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Die Sklavenkarawane

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»Uskut, dschidd ed dija w‘esch schu‘ub – halte den Mund, du Großvater der Dörfer und Völker!« stieß er hervor. »Du sollst mich und meinen Schnurrbart sofort kennen lernen!«

Indem er diese Drohung aussprach, warf er sich auf den Hadschi, um ihn bei der Gurgel zu fassen. In der Hitze des Wortgefechtes hatten die beiden ihre ursprünglichen Standorte gewechselt. Der Kleine war avanciert und der »Vater des Gelächters« zurückgewichen, so daß er jetzt hart am Wasser stand, den Rücken demselben zugekehrt. Er wollte dem Angriffe entgehen, that einen Sprung nach rückwärts und verlor den Boden unter den Füßen.

»Ja mußabi, rah nirrak – o Unglück, wir werden ertrinken!« kreischte er auf und verschwand dann in der gerade hier sehr tiefen Flut.

Es war ganz richtig, daß er nicht von sich allein, sondern in der Mehrzahl gesprochen hatte, denn der Kleine befand sich in derselben Gefahr. Er hatte zu kräftig ausgeholt und flog nun, da der andre ihm ausgewichen war, über das Ufer hinaus und gleichfalls in das Wasser hinein, welches über den beiden hoch aufspritzte.

Die Soldaten schrieen vor Schreck, als ob sie selbst hineingefallen seien. Es handelte sich weniger um den Tod des Ertrinkens als vielmehr um die Gefahr, welche seitens der Krokodile drohte, von denen der Maijeh wimmelte. Die anwohnenden Völkerschaften des Niles sind meist gewandte Schwimmer, die Soldaten ebenso; das Wasser an sich bringt ihnen also keine Gefahr, aber vor den in demselben lebenden Ungethümen haben sie sich zu hüten.

Darum schauten die Asaker zunächst nicht nach der Stelle, an welcher die beiden im Wasser verschwunden waren, sondern über die ganze sichtbare Fläche desselben, ob da sich vielleicht ein Krokodil sehen lasse. Und wirklich lagen abwärts auf einer kleinen Landzunge mehrere dieser Tiere, welche die Köpfe erhoben. Das Geschrei der Soldaten schüchterte sie so ein, daß sie nicht in das Wasser gingen. Es kommt häufig vor, daß ein Saurier, selbst wenn er hungrig ist, sich von den Stimmen vieler Menschen einschüchtern läßt.

Jetzt tauchte der Kleine auf; er war mit dem Wasser gut vertraut und blickte sich ängstlich um, zunächst nach Krokodilen und dann nach dem »Vater des Gelächters«. Als er diesen nicht sah, rief er erschrocken aus:

»Ma hai hu; wain fi jah – er ist nicht da; wo befindet er sich?«

»Ba‘d taht el moi – noch unter dem Wasser,« wurde ihm geantwortet.

»O Allah, so geht ihm die Luft aus, und er muß elendiglich ertrinken.«

Der Streit war vergessen und er tauchte unter, um seinen Freund zu suchen. Einen Augenblick später erschien der »Vater des Gelächters« auf der Oberfläche und rief:

»Wo ist der ‚Vater der elf Haare‘? Ich sehe ihn ja nicht!«

»Er ist wieder hinunter, um dich zu suchen,« lautete die Antwort.

»Der Gute, der Freundliche, der Vortreffliche! Er wird sich mir zuliebe den Tod holen. Ich muß zu ihm hinab!«

Er tauchte wieder nieder, und im nächsten Augenblicke erschien der Slowak. Als er den andern auch jetzt noch nicht erblickte, schrie er auf:

»Er ist tot! So lange hält es kein Mensch unter dem Wasser aus. Er ist erstickt; aber ich muß wenigstens seinen Leichnam retten!«

»Bleib oben!« wurde ihm gesagt. »Er war soeben da und ging wieder hinab, um nach dir zu suchen.«

»Der Brave, der Liebe, der Herrliche! Aber ich darf ihn nicht verziehen lassen, sonst bekommen ihn die Krokodile.«

Er verschwand aufs neue; dann später erschienen zwei triefende Köpfe in ziemlicher Entfernung voneinander. Sie sprudelten das Wasser von sich und sahen sich um. Der eine erblickte den andern und rief erfreut:

»Bist du es denn wirklich, du Freund meiner Seele, du Trost und Ruhe meines Herzens?«

»Ja, ich bin es, du Lust meiner Augen. Voller Wonne sehe ich dich gerettet, du Licht und Wärme meines Lebens!«

