Der Scout

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Er stand auf und zog einen alten Lederbeutel aus der Tasche, um sein Bier zu bezahlen. Ich glaubte, ihm durch mein Mißtrauen wehe gethan zu haben, und sagte, um das wieder gut zu machen:

»Es gibt Geschäfte, in welche man keinen Andern, am Allerwenigsten aber einen Fremden, blicken lassen darf. Ich habe keineswegs die Absicht gehabt, Euch zu beleidigen und denke – – –«

»Ay, ay!« unterbrach er mich, indem er ein Geldstück auf den Tisch legte. »Von einer Beleidigung ist keine Rede. Ich habe es gut mit Euch gemeint, denn Ihr habt trotz der Bartwichse in Eurem Schnurrbarte Etwas an Euch, was mein Wohlwollen erweckte.«

»Vielleicht begegnen wir uns wieder!«

»Schwerlich. Ich gehe heut’ hinüber in’s Texas und will nach Mexiko hinein. Es ist wohl nicht anzunehmen, daß Euer Spaziergang dieselbe Richtung haben werde, und so – – fare well, Sir! Und denkt bei Gelegenheit daran, daß ich Euch ein Greenhorn genannt habe! Von Old Death dürft Ihr das ruhig hinnehmen, denn er verbindet nicht die Absicht der Beleidigung damit, und es kann keinem Neulinge Schaden bringen, wenn er ein klein wenig bescheiden von sich denkt.«

Er setzte den breitkrämpigen Sombrero auf, welcher über ihm an der Wand gehangen hatte, nahm Sattel und Zaumzeug auf den Rücken, griff nach seinem Gewehre und ging. Aber als er drei Schritte gemacht hatte, wendete er sich schnell wieder um, kam noch einmal zurück und raunte mir zu:

»Nichts für ungut, Sir! Ich habe nämlich auch – – studirt und denke heut’ noch mit großem Vergnügen d’ran, was für ein eingebildeter Dummkopf ich damals gewesen bin. Good b’ye

Jetzt verließ er das Local, ohne sich nochmals umzudrehen. Ich sah ihm nach, bis seine auffällige und von den Passanten belächelte Gestalt in der Menschenmenge verschwand. Gern hätte ich ihm gezürnt. Ich gab mir ordentlich Mühe, bös auf ihn zu sein, und brachte es doch nicht fertig. Sein Aeußeres hatte eine Art von Mitleid in mir erweckt; seine Worte waren rauh, aber seine Stimme hatte dabei sanft und eindringlich wohlmeinend geklungen. Es war ihr anzuhören gewesen, daß er es ernsthaft gut mit mir meine, und der Inhalt seiner Worte hatte, ohne daß ich es mir offen eingestand, eine Art von Beschämung, die Ahnung der Mangelhaftigkeit meines Werthes in mir erweckt.

Ich legte den Ellbogen auf den Tisch, den Kopf in die Hand und blickte sinnend vor mir nieder. Greenhorn! Ich konnte diesen Ausdruck doch nicht ganz verwinden. Hatte ich denn etwas so Unfertiges in meinem Gesichte und in meinem Benehmen? Freilich, ich war so »durchsichtig« gewesen, wie der Yankee es niemals sein wird. Hatte ich es wirklich das Zeug, einen so durchtriebenen Menschen, wie Gibson war, einzufangen? Ich fühlte einen leisen Zweifel in mir aufsteigen und – – doch nein! Ich war ganz der Mann, die mir gestellte Aufgabe zu lösen; ja, ich war es; ich fühlte eine ungeheure Energie in mir, denn – – in diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre, und kein Anderer als Gibson trat ein.

Er blieb am Eingange stehen und musterte die Anwesenden. Als ich annahm, daß sein Blick auf mich fallen müsse, wendete ich mich um, der Thüre den Rücken zukehrend. Es gab keinen leeren Platz außer demjenigen, welchen Old Death inne gehabt hatte. Gibson mußte also zu mir kommen, um sich bei mir niederzusetzen. Ich freute mich bereits im stillen über den Schreck, welchen mein Anblick ihm einjagen würde.

