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Der Schut

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»Gut, ich gehe getrost darauf ein,« erwiderte ich.

»Auf, nach dem Karaul!« ertönte es von allen Seiten. »Der Perser soll der Schut sein! Wehe diesem Fremden, wenn er lügt!«

»Ich lüge nicht. Wir geben uns ganz in eure Hände. Wir werden sogar alle unsere Waffen ablegen, damit ihr überzeugt seid, daß wir friedliche Leute sind und es ehrlich meinen. Gebt eure Flinten, Messer und Pistolen her, und geht mit diesen braven Leuten nach dem Turm. Ich werde sie hier im Khan aufbewahren und euch dann mit Kolami nachkommen.«

Diese Aufforderung war an meine Gefährten gerichtet. Halef hatte die Pferde in den Hof bringen helfen; er war wieder da und sagte, als ich ihm seine Waffen ab forderte:

»Aber, Sihdi, da können wir uns ja nicht wehren!«

Ich durfte es ihm nicht sagen, aus welchem Grunde ich die Waffen ablegen ließ. Sie sollten unbewaffnet sein, um keine Unvorsichtigkeit begehen zu können. Der hitzköpfige Hadschi war im stand, durch eine Gewalttätigkeit sich und die Gefährten in Gefahr zu bringen.

»Ihr braucht euch nicht zu wehren,« antwortete ich ihm. »Man wird euch nichts zuleid tun. Seid nur still und vorsichtig!«

»Und du kommst nach?«

»Nein. Ich sagte nur so, um den Schut zu täuschen. Er wird eine Strecke mit euch gehen und dann sicher verschwinden. Hierauf steigt er in den Schacht ein, um die beiden Gefangenen zu verstecken. Vielleicht tötet er sie. Indessen fahre ich mit dem Wirt nach dem Stollen und treffe unten mit dem Schut zusammen.«

»Du allein? Das ist zu gefährlich. Ich will mit dir gehen.«

»Nein, das würde auffallen. Hütet euch übrigens, in den Schacht einzusteigen, wenn ihr ihn finden solltet. Man weiß nicht, in welcher Weise der Schut dafür sorgt, daß ihr ihm nicht hinabfolgen könnt. Seid freundlich gegen die Leute, damit ihr sie nicht gegen euch aufbringt, und tut ja nichts, bevor ich wieder bei euch bin.«

Es hatte sich eine ziemliche Menschenmenge angesammelt, und es war vorauszusehen, daß die Zahl noch anwachsen werde. Als der Wirt und ich die Waffen der Gefährten ergriffen hatten, wurden diese mit dem Schut in die Mitte genommen, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Nun traf ich mit dem Wirte die nötigen Vorkehrungen, ging dann voran an die Brücke und stieg in den Kahn. Er kam sehr bald mit zwei Knechten nach. Diese führten die Ruder; er setzte sich auf den Bugsitz und ich steuerte.

Obgleich wir nach der linken Seite wollten, steuerte ich doch nach dem rechten Ufer hinüber, weil wir dort nicht so starke Strömung hatten. Als wir sodann der betreffenden Stelle gegenüber angekommen waren, legte ich nach links um.

Jetzt hatten die Knechte alle ihre Kräfte anzustrengen, um nicht durch die reißende Flut abgetrieben zu werden. Ich mußte weit, weit über das Ziel aufwärts halten. Die Ruder bogen sich; sie drohten, zu zerbrechen; doch war meine größte Sorge, ob auch wirklich der Eingang des Stollens dort unter dem grünen Vorhang sein werde.

Wir befanden uns ein Stück oberhalb desselben. Jetzt ließ ich den Kahn abfallen und hielt grad auf das Loch zu. Befand sich keines dort und gab es nur Felsen, so mußte der Kahn zerschellen, mit so reißender Schnelligkeit wurden wir nach der Stelle getrieben.

»Die Ruder herein! Bückt euch!« rief ich den Dreien zu.

Sie gehorchten augenblicklich. Ich selbst blieb aufrecht sitzen, da ich das Steuer hätte loslassen müssen. Jetzt waren wir nahe; noch zwei Bootslängen, noch eine – ich schloß die Augen, damit sie nicht von den Zweigen verletzt würden – ein Schlag ins Gesicht wie von einem weichen Rutenbesen – ich öffnete die Augen, – tiefe Dunkelheit um mich – ein Aufstoß vorn, der Kiel des Kahns knirschte – wir befanden uns in dem Stollen.

