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Der Schut

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»Dessen Tochter ist an den Sohn eines steinreichen Großhändlers in Stambul verheiratet. Er kehrt dorthin zurück und wird alle seine Bedürfnisse auf das reichlichste befriedigt sehen. Ich weiß übrigens, daß er, bevor wir Edreneh verließen, von seinem Schwiegersohn mit reichlichen Mitteln für unsern Ritt versehen worden ist. Sie sehen also, daß er keines Geldes bedarf. Er ist ein Montenegriner; eine Gabe an Geld würde er vielleicht gar als Almosen betrachten und sich dadurch beleidigt fühlen.«

»Wie steht es mit Halef?«

»Der ist arm. Sein junges Weib ist die Enkeltochter eines arabischen Scheiks, der aber nie ein Rothschild gewesen ist.«

»So meinen Sie, daß ich ihn mit etwas Geld erfreuen könnte?«

»Ja. Wenn Sie es ihm nicht direkt bieten, sondern als Zeichen der Ehrerbietung für die »Herrlichste der Frauen und Töchter«, so werden Sie es ihm ermöglichen, mit Stolz in seine Heimat zurückzukehren und dann Ihrer zu gedenken.«

»Und Omar?«

»Ist noch ärmer. Er war, wie sein Vater, Führer über die Salzdecke des Schott Dscherid, ein fürchterlich waghalsiges Geschäft, wie ich selbst erfahren und auch erlebt habe. Sein Vater wurde, während er uns über den Schott führte, von Hamd el Amasat erschossen, und Omar verließ, vollständig mittellos, seine Heimat, um den Mörder zu suchen und die Bluttat zu rächen. Er ist von da aus, denken Sie sich, vom südlichen Tunesien aus, durch die Sahara, Aegypten und so weiter bis nach Konstantinopel und dann mit uns bis hierher gereist, ohne alles Geld, ein Meisterstück sondergleichen. Wenn er sich gerächt hat und nun von mir scheiden muß, steht er hilflos da in der Fremde und weiß nicht, wie er seine ferne Heimat erreichen soll. Zwar kann ich ihm wohl so viel bieten, als er nötig hat, seinen Hunger zu stillen, aber . – hm!«

Ich hatte mit Absicht die Lage Omars ein wenig ungünstiger geschildert, als sie in Wirklichkeit war. Dieser reiche Franzose konnte für den armen Araber schon ein wenig tiefer in den Beutel greifen. Er sagte auch gleich:

»Nun, so soll es mir ein großes Vergnügen machen, für ihn sorgen zu dürfen. Aber Osko darf ich also nichts anbieten?«

»Geld nicht. Ein kleines Andenken würde er annehmen.«

»Schön! Sie halten es also nicht für eine Beleidigung, wenn man irgend einen an sich nicht wertvollen Gegenstand als Souvenir angeboten bekommt?«

»Ganz und gar nicht.«

»Nun, so hoffe ich, auch Sie werden mir nicht zürnen, wenn ich Sie hiermit dringend ersuche, sich mit Hilfe dieses kleinen Cachet zuweilen meiner zu erinnern. Ich habe es nur als Berloque getragen und meinen Namen noch nicht eingravieren lassen; der Ihrige kann also leicht angebracht werden. Der Schut hatte mir natürlich auch die Uhr abgenommen, und ich bin nur durch Sie wieder in ihren Besitz gelangt. Wenn ich eine arme Berloque für Sie von der Kette löse, so kann dies hoffentlich keine Gabe sein, durch deren Größe Sie sich beleidigt fühlen.«

Bei diesen Worten nestelte der Kaufmann das kleine Petschaft von der Uhrkette und reichte es mir hin. Er nannte es eine arme Gabe. Nun, so arm war sie denn doch nicht. Die Berloque bildete eine kleine achtseitige Pyramide, welche aus einem sehr schönen, fleischfarbenen Topas bestand, fein in Gold gefaßt war und oben auf der Spitze eine Saphirkugel trug, immerhin ein Geschenk von einigen hundert Mark. Ich konnte es natürlich nicht zurückweisen, und er freute sich wirklich aufrichtig, als ich erklärte, es annehmen zu wollen.

Jetzt schlossen wir uns den Andern wieder an. Der Lord befand sich in einem sehr angeregten Gespräch mit den Damen. Er freute sich, da sie Französisch verstanden, seine Zunge wieder einmal in Bewegung bringen zu können, was ihm bei seiner mangelhaften Sprachkenntnis unter Türken und Arnauten nicht gut möglich gewesen war.