Aber er kam nicht. Ich hörte das Geräusch der sich wieder in ihren Angeln drehenden Thüre und drehte mich schnell um. Wahrhaftig, er hatte mich erkannt; er floh. Ich sah ihn hinaustreten und schnellen Schrittes davoneilen. Im Nu hatte ich den Hut, auf dem Kopf, warf dem Boardkeeper eine Bezahlung zu und schoß hinaus. Da, rechts, lief er, sichtlich bemüht, hinter einer dichten Menschengruppe zu verschwinden. Er drehte sich um, sah mich und verdoppelte seine Schritte. Ich folgte mit gleicher Schnelligkeit. Als ich an der Gruppe vorüber war, sah ich ihn in einer Seitengasse verschwinden. Ich erreichte diese eben als er am Ende derselben um die Ecke bog. Vorher aber drehte er sich abermals um, zog den Hut und schwenkte denselben gegen mich. Das ärgerte mich natürlich, und ich fiel, ohne zu fragen, ob die Passanten über mich lachen würden, in scharfen Trab. Kein Polizist war zu sehen. Privatpersonen um Hilfe zu bitten, wäre vergeblich gewesen; es hätte mir Keiner beigestanden.

Als ich die Ecke erreichte, befand ich mich auf einem kleinen Platze. Mir zu beiden Seiten standen geschlossene Reihen kleiner Häuser; gegenüber erblickte ich Villen in prächtigen Gärten. Menschen gab es genug auf dem Platze; aber Gibson bemerkte ich nicht. Er war verschwunden.

An der Thüre eines Barbierladens lehnte ein Schwarzer. Er schien schon lange dagestanden zu haben; der Flüchtige mußte ihm unbedingt aufgefallen sein. Ich trat zu ihm, zog höflich den Hut und fragte ihn, ob er nicht einen weißen Gentleman flüchtig aus der Gasse habe kommen sehen. Er fletschte mir seine langen, gelben Zähne lachend entgegen und antwortete:

»Yes, Sir! Habe ihn schon. Lief sehr schnell, sehr. Ist da hinein.«

Er deutete nach einer der kleinen Villen. Ich dankte ihm und beeilte mich, das Häuschen zu erreichen. Die eiserne Pforte des Gartens, in welchem es stand, war verschlossen, und ich klingelte wohl fünf Minuten lang, bevor mir ein Mann, wieder ein Neger, öffnete. Ihm trug ich mein Anliegen vor; er schlug indessen die Thüre vor meiner Nase zu und meinte:

»Erst Massa fragen. Ohne Erlaubniß von Massa ich nicht aufmachen.«

Er ging, und ich stand wenigstens zehn Minuten lang wie auf Kohlen. Endlich kehrte er mit dem Bescheide zurück:

»Nicht aufmachen darf. Massa verboten. Kein Mann heut hereingekommen. Thüre zugeschlossen stets. Ihr also schnell fortgehen, denn wenn etwa über Zaun springen, dann Massa sein Hausrecht brauchen und mit Revolver schießen.«

Da stand ich nun! Was sollte ich thun? Mit Gewalt eindringen durfte ich nicht; ich war überzeugt, daß in diesem Falle der Besitzer wirklich auf mich geschossen hätte; denn der Amerikaner versteht in Beziehung auf sein Heim keinen Spaß. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als zur Polizei zu gehen.

Als ich höchst ergrimmt über den Platz zurückschritt, kam ein Junge auf mich zugelaufen. Er hatte einen Zettel in der Hand.

»Sir, Sir!« rief er. »Wartet einmal! Ihr sollt mir zehn Cents für diesen Zettel geben.«

»Von wem ist er denn?«

»Von einem Gentleman, welcher eben da drüben« – er deutete nicht nach der Villa, sondern in grad entgegengesetzte Richtung – »aus dem Hause kam. Er zeigte mir Euch und schrieb mir die Zeilen auf. Zehn Cents, so bekommt Ihr sie!«

Ich gab ihm das Geld und erhielt den Zettel. Der Junge sprang von dannen. Auf dem verwünschten Papiere, welches aus einem Notizbuche gerissen war, stand:

»Mein werder Master Dutchman.

Seid Ihr etwa meinetwegen nach New-Orleans gekommen? Ich vermuthe das, weil Ihr mir folgt. Ich habe Euch für albern gehalten; für so dumm, mich fangen zu wollen, aber doch nicht. Wer nicht mehr als nur ein halbes Loth Gehirn besitzt, der darf sich so Etwas nicht unterfangen. Kehrt getrost nach New-York zurück, und grüßt Master Ohlert von mir. Ich habe dafür gesorgt, daß er mich nicht vergißt, und hoffe, daß auch Ihr zuweilen an unsere heutige Begegnung denkt, welche freilich nicht sehr ruhmvoll für Euch abgelaufen ist. Ihr werdet ein Greenhorn bleiben, so lange Ihr lebt!

