Der schwarze Mustang

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An der Tür angekommen, drehte sich der Scout für einige Sekunden um; er sah kein einziges Auge auf sich gerichtet und gab mit einer schnellen, kurzen Bewegung der Hand dem Roten ein Zeichen, dessen Bedeutung nur dem verständlich sein konnte, mit dem es verabredet worden war. Dann drehte er sich wieder um und trat in die dunkle Nacht hinaus.

Dieses Zeichen war ebensowohl von Winnetou wie auch von Old Shatterhand bemerkt worden; sie tauschten nur einen Blick miteinander aus und waren dann, ohne ein Wort gesprochen zu haben, darüber einig, was zu geschehen hatte. Was sie vermuteten und was sie wollten, war Folgendes: Der fremde Indianer stand im heimlichen Einvernehmen mit dem Scout, denn er hatte ein Zeichen von ihm bekommen. Heimlich war dieses Einvernehmen, weil sie darauf bedacht gewesen waren, es nicht sehen und wissen zu lassen. Aus dieser Heimlichkeit war auf eine böse Absicht zu schließen, der man unbedingt auf die Spur kommen musste. Es musste nun jemand dem Scout folgen, um sein Tun zu belauschen. Da nun mit Sicherheit anzunehmen war, dass es sich um den Indianer handle, wollte Winnetou dieses Beschleichen übernehmen. Leider durfte er da nicht zur Tür hinaus, denn diese war hell beleuchtet und der Scout stellte sich gewiss so auf, dass er jede Person, die den Schuppen verließ, sehen konnte. Glücklicherweise hatte der Apatsche vorhin bemerkt, dass es hinter den Fässern, Ballen und Kisten eine kleine Tür gab, wohl zu dem Zweck, diese Gegenstände herein- und hinausschaffen zu können, ohne dass man erst nach dem Haupteingang musste. Durch diese Hintertür wollte der Häuptling hinaus. Da dies aber möglichst unbemerkt zu geschehen hatte, so musste er warten, bis die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf Old Shatterhand gerichtet worden war, was sicherlich sofort geschah, sobald dieser mit dem Indianer zu sprechen begann.

Das war das Zweite, was man tun musste, nämlich den Indianer ins Verhör nehmen, um womöglich etwas aus ihm herauszulocken, was auf seine Absichten schließen ließ.

Old Shatterhand zögerte auch gar nicht, seine Forschung zu beginnen, und als alle auf ihn hörten und ihre Augen auf ihn richteten, glitt Winnetou von dem Tisch fort, um hinter den Fässern zu verschwinden und zu der erwähnten Tür zu gelangen.

Der Indsman war ein kräftig gebauter, in den mittleren Jahren stehender Mann. Bald zeigte es sich, dass er auch in Beziehung auf seinen Verstand kein Schwächling war. Dies hatte Old Shatterhand freilich vorausgesehen, denn solch heimliche und gefährliche Aufträge pflegt nur ein kluger Krieger zu bekommen.

„Mein roter Bruder hat sich fern von uns gesetzt. Will er nichts essen oder trinken?“, so lautete die erste Frage Old Shatterhands.

Der Rote antwortete nur mit einem Kopfschütteln.

„Warum nicht? Hast du weder Durst noch Hunger?“

„Juwaruwa hat Hunger und auch Durst, aber er hat kein Geld“, ließ sich jetzt der Rote hören.

„Juwaruwa, so ist dein Name?“

„So werde ich genannt.“

„Das heißt Elk in der Sprache der Upsarokas[13]. Gehörst du zu diesem Stamm?“

„Ich bin ein Krieger des Stammes.“

„Wo weidet er jetzt seine Pferde?“

„In Wyoming.“

„Und wie heißt sein Kriegshäuptling?“

„Er wird ‚Grauer Bär‘ genannt.

Old Shatterhand war zufälligerweise vor kurzer Zeit bei den Krähenindianern gewesen, die zum Volk der Dakotas gehören; er war also zu beurteilen im Stande, ob der Indianer ihn belog. Die Antworten enthielten die Wahrheit.

„Wenn mein Bruder nichts bezahlen kann, so mag er sich zu uns setzen und mit uns essen“, fuhr er fort.