»Allah sei Dank!« seufzte der Wirt tief auf. »Mir war ein wenig bang.«

»Mir auch,« antwortete ich. »Wären wir hier auf Felsen getroffen, so hätten wir ein gefährliches Bad erhalten. Wer nicht ganz ausgezeichnet schwimmt, würde hier verloren sein. Fühlt einmal an die Wand, ob ein Pflock da ist. Es soll sich einer hier befinden, um den Kahn anzuhängen.«

Der Pflock war wirklich vorhanden. Wir befestigten das Fahrzeug an demselben und zündeten die mitgebrachten Laternen an. Ihr Licht reichte hin, den Gang zu erleuchten, da derselbe niedrig und schmal war. Die Knechte steckten die auf Vorrat mitgebrachten Talgkerzen zu sich.

Ich nahm die eine der Laternen in die Linke und den Revolver in die Rechte und schritt voran. Wir konnten, da wir Licht bei uns hatten, von weitem gesehen werden, und es war ja immerhin möglich, daß sich einer der Knechte des Schut zur Bewachung der beiden Gefangenen hier unten befand.

Der Stollen war hoch genug, daß ich aufrecht gehen konnte. Seine Sohle war mit einem Pfad einzelner Bretter belegt. Wozu? Das konnte ich jetzt noch nicht begreifen. Wir gingen sehr langsam, weil ich zu unserer Sicherheit Schritt um Schritt untersuchen mußte. Vielleicht eine Viertelstunde war seit unserer Einfahrt verflossen, als wir uns von einer Luftschicht umgeben fühlten, welche um mehrere Grade kälter als die bisherige war.

»Wir nähern uns wahrscheinlich dem Spalt, von welchem der Alim gesprochen hat,« bemerkte ich. »Jetzt müssen wir doppelt vorsichtig sein.«

Nach nur wenigen Schritten gähnte uns eine breite Spalte an, welche quer über den Stollen schnitt. Ihre Tiefe war nicht zu erkennen und ihre Höhe ebensowenig. Bretter führten hinüber, eins vor das andere gelegt, nur anderthalb Fuß breit.

»Das ist der Ort, an welchem das Verderben wartet,« meinte der Khandschy. »Herr, untersuche den Steg genau!«

»Gebt die Stricke her!«

Wir knoteten die vier Stricke, welche sie mitgebracht hatten, einzeln zusammen, nahmen sie dann doppelt und banden das eine Ende mir, unter den Armen hindurch, um die Brust fest, während das andere Ende von den Dreien gehalten wurde. Mich niederbückend, so daß die Laterne den Boden beschien, schritt ich nun, denselben genau untersuchend, vorwärts.

So breit, wie der Spalt war, gab es natürlich keinen festen Boden. Es waren drei starke Balken hinübergelegt, je einer zur rechten und linken Seite und der dritte in der Mitte. Auf dem mittleren Balken lag das Brett. Zwischen diesem und den beiden Seitenbalken blieb ein mehr als fußbreiter leerer Raum, aus welchem die kalte grausige Tiefe gähnte.

Warum das? Warum lagen die Balken nicht eng beisammen? So fragte ich mich. In dieser Konstruktion des gefährlichen Steges mußte die Hinterlist liegen, welcher der Unberufene zum Opfer fallen sollte.

Nach sechs oder acht Schritten, während deren ich mich über dem Abgrund befand, erreichte ich eine Stelle, welche meine Aufmerksamkeit erregte. Die drei Längsbalken waren hier nämlich durch einen Querbalken verbunden. Als ich denselben genau untersuchte, sah ich, daß er eine Achse bildete, welche sich in den an den beiden Seitenbalken dazu angebrachten Löchern bewegte. Nun war mir die Konstruktion klar. Wer einmal einen Zimmerplatz besucht hat und dort Kinder auf einem Balken, welcher quer auf einem andern lag, schaukeln sah, der kann sich leicht die Einrichtung dieses gefährlichen Steges erklären. Jetzt wußte ich auch, weshalb die beiden Seitenbalken da lagen, deren Zweck ich vorher nicht eingesehen hatte. Sie verbanden die beiden Ufer der Spalte miteinander. In ihrer Mitte trugen sie einen Querbalken, welcher eine bewegliche Achse bildete, auf welcher der Mittelbalken mit dem auf dem Steg befanden, in die grauenhafte Tiefe stürzen und dort jedenfalls zerschellen.

Daß dieses auch mir geschehen würde, darauf hatte der Alim gerechnet.

Ich wendete mich um und teilte den Dreien dieses Ergebnis meiner Untersuchung mit.

»So können wir also gar nicht hinüber?« fragte der Khandschy.

