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Die Juweleninsel

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»Ich kenne ihn so genau, daß ich ihn selbst im tiefsten Dunkel zu finden vermag.«

»So finde ihn!« gebot der Herrscher. »Es ist Nacht, und die Inghs sind vielleicht in der Nähe. Ich darf mich nicht weiter von Augh entfernen, wenn ich nicht in ihre Hände fallen will.«

»Allah il Allah! Wir sind am Ziele!«

»Ah! Wo ist der Ort?«

Lubah streckte seinen Arm nach seitwärts aus.

»Siehst Du die Felsen, Herr, welche dort so weiß vom Ufer herüber schimmern?«

»Ich sehe sie nicht.«

»Deine Augen blicken zu weit nach rechts. Erlaube, daß ich Dir es genau zeige!«

Er drängte sein Pferd ganz an dasjenige des Sultans heran, legte die Linke auf den Hintersattel des letzteren und streckte die Rechte aus, so daß seine Hand beinahe das Gesicht des Herrschers berührte, welcher sich alle Mühe gab, die gar nicht vorhandenen Felsen zu erkennen.

»»Dort sind sie.«

»Ich sehe sie immer noch nicht.«

»Noch ein wenig mehr nach rechts.«

»Bin ich denn mit Blindheit geschlagen! Ist das Versteck in der Nähe dieser Steine?«

»Ja.«

»Was halten wir dann hier? Vorwärts, laß uns doch hinüberreiten, Lubah!«

»Ich komme hinüber, Du aber nicht!«

Er erklärte den Doppelsinn dieser im drohenden Tone ausgesprochenen Worte sofort durch die That: Der Sultan kam nicht hinüber, nämlich zu den Felsen, und der Phansegar kam hinüber, nämlich von seinem Pferde auf dasjenige des Fürsten. Er hatte sich während seiner Worte im Sattel erhoben und hinüber geschwungen so daß er hinter den Sultan zu sitzen kam, dem er die beiden Hände um den Hals schlug, daß es dem also Ueberfallenen ganz unmöglich war, einen Laut auszustoßen. Er stieß ein kurzes Röcheln aus, fuhr mit den Händen und Füßen konvulsivisch durch die Luft und sank dann schlaff zusammen. Die Besinnung war ihm mit dem Athem verloren gegangen.

»Gut gemacht!« murmelte Lubah. »Er ist nicht todt, und ich mache mein Meisterstück, indem ich ihn lebendig nach der Ruine bringe. Sein Allah kann ihn nicht erretten.«

Er nahm alle Waffen des Bewußtlosen an sich, riß ihm den Turban vom Kopfe, rollte denselben auf und band ihn damit so auf das Pferd, daß er weder Arme noch Beine zu rühren vermochte und eine Flucht also unmöglich war. Dann steckte er ihm einen Knebel in den Mund, bestieg sein Pferd wieder, nahm dasjenige des Sultans beim Zügel und ritt im schnellsten Galopp von dannen.

Die Eskorte des Sultans wartete lange und natürlich vergeblich. Es verging eine halbe Stunde, noch mehr, sogar eine ganze Stunde, ohne daß der Herrscher zurückkehrte. Die Leute wurden je länger desto mehr besorgt und unruhig. Endlich beschloß der Anführer, dem letzten Befehle des Sultans zum Trotze, mit seinen Leuten in der von dem Herrscher eingeschlagenen Richtung langsam vorzureiten. Dabei nahmen die Suwars unter einander Distanz, so daß sie eine gerade Linie bildeten, die in ihrem Vorrücken sich auf der einen Flanke an das Ufer des Flusses stützte.

So verfolgten sie die Richtung mit scharf umherspähenden Augen, aber es bot sich ihnen nicht der kleinste Gegenstand dar, welcher ihnen einen Anhalt hätte geben können.

Da plötzlich erschollen Huftritte gerade vor ihnen. Das waren nicht zwei, sondern mehr, viel mehr Reiter. Die Suwars zogen sich schnell zusammen. Es konnte eine Streifpatrouille der Engländer sein, denen nicht zu trauen war, obgleich man den Feldzug in gegenseitigem freundlichen Einvernehmen begonnen hatte. Weiße Mäntel glänzten durch die Nacht und über ihnen war eine Reihe weißer Turbans zu erkennen.

»Es sind keine Ferenghis[31], es sind Freunde,« meinte der Anführer der Suwars. »Kommt, wir werden den Sultan bei ihnen finden!«

Sie ritten den Ankommenden entgegen. Diese stutzten erst und blieben halten, schienen aber ihre Besorgniß aufzugeben, als sie erkannten, daß sie nur eine geringe Anzahl Reiter sich gegenüber hatten. Einer löste sich aus ihrer Reihe und ritt vor.