Der Indianer warf einen forschenden Blick auf ihn und erklärte: „Juwaruwa ist ein tapferer Krieger; er isst nur mit Männern, die er kennt und die ebenso tapfer sind. Hast du einen Namen und wie lautet er?“

„Man nennt mich Old Shatterhand.“

„Old – Shatt...!“

Der Name blieb ihm im Munde stecken. Er hatte nur für einen Augenblick seine Ruhe und Selbstbeherrschung verloren, aber doch dadurch verraten, dass er erschrocken war. Er nahm sich schnell wieder zusammen und fuhr in scheinbarer Unbefangenheit fort: „Old Shatterhand? Uff! So bist du ein sehr berühmtes Bleichgesicht.“

„Mit dem du also essen kannst. Komm her zu uns und iss und trink!“

Anstatt dieser Aufforderung Folge zu leisten, ließ der Indsman seinen Blick suchend umhergehen und fragte:

„Ich sehe den roten Mann nicht, der an deiner Seite saß. Wo ist er hin?“

„Er wird draußen im anderen Raum sein.“

„Ich gewahrte nicht, dass er hinausging. Wenn du Old Shatterhand bist, so ist er wohl Winnetou, der Häuptling der Apatschen?“

„Er ist es. Wo hast du dein Pferd?“

„Ich reite nicht.“

„Wie? Ein Upsaroka, der sich so viele Tagesreisen südwärts von seinem Stamm befindet, hat kein Pferd? Hast du es unterwegs verloren?“

„Nein. Ich habe keins mitgenommen.“

„Auch keine Waffen als nur das Messer?“

„Keine.“

„Das muss ja sehr wichtige Gründe haben!“

„Ich habe einen Schwur getan, ohne Pferd und nur mit dem Messer zu gehen.“

„Warum?“

„Weil die Komantschen auch ohne Pferde und andere Waffen waren.“

„Komantschen? Wo waren sie?“

„Oben, nahe bei unseren damaligen Weidegründen in Dakota.“

„Komantschen so weit im Norden? Sonderbar.“

Old Shatterhand ließ seinen Zweifel auch im Ton mitklingen. Der Rote warf ihm einen fast höhnischen Blick zu und antwortete: „Weiß Old Shatterhand nicht, dass jeder indianische Krieger einmal nach Dakota muss, um den heiligen Ton zur Friedenspfeife zu holen?“

„Nicht jeder braucht dies zu tun und nicht jeder hat es getan.“

„Die Komantschen aber taten es. Sie begegneten mir und meinem Bruder; ihn erstachen sie und mir gelang es zu entkommen. Dann tat ich meinen Schwur und bin ohne Pferd und nur mit dem Messer hinter ihnen her; ich werde nicht ruhen, bis ich sie getötet habe!“

„Da du mich an die heiligen Bräuche mahnst, so wirst du wissen, dass kein Indsman auf dem Weg nach diesen Steinbrüchen einen anderen töten darf?“

„Die Komantschen begingen dennoch den Mord!“

„Hm! Aber warum diesen Schwur? Ohne Pferd und nur mit dem Messer! Wie willst du jagen? Wovon hast du unterwegs gelebt?“

„Habe ich dir das zu sagen?“, fragte der Indianer stolz, denn er glaubte, Old Shatterhand vollständig getäuscht zu haben.

„Nein“, antwortete dieser ruhig. „Ich kann nur nicht begreifen, dass du während so langer Zeit und auf einem so langen Weg auf kein Pferd gekommen bist.“

„Ich tat den Schwur und habe ihn gehalten.“

„Nein, sondern du hast ihn übertreten!“

„Beweise es!“

„Du hast heute im Sattel gesessen!“

„Uff, uff!“

„Ja, während des Regens.“

„Uff, uff!“, wiederholte der angebliche Upsaroka; es klang halb wie Schreck und halb wie Trotz. Er war aufgesprungen und stand jetzt nahe vor Old Shatterhand. Der weiße Jäger bückte sich, strich ihm mit beiden Händen an den Beinen nieder und sagte dann: „Deine Leggins sind an den Außenseiten nass und nach einwärts trocken. Die Innenseiten, die am Leibe des Pferdes anlagen, hat der Regen nicht treffen können.“