Er schilderte ihnen den miserablen Weg von hier bis Rugova und knüpfte daran die Versicherung, daß von dort aus die Straße nach Uskub von Ort zu Ort immer schlechter werde. Er erwähnte die Entbehrungen und Unbequemlichkeiten, welche sie während einer so langsamen Ochsenwagenreise zu erdulden haben würden, und bat sie am Schluß, doch wieder nach Skutari umzukehren und mit ihm nach Antivari zu reisen, wo der französische Dampfer sicherlich noch vor Anker liege und sie zur See und viel bequemer nach Saloniki bringen werde, von wo aus sie mit der Bahn nach Uskub fahren könnten.

Um meinen Rat gefragt, mußte ich ihm leider unrecht geben, was er mir nicht wenig übel zu nehmen schien. Der liebe Lord hatte Geld und Zeit genug, sich erlauben zu können, eine unter den Skipetaren gefundene Familie mittels Schiff nach Saloniki und auch noch weiter zu bringen. Er war in dieser Beziehung der echte, richtige Englishman, welcher die Erde als sein Eigentum betrachtet und gern überall seine Noblesse glänzen läßt.

So erreichten wir endlich den Newera-Khan. Die Damen stiegen aus, und wir begaben uns in die Stube. Dort hatte Halef bereits den Herrn und Gebieter gespielt, wie mir gleich der erste Blick sagte, welchen ich umherwarf. Hinten am Tisch saß der Wirt mit all den Seinen. Es waren ihrer noch mehr, als ich vorher beisammen gesehen hatte. Einige schmutzige Burschen, welche Knechte zu sein schienen, waren dazu gekommen. Am vorderen Tisch saßen die beiden Ochsenfuhrleute. Allen sah man es an, daß sie unter dem Zwang litten, welchen der Kleine ihnen aufgelegt hatte – sie waren seine Gefangenen.

Wie er es angefangen hatte, sich so in Respekt zu setzen, das fragte ich ihn nicht. Ich kannte ja seine Art und Weise. Er ging mit gravitätischen Schritten auf und ab, während Osko bei den Fuhrleuten saß. Dieser hatte die gespannten Pistolen vor sich liegen. In ihnen lag die Macht, welche die Beiden ausgeübt hatten.

Hart an der Wand lag Hamd el Amasat auf der Lehmdiele, noch immer so fest gebunden wie vorher. Er sah uns mit herausfordernden, trotzigen Blicken an.

Die Fuhrleute mußten Platz für die Frauen machen. Alle setzten sich, wo sie Raum fanden; nur ich blieb bei Halef stehen und fragte ihn leise:

»Hat Amasat dich erkannt?«

»Schwerlich! Wenigstens habe ich es ihm nicht angesehen, oder er hat es sich nicht merken lassen.«

»Du hast ihm nichts gesagt?«

»Kein Wort. Ich habe gar nicht mit ihm gesprochen. Desto mehr aber habe ich mit dem Wirt reden müssen. Er wollte sich nicht fügen, bis ich ihm die Pistole vor die Nase hielt.«

»Wozu?«

»Nun, ich mußte doch die ganze Gesellschaft gefangen nehmen!«

»Das hatte ich dir nicht befohlen.«

»War auch gar nicht nötig. Ich weiß auch, ohne daß es mir geboten wird, was getan werden muß. Wenn ich den Wirt mit seinen Knechten frei hätte umherlaufen lassen, so wäre er vielleicht gar auf den Gedanken gekommen, Hamd el Amasat mit Gewalt der Waffen zu befreien.«

Da hatte er freilich nicht ganz unrecht.

»Hast du dem Wirt gesagt, daß der Schut tot ist?«

»Nein. Da er Hamd el Amasat gebunden sieht, kann er sich wohl denken, wie die Sache steht.«

Ich hatte dem Hadschi diese Schweigsamkeit nicht zugetraut. Er ergriff doch sonst jede Gelegenheit, von großen Heldentaten zu sprechen.

Da alle auf mich blickten, gebot ich Halef, dem Gefangenen den Lasso abzunehmen und ihm nur die Hände auf den Rücken zu binden, damit er sich aufrecht setzen könne. Das geschah. Anstatt mir für diese Erleichterung dankbar zu sein oder sich wenigstens ruhig zu verhalten, fuhr er mich an:

»Warum bindet man mich? Ich verlange, daß ich freigelassen werde!«

»Warte noch ein wenig,« antwortete ich. »Und sprich in einem andern Ton, sonst wird dir mit Hilfe der Peitsche Ehrerbietung beigebracht! Mit Dieben, Betrügern und Mördern verkehrt man nicht so, wie mit ehrlichen Leuten.«

»Ich bin kein Dieb!«

»Nicht? Und doch hast du deinen Prinzipal dem Schut zugeführt, der ihm alles abnehmen mußte!«