»O doch, denn der Schut betritt diesen Stollen ja auch. Es muß also eine Vorrichtung geben, mittels deren dieser gefährliche Wagebalken an seinen beiden Enden befestigt werden kann, und wenn nicht an beiden, so doch wenigstens an dem drüben liegenden Ende. Wollen einmal nachschauen!«

Ich kehrte zurück, und wir forschten nach. Ja, dieser Mittelbalken lag lose auf der Steinkante auf. Wir hoben sein Ende empor, und die andere Hälfte senkte sich hinab. Wir suchten vergebens nach einem Loch, Pflock oder Riegel, mittels dessen der Balken hier hüben an den Boden befestigt werden konnte.

»So muß ich freilich hinüber,« erklärte ich.

»Um Allahs willen! Du stürzest ja!« rief der Khandschy.

»Nein. Ihr drückt hier den Balken so kräftig nieder, daß er nicht emporschnellen kann; dann kann er sich drüben nicht senken. Drei Männer von eurer Stärke werden mich doch halten können. Uebrigens hänge ich an dem Strick. Knieet nieder und legt die Hände fest auf dem Balken auf. Ich gehe jetzt.«

Es war mir nicht ganz wohl zumut, als ich nun abermals auf dem schmalen Brett über den Abgrund schritt; aber ich kam wohlbehalten drüben an. Dort sah ich auch sofort beim Licht der Laterne, auf welche Weise der Steg zu befestigen war. Das Ende des Balkens lag in der Luft – es erreichte die Kante der Spalte nicht; aber es waren zwei eiserne Ringe in demselben angebracht, und hüben und drüben hing je eine Kette mit einem Haken an der Wand des Stollens herab. Hakte man die Ketten in die Balkenringe, so wurde der Steg festgehalten und konnte nicht sinken.

»Nun, hast du es gefunden?« fragte der Khandschy herüber.

»Ja. Ich mache den Balken fest. Ihr könnt ohne Gefahr herüber kommen.«

Durch kräftiges Zerren an den Ketten überzeugte ich mich, daß dieselben zuverlässig seien, und hakte sie dann ein. Die Drei kamen herüber, sahen sich die einfache Vorrichtung an, und dann schritten wir weiter.

Es versteht sich ganz von selbst, daß dies alles sehr langsam gegangen war, da von unserer Sorgfalt unser Leben abhing. Nun aber schritten wir desto schneller vorwärts. Meine Uhr sagte mir, daß, seit wir den Khan verlassen hatten, weit über eine halbe Stunde verronnen war.

 

Der stets aufwärts führende Stollen bot keine Schwierigkeit mehr dar. Nach ungefähr drei Minuten gelangten wir in den bewußten großen, runden Raum. Der Fels hatte aufgehört. Wir sahen rund um uns Mauern. Fünf Türen befanden sich da, vier sehr niedrige und eine hohe, schmale. Letztere hatte keinen Riegel, konnte also von uns nur durch Aufsprengen geöffnet werden. Die übrigen Türen waren mit vielen Riegeln versehen.

»Hinter diesen niedrigen Türen befinden sich die Gefangenen,« sagte ich, schob einen der Riegel zurück und öffnete. Wir sahen ein ungefähr sieben Fuß tiefes, vier oder fünf Fuß breites und ebenso hohes Loch, in welchem ohne jedwede Unterlage ein Mensch lag, und zwar, wie es der Engländer beschrieben hatte, mit den Füßen in eisernen Ringen steckend.

»Wer bist du?« fragte ich.

Ein Fluch war die Antwort.

»Sage, wer du bist! Wir kommen, dich zu retten.«

»Lüge nicht!« klang es mir rauh entgegen.

»Es ist die Wahrheit. Wir sind Feinde des Schut und wollen dich – — «

Ich kam nicht weiter. Zwei Rufe ertönten, einer aus dem Mund eines der Knechte und einer aus dem Mund des – — Schut.

Ich hatte mich vor das Loch gekniet und hielt die Laterne in dasselbe. Der Khandschy kauerte neben mir, und die Knechte standen gebückt hinter uns, um auch hineinzusehen. Indessen war die vorhin erwähnte, schmale Türe aufgegangen und der Perser eingetreten. Der Knecht hatte ihn gesehen. Beide stießen die Schreie aus.

Ich drehte mich nach dem Knecht um:

»Was gibt's?«

Die Türe des Loches stand nämlich so von der Mauer ab, daß ich den Schut nicht sehen konnte.