Auf diesen scharfsinnigen Beweis war der Indianer nicht gefasst gewesen, aber seine Schlauheit gab ihm schnell eine Ausrede ein: „Jedes Kind weiß, dass die Innenseiten der Hosen eher trocken werden als die äußeren. Old Shatterhand hat noch viel zu lernen!“

Diese Frechheit war groß; der Jäger blieb dennoch ruhig. Er hatte sich bisher der englischen Sprache bedient, deren der Rote leidlich mächtig war; jetzt aber legte er ihm eine Frage im Dialekt der Upsarokas vor und erhielt keine Antwort. Er sprach noch einige andere Fragen aus, doch mit demselben Misserfolg; dann legte er dem Indsman schwer die Hand auf die Schulter und sagte englisch: „Warum antwortest du mir nicht? Ist dir die Sprache deines eigenen Stammes unbekannt?“

„Ich habe den Schwur getan, sie nicht eher zu sprechen, als bis der Tod meines Bruders gerächt worden ist.“

„So, deine Schwüre scheinen alle außerordentlich sonderbar ausgefallen zu sein! Noch viel sonderbarer aber ist die Dummheit, in der du dir einbildest, mich betrügen zu können. Gerade deine Sprache ist’s, die dich verrät. Ich weiß ganz genau, wie ein Upsaroka und wie jeder andere Stamm die Sprache der Bleichgesichter redet. Du bist nicht ein Krähenindianer, sondern ein Komantsche. Hast du den Mut, dies einzugestehen?“

„Die Komantschen sind meine Feinde; das habe ich dir bereits gesagt!“

„Gerade, dass du sie deine Feinde nennst, ist für mich der Beweis, dass du einer bist!“

„So machst du mich zum Lügner? Das ist die Sitte der Weißen, ihre roten Gäste zu beleidigen. Ich gehe!“ Er wollte nach der Tür.

„Du bleibst!“, gebot Old Shatterhand, indem er ihn beim Arm ergriff.

Da zog der Indianer sein Messer und rief: „Wer hat das Recht, mich zu halten? Du? Was habe ich dir getan? Nichts! Ich werde gehen, und jeder, der mich daran hindern will, bekommt dieses Eisen in das Herz!“

Old Shatterhand hielt ihn trotzdem mit der Linken fest, entriss ihm mit einem schnellen Griff seiner rechten Hand das Messer und wiederholte: „Du bleibst! Wir warten, bis Winnetou zurückkehrt; dann wird es sich entscheiden, ob du gehen darfst oder nicht. Kauere dich wieder hin, wo du vorhin gehockt hast. Ein Versuch zur Flucht bringt dir eine Kugel.“

Er schleuderte ihn nach der betreffenden Stelle hin; der Indsman stürzte dort nieder; er wollte sich aufraffen, besann sich aber anders und blieb kauern. Old Shatterhand setzte sich wieder zum Essen nieder und legte den gespannten Revolver neben sich, um seiner Drohung Nachdruck zu geben.

 

Das unterbrochene Abendmahl wurde fortgesetzt, doch kam das Gespräch nicht mehr in Fluss. Nach einiger Zeit kehrte der Scout zurück und setzte sich an seinen Platz. Da er den Indianer in derselben Stellung fand, die dieser vorher eingenommen hatte, so ahnte er nicht, was inzwischen geschehen war. Der Verwalter und der Aufseher, die bei ihm saßen, erzählten es ihm; er hörte es und blieb äußerlich ruhig, obgleich er innerlich große Sorge hatte, von Winnetou belauscht worden zu sein.

Als der Apatsche vorhin durch die Hintertür geglitten war, hatte er sich in einem weiten Bogen nach vorn geschlichen, in der Meinung, dort den Scout bei irgendeinem Streich zu ertappen. Die breite, offene Tür des Shops war hell erleuchtet, und wenn man sie, immer weiter gehend, unausgesetzt im Auge behielt, musste man jeden Menschen sehen, der sich zwischen ihr und diesem Auge befand.

Winnetou schlug seinen Bogen weiter und immer weiter, vergeblich! Er blieb oft halten und lauschte in die Nacht hinaus, ebenso vergeblich. Er kehrte zurück und begann von Neuem, wieder ohne Erfolg.

Darüber verging die Zeit, bis er eine Gestalt von seitwärts her kommen und sich dem Shop nähern sah; als sie die Tür erreichte und hineinging, erkannte er, wer es war.