»Ich kenne keinen Schut!«

»Lüge nicht! Damit kommst du bei uns nicht weit. Du kannst gar nicht leugnen, daß du im Kara-Nirwan-Khan zu Hause bist.«

»Ich bin nur ein einziges Mal dort gewesen, als ich Galingré begleitete.«

»Und dann bist du nach Skutari zurückgekehrt und hast den Angehörigen deines Prinzipals Befehle vorgeschwindelt, von denen er gar nichts weiß! Uebrigens hast du dich mit anderen Untergebenen des Schut nach dem Kara-Nirwan-Khan bestellt.«

»Das ist nicht wahr!«

»Hast du einen Bruder?«

»Nein.«

»So kennst du keinen Mann, welcher Barud el Amasat heißt?«

»Nein!«

»Und dessen Sohn den Namen Ali Manach Ben Barud el Amasat führte?«

»Auch nicht.«

»Und doch hast du an diesen Barud geschrieben!«

»Beweise es!«

»So kennst du wirklich nicht einen Zettel, dessen Inhalt lautet: In pripeh beste la karanirwana Chan ali sa panajir menelikde?«

Jetzt ging es wie ein Schreck über sein Gesicht, und er sagte weniger trotzig:

»Du sprichst von Dingen, welche mir völlig unbekannt sind. Ich bin mir keiner Schuld bewußt und werde meine Unschuld beweisen. Darum verlange ich, daß man mich freilasse!«

»Warum bist du denn entflohen, als ihr uns kommen sahet?«

»Weil der Andere floh.«

»Ah so? Kanntest du ihn?«

»Natürlich! Ich bin ja mit Galingré bei ihm gewesen. Er war der Wirt von Rugova.«

»Und dennoch stimmtest du ihm bei, als er sich für einen Andern ausgab, um diese Leute hier in die Felsenspalte zu führen?«

Er schwieg.

»Mir gegenüber hattest du die Kühnheit, mich aufzufordern, dich gefangen zu nehmen. Dieser Hohn ist dir schlecht bekommen. Ich konnte besser reiten als du dachtest, und werde dir nachher beweisen, daß du mich bereits früher als einen guten Reiter kennen gelernt hast.«

»Ich kenne dich nicht.«

Es war ihm anzusehen, daß er mit diesen Worten die Wahrheit sagte. Der Mann mußte seit jenem entsetzlichen Ereignis auf dem Schott Dscherid sehr viel erlebt haben, da er sich an uns nicht mehr erinnerte. Personen, welchen man unter solchen Verhältnissen begegnet, behält man unter gewöhnlichen Umständen lebenslang im Gedächtnis.

 

»Du kennst nicht nur mich, sondern auch noch einige Andere von uns,« sagte ich ihm. »Du mußt in letzterer Zeit so viele Verbrechen begangen haben, daß es dir unmöglich ist, dich auf Einzelnes zu besinnen. Zunächst aber will ich dir sagen, daß es für dich gut ist, daß du keinen Bruder und keinen Brudersohn hast, denn Barud el Amasat und sein Sohn sind tot.«

Er machte eine Bewegung, als hätte er aufspringen wollen. Ich aber fuhr fort:

»Ali Manach wurde in Edreneh erschossen. Das wird dir unbekannt sein?«

»Es geht mich nichts an.«

»Und sieh dir einmal den Mann an, welcher an der Ecke des Tisches sitzt. Er heißt Osko und hat deinen Bruder Barud von dem Teufelsfelsen gestürzt, weil ihm derselbe seine Tochter Senitza geraubt hatte. Von dieser Tat deines Bruders weißt du wohl auch nichts?«

Er biß die Zähne fest zusammen und schwieg eine Weile. Sein Gesicht war dunkelrot geworden. Dann schrie er mich wütend an:

»Was erzählst du mir Sachen, die mich gar nichts angehen, von Personen, welche ich gar nicht kenne! Wenn du mit mir sprechen willst, so sprich mit mir. Sage mir die Gründe, warum ihr mich wie einen Dieb und Mörder behandelt!«

»Gut; sprechen wir von dir. Wir behandeln dich genau als denjenigen, der du bist. Du bist ein Mörder.«

»Schweig!«

»Ich will davon absehen, daß Galingré in dem Schacht von Rugova ermordet werden sollte; auch davon, daß ihr die Seinen hier töten wolltet. Ich will nur von den Mordtaten sprechen, welche du wirklich vollbracht hast.«

»Du mußt verrückt sein, denn nur der Wahnsinn kann dir solche Albernheiten vorspiegeln!«

»Nimm dich in acht! Sprich noch eine solche Beleidigung aus, so erhältst du die Peitsche! Hast du vielleicht von deinem Prinzipal, Monsieur Galingré, erfahren, daß er einen Bruder hatte, welcher drüben in Algerien, in Blidah, ermordet worden ist?«

»Ja. Er hat es mir erzählt.«

»Und der Sohn des Ermordeten verschwand auf eine ganz rätselhafte Weise?«

»Auch das sagte er mir.«

»Hast du vielleicht diesen Bruder oder dessen Sohn gekannt?«

Bei dieser Frage erbleichte er. Das sah man ganz genau, da er jetzt nicht mehr den Bart trug, welchen er in der Sahara gehabt hatte.

