist dies nicht. Die Frau muß alles machen, und der Mann tut nichts als reiten, rauchen, rauben, kämpfen, klatschen und faulenzen.«

»Schönes Leben – prächtig – möchte Scheik sein – viel ausgraben – manchen Fowling-bull finden und London schicken – hm!«

Nach und nach wurde die Steppe belebter und wir gewahrten, daß wir uns den Haddedihn näherten. Sie befanden sich zum großen Teil noch in Bewegung, als wir sie erreichten. Es ist nicht leicht, den Anblick zu beschreiben, den ein Araberstamm auf dem Zuge nach seinem neuen Weideplatz gewährt. Ich hatte vorher die Sahara und einen Teil von Arabien durchzogen und dabei viele Stämme der westlichen Araber kennen gelernt; hier aber bot sich mir ein ganz neuer Anblick dar. Dieselbe Verschiedenheit, welche zwischen den Oasen der Sahara und dem »Lande Sinear« der heiligen Schrift herrscht: – man beobachtet sie auch in dem Leben und allen Verhältnissen ihrer Bewohner. Hier ritten wir auf einer beinahe unbegrenzten Merdsch[135], welche nicht die mindeste Aehnlichkeit mit einer Uah[136] des Westens hatte. Sie glich vielmehr einem riesigen Savannenteppich, der aus lauter Blumen bestand. Hier schien nie der fürchterliche Samum gewütet zu haben; hier war keine Spur einer wandernden Düne zu erblicken. Hier gab es kein zerklüftetes und verschmachtetes Wadi, und man meinte, daß hier keine Fata Morgana die Macht besäße, den müden, einsamen Wanderer zu äffen. Die weite Ebene hatte sich mit duftendem Leben geschmückt, und auch die Menschen zeigten keine Spur jener »Wüstenstimmung«, welcher westwärts vom Nil kein Mensch entgehen kann. Es lag über diesem bunten Gefilde ein Farbenton, der nicht im mindesten an das versengende, dabei oft blutig trübe und tödliche Licht der großen Wüste erinnerte.

134Schreiber, Schriftsteller.
135Wiese Prairie.
136Oase.