»So eile ich, um dich zu umarmen, o Glück meines Daseins!«

»Und ich schwimme an dein Herz, du Spender der seligsten Freude!«

Laut aufjauchzend schossen sie aufeinander zu, um sich im Wasser zu umarmen, und kamen dann miteinander Hand in Hand auf das Ufer zugeschwommen. Eben als sie dasselbe erreichten und aus dem Wasser stiegen, rief einer der Soldaten, mit der Hand nach der Landzunge deutend:

»Sie sind fort, die Krokodile; sie haben euch gesehen und kommen nun, euch zu fressen. Macht euch schnell vom Ufer fort!«

Mehrere sich rasch nähernde Furchen im Wasser bewiesen, daß er recht hatte. Nur einige Augenblicke später waren die Tiere da, deren dunkle, stumpfe Schnauzen man erscheinen sah.

»Hamdulillah, sie kommen zu spät. Du hast mich gerettet!« rief der Slowak, indem er den Arm um seinen Freund schlang.

»Scharafalillah, ja sie haben sich verrechnet!« antwortete dieser. »Aber nicht ich habe dich, sondern du hast mich gerettet. Ohne dich wäre ich jetzt eine Speise dieser Eidechsen und eine Mahlzeit dieser Ungeheuer, welche Allah verdammen möge!«

»Ja, ihr Leben mag kurz sein und ihr Tod fürchterlich. Ihre Ahnen seien vergessen und ihre Enkel und Nachkommen zu ewigem Hunger verurteilt. Die Krankheit mag ihren Leib verzehren und der Kummer ihre Seele, bis sie aufrichtig Buße thun und es erkennen, daß es eine Sünde gegen Allahs Gebote ist, das Fleisch lebendiger Menschen zu verzehren!«

»Sie werden niemals Buße thun, denn ihre Herzen sind verhärtet, und ihre Ohren hören nicht auf die Stimme des Warners. Sie leben in ihren Sünden weiter und werden im ewigen Feuer brennen, ohne verzehrt zu werden. Wir aber wollen uns freuen, ihren Zähnen entgangen zu sein, und ihnen sagen, daß wir sie verachten jetzt und immerdar!«

Sie riefen nun in echt orientalischer Weise den Krokodilen die beleidigendsten Schimpfnamen zu und verwünschten sie in den tiefsten Abgrund der Hölle hinab. Dann bedankten sie sich gegenseitig. Jeder wollte von dem andern gerettet worden sein und so sehr sie sich vorhin gezankt hatten, so überschwänglich waren die Freundschaftsversicherungen, mit denen sie sich jetzt gegenseitig erfreuten. Als das zu Ende war, rangen sie ihre Kleider aus und machten sich an die Arbeit, indem sie den Soldaten halfen, das Fleisch und den dicken Speck des Nilpferdes in lange Streifen zu zerlegen. Diese wurden dann auf Lanzen gespießt und nach dem Lager getragen, wo mittlerweile mehrere Feuer angesteckt worden waren, an welchem der leckere Braten bereitet werden sollte.

Indessen hatten die Fahrzeuge sich dem Ufer genähert und die Anker ausgeworfen. Als die Insassen derselben den Geruch des Bratens verspürten, begehrten sie, aussteigen zu dürfen, was Schwarz nicht gern erlaubte, da er wenigstens der Nuehr nicht ganz sicher zu sein glaubte. Der »Vater der Hälfte« aber gab ihm den Rat, sich ihre Anhänglichkeit dadurch zu erwerben, daß er ihnen Vertrauen zeige, und so durften sie die Schiffe verlassen. Doch erhielten die Soldaten heimlich den Befehl, auf sie zu achten, damit keiner von ihnen unbemerkt den Platz verlasse.

Das Nilpferd hatte eine solche Menge von Fleisch geliefert, daß von den anwesenden Hunderten jeder ein tüchtiges Stück bekam, welches er auf beliebige Weise zubereiten und verzehren konnte. Die Art und Weise, wie das geschah, hätte einem Maler Stoff zu einer ganzen Mappe voll Genrebilder gegeben.

Die sich dabei entwickelnden heitern Scenen sollten auf eine unerwartete und, wenigstens anfänglich, unliebsame Weise unterbrochen werden. Schwarz saß mit Pfotenhauer, dem »Vater der Hälfte« und Hasab Murat zusammen. Sie aßen gebratenen Hippopotamusspeck, welchen der erstere ganz vortrefflich fand.

»Nit wahr, er ist ausgezeichnet?« fragte der »Vater des Storches«. »Kaan Fleischer oder Selcher in Deutschland kann was Besseres aufweisen, und ich kenn‘ hier am Nil nur aan einziges, was dem nit nur gleichkommt, sondern vielleichten gar noch delikater ist.«

»Was ist das?« erkundigte sich Schwarz.