»Wie soll ich einen von ihnen gekannt haben,« antwortete er, »da ich nie in Blidah gewesen bin! Ich kenne weder Algerien, noch die dortigen Länder oder die Wüste. Ich bin ein Armenier und von meinem Vaterland aus nur nach Stambul und hierher gekommen.«

»Ein Armenier bist du? Sonderbar! Grad ein Armenier sollte es sein, welcher Galingré ermordet hatte!«

»Das geht mich nichts an. Es gibt hunderttausende von Armeniern.«

»Ja, das ist richtig; aber viele von ihnen verleugnen ihre Abstammung. So z¨ B¨ kenne ich einen, der sich für einen Angehörigen der Uëlad Hamalek ausgegeben hat.«

Er nagte an der Unterlippe. Aus seinen Augen schoß ein Blick auf mich, als ob er mich mit denselben durchbohren wollte. Es mochte ihm die Ahnung kommen, daß seine Vergangenheit mir genauer bekannt sei, als er geglaubt hatte. Er sann sichtlich darüber nach, wo er mir bereits begegnet sei, kam aber wohl nicht zur Klarheit, denn er rief zornig:

»Sprich doch von Sachen und Personen, die ich kenne. Der Stamm der Uëlad Hamalek ist mir unbekannt. Auch kann ich keinen Bruder haben, welcher Barud el Amasat heißt, denn mein Name ist Hamd en Nassr.«

»Nicht Hamd el Amasat?«

»Nein.«

»So! Also Hamd en Nassr heißest du. Da besinne ich mich auf einen Menschen, welcher sich Abu en Nassr nannte. Hast du den Mann nicht gekannt?«

Jetzt öffnete er den Mund und stierte mich aus großen Augen erschrocken an.

»Nun, antworte!«

Aber er antwortete nicht. Das Weiße seiner Augen färbte sich rot, und die Adern seiner Stirne schwollen dick an. Er schluckte und schluckte und brachte kein Wort hervor. Ich fuhr fort:

»Dieser Abu en Nassr führte seinen Namen »Vater des Sieges« deshalb, weil er einmal dem Wekil der Oase Kbilli einen Dienst geleistet hatte, welcher einige Tapferkeit erforderte. Besinne dich!«

Die Züge seines Gesichtes schienen steif geworden zu sein. Er lallte einige Worte, welche niemand verstehen konnte.

»Dieser Abu en Nassr war der Mörder Galingrés. Er ermordete dann auch dessen Sohn in der Wüste. Er ermordete ferner den Führer Sadek auf dem Schott Dscherid. Ich traf auf die Leiche des jungen Galingré und . – «

Da unterbrach er mich. Er stieß einen kreischenden unartikulierten Schrei aus und schnellte sich, obgleich ihm die Hände gebunden waren, aus der sitzenden Stellung auf die Füße empor.

»Uskut, el kelb el dschirbahn – verstumme, du räudiger Hund!« brüllte er mich an, und sonderbarerweise im Arabisch jener Gegend, in welcher ich damals mit ihm zusammengetroffen war. »Jetzt weiß ich, wer du bist! Jetzt erkenne ich dich! Du bist jener stinkende Deutsche, welcher mich bis Kbilli verfolgte! Deine Väter und Urväter sollen verflucht sein, und an deinen Kindern und Kindeskindern sollen alle Uebel des Leibes und der Seele haften! Jede Stunde muß dir ein neues Unglück bringen und . – «

»Und dieser Augenblick dir die Peitsche!« unterbrach ihn Halef, indem er herbei sprang und aus allen Kräften auf ihn losschlug. »Erkennst du nicht auch mich, du Sohn einer Hündin und du Enkel einer verfaulten Hyäne? Ich bin jener kleine Hadschi Halef Omar, der bei diesem Effendi war, als er dich traf!«

Hamd el Amasat bewegte sich nicht. Er nahm die Streiche hin, ohne den Fuß von der Stelle zu rühren. Er starrte den Kleinen an und schien die Hiebe gar nicht zu fühlen, welche er bekam.

