Die Gum

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„Sihdi!“, rief er dringlicher.

Ich wandte bloß den Kopf. „Was noch?“

„Ich werde mit dir sprechen.“

„So bemühe dich, höflich zu sein, sonst schicke ich dich wieder auf die Straße. Wie ist dein Name?“

„Ich heiße Mahmud Ben Mustafa Abd Ibrahim Jakub Ibn Baschar.“

„Dein Name ist länger als dein Gruß. Euer Prophet, der große Mohammed Ibn Abdallah el Haschemî, sagt: ,Seid höflich auch mit den Ungläubigen und Feinden, damit sie euren Glauben und die Kaaba achten lernen!‘ Merke dir das! Du bist ein Targi?“

„Ein Targi und Imoscharh.“

„Von welchem Stamm?“

„Hedschân Bei, der Karawanenwürger, erlaubt seinen Kriegern nicht, den Franken ihren Stamm zu nennen.“

Beinahe hätte mich ein kleiner Schreck erfasst. Also Renaud war Gefangener des berüchtigten Hedschân Bei! Das war das Schlimmste, was ich erfahren konnte. Ich hatte selbst in der Ferne von diesem ebenso grausamen wie verwegenen Wüstenräuber gehört und wusste, dass er der Schrecken aller Karawanen sei. Niemand vermochte zu sagen, zu welchem Stamm er eigentlich gehöre; die ganze weite Wüste war sein Jagdgebiet. Von der algerischen Steppe bis hinunter zum Sudan und von den ägyptischen Oasen bis hinüber nach Wadan und Walata in der westlichen Sahara war sein Name bekannt. Bald hier, bald dort auftauchend, war er stets ebenso schnell verschwunden, wie er gekommen war; doch überall kostete sein Erscheinen Opfer an Gütern und Menschenleben. Er musste geheime Aufenthaltsorte haben, die über die ganze Sahara zerstreut lagen. Er musste Helfer besitzen, die ihm von jeder bedeutenden Kâfila Nachricht gaben und ihm behilflich waren, die geraubten Güter an den Mann zu bringen. Aber seine Person und seine Taten waren in so geheimnisvolles Dunkel gehüllt, dass eine Aufklärung bisher unmöglich gewesen war. – Gleichwohl hielt ich es für geraten, gegen seinen Boten so zu tun, als hätte ich noch nichts von ihm gehört.

„Hedschân Bei? Wer ist das?“

„Kennst du den Karawanenwürger nicht? Ist dein Ohr taub, dass du noch nichts von ihm vernommen hast? Er ist der Herr der Wüste, fürchterlich in seinem Zorn, grässlich in seinem Grimm, schrecklich in seinem Hass und unüberwindlich im Kampf. Der junge Ungläubige ist sein Gefangener.“

Ich lachte.

„Unüberwindlich im Kampf? So kämpft er wohl nur mit dem kleinen Schakal und der feigen Hyäne? Kein Franke fürchtet sich vor ihm und seiner Gum. Warum gibt er den Gefangenen nicht frei? Hat er nicht zweimal Lösegeld erhalten?“

„Die Wüste ist groß und der Hedschân Bei hat viele Männer, die Kleider, Waffen und Zelte brauchen.“

„Der Karawanenwürger ist ein Lügner und Betrüger. Sein Herz kennt nicht die Wahrheit und seine Zunge ist falsch; sie hat zwei Spitzen wie die Zunge der Schlange, der man den Kopf zertritt. Mit welcher Botschaft sendet er dich?“

„Gib uns Burnusse und Schuhe, Waffen und Pulver, Spitzen für unsere Speere und Tücher für unsere Zelte!“

„Ihr habt bereits zweimal erhalten, was du begehrst. Du wirst nicht den Zipfel eines Tuches und nicht ein Körnchen Pulver mehr bekommen!“

„So stirbt der Gefangene!“

„Der Hedschân Bei gibt ihn nicht los, auch wenn er erhält, was er von uns fordert.“

„Er wird ihm seine Freiheit schenken. Der Würger der Karawanen ist gnädig, wenn er den Preis empfängt.“

„Wie viel fordert er?“

„So viel, wie er bereits erhalten hat.“

„Das ist beträchtlich. Du willst die Waren mitnehmen?“

„Nein. Du wirst sie ihm senden wie die beiden anderen Male.“

„Wohin?“

„Nach dem Bab el Ghud.“

Das war ja derselbe Ort, wohin mich Emery bestellt hatte! Sollte ihm bekannt sein, dass der Räuber sich dort aufhalten würde?