Gibson.«

Man kann sich denken, welches Entzücken ich empfand, als ich diese liebenswürdige Epistel las. Ich knillte den Zettel zusammen, steckte ihn in die Tasche und ging weiter. Es war möglich, daß ich von ihm heimlich beobachtet wurde, und ich wollte dem Menschen nicht die Genugthuung bereiten, mich in Verlegenheit zu sehen.

Dabei blickte ich forschend über den Platz. Gibson war nicht zu sehen. Der Neger war vom Barbierladen verschwunden; den Jungen konnte ich ebenfalls nicht entdecken und ihn nach Gibson fragen. Er hatte jedenfalls die Weisung erhalten, sich schnell davon zu machen.

Wieder war ich ein Greenhorn genannt worden! Schwarz auf Weiß sogar! Während ich wegen des Einlasses in die Villa capitulirte, hatte Gibson Zeit gefunden, mir in aller Gemüthlichkeit einen Brief von dreiundzwanzig Zeilen zu schreiben. Der Neger hatte mich genarrt; Gibson lachte mich ohne Zweifel aus, und der Junge hatte eine Miene gemacht, aus welcher ich ersehen mußte, daß er wußte, ich sei Einer, der geprellt werden solle.

Ich befand mich in einer geradezu katzenjämmerlichen Stimmung, denn ich war blamirt, und durfte nicht einmal auf der Polizei erwähnen, daß ich Gibson begegnet sei. Man hätte mich eben auch – wenn auch nicht in das Gesicht – ein Greenhorn genannt und sich heimlich über mich lustig gemacht. Ich ging also sehr still davon und befand mich ungefähr in der Stimmung eines Menschen, welcher geprahlt hatte, ein ausgezeichneter Segler zu sein, sich aber vom ersten Luftzuge das Boot hat umwerfen lassen.

Ohne den freien Platz wieder zu betreten, durchsuchte ich die in denselben einmündenden Gassen, natürlich ohne den blassen Schimmer eines Erfolges. Ein erfahrenerer und pfiffigerer Mann, als ich es war, wäre gar nicht auf den Gedanken gekommen, dies zu thun, denn es verstand sich ja ganz von selbst, daß Gibson ein für ihn so gefährliches Stadtviertel schleunigst verlassen hatte. Es war sogar zu vermuthen, daß er die erste Gelegenheit, aus New-Orleans zu kommen, benutzen werde.

Auf letzteren Gedanken kam ich trotz meines nur »ein halbes Loth« wiegenden Gehirnes und begab mich in Folge dessen nach dem Platze, an welchem die an jenem Tage abgehenden Schiffe lagen. Zwei in Civil gekleidete Polizisten unterstützten mich – – auch vergeblich. Der Aerger, so übertölpelt worden zu sein, ließ mich nicht ruhen, und ich durchwanderte, in alle möglichen Restaurants und Tavernen blickend, bis in die späte Nacht hinein die Straßen. Dann, als ich mich gar zu ermüdet fühlte, ging ich nach meinem Lodging-House und legte mich nieder.

 

Der Traum versetzte mich in ein Irrenhaus. Hunderte von Wahnsinnigen, welche sich für Dichter hielten und ausgaben, streckten mir ihre dickleibigen Manuscripte entgegen, welche ich durchlesen sollte. Natürlich waren es lauter Tragödien, welche einen verrückten Dichter zum Haupthelden hatten. Ich mußte lesen und lesen, denn Gibson stand mit dem Revolver neben mir und drohte, mich sofort zu erschießen, wenn ich nur einen Augenblick pausire. Ich las und las, daß mir der Schweiß von der Stirne lief. Um denselben abzutrocknen, zog ich mein Taschentuch, hielt eine Sekunde lang inne und – wurde von Gibson erschossen!

Das Krachen des Schusses weckte mich, denn es war nicht ein vermeintliches, sondern ein wirkliches Krachen gewesen. Ich hatte mich vor Aufregung im Bette hin und her geworfen und in der Absicht, Gibson den Revolver aus der Hand zu schmettern, die Lampe von dem Kammerdiener, einem kleinen, hart am Bette stehenden Tischchen, geschlagen. Sie wurde mir am Morgen mit nur acht Dollars angerechnet. Das kommt davon, wenn man einen Spitzbuben fangen will und kein Geschick dazu hat!