»Dort, da – da ist er!« antwortete der Gefragte, auf den Perser deutend.

Ich sprang auf und sah über die Türe hinweg.

»Drauf!« rief ich, als ich ihn erkannte.

Der Verbrecher war im höchsten Grad erschrocken, uns hier zu sehen, und stand ganz starr. In der Hand hielt er einen Meißel oder etwas ähnliches. Mein Ruf gab ihm die Beweglichkeit zurück.

»O Hassan, o Hosseïn!« schrie er, indem er den Meißel nach meinem Kopf schleuderte. »Ihr sollt mich nicht haben, ihr Hunde!«

Ich mußte mich blitzschnell hinter die Türe bücken, um nicht getroffen zu werden. Als ich wieder emporfuhr, sah ich ihn in dem Stollen verschwinden. Er wollte auf demselben Weg entspringen, welcher uns hereingeführt hatte. Da wir hier waren, so mußte ein Kahn vorhanden sein, mit Hilfe dessen er entkommen konnte, so sagte er sich. Er war durch den Schacht von oben herabgekommen, durfte aber nicht durch denselben zurückkehren, weil inzwischen die Leute da oben angekommen waren, von denen er sich auf irgend eine Weise entfernt hatte. Sie hätten ihn sehen müssen, und das Mundloch des Schachtes wäre entdeckt gewesen.

»Er entspringt! Ihm nach!« rief ich, ließ die Laterne stehen und sprang in den Stollen hinein.

»Nimm die Laterne mit!« schrie der Khandschy hinter mir her.

Ich hütete mich wohl, dies zu tun; denn ich hatte das Licht nicht ohne Absicht zurückgelassen. Ich hatte gesehen, daß der Schut auch jetzt die Pistolen im Gürtel trug. Die Laterne in meiner Hand hätte ihm ein sicheres Zielen ermöglicht. Er brauchte nur ganz ruhig stehen zu bleiben und die Waffe auf mich zu richten, so mußte er mich treffen. Darum folgte ich ihm im Finstern.

Das war freilich keine leichte Sache. Ich streckte die Hände aus, um mit den Seitenwänden Fühlung zu nehmen, und rannte so, hüben und drüben anstreifend, so schnell wie möglich vorwärts. Von Zeit zu Zeit blieb ich einen Augenblick stehen, um auf seine Schritte zu lauschen. Aber das war vergeblich, denn der Khandschy kam mit den Knechten hinter mir her, und der Lärm, den sie verursachten, übertäubte den Fußschlag des Schut.

Uebrigens war die Verfolgung gefährlich, obgleich ich keine Laterne trug. Er brauchte mich nicht zu sehen. Er durfte nur stehen bleiben und die Pistole ziehen. Das Geräusch meiner Schritte genügte, mich ihm zu überliefern. Ich an seiner Stelle hätte dieses Verfahren gewiß befolgt. Zwei geladene Doppelpistolen, also vier Kugeln, und außerdem noch das Messer, reichten hin, uns unschädlich zu machen. Ich rechnete aber auf seine Angst und darauf, daß er denken würde, selbst dann nicht entkommen zu können, wenn es ihm auch gelänge, einen oder zwei von uns zu töten.

So ging es in möglichster Eile vorwärts. Ich hatte mich doch verrechnet, als ich glaubte, das Entsetzen werde ihn unaufhaltsam vorwärts treiben. Er war doch stehen geblieben, denn plötzlich krachte vor mir ein Schuß, zehnfach stärker in diesem engen, niedrigen Gang. Beim Blitz des Pulvers sah ich, daß der Schütze sich kaum zwanzig Schritte vor mir befand. Die Kugel traf nicht. Ich hörte sie an die Wand schlagen, blieb stehen, zog den Revolver und drückte zwei-, dreimal ab.

Ich horchte. Einige Augenblicke später hörte ich sein höhnisches Gelächter. Er rannte weiter, ich ihm nach. Er schoß noch einmal; da stand er an dem über den Abgrund führenden Steg, wie ich beim Blitzen des Schusses sah. Langsamer folgte ich ihm und erreichte den Rand des Spaltes. Hier überzeugte ich mich mit den Händen, daß die Ketten noch eingehakt waren, und folgte ihm auf dem über den Abgrund führenden Brett.

Jetzt war der bedenkliche Augenblick gekommen. Wenn er drüben stehen blieb und mich, bevor ich den festen Boden erreichte, angriff, so war ich verloren. Um ihn davon abzuhalten, gab ich, auf der Mitte des Steges stehen bleibend, die noch übrigen drei Schüsse des Revolvers ab. Ein abermaliges Gelächter belehrte mich, daß ich ihn nicht getroffen hatte. Aber ich hörte auch dem Schall an, daß der Lachende nicht an dem Abgrund stand, sondern weiter eilte.