„Werden wir den Gefangenen dort treffen und gegen das Lösegeld erhalten?“

„Ja.“

„Du hast bereits zweimal ja gesagt und doch gelogen. Schwöre es mir!“

„Ich schwöre es!“

„Bei der Seele deines Vaters?“

„Bei – der Seele meines – Vaters!“, stieß er zögernd hervor.

„Und beim Bart des Propheten!“ Jetzt wich er mir verlegen aus.

„Ich habe geschworen, das ist genug!“

„Du hast geschworen bei der Seele deines Vaters, die nicht mehr wert ist als die deinige. Schwörst du beim Bart des Propheten?“

„Nein.“

„So ist dein Wort abermals Lug und Trug und du wirst die Sterne der Wüste nicht wieder sehen.“

Sein Auge leuchtete auf.

„Wisse, Ungläubiger, dass die Seele des Gefangenen zur Dschehennem[30] fahren wird, wenn ich nicht zur rechten Zeit beim Hedschân Bei eingetroffen bin. Das schwöre ich dir allerdings beim Bart des Propheten, der seine Gläubigen zu schützen weiß!“

„Dann wird deine Seele ihr vorangehen und die Gebeine des Karawanenwürgers und seiner Gum werden bleichen im Sonnenbrand, das schwöre nun ich dir. Und du darfst versichert sein, dass ein Franke seinen Schwur hält!“

Er warf den Kopf empor und fuhr sich mit den Nägeln der geöffneten Rechten rasch unter den Bart, bei den Beduinen die Gebärde der Verachtung.

„Ihr werdet alles bringen, was wir verlangen. Ich war zweimal bei euch und ihr habt es nicht gewagt, eure Hände an den Gesandten des Hedschân Bei zu legen; ihr werdet es auch heute nicht tun. Hundert Männer wie du vermögen nicht, ihn zu besiegen, und tausend Männer deinesgleichen werden seine Gum nicht überwinden, denn du bist ein Giaur!“

Ich trat mit erhobener Faust auf ihn zu.

„Ist dein Kopf leer und dein Geist verdorrt, dass du es wagst, mir dieses Wort zu sagen, du, der du nichts bist als ein Schakal, den man mit einem Fußtritt verjagt?“

Er ließ sofort die Flinte zur Erde gleiten und hob die beiden Arme. An jedem Handgelenk hing ihm eine scharfe, spitze Kussa[31] von wohl zwanzig Zentimeter Klingenlänge. Während der gewöhnliche Beduine nur ein solches Messer trägt, führt der Wüstenräuber deren zwei, die er in der Weise gebraucht, dass er den Feind umarmt und ihm die beiden Klingen dabei in den Rücken stößt. Mein Targi hielt sich zu diesem angenehmen Verfahren bereit.

„Willst du das Wort widerrufen?“, fragte ich.

„Ich sage es noch einmal – Giaur!“

„So falle nieder vor dem Giaur!“

Noch bevor er eine Bewegung machen konnte, traf ihn meine Faust an die Schläfe; er knickte zusammen und sank besinnungslos zu Boden. Es war dies derselbe Jagdhieb, dessentwegen man mich in der Prärie Old Shatterhand genannt hatte.

„O mon Dieu!“, kreischte Madame auf. „Sie haben den Mann erschlagen, er ist tot!“

Mademoiselle lag in halber Ohnmacht auf dem Diwan, neben dem sie gestanden hatte, und Latréaumont machte ein Gesicht, als sei der Blitz gerade vor ihm in den Boden gefahren.

„Keine Sorge, Madame!“, tröstete ich. „Dieser Geselle lebt noch, wenn ihm auch die Besinnung für einige Zeit abhanden gekommen ist. Ich kenne meine Faust genau. Wäre es meine Absicht gewesen, ihn zu töten, so hätte ich ein wenig weiter ausgeholt.“

Diese Worte brachten den erschrockenen Franzosen wieder zu Atem.

„Aber Sie sind ja ein Riese, ein wahrer Goliath, Monseigneur! Bei mir hätte es wenigstens einiger hundert Hiebe bedurft, um diesen Mann so wirkungsvoll par terre zu bringen.“

Das kleine Männchen, das mir kaum bis zur Schulter reichte und die Hände eines Kindes besaß, hatte Recht. Er hätte wohl stundenlang auf dem Schädel des Targi herumhämmern können, ohne ihm einigermaßen weh zu tun.