„Uff! Das war der Scout“, sagte er zu sich selbst. „Er scheint doch nichts Heimliches vorgehabt zu haben; darum habe ich hier umsonst nach ihm gesucht. Winnetou hat sich einmal geirrt. Old Shatterhand wird sich sehr darüber wundern.“

Er gab sich nun keine Mühe, unbemerkt zurückzukehren, sondern benutzte die vordere, helle Tür. Als der Scout ihn kommen sah, fühlte er seinen Puls schneller gehen. Jetzt musste es sich zeigen, ob der Apatsche etwas erlauscht hatte oder nicht. Dieser setzte sich neben Old Shatterhand, der ihm das Ergebnis des Verhörs mitteilte und am Schluss leise fragte: „Hat mein roter Bruder Glück gehabt?“

„Winnetou konnte weder Glück noch Unglück haben, weil er sich im Irrtum befand. Es hat gar nichts vorgelegen.“

„Aber das Zeichen, das der Scout dem Roten gab?“

„Das war vielleicht kein Zeichen, sondern eine unwillkürliche Armbewegung.“

„So hätte auch ich mich geirrt und das möchte ich kaum annehmen. Und dieser Indsman da ist kein Upsaroka, sondern ein Komantsche.“

„Hat er dir oder mir oder einem anderen etwas getan?“

„Bis jetzt freilich noch nicht.“

„So darf man ihn auch noch nicht als Feind behandeln. Mein Bruder Shatterhand mag ihn freigeben.“

„Nun wohl, weil du es willst; aber ich tue es nur ungern.“

Er sagte dem Roten, dass er sich entfernen könne. Dieser stand langsam auf und forderte sein Messer zurück.

Als er es erhalten hatte, steckte er es mit den Worten in den Gürtel: „Dieses Messer hat heute mehr Arbeit bekommen, denn ich habe bei mir einen neuen Schwur getan. Old Shatterhand wird bald erfahren, ob dieser auch so sonderbar ist wie vorher die anderen!“

Nach dieser Drohung entfernte er sich raschen Schrittes. Das Gesicht des Scouts hatte während der letzten Minute einen höchst beunruhigten, ja ängstlich gespannten Ausdruck angenommen; jetzt aber veränderte es sich in der Weise, dass in seinen Zügen ein offenbarer, nicht zu beherrschender Hohn zu lesen war. Winnetou flüsterte Old Shatterhand zu: „Mein Bruder sehe den Mestizen an!“

„Ich sehe ihn.“

„Er verlacht uns!“

„Leider wird er Veranlassung dazu haben.“

„Ja. Seine Handbewegung vorhin war also doch ein Zeichen für den Indianer, den du für einen Komantschen hieltest. Wir haben uns nicht geirrt.“

„Du hast ihn draußen nicht gefunden. Wer weiß, was für eine Teufelei da ausgeheckt worden ist. Desto schärfer müssen wir ihn von jetzt an im Auge behalten. Ich bin überzeugt, dass er ein gefährlicher Mensch ist.“

Old Shatterhand hatte Recht, wenn er den Mestizen einen gefährlichen Menschen nannte, und es war draußen wirklich eine Teufelei verabredet worden.

Als der Scout den Schuppen verlassen hatte, war er zunächst vorsichtig aus dem Lichtkreis gewichen, den die brennenden Feuer hinaus ins Freie warfen. Dann gerade senkrecht von dem Shop aus weitergehend, hatte er ungefähr dreihundert Schritte zurückgelegt, bis er eine leise Stimme hörte, die seinen Namen nannte; aber es war nicht der Name, den er hier im Camp trug, sondern ein ganz anderer, denn die Stimme erklang: „Komm hierher, Ik Senanda[14]! Hier stehen wir.“

Er war also wirklich der, für den ihn Winnetou gehalten hatte, der halbblütige Enkel des ‚Schwarzen Mustangs‘, des ‚grimmigsten‘ Häuptlings der Komantschen.