Natürlich zögerte ich nicht, ihm zu folgen. Drüben über der Spalte angekommen, warf ich einen Blick zurück. Ich sah den Schein der Laterne. Der Khandschy war nicht weit hinter mir. Weiter und weiter ging's. Ich keuchte vor Anstrengung; ich glitt auf den feuchten, schlüpfrigen Brettern oft aus. Und wieder krachte vor mir ein Schuß, welchen ich aus dem noch gefüllten andern Revolver erwiderte. In der Besorgnis, daß der Verbrecher doch noch stehen bleiben und mich endlich wirklich treffen könne, feuerte ich nach und nach, immer vorwärts eilend, alle sechs Schüsse des zweiten Revolvers ab. Dann griff ich zum Messer – nein, in den leeren Gürtel, denn es war nicht vorhanden. Hatte ich es mit einem der Revolver herausgerissen, oder war es mir entfallen, als ich vor dem Gefängnisloch kniete, das konnte ich jetzt nicht wissen. Mir war so zu Mut, als ob die Hetzjagd bereits eine volle Stunde gedauert habe. Da ward es dämmerig vor mir: – ich hatte den Eingang des Stollens erreicht.

Kam man von draußen, aus dem hellen Tag herein, so schien es hier völlig dunkel zu sein. Hatte man sich aber eine Weile in der Finsternis befunden, so erfaßte das Auge die wenigen, durch den Pflanzenvorhang dringenden Strahlen und konnte die im Innern des Stollens befindlichen Gegenstände wenigstens ihren Umrissen nach erkennen. Ich hielt an.

Vor mir lag der Kahn. Soeben hatte der Schut denselben vom Pflocke gelöst und sprang hinein. Er hörte, daß ich nahe war, und schrie mir zu:

»Hund, leb' wohl! Nur du hast dieses Loch gewußt und sonst niemand. Kein Mensch wird es entdecken und euch hier suchen. Freßt euch einander vor Hunger auf!«

Ich dachte in diesem verblüffenden Augenblick nicht daran, daß es im schlimmsten Fall möglich wäre, uns durch Schwimmen zu retten; ich glaubte seinen Worten. Der Kahn durfte also nicht fort. Ich holte aus und sprang hinein.

Der Schut stand aufrecht drin, mit beiden Händen an die Felswand gelehnt, um auf diese Weise den Kahn gegen das hereinpressende Wasser hinauszustoßen. Die Ruder konnten wegen der Enge des Stollens erst draußen eingelegt werden. Der Kahn schwankte unter der Wucht meines Sprunges. Ich verlor das Gleichgewicht, fiel nieder, und er auf mich.

»Bist du da?« zischte er mir in das Gesicht. »Willkommen! Du bist mein!«

Er faßte mich mit der einen Hand bei der Gurgel, und ich packte seine beiden Arme. Mit der Linken fühlte ich, daß er mit der rechten Hand in den Gürtel griff. Schnell fuhr ich mit der Hand an seinem Arm nieder bis zum Handgelenk und preßte dieses so fest zusammen, daß er einen Schmerzensschrei ausstieß und die Waffe – ich weiß nicht, ob Messer oder Pistole – fallen ließ. Dann zog ich das Knie empor und stemmte ihn von mir ab. Im nächsten Augenblick hatte ich mich aufgerichtet, er sich aber auch. Wir standen nur einen Schritt auseinander. Wie durch einen dichten Nebel sah ich seine Hände aus dem Gürtel kommen und sich gegen mich richten; ich schlug sie mit den Fäusten auseinander – ein Schuß krachte. Oder waren es zwei? Ich weiß es nicht. Er aber brüllte:

»Nun denn, dann anders! Mich bekommt ihr nicht!«

Er sprang in das Wasser – er hatte die Laterne des Khandschy erblickt, welcher sich uns näherte.

Der Mensch war wirklich tollkühn! In diesen Strudel zu springen, dazu gehörte mehr als gewöhnliche Beherztheit.

Ich versuchte, den Kahn fortzuschieben; aber die Strömung drang mit solcher Kraft herein, daß ich merkte, es gehöre eine geraume Zeit dazu, das Fahrzeug hinauszubringen. Indessen war der Schut fort, tot oder gerettet.