„Bitte, Monseigneur“, erwiderte ich, „sorgen Sie dafür, dass dieser Beduine gebunden und der Polizei überliefert wird. Ihre Gewalt reicht zwar nicht bis in die Wüste; hier aber wird sie sich Ihnen gern zur Verfügung stellen.“

Er sah mich überrascht an.

„Mon ciel, das dürfen wir doch nicht wagen, denn dann wird der fürchterliche Hedschân Bei unseren armen Renaud töten! Ich glaube vielmehr, dass dieser grässliche Hieb schon ein ganz außerordentliches Wagnis ist!“

„Ich werde Ihnen meine Gründe erklären, ersuche Sie aber dringend, bis dahin so zu handeln, wie ich es von Ihnen erbitte. Oder sagten Sie nicht vorhin, dass ich im Besitz Ihres vollständigen Vertrauens sei?“

„Gewiss, gewiss, Monseigneur. Ich stehe ja schon im Begriff, die Dienerschaft zu rufen.“

Er eilte nach dem Klingelzug, und auf den ungewöhnlich lauten Ton der Glocke kam die ganze verfügbare Bedienung herbeigestürzt.

„Bindet diesen Menschen und schafft ihn in ein festes Gewölbe, bis die Polizei kommt, um ihn abzuholen!“, befahl der Hausherr mit einer Miene, als sei er es gewesen, der den ,grässlichen Hieb‘ geführt hatte.

Man stürzte sich mit echt südlicher Lebhaftigkeit auf den Besinnungslosen und in zwei Augenblicken war er mit allen möglichen Dingen, die einstweilen als Fesseln dienen konnten, so eng zusammengeschnürt, dass ihm nach seinem Erwachen sicherlich keine Bewegung möglich war, Dann fassten acht eifrige Hände den Gefangenen, um ihn fortzuschleifen.

Ein einziger von den Dienern war am Eingang stehen geblieben, ohne sich an den Bemühungen der anderen zu beteiligen. Er war eine untersetzte, breitschultrige Gestalt und hatte ein Gesicht, das mir zu seiner morgenländischen Kleidung gar nicht recht zu passen schien. Als er den Aufwand von Kräften bemerkte, womit die anderen vier den Targi nach der Tür zogen, trat er heran und schob sie beiseite.

„Maschallah, tausend Schwerebrett, is dös a Gezieh und a Gezerr! Packt euch fort, ihr Nixnutz ihr, denn dös bring’ ich ganz allein fertig!“

 

Ein Ruck, ein kräftiger Schwung, und er hatte sich den Targi auf die Schulter geworfen.

Vor Freude über die unerwarteten deutschen Laute ließ ich ihn fast aus dem Zimmer laufen, ohne ihn zurückzuhalten.

„Halt!“, rief ich, als er bereits die Tür geöffnet hatte. „Du bist ein Deutscher?“

Im Nu hatte er sich trotz seiner Last zu mir herumgedreht.

Sein breites, ehrliches Gesicht glänzte von einem Ohr bis zum anderen.

„Dös will ich wohl meinen, Herr! Jessas! Sie wohl auch?“

„Jawohl. Wo bist du daheim?“

„Ich bin zu Haus in Kaltenbrunn bei Staffelstein.“

„Also in Bayern. Aber deine Mundart ist eine andere als die der Gegend von Staffelstein, wo ich ein so gutes süffiges Bier getrunken habe!“

„Ja, Herr, dös ist – – aber da habt’s den Kerl wieder! Schleift’s ihn meinetweg’n, wohin ihr wollt!“, unterbrach er sich, indem er den Targi zur Erde gleiten ließ. Der Gebundene wurde hinausgeschafft, der Landsmann aber wandte sich wieder zu mir und reichte mir treuherzig die Hand. „So, jetzert hab ich meine Händ’ wieder frei. Grüß Gott, Herr, in Afrika! Ja, in Staffelstein, da gibt’s a Bier, a Bier, sag’ ich, dös rinnt ganz von selber in d’ Gurgel hinab. Also dort g’wes’n sind Sie? Na, dös is’ schön, dös is prächtig! Und an meiner Sprach’ is’ niemand schuld als die Leut’ aus Baden und der Rheinpfalz hier, die mir fast die Staffelsteiner Sprach’ verdorben hab’n.“

„Es sind Süddeutsche hier?“

„Mehr als genug, Herr. Sie sind drauß’n auf’m Dorf Dely Ibrahim bei El Biar, wo’s Trappistenkloster geleg’n is’. Aber wo sind denn Sie zu Haus?“

„Ich bin ein Sachse.“

„Maschallah, tausend Schwerebrett, a Nachbar von daheim! Darf ich wohl frag’n, wie lange Sie noch hier bleiben werd’n?“

„Morgen früh reise ich wieder ab.“

„Schon! Wohin denn, wenn’s erlaubt ist?“

„In die Sahara.“

„In die Sand- und Mördergrube? A Stück bin ich scho drin g’wes’n, nämlich in Farfar, und hab’ scho lang wieder mal hineing’wollt. Maschallah, Herr, darf ich net mit?“

Diese Frage kam mir nicht unwillkommen. Einen Diener musste ich haben und ein Deutscher war mir auf alle Fälle lieber als jeder andere.