Vollständig in Schweiß gebadet, erwachte ich. Ich trank meinen Thee und fuhr dann hinaus nach dem herrlichen See Pontchartrain, wo ich ein Bad nahm, welches mich erfrischte und auch meine moralische Constitution zu stärken schien. Dann begab ich mich von Neuem auf die Suche. Dabei kam ich wieder an die deutsche Bierstube, in welcher ich gestern Old Death getroffen hatte. Ich ging hinein, und zwar ohne alle Ahnung, hier eine Spur finden zu können. Das Local war in diesem Augenblicke nicht so gefüllt, wie am vergangenen Tage. Gestern war keine Zeitung zu bekommen gewesen; heut lagen mehrere Blätter unbenutzt auf dem Tische, und ich ergriff das erste, beste, eine deutsche Zeitung, die bereits damals in New-Orleans erscheinende »Deutsche Zeitung«, welche noch heute existirt, wenn sie auch wahrscheinlich inzwischen nach amerikanischem Muster den Verleger und Redacteur viele Male gewechselt hat.

Ohne die Absicht, das Blatt wirklich durchzustudiren, schlug ich es auf, und das erste, was mir auffiel, war ein Gedicht. Gedichte lese ich bei der Durchsicht einer Zeitung entweder zuletzt oder lieber gar nicht. Die Ueberschrift glich der Kapitelüberschrift eines Schauerromans. Das stieß mich ab. Sie lautete: »Die fürchterlichste Nacht«. Schon wollte ich die Seite umwenden, als mein Auge auf die beiden Buchstaben fiel, mit denen das Gedicht unterzeichnet war: »W.O.« Das waren ja die Anfangsbuchstaben des Namens William Ohlert! Der Name hatte mir so lange Zeit und so unausgesetzt im Sinne gelegen, daß es nicht Wunder nehmen kann, wenn ich ihn in Beziehung zu diesen Buchstaben brachte. Ohlert junior hielt sich ja für einen Dichter. Sollte er seinen Aufenthalt in New-Orleans dazu benutzt haben, eine Reimerei an das Publikum zu bringen? Vielleicht war die Veröffentlichung so schnell erfolgt, weil er die Aufnahme bezahlt hatte. Bewahrheitete sich meine Vermuthung, so konnte ich durch dieses Gedicht auf die Spur der Gesuchten gebracht werden. Ich las also:

Die fürchterlichste Nacht.

Kennst du die Nacht, die auf die Erde sinkt

Bei hohlem Wind und schwerem Regenfall,

Die Nacht, in der kein Stern vom Himmel blinkt,

Kein Aug’ durchdringt des Wetters dichten Wall?

So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen;

O lege dich zur Ruh, und schlafe ohne Sorgen!

Kennst du die Nacht, die auf das Leben sinkt,

Wenn dich der Tod auf’s letzte Lager streckt

Und nah der Ruf der Ewigkeit erklingt,

Daß dir der Puls in allen Adern schreckt?

So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen;

O lege dich zur Ruh, und schlafe ohne Sorgen!

Kennst du die Nacht, die auf den Geist dir sinkt,

Daß er vergebens nach Erlösung schreit,

Die schlangengleich sich um die Seele schlingt

Und tausend Teufel ins Gehirn dir speit?

O halte fern dich ihr in wachen Sorgen,

Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen! W. O.

Ich gestehe, daß die Lectüre des Gedichtes mich tief ergriffen. Mochte man es für literarisch werthlos erklären, es enthielt doch den Entsetzensschrei eines begabten Menschen, welcher vergebens gegen die finstern Gewalten des Wahnsinnes ankämpft und fühlt, daß er ihnen rettungslos verfallen müsse. Doch schnell überwand ich meine Rührung, denn ich mußte handeln. Ich hatte die Ueberzeugung, daß William Ohlert der Verfasser dieses Gedichtes sei, suchte im Directory nach der Adresse des Herausgebers der Zeitung und begab mich hin.

Expedition und Redaction befanden sich in demselben Hause. In der Ersteren kaufte ich mir ein Exemplar und ließ mich sodann bei der Redaction melden, wo ich erfuhr, daß ich sehr richtig vermuthet hatte. Ein gewisser William Ohlert hatte das Gedicht am Tage vorher persönlich gebracht und um schleunige Aufnahme gebeten. Da das Verhalten des Redacteurs ein ablehnendes gewesen war, so hatte der Dichter zehn Dollars deponirt und die Bedingung gestellt, daß es in der heutigen Nummer erscheine und ihm die Revision zuzuschicken sei. Sein Benehmen sei ein sehr anständiges gewesen, doch habe er ein wenig verstört drein geschaut und wiederholt erklärt, daß das Gedicht mit seinem Herzblute geschrieben sei – übrigens eine Redensart, deren sich begabte und unbegabte Dichter und Schriftsteller gern zu bedienen pflegen. Wegen der Zusendung der Revision hatte er seine Adresse angeben müssen, und ich erfuhr dieselbe natürlich. Er wohnte oder hatte gewohnt in einem als fein und theuer bekannten Privatkosthause in einer Straße des neueren Stadttheiles.