Daß er es gewagt hatte, ins Wasser zu springen, ließ erraten, daß er ein guter Schwimmer sei. Die reißende Strömung mußte ihn schnell davontragen. Entkam er, so konnte er der Familie Galingrés, welche wir warnen wollten, entgegenreiten, sich mit Hamd el Amasat vereinigen und – —

Ich dachte nicht weiter. Seit er ins Wasser gesprungen, waren noch kaum zwei Sekunden vergangen; so warf ich denn Jacke und Weste ab, saß auf die Ruderbank nieder, riß mir die hohen schweren Stiefel förmlich von den Beinen und rief in den Stollen zurück:

»Ich schwimme. Schnell in das Boot, und dann mir nach!«

»Um Allahs willen, nein! Es ist dein Tod!« antwortete der Khandschy.

Aber schon war ich im Wasser. Ich sprang nicht hinein, sondern ich ließ mich leise hinab, denn bei den Strudeln, welche es hier gab, war es geraten, auf der Oberfläche zu bleiben. Hauptsache ist da ein kräftiges Ausstreichen, nicht auf voller Brust, sondern halb auf der Seite liegend, so daß man mit dem abwärts gerichteten Arm nach unten schlägt und also durch den Gegendruck oben gehalten wird.

Kaum war ich mit dem Kopf durch den Pflanzenvorhang gekommen, so wollten mich die Strudel packen. Ich wurde an den Felsen gedrängt und kämpfte eine ganze Weile, um nur oben und auf derselben Stelle bleiben zu können. Dann schoß eine Welle heran, brach sich am Felsen – das war der richtige Augenblick; ich überließ mich ihr, half durch energisches Stoßen nach und schoß stromab davon, so schnell, daß ich unwillkürlich die Augen schloß.

Als ich wieder aufblickte, befand ich mich zwischen zwei Strömungen, welche sich eine Strecke von mir vorwärts trafen und einen gefährlichen Wirbel bildeten. Es war auf der Mitte des Flusses. Vor diesem Wirbel mußte ich mich hüten. Ich wendete sofort, hatte aber lange und angstvoll zu arbeiten, bevor es mir gelang, die eine Strömung zu durchkreuzen und in ruhiges, sicheres Wasser zu kommen.

Jetzt erst konnte ich mich um den Schut bekümmern. Durch das sogenannte Wassertreten gab ich mir eine aufrechte Haltung und sah mich um. Da – grad aus dem Wirbel, den ich so ängstlich vermieden hatte, tauchte er empor; er schoß fast bis zur Hälfte des Leibes aus dem Wasser, tat einen wahren Delphinensprung und überwand den Strudel. Dann hielt er nach dem Ufer herüber, in dessen Nähe ich mich befand.

Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn bewundern. Er war ein viel, viel besserer Schwimmer als ich. Es war ihm gar nicht eingefallen, einen Wirbel zu vermeiden. Er wußte, daß dieser ihn zwar fassen, aber auch wieder ausstoßen würde. Jetzt befand er sich abwärts von mir und schwamm nach dem Ufer zu, ohne sich umzusehen; darum bemerkte er mich nicht.

Es verstand sich ganz von selbst, daß ich ihm folgte. Hände und Füße unter der Oberfläche haltend, so daß ich kein Geräusch verursachte, hielt ich mich hinter ihm. Im Schnellschwimmen war ich ihm wohl überlegen, denn ich war ihm bald so nahe, daß ich fast seinen Fuß ergreifen konnte. Aber auch das Ufer war schon da. Jetzt mußte der Schrecken mein Verbündeter sein. Er hatte keine Waffen mehr und ich auch nicht. Es stand mir also das bevor, was ich hatte vermeiden wollen – ein Ringkampf.

Das hier drüben platte Ufer war mit angespülten Kieseln bedeckt und lief nach und nach seicht aus. Als der Schut Grund fühlte, nahm er denselben schnell unter die Füße und watete hinaus, triefend von Wasser. Er hatte es dabei so eilig, daß er sich auch jetzt nicht umsah und das Wasser mit lautem Spritzen vor sich her schob. Darum hörte er es gar nicht, daß hinter ihm noch einer kam. Da ich wohlweislich Schritt mit ihm hielt, so hielt er meine Schritte für die seinigen. Dabei raffte ich am Rande des Wassers einen faustgroßen, runden Kiesel auf, um mich desselben als Waffe zu bedienen.

 

Jetzt stand er am Lande, streckte die Arme empor, stieß einen frohlockenden Ruf aus und drehte sich halb um und blickte nach dem Eingang des Stollens. Dort kam eben der Kahn herausgeschossen; so lange hatten die drei Männer gebraucht, um den gewaltigen Wasserdruck zu überwinden.