„Gingst du wirklich mit?“

„Auf der Stell’ und mit Vergnüg’n!“

„Kannst du reiten?“

„Reiten? Wie der Teufel, Herr! Ich bin ja mit der Fremdenlegion herübergekommen und bin später bei den Chasseurs d’Afrique gestand’n.“

„Verstehst du Arabisch?“

„Grad was gebraucht wird, ja.“

„Was warst du früher?“

„Schreiner. Hab’ auch was Tüchtiges gelernt, Herr, besonders das Dreinschlag’n. Nachher bin ich halt in die weite Welt ’gangen und unter die Legion gerat’n, hol sie der Kuckuck! Dann hab’ ich in Dely Ibrahim gearbeitet, bis ich hier den Dienst erhalt’n hab’. Fragen S’ den Herrn; er wird zufried’n sein mit mir!“

„Du gehst mit. Ich werde dir seine Erlaubnis auswirken!“

„Maschallah, tausend Schwerebrett, das is’ ja, als hätte heute das Christkind beschert! Geht auch der große Hassan mit, der den langen Namen hat?“

„Ja. Er wird unser Führer sein.“

„Juhu! Der g’fällt mir! So lang er da is’, hat’s zwischen ihm und mir nix anders geb’n als Lust und Katzbalgerei. Ich geh mit, ich g’wiss, drauf können Sie sich verlassen, Herr. Juhu, Maschallah!“

Mit der Zunge und allen zehn Fingern schnalzend, fuhr er zur Tür hinaus. – – –

2. Asad Bei, der Herdenwürger

Die Steppe! –

Im Süden des Atlas, des Gharian und der Gebirge von Derna liegt sie, von der Freiligrath so treffend sagt:

„Sie dehnt sich aus von Meer zu Meere;

wer sie durchritten hat, dem graust.

Sie liegt vor Gott in ihrer Leere

wie eine öde Bettlerfaust.

Die Ströme, die sie jach durchrinnen,

die ausgefahrnen Gleise, drinnen

des Kolonisten Rad sich wand,

die Spur, in der die Büffel traben –

das sind, vom Himmel selbst gegraben,

die Furchen dieser Riesenhand.“

Von dem Gebiet des Mittelmeeres sich bis zur Sahara erstreckend, also zwischen dem Sinnbild der Fruchtbarkeit, der Gesittung, und dem Zeichen der Unfruchtbarkeit, der Barbarei, bildet sie eine breite Reihe von Hochebenen und nackten Höhenzügen, deren kahle Berge wie die klagenden Seufzer eines verzweifelten Gebetes aus traurigen, öden Flächen emporsteigen. Kein Baum, kein Haus! Höchstens ein einsames, halb verfallenes Karawanserai bietet dem Auge einen wohltätigen Ruhepunkt, und nur im Sommer, wenn ein armseliger Pflanzenwuchs den dürren Boden durchdringt, wandern einige Eingeborenenstämme mit ihren Zelten und Herden zur Höhe, um ihren mageren Tieren eine kaum genügende Weide zu bieten. Im Winter aber liegt die Steppe vollständig verlassen unter der Decke des Schnees, der auch hier trotz der Nähe der glühenden Sahara mit seinen Flockenwirbeln über die erstorbene Einöde fegt.

Nichts ist rundum zu schauen als Sand, Stein und nackter Fels. Kieselbruch und scharfes Geröll bedeckt den Boden, oder wandernde Ghuds[32] schleichen sich, vom fliegenden Sand genährt, Schritt um Schritt über die traurige Fläche, und zeigt sich einmal irgendwo ein stehendes Gewässer, so ist es doch nur ein lebloser Schott, dessen Wasser in seinem Becken liegt wie eine tote Masse, aus der jeder frische, blaue Ton verschwunden ist, um einem starren, unbelebten und schmutzigen Grau zu weichen. Diese Schotts vertrocknen während der Sommerhitze und lassen dann nichts zurück als ein mit Steinsalz geschwängertes Bett, dessen stechender Widerschein dem Auge unerträglich ist.