Dorthin verfügte ich mich, nachdem ich mich in meiner Wohnung unkenntlich gemacht hatte, was mir nach meiner Ansicht sehr gut gelang. Dann holte ich mir zwei Polizisten, welche sich vor der Thüre des gedachten Hauses aufstellen sollten, während ich mich im Innern befand.

Ich war so ziemlich überzeugt, daß mir die Festnahme des gesuchten Spitzbuben und seines Opfers gelingen werde, und in ziemlich gehobener Stimmung zog ich die Hausglocke, über welcher auf einem Messingschilde zu lesen war: »First class pension for Ladies and Gentlemen.« Ich befand mich also am richtigen Orte. Haus und Geschäft waren Eigenthum einer Dame. Der Portier öffnete, fragte mich nach meinem Begehr und erhielt den Auftrag, mich bei der Dame zu melden; auch übergab ich ihm eine Visitenkarte, welche auf einen andern Namen lautete als den meinigen. Ich wurde in das Parlour geführt und hatte nicht lange auf die Lady zu warten.

Sie war eine fein gekleidete, behäbig aussehende Dame von ungefähr fünfzig Jahren. Wie es schien, hatte sie einen kleinen Rest von schwarzem Blute in ihren Adern, wie ihr gekräuseltes Haar und eine leichte Färbung ihrer Nägel vermuthen ließen. Sie machte den Eindruck einer Frau von Gemüth und empfing mich mit großer Höflichkeit.

Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich ihr einen Bären von ziemlichem Umfang aufband, denn ich stellte mich ihr als den Feuilletonredacteur der »Deutschen Zeitung« vor, zeigte ihr das betreffende Blatt und gab an, daß ich den Verfasser dieses Gedichtes sprechen müsse; dasselbe habe solchen Anklang gefunden, daß ich ihm Honorar und neue Aufträge bringe.

Sie hörte mir ruhig zu, betrachtete mich aufmerksam und sagte dann:

»Also ein Gedicht hat der Herr bei Ihnen drucken lassen? Wie hübsch! Schade, daß ich nicht Deutsch verstehe, sonst würde ich Sie bitten, es mir vorzulesen. Ist es gut?«

»Ausgezeichnet! Ich hatte bereits die Ehre, Ihnen zu sagen, daß es sehr gefallen habe.«

»Das ist mir von größtem Interesse. Dieser Herr hat den Eindruck eines fein gebildeten Mannes, eines wahrhaften Gentleman auf mich gemacht. Leider sprach er nicht viel und verkehrte mit Niemanden. Er ist nur ein einziges Mal ausgegangen, jedenfalls als er Ihnen das Gedicht brachte.«

»Wirklich? Ich entnahm aus der kurzen Unterhaltung, welche ich mit ihm hatte, daß er hier Gelder erhoben habe. Er muß also öfters ausgegangen sein.«

»So ist es während meiner Abwesenheit vom Hause geschehen, vielleicht auch hat sein Sekretär diese geschäftlichen Dinge abgemacht.«

»Er hat einen Sekretär? Davon sprach er nicht. Er muß also ein wohlsituirter Herr sein.«

»Gewiß! Er zahlte gut und speiste auf das Feinste. Sein Sekretär, Master Clinton, führte die Kasse.«

»Clinton! Ah, wenn dieser Sekretär Clinton heißt, so muß ich ihn im Club getroffen haben. Er stammt aus New-York oder kommt wenigstens von dort und ist ein vorzüglicher Gesellschafter. Wir trafen uns gestern zur Mittagszeit – –«

»Das stimmt,« fiel sie ein. »Da war er ausgegangen.«

»Und fanden,« fuhr ich fort, »ein solches Wohlgefallen an einander, daß er mir seine Photographie verehrte. Die meinige hatte ich nicht bei mir, mußte sie ihm aber bestimmt versprechen, da wir uns heute wieder treffen wollen. Hier ist sie.« Und ich zeigte ihr Gibsons Bild, welches ich immer bei mir trug.