»Ihr Hunde! Euch bekomme ich noch!« rief er und wandte sich dann wieder nach dem Lande, um davonzueilen. Ich war zwei Schritte seitwärts getreten und stand nun grad vor ihm.

»Und ich bekomme dich!« antwortete ich ihm.

Mein Anblick brachte eine noch größere Wirkung hervor, als ich erwartet hatte. Er brach vor Schrecken beinahe zusammen und erhielt, bevor er sich ermannen konnte, mit dem Stein einen Schlag an den Kopf, daß er niedersank.

Aber dieser Mann war ein übermächtiger Gegner; war die Betäubung nur eine augenblickliche, so konnte der Ausgang doch noch ein schlimmer für mich werden. Darum riß ich ihm, sobald er gestürzt war, die Schärpe vom Leib und band ihm die Arme bei den Ellbogen auf dem Rücken zusammen.

Kaum war das geschehen, so erholte er sich. Noch geschlossenen Auges machte er eine Bewegung, aufzuspringen; sie gelang natürlich nicht. Dann riß er die Augen auf, starrte mich an, blieb dann bewegungslos liegen, zog aber ganz plötzlich die Füße an sich, gab sich mit dem Oberkörper einen Schwung aufwärts und nach vorn, kam wirklich empor und zum Stehen und stemmte die Hände in die Seiten, um die Schärpe zu zersprengen. Zum Glück hielt sie fest.

Das war außerordentlich schnell geschehen; aber ebenso schnell hatte ich meinen Gürtel abgenommen und schlug ihm mit dem Bein die Füße nach hinten, so daß er nach vorn wieder niederstürzte. Sofort saß ich ihm auf den Knieen und band ihm auch die Füße zusammen. Er konnte sich gar nicht dagegen wehren, weil er ja die Arme auf dem Rücken hatte.

»So!« sagte ich, indem ich keuchend aufstand. »Jetzt wissen wir, wer den Andern hat. Da drüben im Stollen werden sich die Leute nicht auffressen, und du wirst den guten Bewohnern von Rugova erklären, wie es dir möglich gewesen ist, so schnell in einen Schacht zu kommen, den du gar nicht kennst.«

»Teufel!« zischte er. »Hundertfacher Teufel!« Dann schloß er die Augen und blieb ruhig liegen.

Die Strömung hatte den Kahn ergriffen und trug ihn pfeilschnell abwärts. Die darin Sitzenden sahen mich und hielten auf mich zu.

»Herr, wir hielten dich für verloren!« rief der Khandschy schon von weitem. »Allah sei Dank, daß er dich gerettet hat! Wer liegt bei dir?«

»Der Schut.«

»O Himmel! So hast du ihn?«

»Ja.«

»Dann schnell! Auf, auf, legt euch in die Ruder!«

Die Knechte strichen so aus, daß das Boot mit halbem Körper auf das Ufer schoß. Die Drei sprangen heraus und eilten herbei.

»Er ist's, ja, er ist's!« jubelte der Khandschy. »Welch ein Schwimmer mußt du sein, Herr! Wie gelang es dir denn, ihn zu überwinden?«

»Das kann ich dir nachher sagen. Jetzt schafft ihn in den Kahn, mit welchem der Transport viel schneller geht, als wenn wir den Mann am Ufer hin und über die Brücke tragen. Wir müssen nun schnell hinauf senden nach dem Karaul, damit die Leute erfahren, daß ich sie nicht belogen habe. Da ich ihnen nicht gefolgt bin, sind sie im Stande, sich an meinen Begleitern zu vergreifen.«

Sie führten diese Weisung aus, und nach einigen Minuten landeten wir an der Brücke. Einer der Knechte lief zu dem Karaul hinauf. Der Khandschy brachte mit den andern Knechten den Schut in das Haus. Ich nahm Jacke, Weste und Stiefel in die Hände und lief in türkischen Strümpfen hinterdrein. Den Fez abzulegen, daran hatte ich gar nicht gedacht; er war mir fest sitzen geblieben. Ich mußte nun die nassen Kleider ausziehen. Eine Hose zu borgen, war eine sehr heikle Sache, wenn ich an die zoologische Entdeckung dachte, welche der Lord in seinem Fez gemacht hatte. Zum Glück besaß der Wirt einen neuen Schalwar (* Türkische Pumphosen.), den er noch nicht getragen hatte, und diesen zog ich an. Kaum war ich angekleidet, so erschien Halef nebst dem Engländer. Der Lord machte Schritte wie Peter mit den Siebenmeilenstiefeln, und Halef sprang neben ihm einher, wie ein kleiner Pony neben einem hochbeinigen Reitkamel.