»Halt! Wer seid Ihr?«

»Suwars des Sultans von Symoore, den Allah mit Ruhm und Ehre segnet.«

»Was thut Ihr hier?«

»Sage zuvor, wer Ihr seid?«

»Suwars des Maharajah von Kamooh, den Allah nach Augh führte.«

»Augh gehört bereits unserem Sultan.«

»Wir wissen es. Also, was thut Ihr hier?«

»Wir warten auf unsern Gebieter.«

»Auf den Sultan?«

»Ja.«

»Ah! Er hat einen nächtlichen Ritt unternommen?«

»Ja. Habt Ihr nicht zwei Reiter gesehen?«

»Zwei Reiter? ja. Wie waren sie gekleidet?«

Der Suwar beschrieb die Kleidung des Sultans und des Phansegars deutlich.

»Merkwürdig!« meinte der Andere. »Ritt der Sultan einen Schimmel?«

»Ja.«

»Und der Begleiter desselben ein etwas kleineres dunkles Thier.«

»Ja.«

»Hm! Wir sind zwei Reitern begegnet, von denen der eine gefesselt war. Er war, wie es mir schien, mit seinem eigenen Turban angebunden und ritt einen Schimmel, den der andere Reiter am Zügel führte. Wir begegneten diesem und hielten ihn an, aber er riß seine Pferde plötzlich herum und sprang mit ihnen in den Strom.«

»Allah akbar, es ist der Sultan gewesen, und der Andere war sicher ein Thug.«

Diese Worte wurden mit dem größesten Schrecken ausgerufen.

»Ein Thug? Woraus schließest Du das?«

»Nur ein Thug wagt es, einen Sultan mitten aus den Seinen heraus lebendig zu entführen. Ein gewöhnlicher Feind hätte den Sultan getödtet und wäre dann entflohen.«

»Das ist richtig. Ha, welch eine Nachricht. der Sultan von Symoore in den Händen der Thugs, und der Rajah von Kamooh verschwunden!«

»Wie? Euer Maharajah ist auch verschwunden?« frug der Suwar verwundert.

»Ja. jedenfalls ist er ebenso wie Euer Sultan in die Hände der Thugs gefallen. Kannst Du mir sagen, ob der Maharajah von Augh entkommen oder gefangen worden ist?«

»Er wurde getödtet; aber seine Leiche ist entführt worden.«

»Getödtet? Ha, dieser Ritt hat guten Lohn getragen, wie mir scheinen will!«

Er gab seinen Leuten ein Zeichen. Sie zogen ihre Säbel, und im Nu sahen sich die Suwars von Symoore umzingelt. Der Sprecher zog auch den Degen und fuhr fort:

»Laßt Euch sagen, daß wir nicht zum Rajah von Kamooh gehören. Wir sind Engländer, ich spreche Eure Sprache so gut wie Ihr und konnte Euch leicht täuschen. Ihr seid meine Gefangenen. Gebt Eure Waffen ab, sonst hauen wir Euch zusammen!«

Der Suwar sah, daß Gegenwehr vollständig fruchtlos sein würde, da er mit den Seinen einer zehnfachen Uebermacht gegenüberstand. Er versuchte zu unterhandeln:

»Ihr gehört zu den Inglis? Was greift Ihr uns an? Wir sind ja Freunde!«

»Wir waren Freunde bis heut. Da Ihr aber Augh nicht räumt, so ist der Vertrag zwischen uns und Euch außer Kraft getreten. Wir sind aus Freunden Gegner geworden.«

»Augh gehörte doch Dem, der es zuerst eroberte.«

»Ich kenne die Bedingungen des Vertrages nicht; ich habe nicht darüber zu entscheiden, sondern ich muß Euch einfach gefangen nehmen und bei uns abliefern. Also die Waffen her, sonst zwingt Ihr mich, den Befehl zu geben, Euch niederzuschlagen.«

»Wohl! Wir sind in Deiner Hand. Allah mag entscheiden zwischen uns und Euch.«

Er gab sich gefangen. Seine Leute folgten seinem Beispiele. Der kühne nächtliche Ritt der Engländer hatte einen reichen Erfolg gebracht. Sie hatten nicht nur Gefangene, sondern auch Nachrichten gefunden, welche, wenn sie sich bestätigten, von ganz außerordentlicher Wichtigkeit waren. Bewährte sich das Verschwinden des Sultans und des Maharajah, so war vorauszusehen, daß die Engländer für ihre Intentionen freie Hand behalten würden.