»Und erkennst du nicht auch mich?« fragte Omar, indem er langsam herbeitrat und Halef auf die Seite schob. »Ich bin Omar, der Sohn Sadeks, den du auf dem See Dscherid ermordet hast, so daß er nun unter dem Salz im fließenden Sand begraben liegt und niemand die Stelle besuchen kann, um an ihr zu Allah und dem Propheten zu beten. Ich bin dir gefolgt von Kbilli aus. Allah hat nicht gewollt, daß ich dich fand. Er hat dir Zeit geben wollen zur Reue und Buße. Da du es aber ärger getrieben hast, als vorher, so hat er dich nun endlich in meine Gewalt gegeben. Mache dich bereit! Die Stunde der Rache ist da! Du entkommst mir nicht wieder, und unter deinen Füßen öffnet sich bereits die Dschehenna, um deine Seele zu empfangen, welche verflucht und verdammt ist für alle Ewigkeit!«

Welch ein Unterschied zwischen diesen Beiden! Omar stand ruhig, stolz und hoch aufgerichtet da. In seinem Gesicht war nicht die Spur einer Leidenschaft, des Hasses, der Rache zu sehen. Nur kalte, finstere Entschlossenheit lag über demselben ausgebreitet. Hamd el Amasat zitterte, nicht vor Angst, sondern vor Grimm. Seine Züge verzerrten sich zur Fratze. Seine Brust wogte, und sein Atem flog.

»Ja mlahjiki, ja schijatin,« zischte er, »laisch ana jasihr – o ihr Engel, o ihr Teufel, warum bin ich gefangen! Hätte ich meine Hände frei, so würde ich euch erwürgen, euch alle – alle!«

»Du sollst deinen Willen haben,« antwortete Omar. »Du hast dir dein Urteil selbst gesprochen. Du sollst erwürgt werden ohne Gnade und ohne Barmherzigkeit. Effendi, hast du noch mit ihm zu sprechen?«

Die Frage war an mich gerichtet.

»Nein,« antwortete ich. »Er hat nicht geleugnet. Ich bin fertig mit ihm.«

»So fordere ich, daß du ihn mir überlässest!«

»Es sind noch Andere da, welche Anspruch auf ihn machen können.«

»Aber mein Anspruch ist der größte und älteste. Wer will sich melden, um ihn mir zu entreißen?«

Er sah sich im Kreise um. Niemand antwortete. Was sollte ich machen? Ich wußte, daß weder eine Bitte, noch Drohung, noch ein Befehl beachtet worden wäre. Doch fragte ich:

»Willst du ihn feig ermorden? Willst du . – «

»Nein, nein!« fiel er mir in die Rede. »Osko hat den Bruder dieses Menschen nicht ermordet, sondern ehrlich und stolz mit ihm gekämpft. Das werde auch ich tun. Ich bin kein Henker. Bindet ihn los! Ich lege meine Waffen ab. Er will mich erwürgen; nun, er mag kommen! Gelingt es ihm, mich zu töten, so mag er frei sein und gehen können, wohin er will.«

Also ein Duell! Ein schauriges zwar, aber doch ein Duell. Meine Ansicht über das Duell, welches ich allerdings verwerfe, war hier gleichgültig. Wenn die höchststehenden Vertreter der Zivilisation sich wegen eines schnellen Wortes nach dem Leben trachten und es für eine Ehrlosigkeit halten, dies nicht zu tun, durfte ich da diesen ungebildeten Araber verdammen, wenn er Genugtuung vom Mörder seines Vaters verlangte? Ich sagte nichts und trat zurück.

»Ja, nehmt mir die Fessel ab!« schrie Hamd el Amasat. »Ich werde den Schurken erwürgen, daß seine Seele nicht aus dem Leib und zur Hölle fahren kann!«

Omar entledigte sich seiner Waffen und stellte sich in die Mitte der Stube. Alle an den Tischen Sitzenden standen auf und zogen sich in die Ecken zurück. Die Damen Galingré versteckten sich so, daß sie nichts sehen konnten. Ich stellte mich an die Türe, um Hamd el Amasat den Ausgang zu verwehren, falls er sich dem Kampf durch die Flucht entziehen wollte. Aber das schien ihm gar nicht einzufallen. Er keuchte förmlich vor Verlangen, frei zu werden und sich auf den Gegner zu werfen.

Halef band ihm die Arme los, und nun standen sich die Beiden gegenüber, einander mit den Augen messend.