»Richtig, das ist der Sekretär,« sagte sie, als sie einen Blick daraufgeworfen hatte. »Leider werden Sie ihn nicht so bald wieder sehen, und von Master Ohlert werden Sie kein weiteres Gedicht erhalten können; sie sind beide abgereist.«

Ich erschrack, faßte mich indessen schnell und sagte:

»Das thut mir sehr leid. Der Einfall, abzureisen, muß ihnen ganz plötzlich gekommen sein?«

»Allerdings. Es ist das eine sehr, sehr rührende Geschichte. Master Ohlert freilich sprach nicht davon, denn Niemand greift in die eigenen Wunden, aber sein Sekretär hat sie mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgetheilt. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mich stets des besonderen Vertrauens derjenigen erfreue, welche zeitweilig bei mir wohnen.«

»Das glaube ich Ihnen. Ihre feinen Manieren, Ihre zarten Umgangsformen lassen das als ganz natürlich erscheinen,« flunkerte ich mit der größten Unverfrorenheit.

»O bitte!« meinte sie, trotz der Unbeholfenheit dieser Adulation geschmeichelt. »Die Geschichte hat mich fast zu Thränen gerührt, und ich freue mich, daß es dem unglücklichen jungen Manne gelungen ist, noch zur rechten Zeit zu entkommen.«

»Entkommen? Das klingt ja genau so, als ob er verfolgt werde!«

»Es ist auch wirklich der Fall.«

»Ah! Wie interessant! Ein so hochbegabter, genialer Dichter, und verfolgt! In meiner Eigenschaft als Redacteur, gewissermaßen also als College des Unglücklichen, brenne ich vor Verlangen, etwas Näheres zu hören. Die Zeitungen repräsentiren eine bedeutende Macht. Vielleicht wäre es mir möglich, mich seiner in einem Artikel anzunehmen. Wie schade, daß Ihnen diese interessante Geschichte nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgetheilt worden ist!«

Ihre Wangen rötheten sich. Sie zog ein nicht ganz reines Taschentuch, um es im Falle des Bedürfnisses sofort bei der Hand zu haben, und sagte:

»Was diese Discretion betrifft, Sir, so fühle ich mich jetzt nicht mehr zu ihr verpflichtet, da die Herren abgereist sind. Ich weiß, daß man das Zeitungswesen eine Großmacht nennt, und würde ganz glücklich sein, wenn Sie dem armen Dichter zu seinem Rechte helfen könnten.«

»Was in meinen Kräften steht, soll ganz gern geschehen; nur müßte ich von den betreffenden Verhältnissen unterrichtet sein.«

Ich muß gestehen, daß es mir Mühe kostete, meine Aufregung zu verbergen.

»Das werden Sie, denn mein Herz gebietet mir, Ihnen Alles mitzutheilen. Es handelt sich nämlich um eine ebenso treue, wie unglückliche Liebe.«

»Das habe ich mir gedacht, denn eine unglückliche Liebe ist das größte, herzzerreißendste, überwältigendste Leiden, welches ich kenne.«

Natürlich hatte ich von Liebe noch nicht die blasse Ahnung.

»Wie sympathisch Sie mir mit diesem Ausspruche sind, Sir! Haben auch Sie dieses Leiden empfunden?«

»Noch nicht.«

»So sind Sie ein glücklicher Mann. Ich habe es ausgekostet bis fast zum Sterben. Meine Mutter war eine Mulattin. Ich verlobte mich mit dem Sohne eines französischen Pflanzers, also mit einem Kreolen. Unser Glück wurde zerrissen, weil der Vater meines Bräutigams keine Coloured-Lady in seine Familie aufnehmen wollte. Wie sehr muß ich also mit dem bedauernswerthen Dichter sympathisiren, da er aus demselben Grunde unglücklich werden soll!«

»So liebt er eine Farbige?«

»Ja, eine Mulattin. Der Vater hat ihm diese Liebe verboten und sich schlauerweise in den Besitz eines Reverses gesetzt, in welchem die Dame unterschrieben hat, daß sie auf das Glück der Vereinigung mit William Ohlert verzichte.«

 

»Welch ein Rabenvater!« rief ich erbittert aus, was mir einen wohlwollenden Blick von der Dame eintrug.

Die Dame nahm sich das, was Gibson ihr weißgemacht hatte, mächtig zu Herzen. Gewiß hatte die sprachselige Lady ihm von ihrer einstigen unglücklichen Liebe erzählt, und er war mit einem Märchen bereit gewesen, durch welches es ihm gelang, ihr Mitgefühl zu erregen und die Plötzlichkeit seiner Abreise zu erklären. Die Mittheilung, daß er sich jetzt Clinton nenne, war mir natürlich von der größten Wichtigkeit.