»Ist's wahr? Habt ihr ihn, Master?« rief Lindsay, die Türe aufreißend.

»Da liegt er. Seht ihn euch an!«

Der angenommenen Rolle treu, hielt der Schut die Augen geschlossen.

»Naß! Wohl ein Kampf im Wasser?« forschte Lindsay.

»Beinahe.«

»War er im Schacht?«

»Ja.«

»Well! So kann er nicht mehr leugnen!«

»O Sihdi, du hast andere Hosen an?« sagte Halef. »Das muß entsetzlich gewesen sein, dort an der gefährlichen Stelle! Ich bin begierig, alles zu erfahren.«

Aber zum Erzählen war jetzt keine Zeit; denn nun trafen auch die Andern ein. Die Andern? Nein, das ganze Dorf kam gelaufen und wollte sehen und hören. Wir stellten uns an die Türe und ließen nur den Stareschin ein und die Köj pederleri (** Väter des Dorfes.). Der ausübende Polizist war auch dabei, ein Kerl – dick wie Falstaff und mit einem blechernen Schlauch bewaffnet, der vermutlich ein Blasinstrument vorstellen sollte.

Als diese Leute den Liebling der Umgegend gebunden und ganz durchnäßt auf dem Boden liegen sahen, zeigten sie sich höchst aufgebracht darüber; der Stareschin rief zornig:

»Wie könnt ihr es wagen, ihn ohne meine Erlaubnis wie einen Gefangenen zu behandeln?«

»Stimm deinen Ton ein wenig herab!« erwiderte ich ihm kühl. »Und sage mir zunächst, wie es dem Perser möglich gewesen ist, sich von euch zu entfernen.«

»Ich habe es ihm erlaubt.«

»Warum und wozu gabst du ihm diese Erlaubnis?«

»Er wollte seine Knechte holen, welche helfen sollten, den Schacht zu suchen.«

»Sie sollten vielmehr helfen, euch das Finden desselben unmöglich zu machen.«

»Wir haben vergeblich auf dich gewartet. Daß du nicht kamst, ist ein Beweis deines bösen Gewissens, und ich befehle, den Perser augenblicklich loszubinden!«

Dieser Befehl war an den dicken Polizisten gerichtet, welcher sich auch anschickte, denselben auszuführen. Da aber nahm ihn Halef beim Arm und sagte:

»Freundchen, greif diesen Mann nicht an! Wer ihn ohne Erlaubnis dieses Emirs berührt, dem gebe ich hier diese Peitsche!«

»Was sagst du?« schrie der Stareschin. »Hier hat kein Anderer zu befehlen, als ich allein, und ich sage, daß Kara Nirwan losgebunden wird!«

»Du irrst!« entgegnete ich. »Jetzt bin ich es, der zu befehlen hat. Und wenn du mir widerstrebst, so lasse ich dich gleichfalls binden und nach Perserin schaffen. Du bist der kleinste der Beamten des Großherrn und hast, wenn höhere sich hier befinden, gar nichts zu befehlen, sondern nur zu gehorchen. Ich sage dir, daß der Wali gar nichts dagegen hat, wenn ich dir die Bastonnade zuerkenne. Ich werde mich aber herablassen, dir zu erzählen, weshalb wir nach Rugova gekommen sind, und du wirst mich anhören und nur dann sprechen, wenn ich es dir erlaube. Ich sehe, daß die Ehrwürdigen des Dorfes begierig sind, es zu erfahren.«

Da aber meinte Halef:

»Nein, Effendi! Wie könnte ein vornehmer Mann wie du seinen Mund anstrengen, um einem niedrigen Kiaja zu erklären, warum etwas geschehen ist oder geschehen soll! Ich bin deine rechte Hand und deine Zunge und werde diesen Vätern der Ortschaft die Augen öffnen über denjenigen, welchen sie bei sich gehabt haben, ohne zu ahnen, daß er in der Dschehennah geboren wurde und zur Dschehennah fahren wird.«

Und nun begann er in seiner Weise den Bericht, welcher, je länger desto mehr das Erstaunen der Zuhörerschaft erweckte. Als er dann unser Zusammentreffen mit Kolami erwähnte, fiel dieser ein:

»Jetzt bitte ich dich, mich fortfahren zu lassen, da du nicht weißt, was in dem Stollen sich ereignet hat.«