Unterdessen war man auch in der Stadt um den Sultan besorgt geworden. Es wurden Boten und Patrouillen nach ihm ausgeschickt. Die ersten kamen zurück, ohne eine Spur von ihm und seiner Begleitung gefunden zu haben, und die später ausgesandten kehrten gar nicht wieder. Dieser letztere Umstand hatte einen ganz besonderen Grund.

Derjenige Offizier nämlich, welcher die Suwars gefangen genommen hatte, war bemüht gewesen, schleunigst in das Hauptquartier zurückzukehren. Die von ihm überbrachte Kunde hatte den Oberstkommandirenden vermocht, die Verwirrung, welche das Verschwinden des Sultans hervorrufen mußte, zu benutzen und sich Aughs zu bemächtigen.

Die englischen Streitkräfte setzten sich trotz der Dunkelheit gegen die Hauptstadt des Landes in Bewegung. Die Vorhut bestand aus lauter Sepoys[32], welche der Feind sehr leicht mit seinen eigenen Leuten verwechseln konnte, und diese Sepoys hatten an ihrer Spitze wieder zahlreiche inländische Spione, welche das Terrain ausgezeichnet kannten, vereinzelt vorschwärmten und das geringste Verdächtige sofort nach hinten meldeten.

Auf diese Weise war es gelungen, diejenigen Patrouillen, welche sich zu weit von der Stadt fortgewagt hatten, ohne allen Lärm aufzuheben. Im weiteren Verlaufe des Vorrückens wurden sogar größere Truppenkörper heimlich umzingelt und unschädlich gemacht, und als der Morgen zu grauen begann, standen die Engländer so nahe und so zahlreich vor der Stadt, daß sie den Angriff augenblicklich unternehmen konnten.

Die nur um ihren Sultan besorgten Krieger von Symoore, welche diesen letzteren Umstand nicht im entferntesten vermutheten, erstaunten nicht wenig, als plötzlich mehrere englische Batterien auf Augh ein Feuer eröffneten, unter dessen Schutze sich die Kolonnen zum Angriffe formirten. Eine schreckliche Verwirrung brach herein. jeder wollte befehlen, und Keiner wußte, wem er zu gehorchen habe. Der Brand hatte die Stadt bereits verzehrt; die Straßen waren durch Schutt und Ruinen schwer passirbar gemacht, und die Geschosse des bisherigen Freundes, der so plötzlich zum Gegner geworden war, trugen nicht dazu bei, das Chaos zu entwirren. Da stürmten die Engländer mit einer Wucht heran, welcher nichts zu widerstehen vermochte. Sie warfen Alles, was sich etwa halten wollte, über den Haufen; die Eingeborenen flohen und ließen Alles zurück, was geeignet gewesen wäre, ihre Flucht zu hemmen, und noch war der Morgen nicht weit vorgeschritten, so waren die verhaßten Inglis Herren von Augh und ihre Reiterei verfolgte die Geschlagenen mit solchem Nachdrucke, daß es ihnen unmöglich war, sich wieder zu sammeln.

 

Der englische Obergeneral hielt mit seinem Stabe vor der Stadt, da die letztere nochmals in Brand gerathen und nun so in Trümmern lag, daß es unmöglich war, innerhalb ihrer Mauern Aufenthalt zu nehmen. Von seinem Standorte aus konnte man den Fluß übersehen, und so bemerkte auch einer der Adjutanten ein höchst sonderbares Fahrzeug, welches ungewöhnlich langsam den Strom herabgetrieben kam.

Von dem Baue seines Bootes war nichts zu sehen. Man erkannte über dem Wasser ein eigenthümliches Gerüst, an welchem eine Anzahl menschlicher Gestalten hingen, und zwar über einem aus Reisholz und starken Aesten gebildeten Scheiterhaufen, auf dem allem Anscheine nach ein Leichnam lag. Dieses sonderbare Fahrzeug drehte sich im Vorwärtsschwimmen immer um seine eigene Achse, und bei jeder dieser Umdrehungen war ein Mann zu bemerken, welcher mit einer brennenden Fackel am Rande des Scheiterhaufens stand, jedenfalls bereit, denselben in Brand zu stecken.