Einst hat es auch hier Wälder gegeben. Aber sie sind verschwunden und nun fehlen die segensreichen Vermittler der feuchten Niederschläge. Die Betten der Bäche und Flüsse, Wadis genannt, ziehen sich im Sommer als scharfe Einschnitte und wilde, felsige Schluchten von den Höhen herab, und selbst der Schnee des Winters vermag ihr grausiges Gewirr nicht gänzlich zu verhüllen. Schmilzt er aber unter der Wärme der plötzlich eintretenden heißen Jahreszeit, so stürzt sich die tobende Wassermasse unvermittelt mit weithin hörbarem Brausen zur Tiefe und vernichtet alles, was nicht Zeit findet, schleunigst die Flucht zu ergreifen. Dann fasst der Beduine an die neunundneunzig Kugeln seines Rosenkranzes, um Allah zu danken, dass er ihn nicht dem Wasser begegnen ließ, und warnt die Bedrohten durch den lauten Ruf: „Flieht, ihr Männer, der Wadi kommt!“

Durch diese zeitweilige Flut und die stehenden Wasser der Schotts werden an den Ufern der Seen und Wadis dornige Sträucher und stachlige Mimosen hervorgelockt, die die Kamele vermöge ihrer harten Lippen benagen können, unter deren Schutz aber auch der Löwe und der Panther schlafen, um von ihren nächtlichen Raubzügen auszuruhen. –

Wie vorher bestimmt, war ich am anderen Morgen mit Hassan, dem Kabbaschi und Josef Korndörfer, dem Staffelsteiner, von Algier abgereist. Wirklich hatten wir bis Batna die Steppenpost benützt. Hier aber stellte sich unserer Weiterreise ein unerwartetes Hindernis entgegen.

Noch war mir die wahrhaft halsbrecherische Fahrt mit einem italienischen Vetturino von den Alpen nach Italien hinunter im Gedächtnis, noch klang mir das haarsträubende ,Allegro, allegrissimo!‘, das er stets gerufen hatte, wenn ich ihn bat, langsamer und vorsichtiger zu fahren, in den Ohren die alte Karre wurde von den im Galopp bergab stürmenden Pferden am Rande grausiger Abgründe dahingejagt und um scharfe Felskanten gerissen, als hätte ich meine Reise nur unternommen, um in der Tiefe irgendeiner Gebirgsschlucht zerschmettert zu werden. Und als ich endlich wohlbehalten die Ebene erreichte, war es mir, als sei ich einer Gefahr entronnen, gegen die es für mich weder Wehr noch Waffe gegeben hatte.

Was aber war selbst diese ,Allegrissimofahrt‘ gegen eine Reise mit der Steppenpost! Der Postwagen bestand aus Innenteil, Abteil und Schutzdecken und war mit acht Pferden bespannt, von denen zwei vorn und dann je drei nebeneinander gingen. Von einer Straße gab es keine Spur; die Fahrt ging immer in gestrecktem Lauf durch Löcher, über halsbrecherische Flussbetten, steile Pässe hinan, jähe Abhänge hinunter, und alle Augenblicke waren wir gezwungen auszusteigen, um in rührender Geduld unsere Kräfte mit denen der unglücklichen Pferde zu vereinen, wenn es galt, den Wagen aus einem Loch herauszuarbeiten oder über eine Steilung hinwegzubringen, die selbst für einen Fußgänger beschwerlich gewesen wäre. Ich fühlte mich schon nach den ersten Stunden wie gerädert, Korndörfer schimpfte ein ,Maschallah‘ nach dem anderen, und Hassan el Kebîr gab sich mit allen Kräften den unterhaltenden Zerstreuungen hin, die für gewöhnlich in Verbindung mit der Seekrankheit auftreten. Der gute Mann vom berühmten Stamm der Kababisch und der Ferkat en Nurab hatte noch nie in einem Wagen gesessen. Ich musste unwillkürlich an seine großartige Versicherung denken: „Die Steppe bebt und die Sahel erzittert, wenn Dschessâr Bei erscheint!“ Jetzt bebte und zitterte er an allen Gliedern und es war ihm anzusehen, dass es ihm hier in der Steppe fürchterlich ,giaur‘ zu Mute sei.