Als er dem Ruf folgte, sah er bald drei Indianer vor sich stehen, von denen der eine sich durch eine ungemein hohe und kräftige Gestalt auszeichnete. Das war der Häuptling selbst, der ihn mit den Worten begrüßte: „Willkommen, du Sohn meiner Tochter! Ich sandte Kita Homascha[15], den listigsten meiner Krieger, in das Haus, damit du wissen möchtest, dass ich gekommen bin und auf dich warte. Hast du mit ihm gesprochen?“

„Kein Wort. Seine bloße Ankunft war für mich genug.“

„Du hast klug gehandelt, denn man hätte vielleicht Argwohn schöpfen können. Wir haben hier einen guten Platz und können nicht überrascht werden, weil wir bei der Helle der offenen Tür einen jeden sehen, der aus dem Hause tritt. Auch haben wir es ja nur mit Leuten zu tun, die nichts vom Leben des Wilden Westens verstehen.“

„Du irrst. Es sind Männer hier, die es sehr genau kennen.“

„Uff! Wer sollte das sein? Sage es!“

„Zuerst kamen zwei sehr lange und sehr dürre Reiter, die bis morgen hierbleiben. Der eine nannte sich Timpe und der andere scheint ebenso zu heißen.“

„Timpe? Pshaw! Kein tapferer Krieger hat jemals diesen oder einen ähnlichen Namen gehört.“

„Dann aber kamen noch zwei andere: Winnetou und Old Shatterhand!“

„Uff, uff! Die hat der böse Manitou hierher geführt.“

„Nicht der böse, sondern der gute. Erst erschrak ich freilich auch; dann aber, als ich sie sprechen hörte, kam Freude über mich.“

„Du wirst mir sagen, was du gehört hast, aber nicht hier. Wir müssen fort.“

„Fort? Warum?“

„Weil ich weiß, wie solche Männer denken und handeln! Haben sie mit dir gesprochen?“

„Winnetou fragte mich aus. Er glaubte nicht, dass ich Yato Inda heiße und hielt mich für den Sohn deiner Tochter.“

„Der Apatsche hat also Verdacht geschöpft und wird dir jetzt folgen, um dich zu beobachten. Wir müssen uns sofort eine andere Stelle suchen.“

„Wir sehen ihn ja, wenn er aus der hellen Tür hervortritt.“

„Du kennst ihn nicht. Er berechnet alles und weiß, dass ein Feind, der dieses Camp beschleicht, sich gerade dieser Tür gegenüber aufstellen wird, weil er da alles sehen kann. Winnetou wird also hierherkommen, und zwar nicht durch die erleuchtete Tür. Gibt es noch einen zweiten Ausgang?“

„Eine kleine Tür, die hinter dem Vorratsraum liegt.“

„Er wird diese benutzen und sich dann im Dunkeln hierher schleichen. Wir müssen nach der anderen Seite hinüber. Komm!“

Sie huschten in einem weiten Bogen rechts um den Shop, während Winnetou den seinigen links herum schlug und sie also nicht mehr vorfand. Dort blieben sie unter einem Baum stehen und der Scout erzählte, was er gehört hatte. Der Häuptling hörte ihm mit größter Spannung zu und sagte dann, vor Freude beinahe laut werdend: „Nach dem Alder-Spring wollen sie? Morgen Abend werden sie dort sein? Wir ergreifen sie; wir ergreifen sie dort; sie können uns gar nicht entgehen! Welch einen Jubel wird es bei uns geben, wenn wir diese kostbare Beute geschleppt bringen und sie martern, dass sie heulen wie geschundene Kojoten! Diese beiden Skalpe sind viel mehr wert als die vielen Zöpfe, auf die es eigentlich abgesehen ist!“

Er erging sich in noch weiteren Ausdrücken der Freude, bis sein Enkel ihn unterbrach: „Ja, wir werden sie ganz gewiss fangen und zu Tode martern; aber willst du deshalb auf die Chinesen verzichten, die ich euch in die Hände liefern sollte?“

„Nein, du bist ja deshalb in den Dienst der Männer vom Feuerross getreten, und wir sind heute hierhergekommen, um dich zu fragen, ob es nicht bald geschehen kann.“

„Ich bin an jedem Tag bereit, hoffe aber, dass ihr das mir gegebene Wort halten werdet!“