Diese Erscheinung mußte die Aufmerksamkeit des Generales allerdings im höchsten Grade erregen. Er winkte einen der eingeborenen Kundschafter herbei und frug ihn:

»Was ist das für ein Schiff ?«

»Ich weiß es nicht, Sahib.«

»Ich denke, Du bist hier zu Lande bekannt!«

»Ich bin es; aber verzeihe, Sahib, ein solches Schiff habe ich noch niemals gesehen.«

»Hast Du keine Vermuthung?«

»Ich habe sie.«

»So sprich sie aus!«

»Dieses Fahrzeug ist kein Kahn, sondern ein Dschola[33], auf welcher die Leiche eines vornehmen Mannes verbrannt werden soll.«

»Das denke ich mir auch. Aber die Leichen dort am Galgen, was sollen sie?«

»Sie sollen jedenfalls mitverbrannt werden, wie ich mir denke, Sahib.«

»Natürlich; aber wer sind sie, und wie kommt man auf die eigenthümliche Idee, diese Leichen mittelst eines Flosses gerade hier auf diesem Strome zu verbrennen?«

»Ich weiß es nicht. Befiehlst Du, Herr, daß ich mich erkundige?«

»Wie?«

»Ich schwimme hinüber und frage den Mann, welcher die Fackel hält.«

»Begibst Du Dich dabei nicht in Gefahr?«

»Nein. Beim Todtenopfer herrscht Friede; ich habe nicht das Mindeste zu befürchten.«

»So eile, damit ich erfahre, ob nicht irgend ein Verrath hinter dieser Sache steckt!«

Der Kundschafter sprang von dannen, warf am Ufer seine Kleidung ab, tauchte in die Fluthen und hielt auf das Floß zu. Er hatte es bald erreicht und schwang sich an dem Rande desselben empor. In diesem Augenblicke warf der Mann, welcher ihn erwartet zu haben schien, die Fackel in das Reisig, welches sofort Feuer fing.

»Von wem bist Du gesendet?« frug er den Kundschafter mit finsterer Stirn.

»Von dem General der Inglis.«

»So stehest Du in seinem Dienste?«

»Ja.«

»Als was?«

»Als Kundschaften«

»Das heißt als Spion.« Er machte eine Bewegung mit der Hand, welche die größeste Verachtung ausdrückte. »Du verräthst also Dein Land, Dein Volk, Dein Weib und Kind, Deinen Gott! Wisse, Verruchter, die Götter werden Dich strafen durch die Hand des Phansegars!«

Der Andere lachte überlegen.

»Ich fürchte weder den Thug noch den Phansegar. Aber sage mir, was diese Dschola zu bedeuten hat! Wer ist der Verstorbene, den Du dem Gotte des Todes opfern willst?«

»Sage mir vorher, warum Du weder den Thug noch den Phansegar fürchtest!«

»Ich stehe unter einem Schutze, der mächtiger ist als die Gewalt aller Phansegars.«

»»Welchen Schutz meinest Du?«

»Den der Inglis.«

»Thor! Blicke hier empor zu diesem Holze! Der Mann mit den lichten Haaren und dem Schnitte in der Kehle war Lord Haftley, der mächtige Sirdar-i-Sirdar[34] der Engländer; der neben ihm hängt hieß Mericourt und war sein Subadar[35], und die Andern rechts von ihm waren alle Offiziere der Inglis. Die Phansegars aber haben diese Mächtigen mitten aus dem Lager des Feindes herausgeholt und gerichtet. Siehst Du nicht, daß ein jeder den bekannten Schnitt des Phansegar am Halse trägt?«

»Mensch, so bist Du selbst ein Phansegar!«

»Ja. Und ich wage mich ganz allein hier unter die Inglis. Bin ich nicht mächtiger als sie, deren höchste Männer ich verbrenne?«

»Man wird Dich fangen und tödten!«

»Sorge Dich um Dich und nicht um mich! Siehst Du den Todten auf dem Holze? Das ist der edle Madpur Singh, Maharajah von Augh, den die Verräther getödtet haben. ich übergebe seine Seele dem Gotte des Himmels. Und siehst Du die beiden Männer neben dem fremden Sirdar links? Das ist der Sultan von Symoore und der Rajah von Kamooh. Wir haben Beide aus der Mitte der Ihrigen herausgelockt. Sie leben noch, aber sie sind gefesselt, daß sie steif sind wie die Leichen. Der gütige und gerechte Madpur Singh ward durch Verrath überfallen und getödtet; die Phansegars werden ihn rächen. Sie fangen die obersten seiner Feinde und verbrennen sie bei getödtetem und bei lebendigem Leibe über seiner Leiche. Und damit alle Welt erkenne, wie kühn und mächtig der Phansegar ist, bringt er den Scheiterhaufen hierher, mitten unter Euch hinein. Siehe dieses Messer! Ich würde Dich tödten, denn Du bist ein Verräther; aber der General hat Dich gesandt, und ich will, daß Du ihm erzählst, was ich Dir gesagt habe. Ich gebe Dir die Erlaubniß zurückzukehren, aber ich verspreche Dir bei unseren heiligen geheimen Gesetzen, daß Du binnen dreien Tagen dieses Messer gekostet haben wirst, magst Du Dich nun in den Himmel oder in die Hölle verkriechen.«

Bei dieser Drohung sprang er in die Fluth und tauchte unter. Erst eine große Strecke weiter fort kam er wieder empor und strebte mit kräftigen Streichen dem gegenseitigen Ufer zu. Der Kundschafter war ganz erstarrt von dem, was er vernommen hatte, er raffte sich zusammen und ließ sich in die Fluthen nieder, um zum Generale zurückzukehren und der Gluth zu entgehen, welche die Flamme jetzt verbreitete.