Sein Grimm über diesen unwürdigen Zustand machte sich erst in Batna Luft:

„Allah kerîm Gott ist gnädig, und ihm sei Dank, dass mich meine Haut zusammengehalten hat! Ist denn Hassan Ben Abulfeda Ibn Haukal al Wardi Jussuf Ibn Abul Foslan Ben Ishak al Duli ein Blutegel, dass er wieder von sich geben muss, was er genossen hat? Ich schwöre es beim Bart des Propheten, dass Hassan el Kebîr nie wieder in ein Räderhaus steigen wird! Dschessâr Bei, der Menschenwürger, hat seine Heimat im Serdsch[33]! Du wirst ihn nur nach Bab el Ghud bringen, Sihdi, wenn du ihm erlaubst, zu reiten!“

„Hassan hat Recht“, stimmte der Staffelsteiner bei. „Maschallah, tausend Schwerebrett, war dös a Gerumpel und Gerassel in der alt’n Bud’n. Und so was schimpfen’s Diligence! Ich fahr’ mit acht Pferden und soll mi auf d’ Letzt selber auch noch vorspannen? Das halt’ aus, wer mag. Ich war Chasseur d’Afrique und will lieber die ärgste Bestie reiten, als noch ’mal in die Bud’n nei’schaun!“

Ich musste den beiden erbitterten Fahrgästen Recht geben, zumal da ich mich bereits entschlossen hatte, auf die weitere Benutzung der Post zu verzichten. Ein Aufenthalt in Batna war mir nicht gestattet und so dingte ich einen Beduinen, mich und meine zwei Begleiter auf Pferden nach Biskra zu schaffen, wo ich mir Kamele zur Weiterreise kaufen wollte. Er aber riet mir, dies nicht zu tun, sondern mit ihm über das Auresgebirge nach einem arabischen Duar[34] zu gehen, wo ich bessere und zugleich billigere Kamele finden würde als in Biskra.

Ich ging auf seinen Vorschlag ein, behielt mir aber vor, das Gebirge über den Fam es Sahar[35] zu erreichen, um so lange wie möglich dem gewöhnlichen Reiseweg folgen zu können. Ich konnte mir allerdings denken, dass ich im Duar frischere und ungeschwächtere Tiere erhalten würde als in der Stadt, wo vielleicht nur abgetriebene zu finden waren, die man notdürftig wieder aufgefüttert hatte. Überdies gab es noch einen Grund, der mich bestimmte, der Ansicht des Führers zu folgen. In den wilden Tälern des Auresgebirges ist der Löwe keine Seltenheit, und wenn ich auch wegen der gebotenen Eile keine Hoffnung hatte, mit dem König der Tiere persönlich zusammenzutreffen, so war es doch möglich, seine Spur zu sehen oder gar seine Stimme zu hören. Übrigens war eine kleine Ewigkeit vergangen, seit ich den letzten Schuss getan hatte, und ich fühlte Sehnsucht, den Klang meiner Büchse wieder zu vernehmen und irgendein jagdbares Geschöpf aufs Korn zu nehmen. Zwischen den Bergen bot sich dazu jedenfalls Gelegenheit und ich suchte daher meinen Bärentöter und den Henrystutzen hervor.

Wir waren der Post voraus und gaben ihr auch keine Gelegenheit, uns einzuholen. Die Pferde, die wir ritten, gehörten zu jener kleinen Berberrasse, deren Größe in keinem Verhältnis zu ihren braven Leistungen steht. Schon zwölf Stunden saßen wir im Sattel und dennoch trabten sie in der Richtung, der wir noch vier volle Stunden zu folgen hatten, unverdrossen dahin. Selbst das Grauschimmelchen, von dessen niedrigem Rücken die unendlichen Beine des ,großen Hassan‘ fast bis zur Erde nieder hingen, schien sich aus seiner schweren Last nicht viel zu machen und blieb um keinen Schritt hinter uns zurück.

 

Vor und um uns lag die Steppe in gelblichem Licht. So weit das Auge reichte, war die Hochebene völlig kahl und leer, aber diese Landschaft zeigte heute ein lebensvolles Bild. Der Fam es Sahar, der Mund der Wüste, hatte sich geöffnet, um zahlreiche beduinische Hirten über die Steppe zu speien, die ihre Herden den Wadis und Schotts zutrieben, den spärlichen Pflanzenwuchs abzuweiden. Auf schnellen Pferden, mit wehendem Burnus und schimmernden Lanzen ihre Kamele und Schafe umreitend, zogen sie, gefolgt von ihren Frauen und Kindern, die auf bunt bedeckten Dromedaren saßen, nach allen Richtungen über die Ebene dahin und brachten auf das ungewohnte Auge den Eindruck eines Trugbildes hervor, das einen halb wachen und halb träumenden Geist gefangen hält.