»Das ist aan Elefantenbraten; aber von der richtigen Stell‘ muß er halt sein. Haben Sie es kennen g‘lernt?«

»Elefantenfleisch habe ich gegessen, doch weiß ich nicht, von welchem Körperteile es am besten ist.«

»So muß ich es Ihnen sagen. Es ist hier herum in dieser Gegend gar nit ausgeschlossen, daß uns mal so a Herr Elephas oder gar eine ganze Herd‘ davon begegnet; kommen wir da gut zum Schuß, so werd‘ ich Ihnen den praktischen Beweis für meine theoretische Behauptung liefern. Wissen‘s wo die Kugel den Elefanten treffen muß, wann er sogleich fallen soll?«

»Ja, dort, wo der Rüssel in den Kopf übergeht.«

»Das ist schon richtig, obgleich man ihn mit der Explosionskugel auch anderswo tödlich verwunden kann. G‘rad‘ unter dieser Stell‘ muß man sich ein Stück aus dem Rüssel schneiden. Das gibt den besten Braten, den ich jemals ‚gessen hab‘.«

Pfotenhauer verdrehte die Augen und schnalzte mit der Zunge, um den großen Wohlgeschmack des betreffenden Gerichtes möglichst anzudeuten. Dabei nickte seine Nase höchst energisch von oben nach unten, als ob sie die Absicht habe, seine Behauptung auf das Kräftigste zu bejahen.

»Elefantenrüssel?« fragte Schwarz ungläubig. »Ich habe geglaubt, der müsse ziemlich zähe sein.«

»O nein. Er ist so zart wie Renntierzunge. Aberst das Rüsselstück thut‘s nicht allein, sondern es muß in dem richtigen Fett gebraten werden, welches dazu g‘hört. Das ist nämlich das Fett im Zellgeweb‘ der Nieren, a Fett, sag‘ ich Ihnen, was mit gar nix zu vergleichen ist. Ich wollt‘, es käm‘ gleich jetzt so aan Elefant g‘laufen, damit ich Ihnen zeigen könnt‘, was ich leider nit zu beschreiben mag!«

»Sie Gourmand!« lächelte Schwarz. »Ich glaube wirklich, Sie wünschen wegen dieses kleinen Rüsselstückes eine ganze Elefantenherde herbei. Ein nicht ungefährliches Verlangen!«

»Fürchten‘s sich etwa?«

»Nein. Aber denken Sie an die Verwirrung, welche diese Tiere hier anrichten würden!«

»Wann‘s ruhig kämen, hätt‘s gar nix zu sagen; aber freilich wenn‘s g‘reizt werden, dann könnt‘s uns schlimm dergehen. Wissen‘s vielleicht, was man so einen ‚Herumläufer‘ nennt?«

 

»Ja. So nennt man alte, männliche Elefanten, welche wegen ihrer Bösartigkeit von den Herden nicht gelitten werden und infolgedessen allein umherirren müssen. Das sind höchst gefährliche Tiere. Wehe demjenigen, der einem solchen unvorbereitet oder auf offenem Plane begegnet!«

»Ja, wann so a Herumtreiber käm‘, der könnt uns all unsre Tiere hier zu schanden machen; er thät sie wohl alle nach‘nander aufspießen. Am allerschlimmsten ist‘s, wann so a Kerl sich auf der Flucht vor denen, die ihn ausg‘stoßen haben, befindet. Da reißt er alles nieder; da ist er vor Wut geradezu von Sinnen, und dann thut selbst der kühnste Schütz‘ klug, wann er ihm schnell aus dem Wege geht und sich lieber gar nit von ihm derblicken läßt.«

»Haben Sie die Erfahrung vielleicht selbst gemacht?«

»Ja freilich, droben am Bahr Dschur. Da saß ich mit zwei Niam-niam zusammen und balgte die g‘schossenen Vögel ab. Plötzlich wackelt die Erde unter uns, und es gab aan Gedröhn, als ob aan Erdbeben – – – horch! Was ist das? Hören‘s nix?«

Schwarz lauschte und antwortete dann:

»Das klingt wie ein ferner kleiner Wasserfall. Aber hier gibt es doch keinen!«

»Nein. Das ist ‚was ganz andres. Vielleicht hab‘ ich gar den Teufel an die Wand g‘malt, und nun kommt er herbei. Wann‘s nur noch Zeit ist, die Herd‘ in Sicherheit zu bringen!«

Er war aufgesprungen, legte die Hände wie ein Sprachrohr an den Mund und rief denjenigen Leuten, welche die Aufsicht über die Rinder zu führen hatten, mit weithin schallender Stimme zu:

»Harisihn, ruh el bakar: b‘id b‘id ruh; el ifjal, el ifjalWächter, fort mit den Rindern, weit, weit fort; die Elefanten, die Elefanten!«

Dieser Ruf wurde im ganzen Lager vernommen. Wer saß, der sprang auf und griff zu den Waffen. Die Wächter eilten zu ihren Tieren und trieben sie mit den Lanzen unter lautem Geschrei hinaus in die Ebene, nach der Richtung, welche Pfotenhauer ihnen andeutete, indem er mit beiden Armen winkte, so daß dieselben wie die Flügel einer Windmühle auf und nieder gingen.