»Nun?« frug der General, als er bei demselben angekommen war.

»Schnell, Sahib, laß auf diesen Menschen schießen, damit er nicht entkommt!«

»Warum?«

»Er ist ein Phansegar.«

»Alle Teufel! Aber – er ist schon hinüber und aus der Schußweite unserer Gewehre.«

»So laß ihm schleunigst nachsetzen!«

»Geht nicht. Dies müßte durch Reiter geschehen, und ehe Einer hinüberkommt, ist er längst in Sicherheit. Was hatte es mit dem Floße für eine Bewandtniß?«

»Eine fürchterliche. Ich zittere, Sahib!«

»Du sollst nicht zittern, sondern reden. Zittere, wenn Du gesprochen hast; dann hast Du Zeit genug dazu! Also, wer sollte auf dem Floße verbrannt werden? Ah, da prasselt das Gerüste zusammen, und die Gehängten stürzen in die Gluth!«

»Weißt Du, wer sie sind?«

»Ich will es von Dir erfahren. Rede endlich!«

»Du weißt, daß der General Haftley, der Rittmeister Mericourt und mehrere Offiziers von den Thugs ergriffen und gefangen genommen worden sind – — – «

»Natürlich. Weiter!«

»Sie hingen dort an dem Galgen.«

Der General fuhr erschrocken zusammen.

»Kerl, Du lügst.«

»Sahib, ich lüge nicht. Ich habe die Herren oft gesehen und sie wieder erkannt.«

»Ah, also gemordet!«

»Ja, gemordet von den Phansegars zu Ehren des Maharajah Madpur Singh.«

»Wie so?«

»Die Leiche auf dem Scheiterhaufen war die Leiche des todten Königs von Augh.«

»Fürchterlich! Und Du hast diesen Menschen nicht auf der Stelle getödtet?«

»Ich war ohne Waffen, denn ich mußte sie am Ufer lassen; er aber hatte das entsetzliche Messer des Phansegars, gegen welches es weder Wehr noch Hilfe gibt.«

»Was sagte er?«

»Zwei von denen, welche an dem Balken hingen, waren noch lebendig. Es war der Sultan von Symoore und der Maharajah von Kamooh. Die Phansegars haben sie gefangen und der Seele Madpur Singhs geopfert. Sie sind lebendig verbrannt.«

Der General drehte die Spitzen seines Bartes. Ihm als Engländer mußte der Tod dieser beiden Männer sehr willkommen sein. Dennoch aber meinte er:

»Außerordentlich! Aber das soll schnell anders werden. jetzt bin ich Herr von Augh, und ich werde diese Mörder meine Faust so fühlen lassen, daß sie verschwinden.«

»Sahib, vielleicht wirst Du ihre Faust eher fühlen, als sie die Deinige.«

»Schweige!« herrschte ihn der Brite an, sich wieder nach dem Flusse wendend.

Das Floß, jetzt nicht mehr von der Hand des Phansegars in der Mitte des Stromes gehalten, hatte sich dem Ufer genähert und an dasselbe angelegt. Der General trabte der Stelle zu, und die Andern folgten ihm. Das Opfer war vollständig beendet. Die aus Stämmen gebildete Unterlage war durch das Wasser beschützt worden und also nicht verbrannt, das übrige Holzwerk aber hatten die Flammen in Asche verwandelt, unter welcher verschiedene halb verkohlte Knochenreste zu erblicken waren. Der General wandte sich schaudernd ab.

»Lieutenant Barrow, ich übergebe Ihnen dieses Floß. Sorgen Sie dafür, daß diese menschlichen Ueberreste mit Ehren begraben werden. Das Uebrige werde ich noch anordnen.«

Er ritt hinweg. Seine Pflicht als Oberbefehlshaber gab ihm so viel zu thun, daß er sich mit dieser Angelegenheit für jetzt nicht eingehender befassen konnte. Der Lieutenant ließ durch einige Sepoys die Knochen sammeln und verließ dann auch das Floß, welches während des ganzen übrigen Tages unbeachtet am Ufer liegen blieb.

Am Abende aber änderte sich dies.