Von jetzt an traten die Höhenzüge, die die weite Fläche begrenzten, näher aneinander und schoben sich endlich zu einem immer enger werdenden Felsental zusammen. Der Blick, der bisher in die unendlich scheinende Weite zu schweifen vermochte, wurde von kahlen, nackten Abhängen festgehalten, die beinahe senkrecht aus der Talsohle emporstiegen. Wir ritten zwischen Felswänden und Abgründen, in deren unterster Tiefe das Auge das graugelbe Wasser eines reißenden Bergstroms erblickte. Nach scharf abwärts gerichtetem Ritt erreichten wir ihn endlich und mussten nun viermal übersetzen. Es war der Wed el Kantara, in dessen Fluten Jules Gérard, der kühne Löwenjäger, seinen Tod gefunden hatte. An der Stelle, wo er in den Fluss gegangen war, hatte ihm eine vorüberziehende Abteilung französischer Truppen aus aufgehäuften Steinen ein einfaches Denkmal errichtet.

Ich ließ halten.

„Hast du von Gérard, dem Löwentöter, gehört, Josef?“, fragte ich den Staffelsteiner.

„Versteht sich, Herr!“, antwortete er. „Er war a Franzos’ und is’ endlich halt ins Wasser g’stürzt und drin elend ersoff’n.“

„Kennst du den Emir el Areth, den ,Herrn des Löwen‘, Hassan?“, wandte ich mich an den Kabbaschi.

„Er war ein Ungläubiger, aber beinahe so tapfer wie Hassan el Kebîr“, erwiderte er stolz. „Er hat den ,Herrn mit dem dicken Kopf‘[36] des Nachts und ganz allein aufgesucht, um ihn zu töten. Aber der Wangil el Wâh[37] hat ihn doch noch zerrissen und verzehrt, denn er war kein Muslim, sondern ein Mann aus dem Dar el harb[38].“

„Du irrst, Hassan. Der Emir el Areth wurde nicht von dem Löwen zerrissen, der eher hundert Muslimin als einen Christen erwürgt, sondern er starb hier in den Fluten des Wed el Kantara, und seine Brüder haben ihm dieses Denkmal erbaut. Nehmt eure Gewehre, ihr Männer! Ihre Stimmen sollen seinem Geist verkünden, dass sich der Wanderer des Gebieters über den ,Herrn mit dem dicken Kopf‘ erinnert.“

„Soll meine Büchse zu den Ohren eines Geistes klingen, der Er Raït[39] nicht kennt, Sihdi?“, widersprach Hassan.

„Jeder Mensch lebt in Er Raït, wenn er gestorben ist, Hassan, denn Gott ist überall, auf allen Sternen und in allen Himmeln. Schau in den Koran und lies nach, was die weisen Ausleger des Wortes des Propheten lehren! Dann wirst du in Zukunft sachlicher und richtiger urteilen.“

„Sihdi, warum bist du nicht ein Sajjid[40]! Du kennst den Fam el Kuran[41] wie ein Schriftgelehrter! Deine Stimme ist wie die Stimme des Chatib[42], die nur die Wahrheit spricht. Ich werde tun, was du von mir forderst!“

Aus vier Läufen erklang nun eine dreimalige Salve zu Ehren des Löwenjägers, ein von den Felswänden widerhallender Totengruß, den ein ,Rifleman‘ dem anderen brachte. Dann ging der Ritt weiter nach dem Pass von Kantara.

Hier traten die Steinwände bis an die Ufer des Flusses heran, der die ganze Breite des Engpasses ausfüllte. Wir mussten fast eine Viertelstunde in den schäumenden Wellen reiten und gelangten dann in einen Talkessel von wild großartiger Prägung.

Steil, schroff und himmelhoch stiegen die schwarzgelben Schieferwände, an dem Fluss mit wirren Steinmuren bedeckt, ringsum empor und bildeten im Süden mit einer riesigen Felsmauer eine tiefe Schlucht, die einer klaffenden Wunde im Haupt des Gebirges glich.

Das war der Fam es Sahar. Er führte hinab nach den Oasen des Siban. Die schroffen Felsen zur Linken gehörten den Höhenzügen des Auresgebirges an. Die dunklen Schieferwände zur Rechten bildeten den Anfang des Dschebel Sultan. Zwischen ihnen lag das Karawanserai El Kantara, wo wir für die Nacht Einkehr hielten.