Das starke Geräusch, welches er gehört hatte, war nämlich von links her gekommen, aus dem Walde, welcher jenseits der Spitze des Maijeh lag. Es war jetzt nicht mehr zu vernehmen, da die Hirten schrieen und die Soldaten einander Mut zubrüllten. Aber die Lunge Pfotenhauers war kräftiger als die aller andern.

»Raha, hudu, ja nas, willa nihma maijit – Ruhe, Stille, ihr Leute, sonst sind wir verloren!« donnerte er über die weite Fläche dahin, und sein Befehl fand augenblicklichen Gehorsam, wenn auch nicht infolge guter Disciplin, es war vielmehr die Angst, welche die Sudanesen zum Schweigen brachte.

Und nun war das Geräusch wieder zu hören, und zwar mit verdoppelter Stärke. Es glich einem Erdbeben; der Boden schien zu zittern.

»Aiwa, ifjal, ja Allah – ja, das sind Elefanten, o Gott!« rief der »Vater der Hälfte«.

»Kull kati – eine ganze Herde!« stimmte Hasab Murat bei. »Was thun wir? Bringen wir uns in Sicherheit?«

Er wollte davonlaufen; aber der »Vater der elf Haare«, welcher mit dem »Vater des Gelächters« herbeigekommen war, ergriff ihn beim Arme, hielt ihn zurück und sagte:

»Hast du keine Angst vor der Sklavenjagd, so brauchst du dich auch jetzt nicht zu fürchten. Ein Elefant ist ein Engel gegen einen Sklavenjäger.«

Und zu Schwarz gewendet, fuhr er in deutscher Sprache fort:

»Herr Doktor, jetzt werd‘ Sie gesehent, daß ich nicht hatt gefürchte Elefant, großmächtigen. Ich werd‘ gebte ihm Kugel aus Gewehr, meinigem, grad in die Nase, gerüsselförmigte!«

Schwarz hatte keine Zeit, auf diese Versicherung zu achten. In solchen Verhältnissen drängen sich die Augenblicke zusammen. Seit Pfotenhauer das Geräusch vernommen hatte, waren bis jetzt noch keine zwei Minuten vergangen, und nun dröhnte die Erde, wie wenn die schwache Mauer eines Häuschens von einem vorüberrollenden schweren Lastwagen zittert. Jetzt durchfuhr ein Ton die Luft, so stark, so schneidend, als ob er aus hundert Trompeten zugleich erschalle; dann kam der Goliat der vierfüßigen Tiere um die Ecke des Gebüsches gerannt, den Rüssel hoch erhoben und das kleine lächerliche Schwänzchen wie einen abwehrenden Stachel geradeaus gestreckt.

Es fehlte ihm der eine Stoßzahn; der vorhandene war von außerordentlicher Größe und deutete das hohe Alter des Tieres an, welches im Widerrist sicher eine Höhe von vier Meter besaß; die Länge betrug wohl einen ganzen Meter mehr.

Der Elefant bot mit dem erhobenen Rüssel, den klatschenden Riesenohren und der durchdringenden Trompetenstimme eine so gewaltige Erscheinung, daß ein unwiderstehliches Entsetzen die Sudanesen packte. Sie warfen ihre Waffen weg und rannten davon, um sich hinter den Büschen und Bäumen zu verbergen, und ließen dabei ein Angstgeheul hören, welches den Elefanten aufmerksam machte.

Durch irgend etwas, das man noch nicht sehen konnte, in Wut versetzt, war er bis jetzt wie blind gewesen; jetzt aber blieb er stehen, um den vor ihm liegenden Platz zu beäugen. Er sah die fliehenden Menschen und das kleine Häuflein der Stehengebliebenen, welche den Mut besaßen, ihm Widerstand leisten zu wollen; er schlug mit dem Rüssel ein Rad, hob ihn dann zum Schlage hoch empor und stürzte sich auf die wenigen Männer los.