»Ja, ein wahrer Rabenvater!« stimmte sie bei. »William aber hat ihr seine Treue bewahrt und ist mit ihr bis hierher entflohen, wo er sie in Pension gegeben.«

»So kann ich doch noch nicht ersehen, warum er New-Orleans verlassen hat.«

»Weil sein Verfolger hier angekommen ist.«

»Der Vater läßt ihn verfolgen?«

»Ja, durch einen Deutschen. O, diese Deutschen! Ich hasse sie. Man nennt sie das Volk der Denker, aber lieben können sie nicht. Dieser erbärmliche Deutsche hat sie, mit einem Reverse in der Hand, von Stadt zu Stadt bis hierher gejagt. (Ich mußte innerlich lachen über die Entrüstung der Dame gegen einen Herrn, mit dem sie soeben recht gemüthlich verkehrte.) Er ist nämlich Polizist. Er soll William ergreifen und nach New-York zurückbringen.«

»Hat der Sekretär Ihnen diesen Wütherich beschrieben?« fragte ich, gespannt auf weitere Mittheilungen über mich selbst.

»Sehr genau, da ja anzunehmen ist, daß dieser Barbar die Wohnung Williams entdecken und zu mir kommen wird. Aber ich werde ihn empfangen! Ich habe mir schon jedes Wort überlegt, welches ich zu ihm sagen werde. Er soll nicht erfahren, wohin sich William gewendet hat. Ich werde ihn grad nach der entgegengesetzten Richtung schicken.«

Sie beschrieb nun diesen »Barbaren« und nannte auch seinen Namen – – es war der meinige, und die Beschreibung stimmte sehr gut, wenn sie auch in einer für mich sehr wenig schmeichelhaften Weise vorgetragen wurde.

»Ich erwarte ihn jeden Augenblick,« fuhr sie fort. »Als Sie mir gemeldet wurden, glaubte ich, er sei es bereits. Aber ich hatte mich glücklicherweise getäuscht. Sie sind nicht dieser Verfolger der Liebenden, dieser Räuber süßesten Glückes, dieser Abgrund von Unrecht und Verrath. Ihren treuherzigen Augen sieht man es an, daß Sie in Ihrer Zeitung einen Artikel bringen werden, um den Deutschen niederzuschmettern und die von ihm Gejagten in Schutz zu nehmen.«

»Wenn ich das thun soll, was ich allerdings sehr gern möchte, so ist es freilich nothwendig, zu erfahren, wo William Ohlert sich befindet. Ich muß ihm jedenfalls schreiben. Hoffentlich sind Sie über seinen gegenwärtigen Aufenthalt unterrichtet?«

»Wohin er gereist ist, das weiß ich allerdings; aber ich kann nicht sagen, ob er sich noch dort befinden wird, wenn Ihr Brief ankommt. Diesen Deutschen hätte ich nach dem Nordwesten geschickt. Ihnen aber sage ich, daß er nach dem Süden ist, in’s Texas. Er beabsichtigte, nach Mexico zu gehen und in Veracruz zu landen. Aber es war kein Schiff zu haben, welches sofort die Anker lichtete. Die Gefahr drängte zur größten Eile, und so fuhr er mit dem »Delphin«, welcher nach Quintana bestimmt war.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ganz sicher. Er hatte sich zu beeilen. Es gab grad noch Zeit, das Gepäck an Bord zu bringen. Mein Portier hat das besorgt und ist an Deck gewesen. Dort sprach er mit den Matrosen und erfuhr, daß der »Delphin« wirklich nur bis Quintana gehen, vorher aber noch in Galveston anlegen werde. Mit diesem Dampfer ist Master Ohlert wirklich fort, denn mein Portier hat gewartet, bis das Schiff abfuhr.«

»Und sein Sekretär und die Miß sind auch mitgereist?«

»Natürlich. Der Portier hat die Dame indessen nicht gesehen, da sie sich nach der Damenkajüte zurückgezogen hatte. Er hat auch gar nicht nach ihr gefragt, denn meine Bediensteten sind gewöhnt, im höchsten Grade discret und rücksichtsvoll zu sein; aber es versteht sich doch ganz von selbst, daß William nicht seine Braut zurücklassen und der Gefahr aussetzen wird, von dem deutschen Wütherich ergriffen zu werden. Ich freue mich eigentlich auf seine Ankunft bei mir. Es wird eine sehr interessante Scene geben. Zunächst werde ich versuchen, sein Herz zu rühren, und dann, wenn dieses mir nicht gelingt, so werde ich ihm meine Donnerworte in das Gesicht schleudern und in einer Weise mit ihm sprechen, daß er sich unter meiner Verachtung förmlich krümmen muß.«