Augh lag verwüstet. Nur einzelne der geflüchteten Bewohner waren zurückgekehrt und irrten wie Schatten heimlich zwischen den Trümmern umher. Die Engländer hatten die Gegend verlassen und waren unter Zurücklassung einer nur geringen Anzahl von Kriegern dem flüchtigen Heere von Symoore gefolgt. Die Sterne leuchteten hernieder auf die noch immer rauchende Verwüstung, und in weiter Ferne war der Flammenschein eines brennenden Dorfes zu bemerken. Da tauchte plötzlich am Strome eine Gestalt vom Boden empor und nach einiger Zeit eine zweite, welche sich der ersten näherte.

»Alles sicher?«

»Wie es scheint.«

»Keine Wache auf dem Flusse?«

»Wir wollen sehen.«

Sie krochen neben einander langsam auf das Floß zu und fanden dasselbe verlassen.

»Hinauf?« frug der Eine.

»Nein,« antwortete der Andere. »Wir müssen erst sehen, ob die Umgebung sicher ist.«

Sie verschwanden wieder, kehrten aber bald von verschiedenen Seiten wieder zurück.

»Hast Du etwas Verdächtiges bemerkt?«

»Nein.«

Ich auch nicht. Nun laß uns sehen, ob die Bänder des Flosses noch halten!«

Sie bestiegen das Letztere und untersuchten sehr sorgfältig die gedrehten starken Ruthen, durch welche die doppelt übereinander liegenden Stämme verbunden waren.

»Alles noch fest?«

»Ja.«

»Ich denke es auch. jetzt wollen wir das Zeichen geben.«

Er ahmte den Ton nach, welchen der zur Ruhe gehende Krokodilreiher auszustoßen pflegt, und nach kurzer Zeit waren wohl an die fünfzig Gestalten beisammen. Eine derselben stand in der Mitte des Kreises, welchen sie bildeten, und begann halblaut:

 

»Nun sollt Ihr erfahren, weshalb ich Euch hier herführte. Ihr wißt, welch ein guter Herrscher unser Maharajah war —«

»Wir wissen es,« antwortete Einer für Alle.

»Er war gerecht und gut; er war auch klug und hat nie einen Thug getödtet.«

»Niemals.«

»Darum haben wir ihn gerächt und werden auch noch viele seiner Feinde tödten. Sein Körper wurde aus ihren Händen gerettet, aber nicht sein Eigenthum und seine Schätze. Wollt Ihr mir einmal sagen, wem sie von jetzt an gehören?«

»Der Begum.«

»Du hast recht gesprochen, und Ihr sollt mir helfen sie ihr zu bringen. Wer nicht bereit dazu ist, der mag sich melden und uns dann verlassen.«

Es meldete sich Keiner und der Sprecher fuhr fort:

»Ich wollte die Begum und ihren Fremdling lange bei uns in der Ruine von Koleah behalten, aber die Inglis werden ihre Hand auf das Land legen und uns verfolgen. Das wird uns Kämpfe bringen, welche die Sicherheit der Begum gefährden, und daher soll sie dieses Land verlassen, bis es ihr möglich ist, zurückzukehren und den Thron ihrer Väter einzunehmen. Sie hat die Ruine bereits verlassen und wird sich auf ein Schiff begeben, welches ich für sie bestellte. Als ich den Scheiterhaufen errichtete, wußte ich, daß das Floß nicht verbrennen würde. Ich ließ erkunden, wo es liegt, und nun soll es die Schätze aufnehmen und der Begum zuführen. Ihr sollt als Schutz und Wache dienen. Seid Ihr bereit dazu?«

»Wir sind bereit. Befiehl nur, was wir thun sollen.«

»Ihr werdet es sogleich hören, denn da sehe ich Lubah zurückkehren.«

Es war wirklich der Phansegar, welcher jetzt herbeitrat. Der Anführer frug ihn:

»Was hast Du zu berichten?«

»Meister, es ist kein Mensch im Garten, und das Kiosk steht noch wie vorher.«

»So gehe voraus, damit wir nicht überrascht werden. Ihr Andern folgt mir!«

Sie bildeten eine lange Reihe, welche sich am Ufer des Flusses hin bewegte bis an die Mauer, welche den Garten des Maharajah begrenzte. Die Zerstörung hatte auch hier gewüthet, denn die Mauer war an mehreren Stellen eingerissen worden. Die Thugs gelangten durch eine dieser Breschen sehr leicht in den Garten und wurden von ihrem Anführer nach dem Kiosk geführt.