Diese letzteren waren die Europäer, der »Sohn der Treue« und der wackere »Vater des Gelächters«. Die andern alle, auch der »Vater der Hälfte« und Hasab Murat, waren verschwunden. Die gefangenen und gebundenen Leute des Feldwebels lagen mit diesem ganz bewegungslos, um ja die Aufmerksamkeit des Tieres nicht auf sich zu lenken.

Doch noch einen gab es, welcher nicht geflohen war – Abd es Sirr, der »Sohn des Geheimnisses«. Dieser hatte sich, sobald der Elefant in Sicht kam, zu Boden geworfen und kroch, anstatt zu fliehen, ihm vielmehr rasch entgegen.

»Fliehe, um Allahs willen!« rief ihm der »Sohn der Treue« zu. »Er zerstampft dich ja. Es ist ein Hahdschil.«

Dieses letztere Wort bedeutet einen Vagabunden, einen Herumtreiber. Das Tier war also so ein ausgestoßenes, wegen seiner Wildheit und Tücke selbst von seinesgleichen gemiedenes Ungeheuer.

»Ja, ein Hahdschil,« stimmte Pfotenhauer bei. »Eure Kugeln thun ihm nichts. Trifft die meinige nicht die richtige Stelle, so gnade uns Gott!«

Die Männer standen dicht beisammen, die Gewehre gegen das Tier erhoben sich. Aber die bereits erwähnte Stelle, auf welche gezielt werden mußte, war nicht zu sehen, da der Elefant den Rüssel gerade aufwärts trug. Es war, als ob er die Verletzlichkeit derselben kenne und sie durch den Rüssel schützen wolle.

Das alles geschah selbstverständlich viel schneller, als es erzählt werden kann. Das Tier war bis auf höchstens vierzig Ellen herangekommen.

»Zerstreut euch und schießt von der Seite!« rief der »Vater des Storches«, »da haben wir besseres Zielen.«

Er sprang zur Seite, und die andern folgten seinem Beispiele, den kleinen Slowaken ausgenommen, welcher niedergekniet war und den Lauf seines schweren Katil elfil auf den offenen Rachen des Tieres gerichtet hielt.

»Allah, hilf der Kugel ins Gehirn,« rief er aus, »sonst schlägt mir das Vieh den Schädel ein!«

Er drückte ab, und der Schuß hatte einen doppelten Erfolg. Der »Vater der elf Haare« erhielt nämlich von dem Gewehre einen solchen Rückschlag gegen den Kopf, daß er zu Boden stürzte.

»Lisir‘rak – prosit Mahlzeit; mit mir ist‘s aus!« schrie er, indem er die Augen starr auf den Elefanten gerichtet hielt.

Aber dieser senkte den Rüssel nicht, um den kleinen Schützen mit demselben zu ergreifen oder zu zerschmettern. Er bewegte ihn gar nicht, ja, er bewegte sich selbst nicht mehr. Und das war der andre Erfolg des Schusses. Die große, schwere Kugel hatte ihn mitten im schnellsten Laufe zum Stehen gebracht; er hielt da, wie gelähmt und ohne einen Zollbreit seines Körpers zu bewegen, freilich nur für wenige Augenblicke; aber dies genügte zur Rettung des Slowaken.

Der treue Freund dieses letzteren, nämlich der »Vater des Gelächters«, sah die Gefahr, in welcher er schwebte, und rief ihm zu:

»Lauf davon! Ich halte ihn auf!«

Er sprang vor und gab dem Tiere eine Kugel in den untern, starken Teil des Rüssels, freilich ohne den beabsichtigten Erfolg. Er wäre mit samt dem Slowaken verloren gewesen, wenn nicht der »Sohn des Geheimnisses« während dieser kurzen Pause Zeit gefunden hätte, seine Absicht auszuführen.

Abd es Sirr hatte sich ein wenig seitwärts gehalten, und der Elefant war, ohne ihn zu sehen oder zu beachten, an ihm vorübergerannt und dann, von des Kleinen Kugel getroffen, stehen geblieben. Gerade als der »Vater des Gelächters« dann seinen Schuß abgab, sprang der »Sohn des Geheimnisses« vom Boden auf, schnellte sich an das eine hintere Bein des Tieres, holte mit seinem langen Messer aus und versetzte ihm einen Hieb, um die Flechse zu durchschneiden. Hatte er nicht die richtige Stelle getroffen, oder war sein Messer nicht scharf genug, kurz, die Absicht mißlang, und der Elefant drehte sich schnell um, um den neuen Feind zu sehen.

Aber er sah nicht nur diesen einen, sondern mehrere, viele.