„Wir halten es. Oder meinst du, dass ich den Sohn meiner Tochter betrügen werde? Alles Geld und alles Gold und Silber ist dein; alles andere, die Kleider, die Werkzeuge, die Vorräte und besonders die Skalpe der Männer mit den langen Zöpfen, gehört uns. Wir sind es gewöhnt, dass die Bleichgesichter uns alles rauben; wir müssen vor ihnen weichen, denn sie sind mächtiger als wir; nun aber kommen auch diese Gelbhäute und bauen Brücken und Eisenwege auf dem Boden, der uns gehört; sie werden alle ihr Leben lassen müssen und die Krieger der Komantschen werden den Ruhm haben, die ersten roten Männer zu sein, welche die neuen Skalpe der langen Zöpfe besitzen. Wir verzichten nicht darauf und du wirst uns jetzt alle Auskunft erteilen, die zu einem Überfall nötig ist.“

Nun folgten ausführliche Auseinandersetzungen über Örtlichkeit und die einzelnen Teile des Camps, über die Art und Weise, wie der Überfall vorzunehmen sei, und über die Beute, die zu erwarten war. Dann gab der ‚Schwarze Mustang‘ seinen beiden Begleitern das Zeichen, wieder zu ihm zu stoßen, denn sie hatten sich nach den Seiten hin entfernt, um als Wächter dafür zu sorgen, dass er nicht überrascht und entdeckt wurde.

Das Ergebnis dieser geheimen Zusammenkunft war, dass zunächst morgen Abend Old Shatterhand und Winnetou mit Kas und Has am Alder-Spring gefangen genommen werden sollten; die Zeit des Angriffs der Komantschen auf Firwood-Camp werde man dann dem Scout durch einen Boten melden. Hierauf verabschiedete er sich von den drei Verbündeten und kehrte nach dem Shop zurück.

Der ‚Schwarze Mustang‘ suchte mit den beiden Komantschen eine nahe Stelle aus, wo der Verabredung gemäß die Rückkehr des nach dem Shop gesandten Boten zu erwarten war. Er stellte sich bald darauf ein und berichtete voller Ingrimm, wie Old Shatterhand mit ihm verfahren war. Als er hörte, dass dieser mit Winnetou überfallen werden sollte, zischte er vor Freude zwischen den Zähnen hervor: „Er soll es bereuen, dass er sich an mir vergriffen hat, denn ich werde es sein, der ihm die fürchterlichsten Qualen bereitet!“

Eben schickten sich die Roten an, die Stelle zu verlassen und zu den Pferden zu gehen, die sie versteckt hatten, da hörten sie Schritte. Augenblicklich warfen sie sich auf den Boden nieder, obgleich dieser nass und schlammig war. Aber sie lagen den beiden Männern, die vorüber wollten, gerade im Wege; der eine stürzte über den Häuptling weg und riss den andern mit sich nieder.

Im Nu wurden sie ergriffen und festgehalten.

„Schreit nicht, sonst kostet es euer Leben!“, befahl der Häuptling. „Wer seid ihr?“

„Wir sind Arbeiter“, antwortete der eine angstvoll.

„Steht auf, aber tut keinen einzigen Schritt von hier fort, wenn euch euer Leben lieb ist! Warum schleicht ihr so heimlich hier herum? Wenn ihr Arbeiter seid, die zu diesem Camp gehören, braucht ihr das doch nicht zu tun!“

„Wir sind nicht geschlichen!“

„Doch! So leise und gebückt geht kein Mensch, der sich sehen lassen will. Was habt ihr da in den Händen?“

„Gewehre.“

„Gewehre? Wozu brauchen Arbeiter Gewehre? Zeigt her; ich will sie sehen!“

Er entriss sie ihnen, betastete sie und hob dann jedes einzelne empor, um es gegen den Himmel besser betrachten zu können.

„Uff, uff, uff!“, ließ er sich dann zwar leise, aber im Tone freudigen Erstaunens hören. „Diese drei Gewehre sind hier im Westen wohlbekannt. Die Flinte mit den vielen Nägeln muss die Silberbüchse Winnetous, unseres Feindes, sein. Und wenn das richtig ist, so gehören die beiden anderen dem Bleichgesicht Old Shatterhand; es ist der Henrystutzen und der Bärentöter. Habe ich richtig vermutet?“

Die Chinesen schwiegen auf diese an sie gerichtete Frage. Sie sahen, dass sie Indianer vor sich hatten, und fürchteten sich. Sie zitterten förmlich und waren sogar zu feig, einen Fluchtversuch zu wagen.