Niemand sagte ein Wort. Hamd el Amasat war länger und sehniger als Omar. Dieser hatte eine größere Geschmeidigkeit vor jenem voraus, und die Ruhe, welche er bewahrte, ließ hoffen, daß er Sieger sein werde. Wunden konnte es nicht geben, da nur mit den Händen gekämpft wurde.

»So komm heran!« schrie Hamd el Amasat, indem er drohend die jetzt freien Fäuste ausstreckte, anstatt sich, wie ich geglaubt hatte, auf Omar zu werfen.

Die Ruhe desselben schien ihm doch zu imponieren. Es war aber auch wirklich überraschend, daß sich nicht die Spur der leisesten Erregung bei dem Sohne Sadeks zeigte. Er hatte die Miene und Haltung eines Mannes, welcher ganz genau weiß, daß er Sieger sein wird.

»Komm du zu mir, wenn du Mut hast!« antwortete er. »Aber blicke vorher hinaus! Dort drüben erscheint die Sonne über dem Wald. Schau sie dir noch einmal an, denn du wirst sie nie wieder sehen, sondern in Nacht und Grauen versinken. Hier hast du meinen Hals, um mich zu erwürgen. Ich werde dich nicht hindern, deine Hände um denselben zu legen.«

Das war sonderbar. Welche Absicht hatte er doch? Er trat dem Gegner um zwei Schritte näher, hob das Kinn empor, so daß sein Hals leichter zu fassen war, und legte die Hände auf den Rücken. Hamd el Amasat ließ sich diese vortreffliche Gelegenheit nicht entgehen. Er tat einen Sprung auf ihn zu und krallte ihm die beiden Hände um die Gurgel.

Kaum war das geschehen, so warf Omar seine beiden Arme nach vorn und legte dem Feind die Hände an den Kopf, so daß die vier Finger jeder Hand auf die Ohren und nach hinten, die beiden Daumen aber nach vorn auf die Augen zu liegen kamen.

»Hund, dich habe ich!« knirschte Hamd el Amasat in satanischer Freude. »Mit dir ist es vorbei!«

Er drückte Omars Hals so fest zusammen, daß dieser blaurot im Gesicht wurde. Aber ich sah, was der Araber beabsichtigt hatte. Er verschmähte es, noch eine Antwort zu geben. Eine kleine Bewegung seiner Daumen, ein kräftiger Druck derselben, und Hamd el Amasat stieß ein Geheul aus, wie ein verwundeter Panther, und ließ die Hände von dem Hals seines Gegners los, denn dieser hatte ihm . – beide Augen ausgedrückt.

Der Verletzte fuhr sich mit den Händen nach den Augen und hielt nicht inne mit seinem Gebrüll. Er war verloren, denn nun konnte Omar ihn bequem erwürgen. Die Szene, welche nun folgen mußte, war zu entsetzlich; ich wendete mich und ging zur Türe hinaus. Meine ganze Seele wollte sich gegen dieses Geschehnis aufbäumen. Dieses Blenden und dann Abwürgen des Feindes kam mir geradezu diabolisch vor; aber konnte man Mitleid mit einem Menschen wie Hamd el Amasat haben, welcher schlimmer als ein Teufel gehandelt hatte? Gibt es nicht irgendwo ein hochzivilisiertes Volk, bei welchem es das eifrige Bestreben der Preisboxer ist, einander die Augen auszustoßen, und die Lords, Gentlemen und Ladies kommen gelaufen und zahlen – fünfzig, hundert und noch mehr Dollars oder Guineen, um sich dieses herrliche Schauspiel anzusehen und auf den Ausgang des Kampfes um den Gesamtbetrag von Hunderttausenden zu wetten!

Draußen stand die Sonne hell und strahlend über dem Horizont. Ich dachte an die Worte des heimatlichen Dichters:

»Herrlich tritt die Sonn' auf ihre Wolke, Doch den Wahn, der Menschen noch betört, Strahlt sie nicht hinweg von diesem Volke, Welches ewig, ewig sich zerstört.«

Drin in der Stube war es ruhig geworden. Das Brüllen hatte aufgehört. War Hamd el Amasat nun tot? Da ging die Türe auf, und Omar kam heraus.

 

»Ist's zu Ende?« fragte ich schaudernd.

Er hatte das Messer und die Pistolen wieder im Gürtel stecken. Der Kampf mußte also vorbei sein.