Man hatte bisher nur auf diesen einen Elefanten geachtet, nicht aber darauf, was aus dem früheren Getöse, welches doch auf eine ganze Herde schließen ließ, geworden war. Der alte Einsiedler hatte sich in die Nähe eines Truppes gewagt und war von demselben fortgejagt und verfolgt worden. Als er um die Ecke des Maijeh bog, war er seinen Verfolgern aus den Augen gekommen, und diese hatten eine kurze Zeit nach ihm gesucht. Jetzt kamen auch sie um die Ecke. Ihn sehen und mit entsetzlichem Getrompete auf ihn eindringend, war eins. Diese Feinde erschienen ihm jedenfalls fürchterlicher als die Menschen; er wendete sich schnell wieder um und rannte entsetzt weiter, ohne sich für die Verwundungen gerächt zu haben.

Die Zahl seiner vierfüßigen Gegner betrug zwölf, eine Schar, welcher er freilich nicht gewachsen war; sie gehörten jedenfalls einer Familie an, deren Oberhaupt, ein alter Bulle voranrannte; ihm folgten vier Männchen, vier Weibchen und drei Junge. In ihren Zorne über den Herumläufer nahmen sie nicht die geringste Notiz von den anwesenden Menschen und stampften mit kaum glaublicher Schnelligkeit vorüber und hinter ihm drein – freilich nicht alle von ihnen.

Der Slowak und sein Freund waren dem »Vagabunden« ausgewichen und also von seinen Füßen nicht getroffen worden. Als die Herde heranstürmte, hatte der »Vater des Storches« gerufen:

»Laßt die Männchen vorbei und zielt nur auf die Jungen! Die Weibchen sind uns dann sicher.«

Zugleich zielte er nach dem Rüssel des ersten Elefantenjünglings. Schwarz sah das und nahm den zweiten auf das Korn. Die beiden Schüsse krachten und nur wenige Sekunden später der dritte, denn Pfotenhauer hatte sofort auch dem dritten Jungen die Kugel des andern Laufs gegeben. Seine Explosionsgeschosse wirkten bei der Jugend der Tiere augenblicklich; die zwei Elefanten brachen mit zerschmetterten Stirnen zusammen. Auch Schwarz hatte genau die beabsichtigte Stelle getroffen; aber sein Schuß konnte keine so plötzlich zerstörende Wirkung hervorbringen. Der Getroffene blieb stehen, schwenkte den Rüssel wie einen Pendel hin und her, stieß ein markerschütterndes Schmerzensgeschrei aus und begann dann wie betrunken zu wanken.

»Auch der hat genug,« rief Pfotenhauer. »Jetzt schnell hinter starke Bäume. Rasch, rasch!«

Er rannte, noch während er diese Worte ausstieß, fort, dem Waldesrande zu, und die andern folgten ihm augenblicklich, nur Abd es Sirr und Ben Wafa ausgenommen, welche sich niederlegten und in dem Grase zu verstecken suchten.

»Warum fliehen?« fragte der »Vater des Gelächters«, als er nun in der Nähe Pfotenhauers hinter einem Baume stand. »Wir haben doch gesiegt!«

»Seht da nach rechts hinüber; sie kommen schon,« antwortete der Gefragte. »Ladet schnell die abgeschossenen Läufe wieder! Die Weibchen werden ihre Jungen rächen wollen.«

Er hatte recht. Die Mütter hatten das Geschrei des von Schwarz getroffenen Jungen gehört, die Verfolgung aufgegeben und waren schnell umgekehrt. Sie rannten trompetend der betreffenden Stelle zu. Dort angekommen, fand eine jede gleich ihr Kind heraus. Die Mütter der Gefallenen untersuchten ihre Jungen mit den Rüsseln. Die Mutter des tödlich getroffenen betastete die Wunde ihres Lieblings, streichelte denselben zärtlich und stellte sich eng neben ihn, Seite an Seite, um ihn zu halten und vor dem Umfallen zu bewahren. Ihre Liebkosungen und Anstrengungen waren vergeblich; das Junge neigte sich mehr und mehr zur Seite und fiel dann tot nieder. Nun ging eine Mutter zur andern, um deren Kind auch zu betrachten und zu untersuchen. Sie erkannten, daß die Jungen tot seien, erhoben die Rüssel und stießen klagende Trompetentöne aus.

 

»Nun kommt die Rache,« sagte Pfotenhauer. »Sie werden uns wahrscheinlich aufsuchen.«

»Mir ist es ganz so, als ob wir Strafe verdient hätten,« antwortete Schwarz. »Sehen Sie den Schmerz dieser Mütter! Es ist ergreifend, und wer ein Herz hat, dem muß es wirklich leid um sie thun.«

»Ja, da kommt halt das deutsche G‘müt zum Vorschein. Der Mensch ist das schlimmste Raubtier, was es geben kann. Aberst schaun‘s! Haben‘s g‘sehen?«

Er deutete nach der Elefantengruppe.