Der Seraidschi[43] bereitete uns einen echt türkischen Kahwe[44], und nachdem wir unser einfaches Abendbrot verzehrt hatten, wurden die Pfeifen angebrannt und ich lehnte mich zurück, um den Gesprächen der anwesenden Reisenden zu lauschen. Sie waren außer uns und zwei von Tolga kommenden Juden sämtlich Araber, deren Weg sich hier am ,Mund der Wüste‘ begegnete.

Der Hauptsprecher war mein guter Hassan el Kebîr, der sich die größte Mühe gab, seinen Zuhörern einzuprägen, dass er Dschessâr Bei, der Menschenwürger, genannt werden müsse. Josef Korndörfer dagegen saß still neben mir und hielt gelangweilt seine Augen geschlossen. Nur zuweilen öffnete er sie und dann vernahm ich entweder einen müden Seufzer oder ein zorniges Maschallah über die Selbstverherrlichung des Kabbaschi von der Ferkat en Nurab.

Da kam die Rede auf einen Gegenstand, der mich außerordentlich fesselte. Der Seraidschi besaß nämlich eine kleine Hammelherde, von der sich, obgleich der Wirt sie des Nachts in der Nähe des Hauses eingepfercht hielt, schon einige Nächte hintereinander ein Panther jedes Mal ein Stück geholt hatte.

„Seraidschi!“, rief ich.

„Sihdi?“, antwortete er, nähertretend.

„Weißt du gewiss, dass es ein Panther war?”

„Ja, Sihdi. Ich habe seine Spur gesehen. Sie ist groß und scharf; es ist ein Weibchen, das Allah verdammen möge! Ich bin ein armer Kahwedschi[45] und habe nur dreiundzwanzig Schafe. Kann die Mörderin nicht zu einem Reicheren gehen? Ein Männchen würde die Herde eines Armen nicht berauben!“

Der zornige Muslim schien von dem Rechts- und Schicklichkeitsgefühl der weiblichen Wesen keine allzu gute Meinung zu haben.

„Warum tötest du sie nicht?“, fragte ich ihn.

„Das Weib des schwarzen Panthers töten, Sihdi? Weisst du nicht, dass unter ihrem Fell der Scheïtan wohnt, der jeden zerreißt, der es beschädigen will?“

„Und weißt du, dass unter deiner Haut el Schubak wohnt, der Satan der Angst, der dein Herz verschlungen und dein Blut getrunken hat? Du bist ein Mann und fürchtest dich vor einem Weib? Allah schütze dein Haus, sonst kommt die Sultana des Panthers ins Serai, um auf deinem Diwan zu schlafen und aus deinem Schädel Kahwe zu trinken!“

„Sie wird meine Herde verspeisen, aber meinem Haus fern bleiben, Sihdi! Weißt du nicht, dass vor jedem wilden Tier geschützt ist, wer täglich dreimal die Surat el ichlâß betet?“

„Die Surat el ichlâß ist gut für euch, denn der Prophet hat sie euch gelehrt, und solange du sie täglich dreimal betest, hat dich die schwarze Katze noch nicht gefressen. Ich aber habe eine Surat, die mächtiger ist als alle Ajât eures heiligen Buches: Sie vernichtet jeden Feind.“

„Sag sie mir vor, damit ich sie beten lerne, Sihdi!“

„Nicht vorsagen, sondern zeigen werde ich sie dir!“ Ich nahm meine Büchse und schlug auf ihn an. „Dies ist meine Surat gegen alle Feinde.“

Er sprang erschrocken zur Seite.

„Bism illâhi, iâ ridschal – um Gottes willen, auf ihr Männer, flieht! Dieser Sihdi hat den Verstand verloren. Er hält seine Flinte für die Surat el ichlâß und will uns ermorden!“

Ich legte die Büchse wieder zur Seite.

„Bleibt ruhig sitzen, ihr Männer! Mein Verstand ist noch bei mir, denn ich halte das Weib des Panthers nicht für einen Scheїtan, sondern für eine Katze, die ich mit meiner Surat töten werde.“ Und mich erhebend, fügte ich hinzu: „Seraidschi, zeige mir die Hürde, worin sich deine Schafe befinden!“

„Bist du toll, Sihdi, dass du verlangst, dass ich mit dir zur Hürde gehen soll? Die Nacht ist finster und dieses Weib des Panthers kommt nicht gegen Morgen wie die anderen Tiere, die Fleisch stehlen, sondern sie naht stets um Mitternacht. Sie mag meine Schafe fressen, mich aber soll sie nicht zerreißen!“

„So beschreibe mir den Ort, wo ich die Hürde finde!“

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