»Ja,« antwortete er. »Die Rache ist vollendet, und die Seele meines Vaters wird befriedigt auf mich niederblicken. Ich darf nun meinen Bart scheren und in die Moschee zum Gebet gehen, denn das Gelübde, welches ich auf dem Schott tat, ist nun erfüllt.«

»So schafft die Leiche fort! Ich mag sie nicht sehen.«

»Diese Leiche brauchen wir nicht fortzuschaffen. Sie wird gehen, wohin es ihr beliebt.«

»Wie? Er ist nicht tot? Er lebt noch?«

»Ja, Sihdi. Ich dachte an dich und daran, daß du die Tötung eines Menschen verabscheust. Ich habe Hamd el Amasat nur geblendet. Als er dann hilflos vor mir stand, konnte ich es nicht über mich gewinnen, ihn zu töten. Er mag sein dunkles Leben langsam zu Grab schleppen. Er hat das Licht seiner Augen verloren und wird nun keinem Menschen mehr schaden können. Und jetzt ist ihm noch eine Zeit gegeben, sich seiner Taten zu erinnern und sie zu bereuen. Habe ich recht gehandelt?«

Was sollte ich antworten? Ich erinnerte mich daran, daß hochstehende christliche Rechtslehrer die Forderung stellten, die Verbrecher zu blenden, weil man sie dadurch, ohne sie zu töten, für die menschliche Gesellschaft unschädlich mache. Ich nickte stumm und kehrte in die Stube zurück.

Unter der Türe begegnete mir der Wirt, welcher mit Hilfe eines Knechtes Hamd el Amasat herausführte, um ihn am Brunnen mit Wasser zu kühlen.

»Es ist vorüber, Herr!« rief Halef mir entgegen, »und wir sind einverstanden, daß der zehnfache Mörder nicht getötet worden ist. Das Leben wird für ihn schlimmer sein, als der Tod. Was aber soll nun mit den Bewohnern dieses Newera-Khan geschehen? Sie sind mit dem Schut einverstanden gewesen.«

»Laßt sie laufen! Sie gehen uns nichts an. Es ist mehr als genug geschehen. Mir graut vor diesem Lande. Beeilen wir uns, es zu verlassen! Ich mag es niemals wiedersehen.«

»Du hast recht, Herr. Auch ich habe nicht Lust, länger an diesem Ort zu bleiben. Unsere Pferde stehen draußen. Reiten wir fort!«

So schnell ging das freilich nicht. Galingré ritt nicht weiter mit uns, er kehrte um; ebenso Ranko, welcher die Wagen bis Rugova begleiten wollte. Da gab es noch vieles zu besprechen. Und dann wollte keiner der Erste sein, welcher das Wort des Abschiedes in den Mund nahm.

Ich ging indessen hinaus zum Brunnen. Es erschien mir nicht menschlich, Hamd el Amasat den unkundigen Händen des Wirtes zu überlassen. Aber kaum hörte der Verletzte meine Stimme, so schleuderte er mir Flüche und Verwünschungen entgegen, welche mich augenblicklich umkehren ließen. Ich wanderte eine Strecke in die lautlose Morgenstille hinein. Kein Vogel ließ sich hören, kein Geräusch gab es rings umher. Das war der geeignete Ort zum Insichschauen: aber je tiefer dieser Blick nach innen dringt, desto mehr sieht man ein, daß der Mensch nichts ist, als ein zerbrechliches Gefäß, mit Schwächen, Fehlern und . – Hochmut gefüllt!

Als ich dann zurückkam, wurde von der Familie Galingré und von Ranko Abschied genommen. Diesem Letzteren gaben wir das Packpferd wieder mit. Wir brauchten es nicht. Nachdem sich die Wagen in Bewegung gesetzt hatten, standen wir und blickten ihnen nach, bis sie im Osten verschwanden. Dann stiegen wir auf. Weder der Wirt, noch einer seiner Leute ließ sich sehen. Sie waren froh, uns aufbrechen zu sehen, und hüteten sich wohl, ein Ade zu erhalten, welches jedenfalls nichts weniger als freundlich geklungen hätte.

So verließen wir denn still den Ort, welcher das letzte Ereignis unserer langen, langen Reise gesehen hatte. Nach einer Viertelstunde ging die kahle Ebene zu Ende und der Wald umfing uns wieder mit seinen grünen Armen. Halef, Omar und Osko machten sehr freundliche, zufriedene Gesichter. Der Hadschi blickte mich oft von der Seite an, als ob er mir etwas Freudiges mitzuteilen habe. Osko hatte sein mit silbernen Borden verbrämtes Mindan (* Jacke.) vorn weit offen stehen, was ganz gegen seine Gewohnheit war. Ich bemerkte sehr bald den Grund. Er wollte die breite, goldene Kette sehen lassen, welche an seiner Weste hing. Er hatte also die Uhr Galingrés zum Geschenk erhalten.

Als er den Blick bemerkte, welchen ich auf die Kette warf, schilderte er mir seine Freude, ein so wertvolles Andenken erhalten zu haben. Das öffnete dem Kleinen endlich den Mund.