Hier stellte er einige Wachen aus und betrat dann mit Lubah das Gartenhaus. Nach wenigen Augenblicken ließ sich ein leises schleifendes Geräusch vernehmen, und die Außenstehenden bemerkten zu ihrem Erstaunen, daß sich das Häuschen auf seinem Fundamente drehte. Einige Zeit darauf erschien Lubah am Eingange.

»Herbei jetzt! Ein jeder erhält ein Paket und trägt dasselbe nach dem Flosse.«

Nun begann ein eifriges und geräuschloses Hin- und Herwandern zwischen dem Kiosk und dem Flosse, bis sich später das Häuschen wieder drehte und der König der Phansegars mit Lubah heraustrat.

»Fertig. jetzt kommt zurück!«

Auf dem Flosse wurden nun alle Gegenstände in gute Lage und Ordnung gebracht, und dann entfernten sich die Thugs, während der Anführer mit Lubah zurückblieb. Keiner von Beiden sprach ein Wort. So verging wohl eine halbe Stunde, bis sich wieder leise Schritte vernehmen ließen. Die Leute kehrten zurück. Ein jeder von ihnen trug auf der Schulter einen starken aber leichten Bambusstab, an dessen beiden Enden hohle Tongefäße befestigt waren.

Von dieser einfachen aber sehr praktischen Beschaffenheit sind die Vorrichtungen, mit deren Hilfe die Anwohner des Indus, Ganges und anderer ostindischer Flüsse ohne große Anstrengung weite Strecken zu Wasser zurücklegen. Der Schwimmer legt sich mit seinem Vorderkörper auf den Querstab und wird von den Thongefäßen so bequem über Wasser gehalten, daß es ihm leicht wird, auch größere Entfernungen ohne bedeutende Ermüdung zurückzulegen.

Einer von ihnen brachte auch zwei lange Ruder mit, mit deren Hilfe das Floß gelenkt werden konnte. Es stieß vom Lande und suchte, begleitet von den Thugs, welche jeder mit Säbel und Messer bewaffnet waren, die Mitte des Stromes auf. Diese fünfzig Schwimmer, welche gewohnt waren mit dem Tode zu spielen, bildeten für das Floß eine Bedeckung, die sich unter keinem Umstande gescheut hätte, es mit einem weit zahlreicheren Feinde aufzunehmen. Der Schatz der Begum war ihnen und dem Elemente anvertraut, in welchem sie beinahe ebenso zu Hause waren wie auf dem Lande. Die Hauptmacht der Engländer war landeinwärts gerückt, das Heer von Kamooh stand führer- und in Folge dessen thatenlos weit von der Residenz entfernt, und die Begleitung des Flosses hatte also nur die kleinen detachirten Trupps der Feinde zu fürchten, welche zur Erkundigung der Gegend ausgeschickt waren. Furcht aber kannten doch die Männer nicht, deren bluttriefender Glaube es ihnen als das höchste Ziel vorsteckte, als Mörder ergriffen zu werden, um eines qualvollen Todes zu sterben. —

Es war am vorhergehenden Morgen, als Alphons Maletti vom Schlafe erwachte. Es hatte ihm geträumt, daß er sich in einer ihn blutig umwogenden Schlacht befinde, unter deren Kanonendonner die Erde erbebte. Noch im Erwachen glaubte er, den dumpfen rollenden Ton der Geschütze zu vernehmen, und sogar als er die Augen bereits geöffnet hatte, hörte er noch das tiefe Grollen einer entfernten Kanonade.

Er erhob sich von seinem Lager und trat zum Fenster. Am westlichen Himmel zuckten die ersten Streifen des Tages, während im Osten die Morgenröthe den Horizont bereits zu färben begann. Er lauschte. ja, wahrhaftig, das war Kanonendonner. Er kannte denselben zu genau, als daß ein Irrthum möglich gewesen wäre.

Der Schall kam aus der Gegend von Augh. Was gab es dort noch zu kämpfen? Der Maharajah war ja besiegt und todt: drei mächtige Feinde standen mit ihren Heeren im Lande, und es war also gar nicht denkbar, daß die Bevölkerung von Augh nach dem Falle ihres Herrschers es gewagt hätte, diesem dreifachen Gegner noch immer Widerstand zu leisten. Aber Maletti kannte die Politik der Briten, und daher vermuthete er sofort das Richtige: die Engländer hatten sich gegen ihre Verbündeten gewandt, um alleinige Herren des eroberten Landes zu bleiben. Er knirschte mit den Zähnen und murmelte:

»Nur einige Monate später! Hätte ich nur drei Monate lang mein Amt verwalten können, so wären diese Krämer so empfangen worden, daß sie das Wiederkommen für immer vergessen hätten. Nun aber ist an keine Rettung mehr zu denken.«

Er hörte draußen halblaute Schritte und öffnete die Thür. Er erkannte das Oberhaupt der Thugs.