„Redet!“, fuhr er sie an. „Gehören diese Gewehre Old Shatterhand und Winnetou?“

„Ja“, hauchte derjenige von ihnen, der bis jetzt gesprochen hatte.

„So habt ihr sie gestohlen?“

Der Gefragte schwieg abermals.

„Ich sehe, dass ihr Wagare-Saritsches[16] seid, denen solche Männer ihre Gewehre niemals anvertrauen würden. Wenn du es nicht gestehst, stoße ich dir das Messer augenblicklich in den Leib! Sprich!“

 

Da beeilte sich der Chinese zuzugeben: „Wir haben sie heimlich genommen.“

„Uff! Also doch! Winnetou und Old Shatterhand müssen sich sehr sicher fühlen, dass sie sich hier von ihren Gewehren getrennt haben. Ihr seid Diebe. Wisst ihr, was ich mit euch tun werde? Ihr habt den Tod verdient!“

Da warf sich der Chinese auf die Knie nieder, hob die Hände und flehte: „Töte uns nicht!“

„Wir sollten euch freilich das Leben nehmen; aber wir werden euch laufen lassen, wenn ihr tut, was ich euch befehle.“

„Sage es, oh, sage es! Wir werden gehorchen!“

„Gut! Warum habt ihr die Gewehre gestohlen? Ihr könnt sie doch nicht brauchen, denn ihr seid keine Jäger.“

„Wir wollten sie verkaufen, denn wir haben gehört, dass sie sehr, sehr viel Geld wert seien.“

„Wir kaufen sie euch ab.“

„Wirklich? Wirklich? Ist das wahr?“

„Ich bin der Häuptling der Komantschen. Mein Name lautet Tokvi Kava, was in der Sprache der Bleichgesichter ‚Schwarzer Mustang‘ heißt. Habt ihr von mir gehört?“

Jawohl, sie hatten von ihm gehört, und zwar so viel Schlimmes, dass der Chinese tief erschrocken antwortete:

„Der ‚Schwarze Mustang‘?! Ja, wir kennen dich!“

„So wirst du wissen, was für ein großer und berühmter Häuptling ich bin und dass alles, was ich sage, stets die Wahrheit ist. Ich kaufe dir die Gewehre ab.“

„Wie viel gibst du uns dafür?“

„Mehr als jeder andere euch geben würde.“

„Was?“

„Euer Leben. Ein solcher Diebstahl wird mit dem Tod bestraft; ich schenke euch aber für die Flinten das Leben.“

„Das Leben? Nur das Leben?“, fragte der Zopfträger zitternd und enttäuscht.

„Ist das nicht genug?“, zischte ihn der Rote an. „Können solche Burschen, wie ihr seid, mehr bekommen als das Leben? Was wollt ihr noch?“

„Geld.“

„Geld! Also Metall! Wenn ihr Metall wollt, könnt ihr auch dies haben, nämlich das Eisen unserer Messer; sie sind so scharf und spitz, dass ihr genug davon bekommen werdet. Wollt ihr es?“

„Nein, nein! Verschone uns!“, stöhnte der Chinese. „Wir wollen leben; behalte die Gewehre!“

„Das ist dein Glück, du gelbe Kröte! Und nun höre, was ich dir noch befehle! Old Shatterhand und Winnetou werden sehr bald merken, dass ihre Flinten fort sind; es wird sich ein großer Lärm erheben; sie werden suchen und fragen. Was werdet ihr da tun?“

„Wir werden schweigen.“

„Das müsst ihr. Kein Wort dürft ihr sagen, kein einziges Wort, sonst nehmen sie euch das Leben, weil ihr die Diebe seid. Aber auch von uns dürft ihr nicht sprechen, denn wenn sie erfahren, dass ihr uns getroffen und mit uns gesprochen habt, so erraten sie alles und ihr seid doch verloren. Werdet ihr diesem meinem Befehl gehorchen?“

„Wir werden schweigen, als ob wir tot wären!“

„Das fordere ich von euch, denn wenn ihr verrietet, dass wir hier gewesen sind, würden wir kommen und Rache nehmen; ihr würdet unter tausend Qualen am Marterpfahl sterben. Und nun noch eine Frage: Sind euch die Namen Iltschi und Hatatitla[17] bekannt?“

„Nein.“

„So heißen die Pferde von Winnetou und Old Shatterhand. Wisst ihr, wo diese stehen?“

„Im Schuppen, der dort hinter uns liegt. Wir hörten, dass sie dorthin geschafft wurden.“

„So sind wir mit euch fertig. Also denkt an meine Warnung und schweigt! Jetzt könnt ihr gehen!“

Er gab jedem von ihnen einen Fußtritt und dann verschwanden sie schleunigst im Dunkel der Nacht, froh darüber, dass ihnen wenigstens das Leben geblieben war.