»Ja, Sihdi,« sagte er, »der Franzose muß sehr reich sein, denn er hat uns mit Papieren bedacht, auf welchen Wappen und Ziffern zu lesen sind.«

Er meinte wohl Banknoten.

»Was sind es für Papiere?« fragte ich. »Wohl Rechnungen, welche ihr aus euern Taschen für ihn bezahlen sollt?«

»Was denkst du von ihm! Er wird seine Schulden von uns bezahlen lassen! So ein Mann wie er ist überhaupt keinem Menschen etwas schuldig. Nein, was wir erhalten haben, das sind Geldzettel, wie man sie im Abendlande anstatt des Goldes und Silbers hat. Ich habe mehrere solcher Zettel, und er hat sie mir für Hanneh, die Schönste und Freundlichste unter den Frauen und Töchtern, gegeben.«

»Und du willst sie ihr mitnehmen?«

»Natürlich!«

»Das wäre nicht klug von dir, Halef. Im Land der Schammar und Haddedihn kannst du sie nicht in Gold oder Silber umwechseln. Das mußt du hier in Skutari tun.«

»Aber wird man mich da nicht betrügen? Ich weiß nicht, welchen Wert diese Zettel besitzen.«

»Das kann ich dir gleich sagen; auch werde ich mit dir zum Geldwechsler gehen. Zeige sie mir einmal!«

Er zog schmunzelnd seinen Beutel hervor, öffnete ihn und reichte mir die »Geldzettel« hin. Es waren englische Banknoten. Galingré hatte ihm wirklich ein sehr nobles Geschenk gemacht.

»Nun?« fragte Halef. »Sind es hundert Piaster?«

»Viel, viel mehr, mein Lieber! Du kannst die Summe gar nicht erraten. Diese Banknoten haben einen Wert von mehr als zwölftausend Piaster. Du würdest dreitausend Franken dafür bekommen, wenn du französisches Geld haben wolltest. Ich rate dir aber, lieber Maria-Theresienthaler zu nehmen, wenn du sie bekommen kannst, denn diese gelten dort, wo Hanneh, die prächtigste der Blumen, duftet.«

Er sah mich wortlos an und schüttelte den Kopf. Ein solches Geschenk ging über seinen kleinen finanziellen Horizont. Omar zog schnell auch seinen Beutel hervor. Er hatte mehr erhalten. Als Franzose hatte Galingré zwar englisches Geld gegeben, aber nach französischen Werten gerechnet, wie ich wohl bemerkte. Omar hatte fünftausend Franken erhalten, eine ungeheure Summe für diese beiden anspruchslosen Leute! Das waren fürstliche Geschenke! Aber Galingré war von der sehr richtigen Ueberzeugung ausgegangen, daß er und die Seinen ohne uns nicht mehr leben würden; was waren schließlich achttausend Franks für einen Mann, der ein solches Vermögen besaß.

Natürlich ergingen sich die Beiden in Ausrufungen des größten Glückes.

»Welch ein Reichtum!« rief Halef. »Hanneh, die Geliebte meiner Seele, ist von diesem Augenblick das vornehmste Weib unter allen Frauen und Enkelinnen der Ateïbeh und Haddedihn. Sie kann fragen, was die Herden sämtlicher Stämme der Schammar kosten, und sich mit Seide aus Hindistan bekleiden und ihr schönes Haar mit Perlen und Edelsteinen schmücken. Ihre Gestalt wird in den Wohlgerüchen Persiens schwimmen, und mit ihren Füßchen wird sie einhergehen in den Pantoffeln der Prinzessinnen. Ich aber werde den besten Latakia rauchen, und meine Masu'ra wird aus einem Rohr vom besten Rosenholz, und die Bizz min kahrubah soll so groß sein, daß ich sie gar nicht in den Mund bringen kann!«

Diese überschwengliche Vorstellung von der Größe seines Vermögens konnte ihn leicht zur Verschwendung treiben. Ich erklärte ihm also durch verschiedene Aufzählungen, daß sein Besitz nicht im entferntesten so bedeutend sei, wie er denke.

Omars Freude war eine stillere. Er lächelte glücklich vor sich hin und sagte:

»Galingré hat mir das gegeben, wonach ich mich so sehr sehne; ich kann mir nun eine Heimat erwerben. Ich werde mit Halef zu den Haddedihn gehen und mir ein Kamel, einige Rinder und eine Herde Schafe kaufen. Dann finde ich wohl auch eine liebliche Tochter des Stammes, welche mein Weib werden will. Hamdulillah! Allah sei Dank! Ich weiß nun, daß ich leben kann.«