»Ja. Die eine Mutter ist hinten niedergesunken und trompetet noch kläglicher.«

»Und jetzt bricht die andre auch zusammen. Ah, ich weiß, was es ist. Wissen Sie‘s auch?«

»Sollte der ‚Sohn des Geheimnisses‘ etwa – – —?«

»Ja, der ist‘s, und Ben Wafa mit ihm. Das sind mutige Jungens. Sie haben sich an die Tiere g‘schlichen und ihre Messern in G‘brauch genommen. Jetzund müssen wir hinaus, sonst kommen‘s noch gar in G‘fahr. Auch dürfen wir die armen Tiere nit allzu lang leiden lassen.«

Die beiden Jünglinge hatten sich so gut im Grase versteckt gehabt, daß sie von den zurückkehrenden weiblichen Elefanten nicht gesehen worden waren. Sie schlichen, als diese bei den Jungen angekommen waren, sich von hinten an sie heran, was mit keiner großen Gefahr für sie verbunden war, da die Aufmerksamkeit der Mütter sich ausschließlich auf ihre Jungen richtete. Ungefähr bis auf zehn Schritte herangekommen, zog Ben Wafa seine Kulbedah, ein stark gekrümmtes, sichelförmiges und schweres Messer, welches eine sehr gefährliche Waffe ist und sowohl zum Schlagen als auch zum Werfen in Anwendung kommt, sprang auf den ersten Elefanten ein und zerhieb ihm mit zwei schnellen Hieben die Flechsen der Hinterfüße. Dann schlich er sich an das dritte Tier und brachte demselben seine lähmenden Streiche gerade dann bei, als das zweite unter denen seines Freundes auch zusammenbrach.

Die vor Schmerz und Wut brüllenden Elefanten drehten sich zwar nach ihren Peinigern um, versuchten auch, rutschend zum Angriffe gegen sie vorzugehen, konnten sie aber nicht erreichen.

Es war ein Anblick wirklich zum Erbarmen. Glücklicherweise kamen jetzt die Weißen herbei und machten den Leiden der Tiere durch einige wohl gezielte Kugeln ein Ende.

»So, jetzt fühlen‘s nix mehr,« sagte Pfotenhauer, indem er sein abgeschossenes Gewehr wieder lud. »Ist das a Jagd und aan Erfolg! Sechs Elefanten in kaum fünfzehn Minuten!«

»Eigentlich ein ganz unnützes Morden!« bemerkte Schwarz.

»Warum?«

»Weil wir diese Massen von Fleisch gar nicht brauchen können. Und Stoßzähne haben weder die Weibchen noch die Jungen.«

»Ich bin halt andrer Meinung. Es kann sogar kommen, daß wir das Fleisch sehr gut gebrauchen können. Wir wissen ja nit, ob wir auf unsrem Zuge für alle ausreichend Essen finden.«

»Pa! Ich schätze jedes Weibchen zu achttausend und jedes Junge zu zweitausend Pfund; ein ausgewachsener Bulle kann zwölftausend und sogar noch mehr wiegen. Das sind dreißigtausend Pfund Fleisch. Wie wollen wir dieses Quantum in höchstens zwei Tagen verzehren? Länger hält es sich ja nicht.«

»Da kennen‘s halt unsre Sudanesen schlecht. Sie sollen mal schauen, wie die nit etwa essen, sondern fressen werden. Übrigens besteht doch nit der ganze Elefant aus Fleisch. Es sind Abfall und Knochen auch dabei, und was für Knochen. Und wann‘s sich um die Menschlichkeit handelt, so ist‘s besser, es sterben einige Elefanten mehr, als daß Hunderte von Menschen, wenn auch nur kurze Zeit, Hunger leiden. Übrigens werden diese hier wohl nit die einzigen sein, welche dran glauben mußten. Laden‘s nur Ihr G‘wehr immer wieder! Wir sind noch lang nit fertig.«

»Sie meinen, daß noch andre Elefanten kommen?«

»Andre nit, sondern diejenigen, welche bereits dag‘wesen sind. Wann die Bullen bemerken, daß ihre Madamen fehlen, so lassen sie den ‚Vagabunden‘ laufen und kehren um, sie zu suchen. Elefanten wissen der Fährte der Ihrigen ebenso gut zu folgen wie die Menschen.«