„Uff! Glücklicher konnten wir nicht sein!“, sagte der Häuptling im Tone größter Befriedigung zu seinen Leuten. „Wir haben das Zaubergewehr, den Bärentöter und die Silberbüchse. Nun werden wir uns auch noch die Hengste holen, die außer meinem Mustang nicht Ihresgleichen haben.“

„Will Tokvi Kava nach dem Schuppen gehen?“, fragte derjenige, der unter dem Namen Juwaruwa als Spion im Shop gewesen war.

„Meint mein Bruder, dass ich die Pferde stehen lassen soll? Wenn mein Mustang nicht wäre, so würden sie die besten Pferde von einem großen Wasser bis zum anderen sein. Wir holen sie, denn sie sind wohl ebenso viel wert wie die Gewehre, die wir den gelben, langzopfigen Burschen abgenommen haben.“

Sie schlichen sich lautlos nach dem Schuppen, dessen Tür kein wirkliches Schloss, sondern nur einen Riegel hatte, und lauschten. Drinnen ließen sich vereinzelte Hufschläge vernehmen, wenn ein Pferd mit dem Bein stampfte. Es war finster im Innern. Ein Wächter schien nicht da zu sein, sonst wäre der Raum erleuchtet gewesen.

Der Häuptling schob den Riegel zurück, öffnete die Tür ein wenig, stellte sich so, dass er von innen nicht gesehen werden konnte, und rief halblaut einige Male in englischer Sprache hinein, als ob er ein Bekannter des etwa doch anwesenden Postens sei. Es erfolgte keine Antwort. Nun traten die vier Indianer ein.

Die Pferde der beiden Timpes waren ganz nach hinten geschafft worden, die Rapphengste standen fast ganz vorn. Der Häuptling erkannte dies trotz der Dunkelheit sehr bald.

„Sie stehen hier“, sagte er. „Nehmt euch in Acht! Reiten dürfen wir sie nicht, denn sie kennen uns nicht; wir müssen sie führen und werden ohnehin draußen mit ihnen zu tun bekommen, sobald sie merken, dass es fort gehen soll und ihre Herren nicht dabei sind.“

Die Rapphengste wurden vorsichtig losgebunden und langsam hinausgeführt. Sie folgten den Komantschen zwar, ohne sich zu widersetzen, aber doch in einer Weise, die zeigte, dass sie Verdacht geschöpft hatten. Die Tür wurde wieder verriegelt und dann entfernten sich die Indsmen mit ihrem kostbaren Raub. Der tiefe, weiche Schlamm, den der Regen gebildet hatte, ließ die Schritte der Menschen und der Tiere nicht hörbar werden.

Tokvi Kava fühlte sich außerordentlich befriedigt von dem Streich, den er den beiden berühmten, von ihm aber so sehr gehassten Männern heute spielen durfte. Er war seiner Sache vollständig sicher und hegte die Überzeugung, am heutigen Abend ganz fehlerlos schlau gehandelt zu haben. Und doch irrte er sich. Er hatte in seiner Rechnung einiges vergessen, nämlich den Scharfsinn der beiden Bestohlenen und die vorzüglichen Eigenschaften sowie die ebenso gute Dressur der Pferde, die nicht gewohnt waren, ohne Erlaubnis ihrer Herren fremden Menschen zu gehorchen. Der größte Fehler jedoch, der von ihm begangen worden war, bestand darin, dass er den Chinesen seinen Namen genannt hatte. Er nahm zwar mit Sicherheit an, dass sie nichts verraten würden, aber einem Winnetou und seinem weißen Freund gegenüber war das eine unverzeihliche Unvorsichtigkeit.

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