»Komm herein!«

»Ich wollte lauschen, ob Dich der Kanonendonner vielleicht aufgeweckt hätte.«

»Er hat es. Man schießt in der Gegend von Augh. Weißt Du etwas Näheres?«

»Es geschieht hier im Lande nichts, wovon ich nicht von meinen Leuten benachrichtigt würde.«

»Wem gilt diese Kanonade?«

»Die Inglis haben wieder einmal ihre Treue gebrochen und greifen das Heer von Symoore an.«

»Sie werden siegen, wenn der Maharajah von Kamooh nicht augenblicklich dem Sultan zu Hilfe eilt.«

»Das wird er nicht thun, Glaube mir, das Gold der Inglis ist noch mächtiger als ihre Waffen. Sie haben doch sogar die Thugs erkaufen wollen, aber der Tod eines einzigen Engländers ist uns kostbarer als ganze Tonnen des schimmernden Metalles.«

Da ließen sich leise Schritte vernehmen, und Rabbadah erschien unter der Thür.

»Ich höre schießen. Was geht vor? Wer liefert diese Schlacht?«

»Die Inglis greifen die Leute von Symoore an,« antwortete der Phansegar.

»Was sagst Du? Sind die Engländer nicht Verbündete des Sultans von Symoore?«

»Sie waren es, aber sie kennen keine Treue und keinen Glauben, sobald es ihr Vortheil erheischt. Sie wollen Augh allein besitzen und haben es sich von dem Sultan erobern lassen, um es ihm sogleich wieder abzunehmen.«

»Wird es Ihnen gelingen?«

»Ja.«

»Aber der Sultan von Symoore ist berühmt als ein großer und tapferer Feldherr.«

»Er ist nicht bei seinem Heere und wird in weniger als zwei Stunden todt sein.«

Die beiden Andern blickten bei dieser Prophezeiung überrascht auf.

»Er wird sterben?« frug die Begum. »Wer sagt es Dir?«

»Ich selbst. Er stirbt gleichzeitig mit dem Maharajah von Kamooh.«

»Mit dem Maharajah? Unmöglich! Und wie wolltest Du das voraus wissen?«

»Weil ich es bin, der ihnen den Tod gibt. Sie sterben von der Hand des Phansegars.«

»Unbegreiflicher Mensch! So willst Du sie also überfallen und tödten lassen?«

»Nein. Sie befinden sich bereits in meinen Händen. Du weißt nicht, wie kühn und mächtig der Phansegar ist. Ein einziger meiner Leute hat den Sultan von Symoore mitten aus Augh herausgeholt, und ein einziger meiner Männer hat genügt, den Maharajah von Kamooh gefangen zu nehmen und seinen Sirdar zu tödten.«

»So hast Du den Sultan und den Maharajah hier in der Ruine bei Dir?«

»Jetzt nicht mehr. Sie sind bereits auf dem Wege zum Tode.«

»Wo sterben sie?«

»Du bist meine Herrscherin, und ich befolge Deine Befehle, noch ehe Du sie mir gegeben hast. Was soll mit der Leiche Deines Bruders Madpur Singh geschehen?«

»Ich werde Dich bitten sie heute verbrennen zu lassen.«

»So laß Dir sagen, daß ich ein Floß gebaut habe, auf welchem ein Scheiterhaufen errichtet ist. Auf demselben liegt der Todte und über ihm hängen seine Feinde, der Sultan, der Rajah, und die Engländer, welche wir tödteten. Das Floß wird von dem besten meiner Leute nach Augh geleitet und dort in Brand gesteckt, und die Inglis sollen erfahren, daß der Maharajah von Augh nicht ungerächt ermordet worden ist.«

»Das wolltest Du thun?«

»Ich habe es bereits gethan; das Floß ist schon längst abgegangen und wird nun bald in Augh ankommen.«

»Wird das Alles auch wirklich glücken?«

»Es glückt, dafür bürgt mir der Mann, welcher das Floß führt. Er wird sogar die Inglis auf dasselbe aufmerksam zu machen wissen, ehe er es verbrennt.«

»Ich danke Dir für diese Rache und für die Treue, die Du mir bewahrst. Ich möchte niemals Deine Feindin sein, denn Du gebietest über Leben und Tod, ohne einem Volke oder der öffentlichen Stimme Rechenschaft geben zu müssen.«

31Fremde.
32Eingeborene Soldaten im Dienste der Engländer.
33Floß.
34Chef der Generale, Generalissimus.
35Kapitän, Hauptmann, Rittmeister.