Die gute Frau befand sich in wirklicher Aufregung. Sie hatte sich die Angelegenheit sehr zu Herzen genommen. Jetzt war sie von ihrem Sessel aufgestanden, ballte die kleinen, fleischigen Fäuste gegen die Thüre und rief drohend:

»Ja, komme nur, komme nur, Du diabolischer Dutchman! Meine Blicke sollen Dich durchbohren und meine Worte Dich zerschmettern!«

Ich hatte nun genug gehört und konnte gehen. Ein Anderer hätte das auch gethan und die Dame einfach in ihrem Irrthum gelassen. Ich aber sagte mir, es sei meine Pflicht, sie aufzuklären. Sie sollte nicht länger einen Schurken für einen ehrlichen Menschen halten. Ein Vortheil erwuchs mir aus dieser Offenherzigkeit gar nicht. Es kam hier eben wieder das – – Greenhorn zur Geltung. Ich machte mir nur weiß, moralisch verpflichtet zu sein, der Dame die Augen zu öffnen, denn der eigentliche Grund, mich zu demaskiren, war, das ich mir das Vergnügen machen wollte, mit einem theatralischen Effecte abzutreten. Darum sagte ich:

»Ich glaube nicht, daß Sie Gelegenheit haben werden, ihm Ihre Blicke und Worte in so zerschmetternder Weise entgegen zu werfen.«

»Warum?«

»Weil er die Sache wohl ganz anders anfangen wird, als Sie meinen. Auch wird es Ihnen nicht gelingen, ihn nach dem Nordwesten zu schicken. Er wird vielmehr direkt nach Quintana fahren, um sich Williams und seines sogenannten Sekretärs zu bemächtigen.«

»Er kennt ja ihren Aufenthalt gar nicht!«

»O doch, denn Sie selbst haben ihm denselben mitgetheilt.«

»Ich? Unmöglich! Das müßte ich doch wissen! Wann sollte das geschehen sein?«

»Soeben jetzt.«

»Sir, ich begreife Sie nicht!« rief die Dame höchst erstaunt.

»Ich werde Ihnen behülflich sein, mich zu verstehen. Erlauben Sie mir nur, eine kleine Veränderung meiner Person vorzunehmen.«

Bei diesen Worten nahm ich die dunkle Perrücke, den Vollbart und auch die Brille ab. Die Dame trat erschrocken zurück.

»Um Gotteswillen!« rief sie aus. »Sie sind nicht ein Redacteur, sondern jener Deutsche! Sie haben mich betrogen!«

»Ich mußte das thun, weil man Sie vorher getäuscht hatte. Die Geschichte mit der Mulattin ist vom Anfang bis zum Ende eine Lüge. Man hat mit Ihrem guten Herzen Mißbrauch und Spott getrieben. Clinton ist gar nicht der Sekretär Williams. Er heißt in Wahrheit Gibson und ist ein gefährlicher Betrüger, den ich allerdings unschädlich machen soll.«

Sie sank wie ohnmächtig auf den Sessel nieder und rief:

»Nein, nein! Das ist unmöglich! Dieser liebe, freundliche, prächtige Mann kann kein Betrüger sein. Ich glaube Ihnen nicht.«

»Sie werden mir glauben, sobald Sie mich angehört haben. Lassen Sie mich Ihnen erzählen!«

Ich unterrichtete sie über den wirklichen Stand der Angelegenheit und hatte den Erfolg, daß ihre bisherige Sympathie für den »lieben, freundlichen, prächtigen« Sekretär sich in den heftigsten Zorn umwandelte. Sie sah ein, daß sie in schmählichster Weise belogen worden sei, und gab mir schließlich sogar ihre Genugthuung darüber zu erkennen, daß ich in Verkleidung zu ihr gekommen sei.

»Hätten Sie das nicht gethan,« sagte sie, »so hätten Sie nicht die Wahrheit von mir erfahren und wären meiner Weisung gemäß gen Norden nach Nebraska oder Dakota gedampft. Das Verhalten dieses Gibson-Clinton erfordert die allerstrengste Ahndung. Ich hoffe, daß Sie sofort aufbrechen, um ihn zu verfolgen, und bitte Sie, mir von Quintana aus zu schreiben, ob es Ihnen gelungen ist, ihn dort festzunehmen. Auf dem Transporte nach New-York müssen Sie mir ihn hierher bringen, damit ich ihm sagen kann, wie sehr ich ihn verachte.«