»Aber töten werden wir wohl keinen mehr?«

»Nein. Schad‘ freilich um die schönen Zähne der Männchen. Diejenigen des Bullen, welcher voranlief, konnten gegen hundertzwanzig Pfund wiegen pro Stück. Na, schauen‘s sich mal um! Nun die Arbeit g‘macht ist, wagen sich unsre Sudanesen wieder hervor.«

Die Leute kamen vorsichtig aus den Büschen getreten, und als sie sahen, daß keine Gefahr mehr vorhanden sei, riefen sie das den weiter zurück Befindlichen zu, und bald waren alle um die erlegten Elefanten versammelt. Sogar die Nuehrs hatten sich ohne Ausnahme eingestellt, ein Beweis, daß sie keine Absicht hatten, Abu el Mot oder seine Sklavenjäger aufzusuchen.

Nun wurden Gruppen mit Obmännern, welche man besser als Verschneider bezeichnen konnte, um die Tiere zu zerlegen, bestimmt. Es herrschte in Erwartung der mehr als reichlichen Fleischportionen eine ungeheure Lustigkeit unter diesen Menschen, die aber leider nicht von langer Dauer war, denn kaum war mit der Arbeit begonnen worden, so hörte man von Westen her, wohin die Wächter die Rinder getrieben hatten, ein vielstimmiges Geschrei, in welches sich die Stimmen brüllender Ochsen und Kühe mischte.

»Was mag das sein?« fragte Schwarz. »Ob die Herde scheu geworden ist?«

»Möglich. Wollen abwarten, ob sich was sehen läßt,« antwortete Pfotenhauer.

Er brauchte nicht lange zu warten. Da er sich inmitten der vielen Menschen befand, verhüllten sie ihm die Aussicht nach der betreffenden Richtung, doch nur für kurze Zeit, denn plötzlich flogen sie alle unter lautem Geschrei nach rechts und links auseinander und davon.

»El Hahschil, el Hahschil,« so klang es voller Angst von allen Lippen und in der Zeit von wenigen Sekunden war kein einziger Sudanese mehr zu sehen; sie alle hatten wieder Schutz hinter den Büschen gesucht, die schon vorhin von ihnen als Zuflucht benutzt worden waren.

Nun hatten die wenigen Standhaften einen freien Blick nach West. Von dorther kam ein Stier gerannt, brüllend vor Angst und aus allen Kräften laufend. Hinter ihm drein lief der alte Elefantenbulle, welcher vorhin von der Herde gehetzt worden war. Es war keine Täuschung möglich, da man ihn an dem Fehlen des abgebrochenen Stoßzahnes erkannte.

»Alle Teuxel, das schaut g‘fährlich aus!« rief Pfotenhauer. »Es kommt alles darauf an, wohin der Stier sich wendet.«

»Er ist verloren,« meinte Schwarz. »Der Elefant läuft doppelt schnell.«

»Ja. Der Ochs kommt grad richtig auf uns zu, doch sieht man, daß er sogleich eingeholt sein wird. Verhalten wir uns ruhig, damit der Herumläufer uns dann nit bemerkt.«

Jetzt hatte der Elefant den Stier erreicht. Anstatt ihn von hinten anzugreifen, machte er sich an dessen Flanke, stieß ihm den Zahn in die Seite und warf ihn mitten im Laufe empor.

Man hörte den Krach, als der Stier die Erde wieder berührte. Er wollte sich trotz der gräßlichen Verwundung aufraffen, aber der Elefant war stehen geblieben und schleuderte ihn abermals empor, viel höher noch als vorher; dann trat er ihn mit den Füßen und versetzte ihm mit dem Rüssel so gewaltige Streiche, daß der Besiegte bald eine weiche, formlose Masse bildete.

Die Wut des »Vagabunden« war durch die feindlichen Elefanten erregt und durch den Anblick der Rinderherde erhöht worden; der Tod des Stieres schien ihn nicht zu befriedigen; er sah sich nach neuen Opfern um. Da erblickte er die kleine, bewegungslose Männergruppe und setzte sich gegen sie in Bewegung, nicht etwa langsam laufend, sondern mit einer Schnelligkeit, welche selbst dem besten Rennpferde Trotz geboten hätte.

»Rettet euch in den Wald und auf die Bäume!« schrie Pfotenhauer. »Bei diesen Sprüngen ist vom sichern Zielen und Schießen keine Rede.«

Jetzt kamen die Beine der sonst so furchtlosen Männer in ungewöhnliche Bewegung. Der »Vater der elf Haare«, der kleinste von ihnen, brachte die größten und weitesten Sätze fertig. Er rannte nicht, o nein, sondern er schnellte sich förmlich vorwärts. Dabei rief er in deutscher Sprache: